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Arkel – ein historischer Ort - Evangelisch-altreformierte Kirche in ...

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Geschichte<br />

der <strong>Ort</strong>steile<br />

2


2<br />

Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>dewappen<br />

Hoogstede<br />

Johann Kemkers<br />

Seit dem Jahre 1991 verfügt die Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de<br />

Hoogstede über <strong>e<strong>in</strong></strong> Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>dewappen.<br />

Es wurde von dem<br />

Heraldiker Theo Lorenz aus Norden<br />

entworfen und durch das<br />

Niedersächsische Staatsarchiv<br />

<strong>in</strong> Osnabrück befürwortet.<br />

Das nur <strong>in</strong> Gold und Rot gestaltete<br />

Wappen ist schrägl<strong>in</strong>ks geteilt. Im oberen<br />

Feld bef<strong>in</strong>det sich <strong>e<strong>in</strong></strong> rotes Wiederkreuz<br />

auf goldfarbenem Grund. In das untere rote<br />

Feld s<strong>in</strong>d sieben goldene Kugeln entlang der<br />

Teilungsl<strong>in</strong>ie <strong>in</strong> Reihe gesetzt.<br />

Die Zeichen des Wappens s<strong>in</strong>d so zu verstehen:<br />

Die aufwärts gerichtete Teilungsl<strong>in</strong>ie<br />

mit dem Wiederkreuz vers<strong>in</strong>nbildlicht <strong>e<strong>in</strong></strong>erseits<br />

das für die Mittelpunktsbildung bedeutsame<br />

historische Ereignis der Versetzung der<br />

<strong>Kirche</strong> von <strong>Arkel</strong> zur „hoogen stee“ im Jahre<br />

1821. Andererseits steht die Grundrichtung<br />

für <strong>e<strong>in</strong></strong>e zukunftsorientierte aufstrebende Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de.<br />

Hoogsteder<br />

Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>dewappen<br />

von 1991<br />

52<br />

Das Wiederkreuz wurde wegen der<br />

vier <strong>Kirche</strong>n im zentralen Kirchspielort<br />

HOOGSTEDE gewählt.<br />

Es drückt sowohl die Eigenständigkeit<br />

der vier <strong>Kirche</strong>n<br />

(evange lisch-reformiert, e v an -<br />

ge lisch-altreformiert, evangelischlutherisch,<br />

römisch-katholisch) als auch<br />

ihre Verbundenheit aus.<br />

Gold-Rot und die goldenen Kugeln stellen<br />

die Verb<strong>in</strong>dung zur Grafschaft Bentheim her<br />

und weisen <strong>in</strong>sbesondere auf die sieben <strong>Ort</strong>e der<br />

Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de h<strong>in</strong>: <strong>Arkel</strong>, Bathorn, Berge, Hoog -<br />

stede, Kalle, Scheerhorn, T<strong>in</strong>holt.


<strong>Arkel</strong> –<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong> <strong>historischer</strong> <strong>Ort</strong><br />

Bearbeitet von Gerrit Jan Beuker und Johann Kemkers<br />

Edel 1953 über die<br />

Herrlichkeit Emlichheim<br />

Ludwig Edel schreibt im Jahrbuch 1953 des<br />

Heimatver<strong>e<strong>in</strong></strong>s (S. 34 ff.) über die Herrlichkeit<br />

Emlichheim. Die Gildschaft Scheerhorn und<br />

mit ihr alle <strong>Ort</strong>steile der heutigen Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de<br />

Hoogstede gehörten immer zu Emlichheim.<br />

Für Edel ist es sogar erwiesen, dass der Haupthof<br />

der Herrlichkeit nicht bei der <strong>Kirche</strong> <strong>in</strong> Emlichheim<br />

lag, sondern <strong>in</strong> <strong>Arkel</strong>. Edel schreibt:<br />

„Bekanntlich hatte Emlichheim von 1324 bis<br />

1440 eigene Herren <strong>in</strong> den Herren von Borkelo-Gramsbergen.<br />

1440 mußten sie es nicht<br />

ohne ziemlichen Druck wieder für 2.000 goldene<br />

alt-fränkische Schilde an den Bentheimer<br />

Grafen abtreten. Seit der Zeit gehört es<br />

also wieder unbestritten zur Grafschaft Bentheim,<br />

wenn auch als selbständiges Reichslehen.<br />

Haupthof der Herrlichkeit<br />

Zunächst mal ergibt sich aus den Urkunden, dass<br />

der Haupthof der Herrlichkeit nicht bei der <strong>Kirche</strong><br />

lag, sondern <strong>in</strong> dem stromaufwärts gelegenen<br />

<strong>Arkel</strong>. 1324 heißt der Hof to <strong>Arkel</strong>o, 1440<br />

der Hoff to <strong>Arkel</strong>o und 200 Jahre später der<br />

Schultenhof zu <strong>Arkel</strong>. Visch schreibt dazu: „In<br />

de boerschap <strong>Arkel</strong> is eene Kapel, war<strong>in</strong> de predikanten<br />

van Emmelenkamp, op bepaalde tijden<br />

den Godsdienst moeten verigten. In deze boerschap<br />

was <strong>in</strong> vroegere eeuwen eene riderburg,<br />

waarvan man <strong>in</strong> latere tijden nog overblijfsels<br />

gevonden heeft“. (In der Bauerschaft <strong>Arkel</strong> steht<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>e Kapelle, <strong>in</strong> der die Pastoren von Emlichheim<br />

zu bestimmten Zeiten den Gottesdienst leiten<br />

müssen. In dieser Bauerschaft stand <strong>in</strong> früheren<br />

Jahrhunderten <strong>e<strong>in</strong></strong>e Ritterburg, von der man <strong>in</strong><br />

späteren Zeiten noch Überreste gefunden hat.)<br />

Möller m<strong>e<strong>in</strong></strong>t: Hier befand sich schon früh <strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />

dem heiligen Antonius geweihte Kapelle.<br />

Schließlich verarbeitet das Stokmann zu<br />

folgendem S<strong>in</strong>n: Der Hof zu <strong>Arkel</strong> sei <strong>in</strong> der<br />

Folgezeit zu <strong>e<strong>in</strong></strong>er schlossartig befestigten<br />

Burg ausgebaut worden, von welcher nach<br />

Vischs Mitteilung zu s<strong>e<strong>in</strong></strong>er Zeit (um 1820)<br />

noch Trümmerreste vorhanden waren. Neuere<br />

Schriftsteller wollen sogar dort <strong>e<strong>in</strong></strong> römisches<br />

Bürgel (arcellum) vermuten.<br />

Dass es der Haupthof der Herrlichkeit war,<br />

dürfte allerd<strong>in</strong>gs nicht zu bezweifeln s<strong>e<strong>in</strong></strong>. Was<br />

gehörte aber noch mehr dazu? Nach der Urkunde<br />

von1324 drei Bauernerben, zwei Kotten,<br />

der sog. Scheerhorner Zehnte und die<br />

hohe und niedere Gerichtsbarkeit <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong></strong>em<br />

genau beschriebenen Bezirk.<br />

Hofnamen aus 1324, 1440 und 1635<br />

Stokmann m<strong>e<strong>in</strong></strong>t, es sei unmöglich, die <strong>e<strong>in</strong></strong>zelnen<br />

Bauernhäuser zu bestimmen. Mit Hilfe<br />

des bentheimischen Lagerbuches und ortskundiger<br />

Mitglieder unseres Heimatver<strong>e<strong>in</strong></strong>s<br />

wollen wir es aber doch versuchen. Da ist zunächst<br />

dat hues to Wermer<strong>in</strong>k to Honsteden,<br />

heißt 1440 dat Erve to Werm<strong>in</strong>ck, 1635 Wermer<br />

und jetzt wohl Warmer.<br />

Dat Hues to Anebrocke von 1324 ist 1440<br />

dat Erve to Anebroke und 1635 Hannebrok. Dat<br />

Hues to Herverd<strong>in</strong>k aus der ungenauen Abschrift<br />

von 1324 ist 1440 dat Erve to Herwerd<strong>in</strong>ck<br />

und 1635 Hemmeke. Dat Kreppes Kote<br />

von 1324 ist <strong>e<strong>in</strong></strong> Koten geheyten Krepeschote<br />

geworden und später Kroppschott <strong>in</strong> Kalle. Dat<br />

Rutkote ist 1440 <strong>e<strong>in</strong></strong> Koten to <strong>Arkel</strong>o und wohl<br />

später Volcker zu Arckel oder Lütke Arckel.<br />

53


2<br />

1440 werden aber noch als weitere Zubehöre<br />

genannt: „dat Erve to Brünynk, dat Erve<br />

to Ruetger<strong>in</strong>ck, twe Erve to Over<strong>in</strong>ck, dar Roleff<br />

enn H<strong>in</strong>rich syn Soene nu ton tyd oppe<br />

wonet, dat Erve Oesmann<strong>in</strong>ck und Dyderk<strong>in</strong>ck<br />

<strong>in</strong> den Dorpe to Empnichem, den Hoff to<br />

Echtler und den Hoff to Eyck<strong>in</strong>chorst."<br />

Im Pachtregister von 1635 ersch<strong>e<strong>in</strong></strong>t Brün<strong>in</strong>gh<br />

mit 6 Müdde Roggenpacht, Röttger<strong>in</strong>gh<br />

mit 3 Müdde und 3 Scheffel, Oever<strong>in</strong>gh mit<br />

sogar 24 Müdde Roggen. Oesman<strong>in</strong>k ist vielleicht<br />

Nam<strong>in</strong>k mit 13½ Müdde Roggenpacht,<br />

Eik<strong>in</strong>khorst, jetzt Ekenhorst <strong>in</strong> Heesterkante<br />

mit 4 Müdde Roggenpacht.<br />

Nach 1440 s<strong>in</strong>d folgende neue Namen h<strong>in</strong>zugekommen:<br />

Kampert, Struwe, Zechelhorn,<br />

Lutterman, Meierman und Blomendael, ferner<br />

Suwerman mit 7½ Müdde Roggen Pacht und<br />

der Schulte zu Scherhorn mit 18 Müdde Pacht.<br />

Der Scherhorner Zehnt ist noch genau bekannt:<br />

Suwermans Zehend 11 Müdde Roggen,<br />

Schulten Zehend 11 M., Hannebrocks Zehend<br />

4½ M., Calmans Zehend 4½ M., Wulff<strong>in</strong>gs<br />

Zehend 3½ M. Hierzu schreibt der Rentmeister:<br />

‘Diese Zehenden werden ausgenommen,<br />

sonsten sch<strong>e<strong>in</strong></strong>t, daß sie <strong>in</strong> Vorzeiten für so<br />

viel Roggen den Leuten gelassen und verpachtet<br />

gewesen.’<br />

Grenzen der Herrlichkeit Emlichheim<br />

Die Grenzen der Gerichtsbarkeit oder des God<strong>in</strong>kspiels<br />

Emmen<strong>in</strong>ghem erstrecken sich von<br />

den drei Paren oder Palen gegenüber der niederländischen<br />

Grenze bei Coevorden vechteaufwärts<br />

bis zum Scherhorner Kamp. Auf der<br />

l<strong>in</strong>ken Seite des Stroms von der sog. Holthemer<br />

Schl<strong>in</strong>ge gegenüber der niederländischen<br />

Bauerschaft Holtheme bis zur Hildener Brügge,<br />

wo der Bezirk des Gogerichts Uelsen beg<strong>in</strong>nt.“<br />

<strong>Arkel</strong>, <strong>e<strong>in</strong></strong> römischer Stützpunkt<br />

(14. Januar 1950) E<strong>in</strong> Fleckchen<br />

Erde, das Geschichte erlebte<br />

5. Jahrgang, Sonnabend, den 14. Januar 1950<br />

Artikel von 1950<br />

In <strong>e<strong>in</strong></strong>em Zeitungsartikel vom 14. Januar 1950<br />

schreibt <strong>e<strong>in</strong></strong> H.-R. S. unter der Überschrift<br />

„<strong>Arkel</strong>, <strong>e<strong>in</strong></strong> römischer Stützpunkt? E<strong>in</strong> Fleckchen<br />

Erde, das Geschichte erlebte“ die nach-<br />

54<br />

GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />

folgende Abhandlung. Um welche Zeitung<br />

oder Zeitungsbeilage es dabei geht, ist leider<br />

unbekannt. Wohl ist ersichtlich, dass es um<br />

den 5. Jahrgang dieser Zeitung(sbeilage?) geht.<br />

Es heißt dort:<br />

„Wenn man am Vechteufer <strong>in</strong> Kalle steht<br />

und auf <strong>Arkel</strong> blickt, dann sieht man mehrere<br />

Höfe stehen, <strong>e<strong>in</strong></strong>gefasst und geschmückt von<br />

wuchtigen Eichen und schlanken Pappeln. E<strong>in</strong><br />

Weg schlängelt sich an den Häusern vorbei<br />

und <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong></strong>er Furt nach Kalle h<strong>in</strong>über. Er ist<br />

wenig befahren, der Verkehr fließt heute bei<br />

Hoogstede über die Brücke.<br />

Vor mehreren Jahren kam ich als Fremder<br />

an dieser Siedlung vorüber und fand gar<br />

nichts besonderes an ihr. Nur an <strong>e<strong>in</strong></strong>er Scheune<br />

lagen mitten im Bauschutt vergangener Jahre<br />

gesprungene Sandst<strong>e<strong>in</strong></strong>stücke. Ich fragte mich:<br />

Wie kommen die hier h<strong>in</strong>? Später las und<br />

hörte ich manches von <strong>Arkel</strong> und konnte vieles<br />

verstehen, denn dieses Fleckchen Grafschafter<br />

Erde hat Geschichte erlebt.<br />

Es begann <strong>in</strong> der Römerzeit. Die Söldner<br />

des „Ewigen Roms" kamen auf <strong>e<strong>in</strong></strong>igen kl<strong>e<strong>in</strong></strong>en<br />

Kriegszügen mit Schiffen flussaufwärts<br />

gefahren und g<strong>in</strong>gen an dieser Furt mit dem<br />

hohen Ufer im Osten an Land. Hier stapelten<br />

die Krieger ihre Vorräte, befestigten den Platz<br />

und drangen im Fußmarsch land<strong>e<strong>in</strong></strong>wärts <strong>in</strong><br />

Richtung L<strong>in</strong>gen vor. Aus dem ursprünglichen<br />

Lagerplatz aber wurde allmählich <strong>e<strong>in</strong></strong> römischer<br />

Stützpunkt.<br />

Seitdem verg<strong>in</strong>gen tausend Jahre. Um<br />

1000 n. Chr., so erzählen uns alte Urkunden,<br />

wohnen auf dem Edelhofe <strong>Arkel</strong>o die Herren<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>es alten Rittergeschlechts, die sich bis <strong>in</strong>s<br />

späte Mittelalter „Herren von <strong>Arkel</strong>" nennen.<br />

Sie sitzen wahrsch<strong>e<strong>in</strong></strong>lich schon lange hier,<br />

vererben auf den jeweils ältesten Sohn den<br />

Vornamen Johann und sorgen durch wackere<br />

Taten und kluge Verträge dafür, dass Chroniken<br />

und Urkunden recht viel von ihnen berichten.<br />

(De Vita et Rebus gestis Dom<strong>in</strong>orum<br />

de <strong>Arkel</strong>). E<strong>in</strong> Johann VII. von <strong>Arkel</strong> wird <strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />

bemerkenswerte Persönlichkeit. Er ist mütterlicherseits<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong> Enkel des Grafen Baldu<strong>in</strong> von<br />

Flandern und heiratet <strong>e<strong>in</strong></strong>e Enkel<strong>in</strong> des Grafen<br />

Otto IV. von Bentheim. Nach <strong>e<strong>in</strong></strong>em bewegten<br />

Leben und häufigen Fehden stirbt er 1241.


Noch höher steigt s<strong>e<strong>in</strong></strong> Nachkomme, der im<br />

Jahre 1343 den soeben zum Kard<strong>in</strong>al ernannten<br />

Italiener Nicolaus Capusi auf dem Stuhl<br />

des Fürstbischofs von Utrecht ablöst. Er nennt<br />

sich als <strong>Kirche</strong>nfürst „Johann IV. von <strong>Arkel</strong>“,<br />

kauft 1346 aus dem Besitz des Ritters Hermann<br />

von Lage die Herrlichkeit Lage und wird 1364<br />

Bischof von Lüttich.<br />

Die Furt durch die Vechte, die gute Lage<br />

am schiffbaren Fluss und der Herrenhof brachten<br />

es wohl mit sich, dass schon frühzeitig <strong>in</strong><br />

<strong>Arkel</strong> <strong>e<strong>in</strong></strong>e kl<strong>e<strong>in</strong></strong>e Kapelle erbaut wurde. Sie<br />

war dem Heiligen Antonius geweiht und blieb<br />

bis lange nach der Reformation als Tochterkirche<br />

von Emlichheim abhängig. E<strong>in</strong> Geistlicher<br />

aus dem sieben Kilometer entfernten<br />

Kirchflecken versah hier den Gottesdienst.<br />

End lich konnte im September 1819 der erste<br />

eigene Prediger für die Kapelle angestellt werden,<br />

und der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>debezirk durfte sich<br />

„Kirchspiel <strong>Arkel</strong>" nennen.<br />

Die Wohnung des Pastors soll damals bei<br />

Jeur<strong>in</strong>ks Haus gestanden haben, <strong>e<strong>in</strong></strong>em ungefügen,<br />

schmucklosen Bau mit dicken Wänden.<br />

Die Kapelle selbst hatte auf dem Hügel vor der<br />

Scholtenschen Hofanlage ihren Platz. Beim<br />

zufälligen Graben fand dort <strong>e<strong>in</strong></strong> Bauer Geb<strong>e<strong>in</strong></strong>reste,<br />

die darauf schließen lassen, dass <strong>in</strong><br />

der Nähe der Kapelle Gräber waren. Das Gotteshaus<br />

wurde 1821 nach Hoogstede verlegt.<br />

Heute s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> <strong>Arkel</strong> kaum noch D<strong>in</strong>ge vorhanden,<br />

die an diese Geschehnisse er<strong>in</strong>nern.<br />

Am Hügel, auf dem die Kapelle stand, liegt<br />

noch alter Bauschutt, und dazwischen f<strong>in</strong>den<br />

ARKEL – EIN HISTORISCHER ORT<br />

sich <strong>e<strong>in</strong></strong>ige zersprungene Sandst<strong>e<strong>in</strong></strong>stücke und<br />

Granitbrocken. Vielleicht rühren sie vom Abbruch<br />

der Kapelle her, da sie zum Wiederaufbau<br />

nicht mehr gebraucht werden konnten. In<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>em Namen aber lebt noch das Andenken<br />

an <strong>e<strong>in</strong></strong>e größere Zeit der kl<strong>e<strong>in</strong></strong>en Siedlung fort,<br />

im Hoogsteder „Kirchspiel <strong>Arkel</strong>". H.-R. S.<br />

(Wir konnten leider nicht herausf<strong>in</strong>den, wer<br />

H.-R. S ist, noch <strong>in</strong> welcher Zeitung dieser<br />

Beitrag 1950 erschienen ist.)<br />

<strong>Arkel</strong> – Archäologische Notgrabung<br />

Irmgard Maschmeyer (Jahrbuch des Heimatver<strong>e<strong>in</strong></strong>s<br />

1996, 285–290).<br />

Die Frühgeschichte von <strong>Arkel</strong> ist weitgehend<br />

unbekannt. Berücksichtigt man die Lage unmittelbar<br />

an der Vechte sowie noch spärlich<br />

vorhandene H<strong>in</strong>weise auf <strong>e<strong>in</strong></strong>en Hügel an dieser<br />

Stelle, so darf man vermuten, dass hier<br />

früher <strong>e<strong>in</strong></strong>e Turmhügelanlage, <strong>e<strong>in</strong></strong>e sogenannte<br />

Motte, gelegen hat, wie wir sie auch von anderen<br />

Adelssitzen an der Vechte, z.B. Ohne,<br />

Brandlecht, Poaskeberg bei Neuenhaus kennen.<br />

Derartige Befestigungen dienten <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie<br />

dem Schutz der herrschaftlichen Rechte auf der<br />

Vechte, an ihren Uferwegen und Furten.<br />

Die Vermutung, <strong>in</strong> <strong>Arkel</strong> habe es sich um<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>e Ritterburg gehandelt, ist somit wahrsch<strong>e<strong>in</strong></strong> -<br />

lich; besser ist die Bezeichnung Herrensitz.<br />

Erstmals namentlich erwähnt wird <strong>Arkel</strong><br />

1326, als der Graf von Bentheim neben anderen<br />

Höfen auch den Hof te <strong>Arkel</strong>o an Gottfried<br />

von Borculo als Lehen verkauft und ihn<br />

1346 auch mit dem Gogericht <strong>in</strong> Emlichheim<br />

St<strong>e<strong>in</strong></strong>metzzeichen<br />

an der <strong>Kirche</strong><br />

<strong>in</strong> Hoogstede<br />

(Irmgard Maschmeyer)<br />

55


2<br />

belehnt. Die Bezeichnung „Hof to ...“ besagt<br />

fast immer, dass es sich um <strong>e<strong>in</strong></strong>en Herrenhof<br />

handelte. Die Herrlichkeit Emlichheim gehörte<br />

seit 1326 den von Borculo, die sich später<br />

auch von Gramsbergen nannten. Bemerkenswert<br />

ist jedoch, dass der Herrenhof nicht etwa<br />

bei der Pfarrkirche <strong>in</strong> Emlichheim lag, sondern<br />

<strong>in</strong> <strong>Arkel</strong>. Bei Rückkauf der Herrlichkeit<br />

Emlichheim und <strong>Arkel</strong>s durch den Grafen von<br />

Bentheim 1440 ist wiederum vom Hof te <strong>Arkel</strong>o<br />

die Rede; erst etwa 200 Jahre später wird<br />

der Schultenhof to Arckelo erwähnt; dabei<br />

handelt es sich wohl zweifellos um den gleichen<br />

Hof.<br />

Die Vermutung, dass das <strong>in</strong> den Niederlanden<br />

namhafte Geschlecht der van <strong>Arkel</strong><br />

von dem Herrensitz <strong>Arkel</strong> abstammt, ist erlaubt,<br />

aber nicht bewiesen. Jan van <strong>Arkel</strong> war<br />

ab 1342 Bischof von Utrecht; er erbaute die<br />

Burg <strong>Arkel</strong>st<strong>e<strong>in</strong></strong> bei Bathmen 1361. Diese Burg<br />

kann also kaum der namengebende Stammsitz<br />

der van <strong>Arkel</strong> s<strong>e<strong>in</strong></strong>.<br />

Seit Menschengedenken stand <strong>in</strong> <strong>Arkel</strong><br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>e Kapelle, <strong>e<strong>in</strong></strong> stattlicher Bau aus Sandst<strong>e<strong>in</strong></strong>quadern,<br />

deren Alter urkundlich nicht sicher<br />

belegt ist. Nach Bauart und Stil dürfte sie<br />

aus dem 14./15. Jahrhundert stammen und<br />

somit wohl durch die Herren von Gramsbergen<br />

erbaut worden s<strong>e<strong>in</strong></strong>. Da <strong>Arkel</strong> aber k<strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />

Pfarre war, hatten Emlichheimer Geistliche<br />

dort zu bestimmten Zeiten Gottesdienst abzuhalten.<br />

Als <strong>Arkel</strong> 1819 <strong>e<strong>in</strong></strong>e selbstständige <strong>Kirche</strong>ngem<strong>e<strong>in</strong></strong>de<br />

wurde, verlegte man die <strong>Kirche</strong><br />

durch Abbau und Wiederverwendung der<br />

alten St<strong>e<strong>in</strong></strong>e nach Hoogstede, wo sie allerd<strong>in</strong>gs<br />

<strong>in</strong> größerem Format wieder aufgebaut wurde.<br />

Noch heute kann man an der <strong>Kirche</strong> die wiederverwendeten<br />

Formstücke (Wasserschlag,<br />

Fenstergewände mit alten Falzen) sehen, von<br />

denen viele noch die mittelalterlichen St<strong>e<strong>in</strong></strong>metzzeichen,<br />

die sogenannte »Merks« zeigen.<br />

Der Hügel, auf dem die Kapelle <strong>in</strong> <strong>Arkel</strong><br />

stand und von dem die Überlieferung berichtet,<br />

wurde nach Abbruch der Kapelle, <strong>in</strong>sbesondere<br />

aber Anfang des 20. Jahrhunderts<br />

vom neuen Eigentümer abgetragen und nach<br />

Schätzung um ½ bis ¾ Meter niedriger gemacht.<br />

Dabei wurden Skelettteile gefunden,<br />

die von dem ebenfalls bekannten früheren<br />

56<br />

GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />

Friedhof, der um die Kapelle herum lag,<br />

stammten; der Friedhof soll noch bis <strong>in</strong> das<br />

19. Jahrhundert h<strong>in</strong><strong>e<strong>in</strong></strong> belegt worden s<strong>e<strong>in</strong></strong>.<br />

Der letzte dort Bestattete war laut mündlicher<br />

Überlieferung <strong>e<strong>in</strong></strong> ertrunkener Schiffer.<br />

Notgrabung 1983<br />

Im Sommer 1983 <strong>in</strong>formierte man mich, dass<br />

auf dem Hof Scholten <strong>in</strong> <strong>Arkel</strong> <strong>e<strong>in</strong></strong>e Scheune<br />

gebaut werde, die genau den Bereich der etwa<br />

1820 abgebrochenen Kapelle überdecke. Bei<br />

Aushebung der Fundamentgräben habe man<br />

zahlreiche Skelettteile gefunden; auch fand<br />

Herr Scholten das Randfragment <strong>e<strong>in</strong></strong>es Kugeltopfes,<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>er Gebrauchskeramik aus dem 11.<br />

bis 13. Jahrhundert.<br />

Unsere Grabungsmöglichkeit war dadurch<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>geengt, dass unter der neuen Scheune noch<br />

große Teile des Vorgängerbaues aus den 30er<br />

Jahren standen.<br />

Bohrproben ergaben, dass im südlichen<br />

und westlichen Teil der neuen Scheune<br />

offenbar ältere Bodenschichten vorlagen;<br />

oberflächennahe fand sich dort außerdem viel<br />

Kalk mörtel- und Sandst<strong>e<strong>in</strong></strong>schutt als wahrsch<strong>e<strong>in</strong></strong>licher<br />

H<strong>in</strong>weis auf die ehemalige Kapelle.<br />

Das Katasteramt Nordhorn, auch sonst<br />

immer hilfsbereit, konnte uns glücklicherweise<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>e, im Urkataster noch als <strong>Kirche</strong>neigentum<br />

ausgewiesene Parzelle, die jetzt im Bereich der<br />

Scheune lag, nachweisen und <strong>e<strong>in</strong></strong>messen. Dort<br />

müsste die Kapelle gelegen haben.<br />

Lage der Kapelle<br />

und Kirchhofparzelle<br />

<strong>in</strong> <strong>Arkel</strong> (Irmgard<br />

Maschmeyer)


Zur weiteren Abklärung zogen wir zunächst<br />

<strong>in</strong> der Mitte der Längstenne der neuen<br />

Scheune <strong>e<strong>in</strong></strong>en Suchschnitt, der die mündliche<br />

Überlieferung vom Abtrag <strong>e<strong>in</strong></strong>es früheren Hügels<br />

bestätigte. Erste Bestattungen zeigten sich<br />

schon 30 Zentimeter unter der Erdoberfläche,<br />

allerd<strong>in</strong>gs <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong></strong>em Bereich, der den des angeblichen<br />

Kirchhofes nach mehreren Richtungen<br />

teilweise um mehrere Meter überschritt.<br />

Auf beiden Seiten des Schnittgrabens machte<br />

sich das <strong>Kirche</strong>nfundament durch <strong>e<strong>in</strong></strong>e Schuttpackung<br />

bemerkbar, undeutlich bei 18 Meter<br />

West, recht deutlich bei 31 Meter West. Zwischen<br />

diesen beiden Fundamentspuren, also<br />

den Außengrenzen der Kapelle, fanden sich<br />

k<strong>e<strong>in</strong></strong>e Bestattungen und auch fast k<strong>e<strong>in</strong></strong>e Knochenreste,<br />

sodass davon auszugehen ist, dass<br />

– wie wir das auch von der vorreformatorischen<br />

Kapelle <strong>in</strong> Hesepe/Kreis Bentheim<br />

wissen – Bestattungen nur außerhalb des <strong>Kirche</strong>nraumes<br />

vorgenommen worden s<strong>in</strong>d; dies<br />

<strong>in</strong> deutlichem Gegensatz zu den Pfarrkirchen,<br />

<strong>in</strong> denen vor allem Angehörige der Honoratiorenschicht<br />

und Pfarrer beigesetzt wurden.<br />

Die Bestattungen fanden sich zumeist <strong>in</strong><br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>er völlig durchmischten graubraunen Sandschicht<br />

mit Anteilen von Schutt. Die im Suchschnitt<br />

von uns gefundenen Skelette (das Holz<br />

der Särge war verrottet, die Eisennägel noch<br />

<strong>in</strong> ursprünglicher Lage) (Foto 4) lagen nicht<br />

ARKEL – EIN HISTORISCHER ORT<br />

Skelettfunde <strong>in</strong> <strong>Arkel</strong>, Sommer 1983 (Irmgard Maschmeyer)<br />

nur mehrfach über<strong>e<strong>in</strong></strong>ander, sondern auch<br />

„kreuz und quer“, also nicht <strong>in</strong> der rituell vorgegebenen<br />

Ost-West-Richtung.<br />

E<strong>in</strong>e unter dieser graubraunen Sandschicht<br />

gelegene, mit hohen Anteilen humöser Subs -<br />

tanz schichtweise verfüllte Grube (bei 32 bis<br />

33 Meter West), die <strong>in</strong> beiden Wänden des<br />

Suchschnittes deutlich sichtbar wurde, dürfte<br />

somit wohl älter als die Friedhofs-(Begräb -<br />

nis-)Anlage s<strong>e<strong>in</strong></strong>, ebenso wie die sehr tief gelegenen<br />

Reste alter Erdoberfläche zwischen 9<br />

bis 14 Meter West. Dafür spricht der Fund ungestört<br />

gelagerter Scherben, u. a. <strong>e<strong>in</strong></strong>es blaugrauen<br />

Gefäßes mit Wellenfuß, das noch <strong>in</strong><br />

der Tradition der Kugeltöpfe steht, sowie <strong>e<strong>in</strong></strong>es<br />

Kannenhalses aus Frühst<strong>e<strong>in</strong></strong>zeug <strong>in</strong> der Südwand<br />

des Grabens bei 11 bis 12 Meter West.<br />

Die gefundene Keramik stammt aus dem<br />

13./14. Jahrhundert.<br />

Bei den aufgefundenen Schuttpackungen,<br />

die <strong>in</strong> etwa der Lage des <strong>Kirche</strong>nfundaments<br />

entsprachen, sch<strong>e<strong>in</strong></strong>t es sich weniger um die<br />

Reste der Fundamente, sondern eher um Verfüllungsschutt<br />

<strong>in</strong> den Ausbruchgräben zu<br />

handeln; vielleicht aber auch um Reste <strong>e<strong>in</strong></strong>er<br />

„Basisstickung“. Aufgrund der erhobenen<br />

Befunde ließen sich denn nach Abbruch des<br />

Vorgängerschuppens weitere derartige Schutt-<br />

57


2<br />

pakete nachweisen. Der Chorabschluss war<br />

wegen <strong>e<strong>in</strong></strong>er tiefen Störung durch Güllekanäle<br />

etc. nicht mehr ganz zweifelsfrei zu verfolgen.<br />

Beim Aushub der Baugrube für den Güllekeller<br />

an der Nordseite der Scheune zeigte sich<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>e ältere, trichterförmig verfüllte, zunächst<br />

nur angeschnittene Grube. Sie erwies sich bei<br />

weiterer Grabung als mittelalterlicher Brunnen<br />

mit <strong>e<strong>in</strong></strong>er noch vollständig erhaltenen<br />

hölzernen Brunnenstube von etwa 1,5 Meter<br />

im Quadrat. In der Verfüllung des Brunnentrichters,<br />

die also jünger s<strong>e<strong>in</strong></strong> muss als die<br />

Brunnenstube, wie auch der bei Anlegung<br />

des Brunnens ausgehobenen trichterförmigen<br />

Grube fanden sich zahlreiche Kugeltopfscherben.<br />

H<strong>in</strong>gegen blieb die Brunnensohle fundleer.<br />

Nach dem Befund der Brunnenkammer<br />

(Schwemmsand mit aufgelagerter Torfschicht)<br />

dürfte der Brunnen vor dem Verfüllen längere<br />

Zeit verschlammt gewesen s<strong>e<strong>in</strong></strong>.<br />

Die Hölzer der Brunnenstube wurden geborgen<br />

und später von uns nach der Zuckermethode<br />

konserviert. Die teils gute Erhaltung,<br />

teils fortgeschrittene Zersetzung des Holzes ist<br />

wohl darauf zurückzuführen, dass seit der<br />

Vechteregulierung der Grundwasserstand etliche<br />

Dezimeter abgesunken und seither das<br />

Holz trocken gefallen ist. Unter den Seitenbohlen<br />

fanden sich <strong>e<strong>in</strong></strong>ige, die wohl aus <strong>e<strong>in</strong></strong>em<br />

mittelalterlichen Bau, vielleicht <strong>e<strong>in</strong></strong>em Stabbau<br />

stammten und hier sekundär verwendet<br />

worden waren.<br />

58<br />

GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />

H<strong>in</strong>drik Jan Bloemendal mit s<strong>e<strong>in</strong></strong>er Mutter auf<br />

dem Pferdewagen um 1950 (Scholten)<br />

Etwa 30 Meter nördlich der Fundstelle des<br />

Brunnens soll sich nach der Überlieferung früher<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong> runder Hügel befunden haben. Als<br />

daran angrenzend 1960 der neue Stallflügel<br />

des Hofes Jeur<strong>in</strong>k erbaut wurde, fand man bei<br />

der Fundamentierung <strong>in</strong> der SW-Ecke <strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />

tiefe, vermodderte Senke, die besondere Fundamente<br />

erzwang. Auch das könnte für <strong>e<strong>in</strong></strong>en<br />

umgräfteten Turmhügel sprechen. Der von<br />

uns gefundene Brunnen müsste im Vorburgbereich<br />

gelegen haben, wo <strong>in</strong> s<strong>e<strong>in</strong></strong>er Nähe<br />

auch das Bauhaus zu vermuten wäre.<br />

Bleibt noch zu erwähnen, dass <strong>e<strong>in</strong></strong>ige wesentliche<br />

Skelette von Herrn Dr. Caselitz,<br />

Hamburg, zur anthropologischen Untersuchung<br />

übernommen wurden. Beurteilungen<br />

liegen dazu bisher nicht vor.<br />

(Im Jahrbuch 1996 f<strong>in</strong>den sich wesentlich<br />

mehr Zeichnungen und Fotos.)<br />

Wasse Wigger<strong>in</strong>k und s<strong>e<strong>in</strong></strong>e Viol<strong>in</strong>e<br />

(JB 1950)<br />

Alte Erzählungen und Sagen halten Er<strong>in</strong>nerungen<br />

wach, die hier oder dort vielleicht <strong>e<strong>in</strong></strong><br />

Krümelchen Wahrheit im modernen S<strong>in</strong>ne enthalten.<br />

Wasse Wigger<strong>in</strong>g und Wottelharm s<strong>in</strong>d<br />

zwei um 1900 bekannte und berühmte, frei erfundene<br />

Personen. Der Heimatkalender von<br />

1950 berichtet über Wasse Wigger<strong>in</strong>k:<br />

Heimatkalender 1950 Seite 75<br />

Zwischen <strong>Arkel</strong> und Hoogstede stand <strong>in</strong> alter<br />

Zeit <strong>e<strong>in</strong></strong>e Burg. Dar<strong>in</strong> wohnte <strong>e<strong>in</strong></strong> reicher Graf,<br />

der oft mit s<strong>e<strong>in</strong></strong>en Freunden dort frohe Feste<br />

feierte. Zu diesen Festen musste auch der<br />

Bauer Wasse Wigger<strong>in</strong>k aus Großr<strong>in</strong>ge ersch<strong>e<strong>in</strong></strong>en,<br />

der lustige Geschichten erzählte,<br />

wundervoll die Geige spielte und sich mit s<strong>e<strong>in</strong></strong>er<br />

Kunst manchen Groschen verdiente.<br />

E<strong>in</strong>es Abends schickte der Graf wieder s<strong>e<strong>in</strong></strong>en<br />

Boten zu Wasse Wigger<strong>in</strong>k und ließ ihm<br />

sagen, er solle sogleich kommen, denn es<br />

seien viele und hohe Gäste <strong>e<strong>in</strong></strong>getroffen.<br />

Wasse nahm die Viol<strong>in</strong>e und trat sogleich den<br />

Marsch zur Burg an. Er spielte s<strong>e<strong>in</strong></strong>e Lieder<br />

und Weisen und die Herren und Frauen waren<br />

des Lobes voll über ihn und s<strong>e<strong>in</strong></strong>e Viol<strong>in</strong>e.<br />

Erst spät <strong>in</strong> der Nacht machte er sich auf<br />

den Heimweg. Um ihn <strong>e<strong>in</strong></strong> Stück abzukürzen,


g<strong>in</strong>g er quer über den Esch. Mitten auf der<br />

kahlen, freien Roggenfläche stand plötzlich<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong> großer, schwarzer Mann, <strong>e<strong>in</strong></strong> Ungetüm, vor<br />

ihm und sagte: „Wass<strong>in</strong>, spöll up!“ Dem Bauern<br />

kam die Forderung völlig uns<strong>in</strong>nig vor. Er<br />

war auch müde und versuchte, durch <strong>e<strong>in</strong></strong>en<br />

Seitensprung an dem Koloss vorbeizukommen.<br />

Aber der Schwarze trat ihm <strong>in</strong> den Weg<br />

und knurrte drohend: „Wass<strong>in</strong>, ick segge di,<br />

spöll up!“ Was sollte er machen? Der Mann<br />

ihm gegenüber war groß und stark, und es<br />

g<strong>in</strong>g etwas Unheimliches von ihm aus. Er zitterte<br />

wie der Hase <strong>in</strong> der Wolfsgrube.<br />

Endlich holte er die Geige aus dem Kasten<br />

und begann zu fideln – mitten im Esch und<br />

das spät <strong>in</strong> der Nacht. Er hoffte, nach <strong>e<strong>in</strong></strong>igen<br />

Stücken den lästigen Geist loszuwerden, aber<br />

sobald er die Geige absetzte, donnerte ihn der<br />

Schwarze an: „Wass<strong>in</strong>, ick segge di, spöll up!“<br />

Und so geigte Wasse Stunde um Stunde. Der<br />

W<strong>in</strong>d heulte <strong>in</strong> den Wallbäumen und die<br />

Füchse im Moor bellten. Als der Schwarze sich<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>mal bückte, um den Schuhriemen festzu-<br />

ARKEL – EIN HISTORISCHER ORT<br />

b<strong>in</strong>den, sprang Wasse entschlossen an ihm<br />

vorbei und lief, was er laufen konnte.<br />

Schweißtriefend und totenbleich erreichte<br />

er s<strong>e<strong>in</strong></strong>en Hof. Er sprach mit niemandem über<br />

das nächtliche Erlebnis, auch nicht mit s<strong>e<strong>in</strong></strong>er<br />

Frau.<br />

Aber er g<strong>in</strong>g am nächsten Abend mit der<br />

Viol<strong>in</strong>e h<strong>in</strong>ter das Schafschott und zerschlug<br />

sie am Schuppfahl, obwohl er die Geige sehr<br />

liebte und sie ihm viel Geld und Freuden <strong>e<strong>in</strong></strong>gebracht<br />

hatte. Er wollte mit dem Instrument,<br />

mit dem er dem Teufel aufgespielt hatte –<br />

denn das war der Schwarze im Esch gewesen<br />

– niemandem mehr <strong>e<strong>in</strong></strong> Vergnügen bereiten,<br />

sich selbst auch nicht. Als der Graf von <strong>Arkel</strong><br />

ihn abermals zur Burg bat, g<strong>in</strong>g er nicht h<strong>in</strong>.<br />

Als er ihm <strong>e<strong>in</strong></strong>e neue Geige schickte, nahm er<br />

sie nicht an.<br />

N<strong>e<strong>in</strong></strong>, die Geige führe den Bauern <strong>in</strong> höhere<br />

Stockwerke h<strong>in</strong>auf, wo er nicht h<strong>in</strong>gehörte,<br />

m<strong>e<strong>in</strong></strong>e Wasse! Und schließlich lande er<br />

auf diesem Wege mit der Viol<strong>in</strong>e beim Bösen,<br />

und davor müsse er den Hof behüten.<br />

59


2<br />

<strong>Arkel</strong>, Kalle<br />

und T<strong>in</strong>holt<br />

Bearbeitet von Gerrit Jan Beuker<br />

Dr. Ernst Kühle (1890–1975) hat die Geschichte<br />

der <strong>e<strong>in</strong></strong>zelnen Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den jeweils im<br />

„Doppelpack“ ausführlich beschrieben. Kühle<br />

war von 1929 bis 1952 als Studienrat an der<br />

Oberrealschule im Aufbau und am späteren<br />

Gymnasium tätig.<br />

S<strong>e<strong>in</strong></strong>e Darstellung soll <strong>e<strong>in</strong></strong>e erste Übersicht<br />

über die Zeit bis 1974 ermöglichen. Sie folgt<br />

hier für Kalle und T<strong>in</strong>holt. Danach f<strong>in</strong>den sich<br />

aktuellere Beiträge von Willy Friedrich und<br />

Unbekanntes Ehepaar mit vier K<strong>in</strong>dern <strong>in</strong> Trachten,<br />

um 1920 aus Familie Hans (M<strong>in</strong>i Büdden)<br />

60<br />

aus heutiger Zeit. Später kommt Kühle auch<br />

bei Scheerhorn-Berge und bei Hoogstede-Bathorn<br />

zur Sprache. Die beiden letzten Beiträge<br />

habe ich kürzen müssen, weil sie zu umfangreich<br />

waren für diese Chronik und sich <strong>in</strong><br />

manchem auch mit dem nachfolgenden Beitrag<br />

decken. Zwischenüberschriften und Fotos<br />

s<strong>in</strong>d hier und auch <strong>in</strong> anderen übernommenen<br />

Texte neu <strong>e<strong>in</strong></strong>gefügt worden, um die Lesbarkeit<br />

zu erhöhen


Kalle und T<strong>in</strong>holt,<br />

Geschichte zweier Landgem<strong>e<strong>in</strong></strong>den<br />

E. Kühle, ( Der Grafschafter 1974,Nr. 12)<br />

Die Talsandlandschaft des l<strong>in</strong>ken Vechteufers<br />

nördlich von Haftenkamp ist gegenüber der<br />

rechten Uferzone <strong>in</strong> der wirtschaftlichen<br />

Entwicklung zurückgeblieben. Am rechten<br />

Vechteufer reihen sich an Veldhausen die Bauerschaften<br />

Esche, Berge, Scheerhorn, Hoogstede,<br />

Großr<strong>in</strong>ge, Kl<strong>e<strong>in</strong></strong>r<strong>in</strong>ge, denen am l<strong>in</strong>ken<br />

Ufer nur T<strong>in</strong>holt und Kalle gegenüberstehen.<br />

Die Bodengütekarte zeigt auf beiden Flussufern<br />

die gleichen, wenig günstigen Gütewerte an.<br />

Die im allgem<strong>e<strong>in</strong></strong>en tiefere Lage der westlichen<br />

Uferzone und der höhere Grundwasserstand<br />

haben lange Zeit von <strong>e<strong>in</strong></strong>er Besiedlung abgeschreckt.<br />

Der Verkehr von Neuenhaus nach<br />

Emlichheim nahm s<strong>e<strong>in</strong></strong>en Weg am rechten Ufer<br />

der Vechte entlang, der höher lag und trockener<br />

war, und an <strong>Ort</strong>en mit den Namen „Berge"<br />

und „Hoogstede" vorbeiführte. Mittelalterliche<br />

Wege waren zumeist Höhenwege, die feuchte<br />

Senken mieden. 1890 gab es die erste feste<br />

Straße, 1906 die Eisenbahn auf dem rechten<br />

Vechteufer; erst fünfzig Jahre später verband<br />

die Vechtetalstraße Neuenhaus über T<strong>in</strong>holt<br />

und Kalle mit Emlichheim, obwohl diese Wegstrecke<br />

kürzer ist als die des rechten Ufers …<br />

Deutung der Namen<br />

Kalle und T<strong>in</strong>holt bildeten <strong>e<strong>in</strong></strong>en Markenverband<br />

mit den Rechtsufergem<strong>e<strong>in</strong></strong>den Berge,<br />

Scheerhorn, Hoogstede. Die Grenzen der Mark<br />

auf dem l<strong>in</strong>ken Ufer waren im Norden, Wes -<br />

ten und Süden gerade L<strong>in</strong>ien, die man ohne<br />

Rücksicht auf Naturgegebenheiten auf der<br />

Karte mit dem L<strong>in</strong>eal gezogen hat. Der Name<br />

Kalle ist <strong>e<strong>in</strong></strong>e alte Flurbezeichnung, die Bezug<br />

nimmt auf das Wasser. Abel erklärt <strong>in</strong> „<strong>Ort</strong>snamen<br />

des Emslandes" Kalle als am Wasserarm<br />

gelegen. T<strong>in</strong>holt gehört zu den häufigen<br />

<strong>Ort</strong>en, die den Namen dem Holz entnehmen.<br />

Das Bestimmungswort ist nach Abel unerklärbar.<br />

Reurik erklärt es mit ten Holt = zum<br />

Holz. Specht legt das Zahlwort „Zehn“ zugrunde,<br />

nach zehn Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den, die am T<strong>in</strong>holt<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>st Anteil gehabt haben sollen. Die vorgeschichtliche<br />

Vechteschifffahrt h<strong>in</strong>terließ Überbleibsel<br />

von Fahrzeugen, Handelsgütern und<br />

ARKEL, KALLE UND TINHOLT<br />

Münzen, aus denen jedoch wenig über die Vor -<br />

geschichte von Kalle und T<strong>in</strong>holt geschlossen<br />

werden kann. Auf höher gelegenen Dünenrücken<br />

und Bodenwellen, auf denen frühe<br />

Siedler Fuß fassten, fand man Urnen <strong>in</strong> Nähe<br />

des Hofes Gröne <strong>in</strong> Kalle. Der Name <strong>Arkel</strong>, zu<br />

Kalle gehörig, wird von Heimatforschern als<br />

arcellum gedeutet; sie vermuten, dass hier<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>e vorgeschichtliche Burg bestanden hat.<br />

Kalle wird zuerst zusammen mit dem Gogericht<br />

Emlichheim genannt, das sich 1313 im<br />

Besitz des Grafen Johann II. befand, 1324 aber<br />

an den Herrn von Borculo gegeben wurde und<br />

erst 1440 endgültig an die Grafschaft zurückfiel.<br />

Als 1312 Graf Johann das Gogericht Uelsen<br />

von Eylard van den Toerne erwarb, ver<strong>e<strong>in</strong></strong>barten<br />

beide Vertragspartner, dass das Holzgericht<br />

im T<strong>in</strong>holte dem Geschlecht Toerne ver blieb.<br />

Die Holzgerichte kamen aber 1380 <strong>in</strong> die Hand<br />

des Grafen, wodurch sich der E<strong>in</strong>fluss des Landesherrn<br />

<strong>in</strong> den Bauerschaften verstärkte. In<br />

der T<strong>in</strong>holter Mark hatte der Bischof von Utrecht<br />

drei hörige Bauernerben, denen erlaubt<br />

war, die Eichelmast zu nutzen, wenn <strong>e<strong>in</strong></strong> gutes<br />

Eicheljahr war. Der Graf bestritt dieses Recht.<br />

1324 Hof to <strong>Arkel</strong>o<br />

1324 wird der Hof to <strong>Arkel</strong>o genannt. Pastor<br />

Visch <strong>in</strong> Wilsum schreibt <strong>in</strong> s<strong>e<strong>in</strong></strong>er Geschichte<br />

von <strong>e<strong>in</strong></strong>er frühen Kapelle <strong>in</strong> <strong>Arkel</strong>, <strong>in</strong> der <strong>e<strong>in</strong></strong><br />

Geistlicher aus Emlichheim Gottesdienst hielt,<br />

sowie von <strong>e<strong>in</strong></strong>er Ritterburg, von der man noch<br />

im 19. Jahrhundert Reste vorfand. Auch Stokmann<br />

berichtet von <strong>e<strong>in</strong></strong>er befestigten Burg<br />

<strong>Arkel</strong>, deren Trümmerreste 1820 noch vorhanden<br />

waren. Nach Möller gab es <strong>e<strong>in</strong></strong> adliges<br />

Geschlecht, die Herren von <strong>Arkel</strong>, aus dem<br />

Johan van <strong>Arkel</strong> hervorg<strong>in</strong>g, der als Bischof<br />

von Utrecht 1346 die Burg Lage erwarb. Von<br />

den Höfen <strong>in</strong> Kalle wird <strong>e<strong>in</strong></strong> Kotten genannt,<br />

Kreppes Kote, 1324, der später Kroppschott<br />

hieß. 1440, als das Gogericht Emlichheim zur<br />

Grafschaft Bentheim zurückkehrte, wird der<br />

Hof Rutkote to <strong>Arkel</strong> verzeichnet, von dem Dr.<br />

Edel annimmt, dass er später „Lütke <strong>Arkel</strong>"<br />

hieß (Von der Herrlichkeit Emlichheim, Jahrb.<br />

1953). Die Emlichheimer Gerichtsbarkeit reichte<br />

am l<strong>in</strong>ken Vechteufer bis zur Hildener Brügge,<br />

wo das Gogericht Uelsen begann.<br />

61


2<br />

Im Lehnregister des Grafen Otto, 1346–64,<br />

wird Kalle nicht genannt, wohl aber T<strong>in</strong>holt.<br />

Dem Knappen Eylard van den Toerne überließ<br />

der Graf zu Dienstmannsrecht die Holzgerichte<br />

zu Hilten, Gölenkamp, Uelsen und im<br />

T<strong>in</strong>holte. Eylard war 1319 Burgmann auf<br />

Bentheim. Gegen Überlassung des Gogerichts<br />

Uelsen 1312 erhielt er vom Grafen Johan <strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />

Anzahl von Zehnten aus Bauernerben zu<br />

Lehen. Der Stammsitz des Geschlechts war das<br />

Dorf Uelsen, wo südlich der <strong>Kirche</strong> vermutlich<br />

ihre Burg stand. Eylard war auch Lehnsmann<br />

des Bischofs von Utrecht. Das T<strong>in</strong>holt gehörte<br />

zu den privaten Gehegen des Grafen; hier übte<br />

er die Jagd all<strong>e<strong>in</strong></strong> aus und ließ durch s<strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />

Jäger die Grenzen überwachen. Das Revier<br />

war durch s<strong>e<strong>in</strong></strong>e guten Entenjagden bekannt.<br />

Die Beachtung der landesherrlichen Reservate<br />

ließ zu wünschen übrig. Mit den holländischen<br />

Jagdherren <strong>e<strong>in</strong></strong>igte sich der Graf auf<br />

dem Bentheimer Landtag über Jagdgerecht -<br />

same zwischen Grenze und Vechte. 1656<br />

überraschten gräfliche Jäger <strong>e<strong>in</strong></strong>e Gramsberger<br />

Jagdgesellschaft <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong></strong>er T<strong>in</strong>holter Wirtschaft<br />

und nahm sie gefangen. Die<br />

Gramsberger kamen mit stärkerem Aufgebot<br />

wieder und verlangten erweiterte Rechte. Der<br />

Graf verwarnte die Gramsberger, „daß man<br />

62<br />

GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />

Bäuer<strong>in</strong> Lübbers <strong>in</strong> Alltagskleidung vor ihrem Haus<br />

<strong>in</strong> Kalle, 1934. Heutige Eigentümer<strong>in</strong> Gunda Meyer<strong>in</strong>k<br />

(Jan Jeur<strong>in</strong>k)<br />

die Jagd nicht wider alle Usance und Gewohnheit<br />

extendieren solle". Der Jägermeister<br />

Borchard Lohoff betreute die privaten Gehege,<br />

leitete die großen Umjagden, traf Maßnahmen<br />

für sachgemäße Hege des Wildes, bestimmte<br />

die Schonzeiten und die Menge des von den<br />

Bauerschaften anzuliefernden Hundebrots.<br />

Das Haus Echteler hatte die Koppeljagd <strong>in</strong><br />

Kalle. Die Fischerei <strong>in</strong> der Vechte bis zur Mündung<br />

der Lee übten die Grafen gem<strong>e<strong>in</strong></strong>sam mit<br />

der Stadt Neuenhaus aus, weiter nördlich nur<br />

die Grafen all<strong>e<strong>in</strong></strong>. Das Bleichen von Flachs <strong>in</strong><br />

der Vechte war den Bauern <strong>in</strong> Kalle und T<strong>in</strong>holt<br />

verboten.<br />

1451 Personentausch<br />

1451 empf<strong>in</strong>g das Kloster im Austausch mit<br />

dem Herrn v. Dedem zu Esche den Johan Herek<strong>in</strong>ck,<br />

der <strong>in</strong>s Tympenhaus tor Calle kam.<br />

1562 überließ das Bistum Utrecht dem Kloster<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>en Sohn des Passcher <strong>in</strong> Lage, der auf dem<br />

Tympenhof zu Kalle <strong>e<strong>in</strong></strong>heiratete. Man nannte<br />

die E<strong>in</strong>heirat „Auffahrt“ und forderte dafür<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>e Gebühr (ungewisses Gefälle). Im Austausch<br />

mit dem Grafen kam Wibbe, <strong>e<strong>in</strong></strong>e Tochter<br />

Campers aus Laarwald nach Kalle, wo sie<br />

auf dem Hof <strong>e<strong>in</strong></strong>heiratete. Von den K<strong>in</strong>dern<br />

auf dem Tympenhof wird berichtet, dass Johann


tor Calle die Gese van <strong>Arkel</strong> zur Frau nahm,<br />

die die Tochter <strong>e<strong>in</strong></strong>es dem Grafen hörigen Bauern<br />

war. Von ihren K<strong>in</strong>dern ließ das Kloster<br />

den Sohn Johan frei; <strong>e<strong>in</strong></strong> anderer Sohn zog<br />

mit den Wiedertäufern fort, und der Schreiber<br />

trug <strong>in</strong> das Wesselbuch <strong>e<strong>in</strong></strong> ... „entlopen na<br />

Monster". E<strong>in</strong>e Tochter, Mette, g<strong>in</strong>g mit <strong>e<strong>in</strong></strong>em<br />

Landsknecht <strong>in</strong> die Ferne. Im Lagerbuch zu<br />

Bentheim bef<strong>in</strong>det sich <strong>e<strong>in</strong></strong>e Verpflichtung des<br />

Hofes Tympe von <strong>e<strong>in</strong></strong>em Taler. Die Vogtei über<br />

den Hof Tympe hatte Engelbert von Zalre; er<br />

hatte an Callmans Erben <strong>e<strong>in</strong></strong> Gut verkauft,<br />

Bussches Garde genannt, und an das Kloster<br />

Frenswegen Heemans Haus <strong>in</strong> der Calle veräußert.<br />

Der Archivar Dr. Döhmann <strong>in</strong> Burgst<strong>e<strong>in</strong></strong>furt<br />

nimmt an, dass der Hof Kaalmann <strong>in</strong><br />

Hoogstede gem<strong>e<strong>in</strong></strong>t ist …<br />

1533 Wiedertäufer nach Münster<br />

Das folgende 16. Jahrhundert war von religiösen<br />

Unruhen erfüllt. Die Wiedertäufer hatten<br />

1533 den Bischof von Münster vertrieben<br />

und <strong>e<strong>in</strong></strong> Wiedertäuferreich errichtet, das zwei<br />

Jahre später Graf Arnold mit zerschlagen half.<br />

Anschließend ließ der Graf nach geflohenen<br />

und versteckten Wiedertäufern <strong>in</strong> der Grafschaft<br />

fahnden. Das wenig zugängliche T<strong>in</strong>holter<br />

Moor bot guten Unterschlupf. Wen die<br />

Häscher f<strong>in</strong>gen, den richtete man als Viehdieb<br />

h<strong>in</strong>. 1544 aber trat der Graf mit dem größten<br />

Teil der Grafschaft zum lutherischen Bekenntnis<br />

über. Die Pastoren Kampferbeck <strong>in</strong> Veldhausen,<br />

Krull und Jungius <strong>in</strong> Neuenhaus,<br />

Hasenhart <strong>in</strong> Uelsen predigten im S<strong>in</strong>ne der<br />

Augsburgischen (lutherischen) Konfession.<br />

Das Bistum Utrecht g<strong>in</strong>g durch die Reformation<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>; s<strong>e<strong>in</strong></strong>e Güter erbte Kaiser Karl V., der<br />

nicht deutsch sprach, aber <strong>in</strong> den Twenter<br />

Hofrechten die Pflichten und Rechte s<strong>e<strong>in</strong></strong>er<br />

Hörigen aufschreiben ließ. S<strong>e<strong>in</strong></strong> Nachfolger<br />

Philipp löste durch Härte und Grausamkeit<br />

s<strong>e<strong>in</strong></strong>er gegenreformatorischen Maßnahmen<br />

den niederländischen Befreiungskrieg von der<br />

spanischen Herrschaft aus. Die von ihren Ländern<br />

mangelhaft versorgten spanischen und<br />

holländischen Truppen suchten ihren Bedarf<br />

zu decken durch räuberische Überfälle <strong>in</strong> die<br />

neutrale Grafschaft; bei etwaigem Widerstand<br />

kam es wie <strong>in</strong> Halle und Getelo zu Blutbädern.<br />

ARKEL, KALLE UND TINHOLT<br />

Auf der Heerstraße zwischen Coevorden und<br />

Neuenhaus plünderten die Spanier die Bauerschaften<br />

an der Vechte aus; sie beraubten<br />

Kalle und T<strong>in</strong>holt, zerstörten das feste Haus<br />

Esche, töteten die zahlreichen Flüchtl<strong>in</strong>ge,<br />

verbrannten <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong></strong>er Scheune <strong>in</strong> der Borg 60<br />

wehrlose Menschen und verursachten <strong>e<strong>in</strong></strong><br />

Massensterben <strong>in</strong> der Stadt Neuenhaus. „De<br />

nood en ellende waren zoo groot, dat men ze<br />

met geene worden uitdrukken kan (Visch, Geschiedenis).<br />

Im schweren Kriegsjahr 1588 traten<br />

Graf und Grafschaft zum reformierten<br />

Bekenntnis über, um sich den Schutz der siegreichen<br />

Niederländer zu sichern.<br />

1618–1648 Dreißigjähriger Krieg<br />

Auf deutscher Seite g<strong>in</strong>g der Oorlog <strong>in</strong> den<br />

Dreißigjährigen Krieg, 1618–1648, über. Der<br />

vom Grafen Arnold Jobst angestrebte Selbstschutz<br />

<strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit Schützenverbänden<br />

war nicht ausreichend, den f<strong>e<strong>in</strong></strong>dlichen Heeren<br />

den E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong> die Grafschaft zu verwehren.<br />

Die Kriegsopfer des „Oorlogs“ wiederholten<br />

sich; h<strong>in</strong>zu kamen die Kriegssteuern <strong>in</strong> Gestalt<br />

von Korn-, Vieh- und Personenschatzungen,<br />

auf den Landtagen beschlossen, um die Kontributionen<br />

zahlen zu können. Die Selbsthilfe<br />

<strong>in</strong> Kalle und T<strong>in</strong>holt beschränkte sich darauf,<br />

Alarmbereitschaften <strong>e<strong>in</strong></strong>zurichten, kl<strong>e<strong>in</strong></strong>ere<br />

Räuberbanden abzuwehren, durch Feuersig -<br />

nale Nachbargem<strong>e<strong>in</strong></strong>den zu warnen, ihre Hil -<br />

fe zu erbitten und selbst Hilfe zu br<strong>in</strong>gen.<br />

Der Geschichtsschreiber des Krieges, Pastor<br />

Holst<strong>e<strong>in</strong></strong> aus Schüttorf, der auch <strong>in</strong> <strong>Arkel</strong> predigte,<br />

beklagte den Verfall der Sitten. Schon<br />

1620 erlagen die Kaller dem E<strong>in</strong>fluss von Zauberern,<br />

die man um Hilfe bat, wenn Menschen<br />

und Vieh erkrankten. In T<strong>in</strong>holt war es nicht<br />

anders; viele g<strong>in</strong>gen nicht mehr <strong>in</strong> die <strong>Kirche</strong>,<br />

besuchten während der Kirchzeit die Wirtshäuser,<br />

sangen Hurenlieder und mieden die<br />

Arbeit. Vergeblich wetterte Pastor Holst<strong>e<strong>in</strong></strong><br />

1623 von der Kanzel <strong>in</strong> <strong>Arkel</strong> und drohte mit<br />

Kirchstrafen. Anstatt der gelobten Exercitien<br />

gab es <strong>in</strong> den Schützereien Saufgelage. Erst<br />

mit Kriegsende, als <strong>e<strong>in</strong></strong> Bauernaufgebot<br />

schwedische Resttruppen aus der Bimolter<br />

Mark vertreiben musste, kehrte die Ordnung<br />

zurück.<br />

63


2<br />

1637 Dienstgeldliste<br />

Aus dem Kriegsjahr 1637 ist <strong>e<strong>in</strong></strong>e Dienstgeldliste<br />

des Rentmeisters Kercker<strong>in</strong>ck erhalten,<br />

die Dr. Edel im Jahrbuch 1953 wiedergab. Es<br />

zahlten an Dienstgeld je 4 Taler Röttger<strong>in</strong>gh,<br />

Eik<strong>in</strong>ckhorst, Oever<strong>in</strong>gh, Meyerman, der<br />

Schulte zu <strong>Arkel</strong>, je 3 Taler Campen, lütke<br />

<strong>Arkel</strong>, Blomendael, Calthoff, Struwe, je 3½<br />

Taler Brün<strong>in</strong>gh, Suwerman, Hembke, Wermer,<br />

je 1 Taler Kroppschotte, Kl<strong>in</strong>ckhamer, Böker,<br />

Hessels Lucas, Lüchens Rolff, Schny kert; 3<br />

<strong>Ort</strong> zahlte Kistemaker.<br />

Der <strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt gelegene Platz von Weel Johans<br />

Witwe, der wüste war, gab ½ Taler. Im<br />

Eifer um den Wiederaufbau von Hof und Flur<br />

nach Friedensschluss blieben Kalle und T<strong>in</strong>holt<br />

h<strong>in</strong>ter den Bauerschaften rechts der<br />

Vechte nicht zurück.<br />

<strong>Kirche</strong>nrat Emlichheim 1562–1620<br />

Die reformierte <strong>Kirche</strong>nordnung hatte die<br />

Pflege des kirchlichen Lebens <strong>in</strong> die Hände der<br />

örtlichen <strong>Kirche</strong>nräte gelegt. Aus den Bauerschaften<br />

des Kirchspiels Emlichheim wählte<br />

man angesehene Männer <strong>in</strong> den <strong>Kirche</strong>nrat,<br />

die dafür sorgten, dass das Verhalten der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>demitglieder<br />

und der Unterricht der Jugend<br />

im S<strong>in</strong>ne des Heidelberger Katechismus<br />

geschah. Dem <strong>Kirche</strong>nrat gehörten an Gerdt<br />

Volker zu <strong>Arkel</strong> <strong>in</strong> den Jahren 1562, 68, 80,<br />

83, Gert Schulte zu <strong>Arkel</strong> 1612. 1620 befasste<br />

sich der Oberkirchenrat mit <strong>e<strong>in</strong></strong>er Anklage<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>es Bauern aus T<strong>in</strong>holt wegen Hexerei. Der<br />

Bauer beschuldigte s<strong>e<strong>in</strong></strong>en Nachbarn, dass er<br />

ihm die Kuh verhext hätte, die gestorben war<br />

(Edel, Ratleute der <strong>Kirche</strong> zu Emlichheim,<br />

Grafsch. 1958). Es war bald nach Beg<strong>in</strong>n des<br />

großen Krieges (1618–1648), als Pastor Holst<strong>e<strong>in</strong></strong><br />

gegen das Zauberunwesen ankämpfte …<br />

1752 Torfstichrechte im T<strong>in</strong>holter Moor<br />

Die Schuldenlast zwang den Grafen Fried rich<br />

Carl, s<strong>e<strong>in</strong></strong>e Grafschaft 1752 an das Land Hannover<br />

zu verpfänden. Die Pfandschaftsregierung<br />

unter Leitung des Drosten Ompteda<br />

versuchte, durch Sparverordnungen Ordnung<br />

<strong>in</strong> das F<strong>in</strong>anzwesen zu br<strong>in</strong>gen. E<strong>in</strong>e Akte auf<br />

dem Rathaus zu Uelsen von 1752 enthält<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>en Vertrag um Torfstichrechte im T<strong>in</strong>hol-<br />

64<br />

GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />

ter Moor. Aus Uelsen und dem Kirchspiel hatten<br />

sich 348 Haushalte bereit erklärt, den Torf<br />

aus T<strong>in</strong>holt zu holen. Wiederholtes Zusammentreffen<br />

der Dorfschulten auf dem Rathaus<br />

zu Uelsen und Beratung mit Amtleuten und<br />

Vögten, wie 1845 mit Amtsvogt Brill, verbesserten<br />

die Anfuhr des Torfs, <strong>in</strong>dem man Entwässerung<br />

und Wegebau vervollkommnete.<br />

Schulte Vos aus T<strong>in</strong>holt und der Schulte zu<br />

<strong>Arkel</strong> unterzeichneten <strong>e<strong>in</strong></strong> Protokoll. Als nach<br />

dem Ersten Weltkrieg das Siedlungsgesetz<br />

1919 Land für vertriebene Ostbauern und<br />

nachgeborene Bauernsöhne aus der Heimat<br />

bereitstellte, enteignete man die Torfgruben<br />

und hob die Torfstichgerechtsame auf.<br />

1756–1763 Siebenjähriger Krieg<br />

Vier Jahre nach dem Pfandvertrag brach der<br />

Siebenjährige Krieg, 1756 bis 1763, aus, den<br />

der Graf nutzen wollte, um die Selbständigkeit<br />

s<strong>e<strong>in</strong></strong>er Grafschaft zurückzugew<strong>in</strong>nen. An<br />

der Spitze <strong>e<strong>in</strong></strong>es französischen Regiments zog<br />

er <strong>in</strong> den Kampf gegen Hannover, womit er<br />

den Krieg <strong>in</strong> s<strong>e<strong>in</strong></strong> Land trug. Für die Kaller und<br />

T<strong>in</strong>holter Bauern nahmen die Lieferungen, die<br />

Kriegsfuhren, die Zahlungen k<strong>e<strong>in</strong></strong> Ende. Die<br />

Kriegsherren wechselten, <strong>e<strong>in</strong></strong>e Partei jagte der<br />

andern die Beute ab. An wen die Abgaben zu<br />

zahlen waren, erfuhren die Kaller durch <strong>Kirche</strong>nabkündigung<br />

<strong>in</strong> Emlichheim. Kommandos<br />

setzten die Dorfschulten gefangen, wenn<br />

die abzuliefernden Pferde nicht zur Stelle<br />

waren, aber es gelang manchem listigen<br />

Bauern, s<strong>e<strong>in</strong></strong> Pferd auf Schleichwegen zurückzuholen.<br />

Entzog sich der Jungbauer dem<br />

Tra<strong>in</strong>dienst durch die Flucht, musste der<br />

Haus vater den Dienst tun. Hannover gewann<br />

den Krieg und trat nach Friedensschluss die<br />

Pfandschaftsregierung wieder an. Regierungsrat<br />

Funck forderte durch Verordnungen zum<br />

Sparen, zur Schädl<strong>in</strong>gsbekämpfung, zur Waldpflege,<br />

zur Anlage von Telgenkämpen, zur<br />

Schonung des Wildes, zur E<strong>in</strong>schränkung im<br />

Haushalt, zum Maßhalten im Verbrauch auf.<br />

Die Bauern <strong>in</strong> Kalle und T<strong>in</strong>holt bedurften<br />

solcher Ermahnungen nicht; die Armut war<br />

ihr täglicher Gast. Die T<strong>in</strong>holter trugen ihre<br />

dürftigen Kornmengen auf dem Rücken zur<br />

Mühle Bosmann nach Hard<strong>in</strong>ghausen und


nahmen gleich ihr Mehl nach Abzug der<br />

Mahlgebühr wieder mit nach Hause. E<strong>in</strong>e Verordnung<br />

1784 enthielt für Kalle und T<strong>in</strong>holt<br />

die Concession des Plaggenstechens, bei<br />

Schonung der Forsten und öffentlichen Wege,<br />

für T<strong>in</strong>holt auch die Schonung des Haftenkamper<br />

Bruchs. E<strong>in</strong>e Neuvermessung der Markengrenze<br />

zwischen T<strong>in</strong>holt und Haftenkamp<br />

schlichtete alte Streitpunkte. Der Streit um die<br />

Jagdberechtigung im T<strong>in</strong>holter Feld entfachte<br />

aufs Neue, als 1773 der Herr v. Wassenaer aus<br />

Lage den Richter Lüdick <strong>in</strong> Emlichheim beauftragte<br />

und bevollmächtigte, für ihn die<br />

Jagd im Bezirk Emlichheim auszuüben. Im<br />

T<strong>in</strong>holter Feld kam es zu Tätlichkeiten der<br />

Lager Jäger mit den Bentheimern, die <strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />

Koppeljagd im T<strong>in</strong>holter Feld nicht zulassen<br />

wollten …<br />

1795–1815 Franzosenzeit<br />

Als dann 1795 die Franzosen als Revolutionstruppen<br />

<strong>in</strong> Neuenhaus <strong>e<strong>in</strong></strong>rückten und den<br />

Freiheitsbaum aufstellten, Gewerbefreiheit<br />

und Ablösung der bäuerlichen Lasten versprachen,<br />

sah man sie nicht ungern kommen.<br />

Bald aber konnten die Schulten von Kalle und<br />

T<strong>in</strong>holt ihren neuen Pflichten kaum noch<br />

nachkommen, für die Steuer- und Rekrutenlisten<br />

die Unterlagen bereitzustellen. Das<br />

französische Kataster fand immer neue Steuerquellen,<br />

wie Fußböden, Fenster, Türflächen,<br />

Obstbäume; die Rekrutenlisten füllten sich mit<br />

Namen von Jungbauern, die man <strong>e<strong>in</strong></strong>zog, <strong>in</strong><br />

fernen Garnisonen ausbildete und <strong>in</strong> der großen<br />

Armee zum Ruhme Frankreichs kämpfen<br />

ließ. Andere traten <strong>in</strong> das Bentheimer Bataillon<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong> und kämpften gegen Napoleon auf<br />

belgischen Schlachtfeldern. E<strong>in</strong>e Verlustliste<br />

1815 nennt Evert Bangeler aus Kalle, gestorben<br />

am 1. Juni <strong>in</strong> Antwerpen. Der Ausbau des<br />

Straßennetzes für schnelle Truppenbewegungen<br />

gehörte zu den vordr<strong>in</strong>glichen Aufgaben;<br />

die Kaller und T<strong>in</strong>holter sahen, wie die Franzosen<br />

Anstalten trafen, <strong>e<strong>in</strong></strong>en kürzeren Weg<br />

zwischen Neuenhaus und Emlichheim über<br />

Kalle und T<strong>in</strong>holt als Heerstraße auszubauen.<br />

Der Name Franzosendiek blieb <strong>in</strong> Er<strong>in</strong>nerung;<br />

erst 150 Jahre später als Vechtetalstraße mit<br />

Asphaltdecke vollendet.<br />

ARKEL, KALLE UND TINHOLT<br />

Nach 1815<br />

Nach Abzug der Franzosen übernahm der<br />

Droste v. Pestel die Pfandschaftsregierung<br />

aufs Neue; er stellte die alte Ordnung wieder<br />

her, <strong>in</strong> der von den versprochenen Freiheiten<br />

nicht mehr die Rede war. Die Zollschranken<br />

senkten sich, drosselten den Handel und<br />

m<strong>in</strong>derten die Zahl der Arbeitsplätze. Das<br />

Kirchspiel <strong>Arkel</strong> löste sich vom Kirchspiel Emlichheim.<br />

Die Kl<strong>e<strong>in</strong></strong>siedlung <strong>Arkel</strong>, aus nur<br />

vier Bauernhöfen bestehend, erhielt als Sitz<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>es Kirchspiels überörtliche Bedeutung.<br />

Th. Nyhuis führte als erster Pfarrer <strong>in</strong> <strong>Arkel</strong><br />

1819–58 Tauf-, Trau- und Sterberegister des<br />

Kirchspiels. Die von den Franzosen <strong>e<strong>in</strong></strong>gerichteten<br />

Standesämter hatte v. Pestel abgeschafft<br />

und die Beurkundung durch <strong>Kirche</strong>nbücher<br />

wieder <strong>e<strong>in</strong></strong>geführt. Pastor Lucassen versah den<br />

<strong>Kirche</strong>ndienst 1858–66; dann folgte J. M. Nyhuis,<br />

Sohn des ersten Pfarrers; er wirkte als<br />

Konsistorialrat und Kreisschul<strong>in</strong>spektor vorbildlich<br />

<strong>in</strong> s<strong>e<strong>in</strong></strong>em Bezirk, trat für den Bau der<br />

Längsbahn <strong>e<strong>in</strong></strong> und hat als Schriftsteller und<br />

Herausgeber <strong>e<strong>in</strong></strong>er Zeitungsbeilage und der<br />

Reformierten Monatsschrift zur Erwachsenenbildung<br />

beigetragen.<br />

E<strong>in</strong>e Zählung, 1821, ergab für Kalle 21<br />

Feuerstellen und 152 E<strong>in</strong>wohner, für T<strong>in</strong>holt<br />

25 Feuerstellen, 26 Höfe, 135 E<strong>in</strong>wohner. Ar -<br />

mut und Arbeitslage, hoher Grundwasserstand<br />

und offene Brunnen, dürftige Haushaltsführung<br />

und <strong>e<strong>in</strong></strong>seitige Kost waren Ursache<br />

unbefriedigender Gesundheitsverhältnisse.<br />

Zahl reiche Menschen starben im jugendlichen<br />

Alter an „Utteer<strong>in</strong>ge“, der Schw<strong>in</strong>dsucht. Studierte<br />

Ärzte gab es nur wenig. Bei weiten und<br />

schlechten Wegen kamen sie selten <strong>in</strong> abgelegene<br />

Dörfer. Die Apotheke <strong>in</strong> Neuenhaus war<br />

zu weit entfernt. Erst 1830 erhielt auch Emlichheim<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>e Apotheke.<br />

Schankwirtschaften 1828<br />

Im gleichen Jahr erhielt Vogt Brüna die Anweisung,<br />

die Schenkwirtschaften im Gericht<br />

Emlichheim zu registrieren. Sie hatten durch<br />

die ständig zunehmende Zahl der Hollandgänger<br />

genügenden Zuspruch. Die Wirtschaft<br />

B<strong>in</strong>geler <strong>in</strong> Kalle bestand erst seit 1828 und<br />

schenkte ½ Anker aus, Schröer <strong>in</strong> Kalle, seit<br />

65


2<br />

1822 bestehend, verschenkte 1½ Anker. In<br />

T<strong>in</strong>holt bestanden ebenfalls zwei Schenkwirtschaften,<br />

Hilbr<strong>in</strong>k, seit 1828, und Sentkers,<br />

beide mit je 3 Ankern Umsatz. Die Heuerleute<br />

Sentker betrieben den Ausschank schon seit<br />

längerer Zeit. B<strong>in</strong>geler (jetzt Berends) – verschenkt<br />

½ Anker, gegründet 1828 …<br />

Aus Bentheimer Heimatkalender 1936<br />

Seite 82 f.<br />

Das E<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>gen der Franzosen <strong>in</strong> die Grafschaft<br />

brachte im ersten Jahrzehnt des 19.<br />

Jahrhunderts das Ende der Zünfte. Nunmehr<br />

durfte jeder Bürger oder Bauer das<br />

ihm angenehme Handwerk ausüben, ja<br />

deren zwei, drei und mehr gleichzeitig betreiben.<br />

K<strong>e<strong>in</strong></strong> Beruf erfreute sich damals<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>es lebhafteren Zuspruchs als der des<br />

Schenkwirts. Meist brachte er gute und teils<br />

mühelose Gew<strong>in</strong>ne, der Wirt sah vergnügliche<br />

Leute um sich, hörte viel, und das Gewerbe<br />

verhalf nicht selten zu E<strong>in</strong>fluss <strong>in</strong> der<br />

Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de und im öffentlichen Leben. Um<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>e Übersicht darüber zu haben, wie viel<br />

Leute im Bentheimischen das viel begehrte<br />

Nass ausschenkten, erg<strong>in</strong>g im Jahre 1830<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>e Anweisung zur Inventarisierung der<br />

Schenken. Unter Kalle f<strong>in</strong>det man folgende<br />

Angaben: Bd. Schröör (später Heckmann,<br />

jetzt Pr<strong>in</strong>sen) – verschenkt 1½ Anker, gegründet<br />

1822<br />

Da die Schenken unmittelbar an dem Wege<br />

von Veldhausen über T<strong>in</strong>holt nach Emlichheim<br />

belegen s<strong>in</strong>d und dieser Weg von<br />

Frachtwagen bei trockener Zeit viel gebraucht<br />

wird, so ist die Fortdauer der Schenken<br />

nicht unerforderlich.<br />

Markenteilung 1864 –1881<br />

1864–81 nahm man die Teilung der Mark vor,<br />

bei der man 1357 ha unter 89 Teiler aufteilte.<br />

Die Mark bestand aus 318 ha Angerland, 621<br />

ha Heide, 251 ha Suddenboden und 165 ha<br />

Moorboden. Da um diese Zeit auch der M<strong>in</strong>eraldünger<br />

aufkam, ließen sich die neu gewonnenen<br />

Flächen <strong>in</strong> ertragreiches Kulturland<br />

umwandeln. 1859 gab es <strong>in</strong> Kalle 15 Vollerben,<br />

2 Halberben, 2 Kötter, 8 Neubauern, <strong>in</strong><br />

T<strong>in</strong>holt 15 Vollerben, 4 Halberben, 12 Neu-<br />

66<br />

GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />

Haus Heckmann etwa 1942, Frau St<strong>e<strong>in</strong></strong>iger mit<br />

Nichte Gesiene Heckmann. (D<strong>in</strong>i Wortelen)<br />

bauern. 1866 preußisch geworden, gehörte die<br />

Grafschaft zum Großkreis L<strong>in</strong>gen, der bis<br />

1885 bestand. Dann löste man den Kreis Grafschaft<br />

Bentheim mit den Ämtern Bentheim<br />

und Neuenhaus vom Großkreis ab; als Kreisstadt<br />

wählte man Bentheim. Es gab seit 1871<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong> Deutsches Reich mit neuen dekadischen<br />

Münzen, Maßen und Gewichten; der Landbriefträger<br />

kam <strong>in</strong> die Dörfer und brachte<br />

Briefe und Postkarten mit <strong>e<strong>in</strong></strong>er 10- oder 5-<br />

Pfennig-Freimarke versehen. Der Telegraph<br />

vermittelte Telegramme; um die Jahrhundertwende<br />

erlaubte der Fernsprecher <strong>Ort</strong>s- und<br />

Ferngespräche. Landrat Kriege, 1886–1920,<br />

setzte sich für Melioration (Entwässerung),<br />

Schul- und Wegebau <strong>e<strong>in</strong></strong>. Die Schulchronik<br />

berichtet vom Schulbau 1858; 80 Jahre später,<br />

1938, entstand <strong>e<strong>in</strong></strong> neues zweckmäßigeres<br />

Schulhaus. Lehrer J. H. Bleumer schrieb <strong>e<strong>in</strong></strong>en<br />

humorvollen Bericht ,.Up mien Besseva sien<br />

Hoff": Die tief <strong>in</strong> der Heimat wurzelnde Charaktererhaltung<br />

der Bewohner, die Mit- und<br />

Umwelt spiegeln sich dar<strong>in</strong> (siehe Seite 97).<br />

Verkehrsverhältnisse 1870–1930<br />

Die Not auf dem Lande trieb manchen zur<br />

Auswanderung: aus Kalle H. J. Scholten, aus<br />

T<strong>in</strong>holt Jan Mischkotte, Herm<strong>in</strong>a Kaalm<strong>in</strong>k,<br />

Gese Becken, Susanne Klostermann. Die B<strong>in</strong>-


Haus von Loeks–Hessels (jetzt Baumann), 1956/57 abgebrochen (D<strong>in</strong>i Wortelen)<br />

dungen an die Heimat blieben erhalten und<br />

wurden gepflegt; mancher Auswanderer kehrte<br />

nach Jahren gern zum Besuch <strong>in</strong> das Heimatdorf<br />

zurück. 1870 ersetzte <strong>e<strong>in</strong></strong>e Holzbrücke<br />

den bisherigen Fährverkehr; aber diese Brücke<br />

entsprach nicht den Erwartungen. Nicht alle<br />

Bauern wollten sich an den Kosten beteiligen;<br />

der Holzbelag war bald abgenutzt und die<br />

Stützen boten bald nicht mehr die nötige Sicherheit.<br />

Der Übergang zum rechten Vechteufer,<br />

dem Verkehrsufer, gewann an Bedeutung,<br />

als 1890 die Heerstraße über Hoogstede best<strong>e<strong>in</strong></strong>t<br />

wurde und 1906 Haltestellen der Bentheimer<br />

Eisenbahn <strong>in</strong> Berge und Hoogstede<br />

entstanden. Kalle und T<strong>in</strong>holt blieben weiter<br />

<strong>in</strong> Abseitslage.<br />

Seit 1903 diente die landwirtschaftliche<br />

W<strong>in</strong>terschule <strong>in</strong> Neuenhaus dem bäuerlichen<br />

Nachwuchs als Schulungsstätte. Nach dem<br />

Ersten Weltkrieg sollte das Reichssiedlungsgesetz<br />

1919 Raum für vertriebene Bauern<br />

schaffen. In der Folge enteignete der Staat Ödlandflächen,<br />

um sie als Siedlungsstellen vorzubereiten.<br />

Landrat Bön<strong>in</strong>ger, 1920–31, setzte<br />

die Kulturarbeit s<strong>e<strong>in</strong></strong>es Vorgängers Kriege fort,<br />

förderte die Meliorierung der Böden, den Bau<br />

von Verkehrswegen und verschaffte den Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den<br />

durch Verträge mit der RWE den<br />

elektrischen Strom als Energiequelle.<br />

ARKEL, KALLE UND TINHOLT<br />

Emslandplan 1951<br />

Das Staatsgebiet Kalle–T<strong>in</strong>holt mit mehr als 500<br />

Hektar hat nach dem Zweiten Weltkrieg das<br />

Wasserwirtschaftsamt Meppen zur Vechte und<br />

zur Radewijkerbecke entwässert. Als 1951 der<br />

Emslandplan anlief, hielt die Technik ihren E<strong>in</strong>zug<br />

<strong>in</strong> die Vechteufergem<strong>e<strong>in</strong></strong>den. Die Mooradm<strong>in</strong>istration<br />

setzte Großmasch<strong>in</strong>en <strong>e<strong>in</strong></strong>,<br />

Tiefkuhlpflüge, Erdhobel, Scheibeneggen, Erdschaufeln<br />

und Walzen, von 128 Arbeitskräften<br />

bedient. Die Moorflächen mit Torfschichten bis<br />

zu 50 cm Dicke forderten, die Pflüge so <strong>e<strong>in</strong></strong>zustellen,<br />

dass die unterlagernden Sande mit<br />

ergriffen werden, um so <strong>e<strong>in</strong></strong>e günstige Mischkulturschicht<br />

zu erhalten. Drei Hauptvorfluter<br />

mit anschließendem Grabennetz dienen der<br />

Entwässerung. Die Gräben, parallel und gradl<strong>in</strong>ig<br />

mit 200 bis 300 Meter Abstand verlaufend,<br />

s<strong>in</strong>d mit Stauen versehen, die <strong>e<strong>in</strong></strong>en günstigen<br />

Grundwasserstand auch <strong>in</strong> trockenen Perioden<br />

sichern. Nachdem die Flächen <strong>e<strong>in</strong></strong>geebnet und<br />

mit M<strong>in</strong>eraldünger und Kalk versehen waren,<br />

nahm man die E<strong>in</strong>saat vor, bei ger<strong>in</strong>geren<br />

Böden mit Lup<strong>in</strong>en, bei besseren Böden mit<br />

Roggen, Hafer oder Kartoffeln. Auch bei Grünlandflächen<br />

erwies sich <strong>e<strong>in</strong></strong>e vorherige E<strong>in</strong>saat<br />

als günstig, um die Bodengare zu fördern.<br />

E<strong>in</strong> Netz von Wirtschaftswegen <strong>in</strong> Abständen<br />

von 800 Meter gewährleistet den Zugang<br />

67


2<br />

zu den Kulturflächen; an rechtw<strong>in</strong>klig abzweigenden<br />

Betonwegen liegen die Gehöfte der<br />

Siedler. So wuchs aus <strong>e<strong>in</strong></strong>stigem trostlosen Ödland<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>e geplante Streusiedlung hervor, bei<br />

der die Hofstätte vom zugehörenden Kulturland<br />

umgeben ist und so ohne lange Zufahrt<br />

erreicht werden kann. 1954 konnten die ersten<br />

acht Vollerben mit je 15 ha Kulturland besetzt<br />

werden. Forstflächen und W<strong>in</strong>dschutzstreifen<br />

schufen <strong>e<strong>in</strong></strong>e neue Landschaft, die mit den<br />

Schutzgehölzen um das Haus der Flur das Aussehen<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>er Kulturparklandschaft geben.<br />

Straßenbau 1950er Jahre<br />

Den Anschluss an das Kreisstraßennetz brachte<br />

im Jahre 1956 die Querverb<strong>in</strong>dung Wilsum-<br />

Hoogstede, deren Bau <strong>e<strong>in</strong></strong>e Sandauffuhr bis zu<br />

zwei Metern erforderte. Die nach Norden verlängerte<br />

Vechtetalstraße schuf <strong>e<strong>in</strong></strong>e schnelle Verb<strong>in</strong>dung<br />

nach den zentralen <strong>Ort</strong>en Neuenhaus<br />

und Emlichheim. Damit nahm der Plan der<br />

Franzosen 1813 (Franzosendiek) Gestalt an. Die<br />

Nachteile der bisherigen Abseitslage schwanden.<br />

Mit den Straßen kam die Landkraftpost und<br />

verbesserte den Nachrichtenverkehr. Betonbrücken<br />

ersetzten gefahr volle Behelfsbrücken.<br />

Der Wasserbeschaffungsverband Niedergrafschaft<br />

sorgte für den Anschluss an die Tr<strong>in</strong>kwasserleitung.<br />

Das Wirtschaftsleben erhielt <strong>in</strong><br />

dem bisher an Bodenschätzen armen Gebiet<br />

durch Erdöl und Erdgas neuen Auftrieb. Die<br />

erste Bohrung geschah an der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>degrenze<br />

Kalle-T<strong>in</strong>holt. 1957 wurde das Gasfeld Kalle erschlossen.<br />

Das gewonnene Gas leitete man <strong>in</strong><br />

die Gasleitung von Adorf nach Frenswegen; das<br />

Erdöl nahm die Sammelstelle Bathorn auf.<br />

Die Besiedlung verdichtete sich; 1962 gab<br />

es 16 Vollbauernstellen. Jan Jeur<strong>in</strong>k gab <strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />

bevölkerungspolitische Studie über die Bauerschaft<br />

Kalle heraus. Unter den 49 landwirt -<br />

schaftlichen Betrieben gibt es zehn Stammfamilien<br />

und elf Pachthöfe; die meisten Bauern<br />

s<strong>in</strong>d zugzogen. Der Altersaufbau, das Heiratsalter,<br />

K<strong>in</strong>derreichtum, Sterbealter werden <strong>in</strong> Zahlen<br />

angegeben. In der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de gab es k<strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />

Landflucht; die Bevölkerung ist vielmehr stark<br />

bodenständig geblieben. Dem wirtschaftlichen<br />

Aufstieg folgte das Anheben der Grundausrüstung<br />

der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den.<br />

68<br />

GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />

In beiden Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den besteht <strong>e<strong>in</strong></strong> gutnachbarliches<br />

Zusammengehörigkeitsgefühl. In T<strong>in</strong>holt<br />

werden auf Gesellschaftsabenden geselliges<br />

Leben und Tradition gepflegt.<br />

Übersicht 1950<br />

Im Sammelband Landkreis Grafschaft Bentheim<br />

werden für 1950 folgende Daten gegeben:<br />

von den 1119 ha Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>defläche Kalle<br />

waren 584 LN (landwirtschaftliche Nutzflächen)<br />

mit <strong>e<strong>in</strong></strong>em E<strong>in</strong>heitswert von 696 Mark<br />

je Hektar, <strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt von 823 ha Fläche 587<br />

ha LN mit <strong>e<strong>in</strong></strong>em E<strong>in</strong>heitswert von 756 Mark.<br />

Die Bewohner waren <strong>in</strong> Kalle mit 81 Prozent,<br />

<strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt mit 83 Prozent <strong>in</strong> der Landwirtschaft<br />

beschäftigt, <strong>in</strong> Industrie und Handwerk<br />

waren <strong>in</strong> beiden <strong>Ort</strong>en je sieben Prozent, <strong>in</strong><br />

Handel und Verkehr je vier Prozent beschäftigt.<br />

Die LN bestand <strong>in</strong> Kalle zu 30 Prozent aus<br />

Ackerland, zu 69 Prozent aus Grünland, <strong>in</strong><br />

T<strong>in</strong>holt zu 24 Prozent aus Ackerland und zu<br />

75 Prozent aus Grünland. Das Ackerland<br />

nutzte man zu 65 Prozent mit Getreideanbau,<br />

zumeist Roggen, zu 30 Prozent mit Hackfrüchten.<br />

Die ausgedehnten Grünlandflächen<br />

erlauben <strong>e<strong>in</strong></strong>en beachtlichen Tierbestand. Die<br />

GVE (Großvieh<strong>e<strong>in</strong></strong>heit je 100 ha LN) ist für<br />

Kalle überdurchschnittlich mit 119 angegeben,<br />

für T<strong>in</strong>holt mit 110. Beide Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den s<strong>in</strong>d<br />

nach ihrer wirtschaftlichen Struktur r<strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />

bäuerliche Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den ohne größere gewerbliche<br />

Betriebe; <strong>in</strong> ihrem sozialen Gefüge überwiegen<br />

die Selbstständigen mit ihren mithelfenden<br />

Familienmitgliedern …<br />

Quellen<br />

Bleumer, Up mien Besseva sien Hoff, Grafschafter 1956<br />

Bode, Naturschutzgebiet Swartes Venn <strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt,<br />

Grafschafter 1959<br />

Edel, Von der Herrlichkeit Emlichheim, Jahrbuch 1953<br />

Emse, Wasserversorgung der Niedergrafschaft,<br />

Heimatkalender 1951<br />

Friedrich, Torfstichgerechtsame im Kirchspiel Uelsen,<br />

Grafschafter. 1959, Folge 75<br />

Friedrich, Porträt <strong>e<strong>in</strong></strong>er Landgem<strong>e<strong>in</strong></strong>de,<br />

Grafschafter Nachrichten 1960<br />

Frommeyer u. Lögters, Erpl u. Erdgas im Emsland,<br />

Jahrbuch 1960<br />

Jeur<strong>in</strong>k, Kalle, Bevölkerungspolitische Studie,<br />

Grafschafter Nachrichten 1941<br />

Klas<strong>in</strong>k, Moorkultivierung, Grafschafter 1955, Folge 26<br />

Sager, Die Grafschaft Bentheim <strong>in</strong> der Geschichte<br />

Specht, Heimatkunde <strong>e<strong>in</strong></strong>es Grenzkreises<br />

Voort, Heberegister von Bentheim, Jahrbuch 1972<br />

Der Landkreis Grafschaft Bentheim<br />

Zeitungsberichte der Grafschafter Nachrichten<br />

Weitere Angaben im Text


Kalle<br />

D<strong>in</strong>i Wortelen<br />

Farbige Postkarte Kalle, etwa um 1970 (D<strong>in</strong>i Wortelen)<br />

Gaststätte Hessel<strong>in</strong>k <strong>in</strong> Kalle<br />

Eigentümer: 1939–1978 Jan H<strong>in</strong>drik Soer<br />

(gest. 3. 2. 1975) und Frau Herm<strong>in</strong>e<br />

(gest.18.11.1982). 1939 wurde <strong>e<strong>in</strong></strong> Laden errichtet<br />

und ab 1954 gab es hier auch <strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />

Gaststätte.<br />

Betreiber:<br />

1954 bis 1956 Jan-H<strong>in</strong>drik Soer<br />

1956 bis 1964 Arthur R<strong>e<strong>in</strong></strong>hardt<br />

1964 bis 1974 Hermann Smitderk<br />

seit 1974 H<strong>e<strong>in</strong></strong>z Hessel<strong>in</strong>k<br />

und Alt<strong>in</strong>e geb. Nöst<br />

Bis 1976 wohnte Herm<strong>in</strong>e Soer noch <strong>in</strong> diesem<br />

Gebäude, danach lebte sie bis zu ihrem<br />

Tode bei ihrer Tochter Herta <strong>in</strong> Emlichheim.<br />

Um 1978 verkaufte Herm<strong>in</strong>e Soer das gesamte<br />

Gebäude an Familie Hessel<strong>in</strong>k. Hessel<strong>in</strong>k haben<br />

1984 zwei Kegelbahnen gebaut und 2002 den<br />

Laden geschlossen.<br />

Gasthaus Hessel<strong>in</strong>k seit 1939<br />

Herta Schreier geb. Soer aus Emlichheim (2007):<br />

Im Jahre 1939 hat Jan H<strong>in</strong>drik Soer mit s<strong>e<strong>in</strong></strong>er<br />

Frau Herm<strong>in</strong>e <strong>e<strong>in</strong></strong> kl<strong>e<strong>in</strong></strong>es Lebensmittelgeschäft<br />

<strong>in</strong> Kalle aufgemacht. Vorher hatte Soer<br />

Gastwirtschaft Hessel<strong>in</strong>k mit Kegelbahnen,<br />

Kalle 2008 (D<strong>in</strong>i Wortelen)<br />

69


2<br />

<strong>in</strong> Veld hausen und Haftenkamp s<strong>e<strong>in</strong></strong>e Kundschaft<br />

mit Pferd und Wagen aufgesucht. 1939<br />

zog er mit Frau und drei K<strong>in</strong>dern nach Kalle,<br />

wo er im bescheidenen Haus s<strong>e<strong>in</strong></strong> Geschäft<br />

hatte. Es gab nicht viel zu kaufen: Imi, Soda<br />

im Stück (zum Wäsche <strong>e<strong>in</strong></strong>weichen), Kandis,<br />

Zucker, Hefe (im Stück), Erbsen, vielleicht<br />

etwas Kaffee und Buismann zum Bräunen des<br />

Kaffees(!), Petroleum – das Fass durfte noch im<br />

Laden stehen (aber nur für die ersten Jahre).<br />

Das Geschäft lief schlecht, die Bauern waren<br />

Selbstversorger. E<strong>in</strong>gekauft wurde meistens mit<br />

Eiern, die <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong></strong>em Korb mit Häcksel gebracht<br />

wurden. Öfters blieb etwas Eiergeld über, dieses<br />

wurde dann ausgehändigt.<br />

Dann kamen 1940/41 die Lebensmittelmarken.<br />

Jeder bekam <strong>e<strong>in</strong></strong>e bestimmte Zuteilung an<br />

Lebensmitteln. Ich er<strong>in</strong>nere mich noch, dass<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>em Raucher 50 g. Tabak im Monat zugeteilt<br />

wurde! So kam es, dass viele Raucher Tabak<br />

angepflanzt haben. Es war zwar verboten<br />

Tabak zu züchten, doch er wurde versteckt im<br />

Kornfeld aufgezogen, bis er geerntet wurde.<br />

Dann wurden die unteren Blätter, die schon<br />

gelb waren, auf <strong>e<strong>in</strong></strong> Band aufgereiht und getrocknet<br />

und dann ganz f<strong>e<strong>in</strong></strong> geschnitten. Ob<br />

der geschmeckt hat?<br />

Samstagabends mussten die Lebensmittelmarken<br />

sortiert und auf Papier geklebt werden.<br />

Da wir k<strong>e<strong>in</strong></strong> Papier, aber wohl alte Zeitungen<br />

hatten, wurden die Marken mit angerührtem<br />

Mehl auf Zeitungen aufgepappt. (Woher den<br />

Kleber nehmen?). Dann wurde dieses nach Emlichheim<br />

zur Kontrolle gebracht. Oft waren die<br />

Marken abgefallen. Es war <strong>e<strong>in</strong></strong>e Tortour!!<br />

Inzwischen war das vierte K<strong>in</strong>d geboren.<br />

Damit wir alle satt wurden, hat Papa öfters <strong>e<strong>in</strong></strong><br />

paar Fische gefangen, die wurden gebraten und<br />

waren lecker!<br />

Papas Hobby waren die Bienen. Diese Bienenkörbe<br />

wurden im Sommer (bei Nacht) zur<br />

Heideblüte nach Wilsum gebracht. Im Herbst<br />

war dann die Ernte, Scheibenhonig erster<br />

Klasse und Vaters ganzer Stolz. Vor allen D<strong>in</strong>gen<br />

brachte der Honig etwas „Bares“ (Geld)!<br />

1954 wurde <strong>e<strong>in</strong></strong>e kl<strong>e<strong>in</strong></strong>e Kneipe aufgemacht.<br />

Bier wurde nur <strong>in</strong> Flaschen verkauft und wenig<br />

getrunken. Dafür schmeckte der Pannenborg<br />

sche Fusel um so besser. „Dat kaule Söpie“ war<br />

70<br />

GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />

für die Kunden <strong>e<strong>in</strong></strong> Hochgenuss! Auch diese<br />

Zeit hatte etwas Schönes!<br />

Unsere Flucht 1944/45<br />

quer durch Deutschland<br />

Von Hedwig Schepers geb. Liedtke<br />

Der 22. März 1945 war <strong>e<strong>in</strong></strong> wohltuender, angenehm<br />

friedlicher Vorfrühl<strong>in</strong>gstag <strong>in</strong> Kalle.<br />

Für uns, m<strong>e<strong>in</strong></strong>em Großvater (79 Jahre), m<strong>e<strong>in</strong></strong>er<br />

Mutter (52 Jahre), m<strong>e<strong>in</strong></strong>er Schwester (22<br />

Jahre) und m<strong>e<strong>in</strong></strong>em kl<strong>e<strong>in</strong></strong>en Bruder (8 Jahre)<br />

und mir (18 Jahre) bedeutete er das Ende der<br />

Flucht vom östlichsten Zipfel des untergehenden<br />

Dritten Reiches <strong>in</strong> den äußersten westlichen<br />

Zipfel, die Grafschaft Bentheim.<br />

Für uns alle bedeutete die Ankunft <strong>in</strong> Kalle<br />

die Ankunft <strong>in</strong> unserer zukünftigen Heimat<br />

und <strong>e<strong>in</strong></strong> neues Leben fern der Heimat Ostpreußen,<br />

die wir am 20. Oktober 1944 verlassen<br />

mussten.<br />

Wir waren k<strong>e<strong>in</strong></strong>e Gutsbesitzer, sondern<br />

wohnten als Familie <strong>e<strong>in</strong></strong>es Postschaffners <strong>in</strong> der<br />

Kreisstadt Gumb<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> der Meelbeckstraße<br />

20 zur Miete. Gumb<strong>in</strong>nen (heute Gusew), <strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />

Garnisonsstadt, war bis dah<strong>in</strong> weitestgehend<br />

von den Kriegsereignissen verschont geblieben.<br />

Mit dem Heranrücken der f<strong>e<strong>in</strong></strong>dlichen Armee<br />

wurde auch Gumb<strong>in</strong>nen Ziel von Angriffen.<br />

Familienfoto Liedtke vor 1934. Hedwig Schepers geb.<br />

Liedtke, Mutter Auguste, Bruder Bruno (gef. 30. Juni 42<br />

<strong>in</strong> Russland), Vater Karl und Schwester Lieselotte<br />

(Hedwig Schepers)


August 1944 umquartiert<br />

Diese Bedrohung führte dazu, dass bereits im<br />

August 1944 Frauen mit K<strong>in</strong>dern und alte<br />

Leute umquartiert wurden. M<strong>e<strong>in</strong></strong>e Mutter, m<strong>e<strong>in</strong></strong><br />

Opa und m<strong>e<strong>in</strong></strong> jüngerer Bruder kamen von<br />

Gumb<strong>in</strong>nen <strong>in</strong>s 120 Kilometer westlicher gelegene<br />

H<strong>e<strong>in</strong></strong>richsdorf am Frischen Haff auf<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>em Bauernhof unter.<br />

Ich befand mich <strong>in</strong> der Ausbildung zur Bürokauffrau<br />

bei <strong>e<strong>in</strong></strong>em Autoreparaturwerk und<br />

Vulkanisierbetrieb mit Tankstelle und arbeitete<br />

somit <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong></strong>em „kriegswichtigen Betrieb“.<br />

So blieb ich zunächst all<strong>e<strong>in</strong></strong> zurück, jedoch<br />

konnten wir uns noch gegenseitig besuchen.<br />

Am Montag, den 16. Oktober 1944, m<strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />

Mutter und m<strong>e<strong>in</strong></strong> kl<strong>e<strong>in</strong></strong>er Bruder waren zu<br />

Hause, um <strong>e<strong>in</strong></strong>ige Sachen abzuholen, gab es<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>en schweren Bombenangriff auf Gumb<strong>in</strong>nen.<br />

Unser Haus wurde an <strong>e<strong>in</strong></strong>er Seite getroffen. Es<br />

gab k<strong>e<strong>in</strong></strong>en Strom und k<strong>e<strong>in</strong></strong> Gas mehr. Dies und<br />

die weitere Bedrohung waren der Anlass dazu,<br />

dass am 20. Oktober 1944 der Räumungsbefehl<br />

für die gesamte Bevölkerung Gumb<strong>in</strong>nens erfolgte.<br />

Damit begann unsere Flucht.<br />

20. Oktober 1944 Erster Räumungsbefehl<br />

M<strong>e<strong>in</strong></strong>e Mutter, m<strong>e<strong>in</strong></strong> kl<strong>e<strong>in</strong></strong>er Bruder und ich<br />

liefen zu Fuß <strong>in</strong> Richtung Bahnhof und wurden<br />

von <strong>e<strong>in</strong></strong>em Militärlaster <strong>e<strong>in</strong></strong>gesammelt<br />

und zum Bahnhof nach Insterburg mitgenom -<br />

men. Aus dem abfahrbereiten Zug riefen<br />

Insassen uns zu, dass noch Platz sei. In Brauns -<br />

berg (Ostpreußen) stiegen wir um <strong>in</strong> die „Haffuferbahn“<br />

und erreichten noch am selben Tag<br />

Frauenburg. Hier verließen wir den Zug, um<br />

nach neun Kilometern Fußmarsch nach H<strong>e<strong>in</strong></strong>richsdorf<br />

zu m<strong>e<strong>in</strong></strong>em Opa zu kommen. Bis Dezember<br />

1944 konnten wir hier bleiben.<br />

Der nächste Räumungsbefehl beorderte<br />

uns nach Mühlhausen, von wo aus wir<br />

mit dem Zug zur Bahnstation Virchow <strong>in</strong> H<strong>in</strong>terpommern<br />

gelangten. Mit Pferdewagen wurden<br />

die Flüchtl<strong>in</strong>ge dort auf Bauernhöfen<br />

verteilt. Wir kamen bei <strong>e<strong>in</strong></strong>em Bauern <strong>in</strong><br />

Schönfeld unter.<br />

Weihnachten 1944 und den Jahreswechsel<br />

1944/1945 konnten wir hier verbr<strong>in</strong>gen,<br />

m<strong>e<strong>in</strong></strong>e ältere Schwester kam im Januar aus<br />

Königsberg zu uns.<br />

KALLE<br />

Im Zug – ohne Ziel<br />

Am 29. Januar 1945 kam der Bürgermeister<br />

von Schönfeld mit dem nächsten Räumungsbefehl.<br />

Wieder waren wir auf dem Bahnhof<br />

und wurden <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong></strong>en D-Zug verladen, ohne<br />

unser Ziel zu kennen. Der Zug fuhr – stand<br />

und fuhr für mehr als <strong>e<strong>in</strong></strong>e Woche, die Verpflegung<br />

bestand nur aus unserem Reiseproviant.<br />

Wir landeten schließlich <strong>in</strong> Lüdershagen<br />

<strong>in</strong> Vorpommern. In der Schule des <strong>Ort</strong>es wurden<br />

wir mit warmen Essen versorgt und<br />

schliefen auf Stroh. Nur <strong>e<strong>in</strong></strong>ige konnten <strong>in</strong><br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>em richtigen Bett schlafen. Zu Fuß mussten<br />

wir dann weiter nach Beiershagen. In <strong>e<strong>in</strong></strong>em<br />

Behelfsheim erhielten wir <strong>e<strong>in</strong></strong> Zimmer mit<br />

doppelstöckigen Betten und <strong>e<strong>in</strong></strong>er Kochstelle<br />

auf dem Flur. Bis zum 18. März 1945 durften<br />

wir hier bleiben, dann erreichte uns der vierte<br />

Räumungsbefehl. Wieder waren wir im Zug,<br />

<strong>in</strong> Güterwaggons, ohne unser Ziel zu kennen.<br />

Mit Unterbrechungen wegen Fliegeralarm<br />

und Beschuss durch Bordwaffen, kamen wir<br />

am 22. März 1945 ziemlich erschöpft und<br />

hungrig an die Endstation Hoogstede. Sieben<br />

Wochen vor Kriegsende waren wir den Wirren<br />

des Zweiten Weltkrieges den Umständen entsprechend<br />

mit Glück und relativer körper -<br />

licher Unversehrtheit entronnen.<br />

Endstation Hoogstede 22. März 1945<br />

In Hoogstede wurden wir mit Essen, Brot mit<br />

Butter und heißer Milch versorgt. Dann sollten<br />

wir aufgeteilt werden. Wir wollten gerne<br />

zusammenbleiben; Mama, Opa, m<strong>e<strong>in</strong></strong> Bruder,<br />

m<strong>e<strong>in</strong></strong>e Schwester und ich. So kamen wir am<br />

späten Nachmittag dieses Tages nach fünf<br />

Monaten Flucht aus dem ostpreußischen<br />

Gum b<strong>in</strong>nen an der Pissa auf den Hof der Familie<br />

Schepers <strong>in</strong> Kalle an der Vechte, mit den<br />

wenigen Habseligkeiten, die man während der<br />

letzten fünf Monate über verschiedene Stationen<br />

(immer blieb etwas zurück) mit den Händen<br />

tragen und retten konnte.<br />

Auf dem Hof Schepers<br />

Auf dem Hof Schepers wurde für uns auf dem<br />

Dachboden <strong>e<strong>in</strong></strong>e Schlafgelegenheit geschaffen.<br />

Wir schliefen auf Stroh, das von notdürftig<br />

zusammengenagelten Brettern gehalten wurde,<br />

71


2<br />

unter den nackten Dachziegeln. Lediglich m<strong>e<strong>in</strong></strong><br />

Großvater erhielt <strong>e<strong>in</strong></strong> eisernes Bettgestell. Als<br />

Wohn- und Kochgelegenheit diente das Wohnzimmer<br />

der Eheleute Gerhard und Johanna<br />

Schepers (geb. Breukelman).<br />

Auf dem Hof Schepers lebten zu der Zeit<br />

sechs Personen. E<strong>in</strong> russischer Kriegsgefangener<br />

arbeitete <strong>in</strong> der Landwirtschaft mit. Die<br />

Kriegsgefangenen, die auf verschiedenen<br />

Höfen tagsüber arbeiteten, waren <strong>in</strong> der alten<br />

Kaller Schule untergebracht.<br />

Durch Mithilfe bei den Arbeiten auf dem<br />

Hof verdienten wir unsere Unterkunft und<br />

Essen. Opa hackte Holz, Mama wusch Milchkannen<br />

und Wäsche. M<strong>e<strong>in</strong></strong>e Schwester half<br />

auch auf dem Hof und <strong>in</strong> der Küche im Gefangenenlager<br />

Bathorn.<br />

72<br />

GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />

Hedwig, Mutter Auguste und Bruder Gerhard Liedtke vor<br />

dem Haus Schepers, um 1948. (Schepers)<br />

E<strong>in</strong>kaufen, Schule und <strong>Kirche</strong><br />

Es war schon <strong>e<strong>in</strong></strong> großer Unterschied, zwischen<br />

der Kreisstadt Gumb<strong>in</strong>nen und der Landgem<strong>e<strong>in</strong></strong>de<br />

Kalle. In Kalle gab es <strong>e<strong>in</strong></strong>en <strong>e<strong>in</strong></strong>zigen<br />

kl<strong>e<strong>in</strong></strong>en Laden, das Geschäft „Soer“ (heute Gaststätte<br />

Hessel<strong>in</strong>k) an der Wegekreuzung Hoogstede-Wilsum.<br />

Um nach Hoogstede zu kommen,<br />

mussten wir entweder über den kl<strong>e<strong>in</strong></strong>en Vechtesteg<br />

nach <strong>Arkel</strong> oder über die Holzbrücke <strong>in</strong><br />

T<strong>in</strong>holt gehen. Es gab k<strong>e<strong>in</strong></strong>e befestigten Wege<br />

und nur teilweise elektrisches Licht. Auch die<br />

Umgangssprache „plattdeutsch“ war für uns<br />

fremd und führte zu <strong>e<strong>in</strong></strong>igen „Verständigungsschwierigkeiten“.<br />

M<strong>e<strong>in</strong></strong> Bruder musste <strong>in</strong> Kalle zur Schule<br />

gehen. Lehrer war zu der Zeit <strong>e<strong>in</strong></strong> Herr Kor<strong>in</strong>g<br />

und s<strong>e<strong>in</strong></strong>e Tochter Marga war Schulhelfer<strong>in</strong>.<br />

Erst nach Kriegsende fiel für <strong>e<strong>in</strong></strong> halbes Jahr<br />

die Schule aus und begann am 28. August<br />

1945 erneut unter der Lehrer<strong>in</strong> Ilse Hartmann.<br />

Frl. Hartmann war wie wir lutherisch. Sonntags<br />

g<strong>in</strong>gen wir oft gem<strong>e<strong>in</strong></strong>sam zu Fuß zu den<br />

Gottesdiensten, die <strong>in</strong> der reformierten <strong>Kirche</strong><br />

<strong>in</strong> Hoogstede für „Lutheraner“ von Pastor Nitsche<br />

gehalten wurden.<br />

Haushalt, Landwirtschaft und Moor<br />

Ich selbst arbeitete nach kurzer Zeit als Haushaltshilfe<br />

bei der Familie van Faaßen (Cous<strong>in</strong><br />

der Familie Schepers) im Kaller Feld (heute<br />

Hof H<strong>in</strong>drik Speet). Im Kaller Feld gab es k<strong>e<strong>in</strong></strong><br />

elektrisches Licht und wie <strong>in</strong> ganz Kalle gab es<br />

nur Sandwege, Heide und Feuchtwiesen. Jeden<br />

Tag b<strong>in</strong> ich zu Fuß dorth<strong>in</strong> gegangen, morgens<br />

h<strong>in</strong> und abends zurück. Neben allgem<strong>e<strong>in</strong></strong>er<br />

Hausarbeit und Feldarbeit wurde im<br />

Frühsommer im Bathorner Moor Torf gestochen.<br />

Mit dem Fahrrad (ab und zu mit Pferd<br />

und Wagen) fuhren wir <strong>in</strong>s Moor. Als Verpflegung<br />

gab es Pfannkuchen, Eier, Brot und<br />

Speck. Der Weg führte über die Holzbrücke<br />

von T<strong>in</strong>holt nach Hoogstede und dann über<br />

Sandwege bis <strong>in</strong>s Moor bei Bathorn.<br />

Langsam normalisierte sich das Leben und<br />

wir gewöhnten uns an unsere neue Heimat.<br />

Dazu gehörte, dass die provisorische Bleibe<br />

ausgebaut wurde und nach und nach D<strong>in</strong>ge<br />

des täglichen Bedarfs angeschafft wurden. E<strong>in</strong><br />

großer Verlust war der Tod m<strong>e<strong>in</strong></strong>es Opas im


Februar 1947. Ebenfalls 1947 heiratete m<strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />

Schwester ihren ostpreußischen Verlobten, der<br />

1946 aus der Kriegsgefangenschaft zurückkam,<br />

<strong>in</strong> der reformierten <strong>Kirche</strong> <strong>in</strong> Hoogstede<br />

und zog dann nach Osnabrück. M<strong>e<strong>in</strong></strong>e Mutter<br />

und m<strong>e<strong>in</strong></strong> Bruder wohnten bis 1961 bei der<br />

Familie Schepers. M<strong>e<strong>in</strong></strong> Bruder heiratete 1961<br />

und zog nach Hoogstede. Er nahm m<strong>e<strong>in</strong></strong>e Mutter<br />

mit, die bis zu ihrem Tod 1962 bei ihm lebte.<br />

1950er Jahre<br />

Bis 1950 war ich bei der Familie van Faaßen<br />

im Haushalt, den ich nach dem Tod der Ehefrau<br />

und Mutter 1947 bis zu s<strong>e<strong>in</strong></strong>er erneuten<br />

Heirat führte. Danach arbeitete ich im Kaufhaus<br />

Fühner <strong>in</strong> Emlichheim als Verkäufer<strong>in</strong>.<br />

Im Mai 1954 wurde ich die Ehefrau von Gerrit<br />

Jan Schepers, dem jüngsten Sohn der Familie<br />

Schepers, die uns nach der Flucht<br />

aufgenommen hatte. Unseren eigenen Hausstand<br />

gründeten wir <strong>in</strong> unserem neuen Haus<br />

ebenfalls <strong>in</strong> Kalle. Seitdem gehöre ich zur alt -<br />

reformierten <strong>Kirche</strong> <strong>in</strong> Hoogstede und habe<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>en festen Platz <strong>in</strong> m<strong>e<strong>in</strong></strong>er neuen Heimat gefunden.<br />

Heimatvertriebene <strong>in</strong> Kalle nach 1945<br />

Von Hedwig Schepers, Herbert Ens<strong>in</strong>k<br />

und D<strong>in</strong>i Wortelen<br />

1. Ehepaar Neumann aus Ostpreußen<br />

wohnten <strong>in</strong> der alten Schule mit Tochter<br />

(verheiratet Gnass) mit Mann, Edith und<br />

Erw<strong>in</strong>,<br />

2. Ehepaar Lendzian wohnten bei Lobbel<br />

2 Söhne Walter und Otto wohnten<br />

<strong>in</strong> der neuen Schule,<br />

3. Frau Anna Grotzky und Mann mit Sohn<br />

Günter wohnten zuerst bei Wortelen <strong>in</strong><br />

Bahne, dann bei Hermann Wortelen, Kalle,<br />

4. Frau Hagel mit 3 Söhnen und 1 Tochter<br />

wohnten bei Albers, heute Hof Baumann,<br />

5. Frau Anna Markst<strong>e<strong>in</strong></strong>er und Rudolf<br />

Pf(F)eiler wohnten bei Kl<strong>e<strong>in</strong></strong>e-Lambers,<br />

heute Hilber<strong>in</strong>k,<br />

6. Frau Bleihöfer und Tochter Magda<br />

(Tochter – als Aushilfe bei<br />

Hermann Wortelen) wohnten<br />

bei Lübbers (heute Meyer<strong>in</strong>k),<br />

KALLE<br />

17. Herr Herbert Fleischmann und Herr<br />

Werner Lorenz wohnten erst bei Bauer<br />

G. J. Groene, danach <strong>in</strong> der alten Schule<br />

(Nachfolger von Ehepaar Neumann),<br />

18. Frau Lydia Hegenbarth wohnte bei<br />

H.-J. Groene, heute Arends Koppeldiek,<br />

19. Frau Samuleit und Sohn Rudi<br />

wohnten bei Heckhuis,<br />

10. Frau Schwarz mit 2 Söhnen, danach<br />

Ehepaar Derjung mit Sohn, Tochter war<br />

bei Heckmann, anschließend Frau Vera<br />

Pilz aus Polen (gehörte zu den Jehovas<br />

Zeugen), wohnten bei Speet, Bahne,<br />

11. Frau Selma Nickel und Mann mit Sohn<br />

Erw<strong>in</strong> und Tochter Erika<br />

Vor Nickel war <strong>e<strong>in</strong></strong>e Mutter mit Tochter<br />

Grete da, (Name ist unbekannt), wohnten<br />

bei Geers, Bahne (Erw<strong>in</strong> war lange Zeit<br />

B-Soldat bei Geers),<br />

12. Frau Helene Maurieschat und Tochter<br />

Maria (kamen 1945), wohnten bei Dietrich<br />

Plasger. Die Tochter war schon bei<br />

ihrer Ankunft schwer an Krebs erkrankt<br />

und starb nach sechs Wochen. Sie wurde<br />

<strong>in</strong> Emlichheim beigesetzt. Später zog<br />

Helene zu ihren Töchtern <strong>in</strong>s Ruhrgebiet.<br />

13. Herr Willi Kesselhut<br />

wohnte bei Lübbers (heute Meyer<strong>in</strong>k)<br />

und war als B-Soldat <strong>e<strong>in</strong></strong>gesetzt.<br />

Später folgten s<strong>e<strong>in</strong></strong>e Eltern Karl<br />

und M<strong>in</strong>na Kesselhut mit Sohn Erich.<br />

Nach <strong>e<strong>in</strong></strong>igen Monaten zogen sie<br />

<strong>in</strong> die Emlichheimer Weusten,<br />

wo M<strong>in</strong>na als Haushälter<strong>in</strong><br />

bei Familie Koers arbeitete.<br />

13. Familie Hoffmann<br />

wohnte bei G.J. Groene,<br />

und 2 Söhne (Herbert und Friedel)<br />

wohnten bei Jan-Harm Teunis.<br />

14. Frau Rudat und Sohn (der Mann<br />

war bei der Regierung <strong>in</strong> Osnabrück<br />

beschäftigt) wohnten bei G.J. Groene.<br />

Sie zogen 1947 nach Osnabrück.<br />

15. Frau Auguste Liedtke<br />

mit Sohn Gerhard<br />

und 2 Töchter Lieselotte<br />

und Hedwig (heute Schepers)<br />

und Opa Liedtke,<br />

wohnten bei Gerhard Schepers.<br />

73


2<br />

Die Gründung<br />

der Kaller Siedlung um 1950<br />

D<strong>in</strong>i Wortelen<br />

Über fast die ganze spätere Kaller Siedlung erstreckte<br />

sich bis 1950 <strong>e<strong>in</strong></strong>e öde Landschaft mit<br />

viel Heide und wildem Gras. Das Moor war<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>en halben bis <strong>e<strong>in</strong></strong>en Meter tief und von <strong>e<strong>in</strong></strong>zelnen<br />

gefährlichen Moorkuhlen durchzogen.<br />

Bis <strong>in</strong> die 1930er und 1940er Jahre kamen<br />

Menschen aus den umliegenden <strong>Ort</strong>schaften<br />

Kalle, T<strong>in</strong>holt, Wilsum und Haftenkamp hierher,<br />

um Grassoden (Plaggen) zu stechen. K<strong>in</strong>der<br />

mussten die Soden umlegen, damit sie<br />

trockneten. Diese Soden wurden anstelle von<br />

Stroh <strong>in</strong> die Viehställe <strong>e<strong>in</strong></strong>gebracht. Von dort<br />

aus wanderten sie als Dünger auf den Acker,<br />

die Esche oder Kämpe. Sie s<strong>in</strong>d durch diese<br />

Art der Düngung im Laufe der Jahrhunderte<br />

immer höher geworden.<br />

In der späteren Kaller Siedlung weideten<br />

früher die Schafe der umliegenden Höfe <strong>in</strong> der<br />

Heide unter Aufsicht der Schäfer. E<strong>in</strong>ige Heideflächen<br />

waren das Koffiegat, das Teegat, das<br />

Plaggengat, Egbers Venne oder der Fettpott.<br />

Kl<strong>e<strong>in</strong></strong>e Flächen dieses Gebietes gehörten<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>zelnen Landwirten, der größte Teil war<br />

Markengrund (also allgem<strong>e<strong>in</strong></strong>er Besitz der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de)<br />

oder später Staatseigentum.<br />

74<br />

GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />

Um 1950 wurde das Ödland kultiviert. E<strong>in</strong><br />

Ottomeyer-Pflug pflügte den Boden bis zu<br />

zwei Meter tief um. Der Pflug wurde zwischen<br />

zwei Dampfmasch<strong>in</strong>en (Lokomotiven) mit<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>em Drahtseil von <strong>e<strong>in</strong></strong>em Ende des Feldes<br />

zum anderen gezogen.<br />

1950/51 legte man Wege und Entwässerungsgräben<br />

an. E<strong>in</strong>- bis <strong>e<strong>in</strong></strong><strong>e<strong>in</strong></strong>halb Meter<br />

Moor musste zuerst mit der Schaufel abgegraben<br />

und auf Loren abtransportiert werden.<br />

Die Gräben wurden teils im Akkord ausgehoben.<br />

E<strong>in</strong> Teilstück wurde morgens abgesteckt;<br />

wenn es fertig war, hatte man s<strong>e<strong>in</strong></strong>en Lohn<br />

verdient. E<strong>in</strong>e Arbeitswoche zählte 48 Stunden.<br />

Diese Arbeiten führten die Firmen Schneider,<br />

Schoemaker und Holzmann aus.<br />

Es wurde bekannt, dass <strong>in</strong> Kalle neue Siedlerstellen<br />

errichtet werden sollten. Interessenten<br />

konnten sich beim Kulturamt <strong>in</strong> Meppen<br />

bei <strong>e<strong>in</strong></strong>em Dr. Schulte melden und bewerben.<br />

Der sah sich die „Bewerberhöfe“ an, was sie<br />

an Vieh und Masch<strong>in</strong>en hatten, und ob sie für<br />

die bereits errichteten Siedlerstellen geeignet<br />

wären. Familie Voß erhielt am 22. Mai 1954,<br />

genau am 50. Hochzeitstag der Eltern, <strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />

Zusage. Sie zog am 17. Juni 1954 <strong>in</strong> ihr neues<br />

Haus <strong>e<strong>in</strong></strong>.<br />

Ottomeyerpflug (Aus „Alt-Hoogstede“)


Hof Büter <strong>in</strong> Kalle<br />

um 1960 mit sieben<br />

Getreidemieten<br />

(Günter Büter)<br />

Der Hof Vos <strong>in</strong> der Kaller Siedlung um 1955/56 (D<strong>in</strong>i Wortelen)<br />

1953 war schon <strong>e<strong>in</strong></strong>e ganze Reihe von<br />

Siedlerstellen fertig. Breman, Koschnik, Robbert,<br />

Roseman, Teunis und Wegert zogen 1953<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>. 1954 folgten sieben weitere Familien: Baggert<br />

(heute Magritz), Büter, Esschendal, Herms,<br />

Rex (heute Wehner), ter Horst und Voß.<br />

1955 kamen schließlich die Höfe Bergmann,<br />

Dünow und van Faassen (heute Arends) und die<br />

Kl<strong>e<strong>in</strong></strong>siedlerstelle Wever (heute Germs) dazu.<br />

Wever arbeitete beim Kulturamt Meppen, das<br />

zu diesem Zeitpunkt <strong>e<strong>in</strong></strong>e Nebenstelle auf dem<br />

Hof von Hilse errichtet hatte, damals noch Jansen.<br />

Dr. Schulte hatte hier auch s<strong>e<strong>in</strong></strong> Büro.<br />

Die Landwirte, die <strong>e<strong>in</strong></strong>e Zusage hatten,<br />

konnten <strong>in</strong> fertige Häuser <strong>e<strong>in</strong></strong>ziehen. Die kul-<br />

KALLE<br />

tivierten Flächen waren schon mit Gras, Kartoffeln<br />

und Getreide bestellt. Jeder Siedler<br />

bekam die gleiche Flächengröße von jeder<br />

Frucht zugeteilt. Die Siedler mussten vom E<strong>in</strong>zug<br />

an jedes Jahr <strong>e<strong>in</strong></strong>en kl<strong>e<strong>in</strong></strong>en Betrag an das<br />

Kulturamt Meppen entrichten, sodass die<br />

Stelle im Laufe der Zeit Eigentum werden<br />

konnte. Um 1961 wurden die Sandwege <strong>in</strong> der<br />

Kaller Siedlung zu Straßen ausgebaut.<br />

In der Kaller Siedlung entspr<strong>in</strong>gt der Radewijker<br />

Bach, der die Siedlung entwässert. Er<br />

fließt durch Wilsum, Wielen und danach weiter<br />

durch Radewijk <strong>in</strong> den Niederlanden. Er<br />

mündet <strong>in</strong> die Vechte.<br />

75


2<br />

Der Vechtesteg Kalle-<strong>Arkel</strong><br />

(etwa 1946 bis 1961)<br />

Von D<strong>in</strong>i Wortelen<br />

Früher – kaum jemand war damals motorisiert –<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong> Steg von Kalle nach <strong>Arkel</strong> führt;<br />

nicht aus Beton, sondern aus dicken Eichenbrettern.<br />

H<strong>in</strong>überzugehen glich mehr <strong>e<strong>in</strong></strong>em Klettern.<br />

Der Steg bedeutete den Menschen viel,<br />

suchten sie am anderen Ufer der Vechte ihr Ziel.<br />

Hatte man Glück, gab es <strong>e<strong>in</strong></strong> Fahrrad im Haus,<br />

sonst g<strong>in</strong>g man zu Fuß <strong>in</strong> Klumpen h<strong>in</strong>aus.<br />

Der Steg war nicht wirklich sehr breit.<br />

Man g<strong>in</strong>g h<strong>in</strong>ter<strong>e<strong>in</strong></strong>ander, nicht zu zweit.<br />

E<strong>in</strong>seitig ’ne Latte – mehr gab es nicht,<br />

das reichte den meisten fürs Gleichgewicht.<br />

Durch die Vechte verlief die Furt neben dem Steg<br />

für Pferdegespanne – <strong>e<strong>in</strong></strong> beschwerlicher Weg.<br />

Fröhliche K<strong>in</strong>der spielten sommers im Fluss.<br />

Heute fährt man kilometerweit mit dem Autobus.<br />

Flussabwärts bei Bahne – von <strong>Arkel</strong> nicht weit,<br />

gab’s noch <strong>e<strong>in</strong></strong>en Steg; so sparte man Zeit,<br />

den Weg nach <strong>Arkel</strong> und R<strong>in</strong>ge zu geh’n.<br />

Nur leider war es sehr unbequem.<br />

Vor fünfzig Jahren dann <strong>e<strong>in</strong></strong>e richtige Brücke<br />

für Kalle – bei Bahne schloss sich viel später die Lücke.<br />

Von vielen Radfahrern wird die dort benutzt;<br />

aber Autofahrer halten verdutzt.<br />

Hier heißt es für sie: Rückwärtsgang r<strong>e<strong>in</strong></strong>!<br />

Drüberfahren darf nicht s<strong>e<strong>in</strong></strong>!<br />

76<br />

GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />

Oben und unten:<br />

Vechtesteg Kalle-<strong>Arkel</strong>, 1956 (Gerrit Ranft)<br />

Neue Fahrradbrücke bei Bahne,<br />

seit 1999 (Jan H<strong>in</strong>drik Teunis)


Straßenbau<br />

Von D<strong>in</strong>i Wortelen<br />

Wasserfreie Straße beantragt <strong>in</strong> 1931<br />

E<strong>in</strong>gabe der E<strong>in</strong>wohner von <strong>Arkel</strong><br />

„Wir Unterzeichneten haben im W<strong>in</strong>ter überaus<br />

schlechte Wegeverhältnisse. Bei <strong>e<strong>in</strong></strong>er<br />

ger<strong>in</strong>gen Überschwemmung steht unser Hauptweg<br />

unter Wasser, und <strong>Arkel</strong> ist <strong>e<strong>in</strong></strong>er Insel<br />

gleich. Hier haben wir zur Zeit sieben schulpflichtige<br />

K<strong>in</strong>der, die dann oft wochenlang mit<br />

dem Fuhrwerk durchgefahren werden müssen.<br />

In Krankheitsfällen kann dann kaum <strong>e<strong>in</strong></strong> Arzt<br />

nach hier kommen. Bei mäßigem Frost, wenn<br />

das Eis nicht hält, und der Weg auch mit<br />

Führwerk nicht passiert werden kann, ist es<br />

schon vorgekommen, daß K<strong>in</strong>der auf dem<br />

Bahndam zur Taufe getragen wurden. Die Eltern<br />

mussten sich also nicht nur der Strafe,<br />

sondern auch der Gefahr aussetzen. Sollte <strong>in</strong><br />

solcher Zeit <strong>e<strong>in</strong></strong>e Beerdigung stattf<strong>in</strong>den müssen,<br />

so wären wir <strong>in</strong> größter Ver-legenheit. An<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>e Milchlieferung an die Molkerei im W<strong>in</strong>ter<br />

ist nicht zu denken. Auch hat der Handel<br />

viel darunter zu leiden, da oft <strong>e<strong>in</strong></strong> Viehtransport<br />

unmöglich ist und die Händler dann zurück<br />

bleiben müssen. Selbst der Schornst<strong>e<strong>in</strong></strong>feger<br />

hat das vorige Mal nicht fegen können,<br />

weil der Weg nicht passierbar war. Ähnliche<br />

Fälle könnten wir wohl viele anführen. Früher<br />

konnten wir per Kahn Hoogstede erreichen,<br />

das ist jetzt unmöglich, da die Wiesen<br />

mit Stacheldraht durchzogen s<strong>in</strong>d.<br />

Von seiten der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de ist schon viel zur<br />

L<strong>in</strong>derung der Not geschehen, aber es bleibt<br />

dieselbe Lage. Da wohl kaum <strong>e<strong>in</strong></strong> <strong>Ort</strong> der ganzen<br />

Grafschaft so schlechte Wegeverhältnisse<br />

hat, erlauben wir uns, <strong>e<strong>in</strong></strong>e wasserfreie Straße<br />

zu beantragen.<br />

<strong>Arkel</strong>, den 21. März 1931<br />

gez. J. Jeur<strong>in</strong>k, J. Scholten,<br />

G.J. Scholten, J.W. Warmer“<br />

Aus <strong>e<strong>in</strong></strong>er „Denkschrift über die Verkehrsverhältnisse im<br />

Kreise Grafschaft Bentheim, herausgegeben vom Ausschuß<br />

für Verbesserung und Neuanlegung von Straßen und Wegen<br />

<strong>in</strong> der Grafschaft Bentheim“.<br />

Als Manuskript gedruckt, Nordhorn, August 1931.<br />

KALLE<br />

Die Straße nach <strong>Arkel</strong> steht auch heute ab und zu<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>mal unter Wasser (Johann Kemkers)<br />

Alte Vechtetalstraße 1951/53<br />

1951 plante der Kreis <strong>e<strong>in</strong></strong>e Straßenverb<strong>in</strong>dung<br />

von Emlichheim über Kalle und T<strong>in</strong>holt nach<br />

Haftenkamp und Neuenhaus. Abschnittweise<br />

wurden diese Arbeiten ausgeführt. Etwa zwei<br />

Kilometer wurden von Emlichheim aus über<br />

Oever<strong>in</strong>gen ausgebaut. E<strong>in</strong> Herr Pikkemaat<br />

aus Nordhorn, der die Jagdpacht hatte, lieferte<br />

das Material, große Sandst<strong>e<strong>in</strong></strong>brocken, für den<br />

Unterboden für die erste Befestigung. Die<br />

Landwirte aus Kalle haben dieses Material<br />

verarbeitet.<br />

Man hoffte, dass man mit weiterer Unterstützung<br />

des Kreises die Straße wenigstens bis<br />

zur <strong>Ort</strong>smitte von Kalle weiterbauen könne,<br />

um dadurch <strong>e<strong>in</strong></strong>en Anschluss an die geplante<br />

Straße von Wilsum nach Hoogstede zu bekommen.<br />

Der Straßenbau Emlichheim–Kalle wurde<br />

erst 1953 wieder <strong>in</strong> Angriff genommen. Für<br />

etwa zwei Kilometer wurden die erforderlichen<br />

Mittel durch Darlehen bereitgestellt, so<br />

dass die Straße Ende 1953 bis <strong>in</strong> die Nähe der<br />

Schule ausgebaut war. 1954 wurde die Verb<strong>in</strong>dungEmlichheim–Kalle–T<strong>in</strong>holt–Haftenkamp–Neuenhaus<br />

ganz fertig.<br />

Wilsumer Straße 1952–1957<br />

Die Straße Wilsum–Hoogstede ist 1952 bis<br />

nach Kalle gebaut worden, und zwar bis zur<br />

Gaststätte Hessel<strong>in</strong>k, damals Soer.<br />

Der weitere Verlauf musste nun erst<br />

beschlossen werden. Die Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de T<strong>in</strong>holt<br />

wünschte die Weiterführung durch T<strong>in</strong>holt, um<br />

<strong>in</strong> den Genuss <strong>e<strong>in</strong></strong>er Straße zu kommen und<br />

77


2<br />

von dem kostspieligen Unterhalt der Vechtebrücke<br />

befreit zu werden. Bei diesem Plan<br />

ergaben sich aber Schwierigkeiten. Das Kulturamt<br />

Meppen wünschte <strong>e<strong>in</strong></strong>e Weiterführung<br />

gradl<strong>in</strong>ig über den „Kaller Mäss“ <strong>in</strong> Richtung<br />

Hoogstede, um dort die Verb<strong>in</strong>dung mit der bereits<br />

ausgebauten Betonstraße durch das Bourtanger<br />

Moor zu erhalten.<br />

Schwierigkeiten im Straßenbau ergaben sich<br />

<strong>in</strong> Hoogstede mit der Bentheimer Eisenbahn.<br />

Sie ließ k<strong>e<strong>in</strong></strong>en neuen Bahnübergang zu, solange<br />

die Sicherheit nicht gewährleistet sei. Besichtigungen,<br />

Verhandlungen im Kreistag und<br />

mit der Bentheimer Eisenbahn lösten <strong>e<strong>in</strong></strong>ander<br />

im Frühjahr 1955 ab. Die Weiterführung von<br />

Kalle <strong>in</strong> Richtung Hoogstede wurde beschlossen.<br />

Die Firma Holzmann bekam den Zuschlag.<br />

In wenigen Monaten waren der Fahrdamm teilweise<br />

bis zu drei oder vier Meter aufgefahren,<br />

die Vechte im Bereich der Brücke reguliert<br />

sowie Brücke und die Betonstraße fertiggestellt.<br />

Nur <strong>e<strong>in</strong></strong> Sanddamm von etwa 800 Meter Länge<br />

war noch nicht gepflastert, da sich der Boden<br />

erst setzen musste.<br />

Am 16. Dezember 55 wurde die neue Brücke<br />

dem Verkehr übergeben. Regierungspräsident<br />

N. Friemann zerschnitt das Band. Vertreter des<br />

78<br />

GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />

September 1955, vor der Vechtebrücke <strong>in</strong> Kalle (Willy Friedrich)<br />

Wasserwirtschaftsamtes Meppen, des Kreises<br />

und der Firma Holzmann, die Arbeiter und<br />

E<strong>in</strong>wohner von Kalle und T<strong>in</strong>holt hatten sich<br />

an der neuen Brücke <strong>e<strong>in</strong></strong>gefunden. Die K<strong>in</strong>der<br />

der Schulen Hoogstede und Kalle gaben mit<br />

Liedern und Gedichten der Stunde <strong>e<strong>in</strong></strong>en feierlichen<br />

Rahmen.<br />

Noch h<strong>in</strong>derte der Sanddamm den Durchgangsverkehr,<br />

noch war die Bl<strong>in</strong>klichtanlage<br />

nicht fertiggestellt und der Bahnübergang<br />

nicht freigegeben; aber für die Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Kalle<br />

bildeten Brücke, Damm und Straße schon <strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />

wesentliche Verbesserung. Die Querverb<strong>in</strong>dung<br />

nach Hoogstede war geschaffen. Hochwasser<br />

und Schlamm würden den Bewohnern<br />

k<strong>e<strong>in</strong></strong>e Sorgen mehr bereiten wie vorher.<br />

Im Frühjahr 1956 wurden die Arbeiten an<br />

der Betonstraße Wilsum–Hoogstede wieder<br />

aufgenommen. Der Sanddamm erhielt <strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />

Betondecke. Am 05. September 1956 war die<br />

Straße fertig. Man rechnete mit <strong>e<strong>in</strong></strong>er schnellen<br />

Freigabe der Querverb<strong>in</strong>dung. Landkreis<br />

und Kreis bahn wurden sich nicht <strong>e<strong>in</strong></strong>ig über<br />

die Über- nahme der Kosten bei möglichen<br />

Verkehrsunfällen und <strong>e<strong>in</strong></strong>er eventuellen Beschrankung,<br />

falls die Straße <strong>e<strong>in</strong></strong>mal <strong>e<strong>in</strong></strong>e Bundesstraße<br />

würde.


Die Bevölkerung wurde ungeduldig und<br />

überlegte schon, Maßnahmen zu ergreifen.<br />

Das „heikle“ Problem der Bahnkreuzung löste<br />

sich überraschend: Am 12. Februar 1957<br />

setzte die Kreisbahn die Bl<strong>in</strong>klichtanlage <strong>in</strong><br />

KALLE<br />

E<strong>in</strong>weihung Vechtebrücke Kalle 1955. L<strong>in</strong>ks dirigiert Lehrer Schlötel, rechts mit Hut Lehrer Friedrich Wüppen. (Willy Friedrich)<br />

Abbildung 50 September 1955 beim Bau der<br />

neuen Brücke <strong>in</strong> Kalle (Willy Friedrich)<br />

Betrieb. Niemand erfuhr, warum das plötzlich<br />

möglich war. Ohne „feierliche“ Übergabe<br />

wurde die Straße freigegeben. In den Monaten<br />

zuvor hatten die Kaller schon die Straße und<br />

den Bahnübergang beim Hof Stroot benutzt.<br />

Regierungspräsident N. Friemann zerschnitt<br />

das Band. (Willy Friedrich)<br />

79


2<br />

Franzosendiek 1965–1966<br />

Im Sommer 1965 wurde <strong>e<strong>in</strong></strong> Teilstück des<br />

Franzosendieks von Emlichheim bis Kalle<br />

(H<strong>e<strong>in</strong></strong> Wortelen) bereits fertiggestellt. Im Jahr<br />

1966 s<strong>in</strong>d die Mittel für den zweiten Bauabschnitt<br />

bewilligt und der Firma Kwade,<br />

Groß-R<strong>in</strong>ge, die Arbeiten übertragen worden.<br />

Schwierigkeiten bot die Kreuzung mit der Betonstraße<br />

Hoogstede–Wilsum. Man dachte zuerst<br />

an <strong>e<strong>in</strong></strong>e Über- oder Unterführung, nahm<br />

da von jedoch wieder Abstand. Es entstand nun<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>e „übersichtliche, geräumige Kreuzung“. Bis<br />

zum Jahresende 1966 war die Straße als Pflas -<br />

terst<strong>e<strong>in</strong></strong>straße fertiggestellt. An der Kreuzung<br />

hat es <strong>in</strong> den späteren Jahren viele Todesopfer<br />

gegeben. Sie war bekannt als „Todeskreuzung“.<br />

Erst der vor wenigen Jahren gebaute<br />

Kreisverkehr hat hier Abhilfe geschaffen.<br />

Hochwasser 1960/61<br />

Im Dezember 1960 gab es <strong>e<strong>in</strong></strong>e allgem<strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />

Hochwasserkatastrophe. Nach der großen<br />

Dürre im Sommer 1959 und dem Wassermangel<br />

im Frühjahr 1960 glaubten viele nicht<br />

mehr an <strong>e<strong>in</strong></strong> Hochwasser. Die letzte Hochwasserkatastrophe<br />

von 1946 war nur noch wenigen<br />

<strong>in</strong> Er<strong>in</strong>nerung.<br />

Durch heftige Regenfälle stieg das Grundwasser<br />

schnell, die Vechte erhielt rasch große<br />

Wassermengen zugeführt und trat über ihre<br />

80<br />

GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />

Ufer. Gewaltige Wassermassen drangen von<br />

Neuenhaus und Esche nordwärts. Am 6. Dezember<br />

1960 brachen die Dämme <strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt.<br />

Unaufhaltsam drängten die Fluten vorwärts.<br />

Am 8. Dezember 60 brach auch <strong>in</strong> Kalle der<br />

Damm. Die Straße unterhalb der Schule <strong>in</strong><br />

Richtung Emlichheim stand unter Wasser. Nur<br />

wenige K<strong>in</strong>der kamen morgens zur Schule. E<strong>in</strong>ige<br />

mussten sofort wieder zurückgeschickt<br />

werden, damit sie nicht durch die Wassermassen<br />

von zu Hause abgeschnitten würden. Lehrer<br />

und K<strong>in</strong>der beteiligten sich am Aufwerfen<br />

von Dämmen. Vormittags konnte die Flut gehemmt<br />

werden, nachmittags brachen die neuen<br />

Dämme und das Wasser drang weiter vor. Die<br />

Häuser lagen wie Inseln im Wasser und mussten<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>zeln durch Dämme geschützt werden.<br />

Zum Glück setzte gutes Wetter <strong>e<strong>in</strong></strong>, sodass<br />

die Fluten anschließend rasch wieder abzogen.<br />

Mit solch <strong>e<strong>in</strong></strong>er Hochwasserkatastrophe hatte<br />

niemand gerechnet. Kartoffelmieten und Roggendiemen<br />

waren <strong>in</strong> der Nähe der Häuser an<br />

niedrigen Stellen errichtet. Der Schaden war<br />

umso größer. „Doar häw moal weer good<br />

Leergäld gewen“, seggt de Buren, „up`t anner<br />

Joar weet wij wall wär, woor wij unse Mieten<br />

maaken mött!!“<br />

Hochwasser <strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt 1962, Milchkannentransport<br />

(D<strong>in</strong>i Wortelen)


Vechteregulierung<br />

1961 (Hilde<br />

Neuw<strong>in</strong>ger)<br />

Vechteregulierung 1961–1963<br />

Die Kreisverwaltung nahm danach die Vechteregulierung<br />

<strong>in</strong> Angriff. Die Hochwasserkatastrophe<br />

im Frühjahr 1961 hatte gezeigt, dass<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>e vollständige Regulierung unbed<strong>in</strong>gt erfor -<br />

derlich war. Da im Raume Emlichheim <strong>e<strong>in</strong></strong>ige<br />

Landwirte Probleme hatten mit der Landabga -<br />

be, wurde der Abschnitt Kalle zuerst reguliert.<br />

Mit dem Brückenbau im Zuge der Betonstraße<br />

nach Wilsum war bereits 1956 <strong>e<strong>in</strong></strong> kl<strong>e<strong>in</strong></strong>er<br />

Abschnitt der Vechte an beiden Seiten der<br />

neuen Brücke fertiggestellt. Im Juli 1961 liefen<br />

die Arbeiten an. Für Kalle und <strong>Arkel</strong> bestand<br />

nun die Möglichkeit, die Wege <strong>in</strong><br />

Ordnung zu br<strong>in</strong>gen. Pausenlos fuhren die<br />

Lastwagen den ausgebaggerten Vechtesand<br />

auf die umliegenden Wege und erhöhten sie<br />

teilweise bis zu <strong>e<strong>in</strong></strong>em Meter. Vor den Höfen<br />

Groene, Baumann, Ellen (Neerken) und Evers-<br />

Lichtenborg wurde <strong>in</strong> Richtung Bahne <strong>e<strong>in</strong></strong><br />

Deich errichtet, so dass das Hochwasser diesen<br />

Bauern und ganz Kalle nicht mehr gefährlich<br />

werden konnte.<br />

KALLE<br />

Die Arbeiten nahmen den ganzen Herbst<br />

<strong>in</strong> Anspruch. Die Vechtewiesen boten k<strong>e<strong>in</strong></strong>en<br />

schönen Anblick, Lastwagen und große Sandhaufen<br />

bedeckten das Gelände, viele Naturschönheiten<br />

verschwanden. Gerade der Raum<br />

<strong>Arkel</strong> war vorher landschaftlich <strong>e<strong>in</strong></strong> besonders<br />

ruhiges, anmutiges und vom Wild geliebtes<br />

Fleckchen.<br />

Die kl<strong>e<strong>in</strong></strong>e „Notbrücke“ – <strong>e<strong>in</strong></strong>e Verb<strong>in</strong>dung<br />

von <strong>Arkel</strong> nach Kalle (siehe unter „<strong>Arkel</strong>“<br />

„Vechtesteg“, Seite 74) – musste verschw<strong>in</strong>den.<br />

Als Entschädigung erhielt <strong>Arkel</strong> <strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />

Straße an der Ostseite der Vechte und damit<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>e sichere Verb<strong>in</strong>dung zur Betonstraße und<br />

den Ländereien <strong>in</strong> Kalle. Allerd<strong>in</strong>gs wurde die<br />

Straße nicht zu <strong>e<strong>in</strong></strong>em Damm erhöht, um <strong>e<strong>in</strong></strong><br />

Überfluten bei Hochwasser zu ermöglichen.<br />

Man befürchtete, das Flussbett könnte bei<br />

Hochwasser die Wassermengen nicht fassen.<br />

Auch der W<strong>in</strong>ter 1961/1962 war sehr nass.<br />

Mehrmals war die Grafschaft von Überschwemmungen<br />

bedroht. Kalle hatte nichts<br />

mehr zu befürchten. Die neuen Dämme hielten<br />

dem Wasser stand, die Höfe waren sicher. Für<br />

die betreffenden Bauern gab es erstmals <strong>e<strong>in</strong></strong><br />

Gefühl von Geborgenheit.<br />

Nur T<strong>in</strong>holt hatte noch <strong>e<strong>in</strong></strong>mal unter Hochwasser<br />

zu leiden. 1962 sollte der Abschnitt<br />

von der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>degrenze T<strong>in</strong>holt flussabwärts<br />

bis zur Betonbrücke <strong>in</strong> Kalle reguliert werden.<br />

Der Straßenbau entlang der Vechte (nach<br />

<strong>Arkel</strong>) verzögerte sich durch das Hochwasser<br />

und <strong>e<strong>in</strong></strong>e anschließende Frostperiode.<br />

Mit dem Beg<strong>in</strong>n des Frühjahrs wurden die<br />

Arbeiten rasch <strong>in</strong> Angriff genommen und die<br />

Straße im Laufe des Monats März fertiggestellt.<br />

Die Straße wurde den <strong>Arkel</strong>ern bis ans<br />

Haus gelegt. Nun waren sie glücklich und zufrieden,<br />

nun lohnte sich sogar <strong>e<strong>in</strong></strong> PKW.<br />

Die Vechteregulierung g<strong>in</strong>g 1962 weiter.<br />

Der Bauabschnitt reichte von der neuen Vechtebrücke<br />

<strong>in</strong> Hoogstede-Kalle bis zur Grenze<br />

von T<strong>in</strong>holt und Scheerhorn. Das wichtigste<br />

Problem war der Raum an der alten Brücke<br />

nach T<strong>in</strong>holt. Man plante den neuen Verlauf<br />

der Vechte <strong>in</strong> Richtung „Fährmann“ (Meßdag).<br />

Das Wohnhaus sollte verschw<strong>in</strong>den, man<br />

wollte Meßdag im T<strong>in</strong>holterfeld ansiedeln. Die<br />

Verhandlungen führten zu k<strong>e<strong>in</strong></strong>em Erfolg.<br />

81


2<br />

Man verbreiterte nun das Flussbett nach der<br />

Hoogsteder Seite, sodass Landwirt Weuste<br />

noch näher an die Vechte kam. Es wurde ihm<br />

zugesichert, das Ufer so zu erhöhen und zu<br />

festigen, dass k<strong>e<strong>in</strong></strong>e Überschwemmung mehr<br />

möglich sei.<br />

Die alte Vechtebrücke <strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt war baufällig.<br />

Im Zuge der Vechteregulierung entstand<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>e neue Brücke, deren Bau man noch im<br />

Jahre 1962 <strong>in</strong> Angriff nahm. Sie sollte vom<br />

Landkreis unterhalten werden. Darüber freute<br />

sich die Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de T<strong>in</strong>holt.<br />

Die Vechtelandschaft bekam durch die Regulierung<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong> neues Gesicht, da auch gleichzeitig<br />

die Zubr<strong>in</strong>ger und Gräben reguliert<br />

wurden (Lee und Brennergraben). Die Naturschönheiten<br />

<strong>in</strong> <strong>Arkel</strong> und dem „Mäss“ <strong>in</strong><br />

Kalle-T<strong>in</strong>holt verschwanden. Das Gelände<br />

wurde abgeholzt. Gerade diese Flecken waren<br />

vorher kl<strong>e<strong>in</strong></strong>e „Oasen“ im Wildgebiet.<br />

Der W<strong>in</strong>ter brachte allgem<strong>e<strong>in</strong></strong> große Überraschungen<br />

und Schwierigkeiten. Mitte Dezember<br />

setzte strenger Frost <strong>e<strong>in</strong></strong> und dauerte<br />

bis Anfang März. Während dieser Zeit lag ununterbrochen<br />

Schnee. Es gab ungekannte<br />

Schneeverwehungen. Sylvester 1963 waren<br />

sämtliche Straßen der Niedergrafschaft ge-<br />

82<br />

GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />

Vor der Regulierung auf dem Kaller Mäss:<br />

Hilda Kelder geb. Teunis, Jan-Harm Teunis und<br />

Gerda Lambers geb. Teunis (Jan H<strong>in</strong>drik Teunis)<br />

Die T<strong>in</strong>holter Brücke <strong>in</strong> 1963 (Willy Friedrich)<br />

sperrt, viele Autos steckten im Schnee fest.<br />

Bauunternehmer wurden aufgefordert, mit<br />

Raupen die Straßen zu räumen. Das gelang<br />

aber nicht überall, da immer neue Schneeverwehungen<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>setzten. „Dit is nen düüren W<strong>in</strong>ter,<br />

nen richtigen aulerwetschen W<strong>in</strong>ter,“<br />

hörte man die Leute klagen.<br />

Mit dem frühen Beg<strong>in</strong>n des W<strong>in</strong>ters musste<br />

die Firma Diekel aus Bentheim die Arbeiten<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>stellen. Sie ruhten bis Mitte März 1963.


Bau der Erdgasleitung<br />

Kalle–Ochtrup, 1978<br />

(Willy Friedrich)<br />

Erdgas <strong>in</strong> Kalle 1957<br />

Aus der Chronik der Schule<br />

„Erdölbohrung <strong>in</strong> Kalle!“ – das war die „Neujahrsüberraschung“<br />

zu Beg<strong>in</strong>n des Jahres<br />

1957. In der Nähe von Landwirt Bonge errichtete<br />

man den ersten Bohrturm. Anfang<br />

1958 wurde zwar k<strong>e<strong>in</strong></strong> Erdöl, dafür aber Erdgas<br />

gefunden. Für Kalle war das <strong>e<strong>in</strong></strong> großes<br />

Erlebnis. Das Gas wurde zunächst angezündet.<br />

E<strong>in</strong>e mächtige Flamme erleuchtete Tag<br />

und Nacht die nähere Umgebung. Im Laufe<br />

des Sommers baute man <strong>e<strong>in</strong></strong>e Gasleitung von<br />

Kalle zum Bohrturm am Bathorner Diek.<br />

KALLE<br />

Erdgasspeicher <strong>in</strong> Kalle<br />

Etwa 2100 Meter unter der Oberfläche von<br />

Hoogstede-Kalle liegt <strong>e<strong>in</strong></strong>e etwa sechzehn<br />

Meter mächtige, poröse Sandst<strong>e<strong>in</strong></strong>schicht. Die<br />

Poren <strong>in</strong> dieser Schicht s<strong>in</strong>d mit Salzwasser<br />

gefüllt und eignen sich hervorragend, um Erdgas<br />

zu speichern.<br />

Über Stahlleitungen mit <strong>e<strong>in</strong></strong>em Durchmesser<br />

von sechzig Zentimetern wird Erdgas aus<br />

Norwegen bis nach Kalle geleitet. Durch große<br />

Kompressoren, mit <strong>e<strong>in</strong></strong>er Antriebsleistung von<br />

17.800 PS, wird das Erdgas mit hohem Druck<br />

<strong>in</strong> die Sandst<strong>e<strong>in</strong></strong>schicht gepresst. Dadurch<br />

wird das Salzwasser aus den Poren verdrängt.<br />

620 Millionen Kubikmeter Erdgas werden so<br />

sicher unterirdisch gespeichert.<br />

In <strong>e<strong>in</strong></strong>er Stunde kann die Anlage 250.000<br />

Kubikmeter Erdgas <strong>e<strong>in</strong></strong>- und 450.000 Kubikmeter<br />

ausspeichern. Mehr als <strong>e<strong>in</strong></strong>e Million<br />

Haushalte und große Industriebetriebe, überwiegend<br />

<strong>in</strong> Nordrh<strong>e<strong>in</strong></strong> Westfalen, werden aus<br />

Kalle mit Erdgas versorgt.<br />

Der Speicher Kalle ist seit 1978 <strong>in</strong> Betrieb.<br />

Elf Mitarbeiter aus der unmittelbaren Umgebung<br />

haben hier <strong>e<strong>in</strong></strong>en sicheren Arbeitsplatz.<br />

Luftbild Erdgasspeicher Kalle, Frühjahr 2007, Blickrichtung<br />

Emlichheim (RWE)<br />

83


2<br />

Bürgermeister<br />

der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Kalle 1917–1974<br />

Von D<strong>in</strong>i Wortelen<br />

Bürgermeister war <strong>in</strong> 1917 Jan Brün<strong>in</strong>k<br />

*28.09.1856 Emlichheim – †20.01.1929<br />

Bahne und Ehefrau Hillegien geb. Poll.<br />

1945 Gerd Ens<strong>in</strong>k (genannt Weermann)<br />

(Laut Grafschafter Heimatkalender von 1926<br />

war er bereits zu der Zeit als Bürgermeister im<br />

Amt tätig) *15.08.1887 Kalle – †02.06.1947<br />

Kalle und Ehefrau Jennegien geb. Hans<br />

84<br />

GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />

Bürgermeister Jan Brün<strong>in</strong>k und Hillegien geb. Poll,<br />

um 1920 (D<strong>in</strong>i Wortelen)<br />

Bürgermeister Geert Ens<strong>in</strong>k (1887–1947)<br />

und s<strong>e<strong>in</strong></strong>e Ehefrau Jennegien, geb. Hans (1989–1976)<br />

(Geert Ens<strong>in</strong>k, Kalle)<br />

1945–1948/49<br />

Hermann Wortelen<br />

*16.01.1901 Bahne –<br />

†18.03.1985 Bahne<br />

verheiratet mit<br />

Ges<strong>in</strong>a geb. Züter<br />

Bürgermeister Hermann<br />

Wortelen (D<strong>in</strong>i Wortelen)<br />

1948/49–1952 Jan Evers<br />

*18.01.1901 Kl<strong>e<strong>in</strong></strong>r<strong>in</strong>ge –<br />

†17.02.1998 Kalle, verheiratet<br />

mit Jakoba geb. Trüün<br />

Bürgermeister Jan Evers<br />

(D<strong>in</strong>i Wortelen)<br />

1952–1974 Johann Schroven<br />

*04.08.1912 Kalle – 07.06.1983<br />

Kalle, verheiratet mit Altien geb.<br />

Kemken<br />

1974 erfolgte die Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>dereform.<br />

Die bis dah<strong>in</strong> selbstständigen<br />

<strong>Ort</strong>e Kalle, T<strong>in</strong>holt, Berge und<br />

Scheerhorn wurden jetzt mit Hoogstede<br />

<strong>in</strong> der neuen politischen<br />

Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Hoogstede zusammengefasst.<br />

In diesem Haus wohnte zuletzt Familie Lichtenborg,<br />

die ca. 1963 ausgezogen ist. Seitdem<br />

steht das Haus leer und wird von Familie<br />

Toomsen als Wirtschaftsgebäude genutzt.<br />

Der ehemalige Bürgermeister Jan Evers<br />

wohnte seit s<strong>e<strong>in</strong></strong>er Hochzeit nebenan <strong>in</strong> dem<br />

unten abgebildeten Haus. Er hat es von s<strong>e<strong>in</strong></strong>em<br />

Onkel (ebenfalls <strong>e<strong>in</strong></strong> Jan Evers) geerbt. Es<br />

wurde später mehrfach vermietet.<br />

Bürgermeister Johann Schroven<br />

(D<strong>in</strong>i Wortelen)<br />

Zeichnung Haus Evers<br />

(Toomsen) von Rudolf<br />

Oppel, Eigentum Familie<br />

Toomsen, Kalle<br />

(D<strong>in</strong>i Wortelen)<br />

Haus Jan Evers,<br />

jetzt Toomsen Kalle,<br />

um 1925<br />

(Hilde Neuw<strong>in</strong>ger)


Kaller Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>derat<br />

1950/51 beim Bürgermeister<br />

Jan Evers<br />

Von l<strong>in</strong>ks: Wilhelm<br />

Speet, H<strong>e<strong>in</strong></strong>rich Pikkemaat<br />

(Jagdpächter <strong>in</strong><br />

Kalle), Gerhard Brün<strong>in</strong>g<br />

(genannt Büscher),<br />

Johann Scholten, <strong>Arkel</strong>;<br />

H<strong>e<strong>in</strong></strong>rich Rakers, H<strong>e<strong>in</strong></strong><br />

Wortelen, H<strong>in</strong>drik-Jan<br />

Groene, Bernd Schlee<br />

(stehend) Jagdaufseher,<br />

Kollege von Pikkemaat<br />

(D<strong>in</strong>i Wortelen)<br />

Haus Jan ter Veen<br />

Von D<strong>in</strong>i Wortelen<br />

Fast über Nacht oder jedenfalls ganz kurzfristig<br />

hat Jan ter Veen sich um 1950 <strong>e<strong>in</strong></strong> kl<strong>e<strong>in</strong></strong>es<br />

Haus von zwei mal fünf Metern auf sogenanntes<br />

„Niemandsland“ (es gehörte dem<br />

Staat) im Kaller Feld gebaut. Es stand nahe am<br />

Haftenkamper Diek, etwa gegenüber von Familie<br />

Groene.<br />

KALLE<br />

Damals galt: Alles was bis zu zehn Quadratmeter<br />

Fläche gebaut wurde, brauchte<br />

nicht genehmigt zu werden. Später hat ter<br />

Veen den größeren Wirtschaftsteil angebaut.<br />

Hierfür hat er die Dachziegel der alten Kaller<br />

Schule benutzt. S<strong>e<strong>in</strong></strong>e Frau Klas<strong>in</strong>a war <strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />

geborene Heckhuis aus Kalle. Sie lebt seit <strong>e<strong>in</strong></strong>igen<br />

Jahren im Altenzentrum <strong>in</strong> Emlichheim.<br />

Der Niederländer Jan ter Veen ist am 25. Oktober<br />

1994 <strong>in</strong> Neuenhaus verstorben. Er hat<br />

längere Zeit die Milchkannen der Landwirte mit<br />

Trecker und Wagen zur Hoogsteder Molkerei<br />

gefahren.<br />

Am 13. November 1972 wurde das Dach<br />

durch <strong>e<strong>in</strong></strong>en gewaltigen Sturm sehr beschädigt,<br />

doch Jan ter Veen war bereits vorher<br />

nach Denekamp, direkt h<strong>in</strong>ter der Grenze, gezogen.<br />

Im März 1973 wurde dieser „Schandfleck“<br />

<strong>in</strong> den Grafschafter Nachrichten aufgenommen,<br />

doch versehentlich unter T<strong>in</strong>holt.<br />

Zwei Tage später folgte <strong>e<strong>in</strong></strong>e Berichtigung.<br />

Haus von Jan ter Veen,<br />

Haftenkamper Diek,<br />

(D<strong>in</strong>i Wortelen)<br />

85


2<br />

Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>defahrt und -fest<br />

In Kalle werden bereits zig Jahre Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>defahrten<br />

angeboten. Im Anfang waren sie für<br />

Jung und Alt bestimmt. Seit 1986/87 gibt<br />

es dann für die Jüngeren <strong>e<strong>in</strong></strong> Kaller Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>defest<br />

<strong>in</strong> verschiedenen Masch<strong>in</strong>enhallen der<br />

Landwirte. Meistens hilft die umliegende<br />

Nachbarschaft beim Säubern, Schmücken und<br />

Bedienen beim Fest.<br />

Seit 2007 gibt es zusätzlich <strong>e<strong>in</strong></strong>en „Altennachmittag“<br />

<strong>in</strong> der ehemaligen Kaller Schule<br />

für diejenigen, die nicht mehr an der Fahrt<br />

teilnehmen können.<br />

Wottel Harm vertelld<br />

Johann Kemkers<br />

Unter der Überschrift „Wottelharm ut T<strong>in</strong>holt<br />

vertelt“ kursier(t)en <strong>in</strong> Haftenkamp und Gölenkamp<br />

viele Erzählungen von dem Neubauern<br />

Geerd Völkers. Völkers wurde am 29. August8.1850<br />

<strong>in</strong> <strong>Arkel</strong> geboren. Nach der Trauung<br />

mit Gese Ass<strong>in</strong>g aus B<strong>in</strong>nenborg am 24.<br />

Mai 1883 zog er wohl zunächst dorth<strong>in</strong> (Die<br />

Tochter Swenne, geb. 2. August 1883, wurde<br />

86<br />

GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />

Altes Haus von Teunis. H<strong>in</strong>drik-Jan Teunis, geboren am 21.07.1824 <strong>in</strong> Emlichheim, hat etwa 1850 die kl<strong>e<strong>in</strong></strong>e Hofstelle von<br />

Weermann (heute Ens<strong>in</strong>k) erworben. In <strong>e<strong>in</strong></strong>er Viehzählung aus dem Jahre 1707 heißt das Haus „Weermanns Schüre“. Von<br />

Süden gesehen stand sie direkt vor Weermann. Sie wurde im Jahre 1945 abgebrochen. (Jan H<strong>in</strong>drik Teunis)<br />

<strong>in</strong> Veldhausen getauft als K<strong>in</strong>d der „Ackerleute<br />

Völkers zu B<strong>in</strong>nenborg“.) Spätestens ab 1885<br />

(Geburt des K<strong>in</strong>des H<strong>in</strong>drik Jan) wohnte Völkers<br />

<strong>in</strong> Haftenkamp.<br />

Völkers zeichnet s<strong>e<strong>in</strong></strong>en Erzähler Wottelharm<br />

als <strong>e<strong>in</strong></strong>fältigen Wichtigtuer, der mit s<strong>e<strong>in</strong></strong>en<br />

hilflosen Bemühungen um hochdeutsche<br />

Sprechweise zur komischen Figur gerät. Diesen<br />

Erzähler nennt Völkers ausdrücklich und<br />

immer wieder „Wottelharm ut T<strong>in</strong>holt“. Das ist<br />

Kaller Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>defahrt<br />

etwa 1968-70,h<strong>in</strong>ten<br />

l<strong>in</strong>ks: Jan und Klas<strong>in</strong>a<br />

ter Veen, mitte<br />

l<strong>in</strong>ks: Altien Schroven,<br />

vorne l<strong>in</strong>ks:<br />

M<strong>in</strong>a Herms, rechts:<br />

Johann Schroven,<br />

daneben: Janna und<br />

H<strong>in</strong>drik-Jan Groene<br />

(D<strong>in</strong>i Wortelen)


<strong>in</strong>teressant, weil Völkers als Kaller (<strong>Arkel</strong>er)<br />

K<strong>in</strong>d sicher genau wusste, dass zu s<strong>e<strong>in</strong></strong>er Zeit<br />

k<strong>e<strong>in</strong></strong>e Wottel (Wortel) <strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt wohnten,<br />

wohl aber <strong>in</strong> Kalle. E<strong>in</strong>en Harm Wortel hat es<br />

hier allerd<strong>in</strong>gs nie gegeben. Durchaus möglich,<br />

dass die Zuordnung nach T<strong>in</strong>holt anzusehen<br />

ist als Ausdruck für Nickligkeiten, die<br />

früher gerne zwischen benachbarten Bauernschaften<br />

„gepflegt“ wurden.<br />

H<strong>e<strong>in</strong></strong>rich Hensen schreibt im „Bentheimer<br />

Jahrbuch 1987“, Seite 243: „De meesten Groafschuppers<br />

kennt, denk ik, de Geschichten van<br />

„Wottelharm ut T<strong>in</strong>holt“ wall, de Ludwig Sager<br />

soa moi vertäilt hef. He hef ja, as men hem<br />

glöwt, <strong>in</strong> 1870 met de aule Käiser tehoape de<br />

Slacht bij Sedan wunnen, en soa Infloot up de<br />

Geschichte van de Weäreld nömmen.“<br />

Wottelharm un den Kriegsplan<br />

Dat was <strong>in</strong>’t joor söventig bij Sedan, s’morgens<br />

froo was’t. Et denkt mij noch soa guud,<br />

as wan’t vandage of gistern geböörd was. Ik<br />

was – joa, wu kwamp’t ok noch? - den dag<br />

ordonanz bij de oule Kaiser. Se höllen net ‘nen<br />

groten road, de Kaiser en wat sienen jungen<br />

was, de Kronpr<strong>in</strong>z, en Moltke en de andern<br />

hogen keerls. Ik hadde net ‘nen breef kregen<br />

van miene Geese uut T<strong>in</strong>holt, door höörde ik<br />

se proaten. Moltke, wat recht de baas was, dee<br />

sä hoast niks. En ik kun d’r ok g<strong>in</strong> woord tüschen<br />

kriegen. De oule Kaiser höl net sien köppien<br />

koffie <strong>in</strong> de hand en wörmde sik de<br />

klammen f<strong>in</strong>ger, - joa hee beewde wal lük, hee<br />

was dreeunsöventig west -. Ik sä: „Herr Kaiser“,<br />

sä ik, - de hogen sään altied van Majestät<br />

– „laß ich Euch noch <strong>e<strong>in</strong></strong> köppien <strong>e<strong>in</strong></strong>schenken,<br />

das wörmt von b<strong>in</strong>nen!“<br />

„Was m<strong>e<strong>in</strong></strong>st du von dem Kriegsplan<br />

heute?“ fröög mij de Kaiser, „Wottelharm, du<br />

bist ja auch nicht unter `ne ule(Eule) ausgebrod`t!“<br />

Ik sä: „ Herr Kaiser“, sä ik, „ich sage:<br />

Liek uut en recht an! Das sagen se <strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt,<br />

en da müßt Ihr euch an halten!“ - „Du hast<br />

geliek“, sä de Kaiser tegen mij. „Wottelharm,<br />

ich muß dir geliek geven: Liek uut en recht<br />

an.“ In’n rikketik hadden se nuw eren kriegsplan<br />

kloor. Bismarck gaf Roon de hand: „Auf<br />

ihn!“ sä hee. Alle stünnen se nuw van de toafel<br />

up. Moltke, de hoast g<strong>in</strong> woord segt hadde,<br />

KALLE<br />

keek sik noch eenmal siene generals un feldwebels<br />

an, door wöörd’t still. See venömmen<br />

wal, dat de baas noch wat seggen wol en<br />

dachden, wat sal d’r nuw kummen? En wat sä<br />

Moltke? „Wottelharm“, sä hee tegen mij,<br />

„Wottelharm, nuw möt’t gebören!“<br />

Wotelharm mak’t te slimm<br />

Et was ‘nen heten dag. Undern <strong>in</strong> de Läägde<br />

lag Sedan en wij rund ümto. Wat de Kronpr<strong>in</strong>z<br />

was, dee kwamp van de andre kante, en<br />

nuw hadde wij de franzmann <strong>in</strong> de kniepe. De<br />

Kronpr<strong>in</strong>z kwamp de anrieden en rööp over<br />

de bekke – de Maas was iets breder as de<br />

Vechte bij T<strong>in</strong>holt – he rööp: „Is da volk?“ -<br />

„Zu befehl, Herr Kronpr<strong>in</strong>z“, sä ik (de Hogen<br />

mussen altied seggen: „Königliche Hoheit“,<br />

„hier ist Wottelharm!“ - „Gut, gut, m<strong>e<strong>in</strong></strong> Sohn“,<br />

sä hee, „ihr müdt den vijand (ndl. F<strong>e<strong>in</strong></strong>d) an<br />

de andere kante festhalten“, sä hee, „seid<br />

drauf verdacht!“ - „Jawohl“, sä ik, „ik sweer’s<br />

euch, Herr Kronpr<strong>in</strong>z, der vijand kommt –<br />

mak starven, wenn er’s nicht tut – er kommmt<br />

vandage tüschen zwei Stühle <strong>in</strong> die Asche!“<br />

En wij kregen em tüschen twee stöle. Ik lag<br />

den dag orig wied noa vöörn. Van alle kanten<br />

wolln’n se noch weer uutnäjen ut de umz<strong>in</strong>gelung.<br />

Ik schööt, joa, et was g<strong>in</strong> scheten<br />

meer, et was möörden. Mien geweer was glönig,<br />

en rund üm mij to laggen de franzosen<br />

<strong>in</strong> ere roaden buksen. Joa se laggen bij höepe.<br />

Et wöörd mij freeslik vöör de oagen, men wat<br />

sul’k – ik schööt alle men verdan, en anlestde<br />

kun over den barg van doaden nich meer<br />

overto scheten. Sweet stünd mij up de plätte.<br />

Duw pakt mij ’ne frömde hand up de schulder.<br />

Ik kik mij üm, en wel is’t ? De Kaiser. Vöör<br />

schrik kun ik niks seggen. De Kaiser nömp<br />

sien’n sabel, wees up den barg van doaden en<br />

sä tegen mij: „Wottelharm“, sä he, „man<br />

kann’s auch te slim maken!“ Duw b<strong>in</strong>’k uutschäidt,<br />

ik hadde ok g<strong>in</strong>ne patronen meer.<br />

Bi’n Kaiser up Vesite<br />

Et was lange noa’n krieg. Ik hadde <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> te<br />

doon. Door schööt mi’t <strong>in</strong>’t s<strong>in</strong>, dat de oule<br />

Kaiser mij fake up vesite nöegt (<strong>e<strong>in</strong></strong>geladen)<br />

hadde. Nuw, vesite is völ gesegt, ik wil nich<br />

legen, ik sul bij gelägenhäit es moal achter de<br />

87


2<br />

döre hen kieken. Soa hadde hee segt. - Soa<br />

schöot’t mij dan <strong>in</strong> de gedachten: Du wis de<br />

oule Kaiser moal upsöken. Gedacht – gedoan!<br />

Ik kwamp an’t slot. Door stönd `nen posten,<br />

dee sä: „Halt, wer da?“ - „Nuw“, sä ik, „sachte<br />

an, kens du Wottelharm nich? Nä? Dan loat’t<br />

dij vanoavend van de Kaiser vertellen!“<br />

Door stünd d’r ok al ‘ne ordonanz, ’nen<br />

leutnant, de fröög: „Sie wünschen?“ - „Ik s<strong>in</strong><br />

Wottelharm aus T<strong>in</strong>holt <strong>in</strong> de Groafschup en<br />

wul de Herr Kaiser sprechen“, sä ik, „er hat<br />

mich schon fake genötigt.“ „Eure Papiere!“<br />

Wisse, miene papiere, dee had ik <strong>in</strong> ödder, en<br />

door mus hee vöör stoan.<br />

Soadöenig wöörd ik meldt bij’n adjutanten,<br />

et güng van ene kamer <strong>in</strong> de andere. Antlesde<br />

smeet hee ’ne grote flögeldöre lös, soa<br />

groot as ’ne neendöre bij uns. Den adjutant<br />

möök meldung: „Majestät“, sä hee, „Wottelharm<br />

aus T<strong>in</strong>holt zur Stelle“. En tegen mij:<br />

„Majestät läßt bitten!“<br />

Wat heb ik de oule man pleseer andoan<br />

met mien kummen! Hee kwamp up mij anlopen:<br />

„Wottelharm“, sä hee, „Wottelharm, daß<br />

du noch an mich denkst!“ En nuw güng’t an’t<br />

froagen: „Weißt du noch von Sedan? Denkt<br />

dich das noch? As ik dich nicht gehabt hätte<br />

– Moltke all<strong>e<strong>in</strong></strong> hätt’s auch nicht gekonnt!<br />

Wottelharm“, sä hee, „wie ist`s <strong>in</strong> de Groafschup?<br />

Blööjt de Kartoffels al? Wie ist’s <strong>in</strong>s<br />

Venne? Habt ihr den Torf aus die Kuhlen?“<br />

All’s woll hee wetten; joa, joa, hee proatde<br />

met mij net as’n gewoon mensche. - En up’t<br />

lesde – wij bäide was’n up’n gang an’t<br />

wa’deln, hee klopde mij een up`t andere moal<br />

up de schulder - antlesde fröög hee mij: „Wottelharm,<br />

hast du schon gegessen?“ Ik sä:<br />

„N<strong>e<strong>in</strong></strong>, Herr Kaiser, mit all die drokte ist das<br />

dabei verbleven!“ - „Was“, sä de oule, gude<br />

man, „Wottelharm, du hast noch nicht gegessen?<br />

Dann schick bei uns an!“ - „Herr Kaiser“,<br />

sä ik, „ich b<strong>in</strong> man `nen gewonen buur!“ -<br />

„Niks, niks“, sä hee, „bei Sedan warst du auch<br />

man ’nen gewonen Soldat, un du hast sicher<br />

nicht das m<strong>in</strong>ste getan! Du bleibst über Mittag<br />

bei uns!“ Soa proatde hee met mij, as wij<br />

net bij de kökken langs kwammen. De Kaiser<br />

smeet de döre lös – et röök door lekker van al<br />

de pannen en schöttels, dat seg ’k uw! Ik keek<br />

88<br />

GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />

de Kaiser over de schulder, door stünd de Kaiser<strong>in</strong>,<br />

’n wit schuut vöör.<br />

„Auguste“, rööp de Kaiser, „Wottelharm<br />

aus T<strong>in</strong>holt schickt heute bei uns an die Tafel!<br />

Schmeiß d’r noch <strong>e<strong>in</strong></strong> Kotlet mehr <strong>in</strong> die<br />

Panne!“<br />

Wottelharm pesserde wat<br />

Dat Kotlet bij Kaisers hadde best smaakt, en<br />

wij güngen <strong>in</strong>’n goren. De Kaiser wol mij<br />

noch’n paar blöömpies föör miene Geese noa<br />

T<strong>in</strong>holt metgeven. De wichter van de oule<br />

Kaiser, de pr<strong>in</strong>zessen, kwammen achter uns<br />

an. See keken mij alltied van de siede an en<br />

glimlachden. Et wassen knappe wichter.<br />

Bij’n mooj beet met roade blöömpies bleef<br />

de Kaiser stoan en sä: „Wottelharm“, sä hee,<br />

„hier hast du was für d<strong>e<strong>in</strong></strong>e Geese <strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt!“<br />

Ik bükde mij en plükde ’n paar. Men door<br />

melde sik dat kotlet en den pudd<strong>in</strong>g en al dat<br />

f<strong>in</strong>e wark <strong>in</strong> mien’n buuk, en et pesserde wat.<br />

Joa, joa, et pesserde wat, wat menslik is.<br />

De Kaiser keek heel stief uut en meende:<br />

„Wottelharm“, sä hee, „Wottelharm, das grummelde<br />

as die Kanonen bei Sedan!“ Men de<br />

pr<strong>in</strong>zessen, dee schreewden en juuchden’t uut.<br />

„Herr Kaiser“, sä ik, „Herr Kaiser, et is pesseert!“<br />

- Men doorbij keek ik jümmer noch de<br />

gammelnden wichter an: „Herr Kaiser, wat<br />

kan’m de k<strong>in</strong>der met `ne klä<strong>in</strong>igkäit doch ’ne<br />

masse pleseer maken!“<br />

Aus „Die Gläserne Kutsche“, Seite 109–111<br />

(L.Sager)


T<strong>in</strong>holt<br />

Bearbeitet von Harm Grüppe, R<strong>e<strong>in</strong></strong>hard Middendorf,<br />

Berend-Jan Harms-Ens<strong>in</strong>k, Heike Meier<br />

T<strong>in</strong>holt und Kalle bildeten <strong>e<strong>in</strong></strong>st <strong>e<strong>in</strong></strong>e geographische<br />

E<strong>in</strong>heit. Bereits 1312 überließ der<br />

Bentheimer Graf Johann das Holzgericht „im<br />

T<strong>in</strong>holte" dem Burgmann Eylard van den<br />

Toer ne aus Uelsen. T<strong>in</strong>holt gehört von alters<br />

her zum Kirchspiel <strong>Arkel</strong> (Hoogstede).<br />

T<strong>in</strong>holt – uralte Vechtegem<strong>e<strong>in</strong></strong>de<br />

mit Tradition<br />

Nachteile <strong>e<strong>in</strong></strong>stiger Abseitslage<br />

s<strong>in</strong>d dah<strong>in</strong>geschwunden<br />

Auszug aus: Vechte Kurier, Anzeigen- und Informationsblatt<br />

der Emlichheimer Werbegem<strong>e<strong>in</strong></strong>schaft<br />

e.V., Ausgabe Mai 1978, S.1ff.:<br />

Lehnsregister 1346–1364<br />

Im Lehnregister des Grafen Otto 1346–64 wird<br />

der <strong>Ort</strong> T<strong>in</strong>holt bereits mit aufgeführt. Es heißt<br />

dar<strong>in</strong> u: a.: „Dem Knappen Eylard van den<br />

Toerne (welcher 1319 Burgmann auf Bentheim<br />

war) überließ der Graf zu Dienstmannsrecht<br />

die Holzgerichte zu Hilten, Gölenkamp,<br />

Uelsen und im T<strong>in</strong>holte." Die 14 ältesten Gehöfte<br />

der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de s<strong>in</strong>d auf die uralten <strong>Ort</strong>steile<br />

„Hundehoek“, „Grüppenhoek", „Schotthoek"<br />

und „Haidebölt" verteilt.<br />

Schüttenhof 1765<br />

An der sich <strong>in</strong> vielen W<strong>in</strong>dungen und Krümmungen<br />

durch die Landschaft schlängelnden<br />

Vechte wurde der <strong>Ort</strong> T<strong>in</strong>holt vor mehreren<br />

Jahrhunderten gegründet. Viele von hohen,<br />

alten und knorrigen Eichen umgebene Höfe<br />

können auf <strong>e<strong>in</strong></strong>e Jahrhunderte alte Existenz<br />

zurückblicken. Das älteste Haus der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de<br />

stand auf dem Gelände des ehemaligen Schüt-<br />

tenhoffs, wo nach alter Überlieferung <strong>in</strong> früheren<br />

Jahren Recht gesprochen wurde. Der<br />

Bauernhof ist 1765 erbaut worden und war<br />

zuletzt von der Familie Jünger<strong>in</strong>k bewohnt.<br />

Im Jahre 1956 wurde das 180 Morgen große<br />

Anwesen von der Stadt Nordhorn für 65.000<br />

DM erworben. Im Jahre 1960 wurde <strong>e<strong>in</strong></strong>em<br />

Umsiedler aus Nordhorn (Familie Pley, Veldhauser<br />

Straße) hier <strong>e<strong>in</strong></strong> neues Gehöft mit 57<br />

Morgen Land zur Verfügung gestellt. Der<br />

Umzug erfolgte im Mai 1960.<br />

Im Holz an der Vechte<br />

T<strong>in</strong>holt zählte zu den zehn Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den im<br />

Holze, d.h., die zehnte Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de die Anteil<br />

hatte, an den umfangreichen Waldungen, welche<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>st den Niederungsmooren <strong>in</strong> diesem<br />

Raum <strong>e<strong>in</strong></strong>en parkähnlichen Charakter gaben.<br />

T<strong>in</strong>holt wird hier als zehnte „Tien holt" Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de<br />

angenommen und gehört damit zu den<br />

häufigen <strong>Ort</strong>en, die den Namen dem Holz entnehmen.<br />

Die Talsandlandschaft des l<strong>in</strong>ken<br />

Vechteufers nördlich von Haftenkamp (im<br />

Raume T<strong>in</strong>holt) ist gegenüber der rechten<br />

Uferzone <strong>in</strong> der wirtschaftlichen Entwicklung<br />

zunächst zurückgeblieben, weil die allgem<strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />

tiefere Lage der westlichen Uferzone und der<br />

höhere Grundwasserstand lange Zeit vor <strong>e<strong>in</strong></strong>er<br />

Besiedlung <strong>in</strong> diesem Gebiet abgeschreckt<br />

haben. Der Verkehr von Neuenhaus nach Emlichheim<br />

nahm s<strong>e<strong>in</strong></strong>en Weg am rechten Ufer<br />

der Vechta entlang, welches höher lag und<br />

damit trockener und besser zu passieren war.<br />

Auf der Vechte, <strong>e<strong>in</strong></strong>stmals <strong>e<strong>in</strong></strong>e bedeutsame<br />

Verkehrsader zwischen Nordhorn und den<br />

holländischen Hansestädten Kampen und<br />

Zwolle, fuhren flache Pünten und Schuten, die<br />

89


2<br />

<strong>in</strong> der vorchristlichen Römerzeit <strong>e<strong>in</strong></strong>en regen<br />

Handel und Wandel auf dem w<strong>in</strong>dungsreichen<br />

Fluss vollzogen. Damals entstanden hier die<br />

ersten Hofstellen. So hatte der Bischof von<br />

Utrecht <strong>e<strong>in</strong></strong>st drei hörige Bauernerben <strong>in</strong> der<br />

T<strong>in</strong>holter Mark. Ihnen war es erlaubt, die Eichelmast<br />

zu nutzen, sofern <strong>e<strong>in</strong></strong> gutes Eicheljahr<br />

war …<br />

Enteignung 1937<br />

Das rund 570 Hektar große T<strong>in</strong>holter Venn<br />

wurde im Jahre 1937 enteignet. Den alt<strong>e<strong>in</strong></strong>gesessenen<br />

Bauern wurde bei dieser Aktion<br />

durch den ehemaligen preußischen Staat <strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />

Abf<strong>in</strong>dung gezahlt, die man wohl landläufig<br />

als „Appel un Eij" bezeichnen möchte. Bis vor<br />

etwa vier Jahrzehnten durften Ackerbürger<br />

von Uelsen und Umgebung, Höcklenkamp,<br />

Bauerhausen, Gölenkamp, Haftenkamp, Hard<strong>in</strong>gen,<br />

B<strong>in</strong>nenborg, Hilten und Hard<strong>in</strong>ghausen<br />

im T<strong>in</strong>holter Venn ihren Torf stechen.<br />

Allerd<strong>in</strong>gs nur <strong>in</strong> Form von so genannten<br />

„Hüllen", da das Moor hier nur <strong>e<strong>in</strong></strong>e Mächtigkeit<br />

von 20 bis 50 cm vorzuweisen hatte.<br />

Ganze Scharen von „Hüllenstecher" zogen<br />

deshalb früher <strong>in</strong>s T<strong>in</strong>holter Venn, welches als<br />

Markengebiet ausgewiesen war. Anfang der<br />

fünfziger Jahre rückten schwere Ottomeyer-<br />

Pflüge an und brachen weite Flächen dieses<br />

90<br />

GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />

Postkarte der T<strong>in</strong>holter Brücke um 1920 (M<strong>in</strong>i Büdden)<br />

als Naturreservat nicht wieder zu ersetzende<br />

Geländes um. E<strong>in</strong> Gebiet mit <strong>e<strong>in</strong></strong>er wertvollen<br />

Flora und Fauna g<strong>in</strong>g damit den Naturfreunden<br />

und somit unserer Heimat für immer verloren.<br />

Dem Naturschutz wurden s<strong>e<strong>in</strong></strong>erzeit<br />

noch zwei kl<strong>e<strong>in</strong></strong>ere Flächen belassen, deren<br />

Größe etwa 9 Hektar (1,6 %) ausmachten.<br />

Doch bei den <strong>in</strong> jüngster Zeit durchgeführten<br />

Flurber<strong>e<strong>in</strong></strong>igungsmaßnahmen im T<strong>in</strong>holter<br />

Raum wurden auch diese Flächen erneut wesentlich<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>geengt …<br />

Straßenbau<br />

Im Jahre 1890 gab es die erste feste Straße <strong>in</strong><br />

diesem Gebiet und zwar auf dem rechten<br />

Vechteufer (Esche –Hoogstede), 1906 kam die<br />

Bahnstrecke der Bentheimer Eisenbahn<br />

ebenfalls auf dem rechten Vechteufer dazu.<br />

Erst <strong>e<strong>in</strong></strong> halbes Jahrhundert später rückte die<br />

verkehrsmäßige Erschließung des Gebietes<br />

Kalle-T<strong>in</strong>holt mit dem Bau der Vechtetalstraße<br />

von Hilten über T<strong>in</strong>holt-Kalle bis nach Laar<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong> gutes Stück näher. Den Anschluss an das<br />

Kreisstraßennetz brachte im Jahre 1956 die<br />

Querstraße von Wilsum nach Hoogstede,<br />

deren Bau <strong>in</strong> diesem Gebiet <strong>e<strong>in</strong></strong>e Sandauffuhr<br />

bis zu zwei Meter erforderte und im Raum<br />

Hoogstede-Bathorn gewaltige Moorauskofferungen<br />

vorangehen ließen. Der Ausbau des


Haftenkamper Diek als <strong>e<strong>in</strong></strong>e superschnelle Verkehrsverb<strong>in</strong>dung<br />

zwischen den <strong>Ort</strong>en Neuenhaus<br />

und Emlichheim nach den <strong>e<strong>in</strong></strong>stmals von<br />

den Franzosen gefassten Plan (Franzosendiek)<br />

ließ die Nachteile <strong>e<strong>in</strong></strong>er bisherigen Abseitslage<br />

der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de weiter dah<strong>in</strong>schw<strong>in</strong>den.<br />

Vechteregulierung 1962 bis 1964<br />

Im Sommer 1962 bewegte sich die Vechteregulierung<br />

im Raum Hoogstede-T<strong>in</strong>holt (Lee<strong>e<strong>in</strong></strong>mündung).<br />

Es handelte sich um den fünften<br />

Bauabschnitt dieses Millionenprojektes<br />

von der Betonbrücke im Zuge der Straße Wilsum–Hoogstede<br />

bis zur E<strong>in</strong>mündung der Lee<br />

bei Scheerhorn. Insgesamt drei Durchstiche<br />

waren <strong>in</strong> diesem Gebiet erforderlich. Die mustergültig<br />

ausgebaute Vechte erhielt hier <strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />

Sohlenbreite von 17 Metern. Die alte, sehr stark<br />

baufällige Holzbrücke, die 1870 den bisherigen<br />

Fährverkehr als Übergang von und zum<br />

Kirchdorf Hoogstede ersetzt hatte, nunmehr<br />

aber k<strong>e<strong>in</strong></strong>eswegs mehr den Anforderungen des<br />

zunehmenden Verkehrsumfanges gewachsen<br />

war, wurde im Zuge der Regulierungsarbeiten<br />

durch <strong>e<strong>in</strong></strong>en modernen Betonübergang ersetzt.<br />

Mit dem Bau des großen T<strong>in</strong>holter Vechtestauwerkes<br />

oberhalb der Lee<strong>e<strong>in</strong></strong>mündung ist<br />

Ende August 1964 begonnen worden. Es handelt<br />

sich um <strong>e<strong>in</strong></strong>es von mehreren Stauwerken,<br />

die künftig dazu dienen sollen, das Wasser der<br />

Vechte zu regulieren, um es besser als bisher<br />

der Landwirtschaft und der Industrie dienstbar<br />

zu machen.<br />

Trotz Vechteregulierung und Flurber<strong>e<strong>in</strong></strong>igung<br />

bieten sich dem Naturfreund <strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt<br />

noch <strong>e<strong>in</strong></strong>e Fülle landschaftlicher Schönheiten.<br />

An tot geglaubten Vechtearmen und Kolken<br />

f<strong>in</strong>det man noch <strong>e<strong>in</strong></strong> mannigfaches Dorado<br />

seltenen Tier- und Pflanzenlebens …<br />

Gute Nachbarschaften<br />

Das Mit<strong>e<strong>in</strong></strong>ander und Für<strong>e<strong>in</strong></strong>ander <strong>e<strong>in</strong></strong>er gut<br />

florierenden Nachbarschaft <strong>in</strong> ländlicher<br />

Atmosphäre wird <strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt seit Jahren traditionsgemäß<br />

mit <strong>e<strong>in</strong></strong>em zünftigen Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>deabend<br />

auf dem Hofe Slikkers gefeiert. Bürgermeister<br />

Jan Harms-Ens<strong>in</strong>k, der dieses Amt<br />

1955 von Jan Jonker übernommen hatte und<br />

bis zur Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>dereform im Frühjahr 1974 im<br />

TINHOLT<br />

Amt war, zeichnete als Initiator für diese fröhlichen,<br />

die Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>schaft fördernden Abende<br />

verantwortlich. Als s<strong>e<strong>in</strong></strong>erzeit die Verwaltungs<br />

und Gebietsreform sich anbahnte, feierte man<br />

unter dem Motto: „Will man gem<strong>e<strong>in</strong></strong>sam uns<br />

verwalten, der Geist von T<strong>in</strong>holt bleibt erhalten!"<br />

…<br />

Vechte, Fähren und Brücke<br />

T<strong>in</strong>holter Arbeitskreis<br />

Rettung der Vechte-Brücke W<strong>in</strong>ter 1945<br />

Die alte Holzbrücke über die Vechte <strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt<br />

war 1945 durch auftreibende Eisschollen gefährdet.<br />

Das Treibeis bildete <strong>e<strong>in</strong></strong>en Rückstau<br />

<strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong></strong>er Länge von etwa hundert Meter. Das<br />

Wasser staute sich über <strong>e<strong>in</strong></strong>en Meter hoch.<br />

Durch den Druck vom Eis drohte die Holzbrücke<br />

zu zerbrechen. Die T<strong>in</strong>holter sahen<br />

k<strong>e<strong>in</strong></strong>e Möglichkeit, das Eis zu zerstören. Auf<br />

Bitten der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de kamen <strong>e<strong>in</strong></strong>ige Besatzungssoldaten<br />

aus Nordhorn und sprengten das Eis.<br />

Innerhalb <strong>e<strong>in</strong></strong>er Stunde war die Gefahr gebannt.<br />

1946 wurde T<strong>in</strong>holt von <strong>e<strong>in</strong></strong>em Hochwasser<br />

bedroht. E<strong>in</strong>ige Betriebe an der Vechte wie<br />

z.B. Ens<strong>in</strong>k oder Van R<strong>in</strong>ge s<strong>in</strong>d evakuiert<br />

worden.<br />

Willy Friedrich über Brücke<br />

und Vechte (GN 12.03.1960)<br />

Die Vechte war bereits <strong>in</strong> der Römerzeit <strong>e<strong>in</strong></strong><br />

wichtiger Transportweg für allerlei Waren. Die<br />

Vechte wurde lange Zeit bei Kuite <strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt<br />

mit Fähren überquert. Bei Middendorf <strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt<br />

gab es <strong>e<strong>in</strong></strong>e fürstliche Fähre. Sie diente<br />

dem Fürsten zum Überqueren der Vechte, da<br />

ihm der Umweg über Hoogstede zu weit war.<br />

Erste Vechtebrücke 1870<br />

Die erste Vechtebrücke wurde 1870 gebaut.<br />

Slikkers, Ens<strong>in</strong>k und Van R<strong>in</strong>ge lieferten das<br />

Holz. Nicht alle Bauern wollten sich beteiligen.<br />

Die Brücke entsprach nicht den Erwartungen.<br />

Der Holzbelag nutzte schnell ab und<br />

die Stützen boten bald nicht mehr die nötige<br />

Sicherheit. Bis zum Zweiten Weltkrieg wurde<br />

das Brückengeld von Harms Fritz (heute Kuite)<br />

kassiert. Das Brückengeld wurde zweimal<br />

jährlich <strong>e<strong>in</strong></strong>kassiert. E<strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong></strong>facher Weg kostete<br />

vierzig Pfennig und H<strong>in</strong>- und Rückweg sechzig.<br />

91


2<br />

T<strong>in</strong>holter Moor<br />

Zeitung und Anzeigenblatt 1915<br />

Kreisblatt für den Kreis Grafschaft Bentheim<br />

(Bearbeitet von Johann Jeur<strong>in</strong>k)<br />

T<strong>in</strong>holt, 22. Januar 1915 Das T<strong>in</strong>holter Moor<br />

Im letzten Frühjahr kam ich auf m<strong>e<strong>in</strong></strong>er Dienstreise<br />

von Emlichheim nach Uelsen durch <strong>e<strong>in</strong></strong>e fast<br />

unabsehbare moorige Heidegegend. B<strong>e<strong>in</strong></strong>ahe beängstigend<br />

wirkte diese weite öde Landschaft,<br />

über welche sich der blaue Himmel wie <strong>e<strong>in</strong></strong>e erhabene<br />

Kuppel ausspannte. Weit und breit suchte<br />

das Auge vergeblich nach <strong>e<strong>in</strong></strong>em grünen Baum<br />

oder Strauch. Nur <strong>e<strong>in</strong></strong>ige Kiebitze und Heidelerchen<br />

schienen hier die <strong>e<strong>in</strong></strong>zigen Bewohner zu s<strong>e<strong>in</strong></strong>.<br />

Lange mochte ich s<strong>in</strong>nend gestanden haben, um<br />

mich den stillen Reizen der seltenen Umgebung<br />

h<strong>in</strong>zugeben, als ich durch <strong>e<strong>in</strong></strong> leises Geräusch h<strong>in</strong>ter<br />

mir gestört wurde.<br />

E<strong>in</strong> schlichter Landmann entbot mir <strong>e<strong>in</strong></strong>en<br />

freundlichen Gruß. Ich f<strong>in</strong>g <strong>e<strong>in</strong></strong> Gespräch mit m<strong>e<strong>in</strong></strong>em<br />

Reisegefährten an und äußerte m<strong>e<strong>in</strong></strong>e Verwunderung<br />

darüber, dass sich bis auf die heutige<br />

Zeit noch so weite, vollständig unbebaute Flächen<br />

hätten erhalten können, da nach m<strong>e<strong>in</strong></strong>er Ansicht<br />

der Boden für Kulturzwecke sehr geeignet ersch<strong>e<strong>in</strong></strong>e.<br />

Diese Worte lösten dem biederen Alten die<br />

Zunge. „Diese Fläche“, begann er, „heißt das T<strong>in</strong>holter<br />

Moor. Mit ger<strong>in</strong>ger Arbeit und wenig Kosten<br />

wäre aus der Gegend <strong>e<strong>in</strong></strong> Paradies zu<br />

schaffen, da die Bodenverhältnisse nach Gestalt<br />

und Beschaffenheit die denkbar günstigsten s<strong>in</strong>d.<br />

Tausende würde das Land ernähren und <strong>e<strong>in</strong></strong> großes<br />

Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>wesen erblühen können. Aber <strong>e<strong>in</strong></strong><br />

Fluch ruht auf dieser weiten Ebene.“<br />

Gerade diese letzten Worte machten mich neugierig,<br />

und als ich m<strong>e<strong>in</strong></strong>en <strong>in</strong>teressanten Begleiter<br />

bat, mich hierüber näher aufzuklären, fuhr er fort:<br />

„Zwar gehört dieser Boden den Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den T<strong>in</strong>holt<br />

und Wilsum, aber seit unerdenklichen Zeiten<br />

gew<strong>in</strong>nen die hier umliegenden <strong>Ort</strong>schaften, namentlich<br />

des Kirchspiels Uelsen, ihren Torf zum<br />

Brennen. Brennsoden dürfen, um die Torfbildung<br />

nicht zu h<strong>in</strong>dern, hier nicht gestochen werden, wir<br />

Bauern haben das Recht, diese ohne weiteres fortzuholen.<br />

Während aber <strong>in</strong> m<strong>e<strong>in</strong></strong>er Jugend zur Zeit des<br />

Frühjahrs durch die Torfgew<strong>in</strong>nung vieler Bauernschaften<br />

sich hier <strong>e<strong>in</strong></strong> reges Leben entwickelte,<br />

92<br />

GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />

ja nach Feierabend die Torfstecher <strong>in</strong> großen<br />

Trupps s<strong>in</strong>gend <strong>in</strong> die <strong>Ort</strong>schaften zurückkehrten,<br />

sehen sie die Gegend hier jetzt völlig menschenleer<br />

und verlassen. Die Fläche ist nämlich abgetorft,<br />

und <strong>in</strong>folge der besseren Entwässerung ist<br />

das Torfmoos vertrocknet, so daß die Torfbildung<br />

aufgehört hat. Nun hat k<strong>e<strong>in</strong></strong> Mensch mehr Nutzen<br />

von diesem Flecken Erde. Kulturzwecken kann sie<br />

nicht dienstbar gemacht werden, weil die alten<br />

nutzlosen Torfstichrechte wie <strong>e<strong>in</strong></strong> Fluch darauf lasten,<br />

die selbst <strong>e<strong>in</strong></strong>er Markenteilung hemmend im<br />

Wege stehen. Wie schwer – wenn überhaupt möglich<br />

– würde es s<strong>e<strong>in</strong></strong>, diese Rechte abzuf<strong>in</strong>den!“<br />

Dann blieb m<strong>e<strong>in</strong></strong> Begleiter stehen und spähte<br />

<strong>in</strong> die Ferne. Er bat mich, <strong>e<strong>in</strong></strong>en Augen blick zu<br />

warten und g<strong>in</strong>g etwa 100 Schritte vom Wege ab.<br />

Als er zurückkam, wurde er von schreienden Kiebitzen<br />

verfolgt. Schmunzelnd zeigte er <strong>in</strong> s<strong>e<strong>in</strong></strong>er<br />

Mütze vier bunte Kiebitzeier, die er mir mitgab mit<br />

den Worten: „Das ist jetzt der ganze Jahresertrag<br />

dieses Landes, das <strong>e<strong>in</strong></strong> Garten Gottes s<strong>e<strong>in</strong></strong> könnte!“<br />

Oft habe ich an das Paradies im Dornröschenschlaf<br />

denken müssen.<br />

Besonders lebhaft beschäftigt es <strong>in</strong> letzter Zeit<br />

m<strong>e<strong>in</strong></strong>e Gedanken, nachdem die Regierung aus dem<br />

von dem Landtag geforderten Kredit von 1½ Milliarden<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>en erheblichen Betrag für die Organisation<br />

der Kriegsgefangenenarbeit <strong>in</strong> Aussicht<br />

genommen hat. Sie war dabei von dem besten<br />

Wunsche beseelt, große Kulturarbeiten, Flußregulierungen<br />

(Vechte?) Urbarmachungen und neuen<br />

Anbau von Brotgetreide und Kartoffeln besorgen<br />

zu lassen.<br />

Sollte nicht das T<strong>in</strong>holter Moor <strong>e<strong>in</strong></strong> geeignetes<br />

Arbeitsfeld für die nutzbr<strong>in</strong>gende Tätigkeit unserer<br />

Kriegsgefangenen s<strong>e<strong>in</strong></strong>, wo sie Wege anlegen,<br />

den Boden bearbeiten und mit Früchten bestellen<br />

könnten? Gewiß recht sehr! Nur muß sich erst <strong>e<strong>in</strong></strong><br />

Pr<strong>in</strong>z zeigen, der sich für das schlafende Dornröschen<br />

<strong>in</strong>teressiert, die Stachelhecke veralteter<br />

Rechte beseitigt und es aus s<strong>e<strong>in</strong></strong>em tiefen Schlummer<br />

aufweckt. Wenn dann im Mittelpunkte der<br />

Niedergrafschaft diese weite E<strong>in</strong>öde sich zu <strong>e<strong>in</strong></strong>em<br />

blühenden Gefilde entwickelt hat, <strong>in</strong> dem sich<br />

Bauernhof an Bauernhof reiht, dann trägt dieser<br />

Kulturfortschritt zum Zusammenschluß der zerfetzt<br />

liegenden Teile der Untergrafschaft bei und<br />

beseitigt die Möglichkeit, <strong>in</strong> der Entwicklung h<strong>in</strong>ter<br />

der Obergrafschaft zurückzubleiben.


„T<strong>in</strong>holter Brücke“ Gemälde von Polizist A. Leipner, 1965. Orig<strong>in</strong>al bei Fam. Harms-Ens<strong>in</strong>k, T<strong>in</strong>holt<br />

(Gerrit Jan Beuker)<br />

Da Slikkers, Ens<strong>in</strong>k und van R<strong>in</strong>ge das Holz geliefert<br />

hatten, entfiel für sie die Brückengebühr.<br />

Die Brücke wurde auch von Kallern und Haftenkampern<br />

genutzt. Um die Brückengebühr<br />

zu umgehen, wurde im Sommer zum Viehtrieb<br />

und mit leichten Wagen <strong>e<strong>in</strong></strong>e Furt <strong>in</strong> der<br />

Vechte bei Koelmann vorgezogen. Es gab da-<br />

TINHOLT<br />

mals <strong>e<strong>in</strong></strong>ige Landwirte, die sich grundsätzlich<br />

weigerten, die Brücke zu passieren. Sie wollten<br />

weiterh<strong>in</strong> mit „ihrer" Fähre ans andere<br />

Ufer gelangen.<br />

Im Zuge der Vechteregulierung wurde die<br />

Holzbrücke 1964 durch <strong>e<strong>in</strong></strong>en Betonübergang<br />

ersetzt.<br />

Moorkultivierung, Elektrifizierung,<br />

Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>defest<br />

Die ersten Bemühungen um die Kultivierung<br />

des T<strong>in</strong>holter Venns gehen auf die Jahre vor dem<br />

Ersten Weltkrieg zurück. Sie konnte aber erst<br />

nach dem Zweiten Weltkrieg im Zuge der Emslanderschließung<br />

realisiert werden. Auf den<br />

ehemaligen Flachmoorflächen, für die sogar<br />

die Bürger aus Uelsen verbriefte Torfstichrechte<br />

besaßen, wogt heute Getreide, stehen prächtige<br />

Kartoffeln und weiden große Viehherden.<br />

K<strong>in</strong>der auf der T<strong>in</strong>holter Brücke 1960. Die K<strong>in</strong>der<br />

der Familien Sentker und Günnemann überqueren die<br />

T<strong>in</strong>holter Brücke, unterwegs von der katholischen<br />

Volksschule Hoogstede. (Willy Friedrich)<br />

93


2<br />

94<br />

GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />

Elektrifiziert wurde die Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Ende der<br />

20er bis Anfang der 30er Jahre. Seit Mitte der<br />

Fünfziger Jahre wird das T<strong>in</strong>holter Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>defest<br />

gefeiert. Alljährlich treffen sich 130 bis<br />

150 T<strong>in</strong>holter, um <strong>in</strong> gemütlicher Runde zu<br />

essen, zu tr<strong>in</strong>ken und zu feiern. Anfangs traf<br />

man sich auf den Dielen verschiedener Höfe.<br />

In den letzten Jahren f<strong>in</strong>det das Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>defest<br />

<strong>in</strong> der Werkstatt der Firma Meyer<strong>in</strong>k statt.<br />

Auf dem T<strong>in</strong>holter Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>defest etwa 1965. H<strong>in</strong>drik-Jan<br />

Slikkers 1911-1995, Gerhard Staelberg 1883-1983,<br />

Jan Harms-Ens<strong>in</strong>k 1907-1998 und Maria Middendorf<br />

geb. Staelberg 1921-2000. (Berend-Jan Harms-Ens<strong>in</strong>k)<br />

Grafschafter Nachrichten<br />

07.05.1964,<br />

Neue Vechtebrücke<br />

<strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt


Bürgermeister von T<strong>in</strong>holt<br />

bis 1925 Johannes Arnold Meyer<strong>in</strong>k<br />

1925 bis 1955 Albert Ens<strong>in</strong>k<br />

geb. am 18.11.1885<br />

gest. am 25.03.1955<br />

verh. mit Gesien geb. Hannebrook<br />

1955 bis 1956 Jan Jonker<br />

geb. am 17.09.1895<br />

gest. 25.04.1971<br />

verh. mit Ges<strong>in</strong>a geb. Laarmann<br />

1956 bis zur Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>degebietsreform 1974<br />

Jan Harms-Ens<strong>in</strong>k<br />

geb. am 08.10.1907<br />

gest. 12.10.1998<br />

verh. mit Johanna geb. Jürriens<br />

Bürgermeister Albert Ens<strong>in</strong>k 1925–1955<br />

Bürgermeister Jan Jonker 1955–1956<br />

TINHOLT<br />

Bürgermeister Jan Harms-Ens<strong>in</strong>k 1956–1974<br />

„Jürries Jan“, Jan Harms-Ens<strong>in</strong>k,<br />

Bürgermeister von T<strong>in</strong>holt<br />

Johann Kemkers<br />

Gleich wie viele andere Männer s<strong>e<strong>in</strong></strong>er Zeit hat<br />

Jan Harms-Ens<strong>in</strong>k als Bürgermeister <strong>e<strong>in</strong></strong>er<br />

kl<strong>e<strong>in</strong></strong>en Landgem<strong>e<strong>in</strong></strong>de sich <strong>in</strong> jahrzehntelanger<br />

Amtsausübung um s<strong>e<strong>in</strong></strong>e Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de verdient<br />

gemacht. Dass er über die Grenzen der<br />

Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de T<strong>in</strong>holt h<strong>in</strong>aus <strong>in</strong> vielen wichtigen<br />

Ehrenämtern Verantwortung übernommen hat,<br />

zeichnet ihn besonders aus.<br />

Jan Harms-Ens<strong>in</strong>k wurde 1907 auf dem<br />

Scholtenhof <strong>in</strong> Scheerhorn geboren. S<strong>e<strong>in</strong></strong>e Eltern<br />

waren Jennegien Scholte und Berend-Jan<br />

Harms-Ens<strong>in</strong>k, der von dem Hof Harms-Ens<strong>in</strong>k<br />

<strong>in</strong> Bathorn stammte.<br />

Jan H.-E. wuchs auf dem elterlichen Hof<br />

auf und besuchte die <strong>in</strong> unmittelbarer Nähe<br />

gelegene Volksschule Scheerhorn. Nach der<br />

Schulentlassung arbeitete er auf dem elterlichen<br />

Hof. Als er 1935 die <strong>e<strong>in</strong></strong>zige Tochter des<br />

Hofbesitzers Jürriens <strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt heiratete, begann<br />

s<strong>e<strong>in</strong></strong>e Geschichte als „Jürries Jan van<br />

T<strong>in</strong>holt“.<br />

Nach vorübergehender kommunalpolitischer<br />

Tätigkeit <strong>in</strong> den 40er Jahren wurde er<br />

1955 wieder Ratsmitglied und schon <strong>e<strong>in</strong></strong> Jahr<br />

später auch Bürgermeister. Erst als die Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de<br />

T<strong>in</strong>holt 1974 ihre kommunale Eigenständigkeit<br />

verlor, endete s<strong>e<strong>in</strong></strong>e Tätigkeit als<br />

Vorsteher der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de. In dem Rat der neu<br />

gebildeten Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Hoogstede setzte er<br />

95


2<br />

s<strong>e<strong>in</strong></strong>e politische Arbeit auf <strong>Ort</strong>sebene bis 1986<br />

fort, um dann im Alter von 79 Jahren als „Ehrenratsherr“<br />

<strong>in</strong> den politischen „Ruhestand“<br />

zu gehen.<br />

Neben s<strong>e<strong>in</strong></strong>er Bürgermeistertätigkeit und<br />

teils <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung damit übte er verschiedene<br />

andere Ämter <strong>in</strong> der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de aus, unter anderem<br />

als Vorsitzender des Schulzweckverbandes<br />

Kalle-T<strong>in</strong>holt; als Vorsitzender der<br />

Jagdgenossenschaft T<strong>in</strong>holt; als Vorsitzender<br />

der Teilnehmergem<strong>e<strong>in</strong></strong>schaft Flurber<strong>e<strong>in</strong></strong>igung<br />

T<strong>in</strong>holt.<br />

Jan Harms-Ens<strong>in</strong>k wirkte weit über die Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>degrenzen<br />

h<strong>in</strong>aus: Mit der Gründung der<br />

Samtgem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Emlichheim 1974 übernahm er<br />

auch dort <strong>e<strong>in</strong></strong> Ratsmandat bis 1986. Zwölf<br />

Jahre (1964–1976) gehörte er dem Grafschafter<br />

Kreistag an und arbeitete <strong>in</strong> verschiedenen<br />

Ausschüssen (F<strong>in</strong>anzen; Planung, ...).<br />

Über den politischen Bereich h<strong>in</strong>aus engagierte<br />

sich Harms-Ens<strong>in</strong>k immer auch im sozialen<br />

Bereich und wirkte hier vornehmlich <strong>in</strong><br />

der Organisation des VdK. Vom Vorsitz <strong>in</strong> der<br />

<strong>Ort</strong>sgruppe Hoogstede (1954) führte s<strong>e<strong>in</strong></strong> Weg<br />

über das Amt des stellvertretenden Kreisvorsitzenden<br />

(1960) schließlich zum Vorsitz im<br />

Kreisverband Grafschaft Bentheim des VdK<br />

(1966–1986). In dieser Zeit (1972) wurde ihm<br />

auch das Amt <strong>e<strong>in</strong></strong>es ehrenamtlichen Richters<br />

am Sozialgericht <strong>in</strong> Osnabrück angetragen,<br />

das er jahrelang ausgeübt hat.<br />

96<br />

GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />

Jan Harms-Ens<strong>in</strong>k 1907-1998, „Jürries Jan”<br />

(M<strong>in</strong>i Büdden)<br />

Im Oktober 1985 wurde Jan Harms-Ens<strong>in</strong>k<br />

„<strong>in</strong> Anerkennung der um Volk und Staat erworbenen<br />

besonderen Verdienste“ mit dem<br />

Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland<br />

ausgezeichnet. Damit wurde er für s<strong>e<strong>in</strong></strong><br />

Lebenswerk geehrt, das weit über s<strong>e<strong>in</strong></strong>e Heimatgem<strong>e<strong>in</strong></strong>de<br />

T<strong>in</strong>holt h<strong>in</strong>ausreichte.<br />

Aber <strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt hatte nicht nur alles s<strong>e<strong>in</strong></strong>en<br />

Anfang genommen, hier fühlte er sich<br />

auch lebenslang fest verwurzelt. Er war <strong>e<strong>in</strong></strong>er<br />

von ihnen – so empfanden die T<strong>in</strong>holter und<br />

so verstand er sich auch selber. Jan Harms-<br />

Ens<strong>in</strong>k starb am 12. Oktober 1998 <strong>in</strong> s<strong>e<strong>in</strong></strong>em<br />

Haus <strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt.<br />

In Er<strong>in</strong>nerung bleibt <strong>e<strong>in</strong></strong> Mann, der mit fes -<br />

ten Zielsetzungen und Sachverstand s<strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />

vielfältigen Aufgaben ang<strong>in</strong>g, mit Gelassenheit<br />

auf schwierige Situationen reagierte, der<br />

den Menschen mit Wohlwollen begegnete und<br />

vielen ganz persönlich geholfen hat. Mit s<strong>e<strong>in</strong></strong>em<br />

sprichwörtlichen Humor trug er <strong>in</strong> manch<br />

schwieriger Situation zur Entspannung bei<br />

und sorgte <strong>in</strong> geselligen Runden immer für<br />

Unterhaltung und Heiterkeit.<br />

„Jürries Jan“ vertellt:<br />

Met ses joar mus ok ik noa de Schoole hen. De<br />

Schoole was bij uns net för de döre; doarüm<br />

wüs ik ok so’n bettien wat mij verwochde.<br />

Et was fort an ersten dag. De Meijster sä,<br />

wij sullen uns setten. Alle K<strong>in</strong>ner setden sik<br />

hä<strong>in</strong> – man ik bleef stoan. De Meijster keek<br />

bettien verwunnert ower siene Brille un froagde<br />

mij, warüm ik nich sitten güng. „Och<br />

Meijster“, meende ik, „ä<strong>in</strong>kliks wok mij hier<br />

nich so lange uphollen!“<br />

Aus dem Protokoll<br />

des T<strong>in</strong>holter Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>derates<br />

1929 Beschluss über öffentliche Fernsprechanlage<br />

bei dem Landwirt Harm Grüppe<br />

und beim Händler Schroven <strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt<br />

1933 Der Rat beschließt den Ausbau <strong>e<strong>in</strong></strong>es<br />

Weges von Gölenkamp, Haftenkamp,<br />

T<strong>in</strong>holt, Hoogstede, Bathorner Diek,<br />

bzw. Wielen, Ratzel, Wilsum, Hoogstede,<br />

Bathorner Diek und überlässt dem<br />

Herrn Landrat, welcher Weg ausgebaut<br />

werden soll.


„Freie Anschlagstelle“<br />

mit T<strong>in</strong>holter „Burwarker“<br />

Zwier Bischop,<br />

Manfred St<strong>e<strong>in</strong></strong>er, Geert<br />

Heetjans, Jan Harms-Ens<strong>in</strong>k,<br />

Steven Snyders, Egbert<br />

Jonker, Jan-H<strong>in</strong>drik<br />

Br<strong>in</strong>k mann, Johannes<br />

Meyer<strong>in</strong>k, Lefert Klomparens,<br />

Georg Jonker, H<strong>in</strong>drikus<br />

Hölties, Gerhard<br />

Günnemann. Diese T<strong>in</strong>holter<br />

haben sich zum<br />

„Buurwarken“ zusammengefunden.<br />

Die „Freie<br />

An schlagstelle“ befand<br />

sich beim Hof van R<strong>in</strong>ge<br />

<strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt. Hier konnte<br />

jeder <strong>e<strong>in</strong></strong>e Nachricht anheften,<br />

z.B. wenn man<br />

etwas gefunden oder<br />

verloren hatte.<br />

(Geert Ens<strong>in</strong>k)<br />

1934<br />

Erstmalig NSDAP im Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>deprotokoll erwähnt<br />

1939<br />

Erstmalig Hundesteuer festgesetzt<br />

1942<br />

Beschluss wegen Renovierung der Holzbrücke<br />

<strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt, Kosten 20.000 RM, T<strong>in</strong>holt musste<br />

davon 2.500 RM übernehmen<br />

14.12.1945<br />

Im Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>derat wird <strong>e<strong>in</strong></strong> Unterkunftsausschuss<br />

gewählt. Er war für die Verteilung der<br />

Flüchtl<strong>in</strong>ge zuständig<br />

1953<br />

Pläne für Ausbau der<br />

Vechtetalstraße (1 km).<br />

24.05.1957<br />

Erster Antrag für den Bau <strong>e<strong>in</strong></strong>es Wohnhauses<br />

<strong>in</strong> der T<strong>in</strong>holter Siedlung<br />

1959<br />

Anschluss an die Zentralwasserleitung<br />

1962<br />

Beschluss zum Neubau der Vechte-Brücke und<br />

der Flutmuldenbrücke<br />

1971<br />

E<strong>in</strong>leitung der Flurber<strong>e<strong>in</strong></strong>igung<br />

Hand- und Spanndienste<br />

„Buurwarken“<br />

Alle Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>demitglieder waren verpflichtet,<br />

mit Hand- und Spanndiensten bei der Unterhaltung<br />

der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>dewege und -straßen anzupacken.<br />

Das nannte man „Buurwarken“.<br />

Meistens wurde mit <strong>e<strong>in</strong></strong>em Laufzettel über die<br />

anstehenden Arbeiten <strong>in</strong>formiert.<br />

TINHOLT<br />

Die Höfe Slikkers, Ens<strong>in</strong>k und van R<strong>in</strong>ge<br />

waren vom „Buurwarken“ ausgenommen, weil<br />

sie für die Instandhaltung der alten Vechte-<br />

Brücke von 1870 zuständig waren.<br />

Überall <strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt waren Sandentnahmestellen.<br />

Hier wurde Sand für die Instandhaltung<br />

der Wege entnommen. Dafür waren die<br />

Bauern zuständig, die Gespanne mit zwei Pferden<br />

hatten. Sie mussten den Sand fahren. Bauern<br />

ohne Gespanne mussten ihren Dienst mit der<br />

Hand, also mit der Schaufel, ausführen.<br />

Steven Snieders aus T<strong>in</strong>holt war für die<br />

E<strong>in</strong>teilung der Hand- und Spanndienste verantwortlich.<br />

Auch bei Hochzeiten wurde<br />

„Buurwarken“ angesetzt. Das Brautpaar wurde<br />

dann von den Buurwarkern aufgehalten, und<br />

es wurde Hochprozentiges ausgeschenkt.<br />

Dr. jur. Wilhelm H. Huffenreuter<br />

(1777–1855)<br />

Auf dem reformierten Friedhof <strong>in</strong> Hoogstede<br />

steht <strong>e<strong>in</strong></strong> besonderer Grabst<strong>e<strong>in</strong></strong>. Wer von der<br />

Hauptstraße her den Friedhof betritt und sich<br />

gleich nach l<strong>in</strong>ks wendet, der f<strong>in</strong>det ihn nach<br />

wenigen Metern an der Hecke. Auf dem Sandst<strong>e<strong>in</strong></strong><br />

steht:<br />

Hier ruht<br />

W. H. Hüffenreuter<br />

geb. 13. Decb. 1777 <strong>in</strong> Batavia<br />

gest. 8. Febr. 1855 <strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt.<br />

Die L<strong>in</strong>gener Akademie, von <strong>e<strong>in</strong></strong>em oranischen<br />

Fürsten 1696 gegründet, war durch ihre<br />

Nähe <strong>e<strong>in</strong></strong>e von jungen Grafschaftern gern besuchte<br />

Bildungsstätte. Im Album der Studierenden<br />

stehen die Namen der Studenten, auch<br />

97


2<br />

solche, die aus Holland und den holländischen<br />

Kolonien kamen, darunter Johan Niehoff, der<br />

<strong>in</strong> Uelsen geboren war und <strong>in</strong> Batavia lebte. Er<br />

be<strong>e<strong>in</strong></strong>flusste 1776 <strong>e<strong>in</strong></strong>ige Freunde, mit ihm an<br />

der L<strong>in</strong>gener Akademie zu studieren.<br />

Zu ihnen gehörte auch Wilhelm Henricus<br />

Hüffenreuter. E<strong>in</strong> Hüffenreuter kehrte mit s<strong>e<strong>in</strong></strong>er<br />

Frau, <strong>e<strong>in</strong></strong>er Malai<strong>in</strong>, auf den Hof <strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt<br />

zurück (Sager, Grafsch. 1965 und Kühle, Zwischen<br />

Burg und Bohrturm Jg. 1974, S. 14, 3.<br />

Spalte)<br />

Wilhelm H<strong>e<strong>in</strong></strong>rich Huffenreuter wurde am<br />

13. Dezember 1777 <strong>in</strong> Batavia geboren. Batavia<br />

war der alte Name für die <strong>in</strong>donesische<br />

Hauptstadt Djakarta. (1610 bis 1943/45 war<br />

das heutige Indonesien <strong>e<strong>in</strong></strong>e niederländische<br />

Kolonie.) Dort hatte s<strong>e<strong>in</strong></strong> Vater Andreas Chris -<br />

topher Huffenreuter als Rittmeister der Landmiliz<br />

Dienst getan. Huffenreuter war <strong>e<strong>in</strong></strong><br />

bekannter Familienclan im damaligen Indonesien.<br />

Um 1810 muss W. H. Huffenreuter <strong>in</strong><br />

Bramsche gewohnt haben. Er habe <strong>e<strong>in</strong></strong>e Ausbildung<br />

als „Advocat" absolviert und s<strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />

akademische Ausbildung mit der Promotion<br />

abgeschlossen. In Bramsche wurden ihm von<br />

s<strong>e<strong>in</strong></strong>er Frau Cathar<strong>in</strong>a Dorothea Huffenreuter<br />

geb. Lampmann vier Söhne geboren.<br />

Ihre Eltern, der L<strong>in</strong>gener Sem<strong>in</strong>arlehrer<br />

Georg Ferd<strong>in</strong>and Lampmann und s<strong>e<strong>in</strong></strong>e Frau<br />

Anna Aleida Warm<strong>in</strong>g, hatten zeitweise <strong>in</strong><br />

T<strong>in</strong>holt gewohnt.<br />

Deren jüngster Sohn Ferd<strong>in</strong>and H<strong>e<strong>in</strong></strong>rich<br />

Philipp Cornelius Lampmann (1804–1893)<br />

war jahrzehntelang Pastor <strong>in</strong> Uelsen. E<strong>in</strong>e jüngere<br />

Schwester, Johanne Rh<strong>e<strong>in</strong></strong>hard<strong>in</strong>a Everhard<strong>in</strong>a<br />

Lampmann (1887–1863) war mit dem<br />

Amtsassessor Johann Georg Hoogklimmer<br />

(1784–1853) <strong>in</strong> Neuenhaus verheiratet. E<strong>in</strong>e<br />

weitere Schwester, Anna Aleida Lampman<br />

(1793–1860), ist <strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt geboren und <strong>in</strong><br />

Veldhausen verstorben.<br />

1823 kam Huffenreuter nach T<strong>in</strong>holt. Er<br />

übernahm dort den heutigen Hof von L. Jürriens<br />

am Lägen Diek. Am 22. Mai 1824 wurde<br />

hier die <strong>e<strong>in</strong></strong>zige Tochter Anna Cathar<strong>in</strong>a geboren<br />

und drei Jahre später, am 11. Mai 1827<br />

der fünfte Sohn Johann Georg.<br />

1829 bekam W.H. Huffenreuter für die<br />

reformierte Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de große Bedeutung. Wie-<br />

98<br />

GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />

derholt war vom Oberkirchenrat (dem Hoogklimmer<br />

auch angehörte? gjb) die Anstellung<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>es Rechnungsführers (Rendanten) angemahnt<br />

worden. E<strong>in</strong>e qualifizierte Person sollte<br />

die F<strong>in</strong>anzen der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de regeln und <strong>in</strong> der<br />

Zukunft führen. Jedoch konnte der <strong>Kirche</strong>nrat<br />

zunächst k<strong>e<strong>in</strong></strong>e geeignete Person f<strong>in</strong>den und<br />

regelte <strong>in</strong>tern das Rechnungswesen. Im Jahre<br />

1828 wurde der Älteste Harm Grüppe aus T<strong>in</strong>holt<br />

beauftragt, mit dem neuen Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>deglied<br />

Huffenreuter Kontakt aufzunehmen und<br />

ihn für die Arbeit als Rendant zu gew<strong>in</strong>nen.<br />

Diese Bemühungen waren von Erfolg gekrönt.<br />

Im reformierten <strong>Kirche</strong>nratsprotokoll vom 26.<br />

Februar 1829 lesen wir:<br />

„Den 26 Februarij wederom buiten gewoon<br />

Kerkenr. vergaderd met den Heer Huffenreuter<br />

en toen met hem er over gesproeken, heeft het<br />

8 dagen <strong>in</strong> zijn bedenk genomen, en verzogt dat<br />

wij en den Heer Amtman (er)(gem<strong>e<strong>in</strong></strong>t ist s<strong>e<strong>in</strong></strong><br />

Schwager Hoogklimmer <strong>in</strong> Neuenhaus) over<br />

zouden spreken of die het ook goed vond …“<br />

Am 27. März 1829 schließt man <strong>e<strong>in</strong></strong>en Vertrag<br />

mit Huffenreuter, mit dem er als Rechnungsführer<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>gesetzt wird:<br />

„Den 27 Maart buiten gewoon de Kerkenr.<br />

vergaderd absent J.Albers en G.Koops, en toen<br />

is door den Heer Huffenreuter hat contract getekend<br />

door hem overgeven ... ".<br />

Damit konnten die F<strong>in</strong>anzen <strong>in</strong> geordnete<br />

Bahnen gelenkt werden. Waren <strong>in</strong> den Jahren<br />

vor 1830 die <strong>Kirche</strong>nrechnungen vom Oberkirchenrat<br />

immer wieder beanstandet worden,<br />

so tritt ab 1830 <strong>e<strong>in</strong></strong>e grundsätzliche Wende<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>. Der Oberkirchenrat lobte die gute Rechnungsführung<br />

und hob die geordneten f<strong>in</strong>anziellen<br />

Verhältnisse <strong>in</strong> der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de hervor,<br />

auch wenn es häufig nur <strong>e<strong>in</strong></strong> Verwalten von<br />

Mangel war. Die Arbeit als Rendant geschah<br />

zwar im H<strong>in</strong>tergrund und doch war sie von<br />

großer Bedeutung für die Konsolidierung der<br />

reformierten Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Hoogstede.<br />

Am 8. Februar 1855 starb W. H. Huffenreuter<br />

im Alter von 78 Jahren. Er war zu<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>em angesehenen Mitglied der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de<br />

geworden und hatte über Jahre das Bürgermeisteramt<br />

<strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt <strong>in</strong>negehabt. S<strong>e<strong>in</strong></strong>e Frau<br />

überlebte ihn um 22 Jahre. Sie verstarb am 6.<br />

Juni 1877 im Alter von 92 Jahren.


Wappen der heutigen niederländischen<br />

Familie Huffenreuter (Gerrit Jan Beuker, Internet)<br />

Der älteste Sohn H<strong>e<strong>in</strong></strong>rich Wilhelm (09.1814<br />

bis 16.12.1879) lebte und arbeitete als Zimmermann<br />

<strong>in</strong> Kalle. Er starb an der Schw<strong>in</strong>dsucht.<br />

Der zweitälteste Sohn Nicolaus Friedrich<br />

Huffenreuter (04.04.1816–14.07.1873) heiratete<br />

Anna Marie Louise Wilhelm<strong>in</strong>e Baumann<br />

(30.01.1811–und führte den Hof des Vaters<br />

fort. Vier K<strong>in</strong>der starben nach der Geburt und<br />

von der Tochter Cathar<strong>in</strong>a Dorothea (geb. am<br />

31. Mai 1844) erfahren wir <strong>in</strong> den Folgejahren<br />

nichts mehr. (Sie heiratet wohl unter dem<br />

Mädchennamen ihrer Mutter als Dorothea<br />

Bauman den Friederich Stricker (1842–1874)<br />

<strong>in</strong> Wilsum. Aus der Ehe wird 1873 Oscar<br />

Stricker geboren.) So wie die Familie Huffenreuter<br />

1823 plötzlich <strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt erschien, so<br />

verlieren sich auch 1877 ihre Spuren wieder.<br />

Der vierte Sohn Carl Theodor (02.1822 bis<br />

05.12.1902) starb 1902 als Rentier <strong>in</strong> Lage.<br />

Bei der E<strong>in</strong>tragung s<strong>e<strong>in</strong></strong>es Todes im Sterbebuch<br />

vermeldet der <strong>Ort</strong>spastor als Eltern: „Gutsbesitzer<br />

Wilhelm Friedrich Huffenreuter und<br />

s<strong>e<strong>in</strong></strong>e Frau Cathar<strong>in</strong>a Dorothea Lampman“.<br />

(Nach G. ter Stal, 175 Ev.-ref. <strong>Kirche</strong>,<br />

kursive Abschnitte ergänzt durch Gerrit Jan Beuker)<br />

TINHOLT<br />

Jan Harm Bleumer, T<strong>in</strong>holt,<br />

Up mien Besseva sienen Hof<br />

Der aus T<strong>in</strong>holt stammende Jan Harm(en)<br />

Bleumer erzählt <strong>in</strong> s<strong>e<strong>in</strong></strong>em Buch „Up mien<br />

Besseva sienen Hof“ anschauliche Geschichten,<br />

<strong>in</strong> denen die ländliche Welt unserer Gegend am<br />

Ende des 19. Jahrhunderts lebendig wird.<br />

Bleumer wurde am 20. August 1873 auf<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>em Bauernhof <strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt geboren. Nach<br />

dem Besuch des Lehrersem<strong>in</strong>ars unterrichtete<br />

er an der Volksschule <strong>in</strong> Wielen, dann <strong>in</strong><br />

Grasdorf. 1907 verließ er die Grafschaft, als er<br />

nach Papenburg versetzt wurde. Seit 1923 war<br />

er bis zu s<strong>e<strong>in</strong></strong>er Pensionierung Lehrer <strong>in</strong> Osnabrück.<br />

Dort starb er am 9. Januar 1943. Das<br />

genannte Buch erschien <strong>in</strong> Papenburg vermutlich<br />

Anfang der zwanziger Jahre. Es folgt<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong> Auszug aus aus dem Kapitel über „Großvater<br />

und s<strong>e<strong>in</strong></strong>e Nachbarn“:<br />

Besseva un siene Noaberlö<br />

„In de annere Wecke kunn wij wall slachten.<br />

De Dom<strong>in</strong>i möt ditmoal ok wat hebben. Krajenfanger<br />

hef dor vörige Wecke all nen Sch<strong>in</strong>ken<br />

henbracht, de schleppt dor wall soa vull hen.<br />

Vöriges Joahr heb wij dor ok nicks henbracht“,<br />

meende de Moa.<br />

De annere Wecke wöt bij uns dat Beest<br />

slacht. Un do det oawends kot schneen wöt, sä<br />

de Moa: „Nuw schnie dor is`n got Broatstück<br />

of, wenn et ok tien Pund s<strong>in</strong>d.“ „Dat sall ik is<br />

ditmoal don.“<br />

Besseva söchde sik det möiste Stück ut, un<br />

den annern Dag süll de Va dor met hen. „Nee“,<br />

sä Besseva, „dor goah ik sülwen met hen. Ik sall<br />

et <strong>in</strong> Düstern dor wall henbrengen.“<br />

Oavends göng Besseva lös, Karo met em.<br />

Do he buten unsen Hof was, slög he nen heelen<br />

annern Weg <strong>in</strong>, noa de Feldkante an. He göng<br />

met sien Fleesk nich noa de Dom<strong>in</strong>i.<br />

„De hef genog“, dachde he, „et is better,<br />

ik breng et noa Remmers, de hebt det Hus<br />

vull K<strong>in</strong>ner, de kriegt wall nich vull Fleesk<br />

te sehn.“<br />

„Gun`n Oavend, Lö!“ „Gunn`n Oavend –<br />

Besseva, ij noch <strong>in</strong> Düstern!“ „Joa, up hellen<br />

Dach wull ik hier nich hen. Ik heb uw wat<br />

metbracht <strong>in</strong> den Korw, kiekt is to Frau un dot<br />

det dor is ewen ut.“<br />

99


2<br />

De Frau was ok nijschierig genog, keek to<br />

un slög de Hande tosammen: „Nee, dat hadde<br />

ij doch nich don mußt, det könne wij joa gar<br />

nich annemmen.“<br />

„Worüm denn nich? Wij hebt dor genog<br />

van un de et eigentlich hebben süll, hef ok<br />

genog.“<br />

Besseva wull denn weer goahn. „Nee“, sä<br />

de Frau, „det geht nich an. Erst kriege ij een<br />

Köppien Koffie. Soa söll ij nich weer weg.“<br />

Besseva wull ok nich all te fro weer <strong>in</strong> Hus<br />

kummen, dann föllt det fort up, he blew sitten.<br />

He kreeg doar een lecker Köppien Koffie;<br />

soa got hadde he et nich völl had. Do he dor<br />

een bis twee Ühre kürt hadde, brachde Remmers<br />

em weer upt Hus an.<br />

Do Besseva bijt Für satt, sä he: „Junge,<br />

wat wassen de Löe bliede, van Oavend heb ik<br />

noch is bliede Gesichter sehn!“<br />

Det kunn de Moa sik nich begriepen, det<br />

Dom<strong>in</strong>is sik so bliede anstellt hadden. Se keek<br />

dorüm Besseva is an.<br />

„Joa, joa“, sä Besseva weer, „du kiekst mij<br />

wall an, men so bliede Menschen hebbe ik<br />

lange nich mehr sehn.“<br />

Un et schiende, dat wat van disse Bliedschup<br />

up sien Gesicht lag.<br />

100<br />

GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />

Pater Marcellus Töller<br />

Pater Töller ist <strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt geboren. S<strong>e<strong>in</strong></strong>e Eltern<br />

s<strong>in</strong>d früh verstorben. Er wurde 1921 zum<br />

Priester geweiht. Er war lange <strong>in</strong> Ma<strong>in</strong>z tätig.<br />

Pater Töller verbrachte s<strong>e<strong>in</strong></strong>en Lebensabend <strong>in</strong><br />

St. V<strong>in</strong>cent <strong>in</strong> Neuenhaus und wurde <strong>in</strong> Hoogstede<br />

beerdigt.<br />

Foto zum 50-jährigen Priesterjubiläum, 1971<br />

(Willy Friedrich)


Die Lee <strong>in</strong><br />

Scheerhorn, 2008<br />

(Harm Kuiper)<br />

Berge und<br />

Scheerhorn<br />

Bearbeitet von Harm Kuiper<br />

Dr. Ernst Kühle über<br />

Scheerhorn und Berge<br />

Aus: Der Grafschafter 1968–1972,<br />

S. 887, 892, 900, 910 (Folge 227–230)<br />

Die nachfolgende Beschreibung von Kühle<br />

zeigt, wie sich die Umstände und Verhältnisse<br />

<strong>in</strong> den letzten vierzig Jahren verschoben<br />

haben. Sie verdeutlicht etwas von den Hoffnungen<br />

und Erwartungen jener Zeit. (gjb):<br />

Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>same Mark Hoogstede-Bathorn<br />

Die gem<strong>e<strong>in</strong></strong>same Mark mit Hoogstede und<br />

Bathorn reichte von der Vechte bis weit <strong>in</strong> das<br />

Hochmoor h<strong>in</strong><strong>e<strong>in</strong></strong> nach Osten, doch nicht, wie<br />

bei R<strong>in</strong>ge, bis an die Grenzaa. Die wertvolls -<br />

ten Flurstücke mit <strong>e<strong>in</strong></strong>em Bodengütewert von<br />

über 40 waren die Auewiesen an der Vechte.<br />

Auf leichten Bodenwellen <strong>in</strong> Überschwemmungsrandlage<br />

entstanden <strong>in</strong> germanischer<br />

Siedlungszeit Brotfruchtfluren und die Hofstätten<br />

der Altbauern. Weiter nach Osten g<strong>in</strong>g<br />

die Gemarkung <strong>in</strong> das lange Zeit unzugängliche<br />

Hochmoor über. Die Teilung der gem<strong>e<strong>in</strong></strong>-<br />

samen Mark auf die <strong>e<strong>in</strong></strong>zelnen Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den geschah,<br />

wie man <strong>in</strong> alter Zeit die Feldflur unter<br />

die Berechtigten aufteilte. Jeder erhielt <strong>e<strong>in</strong></strong>en<br />

schmalen Streifen auf jedem Flurstück, wie es<br />

das Rechtsgefühl gebot. So bekamen Scheerhorn<br />

und Berge schmale Streifen mit geraden,<br />

parallelen Grenzen von nur wenig über <strong>e<strong>in</strong></strong>em<br />

Kilometer Breite und der vierfachen Länge.<br />

Auf dem alten Messtischblatt von 1896 reichten<br />

Kulturfläche und Besiedlung nur etwa 1,5<br />

km ostwärts; der übrige Teil der Mark war<br />

noch als Ödland, östlich des Coevorden-Piccardie-Kanals<br />

mit Torfstichgruben, verzeichnet.<br />

Das neue Blatt, 1958, zeigt das Moor<br />

nahezu vollständig <strong>in</strong> Grünland umgewandelt,<br />

das durch gerade Gräben und feste Straßen <strong>in</strong><br />

Rechtecksflurblöcke aufgeteilt ist. Nur kl<strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />

Reste von Heide und Moor blieben zurück.<br />

Südlich der Lee häufen sich E<strong>in</strong>zeldünen<br />

und Dünenketten, die mit Nadelwald aufgeforstet<br />

s<strong>in</strong>d. Ehe das geschah, war die „Berger<br />

Sahara" <strong>e<strong>in</strong></strong> Quellherd für Sandverwehungen<br />

benachbarter Kulturflächen. Die höchste Erhe-<br />

101


2<br />

bung erreicht <strong>in</strong> Nähe der Lee 21,5 Meter; tiefs -<br />

te Senke ist die Leemündung mit 14 Meter. Die<br />

Berger Tannen haben Bedeutung gewonnen<br />

als Erholungslandschaft und als Sportstätte,<br />

auf der Waldläufe um die Kreismeisterschaft<br />

ausgetragen werden. Das benachbart Schwimmbad<br />

an der Lee wird selbst von Veldhauser<br />

Bürgern gern besucht. Das Scheerhorner Bruch<br />

beherbergt <strong>e<strong>in</strong></strong>e seltene Pflanzen- und Tierwelt.<br />

Professor Br<strong>in</strong>kmann und heimische Naturfreunde<br />

beobachteten und beschrieben das<br />

Tierleben dieser Naturoase. E<strong>in</strong> Moorweiher,<br />

Fettpott genannt, ist mit meterhohen B<strong>in</strong>sen<br />

umgrenzt und enthält Inseln mit anspruchslosen<br />

Kräutern, die Brutstätten von Sumpfund<br />

Wasservögeln s<strong>in</strong>d. Möwenkolonien und<br />

Trauerseeschwalben beleben den Restsumpf,<br />

von dem das Jahrbuch 1962 <strong>e<strong>in</strong></strong> Lichtbild<br />

br<strong>in</strong>gt. Lehrer Naber, Veldhausen, beobachtete<br />

Austernfischer und Kampfläufer. Wegra<strong>in</strong>e<br />

und Gräben weisen noch immer <strong>e<strong>in</strong></strong>en Artenreichtum<br />

auf, der kaum bei kurzen Besuchen<br />

ausgeschöpft werden kann.<br />

Der Name Scheerhorn bedeutet nach H.<br />

Specht <strong>e<strong>in</strong></strong>e vorspr<strong>in</strong>gende Grenzfläche. Als<br />

102<br />

GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />

Hörn gilt <strong>e<strong>in</strong></strong>e Ecke, <strong>e<strong>in</strong></strong> W<strong>in</strong>kel oder Platz am<br />

Fluss, wie bei Nordhorn. Abels erklärt „scheer“<br />

mit schier, dürr, wonach Scheerhorn <strong>e<strong>in</strong></strong> dürrer<br />

Platz gewesen wäre. Wer heute durch die<br />

Landschaft wandert, erhält <strong>e<strong>in</strong></strong>en weit günstigeren<br />

E<strong>in</strong>druck. Flachlandbewohner haben die<br />

Neigung, flache Bodenerhebungen als Berge<br />

zu bezeichnen, woraus sich der Name Berge<br />

erklärt …<br />

Bischöfe, Grafen und Herren<br />

Der Graf von Bentheim war Hauptgrundherr;<br />

neben ihm gab es geistliche und weltliche<br />

Grundherren mit ger<strong>in</strong>geren Anrechten. Der<br />

Bischof v. Utrecht hatte s<strong>e<strong>in</strong></strong>e hörigen Höfe im<br />

Schatt<strong>in</strong>gsregister der Twente 1475 verzeichnet,<br />

Familienfoto um 1900 aus Berge, Familie Bloemendal.<br />

Hochzeitspaar ganz rechts: Jan Harm Bloemendal und Ennegien Bloemendal geb. Stroot, Eltern sitzend am Tisch:<br />

H. J. Bloemendal geb.15.9.1852 gest. 25.1.1925 und Aaltien Bloemendal geb. Kaalmann geb. 17.2.1856 gest. 9.3.1941, dann<br />

von l<strong>in</strong>ks nach rechts: H<strong>in</strong>rikien B<strong>in</strong>gler geb. Bloemendal mit Sohn und Ehemann Jan B<strong>in</strong>gler, H<strong>in</strong>drika Bloemendal geb.<br />

4.4.1888 gest. 6.3.1952 später verheiratet mit H.J. Zweers <strong>in</strong> Berge, Jan Bloemendal und Hermannes Bloemendal (Zweers)<br />

Der Fettpott <strong>in</strong><br />

Berge, 1959<br />

(Willy Friedrich)


Hof von Kuite <strong>in</strong> Berge (Willy Friedrich)<br />

das uns Archivar Döhmann, Burgst<strong>e<strong>in</strong></strong>furt,<br />

zugänglich machte. Die Herren auf benachbarten<br />

adligen Rittergütern hatten Jagdrechte<br />

<strong>in</strong> der Scheerhorn-Berger Mark; die Herren<br />

von Laar bejagten die Flur zweimal jährlich,<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>mal bei Gras, <strong>e<strong>in</strong></strong>mal bei Stroh. Die Herren<br />

von Echteler forderten die Koppeljagd <strong>in</strong><br />

Scheerhorn, die Herren auf Öd<strong>in</strong>ghof, Esche,<br />

die Koppeljagd <strong>in</strong> Berge. Die hohe Jagd übte<br />

der Graf all<strong>e<strong>in</strong></strong> aus. Zu s<strong>e<strong>in</strong></strong>en Reservationen<br />

gehörten u. a. das Scheerhorner- und/Klusenfeld<br />

(Clausterfeld). Der Scheerhorner Ballast<br />

und Berger Brill waren Eigenjagdreviere. Beim<br />

Schulten logierten die Jäger, zu den Mahlzeiten<br />

trugen die Bauern bei: Brun<strong>in</strong>ck, Surman,<br />

Hemke, Kolthoff, Hannebroeck, Jor<strong>in</strong>ck, Volker<br />

lieferten je <strong>e<strong>in</strong></strong> Brot. Die Herren auf der<br />

Schulenburg zu Veldhausen besaßen Land<br />

und Leute <strong>in</strong> Scheerhorn; dieser Besitz g<strong>in</strong>g<br />

später auf den Grafen über.<br />

Kloster Wietmarschen hörig<br />

Das Kloster Wietmarschen entwickelte sich<br />

zum reichen Grundbesitzer <strong>in</strong> der Grafschaft;<br />

ihm gehörten 139 Höfe. Zu s<strong>e<strong>in</strong></strong>en hörigen<br />

Bauernerben gehörte Hartger<strong>in</strong>ck (Hatger) to<br />

Scheerhorn, der als jährliche Pacht 4 Müdde<br />

Roggen, 4 Müdde Gerste, 1 Huhn und am<br />

Thomastag 1½ Mark gab. Wenn das Geld an<br />

BERGE UND SCHERHORN<br />

diesem Tag nicht bezahlt war, verdoppelte sich<br />

der Betrag. Später, 1683, bekennt Hartger<strong>in</strong>ck,<br />

dass er jährlich im Mai oder zu Mart<strong>in</strong>i 1 Rtl,<br />

7 Stüber als Kl<strong>e<strong>in</strong></strong>dienstgeld geben muss. Hartger<strong>in</strong>ck<br />

erfüllte aber nicht nur Sachleistungen,<br />

sondern auch persönliche Dienste, ebenso<br />

s<strong>e<strong>in</strong></strong>e Frau und s<strong>e<strong>in</strong></strong>e K<strong>in</strong>der. Söhne und Töchter<br />

konnten mit anderen Grundherren ausgetauscht<br />

werden. Wenn das geschah, wurde es<br />

im Wechselbuch vermerkt. Das Kloster versuchte,<br />

die Vogteirechte <strong>in</strong> s<strong>e<strong>in</strong></strong>en Besitz zu<br />

br<strong>in</strong>gen; es gelang 1355 bei Hartger<strong>in</strong>ck. Im<br />

Austausch mit dem Grafen empf<strong>in</strong>g das Klos -<br />

ter die Magd Fenne Brun<strong>in</strong>ck, die up Hartger<strong>in</strong>ck<br />

to Scheerhorn kam. 1441 überließ das<br />

Kloster dem Herrn Johan v. Laar H<strong>in</strong>rieh, Almer<strong>in</strong>cks<br />

Sohn, der zu Silverk<strong>in</strong>ck, Scheerhorn,<br />

kam. Lubbe Hartger<strong>in</strong>ck to Scheerhorn<br />

heiratete Robbe ten Suthove; sie bauten <strong>e<strong>in</strong></strong><br />

Häuschen vor Mellenkamps Boom; ihre Tochter<br />

Talle wurde frei. Im Austausch mit dem Bischof<br />

von Utrecht empf<strong>in</strong>g das Kloster die<br />

Magd Swenne, Volkers Tochter, die zu Süverd<strong>in</strong>ck<br />

to Scheerhorn kam, ebenso vom Herrn<br />

J. Bade <strong>e<strong>in</strong></strong>e Magd, Swenne, T<strong>in</strong>holts Tochter,<br />

die <strong>e<strong>in</strong></strong>heiratete auf dem Klostererbe ter Kalle<br />

to Scheerhorn.<br />

Die jährlichen Kornpachten nach dem Manual-<br />

und Söllerbuch 1829 betrugen für Hat-<br />

103


2<br />

ger 16 Scheffel Roggen, 16 Scheffel Gerste, 3<br />

Gulden und ungewisse Gefälle, die der Hof<br />

1854 ablöste. Van der Loo nennt das Jahr 1246<br />

als Beg<strong>in</strong>n des Hörigkeitsverhältnisses Hatgers.<br />

Im Heberegister der Grafen von Bentheim<br />

1486 s<strong>in</strong>d 14 gräfliche Höfe aus dem Kirchspiel<br />

Emlichheim <strong>e<strong>in</strong></strong>getragen, 1553 bereits 192<br />

(Voort, Jahrbuch 1972).<br />

In Scheerhorn gaben an Roggenpacht (Ro),<br />

Gerstenrente (Ge) <strong>in</strong> Müdde (6 Scheffel): Schul -<br />

te v. Scheerhorn 3 Ro, Hemmike 4 Ro, Gozen<br />

Brün<strong>in</strong>ck 6 Ro, 5 Ge, Anebroick 4 Ro, 2 Ge,<br />

Wermel<strong>in</strong>ck 8 Ro, 3 Ge, Kemike (wohl obiger<br />

Hemmike) 4 Ge. An R<strong>in</strong>der- und Zwynepacht<br />

gaben Almer<strong>in</strong>ck 1 R<strong>in</strong>d, Kuelman 1 R<strong>in</strong>d,<br />

104<br />

GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />

„Zuckerpott“ zwischen 1871 und 1895 von Janna Alfer<strong>in</strong>k<br />

Janna Alfer<strong>in</strong>k geb. Groene (27.01.1848–16.03.1910),<br />

heiratet am 29.07.1875 Jan Alfer<strong>in</strong>k (H<strong>in</strong>drik-Jan Alfer<strong>in</strong>k)<br />

Hartger<strong>in</strong>ck 1 R<strong>in</strong>d, je 1 Schw<strong>e<strong>in</strong></strong>: Wermel<strong>in</strong>ck,<br />

Brün<strong>in</strong>ck, Hemmike. — Die Tende zu Scheernhorn<br />

ist Jahr für Jahr verd<strong>in</strong>get für 33 Müdde<br />

Roggen …<br />

Haager Vergleich 1701<br />

In der Zeit zwischen den beiden Galenschen<br />

Kriegen trat Graf Ernst Wilhelm zum katholischen<br />

Bekenntnis über. Die reformierte Grafschaft<br />

hielt an ihrem Bekenntnis fest und<br />

suchte Anlehnung beim reformierten Nachbarstaat.<br />

Der Haager Vergleich, 1701, stellte<br />

den kirchlichen Zustand vom Jahre 1624 sicher<br />

und gab dem Oberkirchenrat <strong>e<strong>in</strong></strong> ausreichendes<br />

Maß von E<strong>in</strong>fluss auf das kirchliche<br />

und Schulleben. Der Vergleich regelte Lehre<br />

und Verfassung der reformierten <strong>Kirche</strong> <strong>in</strong> der<br />

Grafschaft. Holländische Lehrer und Geistliche<br />

kamen <strong>in</strong> die Niedergrafschaft, <strong>in</strong> der die<br />

holländische Sprache die <strong>Kirche</strong>nsprache<br />

wurde. 1707 traf die Regierung erste Maßnahmen<br />

gegen die Sandverwehungen. In <strong>e<strong>in</strong></strong>er<br />

Zeit, als es noch k<strong>e<strong>in</strong></strong>e W<strong>in</strong>dschutzgürtel, aber<br />

große Schafherden gab, die die Grasnarbe <strong>in</strong><br />

der Mark zertraten, hatte der W<strong>in</strong>d im Dünenbereich<br />

bei zerstörter Grasnarbe beste Angriffsflächen,<br />

um Mulden auszublasen und<br />

Flugsand über die Kulturflächen zu wehen.<br />

Durch E<strong>in</strong>schränken der Schafbestände und<br />

Bepflanzen der nackten Sandflächen sollte<br />

den Sandstuwen E<strong>in</strong>halt geboten werden, und<br />

die Anlage von Telgenkämper, 1717, sollte<br />

dem Mangel an Pflanzgut abhelfen. Noch 150<br />

Jahre lang dauerte der Kampf gegen die Sandstuwen<br />

fort.<br />

Inschrift „Invidia fortunae comes anno 1689, den 30 Juny“<br />

Übersetzt: „Missgunst ist des Glückes Begleiter“. Alte Inschrift auf dem Hof Hermann Alfer<strong>in</strong>k, Scheerhorn. Der alte St<strong>e<strong>in</strong></strong><br />

war <strong>e<strong>in</strong></strong>gemauert <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong></strong>er Scheune über <strong>e<strong>in</strong></strong>er Tür. Stammt er möglicherweise von der Burg <strong>Arkel</strong>? (Harm Kuiper)


Hof Hermann Alfer<strong>in</strong>k, Hauptstraße, Scheerhorn, etwa 1950 (Alfer<strong>in</strong>k, Harm Kuiper)<br />

1752 verpfändet an Hannover<br />

Die Bentheimer Subdelegation, <strong>e<strong>in</strong></strong>e vom<br />

Kaiser geregelte Vormundschaftsregierung,<br />

versuchte, durch Sparverordnungen die f<strong>in</strong>an -<br />

zielle Notlage des Landes zu bessern. Da es<br />

nicht gelang, gesunde Verhältnisse zu schaffen,<br />

sah sich Graf Friedrich Carl genötigt,<br />

1752 s<strong>e<strong>in</strong></strong>e Grafschaft an das Land Hannover<br />

zu verpfänden. Vier Jahre später, im Siebenjährigen<br />

Krieg, versuchte der Graf, an der<br />

Spitze französischer Truppen, die Freiheit s<strong>e<strong>in</strong></strong>es<br />

Landes zurückzugew<strong>in</strong>nen. Die Franzosen<br />

besetzten das Land und nutzten es als Angriffsbasis<br />

gegen Hannover, das mit England<br />

<strong>in</strong> Personalunion ver<strong>e<strong>in</strong></strong>igt war. Berger und<br />

Scheerhorner Bauern lieferten Getreide und<br />

Heu und leisteten mit ihren Gespannen<br />

Frachtdienste. Jungbauern dienten als Tra<strong>in</strong>-<br />

„Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>dearbeiten“ = Boerwerken 1920er Jahre <strong>in</strong> Berge. Berger Landwirte vor<br />

dem Hof Mensen auf der Feldstraße (Harm Kuiper)<br />

BERGE UND SCHERHORN<br />

knechte; entzogen sie sich diesem Dienst<br />

durch Flucht, diente der Vater für den Sohn.<br />

Der Forstmeister Aschenbroick meldete Viehschäden<br />

durch Wölfe, worauf der Graf <strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />

Wolfsjagd, die <strong>in</strong>sbesondere den Scheerhorner<br />

Ballast erfasste, anordnete. Jeder Vollbauer<br />

hatte 2 Treiber, der Halberbe 1 Treiber zu stellen<br />

bei 5 Gulden Strafe bei Nichtersch<strong>e<strong>in</strong></strong>en.<br />

Nach Friedensschluss folgten die üblichen<br />

Verordnungen zum Wiederaufbau von Flur<br />

und Wegen, h<strong>in</strong>zu kamen zahlreiche Vorschriften<br />

zur persönlichen Sparsamkeit im<br />

Haushalt, im Verbrauch von Holz, zur Schädl<strong>in</strong>gsbekämpfung.<br />

Kampf dem Moor<br />

Das Land Hannover unternahm Großangriffe<br />

auf das Moor; <strong>e<strong>in</strong></strong>e Reihe neuer Moorsiedlun-<br />

105


2<br />

gen entstand, darunter die Neue Piccardie und<br />

Adorf. Trotz ger<strong>in</strong>ger Bevölkerungsdichte im<br />

Lande war bei zu ger<strong>in</strong>gem Kulturland <strong>e<strong>in</strong></strong> Bevölkerungsüberschuss<br />

vorhanden. So nutzten<br />

nachgeborene Söhne aus Berge und Scheerhorn<br />

die Möglichkeit, <strong>e<strong>in</strong></strong> Moorkolonat zu erwerben.<br />

Die bäuerlichen Lasten waren <strong>in</strong> der<br />

Bentheimer Eigentumsordnung, die sich der<br />

Osnabrücker anpasste, geregelt. Vorausschauende<br />

Männer, wie O. v. Münchhausen, hielten<br />

das Weiterbestehen der privatrechtlichen B<strong>in</strong>dungen<br />

für zu stark belastend und die freie<br />

Entwicklung beh<strong>in</strong>dernd. Justus Moser beklagte<br />

die Härte der ungewissen Gefälle.<br />

Franzosenzeit<br />

Als nun die Franzosen wieder <strong>in</strong>s Land kamen,<br />

diesmal als Revolutionstruppen, und Gewerbefreiheit<br />

und Ablösung der bäuerlichen Las -<br />

ten versprachen, hörte man das gern, blieb<br />

jedoch zweifelnd. Die Selbstständigkeit der<br />

Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den hörte auf; Berge und Scheerhorn<br />

wurden mit Nachbargem<strong>e<strong>in</strong></strong>den zu <strong>e<strong>in</strong></strong>er Munizipalität<br />

unter <strong>e<strong>in</strong></strong>em Maire zusammengefasst.<br />

Man erkannte bald, dass sich an den<br />

alten B<strong>in</strong>dungen nichts änderte und dass es<br />

der Fremdregierung auf Steuergelder und Rekruten<br />

ankam. Das französische Kataster fand<br />

immer neue Steuerquellen, und die Rekrutenlisten<br />

füllten sich mit Namen von Jungbauern,<br />

die ausgehoben, auf fremden Garnisonen<br />

ausgebildet und auf fernen Kriegsschauplätzen<br />

für Frankreichs Ruhm kämpften. Aber<br />

auch gegen Napoleon stritten Berger und<br />

Scheerhorner Söhne im Bentheimer Bataillon,<br />

wie die Verlustlisten 1814/15 ausweisen. Dirk<br />

Sloot starb 1815 <strong>in</strong> Corbevoye <strong>in</strong> Frankreich.<br />

Nach 1815<br />

Nachdem die Franzosen vertrieben waren,<br />

übernahm Regierungsrat v. Pestel die Pfandschaftsregierung,<br />

hob die französischen Gesetze<br />

auf und ließ die alte Ordnung wieder<br />

gelten, doch vielfach ohne die früher geübte<br />

Milde. E<strong>in</strong>e Zählung 1821 ergab für Berge <strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />

Zwerggem<strong>e<strong>in</strong></strong>de mit 83 E<strong>in</strong>wohnern, 16 Feuerstellen,<br />

10 Höfen; für Scheerhorn 30 Feuerstel<br />

len, 12 Höfe und 184 E<strong>in</strong>wohner. Die erwartete<br />

Ablösung blieb aus; das vom Bürger-<br />

106<br />

GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />

meister und Landrat Stüve <strong>in</strong> Osnabrück angeregte<br />

hannoversche Ablösungsgesetz, 1831,<br />

sowie die Osnabrücker Markenteilungsordnung<br />

galten für die Grafschaft Bentheim erst<br />

nach dem Revolutionsjahr 1848 …<br />

Hollandgänger, Erdhütten, Markenteilung<br />

Der Mangel an Arbeitsplätzen und die Landnot<br />

ließen die Abwanderung <strong>in</strong> die Nachbarstaaten<br />

ansteigen; 1847 zählte man 2500<br />

Hollandgänger. Vogt Baake meldete 1869,<br />

dass sich <strong>in</strong> der Scheerhorner Mark acht bewohnte<br />

Erdhütten befänden. Im bäuerlichen<br />

Betrieb nicht ausgelastete Kötter suchten Nebenerwerb<br />

an Webstühlen, von denen es 1863<br />

16 gab. Die Markenteilung, 1864 bis 1871, bot<br />

der Landnot E<strong>in</strong>halt; der Bau des Südnord-<br />

Kanals nach 1871 senkte den Wasserspiegel<br />

im Moor, und der M<strong>in</strong>eraldünger ließ die Erträge<br />

auf dem Moorboden ansteigen. Der Kreistag<br />

förderte mit den bescheidenden Mitteln<br />

des neuen Kreises die Kulturtätigkeit im Moor.<br />

Zu den Mitgliedern des Kreisausschusses gehörte<br />

Kolon Nyenhus. Die Schule erhielt <strong>in</strong><br />

Lehrer Wiefer<strong>in</strong>k <strong>e<strong>in</strong></strong>e beruflich vorgebildete<br />

Lehrkraft, die die Lehrerbildungsanstalt des<br />

Schulrates Fokke <strong>in</strong> Neuenhaus besucht hatte.<br />

H<strong>in</strong>drikien Jeur<strong>in</strong>k geb. Snieders (1875-1961)<br />

mit Wollmütze. Geboren 12.06.1875 <strong>in</strong> Berge, heiratet<br />

am 28.03.1898 Jan H<strong>in</strong>drik Jeur<strong>in</strong>k, verst. 19.02.1961<br />

<strong>in</strong> Berge. (Harm Kuiper)


Straße und Eisenbahn 1890/1909<br />

Die Verkehrslage besserte sich, als der alte<br />

Heerweg durch Berge und Scheerhorn 1890<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>e feste Straßendecke bekam. E<strong>in</strong> halbes<br />

Jahrhundert später stufte man diese wichtige<br />

Straße zur L 44 auf. 1909 verlängerte die Bentheimer<br />

Eisenbahn ihr Gleis nach Norden, von<br />

Neuenhaus nach Emlichheim.<br />

Im Kampf um die L<strong>in</strong>ienführung entschied<br />

die größere Siedlungsdichte am östlichen Ufer<br />

der Vechte. An der Stelle, wo die Eisenbahn<br />

Abbildung 90 Schlechter Weg <strong>in</strong> Scheerhorn, 1961 oder früher (Willy Friedrich)<br />

Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den streiten um Sparbuch<br />

Zeitung und Anzeigenblatt 1911<br />

Kreisblatt für den Kreis Grafschaft Bentheim<br />

Bearbeitet von Johann Jeur<strong>in</strong>k<br />

Scheerhorn-Berge, 18. April 1911<br />

Für die Instandhaltung zweier aus Bohlen bestehender<br />

Brücken für den Viehübergang und<br />

den Wagenverkehr über den neuen Kanal um<br />

somit zu dem Berger Bruche und dem Scheerhorner<br />

Ballast zu gelangen, hatte der Fürst<br />

von Bentheim <strong>e<strong>in</strong></strong>e <strong>e<strong>in</strong></strong>malige Zahlung von 32<br />

Mark geleistet. Dieser Betrag wurde 1887 bei<br />

der Sparkasse belegt, womit es solange s<strong>e<strong>in</strong></strong><br />

Bewenden hatte, bis die Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Berge, welche<br />

<strong>in</strong>zwischen durch <strong>e<strong>in</strong></strong>e politische Grenze<br />

von der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Scheerhorn getrennt worden<br />

war, ihren Anteil an dem Sparkassenguthaben<br />

forderte. Merkwürdigerweise stellte es sich heraus,<br />

daß der Betrag nur auf den Namen der Ge-<br />

BERGE UND SCHERHORN<br />

die Straße kreuzt, bot sich der geeignete Platz<br />

für die Haltestelle. Im neuen Jahrhundert<br />

führte Berge <strong>e<strong>in</strong></strong>en Prozess gegen Scheerhorn<br />

um s<strong>e<strong>in</strong></strong>en Anteil an 32 Mark Brückengeld.<br />

Nach dem Ersten Weltkrieg<br />

Nach dem Ersten Weltkrieg setzte Landrat Bön<strong>in</strong>ger<br />

die Kulturtätigkeit s<strong>e<strong>in</strong></strong>es Vorgängers<br />

fort. Aufmerksam beobachtete man die Tätigkeit<br />

der ersten großen Motorpflüge im Moor,<br />

die leider den Umbruch <strong>in</strong>folge unerschw<strong>in</strong>gli-<br />

m<strong>e<strong>in</strong></strong>de Scheerhorn und nicht auf beide Namen<br />

Scheerhorn-Berge lautend, <strong>e<strong>in</strong></strong> getragen war,<br />

wes halb die Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Scheerhorn ihr Eigentumsrecht<br />

an dem Sparkassenbuche geltend<br />

machte. Hierüber war die Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Berge<br />

höchst entrüstet und leitete das Klageverfahren<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>. Wichtige Zeugen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>zwischen verstorben.<br />

E<strong>in</strong>ige Aussagen der vernommenen Zeugen<br />

widersprechen sich gänz lich, weil der<br />

Zeitpunkt, um welchen die Brückengeschichte<br />

sich abspielt, <strong>in</strong> dunkler Er<strong>in</strong>nerung liegt. Die<br />

Angelegenheit beschäftigt nun schon seit <strong>e<strong>in</strong></strong>em<br />

Jahre das Gericht und will noch immer k<strong>e<strong>in</strong></strong><br />

Ende nehmen, so daß ganz bedeutende Kosten<br />

erwachsen. Die Verhandlungen gestalten sich<br />

äußerst schwierig, wenn auch teils recht <strong>in</strong>teressant.<br />

In beiden Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den wird mit Spannung<br />

das Urteil erwartet, das wahrsch<strong>e<strong>in</strong></strong>lich<br />

Ende dieses Monats <strong>in</strong> Osnabrück gefällt wird.<br />

107


2<br />

cher Treibstoffpreise während der Inflationszeit<br />

bald <strong>e<strong>in</strong></strong>stellen mussten. Mit dem elektrischen<br />

Strom erhielt der Bauernhof <strong>e<strong>in</strong></strong>e neue wichtige<br />

Energiequelle, mit dem Schlepper <strong>e<strong>in</strong></strong>en<br />

Ersatz für den tierischen Helfer. Herdbuchgesellschaften<br />

und Kontrollver<strong>e<strong>in</strong></strong>e halfen, die Erträge<br />

der Viehwirtschaft zu steigern. Gab die<br />

Kuh bisher jährlich durchschnittlich 900 Liter<br />

Milch, so konnte durch Zucht- und Pflegemaßnahmen<br />

der Milchertrag erheblich verbessert<br />

werden. In genossenschaftlicher Selbsthilfe<br />

mehrte sich der Bodenertrag, der Gew<strong>in</strong>n beim<br />

Verkauf der erzielten Produkte bei günstigem<br />

Bezug von Saatgut und Düngemitteln. Die<br />

Hektarerträge an Getreide, vor 50 Jahren 4–5<br />

Doppelzentner, wuchsen auf das Mehrfache an.<br />

Der Ausbau der Lee, 1927–33 zwischen Wiet-<br />

108<br />

GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />

Wegebau im Zuge der Vechteregulierung h<strong>in</strong>ter Mensen,<br />

Berge, ca 1960 (Harm Kuiper)<br />

marschen und Scheerhorn, verbesserte die Vorflut.<br />

1933 besaß Berge 44 ha Ackerland, 14 ha<br />

Wiesen, 28 ha Weiden, 22 landwirtschaftliche<br />

Betriebe, darunter zwei größere Höfe, 15 kl<strong>e<strong>in</strong></strong>ere,<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong> Neubauer, vier Heuer. Die E<strong>in</strong>wohnerzahl<br />

der Zwerggem<strong>e<strong>in</strong></strong>de wuchs <strong>in</strong> 100<br />

Jahren von 83 auf 126 an. Scheerhorn besaß<br />

102 ha Ackerland, 31 ha Wiesen, 38 ha Weiden,<br />

39 landwirtschaftliche Betriebe, darunter<br />

sieben größere, 18 kl<strong>e<strong>in</strong></strong>ere Höfe, zwei Neubauern,<br />

zwölf Heuer und 217 E<strong>in</strong>wohner.<br />

Nach dem Zweiten Weltkrieg<br />

Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte die Landeskultur<br />

durch das Vorkommen neuer Bodenschätze<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>e unvorhergesehene günstige<br />

Entwicklung, an der alle Hofstätten teilnah-<br />

Ölstraße 1961.<br />

Landstraße mit <strong>e<strong>in</strong></strong>sam<br />

dah<strong>in</strong>ziehenden<br />

Pferdefuhrwerk<br />

bei Scheerhorn.<br />

(Willy Friedrich)<br />

Letzte Holzbrücke<br />

über die Lee bei<br />

Schraten, 2008<br />

(Harm Kuiper)


Harm Kuiper (1903-1972)<br />

auf der Leebrücke bei Schiphouwer <strong>in</strong> 1948 (Harm Kuiper)<br />

Gefrieranlage Scheerhorn Dezember 1958<br />

Unbekannt, Johannes Lorenz Jönssen, Gerd Evers,<br />

Harm Kuite, H<strong>in</strong>drik-Jan Keute, Gerd Kemper,<br />

Bgm. Johannes Nyenhuis, Unbekannt, Frau Kunze,<br />

Steven Nöst (Willy Friedrich)<br />

21.11.1985, Bürgermeister Jan H<strong>in</strong>drik Koops<br />

wird sechzig, v.l. Frieda Koops, Jan H<strong>in</strong>drik Koops<br />

und Henrika Köster (Willy Friedrich)<br />

BERGE UND SCHERHORN<br />

Leestau bei Bernd-Harm Alfer<strong>in</strong>k. (Harm Kuiper)<br />

men. Es begann 1946 mit dem E<strong>in</strong>satz von elf<br />

Dieselloks im Siedlungsgebiet Berge-Scheerhorn.<br />

Als man 1949 das Ölfeld Scheerhorn entdeckte,<br />

be<strong>e<strong>in</strong></strong>flusste der bergmännische Ausbau auch<br />

den kommunalen Aufbau beider Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den.<br />

Schneller als anderswo erhielten die Marken<br />

feste Straßen, die Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den Wasserleitungen,<br />

Gefrieranlage, Wäscherei, Jugendheim, Sportplätze.<br />

Erhöhte Steuer<strong>e<strong>in</strong></strong>nahmen erlaubten, die<br />

Infrastruktur, die Grund ausrüstung der Dörfer zu<br />

verbessern. Technische Werkstätten mit 120 Arbeitskräften,<br />

Verwaltungsgebäude, Pumpaggregate<br />

u.a. setzten gewerbliche Elemente <strong>in</strong> die<br />

bäuerliche Landschaft. Neusiedlungen entstanden,<br />

Vollerwerbsbetriebe mit zwölf bis 15 ha<br />

Kulturland und handwerkliche Nebenerwerbssiedlungen.<br />

Neue Vorfluter und Nebengräben<br />

verbesserten den Abfluss; feste Brücken, wie<br />

Eißen- und Schratenbrücke, boten sicheren Zugang<br />

für Schlepper und Landmasch<strong>in</strong>en. Die Ölfirma<br />

Deilmann verlegte ihren Sitz nach<br />

Scheerhorn; sie half mit an den umfangreichen<br />

Kulturmaßnahmen <strong>in</strong> den Marken.<br />

109


2<br />

E<strong>in</strong>e neue, zweiklassige Schule im Grünen,<br />

ausgestattet mit Vorg arten, Staudenbeeten,<br />

Lehrgarten, Pausenhof und Gymnastikraum<br />

ersetzte den alten, 100-jährigen Schulraum;<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>e Ehrentafel hält die Er<strong>in</strong>nerung an die im<br />

Kriege Gefallenen wach. 1956 brach die Sonde<br />

22 aus; die 30 m hohe Ölfontäne konnte nach<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>igen Tagen gebändigt werden.<br />

1962 erreichte die Vechteregulierung die<br />

Leemündung; <strong>e<strong>in</strong></strong> Vechtewehr mit Stau entstand.<br />

Damit hörten die verheerenden Überschwemmungen<br />

auf, unter denen besonders<br />

Berge noch 1951 zu leiden hatte. An der alten<br />

Straße, L 44, die mehrfach begradigt und erweitert<br />

wurde, richtete das Deutsche Rote<br />

Kreuz 1970 <strong>e<strong>in</strong></strong>en Rettungswachdienst <strong>in</strong> den<br />

Berger Tannen, <strong>in</strong> der Nähe des Leebades, <strong>e<strong>in</strong></strong>.<br />

Ziele landwirtschaftlicher Lehrfahrten s<strong>in</strong>d<br />

manche der stattlichen und mit neuzeitlichen<br />

E<strong>in</strong>richtungen versehenen Höfe, darunter<br />

auch der Aussiedlerhof Maathuis, der 21 ha,<br />

zur Hälfte Acker- und Grünland, bewirtschaftet<br />

und mit zweckmäßigen Betriebsanlagen,<br />

wie Absaugvorrichtung, ausgestattet ist. Als<br />

Beispiel <strong>e<strong>in</strong></strong>es Kulturpioniers sei J. Oldekamp<br />

genannt, der im Scheerhorner Moor vor 50<br />

Jahren <strong>e<strong>in</strong></strong>en eigenen bäuerlichen Betrieb<br />

aufbaute und durch mühsame Kultivierungsarbeiten<br />

erweiterte. Die Leitung der aufstrebenden<br />

Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de hatte 1961 J. Nyenhuis, der<br />

1961 bereits 30 Jahre Bürgermeister war, was<br />

die Kreisverwaltung ihm durch <strong>e<strong>in</strong></strong>e Ehrenurkunde<br />

dankte …<br />

110<br />

GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />

Quellen<br />

Edel, Die Herrlichkeit Emlichheim, Jahrb. 1953<br />

Der Fettpott, Grafsch. Tageblatt 1950, Nr. 163<br />

Friedrich, Berge, Porträt <strong>e<strong>in</strong></strong>er<br />

Landgem<strong>e<strong>in</strong></strong>de, Grafschafter Nachrichten 1960<br />

Friedrich, Scheerhorn, Porträt <strong>e<strong>in</strong></strong>er<br />

Landgem<strong>e<strong>in</strong></strong>de, Grafschafter Nachrichten 1960<br />

Frommeyer u. Lögters, Erdöl und<br />

Erdgas im Emsland, Jahrb. 1960<br />

Klopmeyer, Die Besiedlung des Niedergrafschafter<br />

Hochmoors, Der Grafschafter 1954, Folge 14<br />

Ossenbühl, Die Entwicklung der adligen Güter, Jahrb. 1966<br />

Specht, Heimatkunde <strong>e<strong>in</strong></strong>es Grenzkreises<br />

Der Landkreis Grafschaft Bentheim<br />

Bürgermeister der<br />

Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Scheerhorn<br />

Etwa 1830 B. Scholten,<br />

etwa 1877 Jan Alfer<strong>in</strong>k (1835–1915)<br />

etwa 1881 bis 1908 Wilm Scholte (Scholten).<br />

Hermann Alfer<strong>in</strong>k (1880–1932), von Mai<br />

1919 bis etwa 1925.<br />

Bürgermeister Hermann Alfer<strong>in</strong>k (*1880)<br />

mit Frau Janna geb. Slikkers, vier kl<strong>e<strong>in</strong></strong>en K<strong>in</strong>dern<br />

und Vater um 1920 (H<strong>in</strong>drik-Jan Alfer<strong>in</strong>k)<br />

Danach folgte Gerrit H<strong>in</strong>drik Hatger<br />

(1881–1944) von etwa 1925 bis 1931.<br />

Johannes Nyenhuis (1881-1975), war von<br />

1931 bis Oktober 1968 fast vierzig Jahre Bürgermeister<br />

der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Scheerhorn. E<strong>in</strong><br />

Nachruf <strong>in</strong> den Grafschafter Nachrichten beschreibt<br />

ihn als <strong>e<strong>in</strong></strong>en „Grafschafter von echtem<br />

Schrot und Korn“. Er machte nicht viele<br />

Worte, sondern stellte immer wieder das Allgem<strong>e<strong>in</strong></strong>wohl<br />

<strong>in</strong> den Vordergrund. GN 09.1975<br />

Letzter Bürgermeister <strong>in</strong> Scheerhorn war Jan<br />

H<strong>in</strong>drik Koops (1925–2003). Vom Oktober<br />

1968 bis zum Inkrafttreten der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>dereform<br />

am 01.03.1974 hatte er dieses Amt <strong>in</strong>ne.<br />

Anschließend war er bis 1996 Bürgermeister<br />

der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Hoogstede und Samtgem<strong>e<strong>in</strong></strong>debürgermeister<br />

von 1991 bis 1996.


„Onkel Hans“ = Johannes Nyenhuis<br />

Erzählt von Johann Jeur<strong>in</strong>k<br />

Gerne erzählte Jan-H<strong>in</strong>drik Koops von<br />

s<strong>e<strong>in</strong></strong>em Vorgänger Nyenhuis, den er<br />

„Onkel Hans“ nannte. Dass Nyenhuis<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>en S<strong>in</strong>n für Gerechtigkeit hatte und<br />

nicht vor den Behörden kuschte, erzählte<br />

Koops öfter mit <strong>e<strong>in</strong></strong>er kl<strong>e<strong>in</strong></strong>en Anekdote.<br />

Regelmäßig prüfte der Landkreis die<br />

Bücher der Landgem<strong>e<strong>in</strong></strong>den. In den<br />

1950er und 60er Jahren führte Herr<br />

Woltmann diese Prüfungen durch. Bei<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>er solchen Prüfung fand Woltmann<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>e Rechnung über <strong>e<strong>in</strong></strong>en Hut. Er konnte<br />

sie nicht <strong>e<strong>in</strong></strong>ordnen und stornierte den<br />

Betrag. Bürgermeister Nyenhuis musste<br />

diese Rechnung privat bezahlen.<br />

Nyenhuis war <strong>e<strong>in</strong></strong> ehrlicher und korrekter<br />

Mann. Er begründete die Buchung<br />

so: Nach <strong>e<strong>in</strong></strong>er Landtagswahl trafen sich<br />

die Wahlhelfer im Wahllokal Warmer zur<br />

Auszählung der Stimmen. Danach blieb<br />

man noch bis spät abends <strong>in</strong> geselliger<br />

Runde zusammen, bevor man den Heimweg<br />

antrat. Nyenhuis musste feststellen,<br />

dass jemand wohl versehentlich s<strong>e<strong>in</strong></strong>en<br />

Hut mitgenommen hatte. Trotz vieler Bemühungen<br />

tauchte der Hut nicht wieder<br />

auf.<br />

Der Bürgermeister ließ sich diesen Hut<br />

zu Lasten der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de bezahlen. Er<br />

m<strong>e<strong>in</strong></strong>te: Der Verlust des Hutes erfolgte bei<br />

der Ausübung kommunaler Tätigkeiten.<br />

Nyenhuis war von kurzen Entscheidungen<br />

geprägt. Er diskutierte nicht<br />

lange mit dem Rechnungsprüfer und akzeptierte<br />

dessen Entscheidung vorläufig.<br />

Bei der nächsten Prüfung aber wies er<br />

den Prüfer darauf h<strong>in</strong>, dass er sich s<strong>e<strong>in</strong></strong>en<br />

Hut nach der letzten Prüfung doch von<br />

der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de habe bezahlen lassen. Der<br />

Prüfer werde bei der aktuellen Prüfung<br />

den Betrag bestimmt nicht f<strong>in</strong>den. „Dajn<br />

Betrag hebb ik deer met unner knooit,<br />

um dät he mi tosteht.“<br />

BERGE UND SCHERHORN<br />

Bürgermeister Gerrit H<strong>in</strong>drik Hatger (1883-1944),<br />

im Amt 1925 bis 1931 (Harm Kuiper)<br />

Bürgermeister Johannes Nyenhuis (1881-1975), im Amt<br />

1931 bis 1968 (Harm Kuiper)<br />

Vorsteherwahl<br />

Zeitung und Anzeigenblatt 1919<br />

Kreisblatt für den Kreis Grafschaft Bentheim<br />

Ausgesucht von Johann Jeur<strong>in</strong>k<br />

Scheerhorn, 3. Mai 1919<br />

„Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>devorsteherwahl mit H<strong>in</strong>dernissen“<br />

Unsere Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de hat <strong>e<strong>in</strong></strong> neues Oberhaupt zu<br />

wählen, doch stößt die Wahl auf unerwartete<br />

Schwierigkeiten. Zwei Wahlterm<strong>in</strong>e s<strong>in</strong>d bereits<br />

abgehalten, und beide waren vergeblich,<br />

so daß <strong>e<strong>in</strong></strong> dritter Term<strong>in</strong> angesetzt werden<br />

muß. Beim ersten Term<strong>in</strong> am 29. März hatten<br />

sich von 33 Wahlberechtigten 19 <strong>e<strong>in</strong></strong>gefunden.<br />

Die meisten Stimmen ver<strong>e<strong>in</strong></strong>igte der<br />

Kolon Jan Schiphouwer auf sich, nämlich<br />

von 19 sieben. Damit war <strong>e<strong>in</strong></strong>e absolute Mehrheit<br />

nicht erzielt, vom Landratsamt wurde die<br />

Bestätigung versagt und Neuwahl anberaumt.<br />

111


2<br />

In derselben Versammlung wurde der Kötter<br />

H<strong>in</strong>drik Schraten <strong>e<strong>in</strong></strong>stimmig zum Beigeordneten<br />

gewählt.<br />

Es wurde <strong>e<strong>in</strong></strong> neuer Term<strong>in</strong> für die Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>devorsteherwahl<br />

auf den 16. April angesetzt.<br />

Da die Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>devorsteherwahlen noch<br />

nach dem früheren Wahlrecht vorgenommen<br />

werden sollen, teilte der Vorsteher den erschienenen<br />

Wahlberechtigten mit, wie viel<br />

Stimmen nach der Steuerkraft jeder habe. Da<br />

aber erhob sich bei denen , die nur <strong>e<strong>in</strong></strong>e Stimme<br />

hatten, stürmischer Widerspruch. Sie bestanden<br />

auf Vornahme der Wahl nach dem gleichen,<br />

geheimen und allgem<strong>e<strong>in</strong></strong>en Wahlrecht.<br />

Sie verließen unter Protest das Wahllokal. Der<br />

Landrat hat jetzt den Verweser des Hülfsamts<br />

<strong>in</strong> Neuenhaus, Herrn Middendorf, zum Wahlkommissar<br />

für die Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>devorsteherwahl <strong>in</strong><br />

Scheerhorn ernannt, und unter s<strong>e<strong>in</strong></strong>er Leitung<br />

dürfte nun <strong>in</strong> Kürze die endgültige Wahl erfolgen.<br />

Scheerhorn, 12. Mai 1919<br />

Die viel umstrittene Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>devorsteherwahl<br />

ist nun am vorigen Donnerstag erfolgt. Die<br />

Wahl leitete der vom Landrat ernannte<br />

Kommissar Middendorf. Vor dem Wahlgang<br />

erhoben zwar <strong>e<strong>in</strong></strong>ige Kötter noch Widerspruch<br />

112<br />

GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />

E<strong>in</strong> kl<strong>e<strong>in</strong></strong>es Freibad an der Lee,<br />

GN 31.05.1965<br />

Bis etwa 1971 genutzt,<br />

heute <strong>e<strong>in</strong></strong> „Freibad“ für<br />

Schwäne. Im H<strong>in</strong>tergrund<br />

die Lee (Onstee)


Übersichtskarte<br />

der Höfe <strong>in</strong> Berge<br />

(Harm Kuiper)<br />

gegen das alte Wahlrecht. Nach den nun <strong>e<strong>in</strong></strong>mal<br />

aber bestehenden Bestimmungen mußte<br />

die Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>devorsteherwahl danach erfolgen.<br />

Abgegeben wurden <strong>in</strong>sgesamt 62 Stimmen,<br />

wovon 43 auf den Kolonen Hermann Alfer<strong>in</strong>k<br />

entfielen, der damit gewählt war. Die anderen<br />

19 Stimmen waren zersplittert.<br />

Höfe <strong>in</strong> Berge und Scheerhorn<br />

Von Harm Kuiper<br />

In der Gildschaft Scheerhorn wurden im Jahr<br />

1656 siebzig Hofstellen gezählt, davon elf<br />

Erb- und zwei Schultenhöfe, 43 Höfe mit<br />

Acker und Grünland und 14 Hofstellen nur<br />

mit Ackerland. Die Größe der Hofstellen betrug<br />

<strong>in</strong> der Regel unter 20 Hektar. Nur die beiden<br />

Schultenhöfe <strong>in</strong> <strong>Arkel</strong> und Scheerhorn<br />

hatten etwa 25 Hektar.<br />

Sieben Höfe <strong>in</strong> der Gildschaft waren dem<br />

Grafen von Bentheim hörig, <strong>e<strong>in</strong></strong>er dem Kloster<br />

Wietmarschen. Vier Höfe wurden als „Arve“<br />

bezeichnet. An der Lage und Namen der Höfe<br />

hat sich bis heute wenig geändert.<br />

In Scheerhorn werden genannt: De Scholt<br />

(Scholten / Smit) Rater<strong>in</strong>g (Bosman), Hartger,<br />

Hemken (Nyenhuis), Zuer<strong>in</strong>k (Züwer<strong>in</strong>k) Schiphouwer,<br />

De Vett und Coops.<br />

BERGE UND SCHERHORN<br />

In Berge werden 1656 genannt: Albers, De<br />

Coyt (Kuite), De Cuiper, Bols Lambert (Grote<br />

Lambers), De Pranger (Silder, als <strong>e<strong>in</strong></strong>ziger <strong>in</strong><br />

der Zeit Fürstlicher Hof), Mense <strong>in</strong> de Berge,<br />

Engbert Swiers (Arnold Mensen) und elf weitere<br />

Hof- oder Landbesitzer, wobei es sich<br />

wahrsch<strong>e<strong>in</strong></strong>lich um Kotten und Br<strong>in</strong>ksitzer gehandelt<br />

hat. Die Hof- und Freiflächen vor den<br />

Höfen Mensen, Kuite und Kuiper werden<br />

heute noch als „Br<strong>in</strong>k“ bezeichnet, was wohl<br />

auf die „Br<strong>in</strong>ksitzer“ zurückzuführen ist. Vergleicht<br />

man diese Familiennamen mit den<br />

heutigen, kann man erkennen, dass sehr viel<br />

Wert auf die Tradition der Hof- und Familiennamen<br />

gelegt wurde. Das Leben der Familien<br />

<strong>in</strong> Berge spielte sich auf <strong>e<strong>in</strong></strong>em sehr<br />

kl<strong>e<strong>in</strong></strong>en Raum ab.<br />

Dieser beschränkte sich auf die heutige<br />

R<strong>in</strong>gstraße, an der (bis etwa 1872) auch noch<br />

die Höfe von Engbers (Mensen), jetzt Feldstraße,<br />

und Albers (bis 1888), jetzt Wallstraße,<br />

lagen. Dazu kam der Hof von Kl<strong>e<strong>in</strong></strong>-Lambers<br />

(Kohlenberg) an der jetzigen Hauptstraße.<br />

Östlich oder rechts der heutigen Hauptstraße<br />

lagen nur die beiden Höfe von Kuite<br />

und Kuiper. In diesem ganzen Kreis kann man<br />

die alte Wegestruktur heute noch gut erken-<br />

113


2<br />

nen. Alte Sandwege, heute fast mit Gestrüpp<br />

zugewachsen, s<strong>in</strong>d umrahmt von alten knorrigen<br />

Eichen an den Kämpen. Die jetzige<br />

Hauptstraße gab es früher so nicht. Dieser<br />

Verlauf stammt aus der Franzosenzeit Anfang<br />

des 19. Jahrhunderts.<br />

Die „Berger Sahara“<br />

H<strong>in</strong>ter den Höfen Kuite und Kuiper, genauer<br />

h<strong>in</strong>ter Albers Kamp, gab es Heidelandschaften<br />

bis an die Lee. Das ganze Berger- und<br />

Escherfeld war Heide, soweit das Auge reichte.<br />

Der Berger Brill wurde nur sehr spärlich<br />

bewirtschaftet. Die Berger Tannen gab es zu<br />

der Zeit noch nicht. Längs der Lee wüteten<br />

114<br />

GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />

Heuerhaus von Kuite im Berger Bruch. Familie Berents bis 1896, Familie Klokkers 1896–1926, Familie Jeur<strong>in</strong>k 1926–1954.<br />

Dieses Heuerhaus wurde wegen familiärer Umstände im 19. Jh. von Neur<strong>in</strong>ge (Kuite) nach Berge versetzt. Kuite hat es Ende<br />

der 1990er Jahre abgerissen. (Willy Friedrich)<br />

„Scheerhorn: E<strong>in</strong> überaus altes Heuerhaus bei Scheerhorn. Heuerhäuser waren <strong>e<strong>in</strong></strong>st die Unterkunft<br />

der Heuerleute, der ländlichen Arbeitskräfte, die als Pächter ohne eigenen Grundbesitz<br />

waren. Ihre Zahl betrug um 1880 all<strong>e<strong>in</strong></strong> im ehemaligen Amt Neuenhaus 2.760 Personen.<br />

Die Abwanderung von den Höfen und die damit verbundene Aufgabe der Heuerhäuser begann<br />

<strong>in</strong> der Grafschaft mit dem Aufbau der Textil<strong>in</strong>dustrie <strong>in</strong> Schüttorf und Nordhorn und fand<br />

ihren Abschluss mit dem Strukturwandel der Landwirtschaft nach 1945. Seither wird das ehemalige<br />

Pachtland zumeist von den Stammhöfen bewirtschaftet. Heute s<strong>in</strong>d viele Heuerhäuser<br />

der Niedergrafschaft restauriert und zu schmucken ,Landhäusern’ umgestaltet worden.“ (Aufnahme<br />

von W. Friedrich vom Januar 1961).<br />

große Sanddünen, die <strong>in</strong> der Landwirtschaft<br />

sehr große Schäden anrichteten. Man sprach<br />

auch von der „Berger Sahara“. Personen, die<br />

diese Sanddünen beschrieben haben, berichteten<br />

über die Sandverwehungen als <strong>e<strong>in</strong></strong> unvorstellbares<br />

Naturschauspiel. Wer <strong>e<strong>in</strong></strong>mal längs<br />

der Lee spazieren war, sich <strong>in</strong> der Zeit zurück -<br />

versetzt und sich die großen Sandhügel ohne<br />

jeglichen Bewuchs vorstellt, kann vielleicht<br />

die Ausmaße <strong>in</strong> der damaligen Zeit erahnen.<br />

Bereits 1707 traf man erste Maßnahmen,<br />

um die Sanddünen <strong>e<strong>in</strong></strong>zudämmen. Doch große<br />

Schafherden der heimischen Bauern vernichteten<br />

immer wieder durch Zertretung und<br />

Verbiss jegliche Aufforstaktionen. Auch der<br />

Plaggenstich wirkte sich negativ aus.


Immer wieder wurden Versuche gestartet,<br />

angetrieben von der Landesregierung <strong>in</strong> Hannover.<br />

Aber die heimischen Verantwortlichen<br />

Bauern trugen k<strong>e<strong>in</strong></strong>eswegs zum Gel<strong>in</strong>gen bei.<br />

Erst 1881 kam <strong>in</strong> der Gastwirtschaft Kl<strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />

Lambers <strong>e<strong>in</strong></strong> Zusammenschluss der Scheerhorner<br />

und Berger Grundbesitzer zu <strong>e<strong>in</strong></strong>er<br />

Waldgenossenschaft zustande. 1884 wurden<br />

100.000 Kiefern gepflanzt. Zehn Jahre später<br />

meldete das Amt Neuenhaus, dass k<strong>e<strong>in</strong></strong>e Sandverwehungen<br />

mehr vorkommen.<br />

E<strong>in</strong>ige Flächen s<strong>in</strong>d von den Grundbesitzern<br />

<strong>in</strong> den 1960er und 70er Jahren gerodet<br />

worden und werden jetzt landwirtschaftlich<br />

genutzt. Doch der größte Teil des Kiefernwaldes<br />

ist bis heute erhalten geblieben und <strong>e<strong>in</strong></strong><br />

herrliches Erholungs- und Rückzugsgebiet für<br />

Mensch und Tier geworden.<br />

Gerrit Jan Zager hat im Bentheimer Jahrbuch<br />

2001, S. 170–174 <strong>e<strong>in</strong></strong>en Artikel veröffentlicht<br />

„Der Kiefernwald <strong>in</strong> Scheerhorn-Berge“.<br />

Er bezieht sich auf die Akte Rep 350, Nr. 749<br />

aus dem Staatsarchiv Osnabrück und auf<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>en Beitrag von H. Specht im Heimatkalender<br />

von 1927 „Der Kampf des Grafschafter<br />

Landwirts mit dem Sande“. Zagers Artikel<br />

musste aus Platzgründen hier entfallen.<br />

In der Franzosenzeit<br />

Wie viel Elend und Leid die damalige Bevölkerung<br />

erleiden musste, beschreibt der Bauer<br />

Bernd Bierl<strong>in</strong>g aus Kl<strong>e<strong>in</strong></strong> R<strong>in</strong>ge <strong>in</strong> den Jahren<br />

1759 bis 1836 <strong>in</strong> s<strong>e<strong>in</strong></strong>er Chronik, die er geführt<br />

hat. (J.B. = Jahrbuch 1979) So gern von der<br />

„guten alten Zeit“ gesprochen wurde, an das<br />

Elend der kriegerischen Ereignisse dieser Zeit<br />

er<strong>in</strong>nert man sich nicht mehr.<br />

1794–1803<br />

1795, 25. Januar: Es herrscht unerträgliches<br />

Frostwetter. Waal, Maas und Rh<strong>e<strong>in</strong></strong> s<strong>in</strong>d zugefroren.<br />

Das ermöglicht den Franzosen den<br />

Durchbruch nach Holland. Engländer und<br />

Witt genst<strong>e<strong>in</strong></strong>er ziehen durch und nehmen<br />

viele Bauernwagen mit. Am 11.2. ziehen die<br />

Franzosen <strong>in</strong> die Festung Coevorden <strong>e<strong>in</strong></strong>. In<br />

dieser Zeit war es schlimm mit all dem<br />

„Kriegsvolk“. In Emlichheim brachen die Soldaten<br />

die Bänke aus der <strong>Kirche</strong>, um Platz für<br />

BERGE UND SCHERHORN<br />

Pferde und „pakken“ (Troßgepäck) zu haben.<br />

Die nach Veldhausen „en elders“ zurückweichenden<br />

Engländer brachen die Brücke bei<br />

Coevorden ab.<br />

In Scheerhorn verbrannten sie die Holzbrücke<br />

über den „hollandschen Graven“, so hieß<br />

früher die Lee. Die Bauern mussten Torf heran -<br />

schaffen, um sie <strong>in</strong> Brand setzen zu können …<br />

Unter französischerHerrschaft (1806–1815)<br />

Am 4. August 1806 wurde trotz aller Zahlungen<br />

und Ver<strong>e<strong>in</strong></strong>barungen die Grafschaft Bentheim<br />

von Murat, dem Schwager Napoleons –<br />

er nannte sich Großherzog von Berg – <strong>in</strong> Besitz<br />

genommen. Damit begann die bis 1815 dauernde<br />

eigentliche „Franzosenzeit“. Unsere Heimat<br />

wurde dem Großherzogtum Berg <strong>e<strong>in</strong></strong>verleibt,<br />

aber schon bald zum französischen<br />

Kaiserreich geschlagen. Die Verwaltung wurde<br />

jetzt ganz nach französischem Muster aufgebaut<br />

und organisiert. Mairien (Bürgermeister<br />

ämter) und Munizipalitäten (Bezirksbürgermeistereien)<br />

wurden <strong>e<strong>in</strong></strong>gerichtet. Auch Kl<strong>e<strong>in</strong></strong>-R<strong>in</strong>ge<br />

wurde <strong>e<strong>in</strong></strong>e „Mairie“ und H<strong>in</strong>drik Beerl<strong>in</strong>k „Bygeordneter<br />

der Munizipalität Kl<strong>e<strong>in</strong></strong>-R<strong>in</strong>ge und<br />

Delegierter Civil Standesbeamter“. Das von ihm<br />

auf Veranlassung der Besatzung geführte Sterberegister<br />

für das Jahr 1813 wird ebenfalls im<br />

Hause Bierl<strong>in</strong>k aufbewahrt.<br />

Das System der „Marien“, das die Franzosen<br />

bei uns <strong>e<strong>in</strong></strong>geführt haben, ist bis heute<br />

mehr oder weniger ähnlich erhalten geblieben.<br />

S<strong>in</strong>n und Zweck war es, jede Geburt zu erfassen,<br />

und die Söhne, auch frühere Jahrgänge,<br />

zum Militärdienst <strong>e<strong>in</strong></strong>zuziehen. Von diesen<br />

Auflistungen der Standesämter haben alle<br />

späteren Landesherren und Regierungen Gebrauch<br />

gemacht.<br />

Nr. 5 Geburt von Fenne Brun<strong>in</strong>k<br />

Abschrift der Urkunde (Seite 116): Im Jahre<br />

E<strong>in</strong>tausend achthundert zwölf am <strong>e<strong>in</strong></strong> und<br />

dreißigsten Jannuar, des Nachmittags drey<br />

Uhr, erschienen vor mir, H<strong>e<strong>in</strong></strong>rich Beerl<strong>in</strong>k,<br />

Maire der Municipalität Kl<strong>e<strong>in</strong></strong>e R<strong>in</strong>ge, der Tagelöhner<br />

Jan Brun<strong>in</strong>k, wohnhaft zu Berge, mit<br />

der Anzeige, daß am Donnerstage, den dreyzehnten<br />

Jannuar des Morgens vier Uhr, ihm<br />

von s<strong>e<strong>in</strong></strong>er Ehegatt<strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong></strong> K<strong>in</strong>d weiblichen Ge-<br />

115


2<br />

schlechts geboren sey, welchem er den Vornamen<br />

Fenne gegeben habe.<br />

Zeugen beij dieser Handlung waren:<br />

Der Ackersmann Jan Lambers, fünfundsechzig<br />

jährigen Alters und der Municipal-Rath<br />

Geerd Kuiper, zwey und vierzig Jahre alt,<br />

beyde zu Berge wohnhaft.<br />

Jan Lambers, Geert Kuijpers<br />

Nach Verlesung erklärte der Comparent Brun<strong>in</strong>k<br />

schreibensunfähig zu seyn, die Zeugen<br />

unterschrieben vorstehend.<br />

gez. H<strong>e<strong>in</strong></strong>rich Beerl<strong>in</strong>k<br />

Maire (Bürgermeister) zu Kl<strong>e<strong>in</strong></strong>e R<strong>in</strong>ge.<br />

Bürgermeister von Berge 1806-1974<br />

Die damaligen „Maire“ waren praktisch die ersten<br />

Bürgermeister. Der erste Bürgermeister<br />

oder Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>derat von Berge war m<strong>e<strong>in</strong></strong>es Erachtens<br />

Geerd Kuiper. Er war bis etwa 1833<br />

Bürgermeister<br />

Ihm folgte etwa 1833 Jan Harm Grote<br />

Lambers, geb. 1806 <strong>in</strong> Berge. Um 1853 war<br />

Geert Albers geb. Holthuis (aus Itterbeck) Bürgermeister<br />

<strong>in</strong> Berge, 1880 bis 1902 war es Jan<br />

Harm Grote Lambers.<br />

Am 31.01.1812 wurde die Geburt von<br />

Fenne Brün<strong>in</strong>k vor dem Maire der Municapalität<br />

Kl<strong>e<strong>in</strong></strong> R<strong>in</strong>ge, H<strong>e<strong>in</strong></strong>rich Bierl<strong>in</strong>k beurkundet,<br />

die am 30.01.1812 geboren sei. Zeugen<br />

116<br />

GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />

Geburtsurkunde Fenne Brun<strong>in</strong>k 30.01.1812 (Harn Kuiper)<br />

Bürgermeister Harm Kuite 1855–1945 Bürgermeister H<strong>in</strong>drik-Jan Keute 1909–2001


dieser Handlung waren der Ackermann Jan<br />

Lambers und der Municipalrath Geerd Kuiper,<br />

beide wohnhaft zu Berge. Geert Kuiper ist<br />

1767 geboren und 20.02.1846 gestorben.<br />

Harm Kuite geb. 06.04.1855, war von 1902<br />

bis zum 15.09.1937 Bürgermeister <strong>in</strong> Berge.<br />

Harm Kuite ist am 16.12.1945 verstorben. Das<br />

Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>debüro befand sich schon zu der Zeit<br />

auf dem Hof Kuite und blieb dort bis zur Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>dereform<br />

<strong>in</strong> 1974.<br />

Ab 16.09.1937 war H<strong>in</strong>drik-Jan Keute<br />

Bürgermeister der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Berge bis zu<br />

s<strong>e<strong>in</strong></strong>er E<strong>in</strong>berufung 1943. Er ist geboren<br />

27.03,1909 und verstorben am 30.09.2001. Er<br />

war über viele Jahrzehnte <strong>in</strong> verschiedenen<br />

Gremien tätig (Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de, Schule und <strong>Kirche</strong>).<br />

Gerhard Mensen geb. Hannebrook geb.<br />

10.03.1896 <strong>in</strong> Bathorn war Bürgermeister von<br />

1946 bis zu s<strong>e<strong>in</strong></strong>em Tod am 05.02.1958.<br />

Nachfolger und letzter Bürgermeister war<br />

Harm Kuite, der dieses Amt bis zur Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>dereform<br />

1974 <strong>in</strong>ne hatte. Geboren wurde er<br />

am 10.10.1909 und ist am 23.04.1983 gestorben.<br />

Hiermit schloss sich die Akte Bürgermeisteramt<br />

<strong>in</strong> Berge.<br />

Volkszählungen 1707 bis 1959<br />

1707 zählt man <strong>in</strong> Berge elf Höfe. Kuiper,<br />

Kuite, Grote, Lambers, Huit Derck, Prenger,<br />

Huit Albert, Mensen, Engbert, Zweers, Kl<strong>e<strong>in</strong></strong><br />

BERGE UND SCHERHORN<br />

Bürgermeister Gerhard Mensen 1896–1958 Bürgermeister Harm Kuite 1909–1983 (Harm Kuiper)<br />

Lambet und Velt. Überwiegend hielten sie Schafe,<br />

nämlich 170 Stück. Außerdem wurden 28<br />

Pferde, 45 Kühe, 30 R<strong>in</strong>der und zehn<br />

Schw<strong>e<strong>in</strong></strong>e auf den Höfen gehalten. Auf den elf<br />

Höfen lebten 1705 32 Erwachsene, 14 K<strong>in</strong>der<br />

und fünf Knechte/Mägde. 1717 waren es 29<br />

Erwachsene, acht K<strong>in</strong>der und zwei Knechte/<br />

Mägde.<br />

Die Anzahl der Hofstätten hat sich auch im<br />

Jahr 1800 noch nicht geändert. 1821 waren es<br />

nur noch zehn| Höfe aber mit 83 hatte sich<br />

die Zahl der E<strong>in</strong>wohner fast verdoppelt.<br />

Nach dem Bau des Nord-Süd-Kanals ab<br />

1871 und dem Ausbau und Regulierung der<br />

Lee 1927 bis 1933 siedelten sich mehrere landwirtschaftliche<br />

Betriebe an. 1933 gab es 22<br />

Höfe und 126 E<strong>in</strong>wohner.<br />

E<strong>in</strong>en wahren Bauboom für das kl<strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />

Berge gab es am Anfang der 1950er Jahre.<br />

Bauernsöhne, aus dem Krieg oder der Kriegsgefangenschaft<br />

heimgekehrt, bauten sich <strong>in</strong><br />

der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de <strong>e<strong>in</strong></strong> Haus. So wuchs Berge bis<br />

Ende 1959 auf 160 E<strong>in</strong>wohner <strong>in</strong> 30 Wohnhäusern<br />

an.<br />

Flüchtl<strong>in</strong>ge des letzten Krieges s<strong>in</strong>d <strong>in</strong><br />

Berge nicht sesshaft geworden. Dafür war die<br />

Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de zu kl<strong>e<strong>in</strong></strong> und hatte auch wirtschaftlich<br />

zu wenig zu bieten. Die letzten Flüchtl<strong>in</strong>ge<br />

verließen Berge 1960 und so pendelte<br />

sich die Personenzahl zwischen 140 und 150<br />

117


2<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>. Heute hat Berge ca.123 E<strong>in</strong>wohner. Auch<br />

an den 30 Wohnhäusern änderte sich <strong>in</strong> den<br />

letzten 50 Jahren nichts mehr. Berge war, ist<br />

und bleibt <strong>e<strong>in</strong></strong>e kl<strong>e<strong>in</strong></strong>e beschauliche und vor<br />

allem überschaubare Landgem<strong>e<strong>in</strong></strong>de.<br />

Hungersnot 1822 <strong>in</strong> der Gildschaft<br />

Scheerhorn<br />

STAOS, Rep 340, Amt Benth. Nr. 645, Getreidelieferung<br />

auf Kredit an die Gildschaft<br />

Scheerhorn zur Abwendung <strong>e<strong>in</strong></strong>er <strong>in</strong>folge<br />

Hagelschlags drohenden Hungersnot<br />

Akten via Harm Kuiper, Berge<br />

Pr. 21 Decbr. 1822<br />

Die E<strong>in</strong>gesessenen der Gildschaft Scheerhorn<br />

im Gericht Emlichheim s<strong>in</strong>d im Monate Mai<br />

d.J. dergestalt mit Hagelschlag heimgesucht<br />

worden, daß die Mehrsten kaum das benöthigte<br />

Saatkorn von ihren Feldern <strong>e<strong>in</strong></strong>geerndtet<br />

haben, und an Brotkorn würcklich Mangel leiden.<br />

Da sie sich um selbiges bey dem gegenwärtigen<br />

Geldmangel und den außerordentlich<br />

niedrigen Preisen aller Landes-Producte selbst<br />

auf Credit nicht anzuschaffen vermögen; so<br />

haben sie sich <strong>in</strong> dieser drückenden Lage an<br />

Uns gewandt und um Hülfe nachgesucht.<br />

Wir haben Uns daher veranlasst gesehen,<br />

durch den Friedensrichter Wedek<strong>in</strong>d den würcklichen<br />

Bedarf der besagten E<strong>in</strong>gesessenen an<br />

Brodkorn untersuchen zu lassen, welche <strong>in</strong><br />

dem hiebey anliegenden Bericht des selben vom<br />

18 d. Mts. auf 8 Last 71 Scheffel Roggen dortigem<br />

Maaße angegeben wurden.<br />

Da nun jenen des Brotkorns bedürftigen<br />

E<strong>in</strong>gesessenen auf k<strong>e<strong>in</strong></strong>e andere Weise zu helfen<br />

ist, als daß denselben, wie von dem Friedensrichter<br />

Wedek<strong>in</strong>d vorgeschlagenen wor den<br />

ist, der ihnen fehlende Roggen von den herrschaftlichen<br />

Kornböden, <strong>in</strong> so fern es der Vorrat<br />

gestattet, auf Credit, etwa bis 1 September<br />

künftigen Jahres, jedoch unter genugsamer<br />

Sicherheits-Leistung für die Bezahlung des<br />

jetzt ... gängigen Preises, verabfolgt werde; so<br />

geben Wir der Königlichen Cammer – Adm<strong>in</strong>is -<br />

trationen anheim, bey Königlicher Cammer die<br />

dazu erforderliche Autorisation nachzusuchen.<br />

Bentheim, den 20. December 1822<br />

Königliche p. Regierung<br />

Pestel<br />

118<br />

GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />

An die Königliche Cammer Adm<strong>in</strong>istration<br />

hier. Actum Neuenhaus Dienstag den 28ten<br />

Januar 1823 praesentes Herr Richter Wedek<strong>in</strong>d<br />

und der Actuar W<strong>in</strong>eke<br />

Demnach Königliche Cammer zu genehmigen<br />

geruht hat, daß den im ?vergangenen? Sommer<br />

durch Hagelschlag beschädigten E<strong>in</strong>gesessenen<br />

der Gildschaft Scheerhorn, acht Last<br />

71 Scheffel Roggen zum Brotkorn, von dem<br />

herrschaftlichen Vorrathe für den jetzigen<br />

Marktpreis überlassen werden, zu dessen<br />

bis zum ersten September dieses Jahres gefristeten<br />

Bezahlung aber die theilnehmenden<br />

Communen sich <strong>in</strong> solidum verpflichten sollen<br />

– und dann Königliche Regierung zu Bent heim,<br />

mittelst Rescripts vom 20ten dieses Monats dem<br />

Friedensgerichte Emblichheim aufgetragen hat,<br />

über die von den E<strong>in</strong>gesessenen der betreffenden<br />

Communen der Gildschaft Scheer horn zu<br />

übernehmende Verpflichtung <strong>e<strong>in</strong></strong> gehöriges<br />

Protocoll auf zu nehmen und <strong>e<strong>in</strong></strong>zu sen den,<br />

damit wegen Ablieferung des Roggens das Weitere<br />

verfügt werden kann, so erschienen heute:<br />

1. aus der Bauerschaft Scheerhorn die Coloni<br />

Schulte, Hemmeke, Rater<strong>in</strong>g, Vette, Egbers,<br />

Kamps, Brün<strong>in</strong>g und Haatger, welche erklärten,<br />

daß sie <strong>in</strong> H<strong>in</strong>sicht der Bezahlung<br />

der drei Last fünfzig Scheffel, welche sie<br />

von dem obigen Roggen erhalten würden,<br />

alle für <strong>e<strong>in</strong></strong>en und <strong>e<strong>in</strong></strong>er für alle, oder <strong>in</strong> solidum<br />

haften und folglich jeder für die<br />

ganze Summe ansprechlich seyn wollte.<br />

2. aus der Bauerschaft Hochstädte erschienen<br />

die Coloni Warmer, Hannebook, Wöste, Saalm<strong>in</strong>g,<br />

Jör<strong>in</strong>g, Kuhlmann, Kalmann, Albers,<br />

Kolthoff, Schulte zu <strong>Arkel</strong> und Völker, welche<br />

<strong>in</strong> H<strong>in</strong>sicht der zwei Last sechs und sechzig<br />

Scheffel, welche sie von obigem Roggen erhalten<br />

würden, das Nämliche erklärten<br />

3. aus der Bauerschaft Bathorn erschienen die<br />

Coloni Quade, Bolle, Brookschnieder, Boerkamp,<br />

Blömer, Wiegman, Wigger und Herm<br />

Neerken, welche das Nämliche erklärten <strong>in</strong><br />

Ansehung der <strong>e<strong>in</strong></strong>en Last und 53 Scheffel,<br />

welche sie von dem bewilligten Roggen erhalten<br />

würden.<br />

4. Erschienen die drei E<strong>in</strong>gesessenen der Bauerschaft<br />

Berge, nämlich Zweers, Engbers<br />

und Schnieder, welche <strong>in</strong> H<strong>in</strong>sicht der 52


BERGE UND SCHERHORN<br />

Eigenhändige Unterschriften von 36 E<strong>in</strong>wohnern aus 1823, Abschrift Seite 118 (Gerrit Jan Beuker)<br />

119


2<br />

Scheffel, die sie von obigem Roggen erhalten<br />

würden, das Nämliche declarirten.<br />

5. Endlich erschienen auch die beiden E<strong>in</strong>gesessenen<br />

Schlickert und van R<strong>in</strong>ge aus T<strong>in</strong>holt,<br />

und erklärten eben dasselbe <strong>in</strong> H<strong>in</strong>sicht<br />

der fünfzig Scheffel, die sie von obigem<br />

Roggen erhalten würden.<br />

Sämtliche Comparenten entsagten allen ihnen<br />

etwa zustehende könnende E<strong>in</strong>reden, <strong>in</strong>sbe-<br />

120<br />

GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />

So geschehen Neuenhaus am Tage wie oben<br />

sondere der Rechtswohlthat der Theilung und<br />

haben dies Protokoll, welches nach zurück behaltener<br />

Abschrift, im Orig<strong>in</strong>al an Königliche<br />

Regierung zu Bentheim <strong>e<strong>in</strong></strong>gesandt werden<br />

soll, darauf nach geschehener Verlesung und<br />

Genehmigung eigenhändig unterschrieben.“<br />

G. Wedek<strong>in</strong>d Berent Scholten<br />

Harm hemke Gerrit Jan Vette<br />

Jan Rater<strong>in</strong>k Geert kamps<br />

Jan Egbers Jan harm brun<strong>in</strong>k<br />

Jan Hartger Jan wermer<br />

Geert han nebrook jan weusten<br />

Jan Jeur<strong>in</strong>k Gerrit zaalm<strong>in</strong>k<br />

H. Koelmann Rötger Kalman s<strong>e<strong>in</strong></strong> Merkzeichen<br />

Jan H<strong>in</strong>drik Albers welches besch<strong>e<strong>in</strong></strong>ige W<strong>in</strong>eke<br />

Harm Kolt hof Geert Scholte<br />

h<strong>in</strong>drik Kwad jan h<strong>in</strong>drik volkers<br />

Egbert brook snijder Albert Bol<br />

janherm bleumer Jan Harmberkamp<br />

Jan wiggers wasse wiege man<br />

Janh<strong>in</strong>drik Zweers ham neeken<br />

Berend Engbers zijn H<strong>in</strong>drik Slikkers<br />

Merkzeichen, welche besch<strong>e<strong>in</strong></strong>ige W<strong>in</strong>eke Jan van R<strong>in</strong>ge s<strong>e<strong>in</strong></strong> Merk-<br />

Geert Sniders zeichen, welches besch<strong>e<strong>in</strong></strong>ige W<strong>in</strong>eke<br />

W<strong>in</strong>eke<br />

Heuerhaus vom Hof Scholte,<br />

Scheerhorn, etwa 1955-1960<br />

Hier wohnten Familie Heckhuis,<br />

Familie Gerhard Büter,<br />

Familie Veldjans, Fam. Hans<br />

Rießland, Familie Michalsky.<br />

Wohn-Wirtschaftsgebäude<br />

<strong>in</strong> Scheerhorn. Das wohl<br />

älteste Haus <strong>in</strong> der Niedergrafschaft.<br />

Mit Stroh, Schilf,<br />

Heideplaggen und „Woagebüschen“<br />

(Wacholder) gedeckt,<br />

ebenfalls die Giebelfront.<br />

Die Bewohner fühlen sich<br />

dar<strong>in</strong> wohl. Zufriedenheit<br />

ist „relativ“. (Willy Friedrich)


Dokumente Berge 1829 bis 1919<br />

Harm Kuiper<br />

Kaufbrief Rater<strong>in</strong>g an Mensen 1829<br />

„12. Mai 1829<br />

(Stempeltaxe 8 Gute Groschen conv. Münze)<br />

Vor dem Amte erschienen die Eheleute Colon<br />

Jan Rater<strong>in</strong>g und Janna Alfer<strong>in</strong>g aus Scheerhorn:<br />

Dieselbe sagten aus und bekannten vermöge<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>es von ihrer Gutsherrschaft der<br />

Fürstlichen Domänen Cammer unterm 31ten<br />

März dieses Jahres erhaltenen Consens verkauft<br />

zu haben, und hiermit verkauften, ihre<br />

ihnen eigenthümlich zubehörende ungefähr <strong>e<strong>in</strong></strong><br />

Tagwerk haltende Wiese, belegen an Br<strong>in</strong>ks<br />

Mathe und am Escherbrook, an den Colon<br />

Herm Mensen <strong>in</strong> den Bergen mit Lüsten und<br />

Lasten, Recht und Gerechtigkeiten für die<br />

Summe von f 400,- geschrieben vier hundert<br />

Gulden – wobei sie bemerken mussten, daß<br />

aus diesem Grundstücke der Zehnte gehe,<br />

wovon sie ihren Antheil dem Käufer mitverkauftt<br />

hatten. Da der Käufer nun ihnen die ge-<br />

Anfang und Ende Kaufbrief Rater<strong>in</strong>g an Mensen,<br />

12.05.1829 (Harm Kuiper)<br />

BERGE UND SCHERHORN<br />

nannte Kauf-Summe bereits völlig ausbezahlt<br />

habe, so setzen sie denselben <strong>in</strong> den ruhigen<br />

Besitz der ihm verkauften Wiese, und versprachen<br />

ihm die Gewähr Rechtens, jederzeit<br />

dafür zu halten.<br />

Nach geschehener Vorlesung und Genehmigung<br />

haben die Verkäufer Eheleute Rater<strong>in</strong>g<br />

vorstehenden Kaufbrief eigenhändig unterschrieben<br />

und respective mit <strong>e<strong>in</strong></strong>em Handmerk<br />

bezeichnet.<br />

Jan Rater<strong>in</strong>k<br />

++ Diese Zeichen zog die Ehefrau Rater<strong>in</strong>g geborne<br />

Janna Alfr<strong>in</strong>g eigenhändig <strong>in</strong> m<strong>e<strong>in</strong></strong>er<br />

Gegenwart, quod attestor…<br />

Urkundlich vorgedruckten Amts-Siegels – abschriftlicher<br />

E<strong>in</strong>tragung <strong>in</strong> das Documenten<br />

Protocoll und der gewöhnlichen Unterschrift.<br />

So geschehen, Neuenhaus, den 12ten May<br />

1829<br />

Standesherrliches Fürstlich<br />

Bentheimsches Amt<br />

Wessels.“<br />

121


2<br />

Scheerhorner Ballast / Kündigung<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>es Versatz-Verhältnisses 1849<br />

Geschehen Amt Neuenhaus, den 17. Juli 1849<br />

Fürstlich-Bentheimsche Domänen-Kammer ./.<br />

28 E<strong>in</strong>gesessene der Gildschaft<br />

Scheerhorn betreffend<br />

Es ersch<strong>e<strong>in</strong></strong>t Namens der Fürstlich-Benheimschen<br />

Doma<strong>in</strong>en-Kammer der Rentmeister<br />

Crameer von hier und trägt vor:<br />

Der Graf Friedrich Karl Bentheim habe<br />

laut <strong>e<strong>in</strong></strong>er unter dem 20. Sept. 1747 darüber<br />

aufgenommenen Urkunde die Summe 8.400<br />

Gl. niederl. von folgenden Personen zum Darlehen<br />

erhalten:<br />

Schulze zu Scherhorn, Lambert Ens<strong>in</strong>g,<br />

H<strong>in</strong>rich Bloemer, Albert Alfer<strong>in</strong>g, Berend Suiver<strong>in</strong>g,<br />

Gerd Schiphouer, Hemke, Gerd Weuste,<br />

Jan Rater<strong>in</strong>g, Gerd Hartger, Coop Mensen,<br />

H<strong>in</strong>drich Herms, Geerd Saalm<strong>in</strong>g, Lambert<br />

Schulze odere Meijers, Lambert Jör<strong>in</strong>g und<br />

Grote Lambers (H<strong>in</strong>drich), Gerrit Quade, Baukamp,<br />

Wermer, Gosen, Koelmann, Weuste,<br />

Neerken, Jan Wieger<strong>in</strong>g, Derk Kolthoff, Jan<br />

Saalm<strong>in</strong>g, Jan Bru<strong>in</strong><strong>in</strong>g, Hannebroek und<br />

Kaalmann;<br />

Für jenes Darlehn seij den Darlehngebern,<br />

welche <strong>in</strong> der Urkunde sämmtlich als Scherhorner<br />

E<strong>in</strong>gesessenen aufgeführt seijen, zum<br />

Theil <strong>in</strong>dessen auch <strong>in</strong> anderen Bauerschaften<br />

der Gildschaft Scherhorn wohnen, der zu<br />

Scherhorn belegene s.g. Scherhorner Ballast,<br />

dem Fürstlichen Haus Bentheim eigenthümlich<br />

gehörig, <strong>in</strong> antikretischem Versatze gegeben,<br />

und seij stipulirt worden, daß beide<br />

Theilen nach Ablauf von 25 Jahren seit dem<br />

20 Sept. 1747. <strong>e<strong>in</strong></strong>e halbjährige Kündigung<br />

des Darlehns, resp. des Versatzverhältnisses<br />

frei stehen solle.<br />

Die Fürstlich-Bentheimsche Doma<strong>in</strong>en-<br />

Kammer wolle nunmehr den Scherhorner Ballast<br />

wieder <strong>e<strong>in</strong></strong>ziehen, kündige daher hiermit<br />

die darauf ruhende Last der antikretischer<br />

Versatzung und erkläre sich bereit, b<strong>in</strong>nen<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>em halben Jahre, von Zeit der Kündigung<br />

angerechnet die Schuld 8.400 Gl. den<br />

Berechtigten zurück zu zahlen. Er bitte,<br />

diese Kündigung den jetzigen Inhabern der genannten<br />

Colonate zu <strong>in</strong>s<strong>in</strong>ieren und ihn(en)<br />

Ins<strong>in</strong>uationsbesch<strong>e<strong>in</strong></strong>igung zugehen zu lassen.<br />

122<br />

GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />

Sodann wünsche er, daß ??Editalladungen<br />

erlassen und durch diese alle etwaigen Gläubiger,<br />

auf welche etwa <strong>e<strong>in</strong></strong> Antheil an dem<br />

fragl. Kapitale durch Erbschaft r. übergegangen<br />

s<strong>e<strong>in</strong></strong> möchte, von der jetzt geschehenden<br />

Kündigung <strong>in</strong> Kenntnis gesetzt und zur Anmeldung<br />

ihrer Ansprüche <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong></strong>em auf <strong>e<strong>in</strong></strong><br />

halbes Jahr h<strong>in</strong>aus gesetzten Term<strong>in</strong>, bei<br />

Strafe der Präilusion, vorgeladen würden;<br />

diese Vorladung unter denselben Präjudize<br />

möge auch an die Inhaber der erwähnten Colonate<br />

geschehen; Sodann bitte er noch das<br />

Präjudiz anzudrehen, daß diejenigen die <strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />

des Geldes auf welche im Anwandlungsterm<strong>in</strong>e<br />

k<strong>e<strong>in</strong></strong>e Anspruch erhoben würde, daher<br />

unausgezahlt bleibe, auf Gebühr und Kosten<br />

der später sich meldenden Gläubiger gerichtlich<br />

deponiert werden solle<br />

Er halte für genügend, wenn die ???E<strong>in</strong>ladung<br />

den Osnabrückschen Anzeigen <strong>in</strong>serirt<br />

und <strong>in</strong> den <strong>Kirche</strong>n Veldhausen, <strong>Arkel</strong> und<br />

Emblichheim publicirt werde.<br />

Endlich überreich er zur Kenntnisnahme<br />

des Amts <strong>e<strong>in</strong></strong>e Abschrift des eben erwähnten<br />

Contracts, von welchem er <strong>in</strong>dessen k<strong>e<strong>in</strong></strong>e Mittheilung<br />

an die Besitzer der genannten Colonate<br />

wünsche.<br />

procl. ratif.<br />

a.u.s. (actum ut supra)<br />

Kock H. hacke<br />

Durch ‘Blama? am 3. August 1849 <strong>in</strong>s<strong>in</strong>irt??<br />

W. Brill??“<br />

Ablösungs-Receß von 1876<br />

Zwischen dem Rentmeister Crameer zu Neuenhaus,<br />

Namens und im Auftrage der Fürstlich<br />

Bentheimschen Domänen Kammer zu<br />

Burgst<strong>e<strong>in</strong></strong>furt und<br />

dem Colon Mensen zu Berge ist der nachstehende<br />

Ablösungsvertrag abgeschlossen<br />

worden.<br />

1. Aus dem Colonate Mensen zu Berge werden<br />

nachfolgende, dem Fürstlichen Hause<br />

Bentheim zu leistenden Abgaben abgelöst,<br />

als: <strong>e<strong>in</strong></strong> s.g. Rauchhuhn<br />

2. Diese Abgaben werden mittelst Kapital-<br />

Zahlung abgelöset und beträgt das Ablöse-<br />

Kapital dafür auf Grund der neben stehenden<br />

Bezeichnung 4 G. 24 gr.


3. Der getroffenen Ver<strong>e<strong>in</strong></strong>barung zufolge soll<br />

das vorgenannte Ablöse–Kapital nebst den<br />

bis dah<strong>in</strong> seit dem letzten Fälligkeitsterm<strong>in</strong>e<br />

verlaufenen Z<strong>in</strong>sen zu 4% am 1. Nvbr. d.J.<br />

bezahlt werden.<br />

4. Nach Zahlung des Ablöse-Kapitals und der<br />

Rente ist das <strong>e<strong>in</strong></strong>gangs gedachte Kolonat<br />

von den im Art. 1 genannten Abgaben für<br />

immer liberirt, so daß Ansprüche darauf<br />

nie mehr gemacht werden können.<br />

So geschehen Neuenhaus den 1. Mai 1876<br />

gez. Crameer, H. Mensen<br />

bitte um Bestätigung und Ausfertigung dieses<br />

...<br />

gez. Crameer<br />

Vorstehender Ablösereceß<br />

wird damit genehmigt.<br />

Burg St<strong>e<strong>in</strong></strong>furt 19. April 1876<br />

Fürstlich Bentheimische Domänen Kammer<br />

unterschrift unterschrift<br />

Vorstehende Ablöse Capital ad 4 rt 24 gr nebst<br />

Abgabe zu heute <strong>e<strong>in</strong></strong>bezahlt<br />

Neuenhaus d.en 12. Mai 1876<br />

Kglicher Rendant<br />

Crameer<br />

BERGE UND SCHERHORN<br />

Anfang Ablösungsvertrag<br />

vom 01.05.1876 (Harm Kuiper)<br />

Familie Vette <strong>in</strong> Berge um 1920, Johanne und Jennegien Vette mit ihren Eltern Aalt<strong>in</strong>e<br />

geb. Brooksnieder und Jan Lukas Vette (M<strong>in</strong>i Büdden)<br />

123


2<br />

Friedenseichen <strong>in</strong> Hoogstede–Berge<br />

Die Friedenseichen <strong>in</strong> Berge s<strong>in</strong>d 1913 gepflanzt<br />

worden von Schulk<strong>in</strong>dern des Gustav Lammers,<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>em gebürtigen Bentheimer und Lehrer<br />

<strong>in</strong> Scheerhorn, Ersatzreservist, gefallen am<br />

11. April 1917 bei Bolaute. Friedenseichen<br />

wurden s<strong>e<strong>in</strong></strong>erzeit an verschiedenen <strong>Ort</strong>en der<br />

Grafschaft zur Er<strong>in</strong>nerung an die napoleonischen<br />

Befreiungskriege gepflanzt. (Quelle: E<strong>in</strong><br />

ehemaliger Schüler Foto: Rolf La<strong>in</strong>g, <strong>in</strong>: Der<br />

Grafschafter 11/2002, S. 42)<br />

Der Heimatver<strong>e<strong>in</strong></strong> hat im Berger Feld und<br />

bei den drei Friedenseichen Ecke Schwarzer<br />

Diek/Zur Friedenseiche im Dezember 2007<br />

H<strong>in</strong>weistafeln aufgestellt. Darauf heißt es:<br />

„Bei diesen drei Eichen, die früher von<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>em Zaun umgeben waren, handelt es sich<br />

um <strong>e<strong>in</strong></strong> Denkmal. Die Bäume wurden im Jahre<br />

1913 gepflanzt aus Anlass des 25-jährigen<br />

Thronjubiläums des Deutschen Kaisers Wilhelm<br />

II. und zur Er<strong>in</strong>nerung an die Befreiung<br />

von der französischen Fremdherrschaft durch<br />

die Völkerschlacht bei Leipzig im Jahre 1813.<br />

Mögen die Eichen uns mahnen, den Frieden<br />

zu bewahren!“<br />

Die Friedenseiche <strong>in</strong> Berge<br />

vor dem Hof von Grote Lambers<br />

124<br />

GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />

Friedenseichen<br />

(Gedicht von H<strong>e<strong>in</strong></strong>rich Kuiper, Grasdorf,<br />

deutsch von Manfred Kip)<br />

In Blüte stand das deutsche Kaiserreich,<br />

das Vaterland.<br />

Da wurde ich <strong>in</strong> froher Friedenszeit<br />

gepflanzt von junger Männerhand -<br />

doch war der Erste Weltkrieg nicht mehr weit.<br />

Und drohend schaute aus dem schwarzen Wolkenmeer<br />

die Sonne auf die große Völkerschlacht, die jetzt begann.<br />

Ich selbst war K<strong>in</strong>d und freute mich an bunten Sommerfarben,<br />

als unser Land versank <strong>in</strong> Nacht und Not.<br />

Noch kl<strong>in</strong>gt das Wort „mobil" mir <strong>in</strong> den Ohren,<br />

und Vater, Mann und Bruder, Sohn –<br />

sie standen an der Front, und <strong>in</strong> vier fürchterlichen Jahren<br />

mussten Zigtausend noch ihr junges Leben opfern.<br />

Für Kaiser, Volk und Vaterland war es vergebens,<br />

dass alle diesen schweren Acker pflügten. Die Erde brannte,<br />

und begraben wurde die Illusion der großen Freiheit aller Völker.<br />

Doch wenig später, ich war immer noch recht jung,<br />

stieg wieder <strong>e<strong>in</strong></strong> Aggressor auf den Thron und sang<br />

die alte, wohlbekannte Melodie:<br />

Wir werden kämpfen, werden siegen,<br />

ich b<strong>in</strong> der starke Mann, und wenn wir wollen,<br />

s<strong>in</strong>d wir schon bald die Herr'n der ganzen Welt.<br />

Den Deutschen und den Siegern hat es nur geschadet,<br />

dass aus dem Ganzen niemand etwas lernte.<br />

Ich denke an Verdun und Stal<strong>in</strong>grad,<br />

zwei <strong>Ort</strong>e, die Symbol für s<strong>in</strong>nlos' Sterben s<strong>in</strong>d.<br />

So musste ich zwei lange Kriege bitterlich erleben,<br />

und noch vernehme ich den Klang der Waffen.<br />

Auf schwachen Füßen nur steht unser Lebensglück,<br />

und dieser dunkle Weg der Menschheit ist noch nicht zu Ende.<br />

Ich zittere vor Schreck und ziehe bittere Grimassen,<br />

wenn ich von Kriegslärm hier auf Gottes Erde höre.<br />

Oh Völker, gebt dem Frieden endlich mal<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong> sicheres Zuhause, dort,<br />

wo Liebe nur und Menschlichkeit regieren!<br />

Der Grafschafter, Oktober 2002


De Fredenseeke<br />

Van H<strong>e<strong>in</strong></strong>rich Kuiper<br />

Dat düütsche käiserriek en vaderland<br />

<strong>in</strong> blööjssel stün. In fredenstied<br />

b<strong>in</strong> ik hier pot´t van junge manlööhand.<br />

Den eersten Oorlog was nich wied,<br />

as reerend keek ut´t swatte wolkenmeer<br />

de sun en wickd´´ne völkerslacht.<br />

Ik was noch ´n k<strong>in</strong>d en glimd´<strong>in</strong> sommerkleer,<br />

as´t land versackd´<strong>in</strong> noad en nacht.<br />

Noch kl<strong>in</strong>gt dat woord „mobil“ mi <strong>in</strong> de oor´n<br />

en vader, man en bröör en sön<br />

stün´n fechtend an de front en <strong>in</strong>´n loop van joor´n<br />

gaff´n völl eer blööj´nde lewen hen.<br />

Föör käiser, volk en vaterland hebt see<br />

ümtsüns den sworen akker plöögt.<br />

Uns eerde brande, en´n lewen völkerfree<br />

lag deep begraven. Later <strong>in</strong> mien jöögd<br />

steeg weer´n aggressor up den troon en süng<br />

de auld bekä<strong>in</strong>de melodie:<br />

Will krieg en sieg, ´nen starken man, dat b<strong>in</strong> ´k,<br />

et heele weltriek, dat höörd mi!<br />

Uns land en ok de siegermächt´heft´t schaad,<br />

dat ut geschichte men niks leerd.<br />

Ik dä<strong>in</strong>ke an Verdun en Stal<strong>in</strong>grad,<br />

woor s<strong>in</strong>los starwen sichtbar wöörd.<br />

Twee lange Oorlogs mus belewen ik,<br />

en noch vernem ik wäpenklang.<br />

Up slappe föte steet uns lewensglück.<br />

De mä<strong>in</strong>schhäid geet döör´n düüstern gang.<br />

Ik beew van schrick en trekt gesichte kruus,<br />

höör ik van kriegslarm up Gods eerd.<br />

O völker, schä<strong>in</strong>kt den free een worm tohuus,<br />

woor leewd´en mä<strong>in</strong>schlikhäid regeert!<br />

BERGE UND SCHERHORN<br />

Friedenseichen <strong>in</strong> Berge<br />

mit Info-Tafel 2008<br />

(Johann Jeur<strong>in</strong>k)<br />

Scheerhorner Hüttenböilt<br />

Von Harm Kuiper<br />

Baugebiete werden ausgewiesen, erschlossen,<br />

verkauft und <strong>in</strong>nerhalb kürzester Zeit stehen<br />

schmucke, meist E<strong>in</strong>familienhäuser auf den<br />

Bauplätzen. Das ist <strong>in</strong> der heutigen Zeit der<br />

ganz normale Ablauf.<br />

Bei der Entstehung des Scheerhorner<br />

Hüttenböiltes fanden diese Abläufe so nicht<br />

statt. Woher kommt die Straßenbezeichnung<br />

„Hüttenböilt“?<br />

Der Hüttenböilt war früher <strong>e<strong>in</strong></strong> Tierfriedhof.<br />

Noch bis etwa 1948/49 wurden dort tote<br />

Kühe, Schw<strong>e<strong>in</strong></strong>e, Schafe und auch Pferde, die<br />

dort von den hiesigen Bauern mit Ackerwagen<br />

h<strong>in</strong>gebracht wurden, vergraben. Es war<br />

Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>degrund und wurde von den Berger<br />

und Scheerhorner Bauern gleichermaßen genutzt.<br />

Das Gelände war hügelig, wie die ganze<br />

Lee-Südseite mit ihren Sanddünen.<br />

Ab1948 bauten die ersten Flüchtl<strong>in</strong>gsfamilien<br />

Behelfsheime. Den Anfang machte Familie<br />

Schrader mit <strong>e<strong>in</strong></strong>er Nissenhütte. Schrader<br />

war die erste Flüchtl<strong>in</strong>gsfamilie <strong>in</strong> Hoogstede<br />

und kam schon vor Kriegsende im Herbst<br />

1944 mit fünf Personen abends am Bahnhof<br />

an. Alfred Schrader beschrieb, sie seien <strong>in</strong><br />

Hoogstede regelrecht „ausgeladen“ worden.<br />

Die erste Nacht verbrachten sie <strong>in</strong> der Schule.<br />

E<strong>in</strong>e andere Familie fuhr weiter nach Emlichheim.<br />

Olga Welt, die Tante, Auguste Schrader<br />

und der jüngste Sohn Helmut (4 Jahre) kamen<br />

am folgenden Tag auf den Hof Peters <strong>in</strong> Berge;<br />

Walter (12 Jahre) erst zu Scheepers und später<br />

zu Kuiper <strong>in</strong> Berge. Alfred Schrader wurde<br />

zu Familie Hans Bets gebracht, der Heuermann<br />

auf dem Hof Korf <strong>in</strong> Osterwald war.<br />

Später wohnte Schrader bei Familie Jan Albers<br />

<strong>in</strong> Berge.<br />

Schraders kamen aus Litauen und waren<br />

Volksdeutsche. 1938 wurden sie nach Insterburg<br />

<strong>in</strong> Ostpreußen übergesiedelt und kamen<br />

im Herbst 1944 <strong>in</strong> die Grafschaft. Erst 1948<br />

fand die Familienzusammenführung statt. Sie<br />

bauten sich <strong>in</strong> Scheerhorn <strong>e<strong>in</strong></strong>e Nissenhütte<br />

125


2<br />

(Wellblechhütte), mit Baumaterial von der<br />

englischen Besatzungsmacht und der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de<br />

Scheerhorn und Berge. Die Wellbleche<br />

kamen von den Engländern und wurden<br />

später auch von der Firma Deilmann zur Verfügung<br />

gestellt, die zu der Zeit schon <strong>in</strong><br />

Scheerhorn tätig war.<br />

Die Schraders verdienten sich ihren Lebensunterhalt<br />

mit „Sp<strong>in</strong>nen“. 1952 bauten die<br />

K<strong>in</strong>der ihrer Mutter <strong>e<strong>in</strong></strong> Haus auf dem „Böilt“,<br />

erst mit <strong>e<strong>in</strong></strong>em Flachdach und 1953 wurde es<br />

mit <strong>e<strong>in</strong></strong>em Spitzdach versehen. Dieses „weiße<br />

Haus“ war das erste auf dem Hüttenböilt. In<br />

dem Haus wohnten später die Familien Georg<br />

Züwer<strong>in</strong>k, Günter Wolf und heute H<strong>e<strong>in</strong></strong>rich<br />

Mensen.<br />

Fast alle Familien <strong>in</strong> Scheerhorn und Berge<br />

nahmen nach dem Krieg Flüchtl<strong>in</strong>ge auf ihren<br />

Höfen auf. Weil viele Familienväter und auch<br />

Söhne noch <strong>in</strong> Kriegsgefangenschaft, vermisst,<br />

verwundet oder krank waren und auch<br />

sehr viele nicht zurückkehrten, fehlte es überall<br />

an Arbeitskräften. Die Mithilfe der Flüchtl<strong>in</strong>gsfamilien<br />

wurde sehr gern angenommen.<br />

Man gab ihnen dafür <strong>e<strong>in</strong></strong> Dach über den Kopf,<br />

oft wurde es aber auch schamlos ausgenutzt.<br />

Es waren nicht alle begeistert, <strong>e<strong>in</strong></strong>en Teil ihrer<br />

126<br />

GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />

Olga Welt und Auguste Schrader<br />

vor der Nissenhütte 1948 <strong>in</strong> Scheerhorn (Harm Kuiper)<br />

Wohnung für fremde Flüchtl<strong>in</strong>ge zur Verfügung<br />

zu stellen und zu räumen. K<strong>e<strong>in</strong></strong>er wusste<br />

wie lange diese Situation anhalten würde. So<br />

hatte k<strong>e<strong>in</strong></strong>er etwas dagegen, dass sie sich auf<br />

dem heutigen Hüttenböilt Behelfsheime aus<br />

Holz und Wellbleche aufstellten. Jeder war gewillt,<br />

diese Missstände schnellstens abzuschaffen<br />

beziehungsweise sie zu verbessern.<br />

E<strong>in</strong> Behelfsheim aus Holz, was mehr Erdloch<br />

als Haus war, baute sich die Familie Rudweleit<br />

1949 <strong>in</strong> den Sandhügeln an der Lee.<br />

Eiserne Bettgestelle für fünf Personen standen<br />

ihnen dort zur Verfügung. Die Rudweleits erhielten<br />

nach dem Krieg kurz <strong>e<strong>in</strong></strong> Quartier bei<br />

Bürgermeister Jan Harms-Ens<strong>in</strong>k <strong>in</strong> Hoogstede-Bathorn<br />

und wurden danach auf dem<br />

Hof Kl<strong>e<strong>in</strong></strong>e Lambers (jetzt Kohlenberg) <strong>in</strong><br />

Berge <strong>e<strong>in</strong></strong>quartiert. Hier wohnten sie <strong>in</strong> dem<br />

Eckraum zur Hauptstraße mit fünf Personen<br />

auf dreizehn Quadratmetern. Wenn man bedenkt,<br />

was diese Flüchtl<strong>in</strong>gsfamilien seit der<br />

Vertreibung aus ihrer Heimat alles erlebt<br />

haben, waren sie erst <strong>e<strong>in</strong></strong>mal froh, untergekommen<br />

zu s<strong>e<strong>in</strong></strong>, doch <strong>e<strong>in</strong></strong> Dauerzustand<br />

konnte dies nicht s<strong>e<strong>in</strong></strong>. Hertha Weber geb.<br />

Rudweleit, jetzt wohnhaft <strong>in</strong> Hagen am Teutoburger<br />

Wald, berichtet, dass sie zu der Zeit<br />

bereits nach Neuenhaus zur Schule g<strong>in</strong>g und<br />

sich vor anderen Schülern richtig schämte, <strong>in</strong><br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>er solchen Behausung zu leben. Anfang der<br />

50er Jahre baute man sich <strong>e<strong>in</strong></strong> neues Haus aus<br />

Kl<strong>in</strong>ker. E<strong>in</strong> Stück Land, das sie vom Schulverband<br />

pachteten, hatten sie urbar gemacht.<br />

Darauf hielten sie sich <strong>e<strong>in</strong></strong> paar Schw<strong>e<strong>in</strong></strong>e. Erst<br />

1970/71 erwarben sie ihr bescheidenes Anwe-<br />

Auguste Schrader<br />

vor ihrem Haus<br />

<strong>in</strong> Scheerhorn, heute<br />

H<strong>e<strong>in</strong></strong>rich Mensen<br />

(Harm Kuiper)


sen als Erbpacht von der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Scheerhorn.<br />

2000 kaufte Familie Guido Meyer<strong>in</strong>k<br />

das Haus mit Grundstück.<br />

So wie die Flüchtl<strong>in</strong>gsfamilien Rudweleit<br />

und Schrader f<strong>in</strong>gen noch mehrere Familien<br />

mit Holz und Nissenhütten auf dem Scheerhorner<br />

Hüttenböild an. Familie Bläsner, die<br />

vorher bei Zweers <strong>in</strong> Berge wohnte und auch<br />

Familie W<strong>e<strong>in</strong></strong>berg. Bis heute s<strong>in</strong>d dort acht<br />

Häuser entstanden und es weist fast nichts<br />

mehr auf die vorherige Nutzung und sehr<br />

schweren Anfänge der Besiedlung <strong>in</strong> der<br />

Nachkriegszeit h<strong>in</strong>.<br />

Die Scheerhorner Siedlung entstand erst<br />

gut 15 Jahre später. Eigentümer der Bebauungsflächen<br />

war die Schulgem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Scheerhorn/Berge,<br />

neun Bauplätze wurden <strong>in</strong> der<br />

Siedlung vergeben.<br />

Auszüge aus dem Protokollbuch<br />

der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Scheerhorn:<br />

Dem Bebauungsplan wird am 24.02.1964 zugestimmt.<br />

Die Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de übernimmt k<strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />

etwa anstehenden Kosten. Diese müssen ebenso<br />

wie die Wege- und Straßen<strong>in</strong>standsetzung die<br />

Anlieger tragen (oder Bewerber). Auf das<br />

Schreiben der Kreisverwaltung vom 03.11.<br />

1964 beschließt der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>derat am 18.12.<br />

1964, das Baugebiet soll nicht durch weitere<br />

Wohnbauflächen, etwa bis Bolks, vergrößert<br />

BERGE UND SCHERHORN<br />

E<strong>in</strong>gang Abenteuerspielplatz Scheerhorn-Berge <strong>in</strong> 2008<br />

(Harm Kuiper)<br />

werden soll. Der Rat beschließt am 15.11.1967,<br />

die Trägerschaft sowie die künftige Unterhaltung<br />

der Kläranlage zu übernehmen.<br />

Am 27.10.1969 heißt es: In der neuen<br />

Siedlung soll <strong>e<strong>in</strong></strong>e Pflasterstraße gebaut werden,<br />

wenn die Anlieger <strong>e<strong>in</strong></strong> Viertel der Unkos -<br />

ten übernehmen. Die Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de liefert die<br />

St<strong>e<strong>in</strong></strong>e und zahlt 20,– DM pro Quadratmeter<br />

für die Pflasterung. Für die Herstellung des<br />

Weges bis zur Pflasterung (ausräumen, Sand<br />

fahren u...) werden 1000,– DM berechnet. Für<br />

Handlangerdienste pro Kubikmeter wird <strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />

DM berechnet. Den Rest müssen die Anlieger<br />

bar entrichten.<br />

Bei <strong>e<strong>in</strong></strong>er 25%igen Beteiligung der Anlieger<br />

am Hüttenböld wird auch dort ausgebaut. Abstimmungsergebnisse<br />

4 ja 2 n<strong>e<strong>in</strong></strong>.<br />

Neubau der Gaststätte Warmer <strong>in</strong> Scheerhorn, 1964. Heute sieht man beim Vorbeifahren <strong>e<strong>in</strong></strong> schmuckes Haus der Familien<br />

Smit/Batter<strong>in</strong>k, früher war es Treff und Mittelpunkt vieler Generationen <strong>in</strong> Scheerhorn und Berge, die Gaststätte Warmer<br />

<strong>in</strong> Scheerhorn. Vor dem Neubau 1964 war dort sogar noch <strong>e<strong>in</strong></strong>e Viehwaage untergebracht. Sehr lange, über mehrere<br />

Generationen führte die Familie H<strong>e<strong>in</strong></strong>rich Warmer die Gastwirtschaft. Von 1978–1983 wurde sie von Eberhard Ras per<br />

geführt, und 1983–1988 von Brigitte Smit. (Harm Kuiper)<br />

127


2<br />

Erdölfeld Scheerhorn<br />

Gerold ten Br<strong>in</strong>k, Osterwald<br />

Am 19. September 1949 begann mit <strong>e<strong>in</strong></strong>er Deilmann-Bohranlage<br />

etwa 3 km nordwestlich von<br />

Georgsdorf am Coevorden-Piccardie-Kanal<br />

mit der von Deilmann gebohrten Sonde Scheerhorn<br />

1 (Sche 1) der Aufschluss der Erdöllagerstätte<br />

Scheerhorn…<br />

Sche 1 stieß ab 1108 m auf <strong>e<strong>in</strong></strong>en gut verölten<br />

Bentheimer Sandst<strong>e<strong>in</strong></strong>. Am 26. Oktober<br />

1949 stellte man die Bohrung, ohne den Bentheimer<br />

Sandst<strong>e<strong>in</strong></strong> ganz zu durchbohren, bei<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>er Teufe von 1123,5 m <strong>e<strong>in</strong></strong>. Förderteste<br />

brachten den Nachweis, dass die Aufschlussbohrung<br />

Scheerhorn 1 fündig war. Der 5. Dezember<br />

1949 war der erste Fördertag und die<br />

Bohrung förderte eruptiv durch <strong>e<strong>in</strong></strong>e 6-mm-<br />

Düse 70m 3 Öl je Tag mit <strong>e<strong>in</strong></strong>em Stockpunkt<br />

von 28 °C. E<strong>in</strong> Öl mit so hohem Stockpunkt<br />

zu fördern, ergab sogleich technische Probleme,<br />

<strong>in</strong>sbesondere im W<strong>in</strong>ter.<br />

128<br />

GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />

Berger Jugend um 1960 aus Anlass <strong>e<strong>in</strong></strong>er Zugfahrt <strong>in</strong> alten Trachten, Evert Lübbers, Albertus Kuite,<br />

Aalt<strong>in</strong>a Koh lenberg geb. Kl. Lambers, Jenni Zwiers geb. Kl. Lambers, Jenni Harms-Ens<strong>in</strong>k geb. Kuite,<br />

Henni Nacken geb. Kuiper, Albert Jan Kuite (Willy Friedrich)<br />

Im folgenden Jahr wurden zehn Bohrungen<br />

<strong>in</strong> mehr oder weniger großem Abstand von der<br />

Sche 1 im Auftrag des Viererkonsortiums –<br />

Deilmann, Elwerath, Preussag und W<strong>in</strong>tershall<br />

– abgeteuft. Doch die meisten trafen den Bentheimer<br />

Sandst<strong>e<strong>in</strong></strong> ganz oder zum Teil verwässert<br />

an. Lediglich die Sche 8 und die beiden<br />

mehr als <strong>e<strong>in</strong></strong>en Kilometer westlich der Sche 1<br />

Verwalzen <strong>e<strong>in</strong></strong>es<br />

Bohrturmes


Bernd Jeur<strong>in</strong>k<br />

beim Abtransport<br />

von Ölresten von<br />

den Fördersonden<br />

Denkmal „Kl<strong>e<strong>in</strong></strong>er Tiefpumpenantrieb“<br />

angesetzten Bohrungen Sche 10 und Sche 16<br />

waren wirtschaftlich fündig. Sie gaben den<br />

H<strong>in</strong>weis, dass sich die Scheerhorner Lagerstätte<br />

<strong>in</strong> Richtung Westen erstreckt und mit der Sche 1<br />

nur die kl<strong>e<strong>in</strong></strong>e Ostscholle der Lagerstätte gefunden<br />

worden war. Bis zur Mitte der fünfziger<br />

Jahre war dann die Lagerstätte im Bentheimer<br />

Sandst<strong>e<strong>in</strong></strong> voll erschlossen. Zeitweise setzte man<br />

bis zu vier Bohranlagen von Deilmann und der<br />

Gewerkschaft Elwerath <strong>e<strong>in</strong></strong>. In den Jahren 1951<br />

bis 1955 wurden 69 Bohrungen abgeteuft…<br />

BERGE UND SCHERHORN<br />

Insgesamt wurden <strong>in</strong> Scheerhorn 169 Bohrungen<br />

mit fast 200.000 Bohrmetern abgeteuft.<br />

Nur zwölf Bohrungen waren nicht fündig.<br />

Verkehrsverhältnisse<br />

In Scheerhorn gab es 1949 nur unbefestigte<br />

Landwege, die meistens wegen moorigen Untergrundes<br />

und schlechter Entwässerung mit<br />

schweren Fahrzeugen zum Transport der<br />

Bohrgeräte nicht befahrbar waren. Im Zuge<br />

der Bohrtätigkeit und des Ausbaus des Feldes<br />

zu <strong>e<strong>in</strong></strong>em Erdölförderbetrieb mussten deshalb<br />

nicht nur Bohrplätze angelegt, sondern auch<br />

Wege zu Straßen ausgebaut und viele neue<br />

Straßen gebaut werden. Heute beträgt das von<br />

den Konsortialpartnern angelegte Straßennetz<br />

im Erdölfeld Scheerhorn rd. 41 km.<br />

Der Abtransport des geförderten Erdöls erfolgte<br />

im ersten Förderjahr auf dem Wasserweg.<br />

Mit dem 100 t fassenden Tankschiff „Glückauf“<br />

wurde das Erdöl auf dem Coevorden-Piccardie-Kanal<br />

nach Emlichheim gebracht und<br />

dort <strong>in</strong> Eisenbahnkesselwagen gepumpt. Mit<br />

der Bentheimer Eisenbahn und der Bundesbahn<br />

gelangte es dann auf dem Schienenwege<br />

129


2<br />

130<br />

GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />

zu Raff<strong>in</strong>erien im Ruhrgebiet. Damit das Öl<br />

be- und entladen werden konnte, mussten Lagertanks,<br />

Tanker und Kesselwagen wegen des<br />

hohen Stockpunktes beheizbar s<strong>e<strong>in</strong></strong>. Man<br />

sprach <strong>in</strong> Scheerhorn oft davon, dass es besser<br />

wäre, das Öl <strong>in</strong> Säcken zu verladen.<br />

Bei der Sonde Sche 1 entstand die Sammelstelle<br />

1 mit Tanks und <strong>e<strong>in</strong></strong>em Dampfkessel.<br />

Auf Feldbahngleisen fuhr man das Öl <strong>in</strong><br />

Kl<strong>e<strong>in</strong></strong>kesselwagen von den anderen Fördersonden<br />

heran, denn im Anfangsstadium hatte<br />

man noch k<strong>e<strong>in</strong></strong>e Erfahrungen mit dem Leitungstransport<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>es Öles mit <strong>e<strong>in</strong></strong>em Stockpunkt<br />

von 28 °C.<br />

Nachdem im Laufe des Jahres 1950 der<br />

drei Kilometer entfernte Erdölförderbetrieb <strong>in</strong><br />

Osterwald <strong>e<strong>in</strong></strong>en Grubenbahnanschluss bekommen<br />

hatte und dort von den Konsortialpartnern<br />

die Emsland Erdölleitung GmbH<br />

(EEG), <strong>e<strong>in</strong></strong>e Gesellschaft für die Ölverladung<br />

und Verpumpung zu den Raff<strong>in</strong>erien, gegründet<br />

worden war, transportierte man das<br />

Scheerhorner Öl vorübergehend mit Straßentankwagen<br />

nach Osterwald. Doch bald konnte<br />

das Öl durch die an der Sammelstelle 1 vorbeiführende<br />

Pipel<strong>in</strong>e des Erdölfeldes Rühler -<br />

twist zur EEG verpumpt werden.<br />

Sammelstelle zwei seit 1951<br />

1951 erfolgt der Aufbau der Sammelstelle 2.<br />

Über beheizbare Sammelleitungen geht seitdem<br />

der Erdölfluss zu dieser Sammelstelle, wo<br />

das Erdöl entgast und das Lagerstättenwasser<br />

abgeschieden wird, denn <strong>in</strong>zwischen hatte bei<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>igen Sonden <strong>in</strong> Randwasserbereich <strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />

Sammelstelle 1 am Kanal<br />

Sammelstelle 1 Tankschiff Glückauf<br />

Sammelstelle 2<br />

langsame Verwässerung <strong>e<strong>in</strong></strong>gesetzt. Mit der<br />

Inbetriebnahme der Sammelstelle 2, die durch<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>e Leitung mit der EEG <strong>in</strong> Osterwald verbunden<br />

war, konnte die Sammelstelle 1 nun<br />

aufgegeben werden.<br />

Betriebsplatz und Verwaltung 1951/52<br />

Anfang der fünfziger Jahre förderten die Sonden<br />

aufgrund des hohen Lagerstättendruckes<br />

noch eruptiv. Doch wegen des hohen Stockpunktes<br />

des Öles reichte dieser Druck bald<br />

nicht mehr aus, um das Öl durch die Leitungen<br />

zur Sammelstelle zu leiten. Die Sonden<br />

mussten deshalb auf Tiefpumpenförderung<br />

umgestellt werden.<br />

Mit der schnellen Feldentwicklung wurden<br />

1951/52 500 m südwestlich der Sammelstelle<br />

2 <strong>e<strong>in</strong></strong> Betriebsplatz mit Feldwerkstatt, Magaz<strong>in</strong><br />

und Fuhrpark <strong>e<strong>in</strong></strong>gerichtet und außerdem <strong>e<strong>in</strong></strong><br />

Verwaltungsgebäude und <strong>e<strong>in</strong></strong>e Kaue gebaut.<br />

Die Anzahl der Mitarbeiter schnellte von<br />

36 im Jahr 1950 auf 171 im Jahr 1953 hoch<br />

und g<strong>in</strong>g dann langsam wieder zurück.


Gas – Salzwasser – Öl<br />

Die von Jahr zu Jahr steigende Erdölförderung<br />

verursachte <strong>e<strong>in</strong></strong>en stetigen Druckabfall <strong>in</strong> der<br />

Lagerstätte. Dies erforderte es, die Förderung<br />

zu reduzieren, <strong>e<strong>in</strong></strong>zelne Sonden mussten wegen<br />

zu hohen Gas-Öl-Verhältnisses geschlossen<br />

werden. Druckerhaltungsmaßnahmen waren<br />

erforderlich. 1953 und 1955 wurden je <strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />

Hilfsbohrung <strong>in</strong> der Südflanke abgeteuft. In<br />

diese presste man von der zentralen E<strong>in</strong>pressstation<br />

des Erdölbetriebes Elwerath <strong>in</strong> Osterwald<br />

aus das mitgeförderte Salzwasser <strong>e<strong>in</strong></strong>.<br />

Hierdurch konnten die mittleren und nördlichen<br />

Lagerstättenbereiche nicht be<strong>e<strong>in</strong></strong>flusst<br />

werden. In diesem Bereich versuchte man,<br />

durch E<strong>in</strong>pressen von Erdgas den weiteren<br />

Druckabfall zu verh<strong>in</strong>dern. Mit dem E<strong>in</strong>pressen<br />

von Erdgas wurde 1953 <strong>in</strong> die Sche 22<br />

begonnen. Da das Gas schnell zu den umlie-<br />

Ölausbruch Scheerhorn 22 am 06.11.1956<br />

BERGE UND SCHERHORN<br />

genden Fördersonden durchschlug, musste die<br />

Gas<strong>e<strong>in</strong></strong>pressung wieder <strong>e<strong>in</strong></strong>gestellt werden.<br />

Ausbruch 1956<br />

Der 6. November 1956 war <strong>e<strong>in</strong></strong> schwarzer Tag<br />

für Scheerhorn. Als die Sche 22 wieder zur<br />

Fördersonde umgerüstet werden sollte, kam es<br />

zu <strong>e<strong>in</strong></strong>em spektakulären Ölausbruch.<br />

Nach drei Tagen, als der Eruptionsdruck<br />

nachgelassen hatte, gelang es, durch Montage<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>es Bohrlochkopfes die Sonde zu schließen.<br />

Mehrere 100.000 m3 Erdgas und etwa<br />

2000 m 3 Erdöl waren eruptiert. Das Erdöl erstarrte<br />

zu <strong>e<strong>in</strong></strong>er Schichtdicke von ca. 1 m um<br />

die Sonde und konnte wiedergewonnen werden.<br />

Der hohe Stockpunkt und die hohe Viskosität<br />

hatten das Versickern des Erdöls<br />

verh<strong>in</strong>dert.<br />

Herausgeworfene Steigrohre<br />

Nach der Montagearbeit<br />

131


2<br />

Tiefpumpen<br />

1958 und 1960 wurden im Mittelfeld und an<br />

der Nordflanke je <strong>e<strong>in</strong></strong>e Hilfsbohrung abgeteuft,<br />

um auch hier Salzwasser <strong>e<strong>in</strong></strong>zupressen. Die<br />

hohe Viskosität des Öles begünstigte bei den<br />

Druckerhaltungsmaßnahmen <strong>e<strong>in</strong></strong>e schnelle<br />

Zunahme der Verwässerung. 1960 betrug die<br />

Verwässerung bereits 40–50%, und stieg 1965<br />

auf über 80% an. 1965 erreichte die Förderung<br />

ihr Maximum von fast 290.000 t R<strong>e<strong>in</strong></strong>öl<br />

pro Jahr. In den nächsten zwei Jahren fiel die<br />

Förderung auf 230.000 t R<strong>e<strong>in</strong></strong>öl ab. Um diesen<br />

Förderabfall zu bremsen, rüstete man die randwassernahen<br />

Sonden mit größeren Tiefpumpen<br />

und stärkeren Tiefpumpenantrieben aus.<br />

Da 1970 die Verwässerung 87% erreichte,<br />

entschloss man sich nun Tauchkreiselpumpen<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>zusetzen, um so die Fördermenge zu erhöhen.<br />

Bis 1983 bleib die Fördermenge konstant,<br />

nur die Verwässerung stieg auf 97% an und<br />

die R<strong>e<strong>in</strong></strong>ölmenge fiel auf 148.000 t ab.<br />

Neben der Umrüstung der Fördersonden<br />

musste auch die Wasserabscheidung auf der<br />

Sammelstelle vergrößert werden. Die F<strong>e<strong>in</strong></strong>abscheidung<br />

erfolgte weiterh<strong>in</strong> im Förderbetrieb<br />

Elwerath <strong>in</strong> Osterwald. Für das anfallende<br />

Salzwasser wurden Leitungen zu den <strong>e<strong>in</strong></strong>zelnen<br />

E<strong>in</strong>presssonden verlegt. Stetig steigende Betriebskosten<br />

bei fallender Förderung machten<br />

Rationalisierungsmaßnahmen erforderlich, die<br />

132<br />

GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />

Schwerer Salzgitter-Tiefpumpenantrieb<br />

durch Anwendung von moderner Mess-, Re gelund<br />

Fernwirktechnik erreicht wurden. Im Zusammenhang<br />

mit dieser Modernisierung wurde<br />

<strong>in</strong> der Messwarte das Fließbild durch rechnerunterstützte<br />

Bildschirme ersetzt, um so die erhöhten<br />

Sicherheitsanforderungen zu erreichen.<br />

An sechster Stelle<br />

Das Erdölfeld Scheerhorn lag 2008 bei der<br />

R<strong>e<strong>in</strong></strong>ölförderung mit 43.179 t unter den zehn<br />

größten deutschen Erdölfeldern an sechster<br />

Stelle. Insgesamt s<strong>in</strong>d bis <strong>e<strong>in</strong></strong>schließlich 2008 <strong>in</strong><br />

Scheerhorn 8,7 Mio. t R<strong>e<strong>in</strong></strong>öl gefördert worden.<br />

Quellen- und Literaturverzeichnis<br />

Dipl.-Berg<strong>in</strong>g. Christian von Maltzan,<br />

Scheerhorn 40 Jahre Erdölförderung<br />

H<strong>e<strong>in</strong></strong>z Boigk, Erdöl und Erdölgas<br />

<strong>in</strong> der Bundesrepublik Deutschland<br />

NLfB Hannover, Erdöl und Erdgas <strong>in</strong> der<br />

Bundesrepublik Deutschland (Jahresförderung 2006)<br />

Fotos H. Paulsen und G. ten Br<strong>in</strong>k<br />

Tauchkreiselpumpe<br />

Scheerhorn 1


Hoogstede<br />

und Bathorn<br />

Die Entwicklung der politischen<br />

Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Hoogstede<br />

Johann Kemkers<br />

Gildschaft Scheerhorn – Kirchspiel <strong>Arkel</strong><br />

Unter der Bezeichnung „Gildschaft Scheerhorn“<br />

waren bis weit <strong>in</strong> das 19. Jahrhundert h<strong>in</strong><strong>e<strong>in</strong></strong><br />

sechs Bauernschaften ver<strong>e<strong>in</strong></strong>t: Scheerhorn,<br />

Berge, Bathorn, Hoogstede, T<strong>in</strong>holt und Kalle.<br />

E<strong>in</strong>e herausgehobene Rolle spielte Hoogstede <strong>in</strong><br />

dieser Gruppe über <strong>e<strong>in</strong></strong>en langen Zeitraum nicht.<br />

Das änderte sich mit der Errichtung der reformierten<br />

<strong>Kirche</strong> „auf“ Hoogstede (1821). Als<br />

Farbige Postkarte um 1900,<br />

„Gruß aus Hoogstede“ (Johann Jeur<strong>in</strong>k)<br />

neues Zentrum des Kirchspiels <strong>Arkel</strong>, das bis<br />

auf <strong>e<strong>in</strong></strong>en kl<strong>e<strong>in</strong></strong>en Randbereich identisch war<br />

mit der Gildschaft Scheerhorn, entwickelte<br />

sich Hoogstede nun auch zum wirtschaftlichen<br />

Kern der Region, begünstigt durch die<br />

Mittelpunktslage und die gute überörtliche<br />

Verkehrsanb<strong>in</strong>dung nach Neuenhaus und Emlichheim.<br />

Das Gefühl gem<strong>e<strong>in</strong></strong>dlicher Zusammengehörigkeit<br />

stiftete wesentlich die kirchliche Verbundenheit.<br />

Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>s<strong>in</strong>n bewirkte auch die<br />

Notwendigkeit zur Zusammenarbeit bei der Bewirtschaftung<br />

des lange Zeit ungeteilten Markengrunds,<br />

der den weitaus größten Teil der<br />

Gildschaftsfläche ausmachte (s. Karte von<br />

1855/56).<br />

Die politischen und wirtschaftlichen Strukturen<br />

waren aufs Engste mit den kirchlichen<br />

verwoben und oft von diesen bestimmt. Diese<br />

Abhängigkeit zeigen beispielhaft die Vorgänge<br />

um den Grunderwerb von H<strong>in</strong>drik Sloot<br />

<strong>in</strong> der „Scheerhorner Mark“ 1 (ab 1818; s. Abschnitt<br />

zur „Familie Sloot“). Als Verkäufer<br />

des Markengrundes wird mal die „Gildschaft<br />

Scheer horn“ genannt, mal heißt es die „Bauern<br />

schaften“ von Bathorn, Hoogstede und<br />

Scheer horn – Nutznießer war aber jedenfalls<br />

die „<strong>Kirche</strong>ngem<strong>e<strong>in</strong></strong>de <strong>Arkel</strong>“, der die E<strong>in</strong>künfte<br />

zur „Dotierung“ der neuen Pfarrstelle<br />

zustanden. 2<br />

1 Mit „Scheerhorner Mark“ wurde vor der Markenteilung (und gelegentlich<br />

auch noch danach) der gesamte Markengrund östlich<br />

der Privatflächen der Bauernschaften Bathorn, Hoogstede,<br />

Scheerhorn und Berge bezeichnet (s. Karte).<br />

2 Nach dem Verkaufsprotokoll blieben die verkauften Markengründe<br />

„auf immer <strong>e<strong>in</strong></strong> Eigenthum der Pfarre zu <strong>Arkel</strong>“. Es war<br />

jährlich <strong>e<strong>in</strong></strong> Z<strong>in</strong>ssatz von 4 Prozent der Kaufsumme zu leisten.<br />

Erst 1874 zahlte Jan Sloot (Enkel des Kolonisten) die Kaufsumme<br />

von 1.000 Gulden an die <strong>Kirche</strong>ngem<strong>e<strong>in</strong></strong>de <strong>Arkel</strong>. Damit g<strong>in</strong>g<br />

das Grundstück endgültig <strong>in</strong> den Besitz der Familie Sloot über.<br />

133


2<br />

134<br />

GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />

Scheerhorner Mark 1855/56. Die Karte von 1855/56 zeigt die ungeteilte „Scheerhorner Mark“, die sich vom<br />

Rand der Bauernschaften Bathorn, Hoogstede, Scheerhorn und Berge über das Bruch bis <strong>in</strong>s Moor erstreckte.<br />

Am oberen Bildrand rechts ist das Kolonat Sloot erkennbar.


Obwohl Sloot mit s<strong>e<strong>in</strong></strong>em Haus und s<strong>e<strong>in</strong></strong>en<br />

Ländereien <strong>e<strong>in</strong></strong>schließlich der Heuerleute <strong>e<strong>in</strong></strong>deutig<br />

<strong>in</strong> der „Scheerhorner Mark“ lag, und<br />

als E<strong>in</strong>gesessener der Gildschaft anzusehen<br />

war, setzten <strong>in</strong>sbesondere die Bathorner und<br />

Hoogsteder alles daran, „Sloot und s<strong>e<strong>in</strong></strong>e Heuerleute“<br />

auszugrenzen. Als schließlich nach<br />

vielen Querelen verfügt wurde, dass Sloot mit<br />

s<strong>e<strong>in</strong></strong>en sieben Heuerleuten der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Neur<strong>in</strong>ge<br />

angehöre, bedeutete das die Abtrennung<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>es größeren Gebietes von der Gildschaft<br />

Scheerhorn. Die kirchlichen B<strong>in</strong>dungen blieben<br />

allerd<strong>in</strong>gs erhalten: Bis auf den heutigen<br />

Tag gehört der östliche Teil von Neur<strong>in</strong>ge zum<br />

Kirchspiel der ref. <strong>Kirche</strong>ngem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Hoogstede<br />

(früher Kirchspiel <strong>Arkel</strong>).<br />

Die Teilung der Mark<br />

Wie <strong>in</strong> anderen Teilen unserer Region wurde<br />

<strong>in</strong> der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch<br />

<strong>in</strong> der „Scheerhorner Mark“ <strong>e<strong>in</strong></strong>e sogenannte<br />

Generalteilung durchgeführt. Die Zuordnung<br />

zu den <strong>e<strong>in</strong></strong>zelnen Bauernschaften wurde aber<br />

nicht vollständig vollzogen; denn festgelegt<br />

wurde nur die Grenzl<strong>in</strong>ie zwischen den Bauernschaften<br />

Scheerhorn/Berge <strong>e<strong>in</strong></strong>erseits und<br />

Hoogstede/Bathorn andererseits.<br />

Die Markengenossen von Hoogstede und<br />

Bathorn beantragten alsbald <strong>e<strong>in</strong></strong>e weitere Generalteilung<br />

und die Hoogsteder zudem <strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />

Spezialteilung ihres Anteils. Die Königliche<br />

Landdrostei genehmigte 1864 beide Teilungen.<br />

Danach beschlossen auch die Bathorner die<br />

Spezialteilung. Beide Spezialteilungen konnten<br />

nun <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong></strong>em Verfahren abgewickelt werden.<br />

Die Berechtigten hatten schon bei der Generalteilung<br />

ihre Ansprüche angemeldet. Sie<br />

wurden mit Angabe ihrer Erbesqualitäten registriert.<br />

Die Berechtigten <strong>in</strong> Hoogstede waren:<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong> Fünfviertelerbe (Jeur<strong>in</strong>g);<br />

sechs Vollerben (Hannebrook, Stroot-Salm<strong>in</strong>k,<br />

Wermer, Weelmann, Kuhlmann, Weuste);<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong> Dreiviertelerbe (Twentker);<br />

zwei Halberben (Köster, J. Weuste);<br />

acht Viertelerben (Börger, van der Kamp,<br />

Brouwer, Schiev<strong>in</strong>k/Sloot, Laarmann,<br />

Snö<strong>in</strong>k, H. Sloot, Scholten);<br />

HOOGSTEDE UND BATHORN<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong> Achtelerbe (Ref. Pfarre <strong>Arkel</strong>);<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong> Zehntelerbe (Ref. Schule Hoogstede);<br />

acht Neubauern (H. Veld, H. Gosen,<br />

Ww. Müller, J.H. Bleumer, J.H. Rosemann,<br />

H. Wiegm<strong>in</strong>k, G. Van Wieren, Ref. Küsterstelle<br />

<strong>Arkel</strong>).<br />

Die Berechtigten <strong>in</strong> Bathorn waren:<br />

fünf Fünfviertelerben (Bleumer,<br />

Wiegm<strong>in</strong>k, Koops, Ens<strong>in</strong>k, Gr. Neerken);<br />

drei Vollerben (Harms, Kolthoff, Schoemaker);<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong> Dreiviertelerbe (G.H. Kwade);<br />

drei Halberben (Boll, Künnen, Evers);<br />

zehn Viertelerben (Wigger, Broekschnieder,<br />

Bloemendal, Hofmeyer, Kl. Neerken,<br />

Schnieders, Boerkamp, Beerl<strong>in</strong>k, Albers,<br />

R<strong>in</strong>gerbrüggen-Schnieder);<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong> Achtelerbe (ter Haar-Pölk<strong>in</strong>k);<br />

zwölf Neubauern (Peters, ter Haar, Lage,<br />

B.J. Snieders, J.B. Weuste, van Laar;<br />

E Zager, J. Kwade, L. Stroot, H. Jeur<strong>in</strong>k,<br />

D. Lübbers, G. Jeur<strong>in</strong>k).<br />

Weitere Berechtigte:<br />

Das Fürstliche Haus zu Bentheim; Vollerbe<br />

T<strong>in</strong>holt <strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt; Alfer<strong>in</strong>k <strong>in</strong> Scheerhorn;<br />

Stroot-Salm<strong>in</strong>k-Albers <strong>in</strong> Hoogstede; Wessels/Laarmann<br />

<strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt; J.H. Sloot <strong>in</strong> Neur<strong>in</strong>ge;<br />

Kath. Schule Hoogstede; Kath. Pfarre<br />

Emlichheim; Kath. Küsterstelle Emlichheim;<br />

R<strong>in</strong>gerbrüggen-Emlichheim.<br />

Die Berechtigten wählten zu Markenbevollmächtigten<br />

die Bauern Stroot <strong>in</strong> Hoogstede<br />

und Neerken <strong>in</strong> Bathorn. Der Rentmeister Cramer<br />

<strong>in</strong> Neuenhaus vertrat den Fürsten zu<br />

Bentheim. Die Interessen der <strong>Kirche</strong>n und<br />

Schulen wurden von den zuständigen Pastoren<br />

wahrgenommen.<br />

Fast alle Berechtigten bekamen Markenboden<br />

<strong>in</strong> mehreren Güteklassen: Anger, Heide <strong>in</strong><br />

den B<strong>in</strong>nengründen, gewöhnliche Heide und<br />

Sand. So wurden dem Vollerben Hannebrook<br />

z.B. 30 Morgen (Mg) 98 Quadrat-Ruten (QR)<br />

Anger, 16 Mg 100 QR Heide <strong>in</strong> den B<strong>in</strong>nengründen<br />

und 22 Mg 100 QR gewöhnliche Heide<br />

zugewiesen, dazu Abf<strong>in</strong>dungen im Moor <strong>in</strong><br />

der errechneten Größe. Die Neubauern erhielten<br />

<strong>in</strong> der eigentlichen Mark nur Heideboden.<br />

135


2<br />

Die nicht verteilten Flächen, Sandgruben<br />

und Depotgründe, blieben Eigentum der Markengenossenschaft.<br />

Aus den Gruben sollte<br />

hauptsächlich Sand für die Verbesserung der<br />

Wege entnommen werden. Die Bauern wurden<br />

verpflichtet, ihre Grundstücke abzugrenzen,<br />

im Moor durch Gräben und <strong>in</strong> den<br />

anderen Teilen der Mark durch Wälle mit Seitengräben,<br />

im Ackerland genügten Grenzst<strong>e<strong>in</strong></strong>e.<br />

Die Kommission gab Anweisungen für<br />

die Anlage neuer und die Verbreiterung bestehender<br />

Wege, ebenso für die Entwässerung<br />

durch Gräben. Auch für die Pflege und Unterhaltung<br />

der Wege und Wasserzüge erließ sie<br />

verb<strong>in</strong>dliche Vorschriften.<br />

Die Kosten der Teilung wurden auf die Interessenten<br />

umgelegt, der Fürst zu Bentheim<br />

und die Neubauern waren davon befreit. Das<br />

Rechnungswesen führte wie bei der Generalteilung<br />

der Scheerhorner Mark der Lehrer<br />

Schiev<strong>in</strong>k <strong>in</strong> Hoogstede.<br />

Der Vertrag über die Hoogsteder-Bathorner<br />

Mark wurde von den Beteiligten anerkannt<br />

und von ihnen bzw. ihren Bevollmächtigten<br />

am 21. Januar 1871 <strong>in</strong> Hoogstede unterschrieben.<br />

Die Königliche Generalkommission <strong>in</strong><br />

136<br />

GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />

Der Dorfbrunnen aus dem Jahre 2000<br />

steht für den <strong>Ort</strong> und alle <strong>Ort</strong>steile (R. Golde)<br />

Hannover beglaubigte den Vertrag am 26.<br />

September 1871.<br />

Ver<strong>e<strong>in</strong></strong>igung von Hoogstede<br />

und Bathorn <strong>in</strong> 1890<br />

Der Verzicht auf <strong>e<strong>in</strong></strong>e Generalteilung der<br />

Hoogsteder-Bathorner Mark bescherte zwar<br />

den Berechtigten <strong>e<strong>in</strong></strong>e verhältnismäßig schnelle<br />

Inbesitznahme ihrer Anteile, bedeutete aber,<br />

dass, wie der Landrat Kriege im April 1889<br />

feststellte, <strong>in</strong>folge der Markenteilung die<br />

„Grundstücke der E<strong>in</strong>gesessenen von Bathorn<br />

und Hoogstede <strong>in</strong> beiden Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den im Gemenge<br />

lägen“, sodass <strong>e<strong>in</strong></strong>e feste Grenze zwischen<br />

beiden Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den nicht bestehe. E<strong>in</strong>e<br />

Feststellung der Grenze sei grundsätzlich erforderlich,<br />

<strong>in</strong>sbesondere aber nach der Anlage<br />

des Kanals Piccardie-Coevorden. Das Königliche<br />

Katasteramt Bentheim schlug vor, „daß<br />

die Grenze dah<strong>in</strong> festgestellt werde, daß die<br />

Kanalstrecke von der Grenze der Bathorn-<br />

Hoogsteder Mark gegen Scheerhorn ... bis zum<br />

Twister Deich(Bathorner Diek) der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de<br />

Hoogstede und die Kanalstrecke von da bis<br />

zur Gr. R<strong>in</strong>ger Grenze ... der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Bathorn<br />

angeschlossen werde“. Die Hoogsteder


und Bathorner wurden aufgefordert, <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong></strong>er<br />

Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>deversammlung über den Vorschlag<br />

des Katasteramtes zu beraten und „über denselben<br />

Beschluß zu fassen“.<br />

Schon am 3. Mai 1889 fand die Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>deversammlung<br />

statt. In s<strong>e<strong>in</strong></strong>em Bericht darüber<br />

an den Landrat schreibt der landrätliche<br />

Hilfsbeamte, „daß, da <strong>e<strong>in</strong></strong>e E<strong>in</strong>igkeit über<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>en Grenzl<strong>in</strong>ie zwischen Hoogstede und<br />

Bathorn nicht zu erzielen, von den Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>deversammlungen<br />

beider Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den schließlich<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>stimmig beschlossen worden ist, beide<br />

Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den zu <strong>e<strong>in</strong></strong>er politischen Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de zu<br />

ver<strong>e<strong>in</strong></strong>igen. Zu diesem günstigen Resultat hat<br />

nicht unwesentlich der E<strong>in</strong>fluß des Herrn Pastor<br />

Nyhuis mitgewirkt, welcher nur durch Ver<strong>e<strong>in</strong></strong>igung<br />

beider Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den <strong>e<strong>in</strong></strong>e Lösung des<br />

Grenzwirrwarrs für möglich erachte“.<br />

Nach <strong>e<strong>in</strong></strong>igem H<strong>in</strong> und Her h<strong>in</strong>sichtlich des<br />

Gültigkeit des Beschlusses bestätigte der Oberpräsident<br />

R. v. Bennigsen (Hannover) am 21.<br />

Juni 1890 die Ver<strong>e<strong>in</strong></strong>igung der beiden Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de<br />

Bathorn und Hoogstede zu <strong>e<strong>in</strong></strong>er politischen<br />

Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de.<br />

Hausnummern und <strong>Ort</strong>sname<br />

Der Grundsatzbeschluss zur Ver<strong>e<strong>in</strong></strong>igung der<br />

beiden Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den war schnell und <strong>e<strong>in</strong></strong>vernehmlich<br />

getroffen worden.<br />

Aber schon bei der Festlegung der neuen<br />

Hausnummern gab es Streit; der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>devorsteher<br />

Kalman von Hoogstede verlangte,<br />

dass man <strong>in</strong> Hoogstede mit der Nr.1 beg<strong>in</strong>nen<br />

müsse, damit <strong>e<strong>in</strong></strong>e fortlaufende Nummerierung<br />

der neuen Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de gewährleistet sei.<br />

Vorsteher Harms allerd<strong>in</strong>gs hielt dagegen und<br />

verlangte, dass das Los entscheiden müsse,<br />

weil die Bathorner m<strong>e<strong>in</strong></strong>ten „<strong>in</strong> dieser Sache<br />

so viel Recht zu haben wie Hoogstede“. „Hierauf“,<br />

so schreibt Vorsteher Harms an den<br />

Landrat, „äußerte sich der Vorsteher von<br />

Hoogstede mit zornigen Worten und auch Gebaarden:<br />

Losen thue ich heute mit Bathorn<br />

nicht, und auch nie; ich behalte die Nr.1 auf<br />

Hoogstede“. Am Ende wurde von Amts wegen<br />

über die Zuordnung der Hausnummern entschieden<br />

und die Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de im April 1891<br />

durch den Landrat an gewiesen, „die Neunummerierung<br />

der Gebäude <strong>in</strong>nerhalb vier Wo-<br />

HOOGSTEDE UND BATHORN<br />

chen ausführen zu lassen“.<br />

Die Hausnummer 1 erhielt der Hof Weuste an<br />

der Vechte.<br />

Besonders schwierig und langwierig gestaltete<br />

sich die Aufgabe, <strong>e<strong>in</strong></strong>en Namen für die<br />

neu gebildete Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de zu f<strong>in</strong>den.<br />

Als Vorsteher Kalman im September 1890<br />

dem Landrat als neuen Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>denamen<br />

Hoogstede-Bathorn vorschlug, konnte er für<br />

die Voranstellung von Hoogstede gute Gründe<br />

anführen: Hoogstede sei Kirchort für <strong>e<strong>in</strong></strong>e reformierte<br />

und <strong>e<strong>in</strong></strong>e katholische <strong>Kirche</strong>ngem<strong>e<strong>in</strong></strong>de;<br />

es gebe <strong>e<strong>in</strong></strong>e reformierte Schule, <strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />

katholische Schule, <strong>e<strong>in</strong></strong>e Posthaltungsstelle,<br />

Telegrafen, Standesamt, Mühle, Straße, mehrere<br />

Wirts- und Gasthäuser und mehrere Krämer<br />

und Bäcker; von alldem sei <strong>in</strong> der<br />

Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Bathorn „nichts zu f<strong>in</strong>den“.<br />

Der Landrat mochte dem Vorschlag von<br />

Kalman nicht folgen und ließ im Dezember<br />

1890 empfehlen, die neue Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Bathorn-<br />

Hoogstede zu nennen. Bathorn werde vorhergestelt,<br />

weil Bathorn im Alphabet zuerst sei.<br />

Die Angelegenheit war offensichtlich so<br />

heikel, dass sie über die Instanzen <strong>in</strong> Osnabrück<br />

und Hannover schließlich beim Innem<strong>in</strong>ister<br />

Herrfurth <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> landete. Der wies<br />

im Februar 1891 die Bezirksregierung <strong>in</strong> Osnabrück<br />

darauf h<strong>in</strong>, dass es im H<strong>in</strong>blick auf<br />

frühere allerhöchste Entschließungen angezeigt<br />

sei, statt des vorgeschlagenen Doppelnamens<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>en <strong>e<strong>in</strong></strong>fachen Namen zu wählen,<br />

und zwar den Namen derjenigen der vorbezeichneten<br />

Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den, welche bisher die bedeutendere<br />

war. Dementsprechend wurde die<br />

Bezirksregierung gebeten, sich darüber zu äußern,<br />

ob es Bedenken gebe, der neuen Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de<br />

den Namen Bathorn beizulegen.<br />

Der nun wieder befragte Landrat konnte<br />

sich mit dem Vorschlag aus Berl<strong>in</strong> ganz und<br />

gar nicht anfreunden. In s<strong>e<strong>in</strong></strong>em Schreiben an<br />

den Regierungspräsidenten vom 26. März<br />

1891 schrieb er: „..dass die Bewohner der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den<br />

Bathorn und Hoogstede auf Beibehaltung<br />

der Bezeichnung der bisherigen<br />

Namen erheblichen Wert legen und daß es<br />

sich nicht empfiehlt, der neu gebildeten Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de<br />

den Namen derjenigen der bisherigen<br />

Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den beizulegen, welche von ihnen die<br />

137


2<br />

bedeutendere war. Es würde bei den Bewohnern<br />

der anderen Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de große Niedergeschlagenheit<br />

und vielleicht auch Entrüstung<br />

hervorrufen und ich glaube nicht, daß die Ver<strong>e<strong>in</strong></strong>igung<br />

zu <strong>e<strong>in</strong></strong>em politischen Verbande im<br />

gütlichen Wege zu Stande gekommen wäre,<br />

wenn die Bewohner derselben damals gewusst<br />

hätten, daß für <strong>e<strong>in</strong></strong>e der beiden Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den die<br />

Aufgabe ihres bisherigen Namens damit verbunden<br />

wäre.“<br />

Der Landrat verwies nochmals auf s<strong>e<strong>in</strong></strong>en<br />

alten Vorschlag Bathorn-Hoogstede, weil auch<br />

sonst Doppelnamen bei Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den im Regierungsbezirk<br />

öfter vorkämen. Unsicher, ob <strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />

Umgehung des Doppelnamenverbots erreichbar<br />

sei, empfahl er für den Ablehnungsfall<br />

„<strong>e<strong>in</strong></strong>e Wortschmelzung beider Namen <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong></strong>em<br />

vorzunehmen, z. B. Hoogthorn oder Bathoog“.<br />

Nachdem im Juni 1891 der Innenm<strong>in</strong>ister<br />

<strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> bekräftigte, dass die Zusammensetzung<br />

der <strong>Ort</strong>snamen aus zwei Wörtern<br />

möglichst zu vermeiden sei, wurden die<br />

stimm berechtigten Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>demitglieder aufgerufen,<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong> Votum abzugeben. Bei der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>deversammlung<br />

im Laarmannschen<br />

Wirtshause am 13. Juli 1891 wurde darüber<br />

abgestimmt, ob der künftige <strong>Ort</strong>sname <strong>Arkel</strong><br />

oder Hoogstede s<strong>e<strong>in</strong></strong> solle. Bei namentlicher<br />

Abstimmung stimmten 29 Stimmberechtigte<br />

(mit 91 Stimmen) für <strong>Arkel</strong> und 19 Stimmberechtigte<br />

(mit 53 Stimmen) für Hoogstede. Die<br />

unterlegenen Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>deglieder erklärten sich<br />

anschließend damit <strong>e<strong>in</strong></strong>verstanden, dass der<br />

ver<strong>e<strong>in</strong></strong>igten neu gebildeten Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de der<br />

<strong>Ort</strong>sname <strong>Arkel</strong> beigelegt würde.<br />

138<br />

GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />

Die Freude über das E<strong>in</strong>vernehmen währte<br />

nicht lange; denn bereits im September 1891<br />

ließ der Oberpräsident <strong>in</strong> Hannover wissen,<br />

dass der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>dename <strong>Arkel</strong> nicht <strong>in</strong>frage<br />

kommen könne, „weil die den Namen <strong>Arkel</strong><br />

tra gende Kolonie <strong>in</strong> kommunaler Beziehung<br />

nicht zu jenen <strong>Ort</strong>schaften, sondern zur Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de<br />

Kalle gehöre“. Die Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de möge<br />

b<strong>in</strong>nen sechs Wochen <strong>e<strong>in</strong></strong>en anderen Vorschlag<br />

machen.<br />

Wieder wurde <strong>e<strong>in</strong></strong>e Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>deversammlung<br />

(13. Oktober 1891) <strong>e<strong>in</strong></strong>berufen; diesmal standen<br />

die <strong>Ort</strong>snamen Hoogstede und Bathorn<br />

zur Ab stimmung. Ergebnis: 27 Stimmberechtigte<br />

(mit 81 Stimmen) für Hoogstede. 25<br />

Stimmberechtigte (mit 73 Stimmen) für Bathorn.<br />

22 Stimmberechtigte waren nicht erschienen.<br />

E<strong>in</strong> E<strong>in</strong>spruch von „Kolthoff und<br />

Genossen“ gegen die Gültigkeit der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de<br />

versammlung wegen nicht geladener<br />

Stimmberechtigter wurde vom Landrat abgewiesen,<br />

weil selbst bei H<strong>in</strong>zurechnung dieser<br />

Stimmen die Bathorner <strong>in</strong> der M<strong>in</strong>derheit blieben;<br />

außerdem handle es sich bei dem Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>debeschluss<br />

„lediglich um das Ausspre<br />

chen <strong>e<strong>in</strong></strong>es Wunsches“.<br />

Wohl um den Frieden <strong>in</strong> der neuen Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de<br />

zu wahren, appellierte der Landrat<br />

noch <strong>e<strong>in</strong></strong>mal an den Regierungspräsidenten,<br />

darauf h<strong>in</strong>zuwirken, „daß ausnahmsweise der<br />

neuen Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de der Name Bathorn-Hoogstede<br />

verliehen wird“.<br />

Hauptstraße mit reformierter <strong>Kirche</strong> als Motiv <strong>e<strong>in</strong></strong>er<br />

Postkarte, ca. 1927 mit Lukas Köster, 1922-1973. (Köster)


HOOGSTEDE UND BATHORN<br />

Verzeichnis der Stimmberechtigten der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Bathorn-Hoogstede 1891<br />

(Versammlung am 13. Oktober 1891)<br />

Haus- Name Stand Stimmen- Bew. aktuell(2008)<br />

Nr. zahl<br />

11 Weuste Altien Colona 5 Weuste a.d. Vechte, Bahnhofstr.<br />

12 Hemke Harm Kötter 2 Udo Vette, Hauptstr.<br />

13 Gosen J.H. Kötter 1 Bielefeld, Bahnhofstr.<br />

14 Kalmann J.H. Kötter 1 Mensen, Bergstraße<br />

15 Koelman H<strong>in</strong>dr. Colon 4 Koelmann, Bergstraße<br />

16 Weelmans Colonat 7 Haamberg, Bergstraße<br />

17 Bloemendal G.J Kötter 2 Pächter von Stroot, Wilsumer Straße<br />

18 Koster H<strong>in</strong>dr. Colon 4 k. Wohnplatz mehr; v.d. Kall. Brücke re.<br />

19 Warmer Jan Colon 6 Warmer, Schlättstiege<br />

10 Jeur<strong>in</strong>k A.J. Colon 6 Jeur<strong>in</strong>k, Wilsumer Straße<br />

11 Stroot H. Colon 4 Stroot, Am Pferdekamp<br />

12 Hannebrook Colon 5 Hanebrook, L<strong>in</strong>denweg<br />

13 Snöj<strong>in</strong>k Geert Kötter 2 Keute, Kampweg<br />

14 Keen Klaas Zimmermann 1 Keen, Kampweg<br />

15 Rosemann G. J. Kötter 1 Rotmann, Am Neuland<br />

17 Scholten E. Kötter 2 Altes Haus Büdden, Hauptstraße<br />

18 Laarman B.J. Schenkwirt 3 Gastw. Wolters, Hauptstr.; Abriss 1975<br />

19 Brouwer Kötter 2 Lügtenaar, Bahnhofsr.<br />

21 Sommer Fritz Bäcker 1 altes Haus Horstkamp, Hauptstr.<br />

24 Müller Bernh. Mühlenbesitzer 5 später Gastw. Müller, Hauptstr.; j. COMA<br />

27 Sloot H<strong>in</strong>dr. Bäcker 5 Schoemaker/Neuw<strong>in</strong>ger, Hauptstr.<br />

28 van Wieren Anbauer 1 Barth, Hauptstr.<br />

29 van Laar B. Bierhändler 1 Wolf, früher Engler, Hauptstr.<br />

29 Pfabe(?) Karl Grenzaufseher 3 dto.<br />

30 Hilfers F Krämer 2 Hilfers, Hauptstr.<br />

Maasch Ernst Grenzaufseher 3 dto.<br />

31 van der Kamp D Schiffer 1 Jansen, Holunderweg<br />

33 Schoemaker G. Colon 5 Schoemaker, Zur Friedenseiche<br />

34 Vogelsang Stationsarbeiter 1 Naber, Zur Friedenseiche<br />

36 Snieders J. H. Kötter 1 Bloemendal/Reefmann, Zur Friedenseiche<br />

37 Jeur<strong>in</strong>k J. Kötter 3 v. Münster/Hessel<strong>in</strong>k, Schwarzer Diek<br />

40 Sommer H<strong>in</strong>dr. Anbauer 1 Westhuis, Am Schulfeld<br />

41 Weuste Jan Kötter 3 Warmer, Am Schulfeld<br />

42 Wösten J. B. Schmidt 2 Wösten, Sunnerkampstege<br />

44 Egbers Friedr. Kötter 2 Bolk, Schwarzer Diek<br />

45 Stroot H.J. Landbriefträger 1 Stroot, Schwarzer Diek<br />

46 Wiegm<strong>in</strong>k H. Kötter 1 Hans, Schwarzer Diek<br />

47 Kwade G.J. Zimmermann 2 Boers, Molkereistr.<br />

48 Bielefeld Kötter 1 dto.<br />

49 Lage Jan Kötter 2 Lage/Helweg, Am Neuen Kamp<br />

50 Kwade Janna Colona 4 spät. Wilm<strong>in</strong>k; jetzt Rothe<br />

51 Kolthoff H. Colon 5 Kolthoff Jan, Holunderweg<br />

52 Bloemendal Hermans Kötter 3 h<strong>in</strong>ter Neerken; k<strong>e<strong>in</strong></strong> Wohnpl. mehr<br />

53 Neerken K. Colon 7 Neerken, Bathorner Diek<br />

139


2<br />

Haus- Name Stand Stimmen- Bew. aktuell(2008)<br />

Nr. zahl<br />

55 kl. Neerken W. Kötter 3 Neerken, Zur Braake<br />

56 Jeur<strong>in</strong>k H<strong>in</strong>dr. Kötter 1 Höllmann, Drosselweg<br />

57 ter Haar J.G. Kötter 2 ter Haar, Drosselweg<br />

59 Boll A.J. Colon 4 Boll, Bathorner Weg<br />

61 Wigger J. Kötter 3 Hans, Zur Braake<br />

62 Blömer J.H. Colon 6 Bleumer, Bathorner Weg 5<br />

63 Wiegm<strong>in</strong>k H. Colon 7 Wiegm<strong>in</strong>k, Bathorner Weg<br />

64 Koops J. Witwe Colona 6 Koops, Bathorner Weg<br />

65 Ens<strong>in</strong>k A. Colon 6 Ens<strong>in</strong>k, Am Voresch<br />

66 Harms Jan Colon 5 Harms-Ens<strong>in</strong>k, Am Voresch<br />

67 Harms J.H. Kötter 1 Tübbergen, Holunderweg<br />

Pöhler F. Pächter 1<br />

68 Brooksnieder Kötter 3 Brooksnieder, Holunderweg<br />

69 Blömer J.H. Kötter 2 Bleumer, Bathorner Weg 11<br />

70 Koelmann Jan Anbauer 1 Koelmann, Ölstraße<br />

71 Bonge G.J. Anbauer 1 Köcklar, Ölstraße<br />

72 Rasfeld H<strong>e<strong>in</strong></strong>r. Grenzaufseher a.D. 3 Egbers, Ölstraße<br />

73 Rott J. Anbauer 1 Doldersum, jetzt Slikkers, Böbbeldiek<br />

74 Warmer H.J. Kötter 2 Keen, R<strong>in</strong>ger Diek<br />

75 Beerl<strong>in</strong>k J.H. Kötter 1 Kotten, R<strong>in</strong>ger Diek<br />

76 Snieders H.J. Kötter 2 Snieders, R<strong>in</strong>ger Diek<br />

77 Warm<strong>in</strong>k A: Anbauer 1 Kortmann, R<strong>in</strong>ger Diek<br />

78 Snö<strong>in</strong>k J. Anbauer 1 Alter Hof Schnö<strong>in</strong>k, Ölstraße<br />

79 Schroven G.J. Anbauer 1 Nykamp, Böbbeldiek<br />

80 Nyhuis J. Pastor 1 Glüpker, Ölstraße<br />

81 Roelofs H. Kötter 1 Kieft, Bathorner Diek<br />

82 Westhuis K. Anbauer 1 Westhuis, Aulen Diek<br />

90 Kottmann J. Anbauer 1 Nakken, Bathorner Diek<br />

91 Hors<strong>in</strong>k A. Pächter 1 Derks, Bathorner Diek<br />

92 Bonge G. Anbauer 1 Günnemann, Hauptstraße (?)<br />

140<br />

GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />

Postkarte von etwa<br />

1910/1920 mit u.a.<br />

dem alten reformiertem<br />

Pastorat


L<strong>in</strong>ks:<br />

Bürgermeister Geert<br />

Schoemaker und Frau.<br />

Erster Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>devorsteher<br />

der neuen<br />

Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Hoogstede-<br />

Bathorn, 1891-1921<br />

Rechts:<br />

Hermann Hannebrook,<br />

Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>devorsteher<br />

Hoogstede-Bathorn,<br />

1923-1945<br />

Der Regierungspräsident sah immer noch<br />

k<strong>e<strong>in</strong></strong>e Gründe für <strong>e<strong>in</strong></strong>e Ausnahme (11. November<br />

1891) und stellte dem Landrat „ergebenst<br />

anheim, <strong>e<strong>in</strong></strong>en anderen Vorschlag zu machen,<br />

vielleicht durch Bildung <strong>e<strong>in</strong></strong>es Namens vermittelst<br />

Versetzung oder Anhängung <strong>e<strong>in</strong></strong>er<br />

Silbe an den Namen <strong>Arkel</strong>“. Wenige Monate<br />

später war die Angelegenheit dann doch endlich<br />

entschieden. Am 14. März 1892 gab das<br />

Landratsamt an die „Bentheimer“ und „Neuenhauser<br />

Zeitung“ folgende Bekanntmachung:<br />

„Der aus beiden Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den Bathorn<br />

und Hoogstede neu gebildeten Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de ist<br />

von dem Herrn Oberpräsidenten mit Genehmigung<br />

des Herrn M<strong>in</strong>isters des Inneren der<br />

Name Hoogstede-Bathorn beigelegt.“<br />

Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>devorsteher 1891<br />

Die Wahl des ersten Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>devorstehers (Bürgermeister)<br />

verlief teils parallel zu den oben<br />

dargestellten Vorgängen und auch nicht ganz<br />

ohne Schwierigkeiten. E<strong>in</strong> erster Anlauf endete<br />

am 29. Dezember 1890 damit, dass <strong>in</strong> der<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>berufenen Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>deversammlung die Mitglieder<br />

aus Hoogstede „mit großer Majorität“<br />

gegen diese Wahl protestierten, weil die jeweils<br />

gültigen Stimmordnungen der beiden beteiligten<br />

Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den auf verschiedenen Stimmrechtsklassen<br />

beruhten.<br />

Am 14. Februar 1891 fand dann <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong></strong>er<br />

weiteren Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>deversammlung unter „Zugrundelegung<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>es <strong>e<strong>in</strong></strong>heitlichen Stimmrechts“<br />

HOOGSTEDE UND BATHORN<br />

die Wahl des neuen Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>devorstandes statt.<br />

Zum Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>devorsteher wurde der „Colon“<br />

Gert Schoemaker (31 Jahre) gewählt, zum Beigeordneten<br />

Gert Hannebrook (32 Jahre). Schoemaker<br />

leistete am 4. März 1891 <strong>in</strong> Neuenhaus<br />

s<strong>e<strong>in</strong></strong>en Diensteid.<br />

Zur E<strong>in</strong>heitsgem<strong>e<strong>in</strong></strong>de<br />

Hoogstede 1968–1974<br />

Als der Rat der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Hoogstede am 23.<br />

Juni 1966 beschloss, bei dem früheren Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>denamen<br />

Hoogstede-Bathorn zu bleiben,<br />

waren nahezu 75 Jahre vergangen, seitdem<br />

dieser Name der damals neu gebildeten Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de<br />

verliehen wurde. Nachdem <strong>in</strong> den 60er<br />

Jahren die Zentralisierung im Schulwesen<br />

kont<strong>in</strong>uierlich voranschritt, wurde zunehmend<br />

auch über kom munale Gebietsreformen nachgedacht,<br />

mit dem Ziel, größere Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den<br />

zu schaffen. So formu lierte der Hoogsteder<br />

Rat bereits im Februar 1968 die Ansicht, „daß<br />

sich die Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den Scheerhorn, Berge,<br />

T<strong>in</strong>holt, Kalle und Hoogstede zu <strong>e<strong>in</strong></strong>er (Samt)<br />

Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de zusammenschließen sollten“. Wohl<br />

<strong>in</strong> Erwartung <strong>e<strong>in</strong></strong>er entsprechenden Entwicklung<br />

beschloss der Rat am 9. Dezember 1968,<br />

den Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>denamen zu ändern; der amtliche<br />

Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>dename war ab diesem Zeitpunkt<br />

„Hoogstede“.<br />

Im Laufe der Diskussion über <strong>e<strong>in</strong></strong>e umfassende<br />

Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>dereform wurden viele Ideen<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>gebracht und zahlreiche Pläne entwickelt.<br />

141


2<br />

Als klar wurde, dass um die größeren <strong>Ort</strong>e<br />

Emlichheim, Neuenhaus und Uelsen herum<br />

Samtgem<strong>e<strong>in</strong></strong>den gebildet werden sollten, verbreitete<br />

sich im Raum Hoogstede große Unsicherheit<br />

über die Zuordnung.<br />

In dieser Situation starteten die Bürgermeister<br />

Koops (Scheerhorn), Harms-Ens<strong>in</strong>k<br />

(Hoogstede), Harms-Ens<strong>in</strong>k (T<strong>in</strong>holt) und der<br />

Ratsherr Hoppen (Osterwald) mit Unterstützung<br />

des Oberkreisdirektors Dr. Terwey <strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />

ernsthafte Initiative zur Bildung <strong>e<strong>in</strong></strong>er ländlichen<br />

Samtgem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Hoogstede/Osterwald mit<br />

Sitz <strong>in</strong> Osterwald/Ölbahnhof.<br />

Als mögliche Mitgliedsgem<strong>e<strong>in</strong></strong>den wurden<br />

im Hoogsteder Ratsprotokoll vom 14. August<br />

1971 genannt: Bimolten, Hohenkörben N.<br />

und S., Georgsdorf, Alte Piccardie, Osterwald,<br />

Esche, Berge, Scheerhorn, T<strong>in</strong>holt und eventuell<br />

Neur<strong>in</strong>ge und Kalle. Aber es gab von<br />

Anfang an Zweifel an der Durchsetzung des<br />

Vorhabens; denn im gleichen Protokoll heißt<br />

es: „Bei nicht Zustandekommen wählt die<br />

Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Hoogstede mit Rücksicht auf die<br />

Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den Scheerhorn/Berge den Nahbereich<br />

Neuenhaus.“<br />

142<br />

GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />

Bürgermeister Jan Harms-Ens<strong>in</strong>k im Bürgermeisterzimmer (Willy Friedrich)<br />

Die ganze Unsicherheit und Verwirrung <strong>in</strong><br />

der damaligen Situation zeigt sich <strong>in</strong> Vorgängen,<br />

die sich im Hoogsteder Umfeld abspielten.<br />

Da immer wieder <strong>e<strong>in</strong></strong>e M<strong>in</strong>destgröße von<br />

400 E<strong>in</strong>wohnern als unterste Grenze für den<br />

Fortbestand von Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den genannt wurde,<br />

beschloss Scheerhorn am 30. Juli 1971 <strong>e<strong>in</strong></strong>en<br />

Anschluss an Hoogstede. K<strong>e<strong>in</strong></strong>e zwei Wochen<br />

später, am 12. August 1971, trafen die Räte von<br />

T<strong>in</strong>holt und Berge <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong></strong>er gem<strong>e<strong>in</strong></strong>schaftlichen<br />

Sitzung für ihre Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den auch <strong>e<strong>in</strong></strong>en Ver<strong>e<strong>in</strong></strong>igungsbeschluss.<br />

Wirkliche Bedeutung erlangten<br />

die Beschlüsse <strong>in</strong> der weiteren Entwicklung<br />

der Kommunalreform allerd<strong>in</strong>gs nicht.<br />

Die entscheidende Wende im Ablauf des<br />

Geschehens kam Anfang Januar 1973, als sich<br />

die Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den Alte-Piccardie, Esche, Georgsdorf,<br />

Höhenkörben-V., Lage und Osterwald<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>deutig für die Bildung <strong>e<strong>in</strong></strong>er Samtgem<strong>e<strong>in</strong></strong>de<br />

Neuenhaus aussprachen. Damit war der Plan<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>er ländlichen Samtgem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Hoogstede/<br />

Osterwald vom Tisch.<br />

Nun fiel auch im Raum Hoogstede schnell<br />

die Entscheidung: In <strong>e<strong>in</strong></strong>er <strong>in</strong> der Gaststätte<br />

Engler veranstalteten gem<strong>e<strong>in</strong></strong>samen Sitzung


<strong>Ort</strong>s<strong>e<strong>in</strong></strong>gang<br />

Hoogstede von<br />

Scheerhorn aus,<br />

etwa 1960/65<br />

(Willy Friedrich)<br />

der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>devertretungen aus Hoogstede,<br />

Kalle, T<strong>in</strong>holt, Berge, und Scheerhorn am 15.<br />

Januar 1973 wurde beschlossen, <strong>e<strong>in</strong></strong>e Gem<strong>e<strong>in</strong></strong> de<br />

Hoogstede zu bilden und sie der Samtgem<strong>e<strong>in</strong></strong>de<br />

Emlichheim anzuschließen. Mit <strong>e<strong>in</strong></strong>em<br />

förmlichen „Gebietsänderungsvertrag“ am 11.<br />

Mai 1973 besiegelten die oben genannten Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den<br />

den Zusammenschluss zur neuen Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de<br />

Hoogstede. Die Unterzeichner waren für<br />

Berge Kuite (Bürgermeister);<br />

Keute (Ratsherr)<br />

Hoogstede Harms-Ens<strong>in</strong>k (Bgm);<br />

Schöppner (Rh)<br />

Kalle Schroven (Bgm)<br />

Wortel (Rh)<br />

Scheerhorn Koops (Bgm)<br />

Scholte (Rh)<br />

T<strong>in</strong>holt Harms-Ens<strong>in</strong>k (Bgm)<br />

Jonker (Rh)<br />

Jan H<strong>in</strong>drik Koops, Bürgermeister von Hoogstede<br />

1974-1996 (Johann Kemkers)<br />

HOOGSTEDE UND BATHORN<br />

Bürgermeister Koops wurde am 11. Januar<br />

1974 als Interimsbürgermeister <strong>e<strong>in</strong></strong>stimmig<br />

gewählt. Die erste Interimsratssitzung der<br />

neuen Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Hoogstede fand am 7. März<br />

1974 statt.<br />

Mit den Kommunalwahlen am 10. Juni<br />

1974 kam die Gebietsreform zum Abschluss.<br />

Zum ersten Bürgermeister wählte der Rat der<br />

neuen Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Hoogstede Jan H<strong>in</strong>drik<br />

Koops aus Scheerhorn.<br />

Bürgermeister<br />

(Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>devorsteher; Scholten)<br />

Hoogstede<br />

Jöhr<strong>in</strong>g, J. um 1830<br />

Hannebrook um 1843<br />

Stroot, H. um 1850<br />

Kalman bis 1891<br />

Bathorn<br />

Blömer, J. H. um 1830<br />

Schoemaker um 1843<br />

Kwade um 1850<br />

Harms, Jan bis 1891<br />

Hoogstede-Bathorn<br />

(ab 1891; ab 1968 Hoogstede)<br />

Schoemaker, Gert 1891–1921<br />

Köster, H<strong>in</strong>drik 1921–1923<br />

Hannebrook, Hermann 1923–1944<br />

Kolthoff, Harm 1944–1945<br />

Köster, H<strong>in</strong>drik 1945–1946<br />

(von Militärregierung <strong>e<strong>in</strong></strong>gesetzt)<br />

Harms-Ens<strong>in</strong>k, Jan 1946–1973<br />

(erste freie Wahl nach dem Krieg)<br />

Schöppner, Dietrich 1974–1974<br />

Hoogstede (E<strong>in</strong>heitsgem<strong>e<strong>in</strong></strong>de ab 1974)<br />

Koops, Jan H<strong>in</strong>drik 1974–1996<br />

Ens<strong>in</strong>k, Jan 1996–<br />

Quellen:<br />

Staatsarchiv Osnabrück; Rep 450 Nr. 102;<br />

Rep 450 Bent II Nr. 352<br />

Zager Gerrit Jan; Der Grafschafter, Beilage<br />

der Grafschafter Nachrichten GN 25.02.2002<br />

Santel, Gregor; Neur<strong>in</strong>ge – Die Entstehung <strong>e<strong>in</strong></strong>er<br />

Moorgem<strong>e<strong>in</strong></strong>de, Bentheimer Jahrbuch 1991 S.197 f.<br />

Protokollbücher der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den<br />

Hoogstede, Scheerhorn, T<strong>in</strong>holt<br />

143


2<br />

Unglücksfall: Jan Harms-Ens<strong>in</strong>k †,<br />

27 Jahre Bürgermeister<br />

Willy Friedrich, GN 22. Dezember 1973<br />

„Im Alter von 74 Jahren ist der Bürgermeister<br />

Jan Harms-Ens<strong>in</strong>k an den Folgen <strong>e<strong>in</strong></strong>es tragischen<br />

Verkehrsunfalls gestorben. Auf dem<br />

Heimweg von <strong>e<strong>in</strong></strong>er dienstlichen Besprechung<br />

wurde er mit s<strong>e<strong>in</strong></strong>em Fahrrad auf der glatten<br />

Fahrbahn von <strong>e<strong>in</strong></strong>em <strong>in</strong>s Rutschen gekommene<br />

Fahrzeug erfaßt und zu Boden geschleudert.<br />

Mit der Familie Harms-Ens<strong>in</strong>k trauert die<br />

Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Hoogstede um ihren „ersten Bürger“.<br />

27 Jahre war der Verstorbene Bürgermeister.<br />

In schwerer Zeit, unmittelbar nach<br />

dem Zweiten Weltkrieg, wurde er auf diesen<br />

Posten berufen. Die Hauptsorge galt <strong>in</strong> jenen<br />

Tagen den vielen Vertriebenen, die <strong>in</strong> dem<br />

ehemaligen Gefangenenlager Bathorn und auf<br />

den Bauernhöfen <strong>in</strong> Hoogstede untergebracht<br />

waren. Mit Umsicht und Tatkraft g<strong>in</strong>g Jan<br />

Harms-Ens<strong>in</strong>k, gestützt von den übrigen Mitgliedern<br />

des Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>derates, ans Werk.<br />

Langsam normalisierten sich die Verhältnisse.<br />

Das Schulwesen mußte ausgebaut werden.<br />

Überdies hatten immer mehr Bauwillige<br />

den Wunsch, sich <strong>in</strong> Hoogstede seßhaft zu<br />

machen. Die <strong>Evangelisch</strong>e Volksschule wurde<br />

erweitert, für die Katholische Schule entstand<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong> Neubau. Auch <strong>in</strong> den Folgejahren stand<br />

die Entwicklung nicht still. Das Wegenetz befand<br />

sich <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong></strong>em katastrophalen Zustand,<br />

die Tr<strong>in</strong>kwasserversorgung war unzulänglich.<br />

Gründlicher Wandel wurde geschaffen.<br />

Heute hat Hoogstede <strong>e<strong>in</strong></strong> modernes Schulzentrum<br />

und <strong>e<strong>in</strong></strong>e neue Turnhalle. Große Baugebiete<br />

wurden ausgewiesen. Im Augenblick<br />

beschäftigte Jan Harms-Ens<strong>in</strong>k sich <strong>in</strong>tensiv<br />

mit <strong>e<strong>in</strong></strong>em weiteren Bebauungsplan für das<br />

Gebiet Wolters. Die <strong>Ort</strong>sdurchfahrt hat durch<br />

die Schaffung <strong>e<strong>in</strong></strong>es Rad- und Gehweges und<br />

die Montage <strong>e<strong>in</strong></strong>er Straßenbeleuchtung <strong>e<strong>in</strong></strong><br />

neues Gesicht bekommen.<br />

27 Jahre Kommunalarbeit an verantwortungsvoller<br />

Stelle bedeutet für <strong>e<strong>in</strong></strong>en Landbürgermeister<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong> großes Opfer an Arbeitskraft<br />

und persönlicher Freizeit. Der Verstorbene hat<br />

dieses Opfer immer gern gebracht, wenn s<strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />

eigene Landwirtschaft – vor allem <strong>in</strong> früheren<br />

Jahren – auch <strong>e<strong>in</strong></strong>mal darunter leiden mußte.<br />

144<br />

GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />

Jan Harms-Ens<strong>in</strong>k lebt nicht mehr. „S<strong>e<strong>in</strong></strong>e“<br />

Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de, für die <strong>in</strong> schlechten und guten<br />

Zeiten immer <strong>e<strong>in</strong></strong> ehrlicher und aufrichtiger<br />

Sachwalter war, wird s<strong>e<strong>in</strong></strong> Andenken <strong>in</strong> Ehren<br />

halten. W. F.<br />

Drei Kommunalpolitiker<br />

fast 100 Jahre im Amt<br />

Willy Friedrich <strong>in</strong> den GN, 28. Juli 1980<br />

„Die früheren Bürgermeister, Jan Harms-Ens<strong>in</strong>k<br />

(T<strong>in</strong>holt), H<strong>in</strong>drik-Jan Keute (Berge) und<br />

Johann Schroven (Kalle), haben sich um ihre<br />

Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den verdient gemacht. Das war der<br />

Tenor <strong>e<strong>in</strong></strong>er schlichten Feierstunde, die am<br />

Frei tagabend im Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>debüro von Hoogstede<br />

stattfand. Bürgermeister Jan H<strong>in</strong>drik<br />

Koops würdigte das erfolgreiche Wirken der<br />

drei Kom munalpolitiker, die <strong>in</strong>sgesamt fast<br />

100(!) Jahre ehrenamtlich für ihre Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den<br />

tätig s<strong>in</strong>d. Im Zuge der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>dereform nahmen<br />

sie 1974 Abschied von ihren Bürgermeisterämtern.<br />

Seither arbeiten sie tatkräftig im<br />

Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>derat von Hoogstede beziehungsweise<br />

<strong>in</strong> der Samtgem<strong>e<strong>in</strong></strong>de mit.<br />

In s<strong>e<strong>in</strong></strong>er Laudatio g<strong>in</strong>g Bürgermeister<br />

Koops auf die Arbeit der geehrten Kommunalpolitiker<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>. S<strong>e<strong>in</strong></strong>e Rückschau wurde zu<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>em Stück Zeitgeschichte: H<strong>in</strong>drik-Jan<br />

Keute aus Berge war bereits <strong>in</strong> den Jahren von<br />

1937 bis 1943 Bürgermeister. Nach s<strong>e<strong>in</strong></strong>er Entlassung<br />

aus der Kriegsgefangenschaft kehrte<br />

er 1950 <strong>in</strong> den Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>derat zurück. 1951<br />

wurde er Schulverbandsvorsteher für Scheerhorn-Berge.<br />

Als 1974 die Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>dereform<br />

kam, mußte er s<strong>e<strong>in</strong></strong> Bürgermeisteramt abgeben.<br />

Fortan arbeitete er im Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>derat von<br />

Hoogstede mit.<br />

Wie <strong>in</strong> Berge, so g<strong>in</strong>g auch <strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt – mit<br />

der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>dereform – die kommunale Eigenständigkeit<br />

verloren. Jan Harms-Ens<strong>in</strong>k gehört<br />

dem Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>derat von T<strong>in</strong>holt seit 1942 an. Bis<br />

1949 g<strong>in</strong>g s<strong>e<strong>in</strong></strong>e erste Amtsperiode. Dann wurde<br />

er 1954 erneut <strong>in</strong> den Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>derat gewählt. Er<br />

übernahm das Amt des Bürgermeisters, das er<br />

bis 1974 verwaltete. Seit 1974 ist Harms-Ens<strong>in</strong>k<br />

Mitglied des Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>derates <strong>in</strong> Hoogstede<br />

und des Samtgem<strong>e<strong>in</strong></strong>derates Emlichheim.<br />

Johann Schroven wurde 1952 Mitglied des<br />

Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>derates und Bürgermeister der Ge-


Bürgermeister Koops,<br />

H. J. Keute,<br />

J. Schroven und<br />

J. Harms-Ens<strong>in</strong>k<br />

(GN 27.07.80)<br />

m<strong>e<strong>in</strong></strong>de Kalle. Auch er verwaltete s<strong>e<strong>in</strong></strong> Amt<br />

bis 1974, um dann <strong>in</strong> den Rat der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de<br />

Hoogstede und der Samtgem<strong>e<strong>in</strong></strong>de gewählt zu<br />

werden.<br />

Wie Bürgermeister Koops sagte, zeichnen<br />

die drei Geehrten sich durch Bescheidenheit,<br />

Fleiß und Pflichterfüllung aus. Sie seien –<br />

nach der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>dereform – nicht „mit fliegenden<br />

Fahnen“ nach Hoogstede gegangen.<br />

Wenn es trotzdem zu <strong>e<strong>in</strong></strong>er konstruktiven<br />

Zusammenarbeit der Altgem<strong>e<strong>in</strong></strong>den Berge,<br />

Scheerhorn, Kalle und T<strong>in</strong>holt <strong>in</strong> der jetzigen<br />

Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Hoogstede gekommen sei, dann sei<br />

das nicht zuletzt der Weitsicht dieser „Männer<br />

der ersten Stunde“ zu verdanken.<br />

Jan Harms-Ens<strong>in</strong>k, H<strong>in</strong>drik Jan Keute und<br />

Johann Schroven schlossen sich im gleichen<br />

S<strong>in</strong>ne an und bedankten sich. Sie wiesen auf<br />

die Probleme h<strong>in</strong>, mit denen die kl<strong>e<strong>in</strong></strong>en Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>st zu kämpfen hatten. Die <strong>in</strong>nere<br />

Verkehrslage sei miserabel gewesen. Sehr viel<br />

habe man für die Schulen tun müssen und<br />

unter großen Opfern getan. Weiter machten sie<br />

auf die umfangreichen wasserwirtschaftlichen<br />

und landeskulturellen Maßnahmen aufmerksam,<br />

die zur allgem<strong>e<strong>in</strong></strong>en Strukturverbesserung<br />

beitrugen.<br />

Zufrieden äußerten die drei sich über<strong>e<strong>in</strong></strong>stimmend<br />

mit der jetzigen Kommunalarbeit. Innerhalb<br />

der neuen Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Hoogstede mit<br />

ihren gut 2500 E<strong>in</strong>wohnern herrsche <strong>e<strong>in</strong></strong> beispielhaftes<br />

Zusammengehörigkeitsgefühl. Damit<br />

seien die Voraussetzungen für <strong>e<strong>in</strong></strong> konstruktives<br />

Mit<strong>e<strong>in</strong></strong>ander gegeben. Daß diese Zusammenarbeit<br />

darüber h<strong>in</strong>aus harmonisch verlaufe, sei <strong>in</strong><br />

starkem Maße der <strong>in</strong>tegrierenden Kraft des Bürgermeisters<br />

Koops zu verdanken.<br />

HOOGSTEDE UND BATHORN<br />

Als ehemaliger Bürgermeister <strong>e<strong>in</strong></strong>er kl<strong>e<strong>in</strong></strong>en<br />

Landgem<strong>e<strong>in</strong></strong>de, die seit eh und je <strong>e<strong>in</strong></strong>e <strong>in</strong> sich<br />

geschlossene „kl<strong>e<strong>in</strong></strong>e Welt“ sei, gebe man s<strong>e<strong>in</strong></strong>en<br />

„Besitzstand“ naturgemäß nicht gerne auf.<br />

Aus diesem Blickw<strong>in</strong>kel betrachtet ersch<strong>e<strong>in</strong></strong>e es<br />

besonders erfreulich, daß auch <strong>in</strong>nerhalb des<br />

Zusammenschlusses mit Hoogstede nach wie<br />

vor <strong>e<strong>in</strong></strong> <strong>in</strong>taktes Eigenleben <strong>in</strong> den ehemals<br />

selbständigen <strong>Ort</strong>steilen bestehe. Das werde<br />

auch weiterh<strong>in</strong> so bleiben.<br />

Bleibt noch zu sagen, daß die Kommunaljubilare<br />

über ihre Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>dearbeit h<strong>in</strong>aus nach<br />

wie vor mehrere Aufgaben im öffentlichen<br />

Leben wahrnehmen.“<br />

Bürgermeister Jan H<strong>in</strong>drik Koops seit<br />

25 Jahren Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>deratsvorsitzender<br />

Friedrich Gerlach <strong>in</strong> den GN<br />

8. November 1993<br />

„Viel Lob, Glückwünsche und Geschenke gab<br />

es am vergangenen Freitag <strong>in</strong> Emlichheim für<br />

Hoogstedes langjährigen Bürgermeister Jan<br />

H<strong>in</strong>drik Koops. Vertreter der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de, der<br />

Samtgem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Emlichheim, des Kreises, des<br />

Städte- und Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>debundes sowie der<br />

Hoogsteder Ver<strong>e<strong>in</strong></strong>e ehrten den 68jährigen für<br />

s<strong>e<strong>in</strong></strong>e 25-jährige Tätigkeit als Ratsvorsitzender<br />

und würdigten sei kommunalpolitisches<br />

Engagement, <strong>in</strong> dessen Mittelpunkt stets der<br />

Mensch gestanden habe.<br />

Erster Gratulant während der Feierstunde<br />

anläßlich des Jubiläums im Emlichheimer<br />

Hotel Hermann war für den Hoogsteder Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>derat<br />

der stellvertretende Bürgermeister,<br />

Dieter Schowe. Er ließ zunächst den kommunalpolitischen<br />

Werdegang von Jan H<strong>in</strong>drik<br />

Koops Revue passieren, der 1961 Mitglied des<br />

Rates der damals noch selbständigen Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de<br />

Scheerhorn und 7 Jahre später (1968)<br />

zu ihrem Bürgermeister gewählt wurde. Nachdem<br />

im Zuge der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>dereform die Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den<br />

Hoogstede, Kalle, T<strong>in</strong>holt, Berge und<br />

Scheerhorn zusammen gefaßt worden waren,<br />

stand Koops ab 1974 auch an der Spitze des<br />

Rates der neuen Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Hoogstede. Zuvor<br />

war er bereits <strong>in</strong> den Emlichheimer Samtgem<strong>e<strong>in</strong></strong>derat<br />

und 1972 für die CDU auch <strong>in</strong> den<br />

Grafschafter Kreistag berufen worden. 1981<br />

trat er zudem als Nachfolger von Hermann<br />

145


2<br />

Wiefer<strong>in</strong>k das Amt de Emlichheimer Samtgem<strong>e<strong>in</strong></strong>debürgermeisters<br />

an. Koops ist ferner seit<br />

Anfang der 80er Jahre Vorsteher des Zweckverbandes<br />

der Musikschule Niedergrafschaft.<br />

Im Namen der Hoogsteder Bürger sprach<br />

Dieter Schowe dem Jubilar Dank für s<strong>e<strong>in</strong></strong>e „oft<br />

schwere und mühevolle Arbeit“ zum Wohl der<br />

Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de und ihrer E<strong>in</strong>wohner aus. Als verantwortungsbewußter<br />

Politiker habe Koops<br />

das Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>wohl stets als Richtschnur s<strong>e<strong>in</strong></strong>es<br />

Handelns betrachtet. Der Bürger habe sich<br />

dabei immer auf ihn verlassen können.<br />

Auch Landrat Nonno de Vries, der Koops<br />

für den Kreis <strong>e<strong>in</strong></strong>e Urkunde überreichte, anerkannte<br />

den „großartigen E<strong>in</strong>satz“ des Bürgermeisters<br />

für das Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>wesen <strong>in</strong> den vergangenen<br />

Jahrzehnten. Koops sei immer<br />

wieder bereit gewesen, sich <strong>in</strong> den Dienst der<br />

Allgem<strong>e<strong>in</strong></strong>heit zu stellen und immer wieder<br />

hätten ihm die Bürger „außerordentliches Vertrauen“<br />

entgegengebracht.<br />

Der Emlichheimer Samtgem<strong>e<strong>in</strong></strong>dedirektor,<br />

Horst Kammel, nannte den Hoogsteder Bürgermeister<br />

unter anderem <strong>e<strong>in</strong></strong>en „Mann, der für<br />

alle Zeit hat“. Vielen Menschen habe Koops<br />

während s<strong>e<strong>in</strong></strong>er Amtstätigkeit helfen können,<br />

s<strong>e<strong>in</strong></strong> Engagement gründe nicht zuletzt <strong>in</strong> der<br />

tiefen Verwurzelung im christlichen Glauben.<br />

Für den Kreisverband des Städte- und Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>debundes<br />

gratulierte Koops` Osterwalder<br />

Amtskollege S<strong>in</strong>us Hoppen zum Bürgermeis -<br />

146<br />

GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />

terjubiläum. Er zeichnete ihn zudem im Na -<br />

men des Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>debundes mit <strong>e<strong>in</strong></strong>er silbernen<br />

Ehrennadel und <strong>e<strong>in</strong></strong>er Urkunde des Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>debundes<br />

aus.<br />

An Koops` enge Verbundenheit mit der<br />

Hoogsteder Schule er<strong>in</strong>nerte ihr Leiter Johann<br />

Kemkers <strong>in</strong> s<strong>e<strong>in</strong></strong>em Grußwort. „Der Mensch ist<br />

die Hauptsache“ sei stets Leitgedanke der Arbeit<br />

von Jan H<strong>in</strong>drik Koops gewesen, und dafür<br />

seien ihm viele dankbar.<br />

Für die Hoogsteder Ver<strong>e<strong>in</strong></strong>e kam der Sportver<strong>e<strong>in</strong></strong>svorsitzende<br />

H<strong>e<strong>in</strong></strong>rich Keen zu Wort. Ob<br />

Schützenver<strong>e<strong>in</strong></strong>e, Rotes Kreuz, Feuerwehr, Feuerwehr,<br />

Landjugend oder Sportver<strong>e<strong>in</strong></strong> – für alle<br />

Hoogsteder Ver<strong>e<strong>in</strong></strong>e sei Koops <strong>e<strong>in</strong></strong> stets „treusorgender<br />

Vater“ gewesen, m<strong>e<strong>in</strong></strong>te Keen. Das<br />

bewiesen auch die zahlreichen Ver<strong>e<strong>in</strong></strong>s<strong>e<strong>in</strong></strong>richtungen<br />

<strong>in</strong> Hoogstede, die mit Unterstützung der<br />

Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de und ihres Bürgermeisters <strong>in</strong> den vergangenen<br />

Jahren und Jahrzehnten geschaffen<br />

werden konnten. Auf das breite soziale Engagement<br />

des Jubilars, der damit auch <strong>e<strong>in</strong></strong>en<br />

Dienst am Frieden geleistet habe, machte<br />

schließlich für den Reichsbund Jakobus Hessels<br />

aufmerksam. Und Regierungsdirektor Wolfgang<br />

Persike vom Mep pener Amt für Agrarstruktur<br />

wies auf die vielfältigen Verb<strong>in</strong>dungen h<strong>in</strong>, die<br />

bei der erfolgreichen Zusammenarbeit <strong>in</strong> Flurber<strong>e<strong>in</strong></strong>igungsverfahren<br />

oder bei der Dorferneuerung<br />

zwischen Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Hoogstede und<br />

der Behörde entstanden seien. „<br />

Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>derat<br />

Hoogstede, 2008<br />

Vorne:<br />

Gisela Scholten-Meil<strong>in</strong>k,<br />

Hannegret Scholten,<br />

Jan Ens<strong>in</strong>k,<br />

Fritz Berends,<br />

Gisela Glüpker,<br />

h<strong>in</strong>ten:<br />

Jan Harms-Ens<strong>in</strong>k,<br />

Helmut Sleefenboom,<br />

Günter Meyer<strong>in</strong>k,<br />

Rudi Jahnke,<br />

R<strong>e<strong>in</strong></strong>hard Middendorf,<br />

Johann Wortelen,<br />

Berend Hübel und<br />

Dieter Schowe<br />

(Fritz Berends)


Dr. Ernst Kühle,<br />

Über Bathorn – Hoogstede<br />

Aus „Der Grafschafter“ September 1969,<br />

S. 646–647 (Folge 198-200)<br />

Mittelpunktslage<br />

Hoogstede ist Anlieger des rechten Vechteufers<br />

auf <strong>e<strong>in</strong></strong> wenig mehr als zwei Kilometer<br />

Luftl<strong>in</strong>ie. Ackerlandplatten mit Eschfluren treten<br />

dicht an die Vechte heran, so daß der Kern<br />

der Siedlung nahe am Fluß gelegen ist. Die<br />

Vechte verlegte ihren Lauf von Westen nach<br />

Osten wie tote Flußschl<strong>in</strong>gen am l<strong>in</strong>ken Ufer,<br />

durch Flußsande abgeschnürt, bestätigen.<br />

Hoog stede überholte die Nachbargem<strong>e<strong>in</strong></strong>den,<br />

die sich wie <strong>e<strong>in</strong></strong>e Kette von Veldhausen bis<br />

Emlichheim mit durchschnittlicher <strong>Ort</strong>sentfernung<br />

von nur 2 km an<strong>e<strong>in</strong></strong>ander reihen, <strong>in</strong><br />

Größe und Bedeutung. Das hat s<strong>e<strong>in</strong></strong>en Grund<br />

<strong>in</strong> der topographischen und Mittelpunktslage.<br />

Die mittelalterlichen Handelsplätze lagen etwa<br />

20 km von<strong>e<strong>in</strong></strong>ander, weil diese Strecke von<br />

Pferdegespannen im Laufe <strong>e<strong>in</strong></strong>es Tages zurückzulegen<br />

war. Die Heerstraße zwischen<br />

Emlichheim und Neuenhaus nahm nicht den<br />

kürzeren, aber tiefer gelegenen Weg am l<strong>in</strong>ken<br />

Ufer, der den Vechtebogen hätte abschneiden<br />

können, sondern, um der besseren<br />

Höhenlage willen über Hoogstede. Diese Höhenlage,<br />

dazu die besseren Böden die neben<br />

Viehhaltung auch Brotfruchtbau erlauben, bewirken<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>e größere Siedlungsdichte. Mit der<br />

<strong>Ort</strong>sdichte stieg die Verkehrsdichte.<br />

1890 erhielt der Ostuferweg <strong>e<strong>in</strong></strong>e feste<br />

Straßendecke, später stufte man ihn zur L 44<br />

auf. Der Straße folgte die Eisenbahn; 1908 erhielt<br />

Hoogstede <strong>e<strong>in</strong></strong>en Bahnhof. Der Weg zum<br />

Kaufmann und zum Handwerker <strong>in</strong> der Stadt<br />

war weit. Dem Bedürfnis, notwendige Bedarfsgüter<br />

im <strong>Ort</strong> herzustellen, gaben die Behörden<br />

nach.<br />

Besonders <strong>in</strong> der Franzosenzeit siedelten<br />

sich Gewerbebetriebe an. Von den sieben Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den<br />

von Esche bis Kl<strong>e<strong>in</strong></strong>r<strong>in</strong>ge besitzt nur<br />

Hoogstede <strong>Kirche</strong>n, und zwar je <strong>e<strong>in</strong></strong>e der vier<br />

Bekenntnisse. Mit der Eisenbahn kamen der<br />

M<strong>in</strong>eraldünger, das Baumaterial und andere<br />

Bedarfsgüter <strong>in</strong> den <strong>Ort</strong>, und die im Bereich<br />

erzeugten Produkte konnten weiterbefördert<br />

HOOGSTEDE UND BATHORN<br />

werden So entstanden am Bahnhof Niederlassungen<br />

und verarbeitende Betriebe, <strong>in</strong>sgesamt<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong> beachtliches Handels- und Gewerbezentrum.<br />

Die angegliederte Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de, auf erhöhtem<br />

Landrücken <strong>in</strong>s Moor vorspr<strong>in</strong>gend, was im<br />

Namen Bathorn, bessere Spitze, zum Ausdruck<br />

kommt, greift nach Osten <strong>in</strong>s Moor <strong>e<strong>in</strong></strong>,<br />

das hier abgetorft, entwässert, umgebrochen<br />

und besiedelt wurde. Die gem<strong>e<strong>in</strong></strong>same Mark<br />

umfaßte zugleich auch die von Kalle, T<strong>in</strong>holt,<br />

Scheerhorn und Berge ...<br />

<strong>Ort</strong>s<strong>e<strong>in</strong></strong>fahrt Hoogstede von Scheerhorn aus.<br />

L<strong>in</strong>ks Haus Vette, etwa um 1925, Jan Vette und Lehrer<br />

Fritz Voltmer (Harm Kuiper)<br />

1885 Kreis Grafschaft Bentheim<br />

1885 entstand aus dem Großkreis L<strong>in</strong>gen der<br />

Kreis Grafschaft Bentheim mit <strong>e<strong>in</strong></strong>em Hilfsamt<br />

<strong>in</strong> Neuenhaus. 1886–1920 sorgte Landrat Kriege<br />

für den Fortgang der Melorierungsmaßnahmen<br />

und des Straßenbaus. 1890 erhielt der<br />

Heerweg über Hoogstede <strong>e<strong>in</strong></strong>e feste St<strong>e<strong>in</strong></strong>decke.<br />

Die 1896 angelegte Teilstrecke der<br />

Bentheimer Eisenbahn erfuhr 10 Jahre später<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>e Verlängerung über Hoogstede nach Emlichheim.<br />

Hoogstede erhielt <strong>e<strong>in</strong></strong>en Bahnhof,<br />

der bald <strong>in</strong> Personen- und Güterverkehr Bedeutung<br />

gewann. Die geförderten Raseneisenerze<br />

verlud man meist <strong>in</strong> Hoogstede. Die Technik<br />

fand E<strong>in</strong>gang <strong>in</strong> den bäuerlichen Betrieb.<br />

Im neuen Jahrhundert stellte sich die landwirtschaftliche<br />

W<strong>in</strong>terschule Neuenhaus 1903<br />

<strong>in</strong> den Dienst der Berufsausbildung des bäuerlichen<br />

Nachwuchses. Das Krankenhaus <strong>in</strong><br />

Neuenhaus übernahm den Gesundheitsschutz<br />

der Niedergrafschaft. Nach dem Weltkriege<br />

setzte Landrat Bön<strong>in</strong>ger, 1920–31, die Kulturmaßnahmen<br />

s<strong>e<strong>in</strong></strong>es Vorgängers fort. Die Elek-<br />

147


2<br />

trizitätsversorgung des Kreises versah die<br />

bäuerlichen Betriebe mit <strong>e<strong>in</strong></strong>er neuen Energiequelle.<br />

Herdbuchgesellschaften, Versuchsr<strong>in</strong>ge,<br />

Bezugs- und Absatzgenossenschaften,<br />

Tierzuchtverbände halfen, die Erträge zu<br />

steigern. Das Kreiswiesenbauamt bemühte<br />

sich um Strukturverbesserung des Grünlandes.<br />

In Hoogstede stellte sich die Spar und Darlehnskasse<br />

1923 <strong>in</strong> den Dienst Geldverkehrs;<br />

die Posthilfsstelle 1933 diente dem Nachrichtenverkehr.<br />

1933 besaßen Hoogstede und Bathorn<br />

262 ha Ankerland, 108 ha Wiesen und<br />

180 ha Weiden; es gab 91 landwirtschaftliche<br />

Betriebe, darunter 9 größere, 57 kl<strong>e<strong>in</strong></strong>ere Höfe,<br />

12 Neubauern. 14 Heuer, <strong>in</strong>sgesamt 710 E<strong>in</strong>wohner.<br />

25 gewerbliche Betriebe hatten sich<br />

<strong>in</strong> Hoogstede angesiedelt; sie behaupteten sich<br />

zwischen Veldhausen mit 47 und Emlichheim<br />

mit 65 Handwerksbetrieben.<br />

Kulturmaßnahmen 1937<br />

Als beispielhaft können die Kulturmaßnahmen<br />

im Raum Hoogstede-Bathorn gelten, über<br />

die W. Friedrich <strong>in</strong> den Grafschafter Nachrichten<br />

unterrichtete. Das Wasserwirtschaftsamt<br />

Osnabrück richtete 1937 <strong>e<strong>in</strong></strong>e Nebenstelle<br />

die Kulturbauleitung Hoogstede <strong>e<strong>in</strong></strong>. E<strong>in</strong>e Barackenunterkunft,<br />

1938, enthielt 2 Büroräume<br />

und Wohnung für 14 Arbeitskräfte. Bald gab<br />

es 13 Dieselloks und 20 km Feldbahn, die 90<br />

Stammarbeitern und weiteren Arbeitskräften<br />

des Reichsarbeitsdienstes dienten.<br />

1939 übernahm die Justizverwaltung das<br />

Lager Bathorn und setzte Strafgefangene zur<br />

Arbeit <strong>e<strong>in</strong></strong>, die unter anderem den Bathorner<br />

Diek befestigten. Nach Ausbruch des Krieges<br />

beschäftigte man auch Kriegsgefangene. Nun<br />

übernahm die Wehrmacht das Lager und<br />

führte die Arbeiten bis zur Schleuse weiter<br />

und darüber h<strong>in</strong>aus bis zum Lager Alexisdorf<br />

und Neur<strong>in</strong>ge. Der Arbeitsdienst hatte bereits<br />

900 ha entwässert als die Kriegsjahre <strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />

E<strong>in</strong>schränkung der Arbeiten im Moor erforderten.<br />

Ab 1940 konnte man nur noch kl<strong>e<strong>in</strong></strong>ere<br />

Abteilungen beschäftigen.<br />

1941 übernahm das Wasserwirtschaftsamt<br />

Meppen die nunmehr nach Bathorn verlegte<br />

Leitung. Nach dem Kriege begann man 1946<br />

aufs neue mit den Kulturarbeiten und be-<br />

148<br />

GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />

schäftigte Vertrieben von denen etwa 500 im<br />

Lager Bathorn untergebracht waren. Zunächst<br />

waren nur drei Dieselloks verfügbar; ab 1947<br />

jedoch, als man die Arbeiten <strong>in</strong> größerem Maße<br />

wieder aufnahm, waren 140 Arbeitskräfte als<br />

Stammpersonal <strong>e<strong>in</strong></strong>gesetzt, die mit Unternehmern<br />

und Fachkräften das Straßen- und<br />

Grabennetz erweiterten, die Moordecke umbrachen<br />

und die Bodenstruktur verbesserten.<br />

E<strong>in</strong>heitsgem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Hoogstede 1968<br />

Hoogstede gewann nach 1945 Bedeutung als<br />

Nebenkern mit Standort für mehrere <strong>Kirche</strong>n,<br />

Mittelpunktschule, Berufsschule, landwirtschaftliche<br />

Genossenschaften und mehrere<br />

Gewerbe- und Handelsbetriebe. Der Ausbau<br />

der Feuerwehr erlaubt, Nachbargem<strong>e<strong>in</strong></strong>den<br />

Brandschutz zu bieten. E<strong>in</strong> Polizeiposten dient<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>er Gruppe von acht benachbarten <strong>Ort</strong>en.<br />

Die Bildung <strong>e<strong>in</strong></strong>er E<strong>in</strong>heitsgem<strong>e<strong>in</strong></strong>de beschlossen<br />

1968 die Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den Hoogstede, Bathorn,<br />

Scheerhorn, Berge, Kalle, T<strong>in</strong>holt und Neur<strong>in</strong>ge.<br />

E<strong>in</strong>e leistungsfähige Privatmolkerei<br />

richtete 1960 <strong>e<strong>in</strong></strong>e fliegende Milchabnahme<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>, deren Tankwagen die Kannen auf den<br />

Höfen entleeren und sie mit Magermilch wieder<br />

auffüllen. Der Milchversorgung dient der<br />

Kontrollr<strong>in</strong>g Hoogstede. Die Infrastruktur, die<br />

Grundausrüstung der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de, gewann<br />

durch E<strong>in</strong>richtung <strong>e<strong>in</strong></strong>er Waschanlage, durch<br />

Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>deräume der kirchlichen Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den,<br />

durch Mitwirkung von geselligen Ver<strong>e<strong>in</strong></strong>en,<br />

Laienspielschar, Dorf- und Theaterabende und<br />

Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>debücherei. Beträgt die E<strong>in</strong>wohnerzahl<br />

heute etwa 1100, so rechnen die Raumplaner<br />

mit <strong>e<strong>in</strong></strong>er Zunahme bis 1985 auf 2000 und<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>em weiterem H<strong>in</strong>zukommen zentraler E<strong>in</strong>richtungen,<br />

wodurch Hoogstede Aufgaben<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>es kl<strong>e<strong>in</strong></strong>en zentralen <strong>Ort</strong>es für <strong>e<strong>in</strong></strong>en begrenzten<br />

Nachbarbezirk erfüllen kann.<br />

Quellen<br />

Edel, Von der Herrlichkeit Emlichheim, Jahrb. 1953.<br />

Emse, Wasserversorgung der Niedergrafschaft,<br />

Heimatkalender 1951.<br />

Friedrich, Hoogstede, Grafschafter Nachrichten 1962.<br />

Sager, Geschichte der Grafschaft Bentheim<br />

Specht, Heimatkunde <strong>e<strong>in</strong></strong>es Grenzkreises.<br />

Dr. Specht, Jungpaläolithischer Lagerplatz<br />

am Lamberg. Jahrbuch 1968.<br />

Der Landkreis Grafschaft Bentheim.


Postkarte Hoogstede um 1925 (Johann Jeur<strong>in</strong>k)<br />

Kriegerver<strong>e<strong>in</strong></strong> 1919, Denkmal 1921<br />

und Musikver<strong>e<strong>in</strong></strong> von 1928<br />

M<strong>in</strong>i Büdden<br />

Die Veteranen des Krieges 1870/71 entschlossen<br />

sich zur Gründung <strong>e<strong>in</strong></strong>es Kriegerver<strong>e<strong>in</strong></strong>s.<br />

Schon im Jahr 1906 fand vermutlich <strong>in</strong> der<br />

Gaststätte Warmer <strong>in</strong> Scheerhorn <strong>e<strong>in</strong></strong>e Versammlung<br />

mit der Wahl <strong>e<strong>in</strong></strong>es Präsidenten<br />

statt. Gewählt wurde der vormalige Lehrer<br />

Bernhard H<strong>e<strong>in</strong></strong>rich Stönnebr<strong>in</strong>k. Nach dem<br />

Ersten Weltkrieg wurde Stönnebr<strong>in</strong>k erneut<br />

erster Vorsitzender, Lehrer Voltmer wurde<br />

zweiter Vorsitzender, Schriftführer der Schmied<br />

Bernhard Haubrich und Kassenführer der<br />

Landwirt Koops. Der Kriegerver<strong>e<strong>in</strong></strong> veranstaltete<br />

jedes Jahr mehrere Feste, die mit Umzügen<br />

durch das Dorf bis zur Gaststätte Warmer<br />

verbunden waren. Ausgangspunkt dieser Veranstaltungen<br />

war der Platz der „drei Eichen“<br />

am heutigen Schwarzen Diek. E<strong>in</strong>e vom Heimatver<strong>e<strong>in</strong></strong><br />

aufgestellte H<strong>in</strong>weistafel er<strong>in</strong>nert<br />

heute an diesen Platz.<br />

Die Mitglieder trugen bei solchen Umzügen<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>e <strong>e<strong>in</strong></strong>heitliche Kopfbedeckung (Käppies),<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>e Fahne und brennende Fackeln. Die<br />

ver<strong>e<strong>in</strong></strong>seigene Musikkapelle begleitete die Um-<br />

HOOGSTEDE UND BATHORN<br />

züge und spielte bei Festen zum Tanz auf.<br />

Der Kriegerver<strong>e<strong>in</strong></strong> plante und vollendete auch<br />

den Bau des Kriegerdenkmals zur Er<strong>in</strong>nerung<br />

an die Opfer des Ersten Weltkrieges. 1921<br />

konnte das durch Spenden f<strong>in</strong>anzierte Denkmal<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>geweiht werden. S<strong>e<strong>in</strong></strong>en Platz hatte es <strong>in</strong> der<br />

Dorfmitte an der Ecke Bergstraße/Hauptstraße.<br />

Etwa 1974/75 wurde es verkehrsbed<strong>in</strong>gt abgebrochen<br />

und bef<strong>in</strong>det sich seitdem im Privatbesitz.<br />

Angedacht ist, beim Ausbau des Friedhofs<br />

das Denkmal neu <strong>e<strong>in</strong></strong>zubeziehen.<br />

Kriegerdenkmal<br />

Zeitung und Anzeigenblatt 1921<br />

Kreisblatt für den Kreis Grafschaft Bentheim<br />

Bearbeitet von Johann Jeur<strong>in</strong>k<br />

<strong>Arkel</strong>, 6. März 1919 In der letzten Versammlung<br />

des Kriegerver<strong>e<strong>in</strong></strong>s wurde festgestellt, dass<br />

30 Ver<strong>e<strong>in</strong></strong>smitglieder am Kriege teilgenommen<br />

haben, 6 auf dem Felde der Ehre gefallen oder<br />

<strong>in</strong>folge Verwundung gestorben s<strong>in</strong>d und sich<br />

zur Zeit noch <strong>e<strong>in</strong></strong> Mitglied <strong>in</strong> Gefangenschaft<br />

bef<strong>in</strong>det. Außerdem haben aus dem Kirchspiel<br />

<strong>Arkel</strong> noch 26 Krieger ihr Leben für das Vaterland<br />

dah<strong>in</strong>geben müssen, harren noch 12 Krieger<br />

<strong>in</strong> der Gefangenschaft ihrer Rückkehr und<br />

gelten noch 5 Krieger als vermißt.<br />

149


2<br />

Hoogstede, 9. April 1921 Die am 1. April im<br />

Lokale des Herrn Warmer stattgefundene Versammlung<br />

des Kriegerver<strong>e<strong>in</strong></strong>s <strong>Arkel</strong> erfreute<br />

sich <strong>e<strong>in</strong></strong>er regen Beteiligung. Bevor zur eigentlichen<br />

Tagesordnung übergegangen wurde,<br />

teilte Herr Stönnebr<strong>in</strong>k mit, dass die Sammlung<br />

für die Anlage <strong>e<strong>in</strong></strong>es Kriegerdenkmals<br />

bereits <strong>e<strong>in</strong></strong>en guten Erfolg gehabt habe, jedoch<br />

noch nicht beendigt sei. Er hoffe<br />

jedoch durch den Opfers<strong>in</strong>n der noch ausstehenden<br />

Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den, das <strong>in</strong> Aussicht genommene<br />

Denkmal <strong>in</strong> Auftrag geben zu können.<br />

Die Arbeiten s<strong>in</strong>d dem Bildhauer H. Wiese<br />

<strong>in</strong> Nordhorn übertragen, welcher <strong>e<strong>in</strong></strong>fache,<br />

künstlerische Entwürfe angefertigt hatte und<br />

diese der Versammlung vorlegte. Herr Wiese,<br />

der anwesend war, erklärte dann die Grundgedanken<br />

und E<strong>in</strong>zelheiten der Ausführung.<br />

Hierauf kam man <strong>e<strong>in</strong></strong>stimmig zu dem Entschluß,<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>en Gedenkst<strong>e<strong>in</strong></strong> zu nehmen, der<br />

dem Andenken, der dem Vaterlande geopferten<br />

Söhne würdig und dem Gelände angepasst ist.<br />

– Dann wurde noch beschlossen am 20. April<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong> Frühjahrsfest zu feiern, sowie am Himmelfahrtstage<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>en Ausflug nach Lage zu machen.<br />

150<br />

GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />

Entlassungs-Urkunde nach dem Ersten Weltkrieg für Johann Heet, 17.02.1920 (M<strong>in</strong>i Büdden)<br />

Hoogstede, 15. Juni 1921 Unser Kriegerdenkmal<br />

– E<strong>in</strong> gewaltiges Ehrenmal ist es, das das<br />

Kirchspiel <strong>Arkel</strong> s<strong>e<strong>in</strong></strong>en im Kriege gefallenen<br />

Helden widmen wird. Die Wahl ist jetzt getroffen<br />

worden, und wir s<strong>in</strong>d heute <strong>in</strong> der<br />

Lage, darüber folgende E<strong>in</strong>zelheiten mitzuteilen.<br />

Der Hauptblock, der auf <strong>e<strong>in</strong></strong>em schweren<br />

Sockel ruht, ist aus echtem Granit nach der<br />

Natur gemeißelt. Der mächtige Block, der an<br />

2,10 m hoch und 1,15 m breit ist, wird aus<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>em riesigen St<strong>e<strong>in</strong></strong> gearbeitet und hat das<br />

stattliche Gewicht von 60 Zentnern. Oben ist<br />

das Denkmal gekrönt von dem typischen<br />

Stahlhelm, der – umkränzt von Lorbeerranken<br />

– direkt aus dem Block gemeißelt ist.<br />

Die Namen der gefallenen Helden werden<br />

auf <strong>e<strong>in</strong></strong>er Tafel aus Odenwald-Granit <strong>e<strong>in</strong></strong>gehauen.<br />

Die Anlage wird <strong>e<strong>in</strong></strong>en schönen Platz<br />

f<strong>in</strong>den direkt an der Landstraße bei der Stönnebr<strong>in</strong>kschen<br />

Besitzung, unmittelbar am<br />

Friedhof. Die Denkmals-Anlage wird geschaffen<br />

von der Firma „Werkstätte für Kriegerund<br />

Grabmalkunst Gebr. Wiese, Bocholt“,<br />

deren Vertreter Herr H. Wiese, Nordhorn den<br />

Auftrag entgegennahm. Die E<strong>in</strong>weihung des<br />

Denkmals wird im Herbst d. Js. erfolgen.


Musikver<strong>e<strong>in</strong></strong> im<br />

August 1928,<br />

gleichzeitig Kapelle<br />

vom „Kriegerver<strong>e<strong>in</strong></strong>“.<br />

Von l<strong>in</strong>ks:<br />

Lukas Schroven,<br />

H<strong>e<strong>in</strong></strong>rich Müller,<br />

H<strong>e<strong>in</strong></strong>rich Rott,<br />

H<strong>in</strong>drik Jan Keen,<br />

H<strong>e<strong>in</strong></strong>rich Haubrich,<br />

H<strong>in</strong>drik Jan Snieders,<br />

an der Trommel<br />

Johann Sommer<br />

(M<strong>in</strong>i Büdden)<br />

Das Kriegerdenkmal um 1930,<br />

Ausschnitt aus <strong>e<strong>in</strong></strong>er Postkarte (M<strong>in</strong>i Büdden)<br />

Hoogstede, 17. Oktober 1924 Saalbau. Nachdem<br />

der Warmer`sche Saal <strong>in</strong> Scheerhorn<br />

nicht mehr vorhanden ist, macht sich der<br />

Mangel <strong>e<strong>in</strong></strong>er größeren Räumlichkeit bei Versammlungen,<br />

Festen und Vorträgen sehr empf<strong>in</strong>dlich<br />

bemerkbar. Kalle, T<strong>in</strong>holt, Hoogstede,<br />

Scheerhorn usw. haben deshalb den Wunsch,<br />

wieder <strong>e<strong>in</strong></strong>en Saal zu bekommen. Deshalb hat<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong> hiesiger Wirt den Plan erwogen, im nächsten<br />

Jahre den Bau <strong>e<strong>in</strong></strong>es Saales vorzunehmen.<br />

Besonders der Kriegerver<strong>e<strong>in</strong></strong> steht diesem Plan<br />

freundlich gegenüber.<br />

HOOGSTEDE UND BATHORN<br />

Gedenktafel Gefallene des Ersten Weltkrieges <strong>in</strong> der katholischen<br />

<strong>Kirche</strong> (M<strong>in</strong>i Büdden)<br />

Hoogsteder Musikver<strong>e<strong>in</strong></strong> 1948–1952<br />

Johann Jeur<strong>in</strong>k und H<strong>e<strong>in</strong></strong>rich Warmer<br />

Gleich nach der Währungsreform am 20. Juni<br />

1948 gründeten <strong>e<strong>in</strong></strong>ige Hoogsteder <strong>e<strong>in</strong></strong>en Musikver<strong>e<strong>in</strong></strong>,<br />

dem überwiegend Bläser angehörten.<br />

Beteiligt waren Bertus Brooksnieder, Jan<br />

und Wasse Hannebrook, H<strong>e<strong>in</strong></strong>rich Haubrich,<br />

Herbert Hermann (Emlichheim), H<strong>e<strong>in</strong></strong>rich und<br />

Jan Jeur<strong>in</strong>k, Alfred Leipner (Polizist <strong>in</strong> Hoogstede<br />

von 1945 bis 1963, Johann Schroven,<br />

Egbert Stroot sowie H<strong>e<strong>in</strong></strong>rich und H<strong>in</strong>drik-Jan<br />

Warmer. Sie spielten Trompete, Tenorhorn,<br />

Flügelhorn, Tuba, Trommel und Schlagzeug.<br />

Leiter und Dirigent war Hermann Gröbe.<br />

Der 1879 <strong>in</strong> Sachsen geborene Gröbe war vierzig<br />

Jahre lang Stabsmusikkapellmeister Dresden<br />

gewesen. Er leitete <strong>in</strong> dieser Funktion <strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />

Musikgruppe von Österreichern hoch zu Ross.<br />

Nach s<strong>e<strong>in</strong></strong>er Flucht war er bei s<strong>e<strong>in</strong></strong>en Verwandten<br />

Gosen Hoogstede untergekommen.<br />

Die Familie Gröbe war lange Zeit lang im<br />

Obergeschoss des Hauses des Schuhmachers<br />

H<strong>e<strong>in</strong></strong>rich Warmer untergebracht, am heutigen<br />

Feldweg. Nach dem Tode s<strong>e<strong>in</strong></strong>er Frau lebte er<br />

mit Frau Trenz<strong>in</strong>ger zusammen. Später wohn-<br />

151


2<br />

ten sie im Hause der Familie Gosen im Berg,<br />

an der heutigen Bergstraße. Die letzten Jahre<br />

verbrachte Hermann Gröbe bei s<strong>e<strong>in</strong></strong>er Tochter<br />

<strong>in</strong> Hamburg. Dort verstarb er 1970. Er wurde<br />

<strong>in</strong> Hoogstede beerdigt.<br />

Hermann Gröbe war für die junge Musikgruppe<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong> „Juwel”. Er verstand es, mit Diszipl<strong>in</strong><br />

aber auch mit Humor s<strong>e<strong>in</strong></strong>e Truppe zu<br />

begeistern.<br />

Die Übungsstunden fanden wöchentlich <strong>in</strong><br />

der katholischen Volksschule statt. In den<br />

W<strong>in</strong>termonaten mussten die Teilnehmer abwechselnd<br />

für Brennmaterial zum Heizen<br />

Sorge tragen. Später übte man auch <strong>in</strong> der<br />

Gaststätte Wolters.<br />

Nach <strong>e<strong>in</strong></strong>em halben Jahr schon wagte der<br />

Musikver<strong>e<strong>in</strong></strong> s<strong>e<strong>in</strong></strong>en ersten öffentlichen Auftritt.<br />

Er spielte überwiegend flotte Blasmusik,<br />

unter anderem auch Märsche. Er spielte auf<br />

Silbernen und Goldenen Hochzeiten und auf<br />

verschiedenen Schülertreffen.<br />

Die Beteiligten hatten zwischen 1949 und<br />

1952 noch k<strong>e<strong>in</strong></strong>e eigenen Autos. Deshalb<br />

mussten von den <strong>e<strong>in</strong></strong>genommenen „Gagen“<br />

zuerst die Fahrtkosten bestritten werden. Das<br />

restliche Geld – Geld war <strong>in</strong> dieser Zeit noch<br />

sehr knapp – wurde <strong>in</strong> Musik<strong>in</strong>strumente und<br />

Noten <strong>in</strong>vestiert. Es gibt <strong>e<strong>in</strong></strong>zelne Zeitungsmeldungen<br />

über Auftritte der Gruppe.<br />

Der Musikver<strong>e<strong>in</strong></strong> erweckte im Mai 1952 <strong>in</strong><br />

Emlichheim großes Aufsehen: Als Herbert<br />

Hermann, der <strong>in</strong> Emlichheim wohnte und im<br />

Musikver<strong>e<strong>in</strong></strong> mitspielte, Schützenkönig von<br />

152<br />

GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />

Hermann Gröbe (1879–1970) hoch zu Ross <strong>in</strong> Österreich (Christa Gosen)<br />

Musikver<strong>e<strong>in</strong></strong> mit Hermann Gröbe um 1950. Von l<strong>in</strong>ks:<br />

Jan Hannebrook, H<strong>e<strong>in</strong></strong>rich Jeur<strong>in</strong>k, H.J. Warmer, Wasse<br />

Hannebrook, vorne: Hermann Gröbe, weiter Egbert Stroot,<br />

H<strong>e<strong>in</strong></strong>rich Haubrich, Bertus Brooksnieder, H<strong>e<strong>in</strong></strong>rich Warmer.<br />

(Johann Jeur<strong>in</strong>k)<br />

Hoogstede geworden war, brachte der Ver<strong>e<strong>in</strong></strong><br />

bei ihm zu Hause <strong>e<strong>in</strong></strong> Ständchen. Viele Emlichheimer<br />

waren überrascht, dass Hoogstede<br />

schon wieder <strong>e<strong>in</strong></strong>e Blaskapelle hatte.<br />

Noch heute er<strong>in</strong>nern sich <strong>e<strong>in</strong></strong>ige der Beteiligten<br />

gerne an diese schöne Zeit. Sie berichten,<br />

dass man bei den Auftritten auch immer<br />

selber kräftig mitgefeiert habe und manches<br />

Mal erst <strong>in</strong> den frühen Morgenstunden wieder<br />

zu Hause <strong>e<strong>in</strong></strong>getroffen sei.<br />

Nachdem <strong>e<strong>in</strong></strong>ige der jüngeren Mitglieder<br />

geheiratet und <strong>e<strong>in</strong></strong>e eigene Existenz aufgebaut


Kath. Pastor, Bernhard<br />

Westhuis,1902–1990,<br />

Gerhard Beerl<strong>in</strong>k,<br />

1886–1941 (Westhuis)<br />

Verlobung von Bertus Brooksnieder und Wilhem<strong>in</strong>a<br />

Züwer<strong>in</strong>k am 06.06.1949. Von l<strong>in</strong>ks: stehend Herbert<br />

Hermann, Alfred Leipner, Wilhelm<strong>in</strong>e Züwer<strong>in</strong>k, Bertus<br />

Brooksnieder, H<strong>e<strong>in</strong></strong>rich Taubken, davor v.l. Jan Hannebrook,<br />

Wasse Hannebroek, Johann Stroot, Jan Jeur<strong>in</strong>k,<br />

H<strong>e<strong>in</strong></strong>rich Jeur<strong>in</strong>k und Johann Schroven. (M<strong>in</strong>i Büdden)<br />

hatten, stellte man die Aktivitäten 1952 wieder<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>. Sechs Jahre später, am 14. Februar<br />

1958, wurde der Posaunenchor der evangelisch-reformierten<br />

Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de gegründet. Unter<br />

anderem hatten auch sechs Beteiligte vom aufgelösten<br />

Musikver<strong>e<strong>in</strong></strong> die Idee und den<br />

Wunsch, <strong>e<strong>in</strong></strong>en Posaunenchor <strong>in</strong>s Leben zu<br />

rufen. Sie hatten sich zuvor an Pastor R<strong>in</strong>gena<br />

von der evangelisch-reformierten <strong>Kirche</strong>ngem<strong>e<strong>in</strong></strong>de<br />

gewandt. Chorleiter wurde Herr Alfred<br />

Leipner. Mit als Gründungsmitglieder dabei<br />

waren unter anderem auch sechs ehemalige<br />

Spieler des Musikver<strong>e<strong>in</strong></strong>s, und zwar Bertus<br />

Brooksnieder, Jan und Wasse Hannebrook Jan<br />

Jeur<strong>in</strong>k und H<strong>e<strong>in</strong></strong>rich und H<strong>in</strong>drik-Jan Warmer.<br />

HOOGSTEDE UND BATHORN<br />

Hermann Gröbe, 1879-1970 (M<strong>in</strong>i Büdden)<br />

Der Hof Westhuis seit 1867<br />

1867 hat Familie Westhuis ihren Hof erworben,<br />

1989 gibt Bernhard Westhuis (1902–1990)<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>en kurzen Rückblick. Bilder und Text stehen<br />

beispielhaft für viele andere Neusiedlungen<br />

des 19. Jahrhunderts. (gjb)<br />

K<strong>in</strong>derwagen Westhuis, um 1940,<br />

Anfang der Kriegsjahre (Westhuis)<br />

153


2<br />

Rückblick von Bernhard Westhuis,<br />

Hoogstede 1989<br />

Aufgeschrieben von Bernhard Westhuis,<br />

1902-1990<br />

Im Jahre 1867 kauften die Eheleute Carl Westhuis<br />

und Frau Anna Margarethe geb. Holtel<br />

(Brün<strong>in</strong>g), Scheerhorn, das erste Grundstück von<br />

Hermann Börger (Mensen) aus Hoogstede für<br />

950 Gulden. Es war etwa 13 Morgen groß. Börger<br />

musste das Geld zehn Jahre stehen lassen.<br />

Nach drei Jahren war Börger kaputt und<br />

musste das Grundstück wieder verkaufen.<br />

1870 kaufte m<strong>e<strong>in</strong></strong> Großvater es dann für 1.000<br />

Reichstaler.<br />

Der Bauer Frans Kennepohl, T<strong>in</strong>holt, gab<br />

das Geld für die erste Hypothek. Carl Westhuis<br />

musste es mit vier Prozent verz<strong>in</strong>sen. Im Jahre<br />

1880 kaufte er von Kl<strong>e<strong>in</strong></strong> Neerken vier Morgen<br />

für 150 Mark. Es war <strong>e<strong>in</strong></strong>e arme Zeit. Das Geld<br />

musste im Webstuhl verdient werden. Die<br />

Löhne waren niedrig. Nach <strong>e<strong>in</strong></strong>em alten Büchl<strong>e<strong>in</strong></strong><br />

arbeitete er bei Harms <strong>in</strong> Bathorn als<br />

Torfstecher, Grasmäher, Roggenmäher für<br />

zwei Mark pro Tag, Mistladen für 80 Pfennig<br />

und so weiter.<br />

154<br />

GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />

Mit Pferd und Auto 1930/1934 bei Westhuis vor der Diele<br />

Von rechts: Bernhard Westhuis 1902-1990, Ges<strong>in</strong>a Westhuis 1898-1972/3,<br />

mit ihrer Nichte Anne Oude Wessel<strong>in</strong>k aus Esche 1921-1997 (Westhuis)<br />

Bei Westhuis <strong>in</strong> der Heuernte, um 1940.<br />

H<strong>in</strong>ten l<strong>in</strong>ks Maria Westhuis geb. El<strong>in</strong>g 1909-2003,<br />

Bernhard Westhuis 1902-1990, Franzose,<br />

vorne l<strong>in</strong>ks unbekannte Frau <strong>e<strong>in</strong></strong>es Offiziers,<br />

Ges<strong>in</strong>a Westhuis 1898-1972/3), Margaretha<br />

und Bernhard Westhuis (Westhuis)


Am Bathorner Diek erlebt<br />

Hermann Kronemeyer<br />

Twistdiek<br />

Der Bathorner Diek hieß ehemals Twistdiek.<br />

Es ist <strong>e<strong>in</strong></strong> sich sehr lang über Kilometer h<strong>in</strong>ziehender<br />

Weg. Von der heutigen Hauptstraße,<br />

abzweigend an der Molkerei, <strong>in</strong> Hoogstede<br />

verlief der Bathorner Diek etwa mittig durch<br />

die Bathorner Flur mit ihrer wechselhaften<br />

Struktur von Eschböden, durch tief gelegene<br />

Bruchwiesen, gefolgt von ausgedehnten Hochmoorflächen.<br />

Somit war der Zustand des Dieks,<br />

je nach Jahreszeit, vorgegeben.<br />

Anwohner des Dieks und <strong>in</strong>sbesondere<br />

deren K<strong>in</strong>der erfuhren tagtäglich die Erschwernis,<br />

die der Diek für sie brachte. Den<br />

Bathorner Diek erfahren sollten auch Tausende<br />

Menschen aus allen Kont<strong>in</strong>enten und<br />

aus allen Staaten Europas. Mit der E<strong>in</strong>schulung<br />

im Jahre 1933 sollte ich <strong>in</strong> den folgenden<br />

Jahren über den Bathorner Diek laufen und<br />

die unterschiedlichen E<strong>in</strong>drücke sammeln.<br />

In Holzschuhen legten wir die Wegstrecke<br />

bei jedem Wetter zurück, im Sommer wie im<br />

W<strong>in</strong>ter. E<strong>in</strong>igermaßen erträglich zeigte sich<br />

der Weg nur im Sommer, auch wenn der Fußweg<br />

durch Weidevieh, das morgens zur Weide<br />

getrieben und abends wieder zum Stall geholt<br />

wurde, zertreten und mit Kuhfladen verschmutzt<br />

war.<br />

Sommer und Herbst<br />

Bei sommerlicher Hitze und staubigem Weg<br />

suchten wir schon mal die Wasserpumpe bei<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>em Anlieger auf, um <strong>e<strong>in</strong></strong>e Schöpfkelle Wasser<br />

zu tr<strong>in</strong>ken. In der Heuernte herrschte dann<br />

reger Betrieb. Ab und zu musste auch <strong>e<strong>in</strong></strong><br />

Heufuder auf dem Weg neu geladen werden,<br />

weil <strong>e<strong>in</strong></strong> Teil der Fuhre sich <strong>in</strong>folge ausgefahrener<br />

Senken im Wege gelöst hatte, sehr zum<br />

Verdruss und Ärger der Betroffenen.<br />

Zum Herbst legte sich der Betrieb auf dem<br />

Weg und herbstliches Wetter ließ wieder<br />

größere Wasserlachen und matschige Wegstrecken<br />

entstehen, sodass man sich den besten<br />

Weg rechts oder l<strong>in</strong>ks vom Weg suchte.<br />

Nasse Füße waren oft die Folge.<br />

HOOGSTEDE UND BATHORN<br />

Sargträger<br />

E<strong>in</strong>e Begebenheit etwa aus den 1920ger Jahren<br />

gibt <strong>e<strong>in</strong></strong> Bild von den damaligen Wegverhältnissen.<br />

Bei <strong>e<strong>in</strong></strong>em Sterbefall <strong>in</strong> der<br />

Siedlung Bathorner Diek musste der Sarg etwa<br />

drei Kilometer weit bis zum Kanal getragen<br />

werden. Von dort haben Gerhard Brooksnieder<br />

und Bernhard Westhuis Pferde und Wagen gestellt<br />

und den Sarg am Kanal entlang und<br />

über den Aulen Diek zum Friedhof gefahren.<br />

W<strong>in</strong>ter und Frühl<strong>in</strong>g<br />

Bei Frost war der Weg relativ gut passierbar.<br />

Obwohl bei Schnee und Schneeverwehungen<br />

sich dann die Erschwernis von <strong>e<strong>in</strong></strong>er anderen<br />

Seite zeigte. Bei kaltem, schneidendem Ostw<strong>in</strong>d<br />

waren uns schon mal Ohren oder Wangen angefroren.<br />

Weder Busch noch Baum boten auf<br />

dem Langen Diek Schutz. Wildgänse, die sich<br />

<strong>in</strong> jedem W<strong>in</strong>ter <strong>in</strong> den Wiesen rechts und l<strong>in</strong>ks<br />

des Weges niederließen, litten dann Hunger und<br />

konnten sich kaum zum Flug erheben.<br />

Angenehm wurde es im Frühjahr, wenn<br />

unzählige Kiebitze am Wege spielten, Lerchen<br />

aufstiegen und große und kl<strong>e<strong>in</strong></strong>e Brachvögel,<br />

Schnepfen und Wildenten über die grünen<br />

Wiesen strichen. Mit dem Frühjahr kamen<br />

auch <strong>e<strong>in</strong></strong>ige Holländer, die versuchten, mit<br />

Fallen Maulwürfe zu fangen, um damit etwas<br />

Geld zu verdienen. Gelegentlich passierten<br />

auch Schmuggler unbemerkt den Diek.<br />

Schmuggler<br />

Fast jede Nacht hielten sich Zöllner an unserem<br />

Haus oder <strong>in</strong> der Scheune auf, um die Kanalbrücke<br />

zu beobachten. E<strong>in</strong>es Nachts<br />

stellten sie <strong>e<strong>in</strong></strong>en Schmuggler, der die Brücke<br />

passieren wollte. Beim Zugriff ließ der Mann<br />

aus T<strong>in</strong>holt s<strong>e<strong>in</strong></strong> Schmuggelgut fallen und<br />

stürmte <strong>in</strong> unseren seitlichen Haus<strong>e<strong>in</strong></strong>gang<br />

durch die Küche, das elterliche Schlafzimmer<br />

und durchs Fenster wieder h<strong>in</strong>aus. So ist er<br />

entkommen. Die Haustüren blieben damals<br />

meist unverschlossen.<br />

Torfholen<br />

E<strong>in</strong>e jährlich wiederkehrende Betriebsamkeit<br />

auf dem Diek stellte sich im Mai <strong>e<strong>in</strong></strong> und setzte<br />

155


2<br />

sich dann, zur Erntezeit abflauend, bis <strong>in</strong> den<br />

Herbst h<strong>in</strong><strong>e<strong>in</strong></strong> fort. Bewohner der näheren und<br />

weiteren Umgebung zogen im Mai <strong>in</strong>s Moor,<br />

um sich mit dem erforderlichen Jahresbedarf<br />

an Heiztorf zu versorgen. Nach dem Torfstechen<br />

und trocknen zogen im Spätsommer vermehrt<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>- und zweispännige Pferdefuhrwerke<br />

<strong>in</strong>s Torfstichgebiet, um den trockenen Torf<br />

nach Hause zu holen. Auffällig war das kl<strong>e<strong>in</strong></strong>ste<br />

Fuhrwerk. Mit <strong>e<strong>in</strong></strong>em <strong>e<strong>in</strong></strong>spännigen Hundewagen<br />

brachte diese Familie ihren Torf über<br />

holperige und lose Sandwege nach Haftenkamp.<br />

E<strong>in</strong>e nicht leichte Arbeit für Mensch<br />

und Hund.<br />

Begradigungen<br />

Kurz vor m<strong>e<strong>in</strong></strong>er E<strong>in</strong>schulung gab es schon<br />

Verbesserungen am Twistdiek. Der sogenannte<br />

L<strong>in</strong>es (L<strong>in</strong>esch) war ausgegraben worden, sodass<br />

man nicht mehr um Brooksnieder herumfahren<br />

musste. Für die Fußgänger führte<br />

bis dah<strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong></strong> Pfad über den Esch.<br />

Vom Hof Koops war der Diek um <strong>e<strong>in</strong></strong>ige<br />

Meter westlich zurückverlegt worden. Am Hof<br />

Neerken war der Esch abgegraben worden.<br />

Hier verlief der Diek nun nicht mehr am<br />

Hause über den Hof von Neerken. Weiter verlief<br />

der alte Diek zwischen dem Hause Kwade,<br />

heute Boers, und der dazugehörigen Scheune,<br />

später mit kl<strong>e<strong>in</strong></strong>er Wohnung, h<strong>in</strong>durch. Auch<br />

hier wurde der alte Diek westlich verlegt,<br />

somit verlief der Diek gradl<strong>in</strong>ig durch den<br />

L<strong>in</strong>es zur Hauptstraße an der Molkerei.<br />

156<br />

GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />

Arbeitsdienstlager 1933/35<br />

In den folgenden Jahren sollten die Baumaßnahmen<br />

k<strong>e<strong>in</strong></strong> Ende nehmen, im Gegenteil. Zunächst<br />

wurde <strong>e<strong>in</strong></strong> Arbeitsdienstlager nördlich<br />

vom Hof Koops gebaut. In der Folgezeit marschierten<br />

Männer <strong>in</strong> Arbeitsuniform und mit<br />

blankem Spaten s<strong>in</strong>gend zu ihren Arbeitsstellen<br />

am Diek. Das war <strong>e<strong>in</strong></strong> ungewohntes Bild.<br />

Entwässerungsgräben wurden gezogen bzw.<br />

ausgebaut und vertieft. Dabei wurde <strong>e<strong>in</strong></strong> E<strong>in</strong>baum<br />

ausgegraben, zu dem wir Schulk<strong>in</strong>der<br />

geführt wurden. Dieser E<strong>in</strong>baum sollte <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong></strong><br />

Museum verbracht werden. Feldbahngleise<br />

wurden verlegt. Darauf fuhren Schienenfahrzeuge<br />

verschiedenster Art. Auf die konnten<br />

wir gelegentlich aufspr<strong>in</strong>gen und brauchten<br />

unseren Weg nicht zu Fuß zurückzulegen. Beh<strong>in</strong>derungen<br />

gab es fortwährend durch die<br />

Verlegung von Durchlassrohren, was sich über<br />

Tage h<strong>in</strong>zog. Zur Überquerung brauchten wir<br />

K<strong>in</strong>der die Hilfe der Arbeitsmänner und auch,<br />

wenn es durch frisch aufgefüllten lockeren<br />

Sand g<strong>in</strong>g.<br />

Fremde und Strafgefangene<br />

Immer mehr Fremde waren anzutreffen. Fremd<br />

war jeder, der nicht plattdeutsch sprach. Vermessungsleute<br />

aus Österreich und Deutschland,<br />

Arbeiter aus der Grafschaft und den angrenzenden<br />

Kreisen. Auf dem Twistdiek und<br />

darüber h<strong>in</strong>aus entwickelte sich <strong>e<strong>in</strong></strong>e Großbaustelle.<br />

Unser Schulweg hatte sich <strong>in</strong>zwischen<br />

um <strong>e<strong>in</strong></strong>iges verlängert. Unterricht wurde<br />

Lok und Loren<br />

auf <strong>e<strong>in</strong></strong>em Feldbahn-Damm,<br />

Sandauffahren<br />

(Gerold Meppel<strong>in</strong>k)


jetzt <strong>in</strong> der katholischen Schule gegeben. Dort<br />

spielte sich <strong>e<strong>in</strong></strong>es Tages <strong>e<strong>in</strong></strong>e merkwürdige Szene<br />

ab. Zwei Lastzüge mit Anhängern und Planen<br />

überspannt hielten am Schulzaun während<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>er Pause. Drei Männer <strong>in</strong> Uniform mit Karab<strong>in</strong>er<br />

stiegen aus und fragten den Lehrer<br />

nach dem Weg zum Lager Bathorn. Währenddessen<br />

steckte <strong>e<strong>in</strong></strong> Mann s<strong>e<strong>in</strong></strong>en Kopf durch<br />

die Plane. E<strong>in</strong> Uniformierter sah es, sprang<br />

schnell zu, schwang s<strong>e<strong>in</strong></strong> Karab<strong>in</strong>er und<br />

schlug dem Mann mit dem Kolben <strong>in</strong>s Gesicht.<br />

Dann lief Wasser an der Stelle vom Wagen.<br />

Beide Lastzüge waren voller Männer. Vermutlich<br />

die erste E<strong>in</strong>lieferung von Gefangenen <strong>in</strong><br />

das Strafgefangenenlager Bathorn. Ver<strong>e<strong>in</strong></strong>zelt,<br />

<strong>in</strong> zunehmenden Maße, befuhren nun auch<br />

leichte Motorräder, „Bückies“ und Kübelwagen<br />

aus den neuen Arbeitsdienstlagern am<br />

Kanal den Diek. Immer mehr Uniformierte<br />

und Arbeitsmänner erschienen. E<strong>in</strong> alt<strong>e<strong>in</strong></strong>gesessener<br />

Hoogsteder m<strong>e<strong>in</strong></strong>te dazu: „Mä<strong>in</strong>schen,<br />

Mä<strong>in</strong>schen, ick wüß ja gar nich dat et<br />

soavöll Volk up de Wärld gaff.“ Viele trugen<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>e E<strong>in</strong>heitskleidung anderer Art: blaugraue<br />

Kittel und Hosen mit breiten gelben Streifen<br />

beidseitig an den B<strong>e<strong>in</strong></strong>en, vergleichbar <strong>e<strong>in</strong></strong>er<br />

Generalsuniform. Deshalb nannte man sie<br />

auch spöttisch „Generalstäbler“ oder „Bambusen“.<br />

Es waren Strafgefangene aus den Zuchthäusern,<br />

die nun den Diek bearbeiteten.<br />

Systematisch wurde <strong>e<strong>in</strong></strong> Bodenaustausch vorgenommen.<br />

Dazu wurden Erdgruben <strong>in</strong> erforderlicher<br />

Breite aber unterschiedlicher Tiefe<br />

ausgehoben und mit tragfähigem Boden aufgefüllt.<br />

E<strong>in</strong>e gewisse Alltäglichkeit, ja Gewohnheit,<br />

stellte sich <strong>e<strong>in</strong></strong>. Auf <strong>e<strong>in</strong></strong>em von<br />

Arbeitsmännern <strong>e<strong>in</strong></strong>gerichteten Sportplatz<br />

auf <strong>e<strong>in</strong></strong>er Wiese vor dem L<strong>in</strong>es, übten sich<br />

ab und zu Arbeitsmänner im Frühsport oder<br />

Fußball.<br />

Luftschutz<br />

In der Schule wurde immer öfter über Luftschutz<br />

und Ähnliches gesprochen. Die Wirkung<br />

von Brandbomben wurde uns <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong></strong>em<br />

Wasserbehälter vorgeführt. Ja wir mussten<br />

direkt erfahren, wie <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong></strong>em geschlossenen<br />

Raum Tränengas ohne den Schutz <strong>e<strong>in</strong></strong>er Gasmaske<br />

auf die Augen <strong>e<strong>in</strong></strong>wirkt.<br />

HOOGSTEDE UND BATHORN<br />

E<strong>in</strong>es Tages begegneten uns Brigadewagenzüge<br />

voll mit Arbeitsmännern auf dem<br />

Weg zum Bahnhof. Die Arbeitsabteilungen<br />

wurden an die Westgrenze verlegt. Auf dem<br />

Bathorner Diek setzten die Strafgefangenen<br />

ihrer Arbeit fort unter der Aufsicht von Arbeitsanweisern<br />

und bewaffneten Posten <strong>in</strong><br />

blauer Uniform, die „Blauen“ genannt. Als<br />

Schul-„Diekläufer“ morgens h<strong>in</strong> und mittags<br />

zurück, nutzten wir natürlich die jeweils beste<br />

Strecke. Mal g<strong>in</strong>gen wir l<strong>in</strong>ks, mal rechts auf<br />

dem Diek oder auch direkt am Graben entlang.<br />

Zeitweise erwiesen sich die Gleise als<br />

guter Weg. Dort konnte man später auch gut<br />

mit dem Fahrrad fahren, sei es mit rhythmischem<br />

„Hopsen“ über den Schwellen. Unser<br />

Schulweg hatte sich mittlerweile bis zum<br />

Bahnhof verlängert. Seitdem fuhren wir mit<br />

dem Fahrrad. Posten, Strafgefangene und Arbeitsanweiser<br />

waren für uns bekannte Bilder<br />

geworden.<br />

Kriegsausbruch<br />

Doch <strong>e<strong>in</strong></strong>es Morgens kam unser Vater gegen<br />

s<strong>e<strong>in</strong></strong>e Gewohnheit aufgeregt zu uns ans Bett.<br />

Er weckte uns zum Frühstück und für die<br />

Schule und sagte nur: „Der Krieg ist heute<br />

morgen angefangen.“ An diesem Morgen führte<br />

unser Weg erst <strong>e<strong>in</strong></strong>mal zur Gastwirtschaft<br />

Müller. Dort im Saal lag seit <strong>e<strong>in</strong></strong>iger Zeit <strong>e<strong>in</strong></strong><br />

Zug Grenzschutzsoldaten, darunter m<strong>e<strong>in</strong></strong><br />

Schwa ger. Es war früh, <strong>e<strong>in</strong></strong>ige lagen noch im<br />

Stroh. K<strong>e<strong>in</strong></strong>er wusste etwas. Auf unsere Nachricht<br />

vom Krieg waren bald alle auf den<br />

B<strong>e<strong>in</strong></strong>en. Die Baustelle auf dem Diek ruhte an<br />

diesem Tage.<br />

Die Strafgefangenen mussten h<strong>in</strong>ter dem<br />

Stacheldrahtzaun bleiben. Bald waren sie wieder<br />

auf dem Diek tätig, bis sie unbemerkt endgültig<br />

verzogen.<br />

„Zur Kur nach Oranienburg“<br />

Unbemerkt aus dem alljährlich zur Sommerzeit<br />

wiederkehrenden Ersch<strong>e<strong>in</strong></strong>ungsbild verschwand<br />

auch <strong>e<strong>in</strong></strong> gebeugter alter Mann mit<br />

Krückstock. Als Bewohner des Hoogsteder Armenhauses<br />

führte er zeitweise s<strong>e<strong>in</strong></strong>e <strong>e<strong>in</strong></strong>zige<br />

Kuh an <strong>e<strong>in</strong></strong>em Strick zum Fressen <strong>in</strong> die Seitenräume<br />

des Dieks. Wie es hieß, sei er zur „Kur<br />

157


2<br />

nach Oranienburg“ geschickt worden. Gesehen<br />

wurde er nie mehr. (Siehe Seite 182) Er ist<br />

im Konzentrationslager umgekommen.<br />

Polnische Kriegsgefangene<br />

Fremde Gruppen <strong>in</strong> nie gesehener Aufmachung<br />

nahmen nach geraumer Zeit die Arbeit<br />

auf dem Diek wieder auf. Fremd war ihre unverständliche<br />

Sprache. Fremd waren ihre<br />

braunen Uniformen und Mützen, teilweise mit<br />

Vierkantdeckel.<br />

Anstelle des bewaffneten Bewachungspersonals<br />

<strong>in</strong> blauer Uniform hatten jetzt Männer<br />

<strong>in</strong> feldgrauer Uniform die Aufsicht. Bei den<br />

Arbeitsanweisern hatte sich nichts geändert.<br />

Nur die Sprache der Neuen verstanden sie<br />

nicht mehr. So konnte man anfangs immer<br />

wieder beobachten, dass Arbeitsanweiser zur<br />

praktischen Vorführung am Gleis hantierten<br />

oder an der Schüppe <strong>in</strong> der Grube standen. Sie<br />

hatten es jetzt mit polnischen Kriegsgefange-<br />

nen zu tun. Diese stellten sich <strong>in</strong> E<strong>in</strong>zelfällen<br />

zum Verdruss der Anweiser, schon <strong>e<strong>in</strong></strong>mal<br />

dumm an. Langsam aber sicher nahm der<br />

neue Diek s<strong>e<strong>in</strong></strong>e Form an.<br />

Etwas Merkwürdiges, ja Unglaubwürdiges<br />

spielte sich vor dem Hof Neerken ab. Polnische<br />

Männer schachteten <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong></strong>er Grube für<br />

den Bodenaustausch. Zufällig kam <strong>in</strong> unserem<br />

Beis<strong>e<strong>in</strong></strong> <strong>e<strong>in</strong></strong> Hoogsteder Teilnehmer am Polenkrieg,<br />

der jetzt auf Heimaturlaub war, <strong>in</strong> Kavallerieuniform<br />

an die Grube und suchte aus<br />

den etwa 15 bis 20 polnischen Männern drei<br />

heraus. Er ließ sie aus der Grube steigen und<br />

behauptete, sie zu erkennen, weil er sie ge-<br />

158<br />

GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />

Aus „Der Grafschafter“:<br />

Kriegsgefangene 1942, Bahnhof Hoogstede<br />

fangen genommen habe. Die übrigen Polen,<br />

die Wachmänner und Anweiser sagten nichts<br />

dazu. War das nahezu Unmögliche <strong>e<strong>in</strong></strong> Trugschluss?<br />

Bald danach g<strong>in</strong>g alles wieder s<strong>e<strong>in</strong></strong>en<br />

gewohnten Gang.<br />

Kavallerie <strong>e<strong>in</strong></strong>quartiert<br />

Dann gab es wieder etwas Nie-Dagewesenes:<br />

Angehörige <strong>e<strong>in</strong></strong>er Kavallerie<strong>e<strong>in</strong></strong>heit wurden<br />

mit ihren Reitpferden im Dorf <strong>e<strong>in</strong></strong>quartiert.<br />

Fortan hallten über Dorf und Diek gelegentlich<br />

Masch<strong>in</strong>engewehrsalven und Gewehrschüsse<br />

aus dem Schießstand im Stapenberg.<br />

Auf dem Diek wurden die Arbeiten fortgeführt.<br />

E<strong>in</strong> Ende der Erdarbeiten war <strong>in</strong> Sicht.<br />

Flugzeuge<br />

Zu erahnen war <strong>in</strong> dieser Zeit etwas Unheimliches<br />

und Unbekanntes. Es lag etwas <strong>in</strong> der<br />

Luft. Das zeigte sich am 10. Mai 1940. Morgens<br />

früh zogen deutsche Flugzeuge <strong>in</strong> mehreren<br />

Staffeln auf dem Rückflug aus Holland<br />

über den Bathorner Diek zu ihren Standorten.<br />

Auf dem Diek selbst regte sich noch nichts.<br />

Die Arbeitsgruppen rückten wie üblich erst<br />

später an. Doch auf der Dorfstraße begegneten<br />

uns endlose Trossfahrzeuge. Sie folgten ihren<br />

Kampftruppen <strong>in</strong> Richtung Holland. Neben<br />

den Trossfahrern vom Bock schlafende und<br />

dösende Soldaten unterm Stahlhelm. E<strong>in</strong><br />

Trosspferd fiel durch <strong>e<strong>in</strong></strong> <strong>e<strong>in</strong></strong>gebranntes Eisernes<br />

Kreuz <strong>in</strong>s Auge. Es sollte sicherlich <strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />

Auszeichnung aus dem Polenkrieg s<strong>e<strong>in</strong></strong>. Die<br />

im Dorf <strong>e<strong>in</strong></strong>quartierte Kavallerie<strong>e<strong>in</strong></strong>heit hatte<br />

sich am Abend schon <strong>in</strong> Marsch gesetzt. Nach<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>igen Tagen legte sich der Trubel wieder.<br />

Das Geschehen spielte sich weit entfernt ab.<br />

Dessen ungeachtet nahmen die Arbeiten auf<br />

dem Diek ihren Fortgang.<br />

Kriegsgefangene<br />

E<strong>in</strong> erneuter Wechsel der Arbeitskolonnen<br />

folgte bald danach. Polen wurden nun nicht<br />

mehr gesehen. Vom Bahnhof aus liefen <strong>in</strong> der<br />

Folgezeit Tausende Kriegsgefangene über den<br />

Bathorner Diek und zum Teil auch über den<br />

Aulen Diek zum Lager Bathorn. E<strong>in</strong>ige fuhren<br />

auch per Lok und Brigadewagen: Franzosen,<br />

Belgier, Luxemburger, Engländer, später Tsche-


choslowaken, Griechen sowie Russen und andere.<br />

Nach <strong>e<strong>in</strong></strong> paar Jahren folgten Italiener<br />

als letzte Kriegsgefangene. Sie alle waren auf<br />

irgend<strong>e<strong>in</strong></strong>e Weise am Ausbau des Bathorner<br />

Dieks beteiligt, vorwiegend aber die Franzosen.<br />

Als Straßenkörper baute man <strong>e<strong>in</strong></strong>e Setzpacklage<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>. Dafür nutzte man <strong>e<strong>in</strong></strong>e Dampfwalze.<br />

Monate war der Diek für Radfahrer nicht<br />

passierbar, man musste über den Aulen Diek<br />

ausweichen. Die gelegentliche Nutzung des<br />

Seitenstreifens am Bathorner Diek als Radweg<br />

sollte durch Fußangeln verh<strong>in</strong>dert werden. Sie<br />

waren gekennzeichnet mit <strong>e<strong>in</strong></strong>em kl<strong>e<strong>in</strong></strong>en<br />

Schild: Vorsicht Fußangel. Bewaffnete Posten<br />

und Kriegsgefangene <strong>in</strong> Uniformen unterschiedlicher<br />

Farbe von khakibraun, dunkelbraun<br />

oder grau bis zum Rot <strong>e<strong>in</strong></strong>iger Franzosen<br />

gehörten zum Alltag auf dem Diek.<br />

Zum Wehrdienst <strong>e<strong>in</strong></strong>gezogen<br />

und Heimkehr<br />

E<strong>in</strong>es Morgens, auf dem Weg zum Zug, begleiteten<br />

wir <strong>e<strong>in</strong></strong> Stück weit drei feldgraue<br />

Soldaten zu Fuß. Zwei von ihnen trugen <strong>e<strong>in</strong></strong>en<br />

Karab<strong>in</strong>er. Der Soldat <strong>in</strong> der Mitte war unbewaffnet<br />

und ohne Koppelzeug, <strong>e<strong>in</strong></strong> Arrestant.<br />

Das war für uns sehr fremd. Zum Wehrdienst<br />

wurden immer mehr jüngere und ältere Männer<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>gezogen. Auf dem Bathorner Diek unterwegs<br />

zum Zug sah man ab und zu betrübte,<br />

stille Personen. Es waren Menschen, die ihre<br />

Angehörigen, Vater, Mann oder Sohn, für den<br />

Wehrdienst zum Zug brachten. Stumm flossen<br />

auch die Tränen, die dabei gelegentlich<br />

Arbeiten am Bathorner<br />

Diek, um 1952. Baustelle<br />

nördlich vom Kanal auf<br />

dem Bathorner Diek mit<br />

Dampfloks, Wasserturm<br />

und Baubüro wird besichtigt<br />

von Frau G. Kronemeyer<br />

mit K<strong>in</strong>d Hilde, S<strong>in</strong>a<br />

und Hilda Kronemeyer und<br />

Swanette Glüpker<br />

(Aus „Alt-Hoogstede“)<br />

HOOGSTEDE UND BATHORN<br />

gew<strong>e<strong>in</strong></strong>t wurden. Froh gestimmt waren dagegen<br />

Männer, die mit dem Zug <strong>in</strong> Urlaub<br />

kamen und dabei auch schon mal, von Heimweh<br />

geplagt, im Sprung über den Diek zu den<br />

ersehnten Angehörigen liefen.<br />

Auf dem Diek waren die Kriegsgefangenen<br />

weiterh<strong>in</strong> mit dem E<strong>in</strong>bau der Setzpacklage<br />

und Abzwicken beschäftigt und bauten fortlaufend<br />

die wassergebundene Straßendecke<br />

auf. Nach der Fertigstellung war dann <strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />

feste Straße von Hoogstede bis zum Kanal<br />

vorhanden. Für unbestimmte Zeit verließ auch<br />

ich nun bald Haus, Diek und Dorf.<br />

In <strong>e<strong>in</strong></strong>em kl<strong>e<strong>in</strong></strong>en Militärlastkraftwagen<br />

vom Lager Bathorn fuhr ich nochmals über<br />

den Diek über Nordhorn nach L<strong>in</strong>gen.<br />

Viel später, bei unserer Rückkehr aus der<br />

Kriegsgefangenschaft, waren wir zu zweit, noch<br />

<strong>in</strong> feldgrauer Uniform, unterwegs nach Hause.<br />

Dabei begegneten wir mitten auf dem Bathoner<br />

Diek zwei ehemaligen serbischen Kriegsgefangenen<br />

<strong>in</strong> brauner Uniform. In <strong>e<strong>in</strong></strong>er<br />

kurzen Unterhaltung ließen sie uns gegenüber<br />

ihre Überlegenheit und Ger<strong>in</strong>gschätzung deutlich<br />

merken. Die jahrelange Dom<strong>in</strong>anz deutscher<br />

Soldaten auf dem Diek hatte sich <strong>in</strong>s<br />

Gegenteil gekehrt.<br />

Fortgespült<br />

Mehr als <strong>e<strong>in</strong></strong> halbes Jahrhundert ist <strong>in</strong>zwischen<br />

darüber vergangen. Fast vergessen ist<br />

das gesamte Geschehen am Bathorner Diek,<br />

sozusagen fortgespült. Dafür mag <strong>e<strong>in</strong></strong>e Begebenheit<br />

auf dem Diek stehen, die sich unmit-<br />

159


2<br />

So was et froger<br />

Von Willi Evers<br />

Heel bowen <strong>in</strong>`t Venn, doar stö<strong>in</strong>d ´n ault Huus,<br />

doar was m<strong>in</strong>e Böbbe un Besse <strong>in</strong> Huus.<br />

De Müren met Fakwerk, dat Dak was van Stroa,<br />

se han doar g<strong>in</strong> Riekdum, men ok g<strong>in</strong>ne Noat.<br />

Hier wöden domoals söm K<strong>in</strong>ner geboren,<br />

de bragden völl Wark un ok allerläi Sorgen,<br />

Ik höörde er noit klagen, se han g<strong>in</strong> Verdreet,<br />

er Lewen was Arbäit, was`t kault of was`t heet.<br />

Wo ault of dat Huus was, wüss sicher k<strong>in</strong>eene,<br />

et was heel van Fakwerk un bröcklige Steene.<br />

Wemm` dr<strong>in</strong> woll <strong>in</strong>`t Hüssien, dann muss man sik bükken,<br />

de Dööre was versackt, et was toot bedrükken.<br />

De Kökken, doar bleew man verwunnert <strong>in</strong> stoan,<br />

de floar was versackt, man kunn de hoast nich up goan.<br />

Men schoane dat was´t doar, doar köje met rekken,<br />

man kunn van de Floare wall Pannkoken etten.<br />

De Kamern wann klä<strong>in</strong>, un men dree <strong>in</strong>`t Getall,<br />

ik weet nich wo`t kun, men se slöpen ok all.<br />

Völl Wark han de Mä<strong>in</strong>schen met Grössgrund un Land.<br />

Se han ok g<strong>in</strong> Peerd, un döön als met de Hand.<br />

De Rogge, dat Höj un dat heele Verbau,<br />

muss all up de Koare, wat was`t ´n Gesau.<br />

Elektrik, doar bruke wij nich ower proaten,<br />

dat Huus stö<strong>in</strong>t <strong>in</strong>´t Venn, un nich an de Stroate.<br />

160<br />

GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />

„Bathorner Diek 1951–1953“<br />

h<strong>in</strong>ter Koops an der ersten Lee<br />

(Aus „Alt-Hoogstede“)<br />

telbar nach dem Krieg zutrug. Die Weiden zu<br />

beiden Seiten waren hoch überflutet. Das<br />

Wasser spülte kniehoch auf etwa fünfhundert<br />

Meter über die Straße. Weit vor mir durchfuhr<br />

wie ich <strong>e<strong>in</strong></strong> alter Mann das Wasser mit dem<br />

Fahrrad. Plötzlich war er nicht mehr zu sehen.<br />

Das Wasser hatte ihn samt s<strong>e<strong>in</strong></strong>em Rad umgerissen<br />

und fortgespült und er trieb im Wasser.<br />

Ohne Hilfe wäre er verloren gewesen. Wegen<br />

der Überflutung wurde der Wege- und Straßenkörper<br />

nochmals mit Schotter kräftig<br />

erhöht. Aus dem anfänglich schlecht passierbaren<br />

Twistdiek ist heute der viel befahrene<br />

wichtige Bathorner Diek geworden.<br />

Ingebrauchnahme Bathorner Diek 1953, mit<br />

Bogen, 1951–1953 (Aus „Alt-Hoogstede“)<br />

Se wüssen nich anners, et muss men so ween,<br />

van de St<strong>in</strong>köllilampe kunn´ se ok wall wat seen.<br />

Ower`t Dr<strong>in</strong>kwater, doar will ik nich ower proaten,<br />

et liekde wat bruun, un doar wijwt men bi loaten.<br />

Üm Bräjnt wann de Mä<strong>in</strong>schen <strong>in</strong>`t Venn nich verlegen,<br />

wen`t kault wööt, dann kunn`se de ok noch wall tegen.<br />

Moi was`t <strong>in</strong>`t Venn <strong>in</strong> de Hochsommertied,<br />

wenn de Häide moi blöjd, un de Bookwäide riepd.<br />

Wenn de Kukuk weer röp, dann was et meest Mäi,<br />

un de Häidelerche sö<strong>in</strong>k <strong>in</strong> de Lüfte so frej.<br />

In`t Föörjoar, dann kunn man dä<strong>in</strong> Kurrhaan hören,<br />

wenn de Kiewitten röpen, un sik alles röörde.<br />

Men trök ieter Joar weer de Wijnter <strong>in</strong>`t Land,<br />

Dann verstummde hoast alles <strong>in</strong>`t Häideland.<br />

Hier lööp noch `nen Hasen, en doar noch`n Knien,<br />

en off en to keek ok de Voss moal verbij.<br />

Woll man de Mä<strong>in</strong>schen <strong>in</strong>`t Wijnter besöken,<br />

was`t better dat ij uw de Steewel antröcken.<br />

De Fietze, de bleew up dä<strong>in</strong> Achterdiek stoan,<br />

dat leste Stück muss man tefoote dann goan.<br />

Men alles vergeet, un niks bliw bestoan,<br />

blos de Er<strong>in</strong>nerungen van froager, de bliewt doch bestoan.


Teilung des Hofes Ens<strong>in</strong>k <strong>in</strong> 1650<br />

Hermann Ens<strong>in</strong>k<br />

In der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Hoogstede gibt es zahlreiche<br />

Beispiele für Hofteilungen, auch wenn die Zusammenhänge<br />

durch verschiedene Namenswechsel<br />

heute nicht mehr auf den ersten Blick<br />

zu erkennen s<strong>in</strong>d. Die meisten Hofteilungen s<strong>in</strong>d<br />

ungleiche Teilungen, <strong>in</strong>dem z. B. <strong>e<strong>in</strong></strong> „Hüürmansspill“<br />

(Heuerhaus) oder noch nicht kultivierte<br />

Flächen <strong>e<strong>in</strong></strong>em nachrangigen Erben<br />

vermacht wurden.<br />

E<strong>in</strong> Hofteilungsprotokoll 1 vom 9. Mai 1650<br />

beschreibt die Teilung des „Goets Ens<strong>in</strong>ck“ <strong>in</strong><br />

niederländischer Sprache. Warum sich die Brüder<br />

Herman und Derik den Hof zu gleichen Teilen<br />

ohne erkennbaren E<strong>in</strong>fluss der Eltern<br />

aufteilten, ist <strong>in</strong> den Aufzeichnungen nicht beschrieben.<br />

Wer von den beiden Brüdern der Ältere<br />

war ist ebenfalls nicht bekannt.<br />

Im Protokoll ist von <strong>e<strong>in</strong></strong>em alten und neuen<br />

Haus die Rede. Deriks Frau zog das Los und<br />

bekam das alte Haus, zu dem auch die „Wohnung“<br />

der Eltern gehörte. Das alte Haus ist<br />

heute der Hof Ens<strong>in</strong>k, Am Voresch 1. Herman<br />

erhielt das neue Haus, den jetzigen Hof Harms-<br />

Ens<strong>in</strong>k, Am Voresch 2.<br />

Die Brüder losten die Grundstücke unter<strong>e<strong>in</strong></strong>ander<br />

aus. Die großen Flächen wurden <strong>in</strong> zwei<br />

gleich große Teile geteilt. Als Beispiel: „Dat Lant<br />

op den Sunderkamp zal langes over gedeijlet<br />

woerden en is Derik et noert deel gevallen“ (Das<br />

Land auf dem Sunnerkamp soll längs geteilt<br />

werden, der nördliche Teil ist an Derik gefallen).<br />

Kl<strong>e<strong>in</strong></strong>ere Grundstücke wurden als Ganzes verlost.<br />

Zum Schluss des Protokolls bekunden die<br />

Brüder, dass sie wegen der Teilung des Hofes<br />

niemals vor Gericht ziehen werden.<br />

Die Grundstücke von Harms-Ens<strong>in</strong>k und Ens<strong>in</strong>k<br />

lagen so, wie im Protokoll von 1650 beschrieben,<br />

zum großen Teil bis zum freiwilligen<br />

Landtausch im Jahre 1980 direkt neben<strong>e<strong>in</strong></strong>ander.<br />

Der Familienname Harms-Ens<strong>in</strong>k dürfte s<strong>e<strong>in</strong></strong>en<br />

Ursprung <strong>in</strong> Bathorn haben. Im allgem<strong>e<strong>in</strong></strong>en<br />

Sprachgebrauch und <strong>in</strong> vielen späteren<br />

Aufzeichnungen wird der Hof oft nur „Harms“<br />

HOOGSTEDE UND BATHORN<br />

1 Orig<strong>in</strong>al Hofteilungsprotokoll, erstellt am 12. Juli 1656, aufbewahrt auf dem Hof Ens<strong>in</strong>k, Am Voresch 1<br />

genannt. Die standesamtlichen E<strong>in</strong>tragungen<br />

weisen jedoch den Namen Harms-Ens<strong>in</strong>k aus.<br />

Die Hofstelle am Holunderweg (jetzt van<br />

Tübbergen) ist das ehemalige Heuerhaus von<br />

Harms-Ens<strong>in</strong>k. Der Hof Harms-Ens<strong>in</strong>k, T<strong>in</strong>holt,<br />

erhielt s<strong>e<strong>in</strong></strong>en Namen über den Hof Scholte,<br />

Scheerhorn (jetzt Smit), der zeitweilig durch<br />

E<strong>in</strong>heirat auch Harms-Ens<strong>in</strong>k hieß. Der<br />

bekannte Kaller Lehrer Berend Jan Harms-<br />

Ens<strong>in</strong>k war <strong>e<strong>in</strong></strong> Bruder des ehemaligen Bürgermeisters<br />

Jan Harms-Ens<strong>in</strong>k. Der weitere Bruder<br />

Wilhelm (Wilm) gründete <strong>in</strong> Alexisdorf <strong>e<strong>in</strong></strong>e eigene<br />

Existenz.<br />

Die Eheleute Albert Ens<strong>in</strong>k (*1818) und Gez<strong>in</strong>a<br />

Rolofs (*1820) aus Kalle (jetzt der Hof<br />

Toomsen) trugen wesentlich zur Namensverbreitung<br />

<strong>in</strong> der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Hoogstede bei. 2,3 Drei<br />

der acht K<strong>in</strong>der heirateten <strong>in</strong> Kalle und T<strong>in</strong>holt.<br />

Jan H<strong>in</strong>drik Ens<strong>in</strong>k (*1847) heiratete Hille<br />

Weermann, Kalle, jetzt der Hof Geert Ens<strong>in</strong>k,<br />

Vechtetalstraße 19.<br />

Fredrik Ens<strong>in</strong>k (*1855) heiratete die Schwäger<strong>in</strong><br />

s<strong>e<strong>in</strong></strong>es Bruders, Johanna Krans aus T<strong>in</strong>holt,<br />

jetzt der Hof von Grietje Krans und ihrem<br />

Sohn Albert, Lägen Diek 3. Die älteren K<strong>in</strong>der<br />

bekamen hier den Namen Krans. Durch <strong>e<strong>in</strong></strong>e Gesetzesänderung<br />

musste der jüngste Sohn, Berend,<br />

mit dem Namen Ens<strong>in</strong>k <strong>e<strong>in</strong></strong>geschrieben<br />

werden. Er errichtete die Hofstelle am Koppeldiek<br />

3, die jetzt von s<strong>e<strong>in</strong></strong>em Neffen, Jan Krans<br />

aus Kalle, bewirtschaftet wird.<br />

Gerrit H<strong>in</strong>drik Ens<strong>in</strong>k *1857, war Lehrer <strong>in</strong><br />

Kalle und heiratete Ennegien T<strong>in</strong>holt aus T<strong>in</strong>holt,<br />

jetzt Hof Albert Ens<strong>in</strong>k, Grüntalstr. 4.<br />

Geschirr zur Hochzeit von G. Kranz und H. J. Ens<strong>in</strong>k,<br />

12.01.1877 (Jan Ens<strong>in</strong>k)<br />

2 Bemerkenswert s<strong>in</strong>d Aufzeichnungen nachdem der Brautwagen mit vier Pferden über die bereits Anfang Dezember 1844 zugefrorene Vechte<br />

von Kalle nach Bathorn fahren konnte. (Aufzeichnungen <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong></strong>em alten Psalmbuch, aufbewahrt auf dem Hof Ens<strong>in</strong>k, Am Voresch 1)<br />

3 Wie zu der Zeit üblich gibt es <strong>e<strong>in</strong></strong>en ausführlichen Maakmoalsbreef, nachzulesen <strong>in</strong> Jeur<strong>in</strong>k, Jan (1986). Materialien zur Volkskultur<br />

nordwestliches Niedersachsen. Die Trachten <strong>in</strong> der Niedergrafschaft Bentheim 1875-1950. Cloppenburg: Museumsdorf. Seite 168 ff.<br />

(ISBN 3-923 675-10-0)<br />

161


2<br />

Siedlerhöfe am Rande<br />

des Hochmoores<br />

Johann Kemkers<br />

Von Vorwald nach Scheerhorn –<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong> Hof zieht um<br />

Geert Mathuis<br />

Im Rahmen der Flurber<strong>e<strong>in</strong></strong>igung im Raum<br />

Vorwald, Eschebrügge und Volzel wurden <strong>in</strong>sbesondere<br />

für Straßen, Gräben und W<strong>in</strong>dschutzstreifen<br />

erhebliche zusätzliche Flächen<br />

benötigt. Aus diesem Grund ist unser Betrieb<br />

1964/65 aus Vorwald nach Scheerhorn ausgesiedelt.<br />

In Vorwald bewirtschafteten wir<br />

etwa 20 Hektar auf zwölf verstreut liegenden<br />

162<br />

GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />

Im Rahmen des Emslandplanes entstanden<br />

nach der Kultivierung von Hochmoorflächen<br />

auch im Bereich der jetzigen Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Hoog-<br />

stede <strong>in</strong>nerhalb weniger Jahre neue Bauernhöfe;<br />

sie wurden teils von Neusiedlern, teils<br />

von Aussiedlern übernommen.<br />

Die Höfe reihen sich entlang dem Coevorden-Piccardie-Kanal<br />

von West nach Ost über<br />

den gesamten Hoogsteder Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>debereich<br />

von der R<strong>in</strong>ger bis zur Osterwalder Grenze:<br />

Name Siedlungsjahr Bemerkungen<br />

Bathorn<br />

Hessels, Ernst 1958<br />

Jahnke, Hans 1958<br />

Bloemendal,Hermannes 1961 2008 Neerken, Lambertus<br />

Hessels, Jakobus<br />

Scheerhorn<br />

1965<br />

Maathuis, Geert 1964<br />

Wigger<strong>in</strong>k, Ges<strong>in</strong>e<br />

Berge<br />

1962 1970 Averes, Hermann<br />

Wolts, Gerrit 1964 1965 Evers, H<strong>in</strong>drik; Ranter, Bernd<br />

Voslambers, H<strong>e<strong>in</strong></strong>rich 1962 2006 Osterfeld , Harry<br />

Evers, Egbert 1948 bis 1954 Pachtstelle, danach Siedlerstelle<br />

Teilflächen, die bis zu 15 Kilometer vom Hof<br />

entfernt lagen.<br />

In Scheerhorn bot sich die Möglichkeit, auf<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>em arrondierten Betrieb mit 21 Hektar neu<br />

anzufangen. Zu der Zeit wurden diese Flächen<br />

von der staatlichen Moorverwaltung bewirtschaftet.<br />

Dem Weitblick m<strong>e<strong>in</strong></strong>es Großvaters,<br />

der damals mit 72 Jahren diese Entscheidung<br />

getroffen hat, ist es zu verdanken, dass die<br />

Weichen für den Betrieb Maathuis <strong>in</strong> die Zukunft<br />

gestellt wurden.<br />

Der alte Hof Maathuis<br />

<strong>in</strong> Vorwald<br />

(Maathuis, Scheerhorn)


Der neue Hof <strong>in</strong> Scheerhorn<br />

(Grafschafter Tagesspiegel, 09.06.1966)<br />

Nachdem die Formalitäten mit der Niedersächsischen<br />

Landgesellschaft abgeschlossen<br />

waren, konnte 1963 mit dem Bau der Hofanlage<br />

begonnen werden. Der neue Hof war klar<br />

gegliedert <strong>in</strong> Wohnhaus, Stallungen und Wirtschaftsgebäude<br />

und wurde nach neuesten Erkenntnissen<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>gerichtet. Die Bauzeit betrug<br />

etwa <strong>e<strong>in</strong></strong> Jahr. In dem Jahr mussten sowohl<br />

die Flächen <strong>in</strong> Vorwald als auch hier <strong>in</strong><br />

Scheerhorn bearbeitet werden. Das waren<br />

lange Fahrstrecken von etwa zwanzig Kilometern.<br />

Mit dem Schlepper war man gut <strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />

Stunde unterwegs.<br />

Da landwirtschaftliche Betriebe eher selten<br />

umziehen, war dies <strong>e<strong>in</strong></strong>e große Herausforderung<br />

für die ganze Familie. Der Umzug zog<br />

sich über Monate h<strong>in</strong>. Nach und nach wurden<br />

alle Vorräte und Masch<strong>in</strong>en nach Scheerhorn<br />

HOOGSTEDE UND BATHORN<br />

gebracht. Beim Transport der Milchkühe, des<br />

Jungviehs sowie der Sauen und Ferkel half<br />

unser damaliger Viehhändler mit dem LKW.<br />

Die alten und neuen Nachbarn, Bekannte und<br />

Verwandte unterstützten uns während der<br />

Bauphase und beim Umzug.<br />

M<strong>e<strong>in</strong></strong>e Eltern und m<strong>e<strong>in</strong></strong> Bruder kamen im<br />

Dezember 1964 nach Scheerhorn, m<strong>e<strong>in</strong></strong> Großvater<br />

und die Tante im Februar 1965. Als letzter<br />

kam ich, nachdem das 5. Schuljahr <strong>in</strong><br />

Vorwald abgeschlossen war. In der Zwischenzeit<br />

hatte ich bei Verwandten <strong>in</strong> Volzel gewohnt.<br />

Im Jahre 1968 konnte die Bewirtschaftungsfläche<br />

um neun Hektar vergrößert werden,<br />

nachdem angrenzende Hochmoorflächen<br />

mit <strong>e<strong>in</strong></strong>er Dampflok und <strong>e<strong>in</strong></strong>em Tiefpflug der<br />

Firma Ottomeyer tiefgepflügt worden waren.<br />

Ottomeyer-Pflug mit Dampflokomotive am Feldende<br />

163


2<br />

Aus Zeitung und Anzeigenblatt<br />

1885–1922<br />

Kreisblatt für den Kreis Grafschaft Bentheim<br />

Ausgewählt von Johann Jeur<strong>in</strong>k<br />

E<strong>in</strong> Luftschiff landet 1909 <strong>in</strong> Hoogstede<br />

Neuenhaus, 12. Februar 1909.<br />

Auch unsere abseits liegende Grafschaft wird<br />

mehr und mehr dem modernen Verkehr erschlossen.<br />

Selbst die allermodernsten Verkehrsfahrzeuge,<br />

die Luftschiffe, verirren sich <strong>in</strong><br />

die hiesige Gegend. (Bereits vor <strong>e<strong>in</strong></strong>igen Monaten<br />

konnten wir von <strong>e<strong>in</strong></strong>em Luftschiff berichten,<br />

das hier nahe der holländischen Grenze<br />

niedergegangen war. Am vorigen Dienstag<br />

(09.02.1909) morgens gegen ½6. Uhr landete<br />

im benachbarten Hoogstede <strong>in</strong> unmittelbarer<br />

Nähe der durch das Hochwasser enorm gestiegenen<br />

Vechte das Luftschiff „Essen-Ruhr“, welches<br />

mit zwei Herren, Herrn Direktor Heymann<br />

aus Bochum und Herrn Giersberg aus Wesel,<br />

besetzt war. Die Landung g<strong>in</strong>g glatt vonstatten,<br />

das Luftschiff wurde entleert und per Wagen<br />

zum hiesigen Bahnhof gebracht, um wieder <strong>in</strong><br />

s<strong>e<strong>in</strong></strong>e Heimat zurückbefördert zu werden. Auch<br />

die Insassen des Ballons traten von hier nachmittags<br />

ihre Heimreise an, nachdem sie uns<br />

zuvor ihre Fahrt geschildert und sich im Hotel<br />

Albersmeier von den Strapazen ihrer Nachtfahrt<br />

etwas erholt hatten. – Die Herren waren<br />

des Nachts um ½1 Uhr mit dem – etwa 900 Kubikmeter<br />

fassenden Ballon <strong>in</strong> Essen an der –<br />

Ruhr aufgestiegen, Ihre eigentliche Absicht,<br />

westwärts – nach Belgien zu fahren, konntten<br />

sie nicht ausführen, da - der herrschende W<strong>in</strong>d<br />

den Ballon nach Norden trieb. Die - Luftschiffer<br />

ziehen es vor, des Nachts <strong>in</strong> möglichst ger<strong>in</strong>ger<br />

Höhe zu fahren, und so fuhr auch dieser Ballon<br />

teilweise nur <strong>in</strong> der Höhe von fünf Metern.<br />

Nicht wissend, welch breiter Strom unter<br />

ihnen dah<strong>in</strong>floss, ließen die Insassen den Ballon<br />

an der Vechte bei Hoogstede nieder.<br />

Die Herren gehören dem Niederrh<strong>e<strong>in</strong></strong>ischen<br />

Ver<strong>e<strong>in</strong></strong> für Luftschifffahrt an, <strong>e<strong>in</strong></strong>em der größten<br />

derartigen Ver<strong>e<strong>in</strong></strong>e <strong>in</strong> Deutschland. Im vergangenen<br />

Jahre hat dieser Ver<strong>e<strong>in</strong></strong>, der im Besitze<br />

von zehn Ballons ist, mehr als 200 Fahrten, das<br />

heißt <strong>e<strong>in</strong></strong> Fünftel der gesamten Luftschifffahrten<br />

<strong>in</strong> ganz Deutschland unternommen.<br />

164<br />

Hoogstede, 1. Oktober 1912<br />

Gestern ereignete sich hier <strong>e<strong>in</strong></strong> trauriger Unglücksfall.<br />

Der Dienstknecht Schroven aus<br />

T<strong>in</strong>holt wollte <strong>e<strong>in</strong></strong> Fuder Torf holen. E<strong>in</strong> Rad<br />

des Wagens lief aus. Die Folge davon war,<br />

dass die Pferde durchg<strong>in</strong>gen. Schr. geriet unter<br />

den Wagen und wurde <strong>e<strong>in</strong></strong>e Strecke mit fortgezogen.<br />

Dabei zog er sich derartige Verletzungen<br />

zu, dass er auf dem Transport zum<br />

Krankenhause starb.<br />

T<strong>in</strong>holt, 9.April 1914<br />

Tödlicher Unglücksfall beim Richtfest. Am<br />

gestrigen Dienstag wurde der 21-jährige<br />

Dienstknecht Jeur<strong>in</strong>k das Opfer <strong>e<strong>in</strong></strong>es traurigen<br />

Unglücksfalles. Beim Richten <strong>e<strong>in</strong></strong>es Hauses<br />

fiel <strong>e<strong>in</strong></strong> Geb<strong>in</strong>de herab und traf den J., der<br />

Hülfe beim Richten leistete. Er stürzte bewusstlos<br />

nieder und starb nach wenigen Stunden<br />

an den Folgen <strong>in</strong>nerer Verletzungen.<br />

Bathorn, 31. März 1916<br />

Der J. H. Albers, gegenwärtig zu Bathorn,<br />

macht hiermit bekannt, dass er <strong>in</strong> etwa 4 Wochen<br />

s<strong>e<strong>in</strong></strong>e Rückreise nach Nord-Amerika<br />

(Staat Michigan, via Newyork) antreten werde<br />

und zur Übernahme von Bestellungen dah<strong>in</strong><br />

bereit ist.<br />

Hoogstede-Bathorn, 20. November 1917<br />

Zu <strong>e<strong>in</strong></strong>em ungelegenen Augenblick kam der<br />

Wachtmeister Backhaus auf den Hof <strong>e<strong>in</strong></strong>er<br />

Witwe. E<strong>in</strong>e Sau fraß aus <strong>e<strong>in</strong></strong>em Eimer. Als die<br />

Frau den Wachtmeister kommen sah, riß sie<br />

dem Tier den Eimer fort, lief damit <strong>in</strong> den<br />

Kuhstall, schüttete den Inhalt <strong>in</strong> den Dünger,<br />

trat ihn mit den Füßen h<strong>in</strong><strong>e<strong>in</strong></strong> und rührte ihn<br />

auch noch mit der Hand durch den Dünger.<br />

Der Wachtmeister konnte aber noch feststellen,<br />

dass das Futter im Eimer Roggenschrot<br />

und Kartoffeln enthalten hatte. Das Schöffengericht<br />

verurteilte die Frau zu 50 Mk. Strafe.<br />

Auf die Berufung des Amtsanwalts, dem die<br />

Strafe zu ger<strong>in</strong>g erschien, erhöhte die Strafkammer<br />

die Strafe auf 100 Mk.<br />

Hoogstede, 9. Februar 1921<br />

Turnen, Spiel und Sport. Wie <strong>in</strong> den anderen<br />

<strong>Ort</strong>en der Grafschaft hat sich auch hier vor ei-


nigen Wochen <strong>e<strong>in</strong></strong> Spiel- und Sportver<strong>e<strong>in</strong></strong> gegründet.<br />

Am Sonntag, 6. d. Mts. weilte <strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />

Mannschaft des Sportver<strong>e<strong>in</strong></strong> Veldhausen zu<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>em Gesellschaftsspiel zu Gaste. Das Spiel<br />

machte <strong>e<strong>in</strong></strong>en <strong>in</strong>teressanten E<strong>in</strong>druck und<br />

schloß unter <strong>e<strong>in</strong></strong>wandfreier Leitung des unparteiischen<br />

Schiedsrichters. Da Hoogstede<br />

nur mit 8 Spielern antrat, verlief das Spiel mit<br />

7:2 zu Gunsten Veldhausens. Trotz des kurzen<br />

Bestehens des Hoogsteder Ver<strong>e<strong>in</strong></strong>s war schon<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong> gutes Zusammenspiel festzustellen.<br />

Hoogstede, 18. Oktober 1921<br />

Von Glück im Unglück konnte heute der<br />

Pächter H. Bielefeld, T<strong>in</strong>holt sprechen. Er<br />

wollte mit s<strong>e<strong>in</strong></strong>er Schwäger<strong>in</strong> im Kleedwagen<br />

zu Besuch nach R<strong>in</strong>ge. Auf der Straße beim<br />

Vorsteher Köster Hoogstede lief ihm <strong>e<strong>in</strong></strong> Vorderrad<br />

vom Wagen ab, und der Wagen kippte.<br />

Das Pferd wurde scheu und g<strong>in</strong>g durch, die<br />

zerbrochene Wagendeichsel h<strong>in</strong>ter sich her<br />

schleifend. Im rasenden Galopp lief es über<br />

den Schulplatz, durch den Garten des Lehrers<br />

Voltmer, kaum <strong>e<strong>in</strong></strong> Meter weit an dem hier<br />

spielenden etwa 1½ jährigen Töchterchen des<br />

Lehrers vorbei und sprang über <strong>e<strong>in</strong></strong>en 1 ½<br />

Meter hohen Drahtzaun. Hier konnte das<br />

Pferd h<strong>in</strong>ter der Lehrerwohnung wieder <strong>e<strong>in</strong></strong>gefangen<br />

werden. Die beiden Wagen<strong>in</strong>sassen<br />

kamen mit den Schrecken davon. Da es kurz<br />

vor 12 Uhr war, waren die K<strong>in</strong>der zum Glück<br />

<strong>in</strong> der Schule. Das Pferd blieb unbeschädigt.<br />

Man hört <strong>in</strong> letzter Zeit verschiedentlich, dass<br />

der „Boß“ von halbwüchsigen Jungen herausgezogen<br />

wird. Sehe <strong>e<strong>in</strong></strong> jeder deshalb vor der<br />

Wegfahrt zu, ob s<strong>e<strong>in</strong></strong> Wagen <strong>in</strong> Ordnung ist.<br />

Hoogstede, 23. September 1922<br />

Eisenbahntransportgefährdung – Glänzende<br />

Arbeit d. Polizeihünd<strong>in</strong> „Flora“. Am Abend des<br />

Mittwoch waren von unbekannter Hand mehrere<br />

Kartoffelkörbe so auf die Schienen der<br />

Kreisbahn gelegt, dass der Abendzug 22 und<br />

der Morgenzug 11 dadurch gefährdet wurden.<br />

Um den Urheber dieser mehr als leichts<strong>in</strong>nigen<br />

Tat zu ermitteln, beschloß man, <strong>e<strong>in</strong></strong>en Polizeihund<br />

zu Hülfe zu nehmen. Donnerstag nachmittag<br />

3 Uhr erschien Herr Polizei Betr.<br />

Assistent Schwanengel aus Nordhorn mit sei-<br />

HOOGSTEDE UND BATHORN<br />

ner „Flora“, siebzehn Stunden nach der Tat!<br />

Das famose Tier nahm an <strong>Ort</strong> und Stelle Witterung<br />

auf und verfolgte die Spur fünfhundert<br />

Meter weit, lief dann <strong>in</strong> das Haus des Kolonen<br />

Warmer <strong>in</strong> Hoogstede, eilte wieder h<strong>in</strong>aus und<br />

rannte auf den Acker. Hier sprang der Hund auf<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong>en Wagen, auf dem der Dienstknecht Jan<br />

H<strong>in</strong>drik E. saß. Zweimal wiederholte er s<strong>e<strong>in</strong></strong>en<br />

Ansprung gegen diesen. E. wurde daraufh<strong>in</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>e<strong>in</strong></strong> Kreuzverhör genommen und gestand nach<br />

anfänglichem Leugnen s<strong>e<strong>in</strong></strong>e Tat <strong>e<strong>in</strong></strong>. Als Grund<br />

gab er an, mit <strong>e<strong>in</strong></strong>em gewissen H. <strong>in</strong> Hoogstede<br />

Krach gehabt zu haben. Um diesen fälschlicherweise<br />

bezichtigen zu können, will er die<br />

Körbe auf den Schienen befestigt haben. Der<br />

Streich wird ihm sicher teuer zu stehen kommen,<br />

da er sich demnächst vor Gericht wegen<br />

Eisenbahntransportgefährdung zu verantworten<br />

haben wird. Wenn es aber gelungen ist, die<br />

Tat so schnell restlos aufzuklären, so muss das<br />

lediglich der glänzenden Arbeit des Nordhorner<br />

Polizeihundes zugeschrieben werden.<br />

Hoogstede, 12. Dezember 1923<br />

E<strong>in</strong> genussreicher Abend steht uns bevor. Am<br />

Dienstag, 18. Dezember, wird Herr Carl van der<br />

L<strong>in</strong>de, der als plattdeutscher Dichter schon<br />

große Erfolge aufzuweisen hat, <strong>in</strong> der Hoogsteder<br />

Schule neue Gedichte und Vertellsels<br />

vortragen. Um 7 Uhr abends wird die Schule<br />

geöffnet, und um 7 ½ Uhr beg<strong>in</strong>nen die Vorträge.<br />

Jeder Besucher hat <strong>e<strong>in</strong></strong>ige Pfund Roggen<br />

oder aber sonstige Lebensmittel mitzubr<strong>in</strong>gen,<br />

doch wird auch deutsches oder holländisches<br />

Geld nicht zurückgewiesen werden.<br />

Hoogstede, 9. Mai 1924<br />

Auf Anregung des Präsidenten des hiesigen<br />

Kriegerver<strong>e<strong>in</strong></strong>s wurde dem Ehepaar W. Scholte<br />

<strong>in</strong> Scheerhorn, welches am 16. April das<br />

seltene Fest der goldenen Hochzeit begehen<br />

konnte, nachträglich vom Reichspräsidenten<br />

<strong>e<strong>in</strong></strong> Glückwunschschreiben und <strong>e<strong>in</strong></strong>e Ehrengabe<br />

von 30 Mark übersandt. W. Scholte ist<br />

Kriegsteilnehmer von 1870/71.<br />

Hoogstede, 24. Mai 1924<br />

Herr Rechtsanwalt Arends, der den Landwirt<br />

W. vor dem Schöffengericht verteidigte, …<br />

165


2<br />

führte darüber h<strong>in</strong>ausgehend an, dass nach<br />

dem Gesetzblatt vom 6. Mai 1924 die Verfütterungsvorschriften<br />

aufgehoben seien. Der Beklagte<br />

könne also gar nicht mehr bestraft<br />

werden, da das Verfüttern von Brotgetreide<br />

nicht mehr strafbar sei. Das Gericht schloß sich<br />

dieser Auffassung an und kam zum kostenlosen<br />

Freispruch. – Die Aufhebung des Fütterungsverbotes<br />

von Brotgetreide lässt den letzten<br />

Zipfel der Brotgetreidezwangswirtschaft fallen,<br />

und die Landwirte können mit ihren Erzeugnissen<br />

wieder frei schalten und walten, ungehemmt<br />

von lästigen und hemmenden Vorschriften,<br />

deren Beseitigung unter den gegenwärtigen<br />

Umständen längst angebracht schien.<br />

166<br />

GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />

Hoogstede, 22. März 1926<br />

Der hiesige landw. <strong>Ort</strong>sver<strong>e<strong>in</strong></strong>, Zweigver<strong>e<strong>in</strong></strong><br />

des Emsländischen Bauernver<strong>e<strong>in</strong></strong>s, hat sich<br />

mit Schluß des Jahres 1925 aufgelöst, da den<br />

Mitgliedern durchweg die Beiträge als zu hoch<br />

erschienen.<br />

Hoogstede, 18. Januar 1921<br />

Wegen Jagdvergehens wurde der Haussohn S.<br />

vom Schöffengericht Neuenhaus zu 50 Mk.<br />

Geldstrafe und zur E<strong>in</strong>ziehung s<strong>e<strong>in</strong></strong>es bei der<br />

unberechtigten Jagdausübung benutzten Gewehres<br />

verurteilt. Es wurde ihm weiter zur<br />

Last gelegt, durch leichts<strong>in</strong>niges Umgehen mit<br />

Feuer im Torfmoor <strong>e<strong>in</strong></strong>en großen Moorbrand<br />

Bentheim, 10. Januar 1901<br />

Vorläufige Übersicht über das Ergebnis der Volkszählung am 1. Dezember 1900<br />

Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Wohnhäuser Haushalt. Bevölkerung ev.ref. röm.kath. luth. altref.<br />

bewohnt unbew. m. w.<br />

Berge 17 0 17 45 48 81 10 2 0<br />

Hoogstede-Bath. 97 0 95 263 253 373 88 6 49<br />

Kalle 40 0 40 110 107 134 35 0 48<br />

Scheerhorn 50 1 51 138 116 213 41 0 0<br />

T<strong>in</strong>holt 37 2 37 104 95 112 62 0 35<br />

Bentheim, den 5. Januar 1903<br />

Übersicht über das Ergebnis der Viehzählung am 1. Dezember 1902<br />

Namen der Zahl der Gehöfte Zahl der nicht- Pferde R<strong>in</strong>dvieh Schafe Schw<strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />

Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den Überhaupt/mit Vieh besitzenden<br />

bestand Haushaltungen<br />

Berge 17 17 17 29 98 1 111<br />

Kalle 40 40 40 37 241 173 221<br />

Hoogstede/Bathorn 96 86 86 74 402 316 550<br />

Scheerhorn 45 42 42 46 198 161 224<br />

T<strong>in</strong>holt 37 36 36 42 192 7 306<br />

Die Ergebnisse der Volkszählung vom 16. Juni 1925 für den Kreis Grafschaft Bentheim<br />

1925 1919 1910<br />

Berge 129 124 112<br />

Hoogstede-Bathorn 627 557 520<br />

Kalle 269 266 229<br />

Scheerhorn 219 230 227<br />

T<strong>in</strong>holt 253 241 205<br />

Die Gesamt<strong>e<strong>in</strong></strong>wohnerzahl der Grafschaft<br />

Bentheim beträgt 50.192. Seit<br />

der letzten Zählung am 3. Oktober<br />

1919 ist die Zahl von 44.345 um 5.847<br />

auf 50.192 gestiegen.


hervorgerufen zu haben. Dafür war aber <strong>e<strong>in</strong></strong><br />

Beweis nicht zu erbr<strong>in</strong>gen, und so wurde S.<br />

von dieser Anklage freigesprochen.<br />

Hoogstede, 9. September 1922<br />

Wegen Jagdvergehen hatte sich der Landwirt<br />

H. von hier vor dem Schöffengericht Neuenhaus<br />

zu verantworten. Wir hatten den Vorgang<br />

bereits gemeldet. H. gab zu, <strong>in</strong> der<br />

Schonzeit sechs oder sieben Hasen erlegt und<br />

verkauft zu haben. Das Urteil lautete auf 800<br />

Mk. Geldstrafe, E<strong>in</strong>ziehung des beschlagnahmten<br />

Gewehrs und des Jagdgeräts. Die<br />

Geldstrafe blieb <strong>in</strong> dieser Grenze, weil H. <strong>in</strong><br />

ärmlichen Verhältnissen lebt.<br />

HOOGSTEDE UND BATHORN<br />

Hoogstede, 2. Oktober 1922<br />

Das Fischen mit gifthaltigen Stoffen wird leider<br />

ab und zu <strong>in</strong> der Grafschaft ausgeübt. Mit<br />

Recht wird scharf Obacht auf diese Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>heit<br />

gegeben, die unserm ohneh<strong>in</strong> schon arg<br />

zusammengeschmolzenem Fischbestande zum<br />

Verderben gereicht. Vor <strong>e<strong>in</strong></strong>iger Zeit wurde<br />

hier <strong>e<strong>in</strong></strong> gewisser L. dabei ertappt. E<strong>in</strong> Strafbefehl<br />

war die Folge.<br />

167


2<br />

168<br />

GESCHICHTE DER ORTSTEILE

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