Voorstellen tot werkelijkheid - Sjoerd van Tuinen
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Heinz Kimmerle<br />
Interesse<br />
68 – 69<br />
formuliert worden ist, entweder keine Philosophie oder keine ‘echte’ beziehungsweise<br />
‘eigentliche’ Philosophie. das erstere bezog er vor allem<br />
Afrika und andere kulturen, die primär mündliche kommunikations- und<br />
Überlieferungsformen kennen, das letztere auf Indien und China.<br />
Als die angemessene Vollzugsform der Interkulturellen Philosophie<br />
hat sich der dialog erwiesen – oder vielmehr eine Vielzahl von dialogen<br />
zwischen den Philosophien und Philosophen aller verschiedenen kulturen.<br />
Franz Martin Wimmer hat hierfür den Terminus ‘Polyloge’ eingeführt. dialoge<br />
setzen zwischen den jeweiligen Partnern gleichheit dem Rang nach und<br />
Verschiedenheit dem Inhalt nach voraus. die grundhaltung von dialogen<br />
ist kritisch; ihr Ergebnis ist offen. die an den dialogen Beteiligten werden<br />
durch sie bereichert. Sie erfahren und erkennen etwas, das in ihren eigenen<br />
Traditionszusammenhängen in geringerem Maß oder gar nicht vorhanden<br />
oder auch überdeckt gewesen ist. dass die Anderen mir etwas sagen können,<br />
das ich mir auf keine Weise auch selbst hätte sagen können, macht<br />
den Wesenskern der dialoge aus. Es steht für die Unverfügbarkeit und<br />
nichtobjektivierbarkeit des Inter in der Interkulturellen Philosophie.<br />
nun ist es häufig so, dass interkulturell philosophische dialoge auch<br />
misslingen. Aber wenn sie gelingen, heben sie sich der Vollzugsform und<br />
den Inhalten nach kritisch von nicht-philosophischen Formen der interkulturellen<br />
kommunikation ab. In der Politik und in der Wirtschaft herrschen<br />
Umgangsformen der kulturen miteinander vor, die auch im post- oder<br />
neokolonialen zeitalter weitgehend durch Machtansprüche und Überlegenheitsgefühle<br />
bestimmt sind. In der kunst allerdings gab es früher schon<br />
und gibt es heute noch eher als in der Philosophie Beispiele gelingender<br />
interkultureller dialoge. Solche dialoge in kunst und Philosophie sind kritisch<br />
auf die sonst herrschenden Umgangsformen zu beziehen. Wenn damit<br />
unter den gegebenen Bedingungen viel erreicht wird, ist es dies, dass auch<br />
diese Umgangsformen dialogischer werden.<br />
Hier ist ein zitat von Henk Oosterling an seinem Ort, das in seinem<br />
Buch Interkulturalität im Denken Heinz Kimmerles zu finden ist: ‘In seinem<br />
Appell, daß die afrikanischen Menschen “ihre eigene Philosophie zurückerobern<br />
sollen”, hören wir die innerste Überzeugung kimmerles, die gleichzeitig<br />
eine politische Implikation hat, nämlich daß die Philosophie der Erbfeind<br />
er Herrschenden ist’ (Oosterling 2005a: 35).<br />
damit ist insgesamt jedoch erst das Vor-Trajekt des Inter im Interesse<br />
beschrieben. Henk Oosterling visiert mehr und anderes an (um eines<br />
seiner lieblingsworte zu gebrauchen). das Inter ist das Esse, und das Esse<br />
ist das Inter. deshalb ist das Inter von primärem Interesse.