Verwerflichkeit aufdeckte.“ (S.356) Natürlich versäumt Speer es nicht, darauf hinzu-weisen, wie sehr er sich in das konservative Gedankengut um 1930 eingebunden sah. Er schreibt dazu: „Hitlers Partei wandte sich gerade an den Idealismus dieser aufgeregten Generation.“ Er fährt fort, indem er seinen Architektur-professor zitiert: „Es wird wohl einer kommen müssen, der ganz einfach denkt. Das Denken heute ist zu kompliziert geworden. Ein ungebildeter Mann, gewissermaßen ein Bauer, würde alles viel leichter lösen, weil er eben noch viel unverdorbener ist. Der hätte auch die Kraft, seine einfachen Gedanke zu verwirklichen.“ Dazu dann Speer: „Uns schien diese hintergründig wirkende Bemerkung auf Hitler anwendbar zu sein.“ Es kam natürlich hinzu, dass Hitlers Partei dem jungen Architekten Speer den ersten Bauauftrag verschaffte (Parteigebäude in Berlin). Es gibt eine verblüffende Duplizität der Ereignisse, die erwähnenswert ist. Es gehörte zur banalen Identität Hitlers, dass er sich gerne in der Öffentlichkeit martialisch mit Hundepeitsche zeigte. Gerade das war ja für die bürgerliche Denkungsart der Familie Bonhoeffer besonders abstoßend, wie wir am Anfang bemerkten. Genau dieses Bild vom Peitsche schwingenden Hitler zeichnet auch Speer in seinem Buch und sagt, dass es ihn zunächst sehr irritiert habe. Es ist nur seine Fatalität, dass diese Irritation nicht die dauerhafte Abscheu erwecken konnte, wie sie das bei anderen tat. Alles in allem müssen wir feststellen, dass ein unmenschliches System mit eben solchen zweifelhaften Gestalten einen alten Kulturstaat zugrunde richtete, politische Verhältnisse in Europa umstürzte. Umso tragischer ist es, dass auch der Widerstand aus der Mitte der politisch und militärisch Verantwortlichen erfolglos war. Sie waren in der Lage den unheilvollen Machtapparat zu durchschauen, um einen Putschversuch zu wagen, vor allem waren sie es, die nachher eine in Unordnung geratene Lage vielleicht hätten organisieren und stabilisieren können. Nach dem 20. Juli 1944 waren es Hunderte von Offizieren, Politikern und Diplomaten, die noch hingerichtet wurden, als alliierte Truppen schon wenige Kilometer vor den Gefängnissen standen. Dieser effektivste Widerstand hatte sich in fluktuierenden Konstellationen seit 1937/38 in den staatlichen Institutionen entwickelt. Seine Führungspersonen, die nach einem Putsch die Regierung übernehmen sollten, blieben bis zum Schluss Generaloberst Ludwig Beck, der ehemalige Oberbürgermeister von Leipzig Carl Gördeler und der ehemalige Botschafter Ulrich von Hassell. Besondere Schlupfwinkel der Widerständler waren geeignete Organisationen unterschiedlicher Art, vornehmlich zwei: Die Spionage-Abwehr im OKW unter Admiral Canaris und die Führung des Ersatzheeres mit dessen Stabschef Oberst Stauffenberg, der den dortigen Operationsplan „Walküre“ benutzen wollte. Stauffenberg gehörte seinerseits zum Kreisauer Kreis des Grafen Moltke. Gerade auf dem Hintergrund der vergeblichen Bemühungen sollte man um des zu bewahrenden Gedächtnisses willen der knappen Handlungsmöglichkeiten zu vier Zeitpunkten gedenken: 1938 auf dem Hintergrund der Sudeten-Krise, die aber dann durch Vermittlung zum Ärger von Hitler politisch gelöst werden konnte. Der Zeitpunkt wäre günstig gewesen, weil England noch gesprächsbereit war. Das Jahr 1940 vor der Westoffensive konnte nicht genutzt werden durch Zögern von Brauchitsch. Aktionen aus der Abwehr in Verbindung mit der Heeresgruppe Mitte im Osten. (Dohnanyi, Treskow, Schlabrendorf). Schon später Zeitpunkt Frühjahr 1943 (nach der Erklärung der bedingungslosen Kapitulation und nach Stalingrad). Der sehr späte Zeitpunkt 20. Juli 1944 (nach der alliierten Landung in der Normandie), Dies war schon der Zeitpunkt, als Stauffenberg demonstrativ die Scham, nichts gegen Hitler unternommen zu haben‚ überwinden wollte. Auch der 20. Juli erfährt volle Rechtfertigung in der erschütternden Tatsache, dass es nach diesem Datum noch einmal so viele Kriegstote wie im Verlauf vor dem 20. Juli 1944 gab. 22
Man möchte vor allem junge Leute aufmerksam machen und ihnen empfehlen, in diesen ums Ganze gehenden Versuchen und in dem sehr geglückten Versuch von 1949 (!)‚ einen freiheitlich demokratischen Staat, eben den Staat Bundesrepublik Deutschland zu gründen, eine Einladung zu sehen, sich mit diesen positiven Vorgängen zu identifizieren, um der Existenz unseres Staates einen festen Grund zu geben. 23