gab November 2023
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FILM<br />
INTERVIEW<br />
„DRIFTER“ –<br />
Seit der Weltpremiere auf der Berlinale<br />
im Februar <strong>2023</strong> sorgt „Drifter“<br />
für Gesprächsstoff und wurde nicht nur dort,<br />
sondern bei dutzenden Festivals rund um die<br />
Welt gefeiert. Nun kommt der Film, in dem<br />
der 22-jährige Moritz (Lorenz Hochhuth)<br />
seinem Freund nach Berlin hinterherzieht,<br />
nur um kurz darauf verlassen zu werden und<br />
zwischen Drogen, Sex und Partys einen alles<br />
andere als reibungslosen Selbstfindungsprozess<br />
zu beginnen, am 2. 11. endlich in die<br />
deutschen Kinos. Wir haben Regisseur Hannes<br />
Hirsch und Ko-Autor*in River Matzke<br />
zum Interview getroffen.<br />
Hannes, genau wie Moritz, der Protagonist<br />
in deinem Film „Drifter“, bist<br />
auch du irgendwann aus einer kleineren<br />
Stadt nach Berlin gezogen. Ist die<br />
Geschichte also autobiografisch?<br />
Hannes: Ich kam damals nicht für meinen<br />
Boyfriend nach Berlin, sondern weil ich bei<br />
einem Film mitgearbeitet habe. Überhaupt<br />
gibt es jetzt im Film keine Szene, die ich 1:1<br />
so erlebt habe. Aber natürlich habe ich am<br />
Anfang – damals noch alleine – damit begonnen,<br />
von eigenen Erfahrungen zu schreiben<br />
und daraus eine Geschichte zu konstruieren.<br />
Die Figuren hießen ursprünglich sogar noch<br />
wie Leute, die ich kannte.<br />
Übrig geblieben ist von all dem nichts?<br />
Hannes: Nichts Konkretes, eher Themen<br />
oder einzelne Momente. Wenn Moritz zum<br />
Beispiel über seine Füße spricht, die er für zu<br />
klein oder zu schwach hält – das kenne ich<br />
natürlich aus schwulen Kreisen, wo die ganze<br />
Zeit Körper verglichen werden. Und vielleicht<br />
ist es auch ein klein wenig autobiografisch,<br />
dass Moritz als Figur eher eine passive ist<br />
und man selbst am Ende des Films nicht<br />
wirklich weiß, ob er sich nun tatsächlich<br />
gefunden hat oder vielleicht doch alles<br />
anzweifelt.<br />
Regisseur Hannes Hirsch &<br />
Ko-Autor*in River Matzk<br />
Fürs Drehbuch hast du dich letztlich<br />
mit River zusammengetan. Wie seid<br />
Ihr beiden zusammengekommen?<br />
River: Getroffen haben wir uns nicht beim<br />
Feiern in Berlin, sondern in Athen. Hannes<br />
war da zum Arbeiten und ich war gerade<br />
bei Freund*innen. Wir sind dann zusammen<br />
zum Filmfestival nach Thessaloniki gefahren,<br />
haben ganz viele Filme geguckt und uns<br />
immer darüber ausgetauscht. Dort hat mir<br />
Hannes dann sein Exposé in einem Café<br />
vorgelesen und so kamen wir darüber ins<br />
Gespräch.<br />
Hattest du sofort einen eigenen Bezug<br />
zu dem Stoff?<br />
River: Klar, ich bin ja als junger queerer<br />
Mensch vor zehn Jahren auch neu nach<br />
Berlin gekommen. Die Figuren, die Beziehungen,<br />
das kam mir alles nicht unbekannt<br />
vor. Überhaupt natürlich diese ganze queere<br />
Szene, die Subkultur und all die emotionalen<br />
Themen, die da verhandelt werden. Hannes<br />
und ich sind in Berlin in einer relativ ähnlichen<br />
Welt sozialisiert worden. Vielleicht an unterschiedlichen<br />
Enden, aber unsere Lebenswege<br />
und Themen sind bei aller Individualität<br />
durchaus ähnlich. Deswegen war auch mir<br />
die Coming-of-Age-Geschichte von „Drifter“<br />
irgendwie nah, obwohl sie Hannes zunächst<br />
ganz aus seiner Perspektive gestaltet hat.<br />
Hannes: Ich fand es sehr interessant, dass<br />
wir beide die queere Szene in Berlin aus<br />
unterschiedlichen Ecken erlebt haben, weil<br />
wir uns bis dahin nicht kannten. Wir hatten<br />
teilweise einen sehr unterschiedlichen Blick<br />
auf die Dinge, über die in meiner ersten<br />
Drehbuchfassung gesprochen wurde. Aber<br />
gemeinsam haben wir unserer Arbeit dann<br />
eben herausgefunden, worum es da eigentlich<br />
wirklich geht und was der Kern des Ganzen ist.<br />
Die Darstellung der Lebenswelt<br />
eures Protagonisten und der queeren<br />
Partyszene in Berlin ist sehr ehrlich<br />
und authentisch. Das sind man sonst<br />
in deutschen Filmen und Serien eher<br />
selten, oder?<br />
Hannes: Oder die Darstellung dieser Welt ist<br />
dann eher enttäuschen, zumindest für alle,<br />
die sie tatsächlich kennen.<br />
River: Ich habe das Gefühl, dass das oft<br />
eben auch einen anderen Zweck erfüllt als<br />
den der Authentizität. Da geht es dann am<br />
Ende in den Mainstream-Medien eher darum,<br />
möglichst viele, sehr verschiedene Menschen<br />
zu unterhalten und ins Boot zu holen. Da<br />
wird vieles ein bisschen entschärft oder die<br />
Tonalität angepasst, damit es den Leuten<br />
in allen Städten und Dörfern gefallen kann.<br />
Obwohl das Besondere ja eigentlich ist, dass<br />
unser Leben hier in Berlin eine ganz eigene<br />
Tonalität hat. Da wäre es eher die Herausforderung,<br />
gerade das Spezifische einzufangen<br />
und darzustellen, als es so zu verändern, dass<br />
alle daran anknüpfen können.<br />
Hannes: Oft wird die Berliner Klubwelt<br />
einfach als ein lustiger, bunter, freier Ort<br />
dargestellt, ohne dass man versteht, dass<br />
die Menschen darin nicht selten von einer<br />
Verletztheit geprägt sind. Für viele ist diese<br />
Szene ein Schutzraum, in den sie kommen,<br />
weil sie in den Städten und Dörfern, wo<br />
sie aufgewachsen sind, nicht weiterleben<br />
können. Für viele ist Berlin einer der wenigen<br />
Orte, wo man sich selbst wirklich finden kann.<br />
Wobei nun eben „Drifter“ zeigt, dass<br />
auch dieser Schutzraum keine heile,<br />
unkomplizierte Welt ist!<br />
River: Absolut. Weil er eben eine echte<br />
Lebenswelt ist, in die wir alles, was wir erlebt<br />
haben, alle Konflikte und Probleme, mit<br />
FOTOS: SALZGEBER