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AUS DER «THERAPEUTISCHEN UMSCHAU»<br />
KLINIK UND POLIKLINIK FÜR ALLGEMEINE MEDIZIN, INSELSPITAL, BERN<br />
Endokrine Krisen<br />
U. Bürgi, M. Perrig<br />
N o 6 Déce<strong>mb</strong>re 2008<br />
Ein<strong>le</strong>itung [1]<br />
Endokrine Krisen werden durch schwere<br />
Hormonmangelzustände oder -exzesse<br />
verursacht. Einige von ihnen – zum Beispiel<br />
das Myxödem-Koma – sind Seltenheiten,<br />
andere – zum Beispiel die Hypoglykämie<br />
– treten häufig auf. Über al<strong>le</strong><br />
von ihnen – ob häufig oder selten – muss<br />
jedoch der in der Praxis oder im Spital<br />
tätige Arzt jeglicher Fachrichtung zumindest<br />
gewisse Grundkenntnisse haben, weil<br />
vie<strong>le</strong> Symptome und Zeichen endokriner<br />
Krisen (wie z.B. Verwirrtheit, Koma, Polyurie,<br />
Fieber) mit denjenigen anderer<br />
schwerer Krankheitszustände überlappen<br />
und das Nichterkennen der endokrinen<br />
Ursache und das Unterb<strong>le</strong>iben einer entsprechenden<br />
spezifischen Therapie fata<strong>le</strong><br />
Folgen haben kann. Die vorliegende<br />
Übersicht soll die obgenannten Grundkenntnisse<br />
wieder auffrischen.<br />
Hypophysen-Apop<strong>le</strong>xie [2]<br />
Eine akute hämorrhagische Infarzierung<br />
der Hypophyse ist ein seltenes Ereignis,<br />
das vor al<strong>le</strong>m bei Patienten mit Hypophysentumoren<br />
auftritt. Typische klinische<br />
Manifestationen sind akut auftretende,<br />
schwere, retroorbita<strong>le</strong> Kopfschmerzen<br />
und neurologische Ausfallserscheinungen<br />
hypophysennaher Strukturen (Sehnerv<br />
mit Visus- bzw. Gesichtsfeldverlust,<br />
Hirnnerven III, IV, VI mit Augenmotilitätsstörungen<br />
u.a.). Die klinische Verdachtsdiagnose<br />
muss mittels CT oder MRI<br />
bestätigt werden. Trotz ihres seltenen Auf-<br />
Zusammenfassung<br />
tretens ist es wichtig, bei entsprechender<br />
Klinik differentialdiagnostisch an die<br />
Möglichkeit einer Hypophysen-Apop<strong>le</strong>xie<br />
zu denken: Bei neurologischen Ausfallserscheinungen<br />
muss eine neurochirurgische<br />
Nekrose-Ausräumung in Betracht<br />
gezogen werden und wegen der Gefahr<br />
einer akuten Nebenniereninsuffizienz<br />
im Rahmen des Hypophysenhormon-<br />
Ausfalls ist unverzüglich eine Kortikosteroid-Behandlung<br />
zu beginnen (z.B.<br />
2–4�100 mg Hydrocortison i.v./24 h,<br />
akute Nebenniereninsuffizienz). Der Ersatz<br />
weiterer allfällig ausgefal<strong>le</strong>ner Hormone<br />
ist – mit Ausnahme der seltenen<br />
Fäl<strong>le</strong> von Hypophysen-Apop<strong>le</strong>xie-assoziiertem<br />
Diabetes insipidus (siehe folgenden<br />
Abschnitt, Diabetes insipidus) – weniger<br />
dringend.<br />
Diabetes insipidus [3]<br />
Der idiopathische wie auch der durch<br />
Hypophysentumore, -trauma oder -chirurgie<br />
bedingte, auf Vasopressin (= Adiuretin)-Mangel<br />
beruhende Diabetes insipidus<br />
tritt oft abrupt auf.<br />
Nebst Polyurie (meist deutlich über 3 Liter<br />
pro Tag) und Polydipsie weist eine erhöhte<br />
Plasma-Osmolalität (> 295 mmol/kg)<br />
bei g<strong>le</strong>ichzeitig niedriger Urin-Osmolalität<br />
(< 300 mmol/kg) und tiefer Urin-<br />
Natrium-Konzentration bei norma<strong>le</strong>r Nierenfunktion<br />
auf das Vorliegen eines Diabetes<br />
insipidus hin. Die definitive Diagnosestellung<br />
erfolgt stationär mittels Durstversuch.<br />
Im Gegensatz zur primären Po-<br />
Hypophysen-Apop<strong>le</strong>xie, Diabetes insipidus, thyreotoxische Krise, Myxödem-Koma, parathyreotoxische<br />
Krise, hypokalzämische Tetanie, Phäochromozytom- und Addison-Krise, diabetische<br />
Ketoazidose, diabetisches hyperosmolares nicht-ketotisches Koma, Hypoglykämie und Karzinoid-<br />
Krise sind die wichtigsten endokrinen Krisen. Einige von ihnen sind häufig, andere sehr selten.<br />
Grundkenntnisse über al<strong>le</strong> von ihnen sind jedoch wichtig, weil vie<strong>le</strong> ihrer Symptome und Zeichen<br />
mit denjenigen anderer schwerer Krankheitszustände überlappen und das Nichterkennen der<br />
endokrinen Ursache und das Unterb<strong>le</strong>iben einer entsprechenden spezifischen Therapie fata<strong>le</strong><br />
Folgen haben kann.<br />
PERSPECTIVES<br />
lydipsie persistiert beim Diabetes insipidus<br />
im Verlauf des Durstversuchs typischerweise<br />
die Polyurie, die Serum-Osmolalität<br />
steigt und die Urin-Osmolalität b<strong>le</strong>ibt unter<br />
300 mmol/kg. Erst nach Gabe eines Vasopressin-Analogs<br />
(z.B. Desmopressin, 4 �g<br />
i.v.) kommt es zu einem Anstieg der Urin-<br />
Osmolalität (meist um mehr als 50%).<br />
Die Behandlung des Diabetes insipidus<br />
geschieht mittels Vasopressin-Analoga,<br />
zum Beispiel Desmopressin, 0,1–0,4 ml<br />
(= 10–40 �g) i.n. oder 0,25–1 ml<br />
(= 1–4 �g) i.v. 1–2-mal täglich. Bei ausgeprägter<br />
Dehydrierung muss ausserdem<br />
Flüssigkeit zugeführt werden. Dabei ist<br />
zu beachten, dass eine schwere Hypernatriämie<br />
(insbesondere > 160 mmol/l) zur<br />
Vermeidung einer zerebra<strong>le</strong>n Schädigung<br />
(Myelinolyse) nur langsam korrigiert<br />
wird (� 10 mmol/l pro 24 h).<br />
Thyreotoxische Krise [4]<br />
Die thyreotoxische Krise ist eine seltene,<br />
aber <strong>le</strong>bensbedrohliche, durch einen<br />
Infekt, einen chirurgischen Eingriff oder<br />
ein anderes Stress-Ereignis ausgelöste,<br />
extreme Dekompensation einer vorbestehenden<br />
Hyperthyreose.<br />
Klinisch beeindruckt sie durch hohes<br />
Fieber, Schwitzen, Tachykardie oder<br />
-arrhythmie, Übelkeit, Erbrechen, Durchfäl<strong>le</strong>,<br />
Exsikkose und zentralnervöse<br />
Störungen (z.B. Agitiertheit, Psychose,<br />
Koma). Der Nachweis deutlich erhöhter<br />
Schilddrüsenhormon-Werte bestätigt das<br />
Vorliegen einer signifikanten Hyperthyreose.<br />
Das Ausmass der Schilddrüsenhormon-Erhöhung<br />
erlaubt es jedoch<br />
nicht, eine thyreotoxische Krise von einer<br />
üblichen Hyperthyreose abzugrenzen.<br />
Wegen der hohen Letalität der thyreotoxischen<br />
Krise muss bei begründetem Verdacht<br />
(z.B. bei Auftreten obgenannter Befunde<br />
nach einem chirurgischen Eingriff<br />
bei einer Patientin mit vorbestehender,<br />
ungenügend behandelter Hyperthyreose)<br />
unverzüglich – das heisst al<strong>le</strong>nfalls vor<br />
Erhalt der Resultate der Schilddrüsenhormon-Messung<br />
– mit der Therapie begonnen<br />
werden.<br />
Die Behandlung, welche auf der Intensivpf<strong>le</strong>gestation<br />
durchgeführt werden soll,<br />
umfasst:<br />
–Exsikkose-Korrektur durch Volumenersatz.<br />
–Blockade der Schilddrüsenhormon-<br />
Synthese durch hochdosierte Thyreostatika-Verabreichung,<br />
zum Beispiel<br />
<strong>VSAO</strong> JOURNAL ASMAC 29