hier - Schlüsselwege deutscher Geschichte
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sentieren, ein Staatspräsident oder welcher Monarch? Mit Mühe kommt man auf die<br />
kleindeutsche Lösung (also ohne Österreich). Die Frage der Staatsrepräsentanz kann<br />
nicht beantwortet werden, da der preußische König die dargebotene neue Krone mit<br />
beleidigenden Worten ablehnt. Eine Verschärfung bzw. Resignation liberaler Positionen<br />
kann nicht ausbleiben.<br />
Die „deutsche Frage“ bleibt auf der Tagesordnung und wird so gelöst, dass die deutschen<br />
Verwicklungen mit dem damals noch akzeptierten Mittel des regional begrenzten<br />
Krieges überwunden werden nach dem bekannten Satz eines der preußischen Reformer<br />
von 1813, Clausewitz: Der Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen<br />
Mitteln. Über den dänischen (1864), den österreichischen (1866) und den französischen<br />
Krieg (1870/71) stellt Bismarck den kleindeutschen Nationalstaat her, das neue<br />
„Reich“ von 1871. Bismarck ist klug genug, dem Reich eine gemäßigt liberale (konstitutionelle)<br />
Verfassung zu geben, z.B. mit einem Wahlrecht, das allgemein und gleich<br />
ist (noch ohne das Frauenwahlrecht) und damit das fortschrittlichste in Europa. Die<br />
durchaus kalkulierte Folge der Reichseinheit ist die Versöhnung Bismarcks mit den<br />
rechten Liberalen, die sich nun Nationalliberale nennen. Im Nachhinein betrachtet enthält<br />
diese Reichsgründung eine fast tragisch zu nennende Hypothek. Sie ist mit ausgesprochen<br />
machtstaatlichen, vielleicht sogar machiavellistischen Mitteln zustande gekommen,<br />
mit denen Bismarck im Sinne Preußens die aussichtslos verwickelten Zustände<br />
in Deutschland überwand. Er war sich des Gewaltaktes sehr wohl bewusst, weshalb<br />
er alles tat, um dem neuen, mächtigen Staat in der Mitte Europas einen defensiven<br />
und konstruktiven Charakter zu geben. Dass er den Berliner Kongress 1878 als „Makler“<br />
in schwierigen Fragen des östlichen Mittelmeerraumes leiten konnte, zeigt sein erfolgreiches<br />
Bemühen. Nach innen wirkte die Reichsgründung durchaus als Verführung<br />
der öffentlichen Meinung, in machtstaatlichen nationalen Kategorien zu denken. Dieses<br />
Denken ist allerdings ganz und gar nicht auf Deutschland beschränkt. Grundlage<br />
dieses europäischen „Materialismus“ ist der Bedeutungszuwachs der Naturwissenschaften<br />
und Technik, der Industrialisierung mit dem Bevölkerungswachstum und der<br />
„sozialen Frage“. Es entstehen neue Bevölkerungsschichten mit ihren neuen sozialen<br />
Existenzen und Bedürfnissen wie Unternehmer, Arbeiter, Angestellte. Das öffentliche<br />
Klima wird rau. Die Interessenverbände betreten die Walstatt. Ein besonderer Unterschied<br />
wird zwischen den nationalen (Bürgertum) und den sozialen Kräften (Arbeiter)<br />
sichtbar, der sich zum „Klassenkampf“ auswächst.<br />
Der Zeitgeist der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts ist der Sozialdarwinismus, der den<br />
Darwinschen struggle for life auf die menschlichen Verhältnisse überträgt. Er bringt<br />
den Rassismus und Antisemitismus mit sich, seine Prediger sind Gobineau und Chamberlain<br />
(Schwiegersohn von Richard Wagner), interessanterweise keine Deutschen.<br />
Auch sozial denkende konservative Kreise, wie zum Beispiel der christlich soziale<br />
Verein des Berliner Hofpredigers Stöcker, vertreten strammen Antisemitismus. Stöcker<br />
will das Nationale mit dem Sozialen verbinden, was nach ihm auch die linksliberale<br />
Gruppe, der national soziale Verein Friedrich Naumanns will. In dieselbe Richtung<br />
zielt schon recht radikal die Angestelltenvertretung, der deutschnationale Handlungsgehilfenverband.<br />
Auch in der Studentenschaft rührt sich in den achtziger Jahren<br />
der Verein Deutscher Studenten (VDSt) in ähnlicher Ausrichtung. Der Versuch, das<br />
Nationale mit dem Sozialen zu verbinden, scheint zukunftsträchtig zu sein. Die ganze<br />
Wucht des europäischen Nationalismus äußert sich um die Jahrhundertwende im Im-<br />
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