Arkel â ein historischer Ort - Evangelisch-altreformierte Kirche in ...
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Geschichte<br />
der <strong>Ort</strong>steile<br />
2
2<br />
Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>dewappen<br />
Hoogstede<br />
Johann Kemkers<br />
Seit dem Jahre 1991 verfügt die Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de<br />
Hoogstede über <strong>e<strong>in</strong></strong> Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>dewappen.<br />
Es wurde von dem<br />
Heraldiker Theo Lorenz aus Norden<br />
entworfen und durch das<br />
Niedersächsische Staatsarchiv<br />
<strong>in</strong> Osnabrück befürwortet.<br />
Das nur <strong>in</strong> Gold und Rot gestaltete<br />
Wappen ist schrägl<strong>in</strong>ks geteilt. Im oberen<br />
Feld bef<strong>in</strong>det sich <strong>e<strong>in</strong></strong> rotes Wiederkreuz<br />
auf goldfarbenem Grund. In das untere rote<br />
Feld s<strong>in</strong>d sieben goldene Kugeln entlang der<br />
Teilungsl<strong>in</strong>ie <strong>in</strong> Reihe gesetzt.<br />
Die Zeichen des Wappens s<strong>in</strong>d so zu verstehen:<br />
Die aufwärts gerichtete Teilungsl<strong>in</strong>ie<br />
mit dem Wiederkreuz vers<strong>in</strong>nbildlicht <strong>e<strong>in</strong></strong>erseits<br />
das für die Mittelpunktsbildung bedeutsame<br />
historische Ereignis der Versetzung der<br />
<strong>Kirche</strong> von <strong>Arkel</strong> zur „hoogen stee“ im Jahre<br />
1821. Andererseits steht die Grundrichtung<br />
für <strong>e<strong>in</strong></strong>e zukunftsorientierte aufstrebende Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de.<br />
Hoogsteder<br />
Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>dewappen<br />
von 1991<br />
52<br />
Das Wiederkreuz wurde wegen der<br />
vier <strong>Kirche</strong>n im zentralen Kirchspielort<br />
HOOGSTEDE gewählt.<br />
Es drückt sowohl die Eigenständigkeit<br />
der vier <strong>Kirche</strong>n<br />
(evange lisch-reformiert, e v an -<br />
ge lisch-altreformiert, evangelischlutherisch,<br />
römisch-katholisch) als auch<br />
ihre Verbundenheit aus.<br />
Gold-Rot und die goldenen Kugeln stellen<br />
die Verb<strong>in</strong>dung zur Grafschaft Bentheim her<br />
und weisen <strong>in</strong>sbesondere auf die sieben <strong>Ort</strong>e der<br />
Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de h<strong>in</strong>: <strong>Arkel</strong>, Bathorn, Berge, Hoog -<br />
stede, Kalle, Scheerhorn, T<strong>in</strong>holt.
<strong>Arkel</strong> –<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong> <strong>historischer</strong> <strong>Ort</strong><br />
Bearbeitet von Gerrit Jan Beuker und Johann Kemkers<br />
Edel 1953 über die<br />
Herrlichkeit Emlichheim<br />
Ludwig Edel schreibt im Jahrbuch 1953 des<br />
Heimatver<strong>e<strong>in</strong></strong>s (S. 34 ff.) über die Herrlichkeit<br />
Emlichheim. Die Gildschaft Scheerhorn und<br />
mit ihr alle <strong>Ort</strong>steile der heutigen Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de<br />
Hoogstede gehörten immer zu Emlichheim.<br />
Für Edel ist es sogar erwiesen, dass der Haupthof<br />
der Herrlichkeit nicht bei der <strong>Kirche</strong> <strong>in</strong> Emlichheim<br />
lag, sondern <strong>in</strong> <strong>Arkel</strong>. Edel schreibt:<br />
„Bekanntlich hatte Emlichheim von 1324 bis<br />
1440 eigene Herren <strong>in</strong> den Herren von Borkelo-Gramsbergen.<br />
1440 mußten sie es nicht<br />
ohne ziemlichen Druck wieder für 2.000 goldene<br />
alt-fränkische Schilde an den Bentheimer<br />
Grafen abtreten. Seit der Zeit gehört es<br />
also wieder unbestritten zur Grafschaft Bentheim,<br />
wenn auch als selbständiges Reichslehen.<br />
Haupthof der Herrlichkeit<br />
Zunächst mal ergibt sich aus den Urkunden, dass<br />
der Haupthof der Herrlichkeit nicht bei der <strong>Kirche</strong><br />
lag, sondern <strong>in</strong> dem stromaufwärts gelegenen<br />
<strong>Arkel</strong>. 1324 heißt der Hof to <strong>Arkel</strong>o, 1440<br />
der Hoff to <strong>Arkel</strong>o und 200 Jahre später der<br />
Schultenhof zu <strong>Arkel</strong>. Visch schreibt dazu: „In<br />
de boerschap <strong>Arkel</strong> is eene Kapel, war<strong>in</strong> de predikanten<br />
van Emmelenkamp, op bepaalde tijden<br />
den Godsdienst moeten verigten. In deze boerschap<br />
was <strong>in</strong> vroegere eeuwen eene riderburg,<br />
waarvan man <strong>in</strong> latere tijden nog overblijfsels<br />
gevonden heeft“. (In der Bauerschaft <strong>Arkel</strong> steht<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>e Kapelle, <strong>in</strong> der die Pastoren von Emlichheim<br />
zu bestimmten Zeiten den Gottesdienst leiten<br />
müssen. In dieser Bauerschaft stand <strong>in</strong> früheren<br />
Jahrhunderten <strong>e<strong>in</strong></strong>e Ritterburg, von der man <strong>in</strong><br />
späteren Zeiten noch Überreste gefunden hat.)<br />
Möller m<strong>e<strong>in</strong></strong>t: Hier befand sich schon früh <strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />
dem heiligen Antonius geweihte Kapelle.<br />
Schließlich verarbeitet das Stokmann zu<br />
folgendem S<strong>in</strong>n: Der Hof zu <strong>Arkel</strong> sei <strong>in</strong> der<br />
Folgezeit zu <strong>e<strong>in</strong></strong>er schlossartig befestigten<br />
Burg ausgebaut worden, von welcher nach<br />
Vischs Mitteilung zu s<strong>e<strong>in</strong></strong>er Zeit (um 1820)<br />
noch Trümmerreste vorhanden waren. Neuere<br />
Schriftsteller wollen sogar dort <strong>e<strong>in</strong></strong> römisches<br />
Bürgel (arcellum) vermuten.<br />
Dass es der Haupthof der Herrlichkeit war,<br />
dürfte allerd<strong>in</strong>gs nicht zu bezweifeln s<strong>e<strong>in</strong></strong>. Was<br />
gehörte aber noch mehr dazu? Nach der Urkunde<br />
von1324 drei Bauernerben, zwei Kotten,<br />
der sog. Scheerhorner Zehnte und die<br />
hohe und niedere Gerichtsbarkeit <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong></strong>em<br />
genau beschriebenen Bezirk.<br />
Hofnamen aus 1324, 1440 und 1635<br />
Stokmann m<strong>e<strong>in</strong></strong>t, es sei unmöglich, die <strong>e<strong>in</strong></strong>zelnen<br />
Bauernhäuser zu bestimmen. Mit Hilfe<br />
des bentheimischen Lagerbuches und ortskundiger<br />
Mitglieder unseres Heimatver<strong>e<strong>in</strong></strong>s<br />
wollen wir es aber doch versuchen. Da ist zunächst<br />
dat hues to Wermer<strong>in</strong>k to Honsteden,<br />
heißt 1440 dat Erve to Werm<strong>in</strong>ck, 1635 Wermer<br />
und jetzt wohl Warmer.<br />
Dat Hues to Anebrocke von 1324 ist 1440<br />
dat Erve to Anebroke und 1635 Hannebrok. Dat<br />
Hues to Herverd<strong>in</strong>k aus der ungenauen Abschrift<br />
von 1324 ist 1440 dat Erve to Herwerd<strong>in</strong>ck<br />
und 1635 Hemmeke. Dat Kreppes Kote<br />
von 1324 ist <strong>e<strong>in</strong></strong> Koten geheyten Krepeschote<br />
geworden und später Kroppschott <strong>in</strong> Kalle. Dat<br />
Rutkote ist 1440 <strong>e<strong>in</strong></strong> Koten to <strong>Arkel</strong>o und wohl<br />
später Volcker zu Arckel oder Lütke Arckel.<br />
53
2<br />
1440 werden aber noch als weitere Zubehöre<br />
genannt: „dat Erve to Brünynk, dat Erve<br />
to Ruetger<strong>in</strong>ck, twe Erve to Over<strong>in</strong>ck, dar Roleff<br />
enn H<strong>in</strong>rich syn Soene nu ton tyd oppe<br />
wonet, dat Erve Oesmann<strong>in</strong>ck und Dyderk<strong>in</strong>ck<br />
<strong>in</strong> den Dorpe to Empnichem, den Hoff to<br />
Echtler und den Hoff to Eyck<strong>in</strong>chorst."<br />
Im Pachtregister von 1635 ersch<strong>e<strong>in</strong></strong>t Brün<strong>in</strong>gh<br />
mit 6 Müdde Roggenpacht, Röttger<strong>in</strong>gh<br />
mit 3 Müdde und 3 Scheffel, Oever<strong>in</strong>gh mit<br />
sogar 24 Müdde Roggen. Oesman<strong>in</strong>k ist vielleicht<br />
Nam<strong>in</strong>k mit 13½ Müdde Roggenpacht,<br />
Eik<strong>in</strong>khorst, jetzt Ekenhorst <strong>in</strong> Heesterkante<br />
mit 4 Müdde Roggenpacht.<br />
Nach 1440 s<strong>in</strong>d folgende neue Namen h<strong>in</strong>zugekommen:<br />
Kampert, Struwe, Zechelhorn,<br />
Lutterman, Meierman und Blomendael, ferner<br />
Suwerman mit 7½ Müdde Roggen Pacht und<br />
der Schulte zu Scherhorn mit 18 Müdde Pacht.<br />
Der Scherhorner Zehnt ist noch genau bekannt:<br />
Suwermans Zehend 11 Müdde Roggen,<br />
Schulten Zehend 11 M., Hannebrocks Zehend<br />
4½ M., Calmans Zehend 4½ M., Wulff<strong>in</strong>gs<br />
Zehend 3½ M. Hierzu schreibt der Rentmeister:<br />
‘Diese Zehenden werden ausgenommen,<br />
sonsten sch<strong>e<strong>in</strong></strong>t, daß sie <strong>in</strong> Vorzeiten für so<br />
viel Roggen den Leuten gelassen und verpachtet<br />
gewesen.’<br />
Grenzen der Herrlichkeit Emlichheim<br />
Die Grenzen der Gerichtsbarkeit oder des God<strong>in</strong>kspiels<br />
Emmen<strong>in</strong>ghem erstrecken sich von<br />
den drei Paren oder Palen gegenüber der niederländischen<br />
Grenze bei Coevorden vechteaufwärts<br />
bis zum Scherhorner Kamp. Auf der<br />
l<strong>in</strong>ken Seite des Stroms von der sog. Holthemer<br />
Schl<strong>in</strong>ge gegenüber der niederländischen<br />
Bauerschaft Holtheme bis zur Hildener Brügge,<br />
wo der Bezirk des Gogerichts Uelsen beg<strong>in</strong>nt.“<br />
<strong>Arkel</strong>, <strong>e<strong>in</strong></strong> römischer Stützpunkt<br />
(14. Januar 1950) E<strong>in</strong> Fleckchen<br />
Erde, das Geschichte erlebte<br />
5. Jahrgang, Sonnabend, den 14. Januar 1950<br />
Artikel von 1950<br />
In <strong>e<strong>in</strong></strong>em Zeitungsartikel vom 14. Januar 1950<br />
schreibt <strong>e<strong>in</strong></strong> H.-R. S. unter der Überschrift<br />
„<strong>Arkel</strong>, <strong>e<strong>in</strong></strong> römischer Stützpunkt? E<strong>in</strong> Fleckchen<br />
Erde, das Geschichte erlebte“ die nach-<br />
54<br />
GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />
folgende Abhandlung. Um welche Zeitung<br />
oder Zeitungsbeilage es dabei geht, ist leider<br />
unbekannt. Wohl ist ersichtlich, dass es um<br />
den 5. Jahrgang dieser Zeitung(sbeilage?) geht.<br />
Es heißt dort:<br />
„Wenn man am Vechteufer <strong>in</strong> Kalle steht<br />
und auf <strong>Arkel</strong> blickt, dann sieht man mehrere<br />
Höfe stehen, <strong>e<strong>in</strong></strong>gefasst und geschmückt von<br />
wuchtigen Eichen und schlanken Pappeln. E<strong>in</strong><br />
Weg schlängelt sich an den Häusern vorbei<br />
und <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong></strong>er Furt nach Kalle h<strong>in</strong>über. Er ist<br />
wenig befahren, der Verkehr fließt heute bei<br />
Hoogstede über die Brücke.<br />
Vor mehreren Jahren kam ich als Fremder<br />
an dieser Siedlung vorüber und fand gar<br />
nichts besonderes an ihr. Nur an <strong>e<strong>in</strong></strong>er Scheune<br />
lagen mitten im Bauschutt vergangener Jahre<br />
gesprungene Sandst<strong>e<strong>in</strong></strong>stücke. Ich fragte mich:<br />
Wie kommen die hier h<strong>in</strong>? Später las und<br />
hörte ich manches von <strong>Arkel</strong> und konnte vieles<br />
verstehen, denn dieses Fleckchen Grafschafter<br />
Erde hat Geschichte erlebt.<br />
Es begann <strong>in</strong> der Römerzeit. Die Söldner<br />
des „Ewigen Roms" kamen auf <strong>e<strong>in</strong></strong>igen kl<strong>e<strong>in</strong></strong>en<br />
Kriegszügen mit Schiffen flussaufwärts<br />
gefahren und g<strong>in</strong>gen an dieser Furt mit dem<br />
hohen Ufer im Osten an Land. Hier stapelten<br />
die Krieger ihre Vorräte, befestigten den Platz<br />
und drangen im Fußmarsch land<strong>e<strong>in</strong></strong>wärts <strong>in</strong><br />
Richtung L<strong>in</strong>gen vor. Aus dem ursprünglichen<br />
Lagerplatz aber wurde allmählich <strong>e<strong>in</strong></strong> römischer<br />
Stützpunkt.<br />
Seitdem verg<strong>in</strong>gen tausend Jahre. Um<br />
1000 n. Chr., so erzählen uns alte Urkunden,<br />
wohnen auf dem Edelhofe <strong>Arkel</strong>o die Herren<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>es alten Rittergeschlechts, die sich bis <strong>in</strong>s<br />
späte Mittelalter „Herren von <strong>Arkel</strong>" nennen.<br />
Sie sitzen wahrsch<strong>e<strong>in</strong></strong>lich schon lange hier,<br />
vererben auf den jeweils ältesten Sohn den<br />
Vornamen Johann und sorgen durch wackere<br />
Taten und kluge Verträge dafür, dass Chroniken<br />
und Urkunden recht viel von ihnen berichten.<br />
(De Vita et Rebus gestis Dom<strong>in</strong>orum<br />
de <strong>Arkel</strong>). E<strong>in</strong> Johann VII. von <strong>Arkel</strong> wird <strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />
bemerkenswerte Persönlichkeit. Er ist mütterlicherseits<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong> Enkel des Grafen Baldu<strong>in</strong> von<br />
Flandern und heiratet <strong>e<strong>in</strong></strong>e Enkel<strong>in</strong> des Grafen<br />
Otto IV. von Bentheim. Nach <strong>e<strong>in</strong></strong>em bewegten<br />
Leben und häufigen Fehden stirbt er 1241.
Noch höher steigt s<strong>e<strong>in</strong></strong> Nachkomme, der im<br />
Jahre 1343 den soeben zum Kard<strong>in</strong>al ernannten<br />
Italiener Nicolaus Capusi auf dem Stuhl<br />
des Fürstbischofs von Utrecht ablöst. Er nennt<br />
sich als <strong>Kirche</strong>nfürst „Johann IV. von <strong>Arkel</strong>“,<br />
kauft 1346 aus dem Besitz des Ritters Hermann<br />
von Lage die Herrlichkeit Lage und wird 1364<br />
Bischof von Lüttich.<br />
Die Furt durch die Vechte, die gute Lage<br />
am schiffbaren Fluss und der Herrenhof brachten<br />
es wohl mit sich, dass schon frühzeitig <strong>in</strong><br />
<strong>Arkel</strong> <strong>e<strong>in</strong></strong>e kl<strong>e<strong>in</strong></strong>e Kapelle erbaut wurde. Sie<br />
war dem Heiligen Antonius geweiht und blieb<br />
bis lange nach der Reformation als Tochterkirche<br />
von Emlichheim abhängig. E<strong>in</strong> Geistlicher<br />
aus dem sieben Kilometer entfernten<br />
Kirchflecken versah hier den Gottesdienst.<br />
End lich konnte im September 1819 der erste<br />
eigene Prediger für die Kapelle angestellt werden,<br />
und der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>debezirk durfte sich<br />
„Kirchspiel <strong>Arkel</strong>" nennen.<br />
Die Wohnung des Pastors soll damals bei<br />
Jeur<strong>in</strong>ks Haus gestanden haben, <strong>e<strong>in</strong></strong>em ungefügen,<br />
schmucklosen Bau mit dicken Wänden.<br />
Die Kapelle selbst hatte auf dem Hügel vor der<br />
Scholtenschen Hofanlage ihren Platz. Beim<br />
zufälligen Graben fand dort <strong>e<strong>in</strong></strong> Bauer Geb<strong>e<strong>in</strong></strong>reste,<br />
die darauf schließen lassen, dass <strong>in</strong><br />
der Nähe der Kapelle Gräber waren. Das Gotteshaus<br />
wurde 1821 nach Hoogstede verlegt.<br />
Heute s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> <strong>Arkel</strong> kaum noch D<strong>in</strong>ge vorhanden,<br />
die an diese Geschehnisse er<strong>in</strong>nern.<br />
Am Hügel, auf dem die Kapelle stand, liegt<br />
noch alter Bauschutt, und dazwischen f<strong>in</strong>den<br />
ARKEL – EIN HISTORISCHER ORT<br />
sich <strong>e<strong>in</strong></strong>ige zersprungene Sandst<strong>e<strong>in</strong></strong>stücke und<br />
Granitbrocken. Vielleicht rühren sie vom Abbruch<br />
der Kapelle her, da sie zum Wiederaufbau<br />
nicht mehr gebraucht werden konnten. In<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>em Namen aber lebt noch das Andenken<br />
an <strong>e<strong>in</strong></strong>e größere Zeit der kl<strong>e<strong>in</strong></strong>en Siedlung fort,<br />
im Hoogsteder „Kirchspiel <strong>Arkel</strong>". H.-R. S.<br />
(Wir konnten leider nicht herausf<strong>in</strong>den, wer<br />
H.-R. S ist, noch <strong>in</strong> welcher Zeitung dieser<br />
Beitrag 1950 erschienen ist.)<br />
<strong>Arkel</strong> – Archäologische Notgrabung<br />
Irmgard Maschmeyer (Jahrbuch des Heimatver<strong>e<strong>in</strong></strong>s<br />
1996, 285–290).<br />
Die Frühgeschichte von <strong>Arkel</strong> ist weitgehend<br />
unbekannt. Berücksichtigt man die Lage unmittelbar<br />
an der Vechte sowie noch spärlich<br />
vorhandene H<strong>in</strong>weise auf <strong>e<strong>in</strong></strong>en Hügel an dieser<br />
Stelle, so darf man vermuten, dass hier<br />
früher <strong>e<strong>in</strong></strong>e Turmhügelanlage, <strong>e<strong>in</strong></strong>e sogenannte<br />
Motte, gelegen hat, wie wir sie auch von anderen<br />
Adelssitzen an der Vechte, z.B. Ohne,<br />
Brandlecht, Poaskeberg bei Neuenhaus kennen.<br />
Derartige Befestigungen dienten <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie<br />
dem Schutz der herrschaftlichen Rechte auf der<br />
Vechte, an ihren Uferwegen und Furten.<br />
Die Vermutung, <strong>in</strong> <strong>Arkel</strong> habe es sich um<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>e Ritterburg gehandelt, ist somit wahrsch<strong>e<strong>in</strong></strong> -<br />
lich; besser ist die Bezeichnung Herrensitz.<br />
Erstmals namentlich erwähnt wird <strong>Arkel</strong><br />
1326, als der Graf von Bentheim neben anderen<br />
Höfen auch den Hof te <strong>Arkel</strong>o an Gottfried<br />
von Borculo als Lehen verkauft und ihn<br />
1346 auch mit dem Gogericht <strong>in</strong> Emlichheim<br />
St<strong>e<strong>in</strong></strong>metzzeichen<br />
an der <strong>Kirche</strong><br />
<strong>in</strong> Hoogstede<br />
(Irmgard Maschmeyer)<br />
55
2<br />
belehnt. Die Bezeichnung „Hof to ...“ besagt<br />
fast immer, dass es sich um <strong>e<strong>in</strong></strong>en Herrenhof<br />
handelte. Die Herrlichkeit Emlichheim gehörte<br />
seit 1326 den von Borculo, die sich später<br />
auch von Gramsbergen nannten. Bemerkenswert<br />
ist jedoch, dass der Herrenhof nicht etwa<br />
bei der Pfarrkirche <strong>in</strong> Emlichheim lag, sondern<br />
<strong>in</strong> <strong>Arkel</strong>. Bei Rückkauf der Herrlichkeit<br />
Emlichheim und <strong>Arkel</strong>s durch den Grafen von<br />
Bentheim 1440 ist wiederum vom Hof te <strong>Arkel</strong>o<br />
die Rede; erst etwa 200 Jahre später wird<br />
der Schultenhof to Arckelo erwähnt; dabei<br />
handelt es sich wohl zweifellos um den gleichen<br />
Hof.<br />
Die Vermutung, dass das <strong>in</strong> den Niederlanden<br />
namhafte Geschlecht der van <strong>Arkel</strong><br />
von dem Herrensitz <strong>Arkel</strong> abstammt, ist erlaubt,<br />
aber nicht bewiesen. Jan van <strong>Arkel</strong> war<br />
ab 1342 Bischof von Utrecht; er erbaute die<br />
Burg <strong>Arkel</strong>st<strong>e<strong>in</strong></strong> bei Bathmen 1361. Diese Burg<br />
kann also kaum der namengebende Stammsitz<br />
der van <strong>Arkel</strong> s<strong>e<strong>in</strong></strong>.<br />
Seit Menschengedenken stand <strong>in</strong> <strong>Arkel</strong><br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>e Kapelle, <strong>e<strong>in</strong></strong> stattlicher Bau aus Sandst<strong>e<strong>in</strong></strong>quadern,<br />
deren Alter urkundlich nicht sicher<br />
belegt ist. Nach Bauart und Stil dürfte sie<br />
aus dem 14./15. Jahrhundert stammen und<br />
somit wohl durch die Herren von Gramsbergen<br />
erbaut worden s<strong>e<strong>in</strong></strong>. Da <strong>Arkel</strong> aber k<strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />
Pfarre war, hatten Emlichheimer Geistliche<br />
dort zu bestimmten Zeiten Gottesdienst abzuhalten.<br />
Als <strong>Arkel</strong> 1819 <strong>e<strong>in</strong></strong>e selbstständige <strong>Kirche</strong>ngem<strong>e<strong>in</strong></strong>de<br />
wurde, verlegte man die <strong>Kirche</strong><br />
durch Abbau und Wiederverwendung der<br />
alten St<strong>e<strong>in</strong></strong>e nach Hoogstede, wo sie allerd<strong>in</strong>gs<br />
<strong>in</strong> größerem Format wieder aufgebaut wurde.<br />
Noch heute kann man an der <strong>Kirche</strong> die wiederverwendeten<br />
Formstücke (Wasserschlag,<br />
Fenstergewände mit alten Falzen) sehen, von<br />
denen viele noch die mittelalterlichen St<strong>e<strong>in</strong></strong>metzzeichen,<br />
die sogenannte »Merks« zeigen.<br />
Der Hügel, auf dem die Kapelle <strong>in</strong> <strong>Arkel</strong><br />
stand und von dem die Überlieferung berichtet,<br />
wurde nach Abbruch der Kapelle, <strong>in</strong>sbesondere<br />
aber Anfang des 20. Jahrhunderts<br />
vom neuen Eigentümer abgetragen und nach<br />
Schätzung um ½ bis ¾ Meter niedriger gemacht.<br />
Dabei wurden Skelettteile gefunden,<br />
die von dem ebenfalls bekannten früheren<br />
56<br />
GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />
Friedhof, der um die Kapelle herum lag,<br />
stammten; der Friedhof soll noch bis <strong>in</strong> das<br />
19. Jahrhundert h<strong>in</strong><strong>e<strong>in</strong></strong> belegt worden s<strong>e<strong>in</strong></strong>.<br />
Der letzte dort Bestattete war laut mündlicher<br />
Überlieferung <strong>e<strong>in</strong></strong> ertrunkener Schiffer.<br />
Notgrabung 1983<br />
Im Sommer 1983 <strong>in</strong>formierte man mich, dass<br />
auf dem Hof Scholten <strong>in</strong> <strong>Arkel</strong> <strong>e<strong>in</strong></strong>e Scheune<br />
gebaut werde, die genau den Bereich der etwa<br />
1820 abgebrochenen Kapelle überdecke. Bei<br />
Aushebung der Fundamentgräben habe man<br />
zahlreiche Skelettteile gefunden; auch fand<br />
Herr Scholten das Randfragment <strong>e<strong>in</strong></strong>es Kugeltopfes,<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>er Gebrauchskeramik aus dem 11.<br />
bis 13. Jahrhundert.<br />
Unsere Grabungsmöglichkeit war dadurch<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>geengt, dass unter der neuen Scheune noch<br />
große Teile des Vorgängerbaues aus den 30er<br />
Jahren standen.<br />
Bohrproben ergaben, dass im südlichen<br />
und westlichen Teil der neuen Scheune<br />
offenbar ältere Bodenschichten vorlagen;<br />
oberflächennahe fand sich dort außerdem viel<br />
Kalk mörtel- und Sandst<strong>e<strong>in</strong></strong>schutt als wahrsch<strong>e<strong>in</strong></strong>licher<br />
H<strong>in</strong>weis auf die ehemalige Kapelle.<br />
Das Katasteramt Nordhorn, auch sonst<br />
immer hilfsbereit, konnte uns glücklicherweise<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>e, im Urkataster noch als <strong>Kirche</strong>neigentum<br />
ausgewiesene Parzelle, die jetzt im Bereich der<br />
Scheune lag, nachweisen und <strong>e<strong>in</strong></strong>messen. Dort<br />
müsste die Kapelle gelegen haben.<br />
Lage der Kapelle<br />
und Kirchhofparzelle<br />
<strong>in</strong> <strong>Arkel</strong> (Irmgard<br />
Maschmeyer)
Zur weiteren Abklärung zogen wir zunächst<br />
<strong>in</strong> der Mitte der Längstenne der neuen<br />
Scheune <strong>e<strong>in</strong></strong>en Suchschnitt, der die mündliche<br />
Überlieferung vom Abtrag <strong>e<strong>in</strong></strong>es früheren Hügels<br />
bestätigte. Erste Bestattungen zeigten sich<br />
schon 30 Zentimeter unter der Erdoberfläche,<br />
allerd<strong>in</strong>gs <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong></strong>em Bereich, der den des angeblichen<br />
Kirchhofes nach mehreren Richtungen<br />
teilweise um mehrere Meter überschritt.<br />
Auf beiden Seiten des Schnittgrabens machte<br />
sich das <strong>Kirche</strong>nfundament durch <strong>e<strong>in</strong></strong>e Schuttpackung<br />
bemerkbar, undeutlich bei 18 Meter<br />
West, recht deutlich bei 31 Meter West. Zwischen<br />
diesen beiden Fundamentspuren, also<br />
den Außengrenzen der Kapelle, fanden sich<br />
k<strong>e<strong>in</strong></strong>e Bestattungen und auch fast k<strong>e<strong>in</strong></strong>e Knochenreste,<br />
sodass davon auszugehen ist, dass<br />
– wie wir das auch von der vorreformatorischen<br />
Kapelle <strong>in</strong> Hesepe/Kreis Bentheim<br />
wissen – Bestattungen nur außerhalb des <strong>Kirche</strong>nraumes<br />
vorgenommen worden s<strong>in</strong>d; dies<br />
<strong>in</strong> deutlichem Gegensatz zu den Pfarrkirchen,<br />
<strong>in</strong> denen vor allem Angehörige der Honoratiorenschicht<br />
und Pfarrer beigesetzt wurden.<br />
Die Bestattungen fanden sich zumeist <strong>in</strong><br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>er völlig durchmischten graubraunen Sandschicht<br />
mit Anteilen von Schutt. Die im Suchschnitt<br />
von uns gefundenen Skelette (das Holz<br />
der Särge war verrottet, die Eisennägel noch<br />
<strong>in</strong> ursprünglicher Lage) (Foto 4) lagen nicht<br />
ARKEL – EIN HISTORISCHER ORT<br />
Skelettfunde <strong>in</strong> <strong>Arkel</strong>, Sommer 1983 (Irmgard Maschmeyer)<br />
nur mehrfach über<strong>e<strong>in</strong></strong>ander, sondern auch<br />
„kreuz und quer“, also nicht <strong>in</strong> der rituell vorgegebenen<br />
Ost-West-Richtung.<br />
E<strong>in</strong>e unter dieser graubraunen Sandschicht<br />
gelegene, mit hohen Anteilen humöser Subs -<br />
tanz schichtweise verfüllte Grube (bei 32 bis<br />
33 Meter West), die <strong>in</strong> beiden Wänden des<br />
Suchschnittes deutlich sichtbar wurde, dürfte<br />
somit wohl älter als die Friedhofs-(Begräb -<br />
nis-)Anlage s<strong>e<strong>in</strong></strong>, ebenso wie die sehr tief gelegenen<br />
Reste alter Erdoberfläche zwischen 9<br />
bis 14 Meter West. Dafür spricht der Fund ungestört<br />
gelagerter Scherben, u. a. <strong>e<strong>in</strong></strong>es blaugrauen<br />
Gefäßes mit Wellenfuß, das noch <strong>in</strong><br />
der Tradition der Kugeltöpfe steht, sowie <strong>e<strong>in</strong></strong>es<br />
Kannenhalses aus Frühst<strong>e<strong>in</strong></strong>zeug <strong>in</strong> der Südwand<br />
des Grabens bei 11 bis 12 Meter West.<br />
Die gefundene Keramik stammt aus dem<br />
13./14. Jahrhundert.<br />
Bei den aufgefundenen Schuttpackungen,<br />
die <strong>in</strong> etwa der Lage des <strong>Kirche</strong>nfundaments<br />
entsprachen, sch<strong>e<strong>in</strong></strong>t es sich weniger um die<br />
Reste der Fundamente, sondern eher um Verfüllungsschutt<br />
<strong>in</strong> den Ausbruchgräben zu<br />
handeln; vielleicht aber auch um Reste <strong>e<strong>in</strong></strong>er<br />
„Basisstickung“. Aufgrund der erhobenen<br />
Befunde ließen sich denn nach Abbruch des<br />
Vorgängerschuppens weitere derartige Schutt-<br />
57
2<br />
pakete nachweisen. Der Chorabschluss war<br />
wegen <strong>e<strong>in</strong></strong>er tiefen Störung durch Güllekanäle<br />
etc. nicht mehr ganz zweifelsfrei zu verfolgen.<br />
Beim Aushub der Baugrube für den Güllekeller<br />
an der Nordseite der Scheune zeigte sich<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>e ältere, trichterförmig verfüllte, zunächst<br />
nur angeschnittene Grube. Sie erwies sich bei<br />
weiterer Grabung als mittelalterlicher Brunnen<br />
mit <strong>e<strong>in</strong></strong>er noch vollständig erhaltenen<br />
hölzernen Brunnenstube von etwa 1,5 Meter<br />
im Quadrat. In der Verfüllung des Brunnentrichters,<br />
die also jünger s<strong>e<strong>in</strong></strong> muss als die<br />
Brunnenstube, wie auch der bei Anlegung<br />
des Brunnens ausgehobenen trichterförmigen<br />
Grube fanden sich zahlreiche Kugeltopfscherben.<br />
H<strong>in</strong>gegen blieb die Brunnensohle fundleer.<br />
Nach dem Befund der Brunnenkammer<br />
(Schwemmsand mit aufgelagerter Torfschicht)<br />
dürfte der Brunnen vor dem Verfüllen längere<br />
Zeit verschlammt gewesen s<strong>e<strong>in</strong></strong>.<br />
Die Hölzer der Brunnenstube wurden geborgen<br />
und später von uns nach der Zuckermethode<br />
konserviert. Die teils gute Erhaltung,<br />
teils fortgeschrittene Zersetzung des Holzes ist<br />
wohl darauf zurückzuführen, dass seit der<br />
Vechteregulierung der Grundwasserstand etliche<br />
Dezimeter abgesunken und seither das<br />
Holz trocken gefallen ist. Unter den Seitenbohlen<br />
fanden sich <strong>e<strong>in</strong></strong>ige, die wohl aus <strong>e<strong>in</strong></strong>em<br />
mittelalterlichen Bau, vielleicht <strong>e<strong>in</strong></strong>em Stabbau<br />
stammten und hier sekundär verwendet<br />
worden waren.<br />
58<br />
GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />
H<strong>in</strong>drik Jan Bloemendal mit s<strong>e<strong>in</strong></strong>er Mutter auf<br />
dem Pferdewagen um 1950 (Scholten)<br />
Etwa 30 Meter nördlich der Fundstelle des<br />
Brunnens soll sich nach der Überlieferung früher<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong> runder Hügel befunden haben. Als<br />
daran angrenzend 1960 der neue Stallflügel<br />
des Hofes Jeur<strong>in</strong>k erbaut wurde, fand man bei<br />
der Fundamentierung <strong>in</strong> der SW-Ecke <strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />
tiefe, vermodderte Senke, die besondere Fundamente<br />
erzwang. Auch das könnte für <strong>e<strong>in</strong></strong>en<br />
umgräfteten Turmhügel sprechen. Der von<br />
uns gefundene Brunnen müsste im Vorburgbereich<br />
gelegen haben, wo <strong>in</strong> s<strong>e<strong>in</strong></strong>er Nähe<br />
auch das Bauhaus zu vermuten wäre.<br />
Bleibt noch zu erwähnen, dass <strong>e<strong>in</strong></strong>ige wesentliche<br />
Skelette von Herrn Dr. Caselitz,<br />
Hamburg, zur anthropologischen Untersuchung<br />
übernommen wurden. Beurteilungen<br />
liegen dazu bisher nicht vor.<br />
(Im Jahrbuch 1996 f<strong>in</strong>den sich wesentlich<br />
mehr Zeichnungen und Fotos.)<br />
Wasse Wigger<strong>in</strong>k und s<strong>e<strong>in</strong></strong>e Viol<strong>in</strong>e<br />
(JB 1950)<br />
Alte Erzählungen und Sagen halten Er<strong>in</strong>nerungen<br />
wach, die hier oder dort vielleicht <strong>e<strong>in</strong></strong><br />
Krümelchen Wahrheit im modernen S<strong>in</strong>ne enthalten.<br />
Wasse Wigger<strong>in</strong>g und Wottelharm s<strong>in</strong>d<br />
zwei um 1900 bekannte und berühmte, frei erfundene<br />
Personen. Der Heimatkalender von<br />
1950 berichtet über Wasse Wigger<strong>in</strong>k:<br />
Heimatkalender 1950 Seite 75<br />
Zwischen <strong>Arkel</strong> und Hoogstede stand <strong>in</strong> alter<br />
Zeit <strong>e<strong>in</strong></strong>e Burg. Dar<strong>in</strong> wohnte <strong>e<strong>in</strong></strong> reicher Graf,<br />
der oft mit s<strong>e<strong>in</strong></strong>en Freunden dort frohe Feste<br />
feierte. Zu diesen Festen musste auch der<br />
Bauer Wasse Wigger<strong>in</strong>k aus Großr<strong>in</strong>ge ersch<strong>e<strong>in</strong></strong>en,<br />
der lustige Geschichten erzählte,<br />
wundervoll die Geige spielte und sich mit s<strong>e<strong>in</strong></strong>er<br />
Kunst manchen Groschen verdiente.<br />
E<strong>in</strong>es Abends schickte der Graf wieder s<strong>e<strong>in</strong></strong>en<br />
Boten zu Wasse Wigger<strong>in</strong>k und ließ ihm<br />
sagen, er solle sogleich kommen, denn es<br />
seien viele und hohe Gäste <strong>e<strong>in</strong></strong>getroffen.<br />
Wasse nahm die Viol<strong>in</strong>e und trat sogleich den<br />
Marsch zur Burg an. Er spielte s<strong>e<strong>in</strong></strong>e Lieder<br />
und Weisen und die Herren und Frauen waren<br />
des Lobes voll über ihn und s<strong>e<strong>in</strong></strong>e Viol<strong>in</strong>e.<br />
Erst spät <strong>in</strong> der Nacht machte er sich auf<br />
den Heimweg. Um ihn <strong>e<strong>in</strong></strong> Stück abzukürzen,
g<strong>in</strong>g er quer über den Esch. Mitten auf der<br />
kahlen, freien Roggenfläche stand plötzlich<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong> großer, schwarzer Mann, <strong>e<strong>in</strong></strong> Ungetüm, vor<br />
ihm und sagte: „Wass<strong>in</strong>, spöll up!“ Dem Bauern<br />
kam die Forderung völlig uns<strong>in</strong>nig vor. Er<br />
war auch müde und versuchte, durch <strong>e<strong>in</strong></strong>en<br />
Seitensprung an dem Koloss vorbeizukommen.<br />
Aber der Schwarze trat ihm <strong>in</strong> den Weg<br />
und knurrte drohend: „Wass<strong>in</strong>, ick segge di,<br />
spöll up!“ Was sollte er machen? Der Mann<br />
ihm gegenüber war groß und stark, und es<br />
g<strong>in</strong>g etwas Unheimliches von ihm aus. Er zitterte<br />
wie der Hase <strong>in</strong> der Wolfsgrube.<br />
Endlich holte er die Geige aus dem Kasten<br />
und begann zu fideln – mitten im Esch und<br />
das spät <strong>in</strong> der Nacht. Er hoffte, nach <strong>e<strong>in</strong></strong>igen<br />
Stücken den lästigen Geist loszuwerden, aber<br />
sobald er die Geige absetzte, donnerte ihn der<br />
Schwarze an: „Wass<strong>in</strong>, ick segge di, spöll up!“<br />
Und so geigte Wasse Stunde um Stunde. Der<br />
W<strong>in</strong>d heulte <strong>in</strong> den Wallbäumen und die<br />
Füchse im Moor bellten. Als der Schwarze sich<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>mal bückte, um den Schuhriemen festzu-<br />
ARKEL – EIN HISTORISCHER ORT<br />
b<strong>in</strong>den, sprang Wasse entschlossen an ihm<br />
vorbei und lief, was er laufen konnte.<br />
Schweißtriefend und totenbleich erreichte<br />
er s<strong>e<strong>in</strong></strong>en Hof. Er sprach mit niemandem über<br />
das nächtliche Erlebnis, auch nicht mit s<strong>e<strong>in</strong></strong>er<br />
Frau.<br />
Aber er g<strong>in</strong>g am nächsten Abend mit der<br />
Viol<strong>in</strong>e h<strong>in</strong>ter das Schafschott und zerschlug<br />
sie am Schuppfahl, obwohl er die Geige sehr<br />
liebte und sie ihm viel Geld und Freuden <strong>e<strong>in</strong></strong>gebracht<br />
hatte. Er wollte mit dem Instrument,<br />
mit dem er dem Teufel aufgespielt hatte –<br />
denn das war der Schwarze im Esch gewesen<br />
– niemandem mehr <strong>e<strong>in</strong></strong> Vergnügen bereiten,<br />
sich selbst auch nicht. Als der Graf von <strong>Arkel</strong><br />
ihn abermals zur Burg bat, g<strong>in</strong>g er nicht h<strong>in</strong>.<br />
Als er ihm <strong>e<strong>in</strong></strong>e neue Geige schickte, nahm er<br />
sie nicht an.<br />
N<strong>e<strong>in</strong></strong>, die Geige führe den Bauern <strong>in</strong> höhere<br />
Stockwerke h<strong>in</strong>auf, wo er nicht h<strong>in</strong>gehörte,<br />
m<strong>e<strong>in</strong></strong>e Wasse! Und schließlich lande er<br />
auf diesem Wege mit der Viol<strong>in</strong>e beim Bösen,<br />
und davor müsse er den Hof behüten.<br />
59
2<br />
<strong>Arkel</strong>, Kalle<br />
und T<strong>in</strong>holt<br />
Bearbeitet von Gerrit Jan Beuker<br />
Dr. Ernst Kühle (1890–1975) hat die Geschichte<br />
der <strong>e<strong>in</strong></strong>zelnen Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den jeweils im<br />
„Doppelpack“ ausführlich beschrieben. Kühle<br />
war von 1929 bis 1952 als Studienrat an der<br />
Oberrealschule im Aufbau und am späteren<br />
Gymnasium tätig.<br />
S<strong>e<strong>in</strong></strong>e Darstellung soll <strong>e<strong>in</strong></strong>e erste Übersicht<br />
über die Zeit bis 1974 ermöglichen. Sie folgt<br />
hier für Kalle und T<strong>in</strong>holt. Danach f<strong>in</strong>den sich<br />
aktuellere Beiträge von Willy Friedrich und<br />
Unbekanntes Ehepaar mit vier K<strong>in</strong>dern <strong>in</strong> Trachten,<br />
um 1920 aus Familie Hans (M<strong>in</strong>i Büdden)<br />
60<br />
aus heutiger Zeit. Später kommt Kühle auch<br />
bei Scheerhorn-Berge und bei Hoogstede-Bathorn<br />
zur Sprache. Die beiden letzten Beiträge<br />
habe ich kürzen müssen, weil sie zu umfangreich<br />
waren für diese Chronik und sich <strong>in</strong><br />
manchem auch mit dem nachfolgenden Beitrag<br />
decken. Zwischenüberschriften und Fotos<br />
s<strong>in</strong>d hier und auch <strong>in</strong> anderen übernommenen<br />
Texte neu <strong>e<strong>in</strong></strong>gefügt worden, um die Lesbarkeit<br />
zu erhöhen
Kalle und T<strong>in</strong>holt,<br />
Geschichte zweier Landgem<strong>e<strong>in</strong></strong>den<br />
E. Kühle, ( Der Grafschafter 1974,Nr. 12)<br />
Die Talsandlandschaft des l<strong>in</strong>ken Vechteufers<br />
nördlich von Haftenkamp ist gegenüber der<br />
rechten Uferzone <strong>in</strong> der wirtschaftlichen<br />
Entwicklung zurückgeblieben. Am rechten<br />
Vechteufer reihen sich an Veldhausen die Bauerschaften<br />
Esche, Berge, Scheerhorn, Hoogstede,<br />
Großr<strong>in</strong>ge, Kl<strong>e<strong>in</strong></strong>r<strong>in</strong>ge, denen am l<strong>in</strong>ken<br />
Ufer nur T<strong>in</strong>holt und Kalle gegenüberstehen.<br />
Die Bodengütekarte zeigt auf beiden Flussufern<br />
die gleichen, wenig günstigen Gütewerte an.<br />
Die im allgem<strong>e<strong>in</strong></strong>en tiefere Lage der westlichen<br />
Uferzone und der höhere Grundwasserstand<br />
haben lange Zeit von <strong>e<strong>in</strong></strong>er Besiedlung abgeschreckt.<br />
Der Verkehr von Neuenhaus nach<br />
Emlichheim nahm s<strong>e<strong>in</strong></strong>en Weg am rechten Ufer<br />
der Vechte entlang, der höher lag und trockener<br />
war, und an <strong>Ort</strong>en mit den Namen „Berge"<br />
und „Hoogstede" vorbeiführte. Mittelalterliche<br />
Wege waren zumeist Höhenwege, die feuchte<br />
Senken mieden. 1890 gab es die erste feste<br />
Straße, 1906 die Eisenbahn auf dem rechten<br />
Vechteufer; erst fünfzig Jahre später verband<br />
die Vechtetalstraße Neuenhaus über T<strong>in</strong>holt<br />
und Kalle mit Emlichheim, obwohl diese Wegstrecke<br />
kürzer ist als die des rechten Ufers …<br />
Deutung der Namen<br />
Kalle und T<strong>in</strong>holt bildeten <strong>e<strong>in</strong></strong>en Markenverband<br />
mit den Rechtsufergem<strong>e<strong>in</strong></strong>den Berge,<br />
Scheerhorn, Hoogstede. Die Grenzen der Mark<br />
auf dem l<strong>in</strong>ken Ufer waren im Norden, Wes -<br />
ten und Süden gerade L<strong>in</strong>ien, die man ohne<br />
Rücksicht auf Naturgegebenheiten auf der<br />
Karte mit dem L<strong>in</strong>eal gezogen hat. Der Name<br />
Kalle ist <strong>e<strong>in</strong></strong>e alte Flurbezeichnung, die Bezug<br />
nimmt auf das Wasser. Abel erklärt <strong>in</strong> „<strong>Ort</strong>snamen<br />
des Emslandes" Kalle als am Wasserarm<br />
gelegen. T<strong>in</strong>holt gehört zu den häufigen<br />
<strong>Ort</strong>en, die den Namen dem Holz entnehmen.<br />
Das Bestimmungswort ist nach Abel unerklärbar.<br />
Reurik erklärt es mit ten Holt = zum<br />
Holz. Specht legt das Zahlwort „Zehn“ zugrunde,<br />
nach zehn Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den, die am T<strong>in</strong>holt<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>st Anteil gehabt haben sollen. Die vorgeschichtliche<br />
Vechteschifffahrt h<strong>in</strong>terließ Überbleibsel<br />
von Fahrzeugen, Handelsgütern und<br />
ARKEL, KALLE UND TINHOLT<br />
Münzen, aus denen jedoch wenig über die Vor -<br />
geschichte von Kalle und T<strong>in</strong>holt geschlossen<br />
werden kann. Auf höher gelegenen Dünenrücken<br />
und Bodenwellen, auf denen frühe<br />
Siedler Fuß fassten, fand man Urnen <strong>in</strong> Nähe<br />
des Hofes Gröne <strong>in</strong> Kalle. Der Name <strong>Arkel</strong>, zu<br />
Kalle gehörig, wird von Heimatforschern als<br />
arcellum gedeutet; sie vermuten, dass hier<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>e vorgeschichtliche Burg bestanden hat.<br />
Kalle wird zuerst zusammen mit dem Gogericht<br />
Emlichheim genannt, das sich 1313 im<br />
Besitz des Grafen Johann II. befand, 1324 aber<br />
an den Herrn von Borculo gegeben wurde und<br />
erst 1440 endgültig an die Grafschaft zurückfiel.<br />
Als 1312 Graf Johann das Gogericht Uelsen<br />
von Eylard van den Toerne erwarb, ver<strong>e<strong>in</strong></strong>barten<br />
beide Vertragspartner, dass das Holzgericht<br />
im T<strong>in</strong>holte dem Geschlecht Toerne ver blieb.<br />
Die Holzgerichte kamen aber 1380 <strong>in</strong> die Hand<br />
des Grafen, wodurch sich der E<strong>in</strong>fluss des Landesherrn<br />
<strong>in</strong> den Bauerschaften verstärkte. In<br />
der T<strong>in</strong>holter Mark hatte der Bischof von Utrecht<br />
drei hörige Bauernerben, denen erlaubt<br />
war, die Eichelmast zu nutzen, wenn <strong>e<strong>in</strong></strong> gutes<br />
Eicheljahr war. Der Graf bestritt dieses Recht.<br />
1324 Hof to <strong>Arkel</strong>o<br />
1324 wird der Hof to <strong>Arkel</strong>o genannt. Pastor<br />
Visch <strong>in</strong> Wilsum schreibt <strong>in</strong> s<strong>e<strong>in</strong></strong>er Geschichte<br />
von <strong>e<strong>in</strong></strong>er frühen Kapelle <strong>in</strong> <strong>Arkel</strong>, <strong>in</strong> der <strong>e<strong>in</strong></strong><br />
Geistlicher aus Emlichheim Gottesdienst hielt,<br />
sowie von <strong>e<strong>in</strong></strong>er Ritterburg, von der man noch<br />
im 19. Jahrhundert Reste vorfand. Auch Stokmann<br />
berichtet von <strong>e<strong>in</strong></strong>er befestigten Burg<br />
<strong>Arkel</strong>, deren Trümmerreste 1820 noch vorhanden<br />
waren. Nach Möller gab es <strong>e<strong>in</strong></strong> adliges<br />
Geschlecht, die Herren von <strong>Arkel</strong>, aus dem<br />
Johan van <strong>Arkel</strong> hervorg<strong>in</strong>g, der als Bischof<br />
von Utrecht 1346 die Burg Lage erwarb. Von<br />
den Höfen <strong>in</strong> Kalle wird <strong>e<strong>in</strong></strong> Kotten genannt,<br />
Kreppes Kote, 1324, der später Kroppschott<br />
hieß. 1440, als das Gogericht Emlichheim zur<br />
Grafschaft Bentheim zurückkehrte, wird der<br />
Hof Rutkote to <strong>Arkel</strong> verzeichnet, von dem Dr.<br />
Edel annimmt, dass er später „Lütke <strong>Arkel</strong>"<br />
hieß (Von der Herrlichkeit Emlichheim, Jahrb.<br />
1953). Die Emlichheimer Gerichtsbarkeit reichte<br />
am l<strong>in</strong>ken Vechteufer bis zur Hildener Brügge,<br />
wo das Gogericht Uelsen begann.<br />
61
2<br />
Im Lehnregister des Grafen Otto, 1346–64,<br />
wird Kalle nicht genannt, wohl aber T<strong>in</strong>holt.<br />
Dem Knappen Eylard van den Toerne überließ<br />
der Graf zu Dienstmannsrecht die Holzgerichte<br />
zu Hilten, Gölenkamp, Uelsen und im<br />
T<strong>in</strong>holte. Eylard war 1319 Burgmann auf<br />
Bentheim. Gegen Überlassung des Gogerichts<br />
Uelsen 1312 erhielt er vom Grafen Johan <strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />
Anzahl von Zehnten aus Bauernerben zu<br />
Lehen. Der Stammsitz des Geschlechts war das<br />
Dorf Uelsen, wo südlich der <strong>Kirche</strong> vermutlich<br />
ihre Burg stand. Eylard war auch Lehnsmann<br />
des Bischofs von Utrecht. Das T<strong>in</strong>holt gehörte<br />
zu den privaten Gehegen des Grafen; hier übte<br />
er die Jagd all<strong>e<strong>in</strong></strong> aus und ließ durch s<strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />
Jäger die Grenzen überwachen. Das Revier<br />
war durch s<strong>e<strong>in</strong></strong>e guten Entenjagden bekannt.<br />
Die Beachtung der landesherrlichen Reservate<br />
ließ zu wünschen übrig. Mit den holländischen<br />
Jagdherren <strong>e<strong>in</strong></strong>igte sich der Graf auf<br />
dem Bentheimer Landtag über Jagdgerecht -<br />
same zwischen Grenze und Vechte. 1656<br />
überraschten gräfliche Jäger <strong>e<strong>in</strong></strong>e Gramsberger<br />
Jagdgesellschaft <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong></strong>er T<strong>in</strong>holter Wirtschaft<br />
und nahm sie gefangen. Die<br />
Gramsberger kamen mit stärkerem Aufgebot<br />
wieder und verlangten erweiterte Rechte. Der<br />
Graf verwarnte die Gramsberger, „daß man<br />
62<br />
GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />
Bäuer<strong>in</strong> Lübbers <strong>in</strong> Alltagskleidung vor ihrem Haus<br />
<strong>in</strong> Kalle, 1934. Heutige Eigentümer<strong>in</strong> Gunda Meyer<strong>in</strong>k<br />
(Jan Jeur<strong>in</strong>k)<br />
die Jagd nicht wider alle Usance und Gewohnheit<br />
extendieren solle". Der Jägermeister<br />
Borchard Lohoff betreute die privaten Gehege,<br />
leitete die großen Umjagden, traf Maßnahmen<br />
für sachgemäße Hege des Wildes, bestimmte<br />
die Schonzeiten und die Menge des von den<br />
Bauerschaften anzuliefernden Hundebrots.<br />
Das Haus Echteler hatte die Koppeljagd <strong>in</strong><br />
Kalle. Die Fischerei <strong>in</strong> der Vechte bis zur Mündung<br />
der Lee übten die Grafen gem<strong>e<strong>in</strong></strong>sam mit<br />
der Stadt Neuenhaus aus, weiter nördlich nur<br />
die Grafen all<strong>e<strong>in</strong></strong>. Das Bleichen von Flachs <strong>in</strong><br />
der Vechte war den Bauern <strong>in</strong> Kalle und T<strong>in</strong>holt<br />
verboten.<br />
1451 Personentausch<br />
1451 empf<strong>in</strong>g das Kloster im Austausch mit<br />
dem Herrn v. Dedem zu Esche den Johan Herek<strong>in</strong>ck,<br />
der <strong>in</strong>s Tympenhaus tor Calle kam.<br />
1562 überließ das Bistum Utrecht dem Kloster<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>en Sohn des Passcher <strong>in</strong> Lage, der auf dem<br />
Tympenhof zu Kalle <strong>e<strong>in</strong></strong>heiratete. Man nannte<br />
die E<strong>in</strong>heirat „Auffahrt“ und forderte dafür<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>e Gebühr (ungewisses Gefälle). Im Austausch<br />
mit dem Grafen kam Wibbe, <strong>e<strong>in</strong></strong>e Tochter<br />
Campers aus Laarwald nach Kalle, wo sie<br />
auf dem Hof <strong>e<strong>in</strong></strong>heiratete. Von den K<strong>in</strong>dern<br />
auf dem Tympenhof wird berichtet, dass Johann
tor Calle die Gese van <strong>Arkel</strong> zur Frau nahm,<br />
die die Tochter <strong>e<strong>in</strong></strong>es dem Grafen hörigen Bauern<br />
war. Von ihren K<strong>in</strong>dern ließ das Kloster<br />
den Sohn Johan frei; <strong>e<strong>in</strong></strong> anderer Sohn zog<br />
mit den Wiedertäufern fort, und der Schreiber<br />
trug <strong>in</strong> das Wesselbuch <strong>e<strong>in</strong></strong> ... „entlopen na<br />
Monster". E<strong>in</strong>e Tochter, Mette, g<strong>in</strong>g mit <strong>e<strong>in</strong></strong>em<br />
Landsknecht <strong>in</strong> die Ferne. Im Lagerbuch zu<br />
Bentheim bef<strong>in</strong>det sich <strong>e<strong>in</strong></strong>e Verpflichtung des<br />
Hofes Tympe von <strong>e<strong>in</strong></strong>em Taler. Die Vogtei über<br />
den Hof Tympe hatte Engelbert von Zalre; er<br />
hatte an Callmans Erben <strong>e<strong>in</strong></strong> Gut verkauft,<br />
Bussches Garde genannt, und an das Kloster<br />
Frenswegen Heemans Haus <strong>in</strong> der Calle veräußert.<br />
Der Archivar Dr. Döhmann <strong>in</strong> Burgst<strong>e<strong>in</strong></strong>furt<br />
nimmt an, dass der Hof Kaalmann <strong>in</strong><br />
Hoogstede gem<strong>e<strong>in</strong></strong>t ist …<br />
1533 Wiedertäufer nach Münster<br />
Das folgende 16. Jahrhundert war von religiösen<br />
Unruhen erfüllt. Die Wiedertäufer hatten<br />
1533 den Bischof von Münster vertrieben<br />
und <strong>e<strong>in</strong></strong> Wiedertäuferreich errichtet, das zwei<br />
Jahre später Graf Arnold mit zerschlagen half.<br />
Anschließend ließ der Graf nach geflohenen<br />
und versteckten Wiedertäufern <strong>in</strong> der Grafschaft<br />
fahnden. Das wenig zugängliche T<strong>in</strong>holter<br />
Moor bot guten Unterschlupf. Wen die<br />
Häscher f<strong>in</strong>gen, den richtete man als Viehdieb<br />
h<strong>in</strong>. 1544 aber trat der Graf mit dem größten<br />
Teil der Grafschaft zum lutherischen Bekenntnis<br />
über. Die Pastoren Kampferbeck <strong>in</strong> Veldhausen,<br />
Krull und Jungius <strong>in</strong> Neuenhaus,<br />
Hasenhart <strong>in</strong> Uelsen predigten im S<strong>in</strong>ne der<br />
Augsburgischen (lutherischen) Konfession.<br />
Das Bistum Utrecht g<strong>in</strong>g durch die Reformation<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>; s<strong>e<strong>in</strong></strong>e Güter erbte Kaiser Karl V., der<br />
nicht deutsch sprach, aber <strong>in</strong> den Twenter<br />
Hofrechten die Pflichten und Rechte s<strong>e<strong>in</strong></strong>er<br />
Hörigen aufschreiben ließ. S<strong>e<strong>in</strong></strong> Nachfolger<br />
Philipp löste durch Härte und Grausamkeit<br />
s<strong>e<strong>in</strong></strong>er gegenreformatorischen Maßnahmen<br />
den niederländischen Befreiungskrieg von der<br />
spanischen Herrschaft aus. Die von ihren Ländern<br />
mangelhaft versorgten spanischen und<br />
holländischen Truppen suchten ihren Bedarf<br />
zu decken durch räuberische Überfälle <strong>in</strong> die<br />
neutrale Grafschaft; bei etwaigem Widerstand<br />
kam es wie <strong>in</strong> Halle und Getelo zu Blutbädern.<br />
ARKEL, KALLE UND TINHOLT<br />
Auf der Heerstraße zwischen Coevorden und<br />
Neuenhaus plünderten die Spanier die Bauerschaften<br />
an der Vechte aus; sie beraubten<br />
Kalle und T<strong>in</strong>holt, zerstörten das feste Haus<br />
Esche, töteten die zahlreichen Flüchtl<strong>in</strong>ge,<br />
verbrannten <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong></strong>er Scheune <strong>in</strong> der Borg 60<br />
wehrlose Menschen und verursachten <strong>e<strong>in</strong></strong><br />
Massensterben <strong>in</strong> der Stadt Neuenhaus. „De<br />
nood en ellende waren zoo groot, dat men ze<br />
met geene worden uitdrukken kan (Visch, Geschiedenis).<br />
Im schweren Kriegsjahr 1588 traten<br />
Graf und Grafschaft zum reformierten<br />
Bekenntnis über, um sich den Schutz der siegreichen<br />
Niederländer zu sichern.<br />
1618–1648 Dreißigjähriger Krieg<br />
Auf deutscher Seite g<strong>in</strong>g der Oorlog <strong>in</strong> den<br />
Dreißigjährigen Krieg, 1618–1648, über. Der<br />
vom Grafen Arnold Jobst angestrebte Selbstschutz<br />
<strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit Schützenverbänden<br />
war nicht ausreichend, den f<strong>e<strong>in</strong></strong>dlichen Heeren<br />
den E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong> die Grafschaft zu verwehren.<br />
Die Kriegsopfer des „Oorlogs“ wiederholten<br />
sich; h<strong>in</strong>zu kamen die Kriegssteuern <strong>in</strong> Gestalt<br />
von Korn-, Vieh- und Personenschatzungen,<br />
auf den Landtagen beschlossen, um die Kontributionen<br />
zahlen zu können. Die Selbsthilfe<br />
<strong>in</strong> Kalle und T<strong>in</strong>holt beschränkte sich darauf,<br />
Alarmbereitschaften <strong>e<strong>in</strong></strong>zurichten, kl<strong>e<strong>in</strong></strong>ere<br />
Räuberbanden abzuwehren, durch Feuersig -<br />
nale Nachbargem<strong>e<strong>in</strong></strong>den zu warnen, ihre Hil -<br />
fe zu erbitten und selbst Hilfe zu br<strong>in</strong>gen.<br />
Der Geschichtsschreiber des Krieges, Pastor<br />
Holst<strong>e<strong>in</strong></strong> aus Schüttorf, der auch <strong>in</strong> <strong>Arkel</strong> predigte,<br />
beklagte den Verfall der Sitten. Schon<br />
1620 erlagen die Kaller dem E<strong>in</strong>fluss von Zauberern,<br />
die man um Hilfe bat, wenn Menschen<br />
und Vieh erkrankten. In T<strong>in</strong>holt war es nicht<br />
anders; viele g<strong>in</strong>gen nicht mehr <strong>in</strong> die <strong>Kirche</strong>,<br />
besuchten während der Kirchzeit die Wirtshäuser,<br />
sangen Hurenlieder und mieden die<br />
Arbeit. Vergeblich wetterte Pastor Holst<strong>e<strong>in</strong></strong><br />
1623 von der Kanzel <strong>in</strong> <strong>Arkel</strong> und drohte mit<br />
Kirchstrafen. Anstatt der gelobten Exercitien<br />
gab es <strong>in</strong> den Schützereien Saufgelage. Erst<br />
mit Kriegsende, als <strong>e<strong>in</strong></strong> Bauernaufgebot<br />
schwedische Resttruppen aus der Bimolter<br />
Mark vertreiben musste, kehrte die Ordnung<br />
zurück.<br />
63
2<br />
1637 Dienstgeldliste<br />
Aus dem Kriegsjahr 1637 ist <strong>e<strong>in</strong></strong>e Dienstgeldliste<br />
des Rentmeisters Kercker<strong>in</strong>ck erhalten,<br />
die Dr. Edel im Jahrbuch 1953 wiedergab. Es<br />
zahlten an Dienstgeld je 4 Taler Röttger<strong>in</strong>gh,<br />
Eik<strong>in</strong>ckhorst, Oever<strong>in</strong>gh, Meyerman, der<br />
Schulte zu <strong>Arkel</strong>, je 3 Taler Campen, lütke<br />
<strong>Arkel</strong>, Blomendael, Calthoff, Struwe, je 3½<br />
Taler Brün<strong>in</strong>gh, Suwerman, Hembke, Wermer,<br />
je 1 Taler Kroppschotte, Kl<strong>in</strong>ckhamer, Böker,<br />
Hessels Lucas, Lüchens Rolff, Schny kert; 3<br />
<strong>Ort</strong> zahlte Kistemaker.<br />
Der <strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt gelegene Platz von Weel Johans<br />
Witwe, der wüste war, gab ½ Taler. Im<br />
Eifer um den Wiederaufbau von Hof und Flur<br />
nach Friedensschluss blieben Kalle und T<strong>in</strong>holt<br />
h<strong>in</strong>ter den Bauerschaften rechts der<br />
Vechte nicht zurück.<br />
<strong>Kirche</strong>nrat Emlichheim 1562–1620<br />
Die reformierte <strong>Kirche</strong>nordnung hatte die<br />
Pflege des kirchlichen Lebens <strong>in</strong> die Hände der<br />
örtlichen <strong>Kirche</strong>nräte gelegt. Aus den Bauerschaften<br />
des Kirchspiels Emlichheim wählte<br />
man angesehene Männer <strong>in</strong> den <strong>Kirche</strong>nrat,<br />
die dafür sorgten, dass das Verhalten der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>demitglieder<br />
und der Unterricht der Jugend<br />
im S<strong>in</strong>ne des Heidelberger Katechismus<br />
geschah. Dem <strong>Kirche</strong>nrat gehörten an Gerdt<br />
Volker zu <strong>Arkel</strong> <strong>in</strong> den Jahren 1562, 68, 80,<br />
83, Gert Schulte zu <strong>Arkel</strong> 1612. 1620 befasste<br />
sich der Oberkirchenrat mit <strong>e<strong>in</strong></strong>er Anklage<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>es Bauern aus T<strong>in</strong>holt wegen Hexerei. Der<br />
Bauer beschuldigte s<strong>e<strong>in</strong></strong>en Nachbarn, dass er<br />
ihm die Kuh verhext hätte, die gestorben war<br />
(Edel, Ratleute der <strong>Kirche</strong> zu Emlichheim,<br />
Grafsch. 1958). Es war bald nach Beg<strong>in</strong>n des<br />
großen Krieges (1618–1648), als Pastor Holst<strong>e<strong>in</strong></strong><br />
gegen das Zauberunwesen ankämpfte …<br />
1752 Torfstichrechte im T<strong>in</strong>holter Moor<br />
Die Schuldenlast zwang den Grafen Fried rich<br />
Carl, s<strong>e<strong>in</strong></strong>e Grafschaft 1752 an das Land Hannover<br />
zu verpfänden. Die Pfandschaftsregierung<br />
unter Leitung des Drosten Ompteda<br />
versuchte, durch Sparverordnungen Ordnung<br />
<strong>in</strong> das F<strong>in</strong>anzwesen zu br<strong>in</strong>gen. E<strong>in</strong>e Akte auf<br />
dem Rathaus zu Uelsen von 1752 enthält<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>en Vertrag um Torfstichrechte im T<strong>in</strong>hol-<br />
64<br />
GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />
ter Moor. Aus Uelsen und dem Kirchspiel hatten<br />
sich 348 Haushalte bereit erklärt, den Torf<br />
aus T<strong>in</strong>holt zu holen. Wiederholtes Zusammentreffen<br />
der Dorfschulten auf dem Rathaus<br />
zu Uelsen und Beratung mit Amtleuten und<br />
Vögten, wie 1845 mit Amtsvogt Brill, verbesserten<br />
die Anfuhr des Torfs, <strong>in</strong>dem man Entwässerung<br />
und Wegebau vervollkommnete.<br />
Schulte Vos aus T<strong>in</strong>holt und der Schulte zu<br />
<strong>Arkel</strong> unterzeichneten <strong>e<strong>in</strong></strong> Protokoll. Als nach<br />
dem Ersten Weltkrieg das Siedlungsgesetz<br />
1919 Land für vertriebene Ostbauern und<br />
nachgeborene Bauernsöhne aus der Heimat<br />
bereitstellte, enteignete man die Torfgruben<br />
und hob die Torfstichgerechtsame auf.<br />
1756–1763 Siebenjähriger Krieg<br />
Vier Jahre nach dem Pfandvertrag brach der<br />
Siebenjährige Krieg, 1756 bis 1763, aus, den<br />
der Graf nutzen wollte, um die Selbständigkeit<br />
s<strong>e<strong>in</strong></strong>er Grafschaft zurückzugew<strong>in</strong>nen. An<br />
der Spitze <strong>e<strong>in</strong></strong>es französischen Regiments zog<br />
er <strong>in</strong> den Kampf gegen Hannover, womit er<br />
den Krieg <strong>in</strong> s<strong>e<strong>in</strong></strong> Land trug. Für die Kaller und<br />
T<strong>in</strong>holter Bauern nahmen die Lieferungen, die<br />
Kriegsfuhren, die Zahlungen k<strong>e<strong>in</strong></strong> Ende. Die<br />
Kriegsherren wechselten, <strong>e<strong>in</strong></strong>e Partei jagte der<br />
andern die Beute ab. An wen die Abgaben zu<br />
zahlen waren, erfuhren die Kaller durch <strong>Kirche</strong>nabkündigung<br />
<strong>in</strong> Emlichheim. Kommandos<br />
setzten die Dorfschulten gefangen, wenn<br />
die abzuliefernden Pferde nicht zur Stelle<br />
waren, aber es gelang manchem listigen<br />
Bauern, s<strong>e<strong>in</strong></strong> Pferd auf Schleichwegen zurückzuholen.<br />
Entzog sich der Jungbauer dem<br />
Tra<strong>in</strong>dienst durch die Flucht, musste der<br />
Haus vater den Dienst tun. Hannover gewann<br />
den Krieg und trat nach Friedensschluss die<br />
Pfandschaftsregierung wieder an. Regierungsrat<br />
Funck forderte durch Verordnungen zum<br />
Sparen, zur Schädl<strong>in</strong>gsbekämpfung, zur Waldpflege,<br />
zur Anlage von Telgenkämpen, zur<br />
Schonung des Wildes, zur E<strong>in</strong>schränkung im<br />
Haushalt, zum Maßhalten im Verbrauch auf.<br />
Die Bauern <strong>in</strong> Kalle und T<strong>in</strong>holt bedurften<br />
solcher Ermahnungen nicht; die Armut war<br />
ihr täglicher Gast. Die T<strong>in</strong>holter trugen ihre<br />
dürftigen Kornmengen auf dem Rücken zur<br />
Mühle Bosmann nach Hard<strong>in</strong>ghausen und
nahmen gleich ihr Mehl nach Abzug der<br />
Mahlgebühr wieder mit nach Hause. E<strong>in</strong>e Verordnung<br />
1784 enthielt für Kalle und T<strong>in</strong>holt<br />
die Concession des Plaggenstechens, bei<br />
Schonung der Forsten und öffentlichen Wege,<br />
für T<strong>in</strong>holt auch die Schonung des Haftenkamper<br />
Bruchs. E<strong>in</strong>e Neuvermessung der Markengrenze<br />
zwischen T<strong>in</strong>holt und Haftenkamp<br />
schlichtete alte Streitpunkte. Der Streit um die<br />
Jagdberechtigung im T<strong>in</strong>holter Feld entfachte<br />
aufs Neue, als 1773 der Herr v. Wassenaer aus<br />
Lage den Richter Lüdick <strong>in</strong> Emlichheim beauftragte<br />
und bevollmächtigte, für ihn die<br />
Jagd im Bezirk Emlichheim auszuüben. Im<br />
T<strong>in</strong>holter Feld kam es zu Tätlichkeiten der<br />
Lager Jäger mit den Bentheimern, die <strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />
Koppeljagd im T<strong>in</strong>holter Feld nicht zulassen<br />
wollten …<br />
1795–1815 Franzosenzeit<br />
Als dann 1795 die Franzosen als Revolutionstruppen<br />
<strong>in</strong> Neuenhaus <strong>e<strong>in</strong></strong>rückten und den<br />
Freiheitsbaum aufstellten, Gewerbefreiheit<br />
und Ablösung der bäuerlichen Lasten versprachen,<br />
sah man sie nicht ungern kommen.<br />
Bald aber konnten die Schulten von Kalle und<br />
T<strong>in</strong>holt ihren neuen Pflichten kaum noch<br />
nachkommen, für die Steuer- und Rekrutenlisten<br />
die Unterlagen bereitzustellen. Das<br />
französische Kataster fand immer neue Steuerquellen,<br />
wie Fußböden, Fenster, Türflächen,<br />
Obstbäume; die Rekrutenlisten füllten sich mit<br />
Namen von Jungbauern, die man <strong>e<strong>in</strong></strong>zog, <strong>in</strong><br />
fernen Garnisonen ausbildete und <strong>in</strong> der großen<br />
Armee zum Ruhme Frankreichs kämpfen<br />
ließ. Andere traten <strong>in</strong> das Bentheimer Bataillon<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong> und kämpften gegen Napoleon auf<br />
belgischen Schlachtfeldern. E<strong>in</strong>e Verlustliste<br />
1815 nennt Evert Bangeler aus Kalle, gestorben<br />
am 1. Juni <strong>in</strong> Antwerpen. Der Ausbau des<br />
Straßennetzes für schnelle Truppenbewegungen<br />
gehörte zu den vordr<strong>in</strong>glichen Aufgaben;<br />
die Kaller und T<strong>in</strong>holter sahen, wie die Franzosen<br />
Anstalten trafen, <strong>e<strong>in</strong></strong>en kürzeren Weg<br />
zwischen Neuenhaus und Emlichheim über<br />
Kalle und T<strong>in</strong>holt als Heerstraße auszubauen.<br />
Der Name Franzosendiek blieb <strong>in</strong> Er<strong>in</strong>nerung;<br />
erst 150 Jahre später als Vechtetalstraße mit<br />
Asphaltdecke vollendet.<br />
ARKEL, KALLE UND TINHOLT<br />
Nach 1815<br />
Nach Abzug der Franzosen übernahm der<br />
Droste v. Pestel die Pfandschaftsregierung<br />
aufs Neue; er stellte die alte Ordnung wieder<br />
her, <strong>in</strong> der von den versprochenen Freiheiten<br />
nicht mehr die Rede war. Die Zollschranken<br />
senkten sich, drosselten den Handel und<br />
m<strong>in</strong>derten die Zahl der Arbeitsplätze. Das<br />
Kirchspiel <strong>Arkel</strong> löste sich vom Kirchspiel Emlichheim.<br />
Die Kl<strong>e<strong>in</strong></strong>siedlung <strong>Arkel</strong>, aus nur<br />
vier Bauernhöfen bestehend, erhielt als Sitz<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>es Kirchspiels überörtliche Bedeutung.<br />
Th. Nyhuis führte als erster Pfarrer <strong>in</strong> <strong>Arkel</strong><br />
1819–58 Tauf-, Trau- und Sterberegister des<br />
Kirchspiels. Die von den Franzosen <strong>e<strong>in</strong></strong>gerichteten<br />
Standesämter hatte v. Pestel abgeschafft<br />
und die Beurkundung durch <strong>Kirche</strong>nbücher<br />
wieder <strong>e<strong>in</strong></strong>geführt. Pastor Lucassen versah den<br />
<strong>Kirche</strong>ndienst 1858–66; dann folgte J. M. Nyhuis,<br />
Sohn des ersten Pfarrers; er wirkte als<br />
Konsistorialrat und Kreisschul<strong>in</strong>spektor vorbildlich<br />
<strong>in</strong> s<strong>e<strong>in</strong></strong>em Bezirk, trat für den Bau der<br />
Längsbahn <strong>e<strong>in</strong></strong> und hat als Schriftsteller und<br />
Herausgeber <strong>e<strong>in</strong></strong>er Zeitungsbeilage und der<br />
Reformierten Monatsschrift zur Erwachsenenbildung<br />
beigetragen.<br />
E<strong>in</strong>e Zählung, 1821, ergab für Kalle 21<br />
Feuerstellen und 152 E<strong>in</strong>wohner, für T<strong>in</strong>holt<br />
25 Feuerstellen, 26 Höfe, 135 E<strong>in</strong>wohner. Ar -<br />
mut und Arbeitslage, hoher Grundwasserstand<br />
und offene Brunnen, dürftige Haushaltsführung<br />
und <strong>e<strong>in</strong></strong>seitige Kost waren Ursache<br />
unbefriedigender Gesundheitsverhältnisse.<br />
Zahl reiche Menschen starben im jugendlichen<br />
Alter an „Utteer<strong>in</strong>ge“, der Schw<strong>in</strong>dsucht. Studierte<br />
Ärzte gab es nur wenig. Bei weiten und<br />
schlechten Wegen kamen sie selten <strong>in</strong> abgelegene<br />
Dörfer. Die Apotheke <strong>in</strong> Neuenhaus war<br />
zu weit entfernt. Erst 1830 erhielt auch Emlichheim<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>e Apotheke.<br />
Schankwirtschaften 1828<br />
Im gleichen Jahr erhielt Vogt Brüna die Anweisung,<br />
die Schenkwirtschaften im Gericht<br />
Emlichheim zu registrieren. Sie hatten durch<br />
die ständig zunehmende Zahl der Hollandgänger<br />
genügenden Zuspruch. Die Wirtschaft<br />
B<strong>in</strong>geler <strong>in</strong> Kalle bestand erst seit 1828 und<br />
schenkte ½ Anker aus, Schröer <strong>in</strong> Kalle, seit<br />
65
2<br />
1822 bestehend, verschenkte 1½ Anker. In<br />
T<strong>in</strong>holt bestanden ebenfalls zwei Schenkwirtschaften,<br />
Hilbr<strong>in</strong>k, seit 1828, und Sentkers,<br />
beide mit je 3 Ankern Umsatz. Die Heuerleute<br />
Sentker betrieben den Ausschank schon seit<br />
längerer Zeit. B<strong>in</strong>geler (jetzt Berends) – verschenkt<br />
½ Anker, gegründet 1828 …<br />
Aus Bentheimer Heimatkalender 1936<br />
Seite 82 f.<br />
Das E<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>gen der Franzosen <strong>in</strong> die Grafschaft<br />
brachte im ersten Jahrzehnt des 19.<br />
Jahrhunderts das Ende der Zünfte. Nunmehr<br />
durfte jeder Bürger oder Bauer das<br />
ihm angenehme Handwerk ausüben, ja<br />
deren zwei, drei und mehr gleichzeitig betreiben.<br />
K<strong>e<strong>in</strong></strong> Beruf erfreute sich damals<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>es lebhafteren Zuspruchs als der des<br />
Schenkwirts. Meist brachte er gute und teils<br />
mühelose Gew<strong>in</strong>ne, der Wirt sah vergnügliche<br />
Leute um sich, hörte viel, und das Gewerbe<br />
verhalf nicht selten zu E<strong>in</strong>fluss <strong>in</strong> der<br />
Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de und im öffentlichen Leben. Um<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>e Übersicht darüber zu haben, wie viel<br />
Leute im Bentheimischen das viel begehrte<br />
Nass ausschenkten, erg<strong>in</strong>g im Jahre 1830<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>e Anweisung zur Inventarisierung der<br />
Schenken. Unter Kalle f<strong>in</strong>det man folgende<br />
Angaben: Bd. Schröör (später Heckmann,<br />
jetzt Pr<strong>in</strong>sen) – verschenkt 1½ Anker, gegründet<br />
1822<br />
Da die Schenken unmittelbar an dem Wege<br />
von Veldhausen über T<strong>in</strong>holt nach Emlichheim<br />
belegen s<strong>in</strong>d und dieser Weg von<br />
Frachtwagen bei trockener Zeit viel gebraucht<br />
wird, so ist die Fortdauer der Schenken<br />
nicht unerforderlich.<br />
Markenteilung 1864 –1881<br />
1864–81 nahm man die Teilung der Mark vor,<br />
bei der man 1357 ha unter 89 Teiler aufteilte.<br />
Die Mark bestand aus 318 ha Angerland, 621<br />
ha Heide, 251 ha Suddenboden und 165 ha<br />
Moorboden. Da um diese Zeit auch der M<strong>in</strong>eraldünger<br />
aufkam, ließen sich die neu gewonnenen<br />
Flächen <strong>in</strong> ertragreiches Kulturland<br />
umwandeln. 1859 gab es <strong>in</strong> Kalle 15 Vollerben,<br />
2 Halberben, 2 Kötter, 8 Neubauern, <strong>in</strong><br />
T<strong>in</strong>holt 15 Vollerben, 4 Halberben, 12 Neu-<br />
66<br />
GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />
Haus Heckmann etwa 1942, Frau St<strong>e<strong>in</strong></strong>iger mit<br />
Nichte Gesiene Heckmann. (D<strong>in</strong>i Wortelen)<br />
bauern. 1866 preußisch geworden, gehörte die<br />
Grafschaft zum Großkreis L<strong>in</strong>gen, der bis<br />
1885 bestand. Dann löste man den Kreis Grafschaft<br />
Bentheim mit den Ämtern Bentheim<br />
und Neuenhaus vom Großkreis ab; als Kreisstadt<br />
wählte man Bentheim. Es gab seit 1871<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong> Deutsches Reich mit neuen dekadischen<br />
Münzen, Maßen und Gewichten; der Landbriefträger<br />
kam <strong>in</strong> die Dörfer und brachte<br />
Briefe und Postkarten mit <strong>e<strong>in</strong></strong>er 10- oder 5-<br />
Pfennig-Freimarke versehen. Der Telegraph<br />
vermittelte Telegramme; um die Jahrhundertwende<br />
erlaubte der Fernsprecher <strong>Ort</strong>s- und<br />
Ferngespräche. Landrat Kriege, 1886–1920,<br />
setzte sich für Melioration (Entwässerung),<br />
Schul- und Wegebau <strong>e<strong>in</strong></strong>. Die Schulchronik<br />
berichtet vom Schulbau 1858; 80 Jahre später,<br />
1938, entstand <strong>e<strong>in</strong></strong> neues zweckmäßigeres<br />
Schulhaus. Lehrer J. H. Bleumer schrieb <strong>e<strong>in</strong></strong>en<br />
humorvollen Bericht ,.Up mien Besseva sien<br />
Hoff": Die tief <strong>in</strong> der Heimat wurzelnde Charaktererhaltung<br />
der Bewohner, die Mit- und<br />
Umwelt spiegeln sich dar<strong>in</strong> (siehe Seite 97).<br />
Verkehrsverhältnisse 1870–1930<br />
Die Not auf dem Lande trieb manchen zur<br />
Auswanderung: aus Kalle H. J. Scholten, aus<br />
T<strong>in</strong>holt Jan Mischkotte, Herm<strong>in</strong>a Kaalm<strong>in</strong>k,<br />
Gese Becken, Susanne Klostermann. Die B<strong>in</strong>-
Haus von Loeks–Hessels (jetzt Baumann), 1956/57 abgebrochen (D<strong>in</strong>i Wortelen)<br />
dungen an die Heimat blieben erhalten und<br />
wurden gepflegt; mancher Auswanderer kehrte<br />
nach Jahren gern zum Besuch <strong>in</strong> das Heimatdorf<br />
zurück. 1870 ersetzte <strong>e<strong>in</strong></strong>e Holzbrücke<br />
den bisherigen Fährverkehr; aber diese Brücke<br />
entsprach nicht den Erwartungen. Nicht alle<br />
Bauern wollten sich an den Kosten beteiligen;<br />
der Holzbelag war bald abgenutzt und die<br />
Stützen boten bald nicht mehr die nötige Sicherheit.<br />
Der Übergang zum rechten Vechteufer,<br />
dem Verkehrsufer, gewann an Bedeutung,<br />
als 1890 die Heerstraße über Hoogstede best<strong>e<strong>in</strong></strong>t<br />
wurde und 1906 Haltestellen der Bentheimer<br />
Eisenbahn <strong>in</strong> Berge und Hoogstede<br />
entstanden. Kalle und T<strong>in</strong>holt blieben weiter<br />
<strong>in</strong> Abseitslage.<br />
Seit 1903 diente die landwirtschaftliche<br />
W<strong>in</strong>terschule <strong>in</strong> Neuenhaus dem bäuerlichen<br />
Nachwuchs als Schulungsstätte. Nach dem<br />
Ersten Weltkrieg sollte das Reichssiedlungsgesetz<br />
1919 Raum für vertriebene Bauern<br />
schaffen. In der Folge enteignete der Staat Ödlandflächen,<br />
um sie als Siedlungsstellen vorzubereiten.<br />
Landrat Bön<strong>in</strong>ger, 1920–31, setzte<br />
die Kulturarbeit s<strong>e<strong>in</strong></strong>es Vorgängers Kriege fort,<br />
förderte die Meliorierung der Böden, den Bau<br />
von Verkehrswegen und verschaffte den Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den<br />
durch Verträge mit der RWE den<br />
elektrischen Strom als Energiequelle.<br />
ARKEL, KALLE UND TINHOLT<br />
Emslandplan 1951<br />
Das Staatsgebiet Kalle–T<strong>in</strong>holt mit mehr als 500<br />
Hektar hat nach dem Zweiten Weltkrieg das<br />
Wasserwirtschaftsamt Meppen zur Vechte und<br />
zur Radewijkerbecke entwässert. Als 1951 der<br />
Emslandplan anlief, hielt die Technik ihren E<strong>in</strong>zug<br />
<strong>in</strong> die Vechteufergem<strong>e<strong>in</strong></strong>den. Die Mooradm<strong>in</strong>istration<br />
setzte Großmasch<strong>in</strong>en <strong>e<strong>in</strong></strong>,<br />
Tiefkuhlpflüge, Erdhobel, Scheibeneggen, Erdschaufeln<br />
und Walzen, von 128 Arbeitskräften<br />
bedient. Die Moorflächen mit Torfschichten bis<br />
zu 50 cm Dicke forderten, die Pflüge so <strong>e<strong>in</strong></strong>zustellen,<br />
dass die unterlagernden Sande mit<br />
ergriffen werden, um so <strong>e<strong>in</strong></strong>e günstige Mischkulturschicht<br />
zu erhalten. Drei Hauptvorfluter<br />
mit anschließendem Grabennetz dienen der<br />
Entwässerung. Die Gräben, parallel und gradl<strong>in</strong>ig<br />
mit 200 bis 300 Meter Abstand verlaufend,<br />
s<strong>in</strong>d mit Stauen versehen, die <strong>e<strong>in</strong></strong>en günstigen<br />
Grundwasserstand auch <strong>in</strong> trockenen Perioden<br />
sichern. Nachdem die Flächen <strong>e<strong>in</strong></strong>geebnet und<br />
mit M<strong>in</strong>eraldünger und Kalk versehen waren,<br />
nahm man die E<strong>in</strong>saat vor, bei ger<strong>in</strong>geren<br />
Böden mit Lup<strong>in</strong>en, bei besseren Böden mit<br />
Roggen, Hafer oder Kartoffeln. Auch bei Grünlandflächen<br />
erwies sich <strong>e<strong>in</strong></strong>e vorherige E<strong>in</strong>saat<br />
als günstig, um die Bodengare zu fördern.<br />
E<strong>in</strong> Netz von Wirtschaftswegen <strong>in</strong> Abständen<br />
von 800 Meter gewährleistet den Zugang<br />
67
2<br />
zu den Kulturflächen; an rechtw<strong>in</strong>klig abzweigenden<br />
Betonwegen liegen die Gehöfte der<br />
Siedler. So wuchs aus <strong>e<strong>in</strong></strong>stigem trostlosen Ödland<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>e geplante Streusiedlung hervor, bei<br />
der die Hofstätte vom zugehörenden Kulturland<br />
umgeben ist und so ohne lange Zufahrt<br />
erreicht werden kann. 1954 konnten die ersten<br />
acht Vollerben mit je 15 ha Kulturland besetzt<br />
werden. Forstflächen und W<strong>in</strong>dschutzstreifen<br />
schufen <strong>e<strong>in</strong></strong>e neue Landschaft, die mit den<br />
Schutzgehölzen um das Haus der Flur das Aussehen<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>er Kulturparklandschaft geben.<br />
Straßenbau 1950er Jahre<br />
Den Anschluss an das Kreisstraßennetz brachte<br />
im Jahre 1956 die Querverb<strong>in</strong>dung Wilsum-<br />
Hoogstede, deren Bau <strong>e<strong>in</strong></strong>e Sandauffuhr bis zu<br />
zwei Metern erforderte. Die nach Norden verlängerte<br />
Vechtetalstraße schuf <strong>e<strong>in</strong></strong>e schnelle Verb<strong>in</strong>dung<br />
nach den zentralen <strong>Ort</strong>en Neuenhaus<br />
und Emlichheim. Damit nahm der Plan der<br />
Franzosen 1813 (Franzosendiek) Gestalt an. Die<br />
Nachteile der bisherigen Abseitslage schwanden.<br />
Mit den Straßen kam die Landkraftpost und<br />
verbesserte den Nachrichtenverkehr. Betonbrücken<br />
ersetzten gefahr volle Behelfsbrücken.<br />
Der Wasserbeschaffungsverband Niedergrafschaft<br />
sorgte für den Anschluss an die Tr<strong>in</strong>kwasserleitung.<br />
Das Wirtschaftsleben erhielt <strong>in</strong><br />
dem bisher an Bodenschätzen armen Gebiet<br />
durch Erdöl und Erdgas neuen Auftrieb. Die<br />
erste Bohrung geschah an der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>degrenze<br />
Kalle-T<strong>in</strong>holt. 1957 wurde das Gasfeld Kalle erschlossen.<br />
Das gewonnene Gas leitete man <strong>in</strong><br />
die Gasleitung von Adorf nach Frenswegen; das<br />
Erdöl nahm die Sammelstelle Bathorn auf.<br />
Die Besiedlung verdichtete sich; 1962 gab<br />
es 16 Vollbauernstellen. Jan Jeur<strong>in</strong>k gab <strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />
bevölkerungspolitische Studie über die Bauerschaft<br />
Kalle heraus. Unter den 49 landwirt -<br />
schaftlichen Betrieben gibt es zehn Stammfamilien<br />
und elf Pachthöfe; die meisten Bauern<br />
s<strong>in</strong>d zugzogen. Der Altersaufbau, das Heiratsalter,<br />
K<strong>in</strong>derreichtum, Sterbealter werden <strong>in</strong> Zahlen<br />
angegeben. In der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de gab es k<strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />
Landflucht; die Bevölkerung ist vielmehr stark<br />
bodenständig geblieben. Dem wirtschaftlichen<br />
Aufstieg folgte das Anheben der Grundausrüstung<br />
der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den.<br />
68<br />
GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />
In beiden Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den besteht <strong>e<strong>in</strong></strong> gutnachbarliches<br />
Zusammengehörigkeitsgefühl. In T<strong>in</strong>holt<br />
werden auf Gesellschaftsabenden geselliges<br />
Leben und Tradition gepflegt.<br />
Übersicht 1950<br />
Im Sammelband Landkreis Grafschaft Bentheim<br />
werden für 1950 folgende Daten gegeben:<br />
von den 1119 ha Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>defläche Kalle<br />
waren 584 LN (landwirtschaftliche Nutzflächen)<br />
mit <strong>e<strong>in</strong></strong>em E<strong>in</strong>heitswert von 696 Mark<br />
je Hektar, <strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt von 823 ha Fläche 587<br />
ha LN mit <strong>e<strong>in</strong></strong>em E<strong>in</strong>heitswert von 756 Mark.<br />
Die Bewohner waren <strong>in</strong> Kalle mit 81 Prozent,<br />
<strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt mit 83 Prozent <strong>in</strong> der Landwirtschaft<br />
beschäftigt, <strong>in</strong> Industrie und Handwerk<br />
waren <strong>in</strong> beiden <strong>Ort</strong>en je sieben Prozent, <strong>in</strong><br />
Handel und Verkehr je vier Prozent beschäftigt.<br />
Die LN bestand <strong>in</strong> Kalle zu 30 Prozent aus<br />
Ackerland, zu 69 Prozent aus Grünland, <strong>in</strong><br />
T<strong>in</strong>holt zu 24 Prozent aus Ackerland und zu<br />
75 Prozent aus Grünland. Das Ackerland<br />
nutzte man zu 65 Prozent mit Getreideanbau,<br />
zumeist Roggen, zu 30 Prozent mit Hackfrüchten.<br />
Die ausgedehnten Grünlandflächen<br />
erlauben <strong>e<strong>in</strong></strong>en beachtlichen Tierbestand. Die<br />
GVE (Großvieh<strong>e<strong>in</strong></strong>heit je 100 ha LN) ist für<br />
Kalle überdurchschnittlich mit 119 angegeben,<br />
für T<strong>in</strong>holt mit 110. Beide Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den s<strong>in</strong>d<br />
nach ihrer wirtschaftlichen Struktur r<strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />
bäuerliche Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den ohne größere gewerbliche<br />
Betriebe; <strong>in</strong> ihrem sozialen Gefüge überwiegen<br />
die Selbstständigen mit ihren mithelfenden<br />
Familienmitgliedern …<br />
Quellen<br />
Bleumer, Up mien Besseva sien Hoff, Grafschafter 1956<br />
Bode, Naturschutzgebiet Swartes Venn <strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt,<br />
Grafschafter 1959<br />
Edel, Von der Herrlichkeit Emlichheim, Jahrbuch 1953<br />
Emse, Wasserversorgung der Niedergrafschaft,<br />
Heimatkalender 1951<br />
Friedrich, Torfstichgerechtsame im Kirchspiel Uelsen,<br />
Grafschafter. 1959, Folge 75<br />
Friedrich, Porträt <strong>e<strong>in</strong></strong>er Landgem<strong>e<strong>in</strong></strong>de,<br />
Grafschafter Nachrichten 1960<br />
Frommeyer u. Lögters, Erpl u. Erdgas im Emsland,<br />
Jahrbuch 1960<br />
Jeur<strong>in</strong>k, Kalle, Bevölkerungspolitische Studie,<br />
Grafschafter Nachrichten 1941<br />
Klas<strong>in</strong>k, Moorkultivierung, Grafschafter 1955, Folge 26<br />
Sager, Die Grafschaft Bentheim <strong>in</strong> der Geschichte<br />
Specht, Heimatkunde <strong>e<strong>in</strong></strong>es Grenzkreises<br />
Voort, Heberegister von Bentheim, Jahrbuch 1972<br />
Der Landkreis Grafschaft Bentheim<br />
Zeitungsberichte der Grafschafter Nachrichten<br />
Weitere Angaben im Text
Kalle<br />
D<strong>in</strong>i Wortelen<br />
Farbige Postkarte Kalle, etwa um 1970 (D<strong>in</strong>i Wortelen)<br />
Gaststätte Hessel<strong>in</strong>k <strong>in</strong> Kalle<br />
Eigentümer: 1939–1978 Jan H<strong>in</strong>drik Soer<br />
(gest. 3. 2. 1975) und Frau Herm<strong>in</strong>e<br />
(gest.18.11.1982). 1939 wurde <strong>e<strong>in</strong></strong> Laden errichtet<br />
und ab 1954 gab es hier auch <strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />
Gaststätte.<br />
Betreiber:<br />
1954 bis 1956 Jan-H<strong>in</strong>drik Soer<br />
1956 bis 1964 Arthur R<strong>e<strong>in</strong></strong>hardt<br />
1964 bis 1974 Hermann Smitderk<br />
seit 1974 H<strong>e<strong>in</strong></strong>z Hessel<strong>in</strong>k<br />
und Alt<strong>in</strong>e geb. Nöst<br />
Bis 1976 wohnte Herm<strong>in</strong>e Soer noch <strong>in</strong> diesem<br />
Gebäude, danach lebte sie bis zu ihrem<br />
Tode bei ihrer Tochter Herta <strong>in</strong> Emlichheim.<br />
Um 1978 verkaufte Herm<strong>in</strong>e Soer das gesamte<br />
Gebäude an Familie Hessel<strong>in</strong>k. Hessel<strong>in</strong>k haben<br />
1984 zwei Kegelbahnen gebaut und 2002 den<br />
Laden geschlossen.<br />
Gasthaus Hessel<strong>in</strong>k seit 1939<br />
Herta Schreier geb. Soer aus Emlichheim (2007):<br />
Im Jahre 1939 hat Jan H<strong>in</strong>drik Soer mit s<strong>e<strong>in</strong></strong>er<br />
Frau Herm<strong>in</strong>e <strong>e<strong>in</strong></strong> kl<strong>e<strong>in</strong></strong>es Lebensmittelgeschäft<br />
<strong>in</strong> Kalle aufgemacht. Vorher hatte Soer<br />
Gastwirtschaft Hessel<strong>in</strong>k mit Kegelbahnen,<br />
Kalle 2008 (D<strong>in</strong>i Wortelen)<br />
69
2<br />
<strong>in</strong> Veld hausen und Haftenkamp s<strong>e<strong>in</strong></strong>e Kundschaft<br />
mit Pferd und Wagen aufgesucht. 1939<br />
zog er mit Frau und drei K<strong>in</strong>dern nach Kalle,<br />
wo er im bescheidenen Haus s<strong>e<strong>in</strong></strong> Geschäft<br />
hatte. Es gab nicht viel zu kaufen: Imi, Soda<br />
im Stück (zum Wäsche <strong>e<strong>in</strong></strong>weichen), Kandis,<br />
Zucker, Hefe (im Stück), Erbsen, vielleicht<br />
etwas Kaffee und Buismann zum Bräunen des<br />
Kaffees(!), Petroleum – das Fass durfte noch im<br />
Laden stehen (aber nur für die ersten Jahre).<br />
Das Geschäft lief schlecht, die Bauern waren<br />
Selbstversorger. E<strong>in</strong>gekauft wurde meistens mit<br />
Eiern, die <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong></strong>em Korb mit Häcksel gebracht<br />
wurden. Öfters blieb etwas Eiergeld über, dieses<br />
wurde dann ausgehändigt.<br />
Dann kamen 1940/41 die Lebensmittelmarken.<br />
Jeder bekam <strong>e<strong>in</strong></strong>e bestimmte Zuteilung an<br />
Lebensmitteln. Ich er<strong>in</strong>nere mich noch, dass<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>em Raucher 50 g. Tabak im Monat zugeteilt<br />
wurde! So kam es, dass viele Raucher Tabak<br />
angepflanzt haben. Es war zwar verboten<br />
Tabak zu züchten, doch er wurde versteckt im<br />
Kornfeld aufgezogen, bis er geerntet wurde.<br />
Dann wurden die unteren Blätter, die schon<br />
gelb waren, auf <strong>e<strong>in</strong></strong> Band aufgereiht und getrocknet<br />
und dann ganz f<strong>e<strong>in</strong></strong> geschnitten. Ob<br />
der geschmeckt hat?<br />
Samstagabends mussten die Lebensmittelmarken<br />
sortiert und auf Papier geklebt werden.<br />
Da wir k<strong>e<strong>in</strong></strong> Papier, aber wohl alte Zeitungen<br />
hatten, wurden die Marken mit angerührtem<br />
Mehl auf Zeitungen aufgepappt. (Woher den<br />
Kleber nehmen?). Dann wurde dieses nach Emlichheim<br />
zur Kontrolle gebracht. Oft waren die<br />
Marken abgefallen. Es war <strong>e<strong>in</strong></strong>e Tortour!!<br />
Inzwischen war das vierte K<strong>in</strong>d geboren.<br />
Damit wir alle satt wurden, hat Papa öfters <strong>e<strong>in</strong></strong><br />
paar Fische gefangen, die wurden gebraten und<br />
waren lecker!<br />
Papas Hobby waren die Bienen. Diese Bienenkörbe<br />
wurden im Sommer (bei Nacht) zur<br />
Heideblüte nach Wilsum gebracht. Im Herbst<br />
war dann die Ernte, Scheibenhonig erster<br />
Klasse und Vaters ganzer Stolz. Vor allen D<strong>in</strong>gen<br />
brachte der Honig etwas „Bares“ (Geld)!<br />
1954 wurde <strong>e<strong>in</strong></strong>e kl<strong>e<strong>in</strong></strong>e Kneipe aufgemacht.<br />
Bier wurde nur <strong>in</strong> Flaschen verkauft und wenig<br />
getrunken. Dafür schmeckte der Pannenborg<br />
sche Fusel um so besser. „Dat kaule Söpie“ war<br />
70<br />
GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />
für die Kunden <strong>e<strong>in</strong></strong> Hochgenuss! Auch diese<br />
Zeit hatte etwas Schönes!<br />
Unsere Flucht 1944/45<br />
quer durch Deutschland<br />
Von Hedwig Schepers geb. Liedtke<br />
Der 22. März 1945 war <strong>e<strong>in</strong></strong> wohltuender, angenehm<br />
friedlicher Vorfrühl<strong>in</strong>gstag <strong>in</strong> Kalle.<br />
Für uns, m<strong>e<strong>in</strong></strong>em Großvater (79 Jahre), m<strong>e<strong>in</strong></strong>er<br />
Mutter (52 Jahre), m<strong>e<strong>in</strong></strong>er Schwester (22<br />
Jahre) und m<strong>e<strong>in</strong></strong>em kl<strong>e<strong>in</strong></strong>en Bruder (8 Jahre)<br />
und mir (18 Jahre) bedeutete er das Ende der<br />
Flucht vom östlichsten Zipfel des untergehenden<br />
Dritten Reiches <strong>in</strong> den äußersten westlichen<br />
Zipfel, die Grafschaft Bentheim.<br />
Für uns alle bedeutete die Ankunft <strong>in</strong> Kalle<br />
die Ankunft <strong>in</strong> unserer zukünftigen Heimat<br />
und <strong>e<strong>in</strong></strong> neues Leben fern der Heimat Ostpreußen,<br />
die wir am 20. Oktober 1944 verlassen<br />
mussten.<br />
Wir waren k<strong>e<strong>in</strong></strong>e Gutsbesitzer, sondern<br />
wohnten als Familie <strong>e<strong>in</strong></strong>es Postschaffners <strong>in</strong> der<br />
Kreisstadt Gumb<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> der Meelbeckstraße<br />
20 zur Miete. Gumb<strong>in</strong>nen (heute Gusew), <strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />
Garnisonsstadt, war bis dah<strong>in</strong> weitestgehend<br />
von den Kriegsereignissen verschont geblieben.<br />
Mit dem Heranrücken der f<strong>e<strong>in</strong></strong>dlichen Armee<br />
wurde auch Gumb<strong>in</strong>nen Ziel von Angriffen.<br />
Familienfoto Liedtke vor 1934. Hedwig Schepers geb.<br />
Liedtke, Mutter Auguste, Bruder Bruno (gef. 30. Juni 42<br />
<strong>in</strong> Russland), Vater Karl und Schwester Lieselotte<br />
(Hedwig Schepers)
August 1944 umquartiert<br />
Diese Bedrohung führte dazu, dass bereits im<br />
August 1944 Frauen mit K<strong>in</strong>dern und alte<br />
Leute umquartiert wurden. M<strong>e<strong>in</strong></strong>e Mutter, m<strong>e<strong>in</strong></strong><br />
Opa und m<strong>e<strong>in</strong></strong> jüngerer Bruder kamen von<br />
Gumb<strong>in</strong>nen <strong>in</strong>s 120 Kilometer westlicher gelegene<br />
H<strong>e<strong>in</strong></strong>richsdorf am Frischen Haff auf<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>em Bauernhof unter.<br />
Ich befand mich <strong>in</strong> der Ausbildung zur Bürokauffrau<br />
bei <strong>e<strong>in</strong></strong>em Autoreparaturwerk und<br />
Vulkanisierbetrieb mit Tankstelle und arbeitete<br />
somit <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong></strong>em „kriegswichtigen Betrieb“.<br />
So blieb ich zunächst all<strong>e<strong>in</strong></strong> zurück, jedoch<br />
konnten wir uns noch gegenseitig besuchen.<br />
Am Montag, den 16. Oktober 1944, m<strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />
Mutter und m<strong>e<strong>in</strong></strong> kl<strong>e<strong>in</strong></strong>er Bruder waren zu<br />
Hause, um <strong>e<strong>in</strong></strong>ige Sachen abzuholen, gab es<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>en schweren Bombenangriff auf Gumb<strong>in</strong>nen.<br />
Unser Haus wurde an <strong>e<strong>in</strong></strong>er Seite getroffen. Es<br />
gab k<strong>e<strong>in</strong></strong>en Strom und k<strong>e<strong>in</strong></strong> Gas mehr. Dies und<br />
die weitere Bedrohung waren der Anlass dazu,<br />
dass am 20. Oktober 1944 der Räumungsbefehl<br />
für die gesamte Bevölkerung Gumb<strong>in</strong>nens erfolgte.<br />
Damit begann unsere Flucht.<br />
20. Oktober 1944 Erster Räumungsbefehl<br />
M<strong>e<strong>in</strong></strong>e Mutter, m<strong>e<strong>in</strong></strong> kl<strong>e<strong>in</strong></strong>er Bruder und ich<br />
liefen zu Fuß <strong>in</strong> Richtung Bahnhof und wurden<br />
von <strong>e<strong>in</strong></strong>em Militärlaster <strong>e<strong>in</strong></strong>gesammelt<br />
und zum Bahnhof nach Insterburg mitgenom -<br />
men. Aus dem abfahrbereiten Zug riefen<br />
Insassen uns zu, dass noch Platz sei. In Brauns -<br />
berg (Ostpreußen) stiegen wir um <strong>in</strong> die „Haffuferbahn“<br />
und erreichten noch am selben Tag<br />
Frauenburg. Hier verließen wir den Zug, um<br />
nach neun Kilometern Fußmarsch nach H<strong>e<strong>in</strong></strong>richsdorf<br />
zu m<strong>e<strong>in</strong></strong>em Opa zu kommen. Bis Dezember<br />
1944 konnten wir hier bleiben.<br />
Der nächste Räumungsbefehl beorderte<br />
uns nach Mühlhausen, von wo aus wir<br />
mit dem Zug zur Bahnstation Virchow <strong>in</strong> H<strong>in</strong>terpommern<br />
gelangten. Mit Pferdewagen wurden<br />
die Flüchtl<strong>in</strong>ge dort auf Bauernhöfen<br />
verteilt. Wir kamen bei <strong>e<strong>in</strong></strong>em Bauern <strong>in</strong><br />
Schönfeld unter.<br />
Weihnachten 1944 und den Jahreswechsel<br />
1944/1945 konnten wir hier verbr<strong>in</strong>gen,<br />
m<strong>e<strong>in</strong></strong>e ältere Schwester kam im Januar aus<br />
Königsberg zu uns.<br />
KALLE<br />
Im Zug – ohne Ziel<br />
Am 29. Januar 1945 kam der Bürgermeister<br />
von Schönfeld mit dem nächsten Räumungsbefehl.<br />
Wieder waren wir auf dem Bahnhof<br />
und wurden <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong></strong>en D-Zug verladen, ohne<br />
unser Ziel zu kennen. Der Zug fuhr – stand<br />
und fuhr für mehr als <strong>e<strong>in</strong></strong>e Woche, die Verpflegung<br />
bestand nur aus unserem Reiseproviant.<br />
Wir landeten schließlich <strong>in</strong> Lüdershagen<br />
<strong>in</strong> Vorpommern. In der Schule des <strong>Ort</strong>es wurden<br />
wir mit warmen Essen versorgt und<br />
schliefen auf Stroh. Nur <strong>e<strong>in</strong></strong>ige konnten <strong>in</strong><br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>em richtigen Bett schlafen. Zu Fuß mussten<br />
wir dann weiter nach Beiershagen. In <strong>e<strong>in</strong></strong>em<br />
Behelfsheim erhielten wir <strong>e<strong>in</strong></strong> Zimmer mit<br />
doppelstöckigen Betten und <strong>e<strong>in</strong></strong>er Kochstelle<br />
auf dem Flur. Bis zum 18. März 1945 durften<br />
wir hier bleiben, dann erreichte uns der vierte<br />
Räumungsbefehl. Wieder waren wir im Zug,<br />
<strong>in</strong> Güterwaggons, ohne unser Ziel zu kennen.<br />
Mit Unterbrechungen wegen Fliegeralarm<br />
und Beschuss durch Bordwaffen, kamen wir<br />
am 22. März 1945 ziemlich erschöpft und<br />
hungrig an die Endstation Hoogstede. Sieben<br />
Wochen vor Kriegsende waren wir den Wirren<br />
des Zweiten Weltkrieges den Umständen entsprechend<br />
mit Glück und relativer körper -<br />
licher Unversehrtheit entronnen.<br />
Endstation Hoogstede 22. März 1945<br />
In Hoogstede wurden wir mit Essen, Brot mit<br />
Butter und heißer Milch versorgt. Dann sollten<br />
wir aufgeteilt werden. Wir wollten gerne<br />
zusammenbleiben; Mama, Opa, m<strong>e<strong>in</strong></strong> Bruder,<br />
m<strong>e<strong>in</strong></strong>e Schwester und ich. So kamen wir am<br />
späten Nachmittag dieses Tages nach fünf<br />
Monaten Flucht aus dem ostpreußischen<br />
Gum b<strong>in</strong>nen an der Pissa auf den Hof der Familie<br />
Schepers <strong>in</strong> Kalle an der Vechte, mit den<br />
wenigen Habseligkeiten, die man während der<br />
letzten fünf Monate über verschiedene Stationen<br />
(immer blieb etwas zurück) mit den Händen<br />
tragen und retten konnte.<br />
Auf dem Hof Schepers<br />
Auf dem Hof Schepers wurde für uns auf dem<br />
Dachboden <strong>e<strong>in</strong></strong>e Schlafgelegenheit geschaffen.<br />
Wir schliefen auf Stroh, das von notdürftig<br />
zusammengenagelten Brettern gehalten wurde,<br />
71
2<br />
unter den nackten Dachziegeln. Lediglich m<strong>e<strong>in</strong></strong><br />
Großvater erhielt <strong>e<strong>in</strong></strong> eisernes Bettgestell. Als<br />
Wohn- und Kochgelegenheit diente das Wohnzimmer<br />
der Eheleute Gerhard und Johanna<br />
Schepers (geb. Breukelman).<br />
Auf dem Hof Schepers lebten zu der Zeit<br />
sechs Personen. E<strong>in</strong> russischer Kriegsgefangener<br />
arbeitete <strong>in</strong> der Landwirtschaft mit. Die<br />
Kriegsgefangenen, die auf verschiedenen<br />
Höfen tagsüber arbeiteten, waren <strong>in</strong> der alten<br />
Kaller Schule untergebracht.<br />
Durch Mithilfe bei den Arbeiten auf dem<br />
Hof verdienten wir unsere Unterkunft und<br />
Essen. Opa hackte Holz, Mama wusch Milchkannen<br />
und Wäsche. M<strong>e<strong>in</strong></strong>e Schwester half<br />
auch auf dem Hof und <strong>in</strong> der Küche im Gefangenenlager<br />
Bathorn.<br />
72<br />
GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />
Hedwig, Mutter Auguste und Bruder Gerhard Liedtke vor<br />
dem Haus Schepers, um 1948. (Schepers)<br />
E<strong>in</strong>kaufen, Schule und <strong>Kirche</strong><br />
Es war schon <strong>e<strong>in</strong></strong> großer Unterschied, zwischen<br />
der Kreisstadt Gumb<strong>in</strong>nen und der Landgem<strong>e<strong>in</strong></strong>de<br />
Kalle. In Kalle gab es <strong>e<strong>in</strong></strong>en <strong>e<strong>in</strong></strong>zigen<br />
kl<strong>e<strong>in</strong></strong>en Laden, das Geschäft „Soer“ (heute Gaststätte<br />
Hessel<strong>in</strong>k) an der Wegekreuzung Hoogstede-Wilsum.<br />
Um nach Hoogstede zu kommen,<br />
mussten wir entweder über den kl<strong>e<strong>in</strong></strong>en Vechtesteg<br />
nach <strong>Arkel</strong> oder über die Holzbrücke <strong>in</strong><br />
T<strong>in</strong>holt gehen. Es gab k<strong>e<strong>in</strong></strong>e befestigten Wege<br />
und nur teilweise elektrisches Licht. Auch die<br />
Umgangssprache „plattdeutsch“ war für uns<br />
fremd und führte zu <strong>e<strong>in</strong></strong>igen „Verständigungsschwierigkeiten“.<br />
M<strong>e<strong>in</strong></strong> Bruder musste <strong>in</strong> Kalle zur Schule<br />
gehen. Lehrer war zu der Zeit <strong>e<strong>in</strong></strong> Herr Kor<strong>in</strong>g<br />
und s<strong>e<strong>in</strong></strong>e Tochter Marga war Schulhelfer<strong>in</strong>.<br />
Erst nach Kriegsende fiel für <strong>e<strong>in</strong></strong> halbes Jahr<br />
die Schule aus und begann am 28. August<br />
1945 erneut unter der Lehrer<strong>in</strong> Ilse Hartmann.<br />
Frl. Hartmann war wie wir lutherisch. Sonntags<br />
g<strong>in</strong>gen wir oft gem<strong>e<strong>in</strong></strong>sam zu Fuß zu den<br />
Gottesdiensten, die <strong>in</strong> der reformierten <strong>Kirche</strong><br />
<strong>in</strong> Hoogstede für „Lutheraner“ von Pastor Nitsche<br />
gehalten wurden.<br />
Haushalt, Landwirtschaft und Moor<br />
Ich selbst arbeitete nach kurzer Zeit als Haushaltshilfe<br />
bei der Familie van Faaßen (Cous<strong>in</strong><br />
der Familie Schepers) im Kaller Feld (heute<br />
Hof H<strong>in</strong>drik Speet). Im Kaller Feld gab es k<strong>e<strong>in</strong></strong><br />
elektrisches Licht und wie <strong>in</strong> ganz Kalle gab es<br />
nur Sandwege, Heide und Feuchtwiesen. Jeden<br />
Tag b<strong>in</strong> ich zu Fuß dorth<strong>in</strong> gegangen, morgens<br />
h<strong>in</strong> und abends zurück. Neben allgem<strong>e<strong>in</strong></strong>er<br />
Hausarbeit und Feldarbeit wurde im<br />
Frühsommer im Bathorner Moor Torf gestochen.<br />
Mit dem Fahrrad (ab und zu mit Pferd<br />
und Wagen) fuhren wir <strong>in</strong>s Moor. Als Verpflegung<br />
gab es Pfannkuchen, Eier, Brot und<br />
Speck. Der Weg führte über die Holzbrücke<br />
von T<strong>in</strong>holt nach Hoogstede und dann über<br />
Sandwege bis <strong>in</strong>s Moor bei Bathorn.<br />
Langsam normalisierte sich das Leben und<br />
wir gewöhnten uns an unsere neue Heimat.<br />
Dazu gehörte, dass die provisorische Bleibe<br />
ausgebaut wurde und nach und nach D<strong>in</strong>ge<br />
des täglichen Bedarfs angeschafft wurden. E<strong>in</strong><br />
großer Verlust war der Tod m<strong>e<strong>in</strong></strong>es Opas im
Februar 1947. Ebenfalls 1947 heiratete m<strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />
Schwester ihren ostpreußischen Verlobten, der<br />
1946 aus der Kriegsgefangenschaft zurückkam,<br />
<strong>in</strong> der reformierten <strong>Kirche</strong> <strong>in</strong> Hoogstede<br />
und zog dann nach Osnabrück. M<strong>e<strong>in</strong></strong>e Mutter<br />
und m<strong>e<strong>in</strong></strong> Bruder wohnten bis 1961 bei der<br />
Familie Schepers. M<strong>e<strong>in</strong></strong> Bruder heiratete 1961<br />
und zog nach Hoogstede. Er nahm m<strong>e<strong>in</strong></strong>e Mutter<br />
mit, die bis zu ihrem Tod 1962 bei ihm lebte.<br />
1950er Jahre<br />
Bis 1950 war ich bei der Familie van Faaßen<br />
im Haushalt, den ich nach dem Tod der Ehefrau<br />
und Mutter 1947 bis zu s<strong>e<strong>in</strong></strong>er erneuten<br />
Heirat führte. Danach arbeitete ich im Kaufhaus<br />
Fühner <strong>in</strong> Emlichheim als Verkäufer<strong>in</strong>.<br />
Im Mai 1954 wurde ich die Ehefrau von Gerrit<br />
Jan Schepers, dem jüngsten Sohn der Familie<br />
Schepers, die uns nach der Flucht<br />
aufgenommen hatte. Unseren eigenen Hausstand<br />
gründeten wir <strong>in</strong> unserem neuen Haus<br />
ebenfalls <strong>in</strong> Kalle. Seitdem gehöre ich zur alt -<br />
reformierten <strong>Kirche</strong> <strong>in</strong> Hoogstede und habe<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>en festen Platz <strong>in</strong> m<strong>e<strong>in</strong></strong>er neuen Heimat gefunden.<br />
Heimatvertriebene <strong>in</strong> Kalle nach 1945<br />
Von Hedwig Schepers, Herbert Ens<strong>in</strong>k<br />
und D<strong>in</strong>i Wortelen<br />
1. Ehepaar Neumann aus Ostpreußen<br />
wohnten <strong>in</strong> der alten Schule mit Tochter<br />
(verheiratet Gnass) mit Mann, Edith und<br />
Erw<strong>in</strong>,<br />
2. Ehepaar Lendzian wohnten bei Lobbel<br />
2 Söhne Walter und Otto wohnten<br />
<strong>in</strong> der neuen Schule,<br />
3. Frau Anna Grotzky und Mann mit Sohn<br />
Günter wohnten zuerst bei Wortelen <strong>in</strong><br />
Bahne, dann bei Hermann Wortelen, Kalle,<br />
4. Frau Hagel mit 3 Söhnen und 1 Tochter<br />
wohnten bei Albers, heute Hof Baumann,<br />
5. Frau Anna Markst<strong>e<strong>in</strong></strong>er und Rudolf<br />
Pf(F)eiler wohnten bei Kl<strong>e<strong>in</strong></strong>e-Lambers,<br />
heute Hilber<strong>in</strong>k,<br />
6. Frau Bleihöfer und Tochter Magda<br />
(Tochter – als Aushilfe bei<br />
Hermann Wortelen) wohnten<br />
bei Lübbers (heute Meyer<strong>in</strong>k),<br />
KALLE<br />
17. Herr Herbert Fleischmann und Herr<br />
Werner Lorenz wohnten erst bei Bauer<br />
G. J. Groene, danach <strong>in</strong> der alten Schule<br />
(Nachfolger von Ehepaar Neumann),<br />
18. Frau Lydia Hegenbarth wohnte bei<br />
H.-J. Groene, heute Arends Koppeldiek,<br />
19. Frau Samuleit und Sohn Rudi<br />
wohnten bei Heckhuis,<br />
10. Frau Schwarz mit 2 Söhnen, danach<br />
Ehepaar Derjung mit Sohn, Tochter war<br />
bei Heckmann, anschließend Frau Vera<br />
Pilz aus Polen (gehörte zu den Jehovas<br />
Zeugen), wohnten bei Speet, Bahne,<br />
11. Frau Selma Nickel und Mann mit Sohn<br />
Erw<strong>in</strong> und Tochter Erika<br />
Vor Nickel war <strong>e<strong>in</strong></strong>e Mutter mit Tochter<br />
Grete da, (Name ist unbekannt), wohnten<br />
bei Geers, Bahne (Erw<strong>in</strong> war lange Zeit<br />
B-Soldat bei Geers),<br />
12. Frau Helene Maurieschat und Tochter<br />
Maria (kamen 1945), wohnten bei Dietrich<br />
Plasger. Die Tochter war schon bei<br />
ihrer Ankunft schwer an Krebs erkrankt<br />
und starb nach sechs Wochen. Sie wurde<br />
<strong>in</strong> Emlichheim beigesetzt. Später zog<br />
Helene zu ihren Töchtern <strong>in</strong>s Ruhrgebiet.<br />
13. Herr Willi Kesselhut<br />
wohnte bei Lübbers (heute Meyer<strong>in</strong>k)<br />
und war als B-Soldat <strong>e<strong>in</strong></strong>gesetzt.<br />
Später folgten s<strong>e<strong>in</strong></strong>e Eltern Karl<br />
und M<strong>in</strong>na Kesselhut mit Sohn Erich.<br />
Nach <strong>e<strong>in</strong></strong>igen Monaten zogen sie<br />
<strong>in</strong> die Emlichheimer Weusten,<br />
wo M<strong>in</strong>na als Haushälter<strong>in</strong><br />
bei Familie Koers arbeitete.<br />
13. Familie Hoffmann<br />
wohnte bei G.J. Groene,<br />
und 2 Söhne (Herbert und Friedel)<br />
wohnten bei Jan-Harm Teunis.<br />
14. Frau Rudat und Sohn (der Mann<br />
war bei der Regierung <strong>in</strong> Osnabrück<br />
beschäftigt) wohnten bei G.J. Groene.<br />
Sie zogen 1947 nach Osnabrück.<br />
15. Frau Auguste Liedtke<br />
mit Sohn Gerhard<br />
und 2 Töchter Lieselotte<br />
und Hedwig (heute Schepers)<br />
und Opa Liedtke,<br />
wohnten bei Gerhard Schepers.<br />
73
2<br />
Die Gründung<br />
der Kaller Siedlung um 1950<br />
D<strong>in</strong>i Wortelen<br />
Über fast die ganze spätere Kaller Siedlung erstreckte<br />
sich bis 1950 <strong>e<strong>in</strong></strong>e öde Landschaft mit<br />
viel Heide und wildem Gras. Das Moor war<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>en halben bis <strong>e<strong>in</strong></strong>en Meter tief und von <strong>e<strong>in</strong></strong>zelnen<br />
gefährlichen Moorkuhlen durchzogen.<br />
Bis <strong>in</strong> die 1930er und 1940er Jahre kamen<br />
Menschen aus den umliegenden <strong>Ort</strong>schaften<br />
Kalle, T<strong>in</strong>holt, Wilsum und Haftenkamp hierher,<br />
um Grassoden (Plaggen) zu stechen. K<strong>in</strong>der<br />
mussten die Soden umlegen, damit sie<br />
trockneten. Diese Soden wurden anstelle von<br />
Stroh <strong>in</strong> die Viehställe <strong>e<strong>in</strong></strong>gebracht. Von dort<br />
aus wanderten sie als Dünger auf den Acker,<br />
die Esche oder Kämpe. Sie s<strong>in</strong>d durch diese<br />
Art der Düngung im Laufe der Jahrhunderte<br />
immer höher geworden.<br />
In der späteren Kaller Siedlung weideten<br />
früher die Schafe der umliegenden Höfe <strong>in</strong> der<br />
Heide unter Aufsicht der Schäfer. E<strong>in</strong>ige Heideflächen<br />
waren das Koffiegat, das Teegat, das<br />
Plaggengat, Egbers Venne oder der Fettpott.<br />
Kl<strong>e<strong>in</strong></strong>e Flächen dieses Gebietes gehörten<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>zelnen Landwirten, der größte Teil war<br />
Markengrund (also allgem<strong>e<strong>in</strong></strong>er Besitz der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de)<br />
oder später Staatseigentum.<br />
74<br />
GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />
Um 1950 wurde das Ödland kultiviert. E<strong>in</strong><br />
Ottomeyer-Pflug pflügte den Boden bis zu<br />
zwei Meter tief um. Der Pflug wurde zwischen<br />
zwei Dampfmasch<strong>in</strong>en (Lokomotiven) mit<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>em Drahtseil von <strong>e<strong>in</strong></strong>em Ende des Feldes<br />
zum anderen gezogen.<br />
1950/51 legte man Wege und Entwässerungsgräben<br />
an. E<strong>in</strong>- bis <strong>e<strong>in</strong></strong><strong>e<strong>in</strong></strong>halb Meter<br />
Moor musste zuerst mit der Schaufel abgegraben<br />
und auf Loren abtransportiert werden.<br />
Die Gräben wurden teils im Akkord ausgehoben.<br />
E<strong>in</strong> Teilstück wurde morgens abgesteckt;<br />
wenn es fertig war, hatte man s<strong>e<strong>in</strong></strong>en Lohn<br />
verdient. E<strong>in</strong>e Arbeitswoche zählte 48 Stunden.<br />
Diese Arbeiten führten die Firmen Schneider,<br />
Schoemaker und Holzmann aus.<br />
Es wurde bekannt, dass <strong>in</strong> Kalle neue Siedlerstellen<br />
errichtet werden sollten. Interessenten<br />
konnten sich beim Kulturamt <strong>in</strong> Meppen<br />
bei <strong>e<strong>in</strong></strong>em Dr. Schulte melden und bewerben.<br />
Der sah sich die „Bewerberhöfe“ an, was sie<br />
an Vieh und Masch<strong>in</strong>en hatten, und ob sie für<br />
die bereits errichteten Siedlerstellen geeignet<br />
wären. Familie Voß erhielt am 22. Mai 1954,<br />
genau am 50. Hochzeitstag der Eltern, <strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />
Zusage. Sie zog am 17. Juni 1954 <strong>in</strong> ihr neues<br />
Haus <strong>e<strong>in</strong></strong>.<br />
Ottomeyerpflug (Aus „Alt-Hoogstede“)
Hof Büter <strong>in</strong> Kalle<br />
um 1960 mit sieben<br />
Getreidemieten<br />
(Günter Büter)<br />
Der Hof Vos <strong>in</strong> der Kaller Siedlung um 1955/56 (D<strong>in</strong>i Wortelen)<br />
1953 war schon <strong>e<strong>in</strong></strong>e ganze Reihe von<br />
Siedlerstellen fertig. Breman, Koschnik, Robbert,<br />
Roseman, Teunis und Wegert zogen 1953<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>. 1954 folgten sieben weitere Familien: Baggert<br />
(heute Magritz), Büter, Esschendal, Herms,<br />
Rex (heute Wehner), ter Horst und Voß.<br />
1955 kamen schließlich die Höfe Bergmann,<br />
Dünow und van Faassen (heute Arends) und die<br />
Kl<strong>e<strong>in</strong></strong>siedlerstelle Wever (heute Germs) dazu.<br />
Wever arbeitete beim Kulturamt Meppen, das<br />
zu diesem Zeitpunkt <strong>e<strong>in</strong></strong>e Nebenstelle auf dem<br />
Hof von Hilse errichtet hatte, damals noch Jansen.<br />
Dr. Schulte hatte hier auch s<strong>e<strong>in</strong></strong> Büro.<br />
Die Landwirte, die <strong>e<strong>in</strong></strong>e Zusage hatten,<br />
konnten <strong>in</strong> fertige Häuser <strong>e<strong>in</strong></strong>ziehen. Die kul-<br />
KALLE<br />
tivierten Flächen waren schon mit Gras, Kartoffeln<br />
und Getreide bestellt. Jeder Siedler<br />
bekam die gleiche Flächengröße von jeder<br />
Frucht zugeteilt. Die Siedler mussten vom E<strong>in</strong>zug<br />
an jedes Jahr <strong>e<strong>in</strong></strong>en kl<strong>e<strong>in</strong></strong>en Betrag an das<br />
Kulturamt Meppen entrichten, sodass die<br />
Stelle im Laufe der Zeit Eigentum werden<br />
konnte. Um 1961 wurden die Sandwege <strong>in</strong> der<br />
Kaller Siedlung zu Straßen ausgebaut.<br />
In der Kaller Siedlung entspr<strong>in</strong>gt der Radewijker<br />
Bach, der die Siedlung entwässert. Er<br />
fließt durch Wilsum, Wielen und danach weiter<br />
durch Radewijk <strong>in</strong> den Niederlanden. Er<br />
mündet <strong>in</strong> die Vechte.<br />
75
2<br />
Der Vechtesteg Kalle-<strong>Arkel</strong><br />
(etwa 1946 bis 1961)<br />
Von D<strong>in</strong>i Wortelen<br />
Früher – kaum jemand war damals motorisiert –<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong> Steg von Kalle nach <strong>Arkel</strong> führt;<br />
nicht aus Beton, sondern aus dicken Eichenbrettern.<br />
H<strong>in</strong>überzugehen glich mehr <strong>e<strong>in</strong></strong>em Klettern.<br />
Der Steg bedeutete den Menschen viel,<br />
suchten sie am anderen Ufer der Vechte ihr Ziel.<br />
Hatte man Glück, gab es <strong>e<strong>in</strong></strong> Fahrrad im Haus,<br />
sonst g<strong>in</strong>g man zu Fuß <strong>in</strong> Klumpen h<strong>in</strong>aus.<br />
Der Steg war nicht wirklich sehr breit.<br />
Man g<strong>in</strong>g h<strong>in</strong>ter<strong>e<strong>in</strong></strong>ander, nicht zu zweit.<br />
E<strong>in</strong>seitig ’ne Latte – mehr gab es nicht,<br />
das reichte den meisten fürs Gleichgewicht.<br />
Durch die Vechte verlief die Furt neben dem Steg<br />
für Pferdegespanne – <strong>e<strong>in</strong></strong> beschwerlicher Weg.<br />
Fröhliche K<strong>in</strong>der spielten sommers im Fluss.<br />
Heute fährt man kilometerweit mit dem Autobus.<br />
Flussabwärts bei Bahne – von <strong>Arkel</strong> nicht weit,<br />
gab’s noch <strong>e<strong>in</strong></strong>en Steg; so sparte man Zeit,<br />
den Weg nach <strong>Arkel</strong> und R<strong>in</strong>ge zu geh’n.<br />
Nur leider war es sehr unbequem.<br />
Vor fünfzig Jahren dann <strong>e<strong>in</strong></strong>e richtige Brücke<br />
für Kalle – bei Bahne schloss sich viel später die Lücke.<br />
Von vielen Radfahrern wird die dort benutzt;<br />
aber Autofahrer halten verdutzt.<br />
Hier heißt es für sie: Rückwärtsgang r<strong>e<strong>in</strong></strong>!<br />
Drüberfahren darf nicht s<strong>e<strong>in</strong></strong>!<br />
76<br />
GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />
Oben und unten:<br />
Vechtesteg Kalle-<strong>Arkel</strong>, 1956 (Gerrit Ranft)<br />
Neue Fahrradbrücke bei Bahne,<br />
seit 1999 (Jan H<strong>in</strong>drik Teunis)
Straßenbau<br />
Von D<strong>in</strong>i Wortelen<br />
Wasserfreie Straße beantragt <strong>in</strong> 1931<br />
E<strong>in</strong>gabe der E<strong>in</strong>wohner von <strong>Arkel</strong><br />
„Wir Unterzeichneten haben im W<strong>in</strong>ter überaus<br />
schlechte Wegeverhältnisse. Bei <strong>e<strong>in</strong></strong>er<br />
ger<strong>in</strong>gen Überschwemmung steht unser Hauptweg<br />
unter Wasser, und <strong>Arkel</strong> ist <strong>e<strong>in</strong></strong>er Insel<br />
gleich. Hier haben wir zur Zeit sieben schulpflichtige<br />
K<strong>in</strong>der, die dann oft wochenlang mit<br />
dem Fuhrwerk durchgefahren werden müssen.<br />
In Krankheitsfällen kann dann kaum <strong>e<strong>in</strong></strong> Arzt<br />
nach hier kommen. Bei mäßigem Frost, wenn<br />
das Eis nicht hält, und der Weg auch mit<br />
Führwerk nicht passiert werden kann, ist es<br />
schon vorgekommen, daß K<strong>in</strong>der auf dem<br />
Bahndam zur Taufe getragen wurden. Die Eltern<br />
mussten sich also nicht nur der Strafe,<br />
sondern auch der Gefahr aussetzen. Sollte <strong>in</strong><br />
solcher Zeit <strong>e<strong>in</strong></strong>e Beerdigung stattf<strong>in</strong>den müssen,<br />
so wären wir <strong>in</strong> größter Ver-legenheit. An<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>e Milchlieferung an die Molkerei im W<strong>in</strong>ter<br />
ist nicht zu denken. Auch hat der Handel<br />
viel darunter zu leiden, da oft <strong>e<strong>in</strong></strong> Viehtransport<br />
unmöglich ist und die Händler dann zurück<br />
bleiben müssen. Selbst der Schornst<strong>e<strong>in</strong></strong>feger<br />
hat das vorige Mal nicht fegen können,<br />
weil der Weg nicht passierbar war. Ähnliche<br />
Fälle könnten wir wohl viele anführen. Früher<br />
konnten wir per Kahn Hoogstede erreichen,<br />
das ist jetzt unmöglich, da die Wiesen<br />
mit Stacheldraht durchzogen s<strong>in</strong>d.<br />
Von seiten der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de ist schon viel zur<br />
L<strong>in</strong>derung der Not geschehen, aber es bleibt<br />
dieselbe Lage. Da wohl kaum <strong>e<strong>in</strong></strong> <strong>Ort</strong> der ganzen<br />
Grafschaft so schlechte Wegeverhältnisse<br />
hat, erlauben wir uns, <strong>e<strong>in</strong></strong>e wasserfreie Straße<br />
zu beantragen.<br />
<strong>Arkel</strong>, den 21. März 1931<br />
gez. J. Jeur<strong>in</strong>k, J. Scholten,<br />
G.J. Scholten, J.W. Warmer“<br />
Aus <strong>e<strong>in</strong></strong>er „Denkschrift über die Verkehrsverhältnisse im<br />
Kreise Grafschaft Bentheim, herausgegeben vom Ausschuß<br />
für Verbesserung und Neuanlegung von Straßen und Wegen<br />
<strong>in</strong> der Grafschaft Bentheim“.<br />
Als Manuskript gedruckt, Nordhorn, August 1931.<br />
KALLE<br />
Die Straße nach <strong>Arkel</strong> steht auch heute ab und zu<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>mal unter Wasser (Johann Kemkers)<br />
Alte Vechtetalstraße 1951/53<br />
1951 plante der Kreis <strong>e<strong>in</strong></strong>e Straßenverb<strong>in</strong>dung<br />
von Emlichheim über Kalle und T<strong>in</strong>holt nach<br />
Haftenkamp und Neuenhaus. Abschnittweise<br />
wurden diese Arbeiten ausgeführt. Etwa zwei<br />
Kilometer wurden von Emlichheim aus über<br />
Oever<strong>in</strong>gen ausgebaut. E<strong>in</strong> Herr Pikkemaat<br />
aus Nordhorn, der die Jagdpacht hatte, lieferte<br />
das Material, große Sandst<strong>e<strong>in</strong></strong>brocken, für den<br />
Unterboden für die erste Befestigung. Die<br />
Landwirte aus Kalle haben dieses Material<br />
verarbeitet.<br />
Man hoffte, dass man mit weiterer Unterstützung<br />
des Kreises die Straße wenigstens bis<br />
zur <strong>Ort</strong>smitte von Kalle weiterbauen könne,<br />
um dadurch <strong>e<strong>in</strong></strong>en Anschluss an die geplante<br />
Straße von Wilsum nach Hoogstede zu bekommen.<br />
Der Straßenbau Emlichheim–Kalle wurde<br />
erst 1953 wieder <strong>in</strong> Angriff genommen. Für<br />
etwa zwei Kilometer wurden die erforderlichen<br />
Mittel durch Darlehen bereitgestellt, so<br />
dass die Straße Ende 1953 bis <strong>in</strong> die Nähe der<br />
Schule ausgebaut war. 1954 wurde die Verb<strong>in</strong>dungEmlichheim–Kalle–T<strong>in</strong>holt–Haftenkamp–Neuenhaus<br />
ganz fertig.<br />
Wilsumer Straße 1952–1957<br />
Die Straße Wilsum–Hoogstede ist 1952 bis<br />
nach Kalle gebaut worden, und zwar bis zur<br />
Gaststätte Hessel<strong>in</strong>k, damals Soer.<br />
Der weitere Verlauf musste nun erst<br />
beschlossen werden. Die Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de T<strong>in</strong>holt<br />
wünschte die Weiterführung durch T<strong>in</strong>holt, um<br />
<strong>in</strong> den Genuss <strong>e<strong>in</strong></strong>er Straße zu kommen und<br />
77
2<br />
von dem kostspieligen Unterhalt der Vechtebrücke<br />
befreit zu werden. Bei diesem Plan<br />
ergaben sich aber Schwierigkeiten. Das Kulturamt<br />
Meppen wünschte <strong>e<strong>in</strong></strong>e Weiterführung<br />
gradl<strong>in</strong>ig über den „Kaller Mäss“ <strong>in</strong> Richtung<br />
Hoogstede, um dort die Verb<strong>in</strong>dung mit der bereits<br />
ausgebauten Betonstraße durch das Bourtanger<br />
Moor zu erhalten.<br />
Schwierigkeiten im Straßenbau ergaben sich<br />
<strong>in</strong> Hoogstede mit der Bentheimer Eisenbahn.<br />
Sie ließ k<strong>e<strong>in</strong></strong>en neuen Bahnübergang zu, solange<br />
die Sicherheit nicht gewährleistet sei. Besichtigungen,<br />
Verhandlungen im Kreistag und<br />
mit der Bentheimer Eisenbahn lösten <strong>e<strong>in</strong></strong>ander<br />
im Frühjahr 1955 ab. Die Weiterführung von<br />
Kalle <strong>in</strong> Richtung Hoogstede wurde beschlossen.<br />
Die Firma Holzmann bekam den Zuschlag.<br />
In wenigen Monaten waren der Fahrdamm teilweise<br />
bis zu drei oder vier Meter aufgefahren,<br />
die Vechte im Bereich der Brücke reguliert<br />
sowie Brücke und die Betonstraße fertiggestellt.<br />
Nur <strong>e<strong>in</strong></strong> Sanddamm von etwa 800 Meter Länge<br />
war noch nicht gepflastert, da sich der Boden<br />
erst setzen musste.<br />
Am 16. Dezember 55 wurde die neue Brücke<br />
dem Verkehr übergeben. Regierungspräsident<br />
N. Friemann zerschnitt das Band. Vertreter des<br />
78<br />
GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />
September 1955, vor der Vechtebrücke <strong>in</strong> Kalle (Willy Friedrich)<br />
Wasserwirtschaftsamtes Meppen, des Kreises<br />
und der Firma Holzmann, die Arbeiter und<br />
E<strong>in</strong>wohner von Kalle und T<strong>in</strong>holt hatten sich<br />
an der neuen Brücke <strong>e<strong>in</strong></strong>gefunden. Die K<strong>in</strong>der<br />
der Schulen Hoogstede und Kalle gaben mit<br />
Liedern und Gedichten der Stunde <strong>e<strong>in</strong></strong>en feierlichen<br />
Rahmen.<br />
Noch h<strong>in</strong>derte der Sanddamm den Durchgangsverkehr,<br />
noch war die Bl<strong>in</strong>klichtanlage<br />
nicht fertiggestellt und der Bahnübergang<br />
nicht freigegeben; aber für die Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Kalle<br />
bildeten Brücke, Damm und Straße schon <strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />
wesentliche Verbesserung. Die Querverb<strong>in</strong>dung<br />
nach Hoogstede war geschaffen. Hochwasser<br />
und Schlamm würden den Bewohnern<br />
k<strong>e<strong>in</strong></strong>e Sorgen mehr bereiten wie vorher.<br />
Im Frühjahr 1956 wurden die Arbeiten an<br />
der Betonstraße Wilsum–Hoogstede wieder<br />
aufgenommen. Der Sanddamm erhielt <strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />
Betondecke. Am 05. September 1956 war die<br />
Straße fertig. Man rechnete mit <strong>e<strong>in</strong></strong>er schnellen<br />
Freigabe der Querverb<strong>in</strong>dung. Landkreis<br />
und Kreis bahn wurden sich nicht <strong>e<strong>in</strong></strong>ig über<br />
die Über- nahme der Kosten bei möglichen<br />
Verkehrsunfällen und <strong>e<strong>in</strong></strong>er eventuellen Beschrankung,<br />
falls die Straße <strong>e<strong>in</strong></strong>mal <strong>e<strong>in</strong></strong>e Bundesstraße<br />
würde.
Die Bevölkerung wurde ungeduldig und<br />
überlegte schon, Maßnahmen zu ergreifen.<br />
Das „heikle“ Problem der Bahnkreuzung löste<br />
sich überraschend: Am 12. Februar 1957<br />
setzte die Kreisbahn die Bl<strong>in</strong>klichtanlage <strong>in</strong><br />
KALLE<br />
E<strong>in</strong>weihung Vechtebrücke Kalle 1955. L<strong>in</strong>ks dirigiert Lehrer Schlötel, rechts mit Hut Lehrer Friedrich Wüppen. (Willy Friedrich)<br />
Abbildung 50 September 1955 beim Bau der<br />
neuen Brücke <strong>in</strong> Kalle (Willy Friedrich)<br />
Betrieb. Niemand erfuhr, warum das plötzlich<br />
möglich war. Ohne „feierliche“ Übergabe<br />
wurde die Straße freigegeben. In den Monaten<br />
zuvor hatten die Kaller schon die Straße und<br />
den Bahnübergang beim Hof Stroot benutzt.<br />
Regierungspräsident N. Friemann zerschnitt<br />
das Band. (Willy Friedrich)<br />
79
2<br />
Franzosendiek 1965–1966<br />
Im Sommer 1965 wurde <strong>e<strong>in</strong></strong> Teilstück des<br />
Franzosendieks von Emlichheim bis Kalle<br />
(H<strong>e<strong>in</strong></strong> Wortelen) bereits fertiggestellt. Im Jahr<br />
1966 s<strong>in</strong>d die Mittel für den zweiten Bauabschnitt<br />
bewilligt und der Firma Kwade,<br />
Groß-R<strong>in</strong>ge, die Arbeiten übertragen worden.<br />
Schwierigkeiten bot die Kreuzung mit der Betonstraße<br />
Hoogstede–Wilsum. Man dachte zuerst<br />
an <strong>e<strong>in</strong></strong>e Über- oder Unterführung, nahm<br />
da von jedoch wieder Abstand. Es entstand nun<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>e „übersichtliche, geräumige Kreuzung“. Bis<br />
zum Jahresende 1966 war die Straße als Pflas -<br />
terst<strong>e<strong>in</strong></strong>straße fertiggestellt. An der Kreuzung<br />
hat es <strong>in</strong> den späteren Jahren viele Todesopfer<br />
gegeben. Sie war bekannt als „Todeskreuzung“.<br />
Erst der vor wenigen Jahren gebaute<br />
Kreisverkehr hat hier Abhilfe geschaffen.<br />
Hochwasser 1960/61<br />
Im Dezember 1960 gab es <strong>e<strong>in</strong></strong>e allgem<strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />
Hochwasserkatastrophe. Nach der großen<br />
Dürre im Sommer 1959 und dem Wassermangel<br />
im Frühjahr 1960 glaubten viele nicht<br />
mehr an <strong>e<strong>in</strong></strong> Hochwasser. Die letzte Hochwasserkatastrophe<br />
von 1946 war nur noch wenigen<br />
<strong>in</strong> Er<strong>in</strong>nerung.<br />
Durch heftige Regenfälle stieg das Grundwasser<br />
schnell, die Vechte erhielt rasch große<br />
Wassermengen zugeführt und trat über ihre<br />
80<br />
GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />
Ufer. Gewaltige Wassermassen drangen von<br />
Neuenhaus und Esche nordwärts. Am 6. Dezember<br />
1960 brachen die Dämme <strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt.<br />
Unaufhaltsam drängten die Fluten vorwärts.<br />
Am 8. Dezember 60 brach auch <strong>in</strong> Kalle der<br />
Damm. Die Straße unterhalb der Schule <strong>in</strong><br />
Richtung Emlichheim stand unter Wasser. Nur<br />
wenige K<strong>in</strong>der kamen morgens zur Schule. E<strong>in</strong>ige<br />
mussten sofort wieder zurückgeschickt<br />
werden, damit sie nicht durch die Wassermassen<br />
von zu Hause abgeschnitten würden. Lehrer<br />
und K<strong>in</strong>der beteiligten sich am Aufwerfen<br />
von Dämmen. Vormittags konnte die Flut gehemmt<br />
werden, nachmittags brachen die neuen<br />
Dämme und das Wasser drang weiter vor. Die<br />
Häuser lagen wie Inseln im Wasser und mussten<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>zeln durch Dämme geschützt werden.<br />
Zum Glück setzte gutes Wetter <strong>e<strong>in</strong></strong>, sodass<br />
die Fluten anschließend rasch wieder abzogen.<br />
Mit solch <strong>e<strong>in</strong></strong>er Hochwasserkatastrophe hatte<br />
niemand gerechnet. Kartoffelmieten und Roggendiemen<br />
waren <strong>in</strong> der Nähe der Häuser an<br />
niedrigen Stellen errichtet. Der Schaden war<br />
umso größer. „Doar häw moal weer good<br />
Leergäld gewen“, seggt de Buren, „up`t anner<br />
Joar weet wij wall wär, woor wij unse Mieten<br />
maaken mött!!“<br />
Hochwasser <strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt 1962, Milchkannentransport<br />
(D<strong>in</strong>i Wortelen)
Vechteregulierung<br />
1961 (Hilde<br />
Neuw<strong>in</strong>ger)<br />
Vechteregulierung 1961–1963<br />
Die Kreisverwaltung nahm danach die Vechteregulierung<br />
<strong>in</strong> Angriff. Die Hochwasserkatastrophe<br />
im Frühjahr 1961 hatte gezeigt, dass<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>e vollständige Regulierung unbed<strong>in</strong>gt erfor -<br />
derlich war. Da im Raume Emlichheim <strong>e<strong>in</strong></strong>ige<br />
Landwirte Probleme hatten mit der Landabga -<br />
be, wurde der Abschnitt Kalle zuerst reguliert.<br />
Mit dem Brückenbau im Zuge der Betonstraße<br />
nach Wilsum war bereits 1956 <strong>e<strong>in</strong></strong> kl<strong>e<strong>in</strong></strong>er<br />
Abschnitt der Vechte an beiden Seiten der<br />
neuen Brücke fertiggestellt. Im Juli 1961 liefen<br />
die Arbeiten an. Für Kalle und <strong>Arkel</strong> bestand<br />
nun die Möglichkeit, die Wege <strong>in</strong><br />
Ordnung zu br<strong>in</strong>gen. Pausenlos fuhren die<br />
Lastwagen den ausgebaggerten Vechtesand<br />
auf die umliegenden Wege und erhöhten sie<br />
teilweise bis zu <strong>e<strong>in</strong></strong>em Meter. Vor den Höfen<br />
Groene, Baumann, Ellen (Neerken) und Evers-<br />
Lichtenborg wurde <strong>in</strong> Richtung Bahne <strong>e<strong>in</strong></strong><br />
Deich errichtet, so dass das Hochwasser diesen<br />
Bauern und ganz Kalle nicht mehr gefährlich<br />
werden konnte.<br />
KALLE<br />
Die Arbeiten nahmen den ganzen Herbst<br />
<strong>in</strong> Anspruch. Die Vechtewiesen boten k<strong>e<strong>in</strong></strong>en<br />
schönen Anblick, Lastwagen und große Sandhaufen<br />
bedeckten das Gelände, viele Naturschönheiten<br />
verschwanden. Gerade der Raum<br />
<strong>Arkel</strong> war vorher landschaftlich <strong>e<strong>in</strong></strong> besonders<br />
ruhiges, anmutiges und vom Wild geliebtes<br />
Fleckchen.<br />
Die kl<strong>e<strong>in</strong></strong>e „Notbrücke“ – <strong>e<strong>in</strong></strong>e Verb<strong>in</strong>dung<br />
von <strong>Arkel</strong> nach Kalle (siehe unter „<strong>Arkel</strong>“<br />
„Vechtesteg“, Seite 74) – musste verschw<strong>in</strong>den.<br />
Als Entschädigung erhielt <strong>Arkel</strong> <strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />
Straße an der Ostseite der Vechte und damit<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>e sichere Verb<strong>in</strong>dung zur Betonstraße und<br />
den Ländereien <strong>in</strong> Kalle. Allerd<strong>in</strong>gs wurde die<br />
Straße nicht zu <strong>e<strong>in</strong></strong>em Damm erhöht, um <strong>e<strong>in</strong></strong><br />
Überfluten bei Hochwasser zu ermöglichen.<br />
Man befürchtete, das Flussbett könnte bei<br />
Hochwasser die Wassermengen nicht fassen.<br />
Auch der W<strong>in</strong>ter 1961/1962 war sehr nass.<br />
Mehrmals war die Grafschaft von Überschwemmungen<br />
bedroht. Kalle hatte nichts<br />
mehr zu befürchten. Die neuen Dämme hielten<br />
dem Wasser stand, die Höfe waren sicher. Für<br />
die betreffenden Bauern gab es erstmals <strong>e<strong>in</strong></strong><br />
Gefühl von Geborgenheit.<br />
Nur T<strong>in</strong>holt hatte noch <strong>e<strong>in</strong></strong>mal unter Hochwasser<br />
zu leiden. 1962 sollte der Abschnitt<br />
von der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>degrenze T<strong>in</strong>holt flussabwärts<br />
bis zur Betonbrücke <strong>in</strong> Kalle reguliert werden.<br />
Der Straßenbau entlang der Vechte (nach<br />
<strong>Arkel</strong>) verzögerte sich durch das Hochwasser<br />
und <strong>e<strong>in</strong></strong>e anschließende Frostperiode.<br />
Mit dem Beg<strong>in</strong>n des Frühjahrs wurden die<br />
Arbeiten rasch <strong>in</strong> Angriff genommen und die<br />
Straße im Laufe des Monats März fertiggestellt.<br />
Die Straße wurde den <strong>Arkel</strong>ern bis ans<br />
Haus gelegt. Nun waren sie glücklich und zufrieden,<br />
nun lohnte sich sogar <strong>e<strong>in</strong></strong> PKW.<br />
Die Vechteregulierung g<strong>in</strong>g 1962 weiter.<br />
Der Bauabschnitt reichte von der neuen Vechtebrücke<br />
<strong>in</strong> Hoogstede-Kalle bis zur Grenze<br />
von T<strong>in</strong>holt und Scheerhorn. Das wichtigste<br />
Problem war der Raum an der alten Brücke<br />
nach T<strong>in</strong>holt. Man plante den neuen Verlauf<br />
der Vechte <strong>in</strong> Richtung „Fährmann“ (Meßdag).<br />
Das Wohnhaus sollte verschw<strong>in</strong>den, man<br />
wollte Meßdag im T<strong>in</strong>holterfeld ansiedeln. Die<br />
Verhandlungen führten zu k<strong>e<strong>in</strong></strong>em Erfolg.<br />
81
2<br />
Man verbreiterte nun das Flussbett nach der<br />
Hoogsteder Seite, sodass Landwirt Weuste<br />
noch näher an die Vechte kam. Es wurde ihm<br />
zugesichert, das Ufer so zu erhöhen und zu<br />
festigen, dass k<strong>e<strong>in</strong></strong>e Überschwemmung mehr<br />
möglich sei.<br />
Die alte Vechtebrücke <strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt war baufällig.<br />
Im Zuge der Vechteregulierung entstand<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>e neue Brücke, deren Bau man noch im<br />
Jahre 1962 <strong>in</strong> Angriff nahm. Sie sollte vom<br />
Landkreis unterhalten werden. Darüber freute<br />
sich die Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de T<strong>in</strong>holt.<br />
Die Vechtelandschaft bekam durch die Regulierung<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong> neues Gesicht, da auch gleichzeitig<br />
die Zubr<strong>in</strong>ger und Gräben reguliert<br />
wurden (Lee und Brennergraben). Die Naturschönheiten<br />
<strong>in</strong> <strong>Arkel</strong> und dem „Mäss“ <strong>in</strong><br />
Kalle-T<strong>in</strong>holt verschwanden. Das Gelände<br />
wurde abgeholzt. Gerade diese Flecken waren<br />
vorher kl<strong>e<strong>in</strong></strong>e „Oasen“ im Wildgebiet.<br />
Der W<strong>in</strong>ter brachte allgem<strong>e<strong>in</strong></strong> große Überraschungen<br />
und Schwierigkeiten. Mitte Dezember<br />
setzte strenger Frost <strong>e<strong>in</strong></strong> und dauerte<br />
bis Anfang März. Während dieser Zeit lag ununterbrochen<br />
Schnee. Es gab ungekannte<br />
Schneeverwehungen. Sylvester 1963 waren<br />
sämtliche Straßen der Niedergrafschaft ge-<br />
82<br />
GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />
Vor der Regulierung auf dem Kaller Mäss:<br />
Hilda Kelder geb. Teunis, Jan-Harm Teunis und<br />
Gerda Lambers geb. Teunis (Jan H<strong>in</strong>drik Teunis)<br />
Die T<strong>in</strong>holter Brücke <strong>in</strong> 1963 (Willy Friedrich)<br />
sperrt, viele Autos steckten im Schnee fest.<br />
Bauunternehmer wurden aufgefordert, mit<br />
Raupen die Straßen zu räumen. Das gelang<br />
aber nicht überall, da immer neue Schneeverwehungen<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>setzten. „Dit is nen düüren W<strong>in</strong>ter,<br />
nen richtigen aulerwetschen W<strong>in</strong>ter,“<br />
hörte man die Leute klagen.<br />
Mit dem frühen Beg<strong>in</strong>n des W<strong>in</strong>ters musste<br />
die Firma Diekel aus Bentheim die Arbeiten<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>stellen. Sie ruhten bis Mitte März 1963.
Bau der Erdgasleitung<br />
Kalle–Ochtrup, 1978<br />
(Willy Friedrich)<br />
Erdgas <strong>in</strong> Kalle 1957<br />
Aus der Chronik der Schule<br />
„Erdölbohrung <strong>in</strong> Kalle!“ – das war die „Neujahrsüberraschung“<br />
zu Beg<strong>in</strong>n des Jahres<br />
1957. In der Nähe von Landwirt Bonge errichtete<br />
man den ersten Bohrturm. Anfang<br />
1958 wurde zwar k<strong>e<strong>in</strong></strong> Erdöl, dafür aber Erdgas<br />
gefunden. Für Kalle war das <strong>e<strong>in</strong></strong> großes<br />
Erlebnis. Das Gas wurde zunächst angezündet.<br />
E<strong>in</strong>e mächtige Flamme erleuchtete Tag<br />
und Nacht die nähere Umgebung. Im Laufe<br />
des Sommers baute man <strong>e<strong>in</strong></strong>e Gasleitung von<br />
Kalle zum Bohrturm am Bathorner Diek.<br />
KALLE<br />
Erdgasspeicher <strong>in</strong> Kalle<br />
Etwa 2100 Meter unter der Oberfläche von<br />
Hoogstede-Kalle liegt <strong>e<strong>in</strong></strong>e etwa sechzehn<br />
Meter mächtige, poröse Sandst<strong>e<strong>in</strong></strong>schicht. Die<br />
Poren <strong>in</strong> dieser Schicht s<strong>in</strong>d mit Salzwasser<br />
gefüllt und eignen sich hervorragend, um Erdgas<br />
zu speichern.<br />
Über Stahlleitungen mit <strong>e<strong>in</strong></strong>em Durchmesser<br />
von sechzig Zentimetern wird Erdgas aus<br />
Norwegen bis nach Kalle geleitet. Durch große<br />
Kompressoren, mit <strong>e<strong>in</strong></strong>er Antriebsleistung von<br />
17.800 PS, wird das Erdgas mit hohem Druck<br />
<strong>in</strong> die Sandst<strong>e<strong>in</strong></strong>schicht gepresst. Dadurch<br />
wird das Salzwasser aus den Poren verdrängt.<br />
620 Millionen Kubikmeter Erdgas werden so<br />
sicher unterirdisch gespeichert.<br />
In <strong>e<strong>in</strong></strong>er Stunde kann die Anlage 250.000<br />
Kubikmeter Erdgas <strong>e<strong>in</strong></strong>- und 450.000 Kubikmeter<br />
ausspeichern. Mehr als <strong>e<strong>in</strong></strong>e Million<br />
Haushalte und große Industriebetriebe, überwiegend<br />
<strong>in</strong> Nordrh<strong>e<strong>in</strong></strong> Westfalen, werden aus<br />
Kalle mit Erdgas versorgt.<br />
Der Speicher Kalle ist seit 1978 <strong>in</strong> Betrieb.<br />
Elf Mitarbeiter aus der unmittelbaren Umgebung<br />
haben hier <strong>e<strong>in</strong></strong>en sicheren Arbeitsplatz.<br />
Luftbild Erdgasspeicher Kalle, Frühjahr 2007, Blickrichtung<br />
Emlichheim (RWE)<br />
83
2<br />
Bürgermeister<br />
der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Kalle 1917–1974<br />
Von D<strong>in</strong>i Wortelen<br />
Bürgermeister war <strong>in</strong> 1917 Jan Brün<strong>in</strong>k<br />
*28.09.1856 Emlichheim – †20.01.1929<br />
Bahne und Ehefrau Hillegien geb. Poll.<br />
1945 Gerd Ens<strong>in</strong>k (genannt Weermann)<br />
(Laut Grafschafter Heimatkalender von 1926<br />
war er bereits zu der Zeit als Bürgermeister im<br />
Amt tätig) *15.08.1887 Kalle – †02.06.1947<br />
Kalle und Ehefrau Jennegien geb. Hans<br />
84<br />
GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />
Bürgermeister Jan Brün<strong>in</strong>k und Hillegien geb. Poll,<br />
um 1920 (D<strong>in</strong>i Wortelen)<br />
Bürgermeister Geert Ens<strong>in</strong>k (1887–1947)<br />
und s<strong>e<strong>in</strong></strong>e Ehefrau Jennegien, geb. Hans (1989–1976)<br />
(Geert Ens<strong>in</strong>k, Kalle)<br />
1945–1948/49<br />
Hermann Wortelen<br />
*16.01.1901 Bahne –<br />
†18.03.1985 Bahne<br />
verheiratet mit<br />
Ges<strong>in</strong>a geb. Züter<br />
Bürgermeister Hermann<br />
Wortelen (D<strong>in</strong>i Wortelen)<br />
1948/49–1952 Jan Evers<br />
*18.01.1901 Kl<strong>e<strong>in</strong></strong>r<strong>in</strong>ge –<br />
†17.02.1998 Kalle, verheiratet<br />
mit Jakoba geb. Trüün<br />
Bürgermeister Jan Evers<br />
(D<strong>in</strong>i Wortelen)<br />
1952–1974 Johann Schroven<br />
*04.08.1912 Kalle – 07.06.1983<br />
Kalle, verheiratet mit Altien geb.<br />
Kemken<br />
1974 erfolgte die Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>dereform.<br />
Die bis dah<strong>in</strong> selbstständigen<br />
<strong>Ort</strong>e Kalle, T<strong>in</strong>holt, Berge und<br />
Scheerhorn wurden jetzt mit Hoogstede<br />
<strong>in</strong> der neuen politischen<br />
Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Hoogstede zusammengefasst.<br />
In diesem Haus wohnte zuletzt Familie Lichtenborg,<br />
die ca. 1963 ausgezogen ist. Seitdem<br />
steht das Haus leer und wird von Familie<br />
Toomsen als Wirtschaftsgebäude genutzt.<br />
Der ehemalige Bürgermeister Jan Evers<br />
wohnte seit s<strong>e<strong>in</strong></strong>er Hochzeit nebenan <strong>in</strong> dem<br />
unten abgebildeten Haus. Er hat es von s<strong>e<strong>in</strong></strong>em<br />
Onkel (ebenfalls <strong>e<strong>in</strong></strong> Jan Evers) geerbt. Es<br />
wurde später mehrfach vermietet.<br />
Bürgermeister Johann Schroven<br />
(D<strong>in</strong>i Wortelen)<br />
Zeichnung Haus Evers<br />
(Toomsen) von Rudolf<br />
Oppel, Eigentum Familie<br />
Toomsen, Kalle<br />
(D<strong>in</strong>i Wortelen)<br />
Haus Jan Evers,<br />
jetzt Toomsen Kalle,<br />
um 1925<br />
(Hilde Neuw<strong>in</strong>ger)
Kaller Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>derat<br />
1950/51 beim Bürgermeister<br />
Jan Evers<br />
Von l<strong>in</strong>ks: Wilhelm<br />
Speet, H<strong>e<strong>in</strong></strong>rich Pikkemaat<br />
(Jagdpächter <strong>in</strong><br />
Kalle), Gerhard Brün<strong>in</strong>g<br />
(genannt Büscher),<br />
Johann Scholten, <strong>Arkel</strong>;<br />
H<strong>e<strong>in</strong></strong>rich Rakers, H<strong>e<strong>in</strong></strong><br />
Wortelen, H<strong>in</strong>drik-Jan<br />
Groene, Bernd Schlee<br />
(stehend) Jagdaufseher,<br />
Kollege von Pikkemaat<br />
(D<strong>in</strong>i Wortelen)<br />
Haus Jan ter Veen<br />
Von D<strong>in</strong>i Wortelen<br />
Fast über Nacht oder jedenfalls ganz kurzfristig<br />
hat Jan ter Veen sich um 1950 <strong>e<strong>in</strong></strong> kl<strong>e<strong>in</strong></strong>es<br />
Haus von zwei mal fünf Metern auf sogenanntes<br />
„Niemandsland“ (es gehörte dem<br />
Staat) im Kaller Feld gebaut. Es stand nahe am<br />
Haftenkamper Diek, etwa gegenüber von Familie<br />
Groene.<br />
KALLE<br />
Damals galt: Alles was bis zu zehn Quadratmeter<br />
Fläche gebaut wurde, brauchte<br />
nicht genehmigt zu werden. Später hat ter<br />
Veen den größeren Wirtschaftsteil angebaut.<br />
Hierfür hat er die Dachziegel der alten Kaller<br />
Schule benutzt. S<strong>e<strong>in</strong></strong>e Frau Klas<strong>in</strong>a war <strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />
geborene Heckhuis aus Kalle. Sie lebt seit <strong>e<strong>in</strong></strong>igen<br />
Jahren im Altenzentrum <strong>in</strong> Emlichheim.<br />
Der Niederländer Jan ter Veen ist am 25. Oktober<br />
1994 <strong>in</strong> Neuenhaus verstorben. Er hat<br />
längere Zeit die Milchkannen der Landwirte mit<br />
Trecker und Wagen zur Hoogsteder Molkerei<br />
gefahren.<br />
Am 13. November 1972 wurde das Dach<br />
durch <strong>e<strong>in</strong></strong>en gewaltigen Sturm sehr beschädigt,<br />
doch Jan ter Veen war bereits vorher<br />
nach Denekamp, direkt h<strong>in</strong>ter der Grenze, gezogen.<br />
Im März 1973 wurde dieser „Schandfleck“<br />
<strong>in</strong> den Grafschafter Nachrichten aufgenommen,<br />
doch versehentlich unter T<strong>in</strong>holt.<br />
Zwei Tage später folgte <strong>e<strong>in</strong></strong>e Berichtigung.<br />
Haus von Jan ter Veen,<br />
Haftenkamper Diek,<br />
(D<strong>in</strong>i Wortelen)<br />
85
2<br />
Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>defahrt und -fest<br />
In Kalle werden bereits zig Jahre Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>defahrten<br />
angeboten. Im Anfang waren sie für<br />
Jung und Alt bestimmt. Seit 1986/87 gibt<br />
es dann für die Jüngeren <strong>e<strong>in</strong></strong> Kaller Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>defest<br />
<strong>in</strong> verschiedenen Masch<strong>in</strong>enhallen der<br />
Landwirte. Meistens hilft die umliegende<br />
Nachbarschaft beim Säubern, Schmücken und<br />
Bedienen beim Fest.<br />
Seit 2007 gibt es zusätzlich <strong>e<strong>in</strong></strong>en „Altennachmittag“<br />
<strong>in</strong> der ehemaligen Kaller Schule<br />
für diejenigen, die nicht mehr an der Fahrt<br />
teilnehmen können.<br />
Wottel Harm vertelld<br />
Johann Kemkers<br />
Unter der Überschrift „Wottelharm ut T<strong>in</strong>holt<br />
vertelt“ kursier(t)en <strong>in</strong> Haftenkamp und Gölenkamp<br />
viele Erzählungen von dem Neubauern<br />
Geerd Völkers. Völkers wurde am 29. August8.1850<br />
<strong>in</strong> <strong>Arkel</strong> geboren. Nach der Trauung<br />
mit Gese Ass<strong>in</strong>g aus B<strong>in</strong>nenborg am 24.<br />
Mai 1883 zog er wohl zunächst dorth<strong>in</strong> (Die<br />
Tochter Swenne, geb. 2. August 1883, wurde<br />
86<br />
GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />
Altes Haus von Teunis. H<strong>in</strong>drik-Jan Teunis, geboren am 21.07.1824 <strong>in</strong> Emlichheim, hat etwa 1850 die kl<strong>e<strong>in</strong></strong>e Hofstelle von<br />
Weermann (heute Ens<strong>in</strong>k) erworben. In <strong>e<strong>in</strong></strong>er Viehzählung aus dem Jahre 1707 heißt das Haus „Weermanns Schüre“. Von<br />
Süden gesehen stand sie direkt vor Weermann. Sie wurde im Jahre 1945 abgebrochen. (Jan H<strong>in</strong>drik Teunis)<br />
<strong>in</strong> Veldhausen getauft als K<strong>in</strong>d der „Ackerleute<br />
Völkers zu B<strong>in</strong>nenborg“.) Spätestens ab 1885<br />
(Geburt des K<strong>in</strong>des H<strong>in</strong>drik Jan) wohnte Völkers<br />
<strong>in</strong> Haftenkamp.<br />
Völkers zeichnet s<strong>e<strong>in</strong></strong>en Erzähler Wottelharm<br />
als <strong>e<strong>in</strong></strong>fältigen Wichtigtuer, der mit s<strong>e<strong>in</strong></strong>en<br />
hilflosen Bemühungen um hochdeutsche<br />
Sprechweise zur komischen Figur gerät. Diesen<br />
Erzähler nennt Völkers ausdrücklich und<br />
immer wieder „Wottelharm ut T<strong>in</strong>holt“. Das ist<br />
Kaller Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>defahrt<br />
etwa 1968-70,h<strong>in</strong>ten<br />
l<strong>in</strong>ks: Jan und Klas<strong>in</strong>a<br />
ter Veen, mitte<br />
l<strong>in</strong>ks: Altien Schroven,<br />
vorne l<strong>in</strong>ks:<br />
M<strong>in</strong>a Herms, rechts:<br />
Johann Schroven,<br />
daneben: Janna und<br />
H<strong>in</strong>drik-Jan Groene<br />
(D<strong>in</strong>i Wortelen)
<strong>in</strong>teressant, weil Völkers als Kaller (<strong>Arkel</strong>er)<br />
K<strong>in</strong>d sicher genau wusste, dass zu s<strong>e<strong>in</strong></strong>er Zeit<br />
k<strong>e<strong>in</strong></strong>e Wottel (Wortel) <strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt wohnten,<br />
wohl aber <strong>in</strong> Kalle. E<strong>in</strong>en Harm Wortel hat es<br />
hier allerd<strong>in</strong>gs nie gegeben. Durchaus möglich,<br />
dass die Zuordnung nach T<strong>in</strong>holt anzusehen<br />
ist als Ausdruck für Nickligkeiten, die<br />
früher gerne zwischen benachbarten Bauernschaften<br />
„gepflegt“ wurden.<br />
H<strong>e<strong>in</strong></strong>rich Hensen schreibt im „Bentheimer<br />
Jahrbuch 1987“, Seite 243: „De meesten Groafschuppers<br />
kennt, denk ik, de Geschichten van<br />
„Wottelharm ut T<strong>in</strong>holt“ wall, de Ludwig Sager<br />
soa moi vertäilt hef. He hef ja, as men hem<br />
glöwt, <strong>in</strong> 1870 met de aule Käiser tehoape de<br />
Slacht bij Sedan wunnen, en soa Infloot up de<br />
Geschichte van de Weäreld nömmen.“<br />
Wottelharm un den Kriegsplan<br />
Dat was <strong>in</strong>’t joor söventig bij Sedan, s’morgens<br />
froo was’t. Et denkt mij noch soa guud,<br />
as wan’t vandage of gistern geböörd was. Ik<br />
was – joa, wu kwamp’t ok noch? - den dag<br />
ordonanz bij de oule Kaiser. Se höllen net ‘nen<br />
groten road, de Kaiser en wat sienen jungen<br />
was, de Kronpr<strong>in</strong>z, en Moltke en de andern<br />
hogen keerls. Ik hadde net ‘nen breef kregen<br />
van miene Geese uut T<strong>in</strong>holt, door höörde ik<br />
se proaten. Moltke, wat recht de baas was, dee<br />
sä hoast niks. En ik kun d’r ok g<strong>in</strong> woord tüschen<br />
kriegen. De oule Kaiser höl net sien köppien<br />
koffie <strong>in</strong> de hand en wörmde sik de<br />
klammen f<strong>in</strong>ger, - joa hee beewde wal lük, hee<br />
was dreeunsöventig west -. Ik sä: „Herr Kaiser“,<br />
sä ik, - de hogen sään altied van Majestät<br />
– „laß ich Euch noch <strong>e<strong>in</strong></strong> köppien <strong>e<strong>in</strong></strong>schenken,<br />
das wörmt von b<strong>in</strong>nen!“<br />
„Was m<strong>e<strong>in</strong></strong>st du von dem Kriegsplan<br />
heute?“ fröög mij de Kaiser, „Wottelharm, du<br />
bist ja auch nicht unter `ne ule(Eule) ausgebrod`t!“<br />
Ik sä: „ Herr Kaiser“, sä ik, „ich sage:<br />
Liek uut en recht an! Das sagen se <strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt,<br />
en da müßt Ihr euch an halten!“ - „Du hast<br />
geliek“, sä de Kaiser tegen mij. „Wottelharm,<br />
ich muß dir geliek geven: Liek uut en recht<br />
an.“ In’n rikketik hadden se nuw eren kriegsplan<br />
kloor. Bismarck gaf Roon de hand: „Auf<br />
ihn!“ sä hee. Alle stünnen se nuw van de toafel<br />
up. Moltke, de hoast g<strong>in</strong> woord segt hadde,<br />
KALLE<br />
keek sik noch eenmal siene generals un feldwebels<br />
an, door wöörd’t still. See venömmen<br />
wal, dat de baas noch wat seggen wol en<br />
dachden, wat sal d’r nuw kummen? En wat sä<br />
Moltke? „Wottelharm“, sä hee tegen mij,<br />
„Wottelharm, nuw möt’t gebören!“<br />
Wotelharm mak’t te slimm<br />
Et was ‘nen heten dag. Undern <strong>in</strong> de Läägde<br />
lag Sedan en wij rund ümto. Wat de Kronpr<strong>in</strong>z<br />
was, dee kwamp van de andre kante, en<br />
nuw hadde wij de franzmann <strong>in</strong> de kniepe. De<br />
Kronpr<strong>in</strong>z kwamp de anrieden en rööp over<br />
de bekke – de Maas was iets breder as de<br />
Vechte bij T<strong>in</strong>holt – he rööp: „Is da volk?“ -<br />
„Zu befehl, Herr Kronpr<strong>in</strong>z“, sä ik (de Hogen<br />
mussen altied seggen: „Königliche Hoheit“,<br />
„hier ist Wottelharm!“ - „Gut, gut, m<strong>e<strong>in</strong></strong> Sohn“,<br />
sä hee, „ihr müdt den vijand (ndl. F<strong>e<strong>in</strong></strong>d) an<br />
de andere kante festhalten“, sä hee, „seid<br />
drauf verdacht!“ - „Jawohl“, sä ik, „ik sweer’s<br />
euch, Herr Kronpr<strong>in</strong>z, der vijand kommt –<br />
mak starven, wenn er’s nicht tut – er kommmt<br />
vandage tüschen zwei Stühle <strong>in</strong> die Asche!“<br />
En wij kregen em tüschen twee stöle. Ik lag<br />
den dag orig wied noa vöörn. Van alle kanten<br />
wolln’n se noch weer uutnäjen ut de umz<strong>in</strong>gelung.<br />
Ik schööt, joa, et was g<strong>in</strong> scheten<br />
meer, et was möörden. Mien geweer was glönig,<br />
en rund üm mij to laggen de franzosen<br />
<strong>in</strong> ere roaden buksen. Joa se laggen bij höepe.<br />
Et wöörd mij freeslik vöör de oagen, men wat<br />
sul’k – ik schööt alle men verdan, en anlestde<br />
kun over den barg van doaden nich meer<br />
overto scheten. Sweet stünd mij up de plätte.<br />
Duw pakt mij ’ne frömde hand up de schulder.<br />
Ik kik mij üm, en wel is’t ? De Kaiser. Vöör<br />
schrik kun ik niks seggen. De Kaiser nömp<br />
sien’n sabel, wees up den barg van doaden en<br />
sä tegen mij: „Wottelharm“, sä he, „man<br />
kann’s auch te slim maken!“ Duw b<strong>in</strong>’k uutschäidt,<br />
ik hadde ok g<strong>in</strong>ne patronen meer.<br />
Bi’n Kaiser up Vesite<br />
Et was lange noa’n krieg. Ik hadde <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> te<br />
doon. Door schööt mi’t <strong>in</strong>’t s<strong>in</strong>, dat de oule<br />
Kaiser mij fake up vesite nöegt (<strong>e<strong>in</strong></strong>geladen)<br />
hadde. Nuw, vesite is völ gesegt, ik wil nich<br />
legen, ik sul bij gelägenhäit es moal achter de<br />
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2<br />
döre hen kieken. Soa hadde hee segt. - Soa<br />
schöot’t mij dan <strong>in</strong> de gedachten: Du wis de<br />
oule Kaiser moal upsöken. Gedacht – gedoan!<br />
Ik kwamp an’t slot. Door stönd `nen posten,<br />
dee sä: „Halt, wer da?“ - „Nuw“, sä ik, „sachte<br />
an, kens du Wottelharm nich? Nä? Dan loat’t<br />
dij vanoavend van de Kaiser vertellen!“<br />
Door stünd d’r ok al ‘ne ordonanz, ’nen<br />
leutnant, de fröög: „Sie wünschen?“ - „Ik s<strong>in</strong><br />
Wottelharm aus T<strong>in</strong>holt <strong>in</strong> de Groafschup en<br />
wul de Herr Kaiser sprechen“, sä ik, „er hat<br />
mich schon fake genötigt.“ „Eure Papiere!“<br />
Wisse, miene papiere, dee had ik <strong>in</strong> ödder, en<br />
door mus hee vöör stoan.<br />
Soadöenig wöörd ik meldt bij’n adjutanten,<br />
et güng van ene kamer <strong>in</strong> de andere. Antlesde<br />
smeet hee ’ne grote flögeldöre lös, soa<br />
groot as ’ne neendöre bij uns. Den adjutant<br />
möök meldung: „Majestät“, sä hee, „Wottelharm<br />
aus T<strong>in</strong>holt zur Stelle“. En tegen mij:<br />
„Majestät läßt bitten!“<br />
Wat heb ik de oule man pleseer andoan<br />
met mien kummen! Hee kwamp up mij anlopen:<br />
„Wottelharm“, sä hee, „Wottelharm, daß<br />
du noch an mich denkst!“ En nuw güng’t an’t<br />
froagen: „Weißt du noch von Sedan? Denkt<br />
dich das noch? As ik dich nicht gehabt hätte<br />
– Moltke all<strong>e<strong>in</strong></strong> hätt’s auch nicht gekonnt!<br />
Wottelharm“, sä hee, „wie ist`s <strong>in</strong> de Groafschup?<br />
Blööjt de Kartoffels al? Wie ist’s <strong>in</strong>s<br />
Venne? Habt ihr den Torf aus die Kuhlen?“<br />
All’s woll hee wetten; joa, joa, hee proatde<br />
met mij net as’n gewoon mensche. - En up’t<br />
lesde – wij bäide was’n up’n gang an’t<br />
wa’deln, hee klopde mij een up`t andere moal<br />
up de schulder - antlesde fröög hee mij: „Wottelharm,<br />
hast du schon gegessen?“ Ik sä:<br />
„N<strong>e<strong>in</strong></strong>, Herr Kaiser, mit all die drokte ist das<br />
dabei verbleven!“ - „Was“, sä de oule, gude<br />
man, „Wottelharm, du hast noch nicht gegessen?<br />
Dann schick bei uns an!“ - „Herr Kaiser“,<br />
sä ik, „ich b<strong>in</strong> man `nen gewonen buur!“ -<br />
„Niks, niks“, sä hee, „bei Sedan warst du auch<br />
man ’nen gewonen Soldat, un du hast sicher<br />
nicht das m<strong>in</strong>ste getan! Du bleibst über Mittag<br />
bei uns!“ Soa proatde hee met mij, as wij<br />
net bij de kökken langs kwammen. De Kaiser<br />
smeet de döre lös – et röök door lekker van al<br />
de pannen en schöttels, dat seg ’k uw! Ik keek<br />
88<br />
GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />
de Kaiser over de schulder, door stünd de Kaiser<strong>in</strong>,<br />
’n wit schuut vöör.<br />
„Auguste“, rööp de Kaiser, „Wottelharm<br />
aus T<strong>in</strong>holt schickt heute bei uns an die Tafel!<br />
Schmeiß d’r noch <strong>e<strong>in</strong></strong> Kotlet mehr <strong>in</strong> die<br />
Panne!“<br />
Wottelharm pesserde wat<br />
Dat Kotlet bij Kaisers hadde best smaakt, en<br />
wij güngen <strong>in</strong>’n goren. De Kaiser wol mij<br />
noch’n paar blöömpies föör miene Geese noa<br />
T<strong>in</strong>holt metgeven. De wichter van de oule<br />
Kaiser, de pr<strong>in</strong>zessen, kwammen achter uns<br />
an. See keken mij alltied van de siede an en<br />
glimlachden. Et wassen knappe wichter.<br />
Bij’n mooj beet met roade blöömpies bleef<br />
de Kaiser stoan en sä: „Wottelharm“, sä hee,<br />
„hier hast du was für d<strong>e<strong>in</strong></strong>e Geese <strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt!“<br />
Ik bükde mij en plükde ’n paar. Men door<br />
melde sik dat kotlet en den pudd<strong>in</strong>g en al dat<br />
f<strong>in</strong>e wark <strong>in</strong> mien’n buuk, en et pesserde wat.<br />
Joa, joa, et pesserde wat, wat menslik is.<br />
De Kaiser keek heel stief uut en meende:<br />
„Wottelharm“, sä hee, „Wottelharm, das grummelde<br />
as die Kanonen bei Sedan!“ Men de<br />
pr<strong>in</strong>zessen, dee schreewden en juuchden’t uut.<br />
„Herr Kaiser“, sä ik, „Herr Kaiser, et is pesseert!“<br />
- Men doorbij keek ik jümmer noch de<br />
gammelnden wichter an: „Herr Kaiser, wat<br />
kan’m de k<strong>in</strong>der met `ne klä<strong>in</strong>igkäit doch ’ne<br />
masse pleseer maken!“<br />
Aus „Die Gläserne Kutsche“, Seite 109–111<br />
(L.Sager)
T<strong>in</strong>holt<br />
Bearbeitet von Harm Grüppe, R<strong>e<strong>in</strong></strong>hard Middendorf,<br />
Berend-Jan Harms-Ens<strong>in</strong>k, Heike Meier<br />
T<strong>in</strong>holt und Kalle bildeten <strong>e<strong>in</strong></strong>st <strong>e<strong>in</strong></strong>e geographische<br />
E<strong>in</strong>heit. Bereits 1312 überließ der<br />
Bentheimer Graf Johann das Holzgericht „im<br />
T<strong>in</strong>holte" dem Burgmann Eylard van den<br />
Toer ne aus Uelsen. T<strong>in</strong>holt gehört von alters<br />
her zum Kirchspiel <strong>Arkel</strong> (Hoogstede).<br />
T<strong>in</strong>holt – uralte Vechtegem<strong>e<strong>in</strong></strong>de<br />
mit Tradition<br />
Nachteile <strong>e<strong>in</strong></strong>stiger Abseitslage<br />
s<strong>in</strong>d dah<strong>in</strong>geschwunden<br />
Auszug aus: Vechte Kurier, Anzeigen- und Informationsblatt<br />
der Emlichheimer Werbegem<strong>e<strong>in</strong></strong>schaft<br />
e.V., Ausgabe Mai 1978, S.1ff.:<br />
Lehnsregister 1346–1364<br />
Im Lehnregister des Grafen Otto 1346–64 wird<br />
der <strong>Ort</strong> T<strong>in</strong>holt bereits mit aufgeführt. Es heißt<br />
dar<strong>in</strong> u: a.: „Dem Knappen Eylard van den<br />
Toerne (welcher 1319 Burgmann auf Bentheim<br />
war) überließ der Graf zu Dienstmannsrecht<br />
die Holzgerichte zu Hilten, Gölenkamp,<br />
Uelsen und im T<strong>in</strong>holte." Die 14 ältesten Gehöfte<br />
der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de s<strong>in</strong>d auf die uralten <strong>Ort</strong>steile<br />
„Hundehoek“, „Grüppenhoek", „Schotthoek"<br />
und „Haidebölt" verteilt.<br />
Schüttenhof 1765<br />
An der sich <strong>in</strong> vielen W<strong>in</strong>dungen und Krümmungen<br />
durch die Landschaft schlängelnden<br />
Vechte wurde der <strong>Ort</strong> T<strong>in</strong>holt vor mehreren<br />
Jahrhunderten gegründet. Viele von hohen,<br />
alten und knorrigen Eichen umgebene Höfe<br />
können auf <strong>e<strong>in</strong></strong>e Jahrhunderte alte Existenz<br />
zurückblicken. Das älteste Haus der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de<br />
stand auf dem Gelände des ehemaligen Schüt-<br />
tenhoffs, wo nach alter Überlieferung <strong>in</strong> früheren<br />
Jahren Recht gesprochen wurde. Der<br />
Bauernhof ist 1765 erbaut worden und war<br />
zuletzt von der Familie Jünger<strong>in</strong>k bewohnt.<br />
Im Jahre 1956 wurde das 180 Morgen große<br />
Anwesen von der Stadt Nordhorn für 65.000<br />
DM erworben. Im Jahre 1960 wurde <strong>e<strong>in</strong></strong>em<br />
Umsiedler aus Nordhorn (Familie Pley, Veldhauser<br />
Straße) hier <strong>e<strong>in</strong></strong> neues Gehöft mit 57<br />
Morgen Land zur Verfügung gestellt. Der<br />
Umzug erfolgte im Mai 1960.<br />
Im Holz an der Vechte<br />
T<strong>in</strong>holt zählte zu den zehn Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den im<br />
Holze, d.h., die zehnte Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de die Anteil<br />
hatte, an den umfangreichen Waldungen, welche<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>st den Niederungsmooren <strong>in</strong> diesem<br />
Raum <strong>e<strong>in</strong></strong>en parkähnlichen Charakter gaben.<br />
T<strong>in</strong>holt wird hier als zehnte „Tien holt" Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de<br />
angenommen und gehört damit zu den<br />
häufigen <strong>Ort</strong>en, die den Namen dem Holz entnehmen.<br />
Die Talsandlandschaft des l<strong>in</strong>ken<br />
Vechteufers nördlich von Haftenkamp (im<br />
Raume T<strong>in</strong>holt) ist gegenüber der rechten<br />
Uferzone <strong>in</strong> der wirtschaftlichen Entwicklung<br />
zunächst zurückgeblieben, weil die allgem<strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />
tiefere Lage der westlichen Uferzone und der<br />
höhere Grundwasserstand lange Zeit vor <strong>e<strong>in</strong></strong>er<br />
Besiedlung <strong>in</strong> diesem Gebiet abgeschreckt<br />
haben. Der Verkehr von Neuenhaus nach Emlichheim<br />
nahm s<strong>e<strong>in</strong></strong>en Weg am rechten Ufer<br />
der Vechta entlang, welches höher lag und<br />
damit trockener und besser zu passieren war.<br />
Auf der Vechte, <strong>e<strong>in</strong></strong>stmals <strong>e<strong>in</strong></strong>e bedeutsame<br />
Verkehrsader zwischen Nordhorn und den<br />
holländischen Hansestädten Kampen und<br />
Zwolle, fuhren flache Pünten und Schuten, die<br />
89
2<br />
<strong>in</strong> der vorchristlichen Römerzeit <strong>e<strong>in</strong></strong>en regen<br />
Handel und Wandel auf dem w<strong>in</strong>dungsreichen<br />
Fluss vollzogen. Damals entstanden hier die<br />
ersten Hofstellen. So hatte der Bischof von<br />
Utrecht <strong>e<strong>in</strong></strong>st drei hörige Bauernerben <strong>in</strong> der<br />
T<strong>in</strong>holter Mark. Ihnen war es erlaubt, die Eichelmast<br />
zu nutzen, sofern <strong>e<strong>in</strong></strong> gutes Eicheljahr<br />
war …<br />
Enteignung 1937<br />
Das rund 570 Hektar große T<strong>in</strong>holter Venn<br />
wurde im Jahre 1937 enteignet. Den alt<strong>e<strong>in</strong></strong>gesessenen<br />
Bauern wurde bei dieser Aktion<br />
durch den ehemaligen preußischen Staat <strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />
Abf<strong>in</strong>dung gezahlt, die man wohl landläufig<br />
als „Appel un Eij" bezeichnen möchte. Bis vor<br />
etwa vier Jahrzehnten durften Ackerbürger<br />
von Uelsen und Umgebung, Höcklenkamp,<br />
Bauerhausen, Gölenkamp, Haftenkamp, Hard<strong>in</strong>gen,<br />
B<strong>in</strong>nenborg, Hilten und Hard<strong>in</strong>ghausen<br />
im T<strong>in</strong>holter Venn ihren Torf stechen.<br />
Allerd<strong>in</strong>gs nur <strong>in</strong> Form von so genannten<br />
„Hüllen", da das Moor hier nur <strong>e<strong>in</strong></strong>e Mächtigkeit<br />
von 20 bis 50 cm vorzuweisen hatte.<br />
Ganze Scharen von „Hüllenstecher" zogen<br />
deshalb früher <strong>in</strong>s T<strong>in</strong>holter Venn, welches als<br />
Markengebiet ausgewiesen war. Anfang der<br />
fünfziger Jahre rückten schwere Ottomeyer-<br />
Pflüge an und brachen weite Flächen dieses<br />
90<br />
GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />
Postkarte der T<strong>in</strong>holter Brücke um 1920 (M<strong>in</strong>i Büdden)<br />
als Naturreservat nicht wieder zu ersetzende<br />
Geländes um. E<strong>in</strong> Gebiet mit <strong>e<strong>in</strong></strong>er wertvollen<br />
Flora und Fauna g<strong>in</strong>g damit den Naturfreunden<br />
und somit unserer Heimat für immer verloren.<br />
Dem Naturschutz wurden s<strong>e<strong>in</strong></strong>erzeit<br />
noch zwei kl<strong>e<strong>in</strong></strong>ere Flächen belassen, deren<br />
Größe etwa 9 Hektar (1,6 %) ausmachten.<br />
Doch bei den <strong>in</strong> jüngster Zeit durchgeführten<br />
Flurber<strong>e<strong>in</strong></strong>igungsmaßnahmen im T<strong>in</strong>holter<br />
Raum wurden auch diese Flächen erneut wesentlich<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>geengt …<br />
Straßenbau<br />
Im Jahre 1890 gab es die erste feste Straße <strong>in</strong><br />
diesem Gebiet und zwar auf dem rechten<br />
Vechteufer (Esche –Hoogstede), 1906 kam die<br />
Bahnstrecke der Bentheimer Eisenbahn<br />
ebenfalls auf dem rechten Vechteufer dazu.<br />
Erst <strong>e<strong>in</strong></strong> halbes Jahrhundert später rückte die<br />
verkehrsmäßige Erschließung des Gebietes<br />
Kalle-T<strong>in</strong>holt mit dem Bau der Vechtetalstraße<br />
von Hilten über T<strong>in</strong>holt-Kalle bis nach Laar<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong> gutes Stück näher. Den Anschluss an das<br />
Kreisstraßennetz brachte im Jahre 1956 die<br />
Querstraße von Wilsum nach Hoogstede,<br />
deren Bau <strong>in</strong> diesem Gebiet <strong>e<strong>in</strong></strong>e Sandauffuhr<br />
bis zu zwei Meter erforderte und im Raum<br />
Hoogstede-Bathorn gewaltige Moorauskofferungen<br />
vorangehen ließen. Der Ausbau des
Haftenkamper Diek als <strong>e<strong>in</strong></strong>e superschnelle Verkehrsverb<strong>in</strong>dung<br />
zwischen den <strong>Ort</strong>en Neuenhaus<br />
und Emlichheim nach den <strong>e<strong>in</strong></strong>stmals von<br />
den Franzosen gefassten Plan (Franzosendiek)<br />
ließ die Nachteile <strong>e<strong>in</strong></strong>er bisherigen Abseitslage<br />
der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de weiter dah<strong>in</strong>schw<strong>in</strong>den.<br />
Vechteregulierung 1962 bis 1964<br />
Im Sommer 1962 bewegte sich die Vechteregulierung<br />
im Raum Hoogstede-T<strong>in</strong>holt (Lee<strong>e<strong>in</strong></strong>mündung).<br />
Es handelte sich um den fünften<br />
Bauabschnitt dieses Millionenprojektes<br />
von der Betonbrücke im Zuge der Straße Wilsum–Hoogstede<br />
bis zur E<strong>in</strong>mündung der Lee<br />
bei Scheerhorn. Insgesamt drei Durchstiche<br />
waren <strong>in</strong> diesem Gebiet erforderlich. Die mustergültig<br />
ausgebaute Vechte erhielt hier <strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />
Sohlenbreite von 17 Metern. Die alte, sehr stark<br />
baufällige Holzbrücke, die 1870 den bisherigen<br />
Fährverkehr als Übergang von und zum<br />
Kirchdorf Hoogstede ersetzt hatte, nunmehr<br />
aber k<strong>e<strong>in</strong></strong>eswegs mehr den Anforderungen des<br />
zunehmenden Verkehrsumfanges gewachsen<br />
war, wurde im Zuge der Regulierungsarbeiten<br />
durch <strong>e<strong>in</strong></strong>en modernen Betonübergang ersetzt.<br />
Mit dem Bau des großen T<strong>in</strong>holter Vechtestauwerkes<br />
oberhalb der Lee<strong>e<strong>in</strong></strong>mündung ist<br />
Ende August 1964 begonnen worden. Es handelt<br />
sich um <strong>e<strong>in</strong></strong>es von mehreren Stauwerken,<br />
die künftig dazu dienen sollen, das Wasser der<br />
Vechte zu regulieren, um es besser als bisher<br />
der Landwirtschaft und der Industrie dienstbar<br />
zu machen.<br />
Trotz Vechteregulierung und Flurber<strong>e<strong>in</strong></strong>igung<br />
bieten sich dem Naturfreund <strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt<br />
noch <strong>e<strong>in</strong></strong>e Fülle landschaftlicher Schönheiten.<br />
An tot geglaubten Vechtearmen und Kolken<br />
f<strong>in</strong>det man noch <strong>e<strong>in</strong></strong> mannigfaches Dorado<br />
seltenen Tier- und Pflanzenlebens …<br />
Gute Nachbarschaften<br />
Das Mit<strong>e<strong>in</strong></strong>ander und Für<strong>e<strong>in</strong></strong>ander <strong>e<strong>in</strong></strong>er gut<br />
florierenden Nachbarschaft <strong>in</strong> ländlicher<br />
Atmosphäre wird <strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt seit Jahren traditionsgemäß<br />
mit <strong>e<strong>in</strong></strong>em zünftigen Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>deabend<br />
auf dem Hofe Slikkers gefeiert. Bürgermeister<br />
Jan Harms-Ens<strong>in</strong>k, der dieses Amt<br />
1955 von Jan Jonker übernommen hatte und<br />
bis zur Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>dereform im Frühjahr 1974 im<br />
TINHOLT<br />
Amt war, zeichnete als Initiator für diese fröhlichen,<br />
die Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>schaft fördernden Abende<br />
verantwortlich. Als s<strong>e<strong>in</strong></strong>erzeit die Verwaltungs<br />
und Gebietsreform sich anbahnte, feierte man<br />
unter dem Motto: „Will man gem<strong>e<strong>in</strong></strong>sam uns<br />
verwalten, der Geist von T<strong>in</strong>holt bleibt erhalten!"<br />
…<br />
Vechte, Fähren und Brücke<br />
T<strong>in</strong>holter Arbeitskreis<br />
Rettung der Vechte-Brücke W<strong>in</strong>ter 1945<br />
Die alte Holzbrücke über die Vechte <strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt<br />
war 1945 durch auftreibende Eisschollen gefährdet.<br />
Das Treibeis bildete <strong>e<strong>in</strong></strong>en Rückstau<br />
<strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong></strong>er Länge von etwa hundert Meter. Das<br />
Wasser staute sich über <strong>e<strong>in</strong></strong>en Meter hoch.<br />
Durch den Druck vom Eis drohte die Holzbrücke<br />
zu zerbrechen. Die T<strong>in</strong>holter sahen<br />
k<strong>e<strong>in</strong></strong>e Möglichkeit, das Eis zu zerstören. Auf<br />
Bitten der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de kamen <strong>e<strong>in</strong></strong>ige Besatzungssoldaten<br />
aus Nordhorn und sprengten das Eis.<br />
Innerhalb <strong>e<strong>in</strong></strong>er Stunde war die Gefahr gebannt.<br />
1946 wurde T<strong>in</strong>holt von <strong>e<strong>in</strong></strong>em Hochwasser<br />
bedroht. E<strong>in</strong>ige Betriebe an der Vechte wie<br />
z.B. Ens<strong>in</strong>k oder Van R<strong>in</strong>ge s<strong>in</strong>d evakuiert<br />
worden.<br />
Willy Friedrich über Brücke<br />
und Vechte (GN 12.03.1960)<br />
Die Vechte war bereits <strong>in</strong> der Römerzeit <strong>e<strong>in</strong></strong><br />
wichtiger Transportweg für allerlei Waren. Die<br />
Vechte wurde lange Zeit bei Kuite <strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt<br />
mit Fähren überquert. Bei Middendorf <strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt<br />
gab es <strong>e<strong>in</strong></strong>e fürstliche Fähre. Sie diente<br />
dem Fürsten zum Überqueren der Vechte, da<br />
ihm der Umweg über Hoogstede zu weit war.<br />
Erste Vechtebrücke 1870<br />
Die erste Vechtebrücke wurde 1870 gebaut.<br />
Slikkers, Ens<strong>in</strong>k und Van R<strong>in</strong>ge lieferten das<br />
Holz. Nicht alle Bauern wollten sich beteiligen.<br />
Die Brücke entsprach nicht den Erwartungen.<br />
Der Holzbelag nutzte schnell ab und<br />
die Stützen boten bald nicht mehr die nötige<br />
Sicherheit. Bis zum Zweiten Weltkrieg wurde<br />
das Brückengeld von Harms Fritz (heute Kuite)<br />
kassiert. Das Brückengeld wurde zweimal<br />
jährlich <strong>e<strong>in</strong></strong>kassiert. E<strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong></strong>facher Weg kostete<br />
vierzig Pfennig und H<strong>in</strong>- und Rückweg sechzig.<br />
91
2<br />
T<strong>in</strong>holter Moor<br />
Zeitung und Anzeigenblatt 1915<br />
Kreisblatt für den Kreis Grafschaft Bentheim<br />
(Bearbeitet von Johann Jeur<strong>in</strong>k)<br />
T<strong>in</strong>holt, 22. Januar 1915 Das T<strong>in</strong>holter Moor<br />
Im letzten Frühjahr kam ich auf m<strong>e<strong>in</strong></strong>er Dienstreise<br />
von Emlichheim nach Uelsen durch <strong>e<strong>in</strong></strong>e fast<br />
unabsehbare moorige Heidegegend. B<strong>e<strong>in</strong></strong>ahe beängstigend<br />
wirkte diese weite öde Landschaft,<br />
über welche sich der blaue Himmel wie <strong>e<strong>in</strong></strong>e erhabene<br />
Kuppel ausspannte. Weit und breit suchte<br />
das Auge vergeblich nach <strong>e<strong>in</strong></strong>em grünen Baum<br />
oder Strauch. Nur <strong>e<strong>in</strong></strong>ige Kiebitze und Heidelerchen<br />
schienen hier die <strong>e<strong>in</strong></strong>zigen Bewohner zu s<strong>e<strong>in</strong></strong>.<br />
Lange mochte ich s<strong>in</strong>nend gestanden haben, um<br />
mich den stillen Reizen der seltenen Umgebung<br />
h<strong>in</strong>zugeben, als ich durch <strong>e<strong>in</strong></strong> leises Geräusch h<strong>in</strong>ter<br />
mir gestört wurde.<br />
E<strong>in</strong> schlichter Landmann entbot mir <strong>e<strong>in</strong></strong>en<br />
freundlichen Gruß. Ich f<strong>in</strong>g <strong>e<strong>in</strong></strong> Gespräch mit m<strong>e<strong>in</strong></strong>em<br />
Reisegefährten an und äußerte m<strong>e<strong>in</strong></strong>e Verwunderung<br />
darüber, dass sich bis auf die heutige<br />
Zeit noch so weite, vollständig unbebaute Flächen<br />
hätten erhalten können, da nach m<strong>e<strong>in</strong></strong>er Ansicht<br />
der Boden für Kulturzwecke sehr geeignet ersch<strong>e<strong>in</strong></strong>e.<br />
Diese Worte lösten dem biederen Alten die<br />
Zunge. „Diese Fläche“, begann er, „heißt das T<strong>in</strong>holter<br />
Moor. Mit ger<strong>in</strong>ger Arbeit und wenig Kosten<br />
wäre aus der Gegend <strong>e<strong>in</strong></strong> Paradies zu<br />
schaffen, da die Bodenverhältnisse nach Gestalt<br />
und Beschaffenheit die denkbar günstigsten s<strong>in</strong>d.<br />
Tausende würde das Land ernähren und <strong>e<strong>in</strong></strong> großes<br />
Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>wesen erblühen können. Aber <strong>e<strong>in</strong></strong><br />
Fluch ruht auf dieser weiten Ebene.“<br />
Gerade diese letzten Worte machten mich neugierig,<br />
und als ich m<strong>e<strong>in</strong></strong>en <strong>in</strong>teressanten Begleiter<br />
bat, mich hierüber näher aufzuklären, fuhr er fort:<br />
„Zwar gehört dieser Boden den Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den T<strong>in</strong>holt<br />
und Wilsum, aber seit unerdenklichen Zeiten<br />
gew<strong>in</strong>nen die hier umliegenden <strong>Ort</strong>schaften, namentlich<br />
des Kirchspiels Uelsen, ihren Torf zum<br />
Brennen. Brennsoden dürfen, um die Torfbildung<br />
nicht zu h<strong>in</strong>dern, hier nicht gestochen werden, wir<br />
Bauern haben das Recht, diese ohne weiteres fortzuholen.<br />
Während aber <strong>in</strong> m<strong>e<strong>in</strong></strong>er Jugend zur Zeit des<br />
Frühjahrs durch die Torfgew<strong>in</strong>nung vieler Bauernschaften<br />
sich hier <strong>e<strong>in</strong></strong> reges Leben entwickelte,<br />
92<br />
GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />
ja nach Feierabend die Torfstecher <strong>in</strong> großen<br />
Trupps s<strong>in</strong>gend <strong>in</strong> die <strong>Ort</strong>schaften zurückkehrten,<br />
sehen sie die Gegend hier jetzt völlig menschenleer<br />
und verlassen. Die Fläche ist nämlich abgetorft,<br />
und <strong>in</strong>folge der besseren Entwässerung ist<br />
das Torfmoos vertrocknet, so daß die Torfbildung<br />
aufgehört hat. Nun hat k<strong>e<strong>in</strong></strong> Mensch mehr Nutzen<br />
von diesem Flecken Erde. Kulturzwecken kann sie<br />
nicht dienstbar gemacht werden, weil die alten<br />
nutzlosen Torfstichrechte wie <strong>e<strong>in</strong></strong> Fluch darauf lasten,<br />
die selbst <strong>e<strong>in</strong></strong>er Markenteilung hemmend im<br />
Wege stehen. Wie schwer – wenn überhaupt möglich<br />
– würde es s<strong>e<strong>in</strong></strong>, diese Rechte abzuf<strong>in</strong>den!“<br />
Dann blieb m<strong>e<strong>in</strong></strong> Begleiter stehen und spähte<br />
<strong>in</strong> die Ferne. Er bat mich, <strong>e<strong>in</strong></strong>en Augen blick zu<br />
warten und g<strong>in</strong>g etwa 100 Schritte vom Wege ab.<br />
Als er zurückkam, wurde er von schreienden Kiebitzen<br />
verfolgt. Schmunzelnd zeigte er <strong>in</strong> s<strong>e<strong>in</strong></strong>er<br />
Mütze vier bunte Kiebitzeier, die er mir mitgab mit<br />
den Worten: „Das ist jetzt der ganze Jahresertrag<br />
dieses Landes, das <strong>e<strong>in</strong></strong> Garten Gottes s<strong>e<strong>in</strong></strong> könnte!“<br />
Oft habe ich an das Paradies im Dornröschenschlaf<br />
denken müssen.<br />
Besonders lebhaft beschäftigt es <strong>in</strong> letzter Zeit<br />
m<strong>e<strong>in</strong></strong>e Gedanken, nachdem die Regierung aus dem<br />
von dem Landtag geforderten Kredit von 1½ Milliarden<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>en erheblichen Betrag für die Organisation<br />
der Kriegsgefangenenarbeit <strong>in</strong> Aussicht<br />
genommen hat. Sie war dabei von dem besten<br />
Wunsche beseelt, große Kulturarbeiten, Flußregulierungen<br />
(Vechte?) Urbarmachungen und neuen<br />
Anbau von Brotgetreide und Kartoffeln besorgen<br />
zu lassen.<br />
Sollte nicht das T<strong>in</strong>holter Moor <strong>e<strong>in</strong></strong> geeignetes<br />
Arbeitsfeld für die nutzbr<strong>in</strong>gende Tätigkeit unserer<br />
Kriegsgefangenen s<strong>e<strong>in</strong></strong>, wo sie Wege anlegen,<br />
den Boden bearbeiten und mit Früchten bestellen<br />
könnten? Gewiß recht sehr! Nur muß sich erst <strong>e<strong>in</strong></strong><br />
Pr<strong>in</strong>z zeigen, der sich für das schlafende Dornröschen<br />
<strong>in</strong>teressiert, die Stachelhecke veralteter<br />
Rechte beseitigt und es aus s<strong>e<strong>in</strong></strong>em tiefen Schlummer<br />
aufweckt. Wenn dann im Mittelpunkte der<br />
Niedergrafschaft diese weite E<strong>in</strong>öde sich zu <strong>e<strong>in</strong></strong>em<br />
blühenden Gefilde entwickelt hat, <strong>in</strong> dem sich<br />
Bauernhof an Bauernhof reiht, dann trägt dieser<br />
Kulturfortschritt zum Zusammenschluß der zerfetzt<br />
liegenden Teile der Untergrafschaft bei und<br />
beseitigt die Möglichkeit, <strong>in</strong> der Entwicklung h<strong>in</strong>ter<br />
der Obergrafschaft zurückzubleiben.
„T<strong>in</strong>holter Brücke“ Gemälde von Polizist A. Leipner, 1965. Orig<strong>in</strong>al bei Fam. Harms-Ens<strong>in</strong>k, T<strong>in</strong>holt<br />
(Gerrit Jan Beuker)<br />
Da Slikkers, Ens<strong>in</strong>k und van R<strong>in</strong>ge das Holz geliefert<br />
hatten, entfiel für sie die Brückengebühr.<br />
Die Brücke wurde auch von Kallern und Haftenkampern<br />
genutzt. Um die Brückengebühr<br />
zu umgehen, wurde im Sommer zum Viehtrieb<br />
und mit leichten Wagen <strong>e<strong>in</strong></strong>e Furt <strong>in</strong> der<br />
Vechte bei Koelmann vorgezogen. Es gab da-<br />
TINHOLT<br />
mals <strong>e<strong>in</strong></strong>ige Landwirte, die sich grundsätzlich<br />
weigerten, die Brücke zu passieren. Sie wollten<br />
weiterh<strong>in</strong> mit „ihrer" Fähre ans andere<br />
Ufer gelangen.<br />
Im Zuge der Vechteregulierung wurde die<br />
Holzbrücke 1964 durch <strong>e<strong>in</strong></strong>en Betonübergang<br />
ersetzt.<br />
Moorkultivierung, Elektrifizierung,<br />
Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>defest<br />
Die ersten Bemühungen um die Kultivierung<br />
des T<strong>in</strong>holter Venns gehen auf die Jahre vor dem<br />
Ersten Weltkrieg zurück. Sie konnte aber erst<br />
nach dem Zweiten Weltkrieg im Zuge der Emslanderschließung<br />
realisiert werden. Auf den<br />
ehemaligen Flachmoorflächen, für die sogar<br />
die Bürger aus Uelsen verbriefte Torfstichrechte<br />
besaßen, wogt heute Getreide, stehen prächtige<br />
Kartoffeln und weiden große Viehherden.<br />
K<strong>in</strong>der auf der T<strong>in</strong>holter Brücke 1960. Die K<strong>in</strong>der<br />
der Familien Sentker und Günnemann überqueren die<br />
T<strong>in</strong>holter Brücke, unterwegs von der katholischen<br />
Volksschule Hoogstede. (Willy Friedrich)<br />
93
2<br />
94<br />
GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />
Elektrifiziert wurde die Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Ende der<br />
20er bis Anfang der 30er Jahre. Seit Mitte der<br />
Fünfziger Jahre wird das T<strong>in</strong>holter Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>defest<br />
gefeiert. Alljährlich treffen sich 130 bis<br />
150 T<strong>in</strong>holter, um <strong>in</strong> gemütlicher Runde zu<br />
essen, zu tr<strong>in</strong>ken und zu feiern. Anfangs traf<br />
man sich auf den Dielen verschiedener Höfe.<br />
In den letzten Jahren f<strong>in</strong>det das Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>defest<br />
<strong>in</strong> der Werkstatt der Firma Meyer<strong>in</strong>k statt.<br />
Auf dem T<strong>in</strong>holter Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>defest etwa 1965. H<strong>in</strong>drik-Jan<br />
Slikkers 1911-1995, Gerhard Staelberg 1883-1983,<br />
Jan Harms-Ens<strong>in</strong>k 1907-1998 und Maria Middendorf<br />
geb. Staelberg 1921-2000. (Berend-Jan Harms-Ens<strong>in</strong>k)<br />
Grafschafter Nachrichten<br />
07.05.1964,<br />
Neue Vechtebrücke<br />
<strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt
Bürgermeister von T<strong>in</strong>holt<br />
bis 1925 Johannes Arnold Meyer<strong>in</strong>k<br />
1925 bis 1955 Albert Ens<strong>in</strong>k<br />
geb. am 18.11.1885<br />
gest. am 25.03.1955<br />
verh. mit Gesien geb. Hannebrook<br />
1955 bis 1956 Jan Jonker<br />
geb. am 17.09.1895<br />
gest. 25.04.1971<br />
verh. mit Ges<strong>in</strong>a geb. Laarmann<br />
1956 bis zur Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>degebietsreform 1974<br />
Jan Harms-Ens<strong>in</strong>k<br />
geb. am 08.10.1907<br />
gest. 12.10.1998<br />
verh. mit Johanna geb. Jürriens<br />
Bürgermeister Albert Ens<strong>in</strong>k 1925–1955<br />
Bürgermeister Jan Jonker 1955–1956<br />
TINHOLT<br />
Bürgermeister Jan Harms-Ens<strong>in</strong>k 1956–1974<br />
„Jürries Jan“, Jan Harms-Ens<strong>in</strong>k,<br />
Bürgermeister von T<strong>in</strong>holt<br />
Johann Kemkers<br />
Gleich wie viele andere Männer s<strong>e<strong>in</strong></strong>er Zeit hat<br />
Jan Harms-Ens<strong>in</strong>k als Bürgermeister <strong>e<strong>in</strong></strong>er<br />
kl<strong>e<strong>in</strong></strong>en Landgem<strong>e<strong>in</strong></strong>de sich <strong>in</strong> jahrzehntelanger<br />
Amtsausübung um s<strong>e<strong>in</strong></strong>e Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de verdient<br />
gemacht. Dass er über die Grenzen der<br />
Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de T<strong>in</strong>holt h<strong>in</strong>aus <strong>in</strong> vielen wichtigen<br />
Ehrenämtern Verantwortung übernommen hat,<br />
zeichnet ihn besonders aus.<br />
Jan Harms-Ens<strong>in</strong>k wurde 1907 auf dem<br />
Scholtenhof <strong>in</strong> Scheerhorn geboren. S<strong>e<strong>in</strong></strong>e Eltern<br />
waren Jennegien Scholte und Berend-Jan<br />
Harms-Ens<strong>in</strong>k, der von dem Hof Harms-Ens<strong>in</strong>k<br />
<strong>in</strong> Bathorn stammte.<br />
Jan H.-E. wuchs auf dem elterlichen Hof<br />
auf und besuchte die <strong>in</strong> unmittelbarer Nähe<br />
gelegene Volksschule Scheerhorn. Nach der<br />
Schulentlassung arbeitete er auf dem elterlichen<br />
Hof. Als er 1935 die <strong>e<strong>in</strong></strong>zige Tochter des<br />
Hofbesitzers Jürriens <strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt heiratete, begann<br />
s<strong>e<strong>in</strong></strong>e Geschichte als „Jürries Jan van<br />
T<strong>in</strong>holt“.<br />
Nach vorübergehender kommunalpolitischer<br />
Tätigkeit <strong>in</strong> den 40er Jahren wurde er<br />
1955 wieder Ratsmitglied und schon <strong>e<strong>in</strong></strong> Jahr<br />
später auch Bürgermeister. Erst als die Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de<br />
T<strong>in</strong>holt 1974 ihre kommunale Eigenständigkeit<br />
verlor, endete s<strong>e<strong>in</strong></strong>e Tätigkeit als<br />
Vorsteher der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de. In dem Rat der neu<br />
gebildeten Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Hoogstede setzte er<br />
95
2<br />
s<strong>e<strong>in</strong></strong>e politische Arbeit auf <strong>Ort</strong>sebene bis 1986<br />
fort, um dann im Alter von 79 Jahren als „Ehrenratsherr“<br />
<strong>in</strong> den politischen „Ruhestand“<br />
zu gehen.<br />
Neben s<strong>e<strong>in</strong></strong>er Bürgermeistertätigkeit und<br />
teils <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung damit übte er verschiedene<br />
andere Ämter <strong>in</strong> der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de aus, unter anderem<br />
als Vorsitzender des Schulzweckverbandes<br />
Kalle-T<strong>in</strong>holt; als Vorsitzender der<br />
Jagdgenossenschaft T<strong>in</strong>holt; als Vorsitzender<br />
der Teilnehmergem<strong>e<strong>in</strong></strong>schaft Flurber<strong>e<strong>in</strong></strong>igung<br />
T<strong>in</strong>holt.<br />
Jan Harms-Ens<strong>in</strong>k wirkte weit über die Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>degrenzen<br />
h<strong>in</strong>aus: Mit der Gründung der<br />
Samtgem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Emlichheim 1974 übernahm er<br />
auch dort <strong>e<strong>in</strong></strong> Ratsmandat bis 1986. Zwölf<br />
Jahre (1964–1976) gehörte er dem Grafschafter<br />
Kreistag an und arbeitete <strong>in</strong> verschiedenen<br />
Ausschüssen (F<strong>in</strong>anzen; Planung, ...).<br />
Über den politischen Bereich h<strong>in</strong>aus engagierte<br />
sich Harms-Ens<strong>in</strong>k immer auch im sozialen<br />
Bereich und wirkte hier vornehmlich <strong>in</strong><br />
der Organisation des VdK. Vom Vorsitz <strong>in</strong> der<br />
<strong>Ort</strong>sgruppe Hoogstede (1954) führte s<strong>e<strong>in</strong></strong> Weg<br />
über das Amt des stellvertretenden Kreisvorsitzenden<br />
(1960) schließlich zum Vorsitz im<br />
Kreisverband Grafschaft Bentheim des VdK<br />
(1966–1986). In dieser Zeit (1972) wurde ihm<br />
auch das Amt <strong>e<strong>in</strong></strong>es ehrenamtlichen Richters<br />
am Sozialgericht <strong>in</strong> Osnabrück angetragen,<br />
das er jahrelang ausgeübt hat.<br />
96<br />
GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />
Jan Harms-Ens<strong>in</strong>k 1907-1998, „Jürries Jan”<br />
(M<strong>in</strong>i Büdden)<br />
Im Oktober 1985 wurde Jan Harms-Ens<strong>in</strong>k<br />
„<strong>in</strong> Anerkennung der um Volk und Staat erworbenen<br />
besonderen Verdienste“ mit dem<br />
Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland<br />
ausgezeichnet. Damit wurde er für s<strong>e<strong>in</strong></strong><br />
Lebenswerk geehrt, das weit über s<strong>e<strong>in</strong></strong>e Heimatgem<strong>e<strong>in</strong></strong>de<br />
T<strong>in</strong>holt h<strong>in</strong>ausreichte.<br />
Aber <strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt hatte nicht nur alles s<strong>e<strong>in</strong></strong>en<br />
Anfang genommen, hier fühlte er sich<br />
auch lebenslang fest verwurzelt. Er war <strong>e<strong>in</strong></strong>er<br />
von ihnen – so empfanden die T<strong>in</strong>holter und<br />
so verstand er sich auch selber. Jan Harms-<br />
Ens<strong>in</strong>k starb am 12. Oktober 1998 <strong>in</strong> s<strong>e<strong>in</strong></strong>em<br />
Haus <strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt.<br />
In Er<strong>in</strong>nerung bleibt <strong>e<strong>in</strong></strong> Mann, der mit fes -<br />
ten Zielsetzungen und Sachverstand s<strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />
vielfältigen Aufgaben ang<strong>in</strong>g, mit Gelassenheit<br />
auf schwierige Situationen reagierte, der<br />
den Menschen mit Wohlwollen begegnete und<br />
vielen ganz persönlich geholfen hat. Mit s<strong>e<strong>in</strong></strong>em<br />
sprichwörtlichen Humor trug er <strong>in</strong> manch<br />
schwieriger Situation zur Entspannung bei<br />
und sorgte <strong>in</strong> geselligen Runden immer für<br />
Unterhaltung und Heiterkeit.<br />
„Jürries Jan“ vertellt:<br />
Met ses joar mus ok ik noa de Schoole hen. De<br />
Schoole was bij uns net för de döre; doarüm<br />
wüs ik ok so’n bettien wat mij verwochde.<br />
Et was fort an ersten dag. De Meijster sä,<br />
wij sullen uns setten. Alle K<strong>in</strong>ner setden sik<br />
hä<strong>in</strong> – man ik bleef stoan. De Meijster keek<br />
bettien verwunnert ower siene Brille un froagde<br />
mij, warüm ik nich sitten güng. „Och<br />
Meijster“, meende ik, „ä<strong>in</strong>kliks wok mij hier<br />
nich so lange uphollen!“<br />
Aus dem Protokoll<br />
des T<strong>in</strong>holter Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>derates<br />
1929 Beschluss über öffentliche Fernsprechanlage<br />
bei dem Landwirt Harm Grüppe<br />
und beim Händler Schroven <strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt<br />
1933 Der Rat beschließt den Ausbau <strong>e<strong>in</strong></strong>es<br />
Weges von Gölenkamp, Haftenkamp,<br />
T<strong>in</strong>holt, Hoogstede, Bathorner Diek,<br />
bzw. Wielen, Ratzel, Wilsum, Hoogstede,<br />
Bathorner Diek und überlässt dem<br />
Herrn Landrat, welcher Weg ausgebaut<br />
werden soll.
„Freie Anschlagstelle“<br />
mit T<strong>in</strong>holter „Burwarker“<br />
Zwier Bischop,<br />
Manfred St<strong>e<strong>in</strong></strong>er, Geert<br />
Heetjans, Jan Harms-Ens<strong>in</strong>k,<br />
Steven Snyders, Egbert<br />
Jonker, Jan-H<strong>in</strong>drik<br />
Br<strong>in</strong>k mann, Johannes<br />
Meyer<strong>in</strong>k, Lefert Klomparens,<br />
Georg Jonker, H<strong>in</strong>drikus<br />
Hölties, Gerhard<br />
Günnemann. Diese T<strong>in</strong>holter<br />
haben sich zum<br />
„Buurwarken“ zusammengefunden.<br />
Die „Freie<br />
An schlagstelle“ befand<br />
sich beim Hof van R<strong>in</strong>ge<br />
<strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt. Hier konnte<br />
jeder <strong>e<strong>in</strong></strong>e Nachricht anheften,<br />
z.B. wenn man<br />
etwas gefunden oder<br />
verloren hatte.<br />
(Geert Ens<strong>in</strong>k)<br />
1934<br />
Erstmalig NSDAP im Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>deprotokoll erwähnt<br />
1939<br />
Erstmalig Hundesteuer festgesetzt<br />
1942<br />
Beschluss wegen Renovierung der Holzbrücke<br />
<strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt, Kosten 20.000 RM, T<strong>in</strong>holt musste<br />
davon 2.500 RM übernehmen<br />
14.12.1945<br />
Im Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>derat wird <strong>e<strong>in</strong></strong> Unterkunftsausschuss<br />
gewählt. Er war für die Verteilung der<br />
Flüchtl<strong>in</strong>ge zuständig<br />
1953<br />
Pläne für Ausbau der<br />
Vechtetalstraße (1 km).<br />
24.05.1957<br />
Erster Antrag für den Bau <strong>e<strong>in</strong></strong>es Wohnhauses<br />
<strong>in</strong> der T<strong>in</strong>holter Siedlung<br />
1959<br />
Anschluss an die Zentralwasserleitung<br />
1962<br />
Beschluss zum Neubau der Vechte-Brücke und<br />
der Flutmuldenbrücke<br />
1971<br />
E<strong>in</strong>leitung der Flurber<strong>e<strong>in</strong></strong>igung<br />
Hand- und Spanndienste<br />
„Buurwarken“<br />
Alle Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>demitglieder waren verpflichtet,<br />
mit Hand- und Spanndiensten bei der Unterhaltung<br />
der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>dewege und -straßen anzupacken.<br />
Das nannte man „Buurwarken“.<br />
Meistens wurde mit <strong>e<strong>in</strong></strong>em Laufzettel über die<br />
anstehenden Arbeiten <strong>in</strong>formiert.<br />
TINHOLT<br />
Die Höfe Slikkers, Ens<strong>in</strong>k und van R<strong>in</strong>ge<br />
waren vom „Buurwarken“ ausgenommen, weil<br />
sie für die Instandhaltung der alten Vechte-<br />
Brücke von 1870 zuständig waren.<br />
Überall <strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt waren Sandentnahmestellen.<br />
Hier wurde Sand für die Instandhaltung<br />
der Wege entnommen. Dafür waren die<br />
Bauern zuständig, die Gespanne mit zwei Pferden<br />
hatten. Sie mussten den Sand fahren. Bauern<br />
ohne Gespanne mussten ihren Dienst mit der<br />
Hand, also mit der Schaufel, ausführen.<br />
Steven Snieders aus T<strong>in</strong>holt war für die<br />
E<strong>in</strong>teilung der Hand- und Spanndienste verantwortlich.<br />
Auch bei Hochzeiten wurde<br />
„Buurwarken“ angesetzt. Das Brautpaar wurde<br />
dann von den Buurwarkern aufgehalten, und<br />
es wurde Hochprozentiges ausgeschenkt.<br />
Dr. jur. Wilhelm H. Huffenreuter<br />
(1777–1855)<br />
Auf dem reformierten Friedhof <strong>in</strong> Hoogstede<br />
steht <strong>e<strong>in</strong></strong> besonderer Grabst<strong>e<strong>in</strong></strong>. Wer von der<br />
Hauptstraße her den Friedhof betritt und sich<br />
gleich nach l<strong>in</strong>ks wendet, der f<strong>in</strong>det ihn nach<br />
wenigen Metern an der Hecke. Auf dem Sandst<strong>e<strong>in</strong></strong><br />
steht:<br />
Hier ruht<br />
W. H. Hüffenreuter<br />
geb. 13. Decb. 1777 <strong>in</strong> Batavia<br />
gest. 8. Febr. 1855 <strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt.<br />
Die L<strong>in</strong>gener Akademie, von <strong>e<strong>in</strong></strong>em oranischen<br />
Fürsten 1696 gegründet, war durch ihre<br />
Nähe <strong>e<strong>in</strong></strong>e von jungen Grafschaftern gern besuchte<br />
Bildungsstätte. Im Album der Studierenden<br />
stehen die Namen der Studenten, auch<br />
97
2<br />
solche, die aus Holland und den holländischen<br />
Kolonien kamen, darunter Johan Niehoff, der<br />
<strong>in</strong> Uelsen geboren war und <strong>in</strong> Batavia lebte. Er<br />
be<strong>e<strong>in</strong></strong>flusste 1776 <strong>e<strong>in</strong></strong>ige Freunde, mit ihm an<br />
der L<strong>in</strong>gener Akademie zu studieren.<br />
Zu ihnen gehörte auch Wilhelm Henricus<br />
Hüffenreuter. E<strong>in</strong> Hüffenreuter kehrte mit s<strong>e<strong>in</strong></strong>er<br />
Frau, <strong>e<strong>in</strong></strong>er Malai<strong>in</strong>, auf den Hof <strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt<br />
zurück (Sager, Grafsch. 1965 und Kühle, Zwischen<br />
Burg und Bohrturm Jg. 1974, S. 14, 3.<br />
Spalte)<br />
Wilhelm H<strong>e<strong>in</strong></strong>rich Huffenreuter wurde am<br />
13. Dezember 1777 <strong>in</strong> Batavia geboren. Batavia<br />
war der alte Name für die <strong>in</strong>donesische<br />
Hauptstadt Djakarta. (1610 bis 1943/45 war<br />
das heutige Indonesien <strong>e<strong>in</strong></strong>e niederländische<br />
Kolonie.) Dort hatte s<strong>e<strong>in</strong></strong> Vater Andreas Chris -<br />
topher Huffenreuter als Rittmeister der Landmiliz<br />
Dienst getan. Huffenreuter war <strong>e<strong>in</strong></strong><br />
bekannter Familienclan im damaligen Indonesien.<br />
Um 1810 muss W. H. Huffenreuter <strong>in</strong><br />
Bramsche gewohnt haben. Er habe <strong>e<strong>in</strong></strong>e Ausbildung<br />
als „Advocat" absolviert und s<strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />
akademische Ausbildung mit der Promotion<br />
abgeschlossen. In Bramsche wurden ihm von<br />
s<strong>e<strong>in</strong></strong>er Frau Cathar<strong>in</strong>a Dorothea Huffenreuter<br />
geb. Lampmann vier Söhne geboren.<br />
Ihre Eltern, der L<strong>in</strong>gener Sem<strong>in</strong>arlehrer<br />
Georg Ferd<strong>in</strong>and Lampmann und s<strong>e<strong>in</strong></strong>e Frau<br />
Anna Aleida Warm<strong>in</strong>g, hatten zeitweise <strong>in</strong><br />
T<strong>in</strong>holt gewohnt.<br />
Deren jüngster Sohn Ferd<strong>in</strong>and H<strong>e<strong>in</strong></strong>rich<br />
Philipp Cornelius Lampmann (1804–1893)<br />
war jahrzehntelang Pastor <strong>in</strong> Uelsen. E<strong>in</strong>e jüngere<br />
Schwester, Johanne Rh<strong>e<strong>in</strong></strong>hard<strong>in</strong>a Everhard<strong>in</strong>a<br />
Lampmann (1887–1863) war mit dem<br />
Amtsassessor Johann Georg Hoogklimmer<br />
(1784–1853) <strong>in</strong> Neuenhaus verheiratet. E<strong>in</strong>e<br />
weitere Schwester, Anna Aleida Lampman<br />
(1793–1860), ist <strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt geboren und <strong>in</strong><br />
Veldhausen verstorben.<br />
1823 kam Huffenreuter nach T<strong>in</strong>holt. Er<br />
übernahm dort den heutigen Hof von L. Jürriens<br />
am Lägen Diek. Am 22. Mai 1824 wurde<br />
hier die <strong>e<strong>in</strong></strong>zige Tochter Anna Cathar<strong>in</strong>a geboren<br />
und drei Jahre später, am 11. Mai 1827<br />
der fünfte Sohn Johann Georg.<br />
1829 bekam W.H. Huffenreuter für die<br />
reformierte Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de große Bedeutung. Wie-<br />
98<br />
GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />
derholt war vom Oberkirchenrat (dem Hoogklimmer<br />
auch angehörte? gjb) die Anstellung<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>es Rechnungsführers (Rendanten) angemahnt<br />
worden. E<strong>in</strong>e qualifizierte Person sollte<br />
die F<strong>in</strong>anzen der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de regeln und <strong>in</strong> der<br />
Zukunft führen. Jedoch konnte der <strong>Kirche</strong>nrat<br />
zunächst k<strong>e<strong>in</strong></strong>e geeignete Person f<strong>in</strong>den und<br />
regelte <strong>in</strong>tern das Rechnungswesen. Im Jahre<br />
1828 wurde der Älteste Harm Grüppe aus T<strong>in</strong>holt<br />
beauftragt, mit dem neuen Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>deglied<br />
Huffenreuter Kontakt aufzunehmen und<br />
ihn für die Arbeit als Rendant zu gew<strong>in</strong>nen.<br />
Diese Bemühungen waren von Erfolg gekrönt.<br />
Im reformierten <strong>Kirche</strong>nratsprotokoll vom 26.<br />
Februar 1829 lesen wir:<br />
„Den 26 Februarij wederom buiten gewoon<br />
Kerkenr. vergaderd met den Heer Huffenreuter<br />
en toen met hem er over gesproeken, heeft het<br />
8 dagen <strong>in</strong> zijn bedenk genomen, en verzogt dat<br />
wij en den Heer Amtman (er)(gem<strong>e<strong>in</strong></strong>t ist s<strong>e<strong>in</strong></strong><br />
Schwager Hoogklimmer <strong>in</strong> Neuenhaus) over<br />
zouden spreken of die het ook goed vond …“<br />
Am 27. März 1829 schließt man <strong>e<strong>in</strong></strong>en Vertrag<br />
mit Huffenreuter, mit dem er als Rechnungsführer<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>gesetzt wird:<br />
„Den 27 Maart buiten gewoon de Kerkenr.<br />
vergaderd absent J.Albers en G.Koops, en toen<br />
is door den Heer Huffenreuter hat contract getekend<br />
door hem overgeven ... ".<br />
Damit konnten die F<strong>in</strong>anzen <strong>in</strong> geordnete<br />
Bahnen gelenkt werden. Waren <strong>in</strong> den Jahren<br />
vor 1830 die <strong>Kirche</strong>nrechnungen vom Oberkirchenrat<br />
immer wieder beanstandet worden,<br />
so tritt ab 1830 <strong>e<strong>in</strong></strong>e grundsätzliche Wende<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>. Der Oberkirchenrat lobte die gute Rechnungsführung<br />
und hob die geordneten f<strong>in</strong>anziellen<br />
Verhältnisse <strong>in</strong> der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de hervor,<br />
auch wenn es häufig nur <strong>e<strong>in</strong></strong> Verwalten von<br />
Mangel war. Die Arbeit als Rendant geschah<br />
zwar im H<strong>in</strong>tergrund und doch war sie von<br />
großer Bedeutung für die Konsolidierung der<br />
reformierten Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Hoogstede.<br />
Am 8. Februar 1855 starb W. H. Huffenreuter<br />
im Alter von 78 Jahren. Er war zu<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>em angesehenen Mitglied der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de<br />
geworden und hatte über Jahre das Bürgermeisteramt<br />
<strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt <strong>in</strong>negehabt. S<strong>e<strong>in</strong></strong>e Frau<br />
überlebte ihn um 22 Jahre. Sie verstarb am 6.<br />
Juni 1877 im Alter von 92 Jahren.
Wappen der heutigen niederländischen<br />
Familie Huffenreuter (Gerrit Jan Beuker, Internet)<br />
Der älteste Sohn H<strong>e<strong>in</strong></strong>rich Wilhelm (09.1814<br />
bis 16.12.1879) lebte und arbeitete als Zimmermann<br />
<strong>in</strong> Kalle. Er starb an der Schw<strong>in</strong>dsucht.<br />
Der zweitälteste Sohn Nicolaus Friedrich<br />
Huffenreuter (04.04.1816–14.07.1873) heiratete<br />
Anna Marie Louise Wilhelm<strong>in</strong>e Baumann<br />
(30.01.1811–und führte den Hof des Vaters<br />
fort. Vier K<strong>in</strong>der starben nach der Geburt und<br />
von der Tochter Cathar<strong>in</strong>a Dorothea (geb. am<br />
31. Mai 1844) erfahren wir <strong>in</strong> den Folgejahren<br />
nichts mehr. (Sie heiratet wohl unter dem<br />
Mädchennamen ihrer Mutter als Dorothea<br />
Bauman den Friederich Stricker (1842–1874)<br />
<strong>in</strong> Wilsum. Aus der Ehe wird 1873 Oscar<br />
Stricker geboren.) So wie die Familie Huffenreuter<br />
1823 plötzlich <strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt erschien, so<br />
verlieren sich auch 1877 ihre Spuren wieder.<br />
Der vierte Sohn Carl Theodor (02.1822 bis<br />
05.12.1902) starb 1902 als Rentier <strong>in</strong> Lage.<br />
Bei der E<strong>in</strong>tragung s<strong>e<strong>in</strong></strong>es Todes im Sterbebuch<br />
vermeldet der <strong>Ort</strong>spastor als Eltern: „Gutsbesitzer<br />
Wilhelm Friedrich Huffenreuter und<br />
s<strong>e<strong>in</strong></strong>e Frau Cathar<strong>in</strong>a Dorothea Lampman“.<br />
(Nach G. ter Stal, 175 Ev.-ref. <strong>Kirche</strong>,<br />
kursive Abschnitte ergänzt durch Gerrit Jan Beuker)<br />
TINHOLT<br />
Jan Harm Bleumer, T<strong>in</strong>holt,<br />
Up mien Besseva sienen Hof<br />
Der aus T<strong>in</strong>holt stammende Jan Harm(en)<br />
Bleumer erzählt <strong>in</strong> s<strong>e<strong>in</strong></strong>em Buch „Up mien<br />
Besseva sienen Hof“ anschauliche Geschichten,<br />
<strong>in</strong> denen die ländliche Welt unserer Gegend am<br />
Ende des 19. Jahrhunderts lebendig wird.<br />
Bleumer wurde am 20. August 1873 auf<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>em Bauernhof <strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt geboren. Nach<br />
dem Besuch des Lehrersem<strong>in</strong>ars unterrichtete<br />
er an der Volksschule <strong>in</strong> Wielen, dann <strong>in</strong><br />
Grasdorf. 1907 verließ er die Grafschaft, als er<br />
nach Papenburg versetzt wurde. Seit 1923 war<br />
er bis zu s<strong>e<strong>in</strong></strong>er Pensionierung Lehrer <strong>in</strong> Osnabrück.<br />
Dort starb er am 9. Januar 1943. Das<br />
genannte Buch erschien <strong>in</strong> Papenburg vermutlich<br />
Anfang der zwanziger Jahre. Es folgt<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong> Auszug aus aus dem Kapitel über „Großvater<br />
und s<strong>e<strong>in</strong></strong>e Nachbarn“:<br />
Besseva un siene Noaberlö<br />
„In de annere Wecke kunn wij wall slachten.<br />
De Dom<strong>in</strong>i möt ditmoal ok wat hebben. Krajenfanger<br />
hef dor vörige Wecke all nen Sch<strong>in</strong>ken<br />
henbracht, de schleppt dor wall soa vull hen.<br />
Vöriges Joahr heb wij dor ok nicks henbracht“,<br />
meende de Moa.<br />
De annere Wecke wöt bij uns dat Beest<br />
slacht. Un do det oawends kot schneen wöt, sä<br />
de Moa: „Nuw schnie dor is`n got Broatstück<br />
of, wenn et ok tien Pund s<strong>in</strong>d.“ „Dat sall ik is<br />
ditmoal don.“<br />
Besseva söchde sik det möiste Stück ut, un<br />
den annern Dag süll de Va dor met hen. „Nee“,<br />
sä Besseva, „dor goah ik sülwen met hen. Ik sall<br />
et <strong>in</strong> Düstern dor wall henbrengen.“<br />
Oavends göng Besseva lös, Karo met em.<br />
Do he buten unsen Hof was, slög he nen heelen<br />
annern Weg <strong>in</strong>, noa de Feldkante an. He göng<br />
met sien Fleesk nich noa de Dom<strong>in</strong>i.<br />
„De hef genog“, dachde he, „et is better,<br />
ik breng et noa Remmers, de hebt det Hus<br />
vull K<strong>in</strong>ner, de kriegt wall nich vull Fleesk<br />
te sehn.“<br />
„Gun`n Oavend, Lö!“ „Gunn`n Oavend –<br />
Besseva, ij noch <strong>in</strong> Düstern!“ „Joa, up hellen<br />
Dach wull ik hier nich hen. Ik heb uw wat<br />
metbracht <strong>in</strong> den Korw, kiekt is to Frau un dot<br />
det dor is ewen ut.“<br />
99
2<br />
De Frau was ok nijschierig genog, keek to<br />
un slög de Hande tosammen: „Nee, dat hadde<br />
ij doch nich don mußt, det könne wij joa gar<br />
nich annemmen.“<br />
„Worüm denn nich? Wij hebt dor genog<br />
van un de et eigentlich hebben süll, hef ok<br />
genog.“<br />
Besseva wull denn weer goahn. „Nee“, sä<br />
de Frau, „det geht nich an. Erst kriege ij een<br />
Köppien Koffie. Soa söll ij nich weer weg.“<br />
Besseva wull ok nich all te fro weer <strong>in</strong> Hus<br />
kummen, dann föllt det fort up, he blew sitten.<br />
He kreeg doar een lecker Köppien Koffie;<br />
soa got hadde he et nich völl had. Do he dor<br />
een bis twee Ühre kürt hadde, brachde Remmers<br />
em weer upt Hus an.<br />
Do Besseva bijt Für satt, sä he: „Junge,<br />
wat wassen de Löe bliede, van Oavend heb ik<br />
noch is bliede Gesichter sehn!“<br />
Det kunn de Moa sik nich begriepen, det<br />
Dom<strong>in</strong>is sik so bliede anstellt hadden. Se keek<br />
dorüm Besseva is an.<br />
„Joa, joa“, sä Besseva weer, „du kiekst mij<br />
wall an, men so bliede Menschen hebbe ik<br />
lange nich mehr sehn.“<br />
Un et schiende, dat wat van disse Bliedschup<br />
up sien Gesicht lag.<br />
100<br />
GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />
Pater Marcellus Töller<br />
Pater Töller ist <strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt geboren. S<strong>e<strong>in</strong></strong>e Eltern<br />
s<strong>in</strong>d früh verstorben. Er wurde 1921 zum<br />
Priester geweiht. Er war lange <strong>in</strong> Ma<strong>in</strong>z tätig.<br />
Pater Töller verbrachte s<strong>e<strong>in</strong></strong>en Lebensabend <strong>in</strong><br />
St. V<strong>in</strong>cent <strong>in</strong> Neuenhaus und wurde <strong>in</strong> Hoogstede<br />
beerdigt.<br />
Foto zum 50-jährigen Priesterjubiläum, 1971<br />
(Willy Friedrich)
Die Lee <strong>in</strong><br />
Scheerhorn, 2008<br />
(Harm Kuiper)<br />
Berge und<br />
Scheerhorn<br />
Bearbeitet von Harm Kuiper<br />
Dr. Ernst Kühle über<br />
Scheerhorn und Berge<br />
Aus: Der Grafschafter 1968–1972,<br />
S. 887, 892, 900, 910 (Folge 227–230)<br />
Die nachfolgende Beschreibung von Kühle<br />
zeigt, wie sich die Umstände und Verhältnisse<br />
<strong>in</strong> den letzten vierzig Jahren verschoben<br />
haben. Sie verdeutlicht etwas von den Hoffnungen<br />
und Erwartungen jener Zeit. (gjb):<br />
Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>same Mark Hoogstede-Bathorn<br />
Die gem<strong>e<strong>in</strong></strong>same Mark mit Hoogstede und<br />
Bathorn reichte von der Vechte bis weit <strong>in</strong> das<br />
Hochmoor h<strong>in</strong><strong>e<strong>in</strong></strong> nach Osten, doch nicht, wie<br />
bei R<strong>in</strong>ge, bis an die Grenzaa. Die wertvolls -<br />
ten Flurstücke mit <strong>e<strong>in</strong></strong>em Bodengütewert von<br />
über 40 waren die Auewiesen an der Vechte.<br />
Auf leichten Bodenwellen <strong>in</strong> Überschwemmungsrandlage<br />
entstanden <strong>in</strong> germanischer<br />
Siedlungszeit Brotfruchtfluren und die Hofstätten<br />
der Altbauern. Weiter nach Osten g<strong>in</strong>g<br />
die Gemarkung <strong>in</strong> das lange Zeit unzugängliche<br />
Hochmoor über. Die Teilung der gem<strong>e<strong>in</strong></strong>-<br />
samen Mark auf die <strong>e<strong>in</strong></strong>zelnen Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den geschah,<br />
wie man <strong>in</strong> alter Zeit die Feldflur unter<br />
die Berechtigten aufteilte. Jeder erhielt <strong>e<strong>in</strong></strong>en<br />
schmalen Streifen auf jedem Flurstück, wie es<br />
das Rechtsgefühl gebot. So bekamen Scheerhorn<br />
und Berge schmale Streifen mit geraden,<br />
parallelen Grenzen von nur wenig über <strong>e<strong>in</strong></strong>em<br />
Kilometer Breite und der vierfachen Länge.<br />
Auf dem alten Messtischblatt von 1896 reichten<br />
Kulturfläche und Besiedlung nur etwa 1,5<br />
km ostwärts; der übrige Teil der Mark war<br />
noch als Ödland, östlich des Coevorden-Piccardie-Kanals<br />
mit Torfstichgruben, verzeichnet.<br />
Das neue Blatt, 1958, zeigt das Moor<br />
nahezu vollständig <strong>in</strong> Grünland umgewandelt,<br />
das durch gerade Gräben und feste Straßen <strong>in</strong><br />
Rechtecksflurblöcke aufgeteilt ist. Nur kl<strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />
Reste von Heide und Moor blieben zurück.<br />
Südlich der Lee häufen sich E<strong>in</strong>zeldünen<br />
und Dünenketten, die mit Nadelwald aufgeforstet<br />
s<strong>in</strong>d. Ehe das geschah, war die „Berger<br />
Sahara" <strong>e<strong>in</strong></strong> Quellherd für Sandverwehungen<br />
benachbarter Kulturflächen. Die höchste Erhe-<br />
101
2<br />
bung erreicht <strong>in</strong> Nähe der Lee 21,5 Meter; tiefs -<br />
te Senke ist die Leemündung mit 14 Meter. Die<br />
Berger Tannen haben Bedeutung gewonnen<br />
als Erholungslandschaft und als Sportstätte,<br />
auf der Waldläufe um die Kreismeisterschaft<br />
ausgetragen werden. Das benachbart Schwimmbad<br />
an der Lee wird selbst von Veldhauser<br />
Bürgern gern besucht. Das Scheerhorner Bruch<br />
beherbergt <strong>e<strong>in</strong></strong>e seltene Pflanzen- und Tierwelt.<br />
Professor Br<strong>in</strong>kmann und heimische Naturfreunde<br />
beobachteten und beschrieben das<br />
Tierleben dieser Naturoase. E<strong>in</strong> Moorweiher,<br />
Fettpott genannt, ist mit meterhohen B<strong>in</strong>sen<br />
umgrenzt und enthält Inseln mit anspruchslosen<br />
Kräutern, die Brutstätten von Sumpfund<br />
Wasservögeln s<strong>in</strong>d. Möwenkolonien und<br />
Trauerseeschwalben beleben den Restsumpf,<br />
von dem das Jahrbuch 1962 <strong>e<strong>in</strong></strong> Lichtbild<br />
br<strong>in</strong>gt. Lehrer Naber, Veldhausen, beobachtete<br />
Austernfischer und Kampfläufer. Wegra<strong>in</strong>e<br />
und Gräben weisen noch immer <strong>e<strong>in</strong></strong>en Artenreichtum<br />
auf, der kaum bei kurzen Besuchen<br />
ausgeschöpft werden kann.<br />
Der Name Scheerhorn bedeutet nach H.<br />
Specht <strong>e<strong>in</strong></strong>e vorspr<strong>in</strong>gende Grenzfläche. Als<br />
102<br />
GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />
Hörn gilt <strong>e<strong>in</strong></strong>e Ecke, <strong>e<strong>in</strong></strong> W<strong>in</strong>kel oder Platz am<br />
Fluss, wie bei Nordhorn. Abels erklärt „scheer“<br />
mit schier, dürr, wonach Scheerhorn <strong>e<strong>in</strong></strong> dürrer<br />
Platz gewesen wäre. Wer heute durch die<br />
Landschaft wandert, erhält <strong>e<strong>in</strong></strong>en weit günstigeren<br />
E<strong>in</strong>druck. Flachlandbewohner haben die<br />
Neigung, flache Bodenerhebungen als Berge<br />
zu bezeichnen, woraus sich der Name Berge<br />
erklärt …<br />
Bischöfe, Grafen und Herren<br />
Der Graf von Bentheim war Hauptgrundherr;<br />
neben ihm gab es geistliche und weltliche<br />
Grundherren mit ger<strong>in</strong>geren Anrechten. Der<br />
Bischof v. Utrecht hatte s<strong>e<strong>in</strong></strong>e hörigen Höfe im<br />
Schatt<strong>in</strong>gsregister der Twente 1475 verzeichnet,<br />
Familienfoto um 1900 aus Berge, Familie Bloemendal.<br />
Hochzeitspaar ganz rechts: Jan Harm Bloemendal und Ennegien Bloemendal geb. Stroot, Eltern sitzend am Tisch:<br />
H. J. Bloemendal geb.15.9.1852 gest. 25.1.1925 und Aaltien Bloemendal geb. Kaalmann geb. 17.2.1856 gest. 9.3.1941, dann<br />
von l<strong>in</strong>ks nach rechts: H<strong>in</strong>rikien B<strong>in</strong>gler geb. Bloemendal mit Sohn und Ehemann Jan B<strong>in</strong>gler, H<strong>in</strong>drika Bloemendal geb.<br />
4.4.1888 gest. 6.3.1952 später verheiratet mit H.J. Zweers <strong>in</strong> Berge, Jan Bloemendal und Hermannes Bloemendal (Zweers)<br />
Der Fettpott <strong>in</strong><br />
Berge, 1959<br />
(Willy Friedrich)
Hof von Kuite <strong>in</strong> Berge (Willy Friedrich)<br />
das uns Archivar Döhmann, Burgst<strong>e<strong>in</strong></strong>furt,<br />
zugänglich machte. Die Herren auf benachbarten<br />
adligen Rittergütern hatten Jagdrechte<br />
<strong>in</strong> der Scheerhorn-Berger Mark; die Herren<br />
von Laar bejagten die Flur zweimal jährlich,<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>mal bei Gras, <strong>e<strong>in</strong></strong>mal bei Stroh. Die Herren<br />
von Echteler forderten die Koppeljagd <strong>in</strong><br />
Scheerhorn, die Herren auf Öd<strong>in</strong>ghof, Esche,<br />
die Koppeljagd <strong>in</strong> Berge. Die hohe Jagd übte<br />
der Graf all<strong>e<strong>in</strong></strong> aus. Zu s<strong>e<strong>in</strong></strong>en Reservationen<br />
gehörten u. a. das Scheerhorner- und/Klusenfeld<br />
(Clausterfeld). Der Scheerhorner Ballast<br />
und Berger Brill waren Eigenjagdreviere. Beim<br />
Schulten logierten die Jäger, zu den Mahlzeiten<br />
trugen die Bauern bei: Brun<strong>in</strong>ck, Surman,<br />
Hemke, Kolthoff, Hannebroeck, Jor<strong>in</strong>ck, Volker<br />
lieferten je <strong>e<strong>in</strong></strong> Brot. Die Herren auf der<br />
Schulenburg zu Veldhausen besaßen Land<br />
und Leute <strong>in</strong> Scheerhorn; dieser Besitz g<strong>in</strong>g<br />
später auf den Grafen über.<br />
Kloster Wietmarschen hörig<br />
Das Kloster Wietmarschen entwickelte sich<br />
zum reichen Grundbesitzer <strong>in</strong> der Grafschaft;<br />
ihm gehörten 139 Höfe. Zu s<strong>e<strong>in</strong></strong>en hörigen<br />
Bauernerben gehörte Hartger<strong>in</strong>ck (Hatger) to<br />
Scheerhorn, der als jährliche Pacht 4 Müdde<br />
Roggen, 4 Müdde Gerste, 1 Huhn und am<br />
Thomastag 1½ Mark gab. Wenn das Geld an<br />
BERGE UND SCHERHORN<br />
diesem Tag nicht bezahlt war, verdoppelte sich<br />
der Betrag. Später, 1683, bekennt Hartger<strong>in</strong>ck,<br />
dass er jährlich im Mai oder zu Mart<strong>in</strong>i 1 Rtl,<br />
7 Stüber als Kl<strong>e<strong>in</strong></strong>dienstgeld geben muss. Hartger<strong>in</strong>ck<br />
erfüllte aber nicht nur Sachleistungen,<br />
sondern auch persönliche Dienste, ebenso<br />
s<strong>e<strong>in</strong></strong>e Frau und s<strong>e<strong>in</strong></strong>e K<strong>in</strong>der. Söhne und Töchter<br />
konnten mit anderen Grundherren ausgetauscht<br />
werden. Wenn das geschah, wurde es<br />
im Wechselbuch vermerkt. Das Kloster versuchte,<br />
die Vogteirechte <strong>in</strong> s<strong>e<strong>in</strong></strong>en Besitz zu<br />
br<strong>in</strong>gen; es gelang 1355 bei Hartger<strong>in</strong>ck. Im<br />
Austausch mit dem Grafen empf<strong>in</strong>g das Klos -<br />
ter die Magd Fenne Brun<strong>in</strong>ck, die up Hartger<strong>in</strong>ck<br />
to Scheerhorn kam. 1441 überließ das<br />
Kloster dem Herrn Johan v. Laar H<strong>in</strong>rieh, Almer<strong>in</strong>cks<br />
Sohn, der zu Silverk<strong>in</strong>ck, Scheerhorn,<br />
kam. Lubbe Hartger<strong>in</strong>ck to Scheerhorn<br />
heiratete Robbe ten Suthove; sie bauten <strong>e<strong>in</strong></strong><br />
Häuschen vor Mellenkamps Boom; ihre Tochter<br />
Talle wurde frei. Im Austausch mit dem Bischof<br />
von Utrecht empf<strong>in</strong>g das Kloster die<br />
Magd Swenne, Volkers Tochter, die zu Süverd<strong>in</strong>ck<br />
to Scheerhorn kam, ebenso vom Herrn<br />
J. Bade <strong>e<strong>in</strong></strong>e Magd, Swenne, T<strong>in</strong>holts Tochter,<br />
die <strong>e<strong>in</strong></strong>heiratete auf dem Klostererbe ter Kalle<br />
to Scheerhorn.<br />
Die jährlichen Kornpachten nach dem Manual-<br />
und Söllerbuch 1829 betrugen für Hat-<br />
103
2<br />
ger 16 Scheffel Roggen, 16 Scheffel Gerste, 3<br />
Gulden und ungewisse Gefälle, die der Hof<br />
1854 ablöste. Van der Loo nennt das Jahr 1246<br />
als Beg<strong>in</strong>n des Hörigkeitsverhältnisses Hatgers.<br />
Im Heberegister der Grafen von Bentheim<br />
1486 s<strong>in</strong>d 14 gräfliche Höfe aus dem Kirchspiel<br />
Emlichheim <strong>e<strong>in</strong></strong>getragen, 1553 bereits 192<br />
(Voort, Jahrbuch 1972).<br />
In Scheerhorn gaben an Roggenpacht (Ro),<br />
Gerstenrente (Ge) <strong>in</strong> Müdde (6 Scheffel): Schul -<br />
te v. Scheerhorn 3 Ro, Hemmike 4 Ro, Gozen<br />
Brün<strong>in</strong>ck 6 Ro, 5 Ge, Anebroick 4 Ro, 2 Ge,<br />
Wermel<strong>in</strong>ck 8 Ro, 3 Ge, Kemike (wohl obiger<br />
Hemmike) 4 Ge. An R<strong>in</strong>der- und Zwynepacht<br />
gaben Almer<strong>in</strong>ck 1 R<strong>in</strong>d, Kuelman 1 R<strong>in</strong>d,<br />
104<br />
GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />
„Zuckerpott“ zwischen 1871 und 1895 von Janna Alfer<strong>in</strong>k<br />
Janna Alfer<strong>in</strong>k geb. Groene (27.01.1848–16.03.1910),<br />
heiratet am 29.07.1875 Jan Alfer<strong>in</strong>k (H<strong>in</strong>drik-Jan Alfer<strong>in</strong>k)<br />
Hartger<strong>in</strong>ck 1 R<strong>in</strong>d, je 1 Schw<strong>e<strong>in</strong></strong>: Wermel<strong>in</strong>ck,<br />
Brün<strong>in</strong>ck, Hemmike. — Die Tende zu Scheernhorn<br />
ist Jahr für Jahr verd<strong>in</strong>get für 33 Müdde<br />
Roggen …<br />
Haager Vergleich 1701<br />
In der Zeit zwischen den beiden Galenschen<br />
Kriegen trat Graf Ernst Wilhelm zum katholischen<br />
Bekenntnis über. Die reformierte Grafschaft<br />
hielt an ihrem Bekenntnis fest und<br />
suchte Anlehnung beim reformierten Nachbarstaat.<br />
Der Haager Vergleich, 1701, stellte<br />
den kirchlichen Zustand vom Jahre 1624 sicher<br />
und gab dem Oberkirchenrat <strong>e<strong>in</strong></strong> ausreichendes<br />
Maß von E<strong>in</strong>fluss auf das kirchliche<br />
und Schulleben. Der Vergleich regelte Lehre<br />
und Verfassung der reformierten <strong>Kirche</strong> <strong>in</strong> der<br />
Grafschaft. Holländische Lehrer und Geistliche<br />
kamen <strong>in</strong> die Niedergrafschaft, <strong>in</strong> der die<br />
holländische Sprache die <strong>Kirche</strong>nsprache<br />
wurde. 1707 traf die Regierung erste Maßnahmen<br />
gegen die Sandverwehungen. In <strong>e<strong>in</strong></strong>er<br />
Zeit, als es noch k<strong>e<strong>in</strong></strong>e W<strong>in</strong>dschutzgürtel, aber<br />
große Schafherden gab, die die Grasnarbe <strong>in</strong><br />
der Mark zertraten, hatte der W<strong>in</strong>d im Dünenbereich<br />
bei zerstörter Grasnarbe beste Angriffsflächen,<br />
um Mulden auszublasen und<br />
Flugsand über die Kulturflächen zu wehen.<br />
Durch E<strong>in</strong>schränken der Schafbestände und<br />
Bepflanzen der nackten Sandflächen sollte<br />
den Sandstuwen E<strong>in</strong>halt geboten werden, und<br />
die Anlage von Telgenkämper, 1717, sollte<br />
dem Mangel an Pflanzgut abhelfen. Noch 150<br />
Jahre lang dauerte der Kampf gegen die Sandstuwen<br />
fort.<br />
Inschrift „Invidia fortunae comes anno 1689, den 30 Juny“<br />
Übersetzt: „Missgunst ist des Glückes Begleiter“. Alte Inschrift auf dem Hof Hermann Alfer<strong>in</strong>k, Scheerhorn. Der alte St<strong>e<strong>in</strong></strong><br />
war <strong>e<strong>in</strong></strong>gemauert <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong></strong>er Scheune über <strong>e<strong>in</strong></strong>er Tür. Stammt er möglicherweise von der Burg <strong>Arkel</strong>? (Harm Kuiper)
Hof Hermann Alfer<strong>in</strong>k, Hauptstraße, Scheerhorn, etwa 1950 (Alfer<strong>in</strong>k, Harm Kuiper)<br />
1752 verpfändet an Hannover<br />
Die Bentheimer Subdelegation, <strong>e<strong>in</strong></strong>e vom<br />
Kaiser geregelte Vormundschaftsregierung,<br />
versuchte, durch Sparverordnungen die f<strong>in</strong>an -<br />
zielle Notlage des Landes zu bessern. Da es<br />
nicht gelang, gesunde Verhältnisse zu schaffen,<br />
sah sich Graf Friedrich Carl genötigt,<br />
1752 s<strong>e<strong>in</strong></strong>e Grafschaft an das Land Hannover<br />
zu verpfänden. Vier Jahre später, im Siebenjährigen<br />
Krieg, versuchte der Graf, an der<br />
Spitze französischer Truppen, die Freiheit s<strong>e<strong>in</strong></strong>es<br />
Landes zurückzugew<strong>in</strong>nen. Die Franzosen<br />
besetzten das Land und nutzten es als Angriffsbasis<br />
gegen Hannover, das mit England<br />
<strong>in</strong> Personalunion ver<strong>e<strong>in</strong></strong>igt war. Berger und<br />
Scheerhorner Bauern lieferten Getreide und<br />
Heu und leisteten mit ihren Gespannen<br />
Frachtdienste. Jungbauern dienten als Tra<strong>in</strong>-<br />
„Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>dearbeiten“ = Boerwerken 1920er Jahre <strong>in</strong> Berge. Berger Landwirte vor<br />
dem Hof Mensen auf der Feldstraße (Harm Kuiper)<br />
BERGE UND SCHERHORN<br />
knechte; entzogen sie sich diesem Dienst<br />
durch Flucht, diente der Vater für den Sohn.<br />
Der Forstmeister Aschenbroick meldete Viehschäden<br />
durch Wölfe, worauf der Graf <strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />
Wolfsjagd, die <strong>in</strong>sbesondere den Scheerhorner<br />
Ballast erfasste, anordnete. Jeder Vollbauer<br />
hatte 2 Treiber, der Halberbe 1 Treiber zu stellen<br />
bei 5 Gulden Strafe bei Nichtersch<strong>e<strong>in</strong></strong>en.<br />
Nach Friedensschluss folgten die üblichen<br />
Verordnungen zum Wiederaufbau von Flur<br />
und Wegen, h<strong>in</strong>zu kamen zahlreiche Vorschriften<br />
zur persönlichen Sparsamkeit im<br />
Haushalt, im Verbrauch von Holz, zur Schädl<strong>in</strong>gsbekämpfung.<br />
Kampf dem Moor<br />
Das Land Hannover unternahm Großangriffe<br />
auf das Moor; <strong>e<strong>in</strong></strong>e Reihe neuer Moorsiedlun-<br />
105
2<br />
gen entstand, darunter die Neue Piccardie und<br />
Adorf. Trotz ger<strong>in</strong>ger Bevölkerungsdichte im<br />
Lande war bei zu ger<strong>in</strong>gem Kulturland <strong>e<strong>in</strong></strong> Bevölkerungsüberschuss<br />
vorhanden. So nutzten<br />
nachgeborene Söhne aus Berge und Scheerhorn<br />
die Möglichkeit, <strong>e<strong>in</strong></strong> Moorkolonat zu erwerben.<br />
Die bäuerlichen Lasten waren <strong>in</strong> der<br />
Bentheimer Eigentumsordnung, die sich der<br />
Osnabrücker anpasste, geregelt. Vorausschauende<br />
Männer, wie O. v. Münchhausen, hielten<br />
das Weiterbestehen der privatrechtlichen B<strong>in</strong>dungen<br />
für zu stark belastend und die freie<br />
Entwicklung beh<strong>in</strong>dernd. Justus Moser beklagte<br />
die Härte der ungewissen Gefälle.<br />
Franzosenzeit<br />
Als nun die Franzosen wieder <strong>in</strong>s Land kamen,<br />
diesmal als Revolutionstruppen, und Gewerbefreiheit<br />
und Ablösung der bäuerlichen Las -<br />
ten versprachen, hörte man das gern, blieb<br />
jedoch zweifelnd. Die Selbstständigkeit der<br />
Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den hörte auf; Berge und Scheerhorn<br />
wurden mit Nachbargem<strong>e<strong>in</strong></strong>den zu <strong>e<strong>in</strong></strong>er Munizipalität<br />
unter <strong>e<strong>in</strong></strong>em Maire zusammengefasst.<br />
Man erkannte bald, dass sich an den<br />
alten B<strong>in</strong>dungen nichts änderte und dass es<br />
der Fremdregierung auf Steuergelder und Rekruten<br />
ankam. Das französische Kataster fand<br />
immer neue Steuerquellen, und die Rekrutenlisten<br />
füllten sich mit Namen von Jungbauern,<br />
die ausgehoben, auf fremden Garnisonen<br />
ausgebildet und auf fernen Kriegsschauplätzen<br />
für Frankreichs Ruhm kämpften. Aber<br />
auch gegen Napoleon stritten Berger und<br />
Scheerhorner Söhne im Bentheimer Bataillon,<br />
wie die Verlustlisten 1814/15 ausweisen. Dirk<br />
Sloot starb 1815 <strong>in</strong> Corbevoye <strong>in</strong> Frankreich.<br />
Nach 1815<br />
Nachdem die Franzosen vertrieben waren,<br />
übernahm Regierungsrat v. Pestel die Pfandschaftsregierung,<br />
hob die französischen Gesetze<br />
auf und ließ die alte Ordnung wieder<br />
gelten, doch vielfach ohne die früher geübte<br />
Milde. E<strong>in</strong>e Zählung 1821 ergab für Berge <strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />
Zwerggem<strong>e<strong>in</strong></strong>de mit 83 E<strong>in</strong>wohnern, 16 Feuerstellen,<br />
10 Höfen; für Scheerhorn 30 Feuerstel<br />
len, 12 Höfe und 184 E<strong>in</strong>wohner. Die erwartete<br />
Ablösung blieb aus; das vom Bürger-<br />
106<br />
GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />
meister und Landrat Stüve <strong>in</strong> Osnabrück angeregte<br />
hannoversche Ablösungsgesetz, 1831,<br />
sowie die Osnabrücker Markenteilungsordnung<br />
galten für die Grafschaft Bentheim erst<br />
nach dem Revolutionsjahr 1848 …<br />
Hollandgänger, Erdhütten, Markenteilung<br />
Der Mangel an Arbeitsplätzen und die Landnot<br />
ließen die Abwanderung <strong>in</strong> die Nachbarstaaten<br />
ansteigen; 1847 zählte man 2500<br />
Hollandgänger. Vogt Baake meldete 1869,<br />
dass sich <strong>in</strong> der Scheerhorner Mark acht bewohnte<br />
Erdhütten befänden. Im bäuerlichen<br />
Betrieb nicht ausgelastete Kötter suchten Nebenerwerb<br />
an Webstühlen, von denen es 1863<br />
16 gab. Die Markenteilung, 1864 bis 1871, bot<br />
der Landnot E<strong>in</strong>halt; der Bau des Südnord-<br />
Kanals nach 1871 senkte den Wasserspiegel<br />
im Moor, und der M<strong>in</strong>eraldünger ließ die Erträge<br />
auf dem Moorboden ansteigen. Der Kreistag<br />
förderte mit den bescheidenden Mitteln<br />
des neuen Kreises die Kulturtätigkeit im Moor.<br />
Zu den Mitgliedern des Kreisausschusses gehörte<br />
Kolon Nyenhus. Die Schule erhielt <strong>in</strong><br />
Lehrer Wiefer<strong>in</strong>k <strong>e<strong>in</strong></strong>e beruflich vorgebildete<br />
Lehrkraft, die die Lehrerbildungsanstalt des<br />
Schulrates Fokke <strong>in</strong> Neuenhaus besucht hatte.<br />
H<strong>in</strong>drikien Jeur<strong>in</strong>k geb. Snieders (1875-1961)<br />
mit Wollmütze. Geboren 12.06.1875 <strong>in</strong> Berge, heiratet<br />
am 28.03.1898 Jan H<strong>in</strong>drik Jeur<strong>in</strong>k, verst. 19.02.1961<br />
<strong>in</strong> Berge. (Harm Kuiper)
Straße und Eisenbahn 1890/1909<br />
Die Verkehrslage besserte sich, als der alte<br />
Heerweg durch Berge und Scheerhorn 1890<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>e feste Straßendecke bekam. E<strong>in</strong> halbes<br />
Jahrhundert später stufte man diese wichtige<br />
Straße zur L 44 auf. 1909 verlängerte die Bentheimer<br />
Eisenbahn ihr Gleis nach Norden, von<br />
Neuenhaus nach Emlichheim.<br />
Im Kampf um die L<strong>in</strong>ienführung entschied<br />
die größere Siedlungsdichte am östlichen Ufer<br />
der Vechte. An der Stelle, wo die Eisenbahn<br />
Abbildung 90 Schlechter Weg <strong>in</strong> Scheerhorn, 1961 oder früher (Willy Friedrich)<br />
Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den streiten um Sparbuch<br />
Zeitung und Anzeigenblatt 1911<br />
Kreisblatt für den Kreis Grafschaft Bentheim<br />
Bearbeitet von Johann Jeur<strong>in</strong>k<br />
Scheerhorn-Berge, 18. April 1911<br />
Für die Instandhaltung zweier aus Bohlen bestehender<br />
Brücken für den Viehübergang und<br />
den Wagenverkehr über den neuen Kanal um<br />
somit zu dem Berger Bruche und dem Scheerhorner<br />
Ballast zu gelangen, hatte der Fürst<br />
von Bentheim <strong>e<strong>in</strong></strong>e <strong>e<strong>in</strong></strong>malige Zahlung von 32<br />
Mark geleistet. Dieser Betrag wurde 1887 bei<br />
der Sparkasse belegt, womit es solange s<strong>e<strong>in</strong></strong><br />
Bewenden hatte, bis die Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Berge, welche<br />
<strong>in</strong>zwischen durch <strong>e<strong>in</strong></strong>e politische Grenze<br />
von der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Scheerhorn getrennt worden<br />
war, ihren Anteil an dem Sparkassenguthaben<br />
forderte. Merkwürdigerweise stellte es sich heraus,<br />
daß der Betrag nur auf den Namen der Ge-<br />
BERGE UND SCHERHORN<br />
die Straße kreuzt, bot sich der geeignete Platz<br />
für die Haltestelle. Im neuen Jahrhundert<br />
führte Berge <strong>e<strong>in</strong></strong>en Prozess gegen Scheerhorn<br />
um s<strong>e<strong>in</strong></strong>en Anteil an 32 Mark Brückengeld.<br />
Nach dem Ersten Weltkrieg<br />
Nach dem Ersten Weltkrieg setzte Landrat Bön<strong>in</strong>ger<br />
die Kulturtätigkeit s<strong>e<strong>in</strong></strong>es Vorgängers<br />
fort. Aufmerksam beobachtete man die Tätigkeit<br />
der ersten großen Motorpflüge im Moor,<br />
die leider den Umbruch <strong>in</strong>folge unerschw<strong>in</strong>gli-<br />
m<strong>e<strong>in</strong></strong>de Scheerhorn und nicht auf beide Namen<br />
Scheerhorn-Berge lautend, <strong>e<strong>in</strong></strong> getragen war,<br />
wes halb die Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Scheerhorn ihr Eigentumsrecht<br />
an dem Sparkassenbuche geltend<br />
machte. Hierüber war die Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Berge<br />
höchst entrüstet und leitete das Klageverfahren<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>. Wichtige Zeugen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>zwischen verstorben.<br />
E<strong>in</strong>ige Aussagen der vernommenen Zeugen<br />
widersprechen sich gänz lich, weil der<br />
Zeitpunkt, um welchen die Brückengeschichte<br />
sich abspielt, <strong>in</strong> dunkler Er<strong>in</strong>nerung liegt. Die<br />
Angelegenheit beschäftigt nun schon seit <strong>e<strong>in</strong></strong>em<br />
Jahre das Gericht und will noch immer k<strong>e<strong>in</strong></strong><br />
Ende nehmen, so daß ganz bedeutende Kosten<br />
erwachsen. Die Verhandlungen gestalten sich<br />
äußerst schwierig, wenn auch teils recht <strong>in</strong>teressant.<br />
In beiden Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den wird mit Spannung<br />
das Urteil erwartet, das wahrsch<strong>e<strong>in</strong></strong>lich<br />
Ende dieses Monats <strong>in</strong> Osnabrück gefällt wird.<br />
107
2<br />
cher Treibstoffpreise während der Inflationszeit<br />
bald <strong>e<strong>in</strong></strong>stellen mussten. Mit dem elektrischen<br />
Strom erhielt der Bauernhof <strong>e<strong>in</strong></strong>e neue wichtige<br />
Energiequelle, mit dem Schlepper <strong>e<strong>in</strong></strong>en<br />
Ersatz für den tierischen Helfer. Herdbuchgesellschaften<br />
und Kontrollver<strong>e<strong>in</strong></strong>e halfen, die Erträge<br />
der Viehwirtschaft zu steigern. Gab die<br />
Kuh bisher jährlich durchschnittlich 900 Liter<br />
Milch, so konnte durch Zucht- und Pflegemaßnahmen<br />
der Milchertrag erheblich verbessert<br />
werden. In genossenschaftlicher Selbsthilfe<br />
mehrte sich der Bodenertrag, der Gew<strong>in</strong>n beim<br />
Verkauf der erzielten Produkte bei günstigem<br />
Bezug von Saatgut und Düngemitteln. Die<br />
Hektarerträge an Getreide, vor 50 Jahren 4–5<br />
Doppelzentner, wuchsen auf das Mehrfache an.<br />
Der Ausbau der Lee, 1927–33 zwischen Wiet-<br />
108<br />
GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />
Wegebau im Zuge der Vechteregulierung h<strong>in</strong>ter Mensen,<br />
Berge, ca 1960 (Harm Kuiper)<br />
marschen und Scheerhorn, verbesserte die Vorflut.<br />
1933 besaß Berge 44 ha Ackerland, 14 ha<br />
Wiesen, 28 ha Weiden, 22 landwirtschaftliche<br />
Betriebe, darunter zwei größere Höfe, 15 kl<strong>e<strong>in</strong></strong>ere,<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong> Neubauer, vier Heuer. Die E<strong>in</strong>wohnerzahl<br />
der Zwerggem<strong>e<strong>in</strong></strong>de wuchs <strong>in</strong> 100<br />
Jahren von 83 auf 126 an. Scheerhorn besaß<br />
102 ha Ackerland, 31 ha Wiesen, 38 ha Weiden,<br />
39 landwirtschaftliche Betriebe, darunter<br />
sieben größere, 18 kl<strong>e<strong>in</strong></strong>ere Höfe, zwei Neubauern,<br />
zwölf Heuer und 217 E<strong>in</strong>wohner.<br />
Nach dem Zweiten Weltkrieg<br />
Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte die Landeskultur<br />
durch das Vorkommen neuer Bodenschätze<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>e unvorhergesehene günstige<br />
Entwicklung, an der alle Hofstätten teilnah-<br />
Ölstraße 1961.<br />
Landstraße mit <strong>e<strong>in</strong></strong>sam<br />
dah<strong>in</strong>ziehenden<br />
Pferdefuhrwerk<br />
bei Scheerhorn.<br />
(Willy Friedrich)<br />
Letzte Holzbrücke<br />
über die Lee bei<br />
Schraten, 2008<br />
(Harm Kuiper)
Harm Kuiper (1903-1972)<br />
auf der Leebrücke bei Schiphouwer <strong>in</strong> 1948 (Harm Kuiper)<br />
Gefrieranlage Scheerhorn Dezember 1958<br />
Unbekannt, Johannes Lorenz Jönssen, Gerd Evers,<br />
Harm Kuite, H<strong>in</strong>drik-Jan Keute, Gerd Kemper,<br />
Bgm. Johannes Nyenhuis, Unbekannt, Frau Kunze,<br />
Steven Nöst (Willy Friedrich)<br />
21.11.1985, Bürgermeister Jan H<strong>in</strong>drik Koops<br />
wird sechzig, v.l. Frieda Koops, Jan H<strong>in</strong>drik Koops<br />
und Henrika Köster (Willy Friedrich)<br />
BERGE UND SCHERHORN<br />
Leestau bei Bernd-Harm Alfer<strong>in</strong>k. (Harm Kuiper)<br />
men. Es begann 1946 mit dem E<strong>in</strong>satz von elf<br />
Dieselloks im Siedlungsgebiet Berge-Scheerhorn.<br />
Als man 1949 das Ölfeld Scheerhorn entdeckte,<br />
be<strong>e<strong>in</strong></strong>flusste der bergmännische Ausbau auch<br />
den kommunalen Aufbau beider Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den.<br />
Schneller als anderswo erhielten die Marken<br />
feste Straßen, die Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den Wasserleitungen,<br />
Gefrieranlage, Wäscherei, Jugendheim, Sportplätze.<br />
Erhöhte Steuer<strong>e<strong>in</strong></strong>nahmen erlaubten, die<br />
Infrastruktur, die Grund ausrüstung der Dörfer zu<br />
verbessern. Technische Werkstätten mit 120 Arbeitskräften,<br />
Verwaltungsgebäude, Pumpaggregate<br />
u.a. setzten gewerbliche Elemente <strong>in</strong> die<br />
bäuerliche Landschaft. Neusiedlungen entstanden,<br />
Vollerwerbsbetriebe mit zwölf bis 15 ha<br />
Kulturland und handwerkliche Nebenerwerbssiedlungen.<br />
Neue Vorfluter und Nebengräben<br />
verbesserten den Abfluss; feste Brücken, wie<br />
Eißen- und Schratenbrücke, boten sicheren Zugang<br />
für Schlepper und Landmasch<strong>in</strong>en. Die Ölfirma<br />
Deilmann verlegte ihren Sitz nach<br />
Scheerhorn; sie half mit an den umfangreichen<br />
Kulturmaßnahmen <strong>in</strong> den Marken.<br />
109
2<br />
E<strong>in</strong>e neue, zweiklassige Schule im Grünen,<br />
ausgestattet mit Vorg arten, Staudenbeeten,<br />
Lehrgarten, Pausenhof und Gymnastikraum<br />
ersetzte den alten, 100-jährigen Schulraum;<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>e Ehrentafel hält die Er<strong>in</strong>nerung an die im<br />
Kriege Gefallenen wach. 1956 brach die Sonde<br />
22 aus; die 30 m hohe Ölfontäne konnte nach<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>igen Tagen gebändigt werden.<br />
1962 erreichte die Vechteregulierung die<br />
Leemündung; <strong>e<strong>in</strong></strong> Vechtewehr mit Stau entstand.<br />
Damit hörten die verheerenden Überschwemmungen<br />
auf, unter denen besonders<br />
Berge noch 1951 zu leiden hatte. An der alten<br />
Straße, L 44, die mehrfach begradigt und erweitert<br />
wurde, richtete das Deutsche Rote<br />
Kreuz 1970 <strong>e<strong>in</strong></strong>en Rettungswachdienst <strong>in</strong> den<br />
Berger Tannen, <strong>in</strong> der Nähe des Leebades, <strong>e<strong>in</strong></strong>.<br />
Ziele landwirtschaftlicher Lehrfahrten s<strong>in</strong>d<br />
manche der stattlichen und mit neuzeitlichen<br />
E<strong>in</strong>richtungen versehenen Höfe, darunter<br />
auch der Aussiedlerhof Maathuis, der 21 ha,<br />
zur Hälfte Acker- und Grünland, bewirtschaftet<br />
und mit zweckmäßigen Betriebsanlagen,<br />
wie Absaugvorrichtung, ausgestattet ist. Als<br />
Beispiel <strong>e<strong>in</strong></strong>es Kulturpioniers sei J. Oldekamp<br />
genannt, der im Scheerhorner Moor vor 50<br />
Jahren <strong>e<strong>in</strong></strong>en eigenen bäuerlichen Betrieb<br />
aufbaute und durch mühsame Kultivierungsarbeiten<br />
erweiterte. Die Leitung der aufstrebenden<br />
Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de hatte 1961 J. Nyenhuis, der<br />
1961 bereits 30 Jahre Bürgermeister war, was<br />
die Kreisverwaltung ihm durch <strong>e<strong>in</strong></strong>e Ehrenurkunde<br />
dankte …<br />
110<br />
GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />
Quellen<br />
Edel, Die Herrlichkeit Emlichheim, Jahrb. 1953<br />
Der Fettpott, Grafsch. Tageblatt 1950, Nr. 163<br />
Friedrich, Berge, Porträt <strong>e<strong>in</strong></strong>er<br />
Landgem<strong>e<strong>in</strong></strong>de, Grafschafter Nachrichten 1960<br />
Friedrich, Scheerhorn, Porträt <strong>e<strong>in</strong></strong>er<br />
Landgem<strong>e<strong>in</strong></strong>de, Grafschafter Nachrichten 1960<br />
Frommeyer u. Lögters, Erdöl und<br />
Erdgas im Emsland, Jahrb. 1960<br />
Klopmeyer, Die Besiedlung des Niedergrafschafter<br />
Hochmoors, Der Grafschafter 1954, Folge 14<br />
Ossenbühl, Die Entwicklung der adligen Güter, Jahrb. 1966<br />
Specht, Heimatkunde <strong>e<strong>in</strong></strong>es Grenzkreises<br />
Der Landkreis Grafschaft Bentheim<br />
Bürgermeister der<br />
Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Scheerhorn<br />
Etwa 1830 B. Scholten,<br />
etwa 1877 Jan Alfer<strong>in</strong>k (1835–1915)<br />
etwa 1881 bis 1908 Wilm Scholte (Scholten).<br />
Hermann Alfer<strong>in</strong>k (1880–1932), von Mai<br />
1919 bis etwa 1925.<br />
Bürgermeister Hermann Alfer<strong>in</strong>k (*1880)<br />
mit Frau Janna geb. Slikkers, vier kl<strong>e<strong>in</strong></strong>en K<strong>in</strong>dern<br />
und Vater um 1920 (H<strong>in</strong>drik-Jan Alfer<strong>in</strong>k)<br />
Danach folgte Gerrit H<strong>in</strong>drik Hatger<br />
(1881–1944) von etwa 1925 bis 1931.<br />
Johannes Nyenhuis (1881-1975), war von<br />
1931 bis Oktober 1968 fast vierzig Jahre Bürgermeister<br />
der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Scheerhorn. E<strong>in</strong><br />
Nachruf <strong>in</strong> den Grafschafter Nachrichten beschreibt<br />
ihn als <strong>e<strong>in</strong></strong>en „Grafschafter von echtem<br />
Schrot und Korn“. Er machte nicht viele<br />
Worte, sondern stellte immer wieder das Allgem<strong>e<strong>in</strong></strong>wohl<br />
<strong>in</strong> den Vordergrund. GN 09.1975<br />
Letzter Bürgermeister <strong>in</strong> Scheerhorn war Jan<br />
H<strong>in</strong>drik Koops (1925–2003). Vom Oktober<br />
1968 bis zum Inkrafttreten der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>dereform<br />
am 01.03.1974 hatte er dieses Amt <strong>in</strong>ne.<br />
Anschließend war er bis 1996 Bürgermeister<br />
der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Hoogstede und Samtgem<strong>e<strong>in</strong></strong>debürgermeister<br />
von 1991 bis 1996.
„Onkel Hans“ = Johannes Nyenhuis<br />
Erzählt von Johann Jeur<strong>in</strong>k<br />
Gerne erzählte Jan-H<strong>in</strong>drik Koops von<br />
s<strong>e<strong>in</strong></strong>em Vorgänger Nyenhuis, den er<br />
„Onkel Hans“ nannte. Dass Nyenhuis<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>en S<strong>in</strong>n für Gerechtigkeit hatte und<br />
nicht vor den Behörden kuschte, erzählte<br />
Koops öfter mit <strong>e<strong>in</strong></strong>er kl<strong>e<strong>in</strong></strong>en Anekdote.<br />
Regelmäßig prüfte der Landkreis die<br />
Bücher der Landgem<strong>e<strong>in</strong></strong>den. In den<br />
1950er und 60er Jahren führte Herr<br />
Woltmann diese Prüfungen durch. Bei<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>er solchen Prüfung fand Woltmann<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>e Rechnung über <strong>e<strong>in</strong></strong>en Hut. Er konnte<br />
sie nicht <strong>e<strong>in</strong></strong>ordnen und stornierte den<br />
Betrag. Bürgermeister Nyenhuis musste<br />
diese Rechnung privat bezahlen.<br />
Nyenhuis war <strong>e<strong>in</strong></strong> ehrlicher und korrekter<br />
Mann. Er begründete die Buchung<br />
so: Nach <strong>e<strong>in</strong></strong>er Landtagswahl trafen sich<br />
die Wahlhelfer im Wahllokal Warmer zur<br />
Auszählung der Stimmen. Danach blieb<br />
man noch bis spät abends <strong>in</strong> geselliger<br />
Runde zusammen, bevor man den Heimweg<br />
antrat. Nyenhuis musste feststellen,<br />
dass jemand wohl versehentlich s<strong>e<strong>in</strong></strong>en<br />
Hut mitgenommen hatte. Trotz vieler Bemühungen<br />
tauchte der Hut nicht wieder<br />
auf.<br />
Der Bürgermeister ließ sich diesen Hut<br />
zu Lasten der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de bezahlen. Er<br />
m<strong>e<strong>in</strong></strong>te: Der Verlust des Hutes erfolgte bei<br />
der Ausübung kommunaler Tätigkeiten.<br />
Nyenhuis war von kurzen Entscheidungen<br />
geprägt. Er diskutierte nicht<br />
lange mit dem Rechnungsprüfer und akzeptierte<br />
dessen Entscheidung vorläufig.<br />
Bei der nächsten Prüfung aber wies er<br />
den Prüfer darauf h<strong>in</strong>, dass er sich s<strong>e<strong>in</strong></strong>en<br />
Hut nach der letzten Prüfung doch von<br />
der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de habe bezahlen lassen. Der<br />
Prüfer werde bei der aktuellen Prüfung<br />
den Betrag bestimmt nicht f<strong>in</strong>den. „Dajn<br />
Betrag hebb ik deer met unner knooit,<br />
um dät he mi tosteht.“<br />
BERGE UND SCHERHORN<br />
Bürgermeister Gerrit H<strong>in</strong>drik Hatger (1883-1944),<br />
im Amt 1925 bis 1931 (Harm Kuiper)<br />
Bürgermeister Johannes Nyenhuis (1881-1975), im Amt<br />
1931 bis 1968 (Harm Kuiper)<br />
Vorsteherwahl<br />
Zeitung und Anzeigenblatt 1919<br />
Kreisblatt für den Kreis Grafschaft Bentheim<br />
Ausgesucht von Johann Jeur<strong>in</strong>k<br />
Scheerhorn, 3. Mai 1919<br />
„Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>devorsteherwahl mit H<strong>in</strong>dernissen“<br />
Unsere Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de hat <strong>e<strong>in</strong></strong> neues Oberhaupt zu<br />
wählen, doch stößt die Wahl auf unerwartete<br />
Schwierigkeiten. Zwei Wahlterm<strong>in</strong>e s<strong>in</strong>d bereits<br />
abgehalten, und beide waren vergeblich,<br />
so daß <strong>e<strong>in</strong></strong> dritter Term<strong>in</strong> angesetzt werden<br />
muß. Beim ersten Term<strong>in</strong> am 29. März hatten<br />
sich von 33 Wahlberechtigten 19 <strong>e<strong>in</strong></strong>gefunden.<br />
Die meisten Stimmen ver<strong>e<strong>in</strong></strong>igte der<br />
Kolon Jan Schiphouwer auf sich, nämlich<br />
von 19 sieben. Damit war <strong>e<strong>in</strong></strong>e absolute Mehrheit<br />
nicht erzielt, vom Landratsamt wurde die<br />
Bestätigung versagt und Neuwahl anberaumt.<br />
111
2<br />
In derselben Versammlung wurde der Kötter<br />
H<strong>in</strong>drik Schraten <strong>e<strong>in</strong></strong>stimmig zum Beigeordneten<br />
gewählt.<br />
Es wurde <strong>e<strong>in</strong></strong> neuer Term<strong>in</strong> für die Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>devorsteherwahl<br />
auf den 16. April angesetzt.<br />
Da die Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>devorsteherwahlen noch<br />
nach dem früheren Wahlrecht vorgenommen<br />
werden sollen, teilte der Vorsteher den erschienenen<br />
Wahlberechtigten mit, wie viel<br />
Stimmen nach der Steuerkraft jeder habe. Da<br />
aber erhob sich bei denen , die nur <strong>e<strong>in</strong></strong>e Stimme<br />
hatten, stürmischer Widerspruch. Sie bestanden<br />
auf Vornahme der Wahl nach dem gleichen,<br />
geheimen und allgem<strong>e<strong>in</strong></strong>en Wahlrecht.<br />
Sie verließen unter Protest das Wahllokal. Der<br />
Landrat hat jetzt den Verweser des Hülfsamts<br />
<strong>in</strong> Neuenhaus, Herrn Middendorf, zum Wahlkommissar<br />
für die Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>devorsteherwahl <strong>in</strong><br />
Scheerhorn ernannt, und unter s<strong>e<strong>in</strong></strong>er Leitung<br />
dürfte nun <strong>in</strong> Kürze die endgültige Wahl erfolgen.<br />
Scheerhorn, 12. Mai 1919<br />
Die viel umstrittene Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>devorsteherwahl<br />
ist nun am vorigen Donnerstag erfolgt. Die<br />
Wahl leitete der vom Landrat ernannte<br />
Kommissar Middendorf. Vor dem Wahlgang<br />
erhoben zwar <strong>e<strong>in</strong></strong>ige Kötter noch Widerspruch<br />
112<br />
GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />
E<strong>in</strong> kl<strong>e<strong>in</strong></strong>es Freibad an der Lee,<br />
GN 31.05.1965<br />
Bis etwa 1971 genutzt,<br />
heute <strong>e<strong>in</strong></strong> „Freibad“ für<br />
Schwäne. Im H<strong>in</strong>tergrund<br />
die Lee (Onstee)
Übersichtskarte<br />
der Höfe <strong>in</strong> Berge<br />
(Harm Kuiper)<br />
gegen das alte Wahlrecht. Nach den nun <strong>e<strong>in</strong></strong>mal<br />
aber bestehenden Bestimmungen mußte<br />
die Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>devorsteherwahl danach erfolgen.<br />
Abgegeben wurden <strong>in</strong>sgesamt 62 Stimmen,<br />
wovon 43 auf den Kolonen Hermann Alfer<strong>in</strong>k<br />
entfielen, der damit gewählt war. Die anderen<br />
19 Stimmen waren zersplittert.<br />
Höfe <strong>in</strong> Berge und Scheerhorn<br />
Von Harm Kuiper<br />
In der Gildschaft Scheerhorn wurden im Jahr<br />
1656 siebzig Hofstellen gezählt, davon elf<br />
Erb- und zwei Schultenhöfe, 43 Höfe mit<br />
Acker und Grünland und 14 Hofstellen nur<br />
mit Ackerland. Die Größe der Hofstellen betrug<br />
<strong>in</strong> der Regel unter 20 Hektar. Nur die beiden<br />
Schultenhöfe <strong>in</strong> <strong>Arkel</strong> und Scheerhorn<br />
hatten etwa 25 Hektar.<br />
Sieben Höfe <strong>in</strong> der Gildschaft waren dem<br />
Grafen von Bentheim hörig, <strong>e<strong>in</strong></strong>er dem Kloster<br />
Wietmarschen. Vier Höfe wurden als „Arve“<br />
bezeichnet. An der Lage und Namen der Höfe<br />
hat sich bis heute wenig geändert.<br />
In Scheerhorn werden genannt: De Scholt<br />
(Scholten / Smit) Rater<strong>in</strong>g (Bosman), Hartger,<br />
Hemken (Nyenhuis), Zuer<strong>in</strong>k (Züwer<strong>in</strong>k) Schiphouwer,<br />
De Vett und Coops.<br />
BERGE UND SCHERHORN<br />
In Berge werden 1656 genannt: Albers, De<br />
Coyt (Kuite), De Cuiper, Bols Lambert (Grote<br />
Lambers), De Pranger (Silder, als <strong>e<strong>in</strong></strong>ziger <strong>in</strong><br />
der Zeit Fürstlicher Hof), Mense <strong>in</strong> de Berge,<br />
Engbert Swiers (Arnold Mensen) und elf weitere<br />
Hof- oder Landbesitzer, wobei es sich<br />
wahrsch<strong>e<strong>in</strong></strong>lich um Kotten und Br<strong>in</strong>ksitzer gehandelt<br />
hat. Die Hof- und Freiflächen vor den<br />
Höfen Mensen, Kuite und Kuiper werden<br />
heute noch als „Br<strong>in</strong>k“ bezeichnet, was wohl<br />
auf die „Br<strong>in</strong>ksitzer“ zurückzuführen ist. Vergleicht<br />
man diese Familiennamen mit den<br />
heutigen, kann man erkennen, dass sehr viel<br />
Wert auf die Tradition der Hof- und Familiennamen<br />
gelegt wurde. Das Leben der Familien<br />
<strong>in</strong> Berge spielte sich auf <strong>e<strong>in</strong></strong>em sehr<br />
kl<strong>e<strong>in</strong></strong>en Raum ab.<br />
Dieser beschränkte sich auf die heutige<br />
R<strong>in</strong>gstraße, an der (bis etwa 1872) auch noch<br />
die Höfe von Engbers (Mensen), jetzt Feldstraße,<br />
und Albers (bis 1888), jetzt Wallstraße,<br />
lagen. Dazu kam der Hof von Kl<strong>e<strong>in</strong></strong>-Lambers<br />
(Kohlenberg) an der jetzigen Hauptstraße.<br />
Östlich oder rechts der heutigen Hauptstraße<br />
lagen nur die beiden Höfe von Kuite<br />
und Kuiper. In diesem ganzen Kreis kann man<br />
die alte Wegestruktur heute noch gut erken-<br />
113
2<br />
nen. Alte Sandwege, heute fast mit Gestrüpp<br />
zugewachsen, s<strong>in</strong>d umrahmt von alten knorrigen<br />
Eichen an den Kämpen. Die jetzige<br />
Hauptstraße gab es früher so nicht. Dieser<br />
Verlauf stammt aus der Franzosenzeit Anfang<br />
des 19. Jahrhunderts.<br />
Die „Berger Sahara“<br />
H<strong>in</strong>ter den Höfen Kuite und Kuiper, genauer<br />
h<strong>in</strong>ter Albers Kamp, gab es Heidelandschaften<br />
bis an die Lee. Das ganze Berger- und<br />
Escherfeld war Heide, soweit das Auge reichte.<br />
Der Berger Brill wurde nur sehr spärlich<br />
bewirtschaftet. Die Berger Tannen gab es zu<br />
der Zeit noch nicht. Längs der Lee wüteten<br />
114<br />
GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />
Heuerhaus von Kuite im Berger Bruch. Familie Berents bis 1896, Familie Klokkers 1896–1926, Familie Jeur<strong>in</strong>k 1926–1954.<br />
Dieses Heuerhaus wurde wegen familiärer Umstände im 19. Jh. von Neur<strong>in</strong>ge (Kuite) nach Berge versetzt. Kuite hat es Ende<br />
der 1990er Jahre abgerissen. (Willy Friedrich)<br />
„Scheerhorn: E<strong>in</strong> überaus altes Heuerhaus bei Scheerhorn. Heuerhäuser waren <strong>e<strong>in</strong></strong>st die Unterkunft<br />
der Heuerleute, der ländlichen Arbeitskräfte, die als Pächter ohne eigenen Grundbesitz<br />
waren. Ihre Zahl betrug um 1880 all<strong>e<strong>in</strong></strong> im ehemaligen Amt Neuenhaus 2.760 Personen.<br />
Die Abwanderung von den Höfen und die damit verbundene Aufgabe der Heuerhäuser begann<br />
<strong>in</strong> der Grafschaft mit dem Aufbau der Textil<strong>in</strong>dustrie <strong>in</strong> Schüttorf und Nordhorn und fand<br />
ihren Abschluss mit dem Strukturwandel der Landwirtschaft nach 1945. Seither wird das ehemalige<br />
Pachtland zumeist von den Stammhöfen bewirtschaftet. Heute s<strong>in</strong>d viele Heuerhäuser<br />
der Niedergrafschaft restauriert und zu schmucken ,Landhäusern’ umgestaltet worden.“ (Aufnahme<br />
von W. Friedrich vom Januar 1961).<br />
große Sanddünen, die <strong>in</strong> der Landwirtschaft<br />
sehr große Schäden anrichteten. Man sprach<br />
auch von der „Berger Sahara“. Personen, die<br />
diese Sanddünen beschrieben haben, berichteten<br />
über die Sandverwehungen als <strong>e<strong>in</strong></strong> unvorstellbares<br />
Naturschauspiel. Wer <strong>e<strong>in</strong></strong>mal längs<br />
der Lee spazieren war, sich <strong>in</strong> der Zeit zurück -<br />
versetzt und sich die großen Sandhügel ohne<br />
jeglichen Bewuchs vorstellt, kann vielleicht<br />
die Ausmaße <strong>in</strong> der damaligen Zeit erahnen.<br />
Bereits 1707 traf man erste Maßnahmen,<br />
um die Sanddünen <strong>e<strong>in</strong></strong>zudämmen. Doch große<br />
Schafherden der heimischen Bauern vernichteten<br />
immer wieder durch Zertretung und<br />
Verbiss jegliche Aufforstaktionen. Auch der<br />
Plaggenstich wirkte sich negativ aus.
Immer wieder wurden Versuche gestartet,<br />
angetrieben von der Landesregierung <strong>in</strong> Hannover.<br />
Aber die heimischen Verantwortlichen<br />
Bauern trugen k<strong>e<strong>in</strong></strong>eswegs zum Gel<strong>in</strong>gen bei.<br />
Erst 1881 kam <strong>in</strong> der Gastwirtschaft Kl<strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />
Lambers <strong>e<strong>in</strong></strong> Zusammenschluss der Scheerhorner<br />
und Berger Grundbesitzer zu <strong>e<strong>in</strong></strong>er<br />
Waldgenossenschaft zustande. 1884 wurden<br />
100.000 Kiefern gepflanzt. Zehn Jahre später<br />
meldete das Amt Neuenhaus, dass k<strong>e<strong>in</strong></strong>e Sandverwehungen<br />
mehr vorkommen.<br />
E<strong>in</strong>ige Flächen s<strong>in</strong>d von den Grundbesitzern<br />
<strong>in</strong> den 1960er und 70er Jahren gerodet<br />
worden und werden jetzt landwirtschaftlich<br />
genutzt. Doch der größte Teil des Kiefernwaldes<br />
ist bis heute erhalten geblieben und <strong>e<strong>in</strong></strong><br />
herrliches Erholungs- und Rückzugsgebiet für<br />
Mensch und Tier geworden.<br />
Gerrit Jan Zager hat im Bentheimer Jahrbuch<br />
2001, S. 170–174 <strong>e<strong>in</strong></strong>en Artikel veröffentlicht<br />
„Der Kiefernwald <strong>in</strong> Scheerhorn-Berge“.<br />
Er bezieht sich auf die Akte Rep 350, Nr. 749<br />
aus dem Staatsarchiv Osnabrück und auf<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>en Beitrag von H. Specht im Heimatkalender<br />
von 1927 „Der Kampf des Grafschafter<br />
Landwirts mit dem Sande“. Zagers Artikel<br />
musste aus Platzgründen hier entfallen.<br />
In der Franzosenzeit<br />
Wie viel Elend und Leid die damalige Bevölkerung<br />
erleiden musste, beschreibt der Bauer<br />
Bernd Bierl<strong>in</strong>g aus Kl<strong>e<strong>in</strong></strong> R<strong>in</strong>ge <strong>in</strong> den Jahren<br />
1759 bis 1836 <strong>in</strong> s<strong>e<strong>in</strong></strong>er Chronik, die er geführt<br />
hat. (J.B. = Jahrbuch 1979) So gern von der<br />
„guten alten Zeit“ gesprochen wurde, an das<br />
Elend der kriegerischen Ereignisse dieser Zeit<br />
er<strong>in</strong>nert man sich nicht mehr.<br />
1794–1803<br />
1795, 25. Januar: Es herrscht unerträgliches<br />
Frostwetter. Waal, Maas und Rh<strong>e<strong>in</strong></strong> s<strong>in</strong>d zugefroren.<br />
Das ermöglicht den Franzosen den<br />
Durchbruch nach Holland. Engländer und<br />
Witt genst<strong>e<strong>in</strong></strong>er ziehen durch und nehmen<br />
viele Bauernwagen mit. Am 11.2. ziehen die<br />
Franzosen <strong>in</strong> die Festung Coevorden <strong>e<strong>in</strong></strong>. In<br />
dieser Zeit war es schlimm mit all dem<br />
„Kriegsvolk“. In Emlichheim brachen die Soldaten<br />
die Bänke aus der <strong>Kirche</strong>, um Platz für<br />
BERGE UND SCHERHORN<br />
Pferde und „pakken“ (Troßgepäck) zu haben.<br />
Die nach Veldhausen „en elders“ zurückweichenden<br />
Engländer brachen die Brücke bei<br />
Coevorden ab.<br />
In Scheerhorn verbrannten sie die Holzbrücke<br />
über den „hollandschen Graven“, so hieß<br />
früher die Lee. Die Bauern mussten Torf heran -<br />
schaffen, um sie <strong>in</strong> Brand setzen zu können …<br />
Unter französischerHerrschaft (1806–1815)<br />
Am 4. August 1806 wurde trotz aller Zahlungen<br />
und Ver<strong>e<strong>in</strong></strong>barungen die Grafschaft Bentheim<br />
von Murat, dem Schwager Napoleons –<br />
er nannte sich Großherzog von Berg – <strong>in</strong> Besitz<br />
genommen. Damit begann die bis 1815 dauernde<br />
eigentliche „Franzosenzeit“. Unsere Heimat<br />
wurde dem Großherzogtum Berg <strong>e<strong>in</strong></strong>verleibt,<br />
aber schon bald zum französischen<br />
Kaiserreich geschlagen. Die Verwaltung wurde<br />
jetzt ganz nach französischem Muster aufgebaut<br />
und organisiert. Mairien (Bürgermeister<br />
ämter) und Munizipalitäten (Bezirksbürgermeistereien)<br />
wurden <strong>e<strong>in</strong></strong>gerichtet. Auch Kl<strong>e<strong>in</strong></strong>-R<strong>in</strong>ge<br />
wurde <strong>e<strong>in</strong></strong>e „Mairie“ und H<strong>in</strong>drik Beerl<strong>in</strong>k „Bygeordneter<br />
der Munizipalität Kl<strong>e<strong>in</strong></strong>-R<strong>in</strong>ge und<br />
Delegierter Civil Standesbeamter“. Das von ihm<br />
auf Veranlassung der Besatzung geführte Sterberegister<br />
für das Jahr 1813 wird ebenfalls im<br />
Hause Bierl<strong>in</strong>k aufbewahrt.<br />
Das System der „Marien“, das die Franzosen<br />
bei uns <strong>e<strong>in</strong></strong>geführt haben, ist bis heute<br />
mehr oder weniger ähnlich erhalten geblieben.<br />
S<strong>in</strong>n und Zweck war es, jede Geburt zu erfassen,<br />
und die Söhne, auch frühere Jahrgänge,<br />
zum Militärdienst <strong>e<strong>in</strong></strong>zuziehen. Von diesen<br />
Auflistungen der Standesämter haben alle<br />
späteren Landesherren und Regierungen Gebrauch<br />
gemacht.<br />
Nr. 5 Geburt von Fenne Brun<strong>in</strong>k<br />
Abschrift der Urkunde (Seite 116): Im Jahre<br />
E<strong>in</strong>tausend achthundert zwölf am <strong>e<strong>in</strong></strong> und<br />
dreißigsten Jannuar, des Nachmittags drey<br />
Uhr, erschienen vor mir, H<strong>e<strong>in</strong></strong>rich Beerl<strong>in</strong>k,<br />
Maire der Municipalität Kl<strong>e<strong>in</strong></strong>e R<strong>in</strong>ge, der Tagelöhner<br />
Jan Brun<strong>in</strong>k, wohnhaft zu Berge, mit<br />
der Anzeige, daß am Donnerstage, den dreyzehnten<br />
Jannuar des Morgens vier Uhr, ihm<br />
von s<strong>e<strong>in</strong></strong>er Ehegatt<strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong></strong> K<strong>in</strong>d weiblichen Ge-<br />
115
2<br />
schlechts geboren sey, welchem er den Vornamen<br />
Fenne gegeben habe.<br />
Zeugen beij dieser Handlung waren:<br />
Der Ackersmann Jan Lambers, fünfundsechzig<br />
jährigen Alters und der Municipal-Rath<br />
Geerd Kuiper, zwey und vierzig Jahre alt,<br />
beyde zu Berge wohnhaft.<br />
Jan Lambers, Geert Kuijpers<br />
Nach Verlesung erklärte der Comparent Brun<strong>in</strong>k<br />
schreibensunfähig zu seyn, die Zeugen<br />
unterschrieben vorstehend.<br />
gez. H<strong>e<strong>in</strong></strong>rich Beerl<strong>in</strong>k<br />
Maire (Bürgermeister) zu Kl<strong>e<strong>in</strong></strong>e R<strong>in</strong>ge.<br />
Bürgermeister von Berge 1806-1974<br />
Die damaligen „Maire“ waren praktisch die ersten<br />
Bürgermeister. Der erste Bürgermeister<br />
oder Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>derat von Berge war m<strong>e<strong>in</strong></strong>es Erachtens<br />
Geerd Kuiper. Er war bis etwa 1833<br />
Bürgermeister<br />
Ihm folgte etwa 1833 Jan Harm Grote<br />
Lambers, geb. 1806 <strong>in</strong> Berge. Um 1853 war<br />
Geert Albers geb. Holthuis (aus Itterbeck) Bürgermeister<br />
<strong>in</strong> Berge, 1880 bis 1902 war es Jan<br />
Harm Grote Lambers.<br />
Am 31.01.1812 wurde die Geburt von<br />
Fenne Brün<strong>in</strong>k vor dem Maire der Municapalität<br />
Kl<strong>e<strong>in</strong></strong> R<strong>in</strong>ge, H<strong>e<strong>in</strong></strong>rich Bierl<strong>in</strong>k beurkundet,<br />
die am 30.01.1812 geboren sei. Zeugen<br />
116<br />
GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />
Geburtsurkunde Fenne Brun<strong>in</strong>k 30.01.1812 (Harn Kuiper)<br />
Bürgermeister Harm Kuite 1855–1945 Bürgermeister H<strong>in</strong>drik-Jan Keute 1909–2001
dieser Handlung waren der Ackermann Jan<br />
Lambers und der Municipalrath Geerd Kuiper,<br />
beide wohnhaft zu Berge. Geert Kuiper ist<br />
1767 geboren und 20.02.1846 gestorben.<br />
Harm Kuite geb. 06.04.1855, war von 1902<br />
bis zum 15.09.1937 Bürgermeister <strong>in</strong> Berge.<br />
Harm Kuite ist am 16.12.1945 verstorben. Das<br />
Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>debüro befand sich schon zu der Zeit<br />
auf dem Hof Kuite und blieb dort bis zur Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>dereform<br />
<strong>in</strong> 1974.<br />
Ab 16.09.1937 war H<strong>in</strong>drik-Jan Keute<br />
Bürgermeister der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Berge bis zu<br />
s<strong>e<strong>in</strong></strong>er E<strong>in</strong>berufung 1943. Er ist geboren<br />
27.03,1909 und verstorben am 30.09.2001. Er<br />
war über viele Jahrzehnte <strong>in</strong> verschiedenen<br />
Gremien tätig (Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de, Schule und <strong>Kirche</strong>).<br />
Gerhard Mensen geb. Hannebrook geb.<br />
10.03.1896 <strong>in</strong> Bathorn war Bürgermeister von<br />
1946 bis zu s<strong>e<strong>in</strong></strong>em Tod am 05.02.1958.<br />
Nachfolger und letzter Bürgermeister war<br />
Harm Kuite, der dieses Amt bis zur Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>dereform<br />
1974 <strong>in</strong>ne hatte. Geboren wurde er<br />
am 10.10.1909 und ist am 23.04.1983 gestorben.<br />
Hiermit schloss sich die Akte Bürgermeisteramt<br />
<strong>in</strong> Berge.<br />
Volkszählungen 1707 bis 1959<br />
1707 zählt man <strong>in</strong> Berge elf Höfe. Kuiper,<br />
Kuite, Grote, Lambers, Huit Derck, Prenger,<br />
Huit Albert, Mensen, Engbert, Zweers, Kl<strong>e<strong>in</strong></strong><br />
BERGE UND SCHERHORN<br />
Bürgermeister Gerhard Mensen 1896–1958 Bürgermeister Harm Kuite 1909–1983 (Harm Kuiper)<br />
Lambet und Velt. Überwiegend hielten sie Schafe,<br />
nämlich 170 Stück. Außerdem wurden 28<br />
Pferde, 45 Kühe, 30 R<strong>in</strong>der und zehn<br />
Schw<strong>e<strong>in</strong></strong>e auf den Höfen gehalten. Auf den elf<br />
Höfen lebten 1705 32 Erwachsene, 14 K<strong>in</strong>der<br />
und fünf Knechte/Mägde. 1717 waren es 29<br />
Erwachsene, acht K<strong>in</strong>der und zwei Knechte/<br />
Mägde.<br />
Die Anzahl der Hofstätten hat sich auch im<br />
Jahr 1800 noch nicht geändert. 1821 waren es<br />
nur noch zehn| Höfe aber mit 83 hatte sich<br />
die Zahl der E<strong>in</strong>wohner fast verdoppelt.<br />
Nach dem Bau des Nord-Süd-Kanals ab<br />
1871 und dem Ausbau und Regulierung der<br />
Lee 1927 bis 1933 siedelten sich mehrere landwirtschaftliche<br />
Betriebe an. 1933 gab es 22<br />
Höfe und 126 E<strong>in</strong>wohner.<br />
E<strong>in</strong>en wahren Bauboom für das kl<strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />
Berge gab es am Anfang der 1950er Jahre.<br />
Bauernsöhne, aus dem Krieg oder der Kriegsgefangenschaft<br />
heimgekehrt, bauten sich <strong>in</strong><br />
der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de <strong>e<strong>in</strong></strong> Haus. So wuchs Berge bis<br />
Ende 1959 auf 160 E<strong>in</strong>wohner <strong>in</strong> 30 Wohnhäusern<br />
an.<br />
Flüchtl<strong>in</strong>ge des letzten Krieges s<strong>in</strong>d <strong>in</strong><br />
Berge nicht sesshaft geworden. Dafür war die<br />
Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de zu kl<strong>e<strong>in</strong></strong> und hatte auch wirtschaftlich<br />
zu wenig zu bieten. Die letzten Flüchtl<strong>in</strong>ge<br />
verließen Berge 1960 und so pendelte<br />
sich die Personenzahl zwischen 140 und 150<br />
117
2<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>. Heute hat Berge ca.123 E<strong>in</strong>wohner. Auch<br />
an den 30 Wohnhäusern änderte sich <strong>in</strong> den<br />
letzten 50 Jahren nichts mehr. Berge war, ist<br />
und bleibt <strong>e<strong>in</strong></strong>e kl<strong>e<strong>in</strong></strong>e beschauliche und vor<br />
allem überschaubare Landgem<strong>e<strong>in</strong></strong>de.<br />
Hungersnot 1822 <strong>in</strong> der Gildschaft<br />
Scheerhorn<br />
STAOS, Rep 340, Amt Benth. Nr. 645, Getreidelieferung<br />
auf Kredit an die Gildschaft<br />
Scheerhorn zur Abwendung <strong>e<strong>in</strong></strong>er <strong>in</strong>folge<br />
Hagelschlags drohenden Hungersnot<br />
Akten via Harm Kuiper, Berge<br />
Pr. 21 Decbr. 1822<br />
Die E<strong>in</strong>gesessenen der Gildschaft Scheerhorn<br />
im Gericht Emlichheim s<strong>in</strong>d im Monate Mai<br />
d.J. dergestalt mit Hagelschlag heimgesucht<br />
worden, daß die Mehrsten kaum das benöthigte<br />
Saatkorn von ihren Feldern <strong>e<strong>in</strong></strong>geerndtet<br />
haben, und an Brotkorn würcklich Mangel leiden.<br />
Da sie sich um selbiges bey dem gegenwärtigen<br />
Geldmangel und den außerordentlich<br />
niedrigen Preisen aller Landes-Producte selbst<br />
auf Credit nicht anzuschaffen vermögen; so<br />
haben sie sich <strong>in</strong> dieser drückenden Lage an<br />
Uns gewandt und um Hülfe nachgesucht.<br />
Wir haben Uns daher veranlasst gesehen,<br />
durch den Friedensrichter Wedek<strong>in</strong>d den würcklichen<br />
Bedarf der besagten E<strong>in</strong>gesessenen an<br />
Brodkorn untersuchen zu lassen, welche <strong>in</strong><br />
dem hiebey anliegenden Bericht des selben vom<br />
18 d. Mts. auf 8 Last 71 Scheffel Roggen dortigem<br />
Maaße angegeben wurden.<br />
Da nun jenen des Brotkorns bedürftigen<br />
E<strong>in</strong>gesessenen auf k<strong>e<strong>in</strong></strong>e andere Weise zu helfen<br />
ist, als daß denselben, wie von dem Friedensrichter<br />
Wedek<strong>in</strong>d vorgeschlagenen wor den<br />
ist, der ihnen fehlende Roggen von den herrschaftlichen<br />
Kornböden, <strong>in</strong> so fern es der Vorrat<br />
gestattet, auf Credit, etwa bis 1 September<br />
künftigen Jahres, jedoch unter genugsamer<br />
Sicherheits-Leistung für die Bezahlung des<br />
jetzt ... gängigen Preises, verabfolgt werde; so<br />
geben Wir der Königlichen Cammer – Adm<strong>in</strong>is -<br />
trationen anheim, bey Königlicher Cammer die<br />
dazu erforderliche Autorisation nachzusuchen.<br />
Bentheim, den 20. December 1822<br />
Königliche p. Regierung<br />
Pestel<br />
118<br />
GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />
An die Königliche Cammer Adm<strong>in</strong>istration<br />
hier. Actum Neuenhaus Dienstag den 28ten<br />
Januar 1823 praesentes Herr Richter Wedek<strong>in</strong>d<br />
und der Actuar W<strong>in</strong>eke<br />
Demnach Königliche Cammer zu genehmigen<br />
geruht hat, daß den im ?vergangenen? Sommer<br />
durch Hagelschlag beschädigten E<strong>in</strong>gesessenen<br />
der Gildschaft Scheerhorn, acht Last<br />
71 Scheffel Roggen zum Brotkorn, von dem<br />
herrschaftlichen Vorrathe für den jetzigen<br />
Marktpreis überlassen werden, zu dessen<br />
bis zum ersten September dieses Jahres gefristeten<br />
Bezahlung aber die theilnehmenden<br />
Communen sich <strong>in</strong> solidum verpflichten sollen<br />
– und dann Königliche Regierung zu Bent heim,<br />
mittelst Rescripts vom 20ten dieses Monats dem<br />
Friedensgerichte Emblichheim aufgetragen hat,<br />
über die von den E<strong>in</strong>gesessenen der betreffenden<br />
Communen der Gildschaft Scheer horn zu<br />
übernehmende Verpflichtung <strong>e<strong>in</strong></strong> gehöriges<br />
Protocoll auf zu nehmen und <strong>e<strong>in</strong></strong>zu sen den,<br />
damit wegen Ablieferung des Roggens das Weitere<br />
verfügt werden kann, so erschienen heute:<br />
1. aus der Bauerschaft Scheerhorn die Coloni<br />
Schulte, Hemmeke, Rater<strong>in</strong>g, Vette, Egbers,<br />
Kamps, Brün<strong>in</strong>g und Haatger, welche erklärten,<br />
daß sie <strong>in</strong> H<strong>in</strong>sicht der Bezahlung<br />
der drei Last fünfzig Scheffel, welche sie<br />
von dem obigen Roggen erhalten würden,<br />
alle für <strong>e<strong>in</strong></strong>en und <strong>e<strong>in</strong></strong>er für alle, oder <strong>in</strong> solidum<br />
haften und folglich jeder für die<br />
ganze Summe ansprechlich seyn wollte.<br />
2. aus der Bauerschaft Hochstädte erschienen<br />
die Coloni Warmer, Hannebook, Wöste, Saalm<strong>in</strong>g,<br />
Jör<strong>in</strong>g, Kuhlmann, Kalmann, Albers,<br />
Kolthoff, Schulte zu <strong>Arkel</strong> und Völker, welche<br />
<strong>in</strong> H<strong>in</strong>sicht der zwei Last sechs und sechzig<br />
Scheffel, welche sie von obigem Roggen erhalten<br />
würden, das Nämliche erklärten<br />
3. aus der Bauerschaft Bathorn erschienen die<br />
Coloni Quade, Bolle, Brookschnieder, Boerkamp,<br />
Blömer, Wiegman, Wigger und Herm<br />
Neerken, welche das Nämliche erklärten <strong>in</strong><br />
Ansehung der <strong>e<strong>in</strong></strong>en Last und 53 Scheffel,<br />
welche sie von dem bewilligten Roggen erhalten<br />
würden.<br />
4. Erschienen die drei E<strong>in</strong>gesessenen der Bauerschaft<br />
Berge, nämlich Zweers, Engbers<br />
und Schnieder, welche <strong>in</strong> H<strong>in</strong>sicht der 52
BERGE UND SCHERHORN<br />
Eigenhändige Unterschriften von 36 E<strong>in</strong>wohnern aus 1823, Abschrift Seite 118 (Gerrit Jan Beuker)<br />
119
2<br />
Scheffel, die sie von obigem Roggen erhalten<br />
würden, das Nämliche declarirten.<br />
5. Endlich erschienen auch die beiden E<strong>in</strong>gesessenen<br />
Schlickert und van R<strong>in</strong>ge aus T<strong>in</strong>holt,<br />
und erklärten eben dasselbe <strong>in</strong> H<strong>in</strong>sicht<br />
der fünfzig Scheffel, die sie von obigem<br />
Roggen erhalten würden.<br />
Sämtliche Comparenten entsagten allen ihnen<br />
etwa zustehende könnende E<strong>in</strong>reden, <strong>in</strong>sbe-<br />
120<br />
GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />
So geschehen Neuenhaus am Tage wie oben<br />
sondere der Rechtswohlthat der Theilung und<br />
haben dies Protokoll, welches nach zurück behaltener<br />
Abschrift, im Orig<strong>in</strong>al an Königliche<br />
Regierung zu Bentheim <strong>e<strong>in</strong></strong>gesandt werden<br />
soll, darauf nach geschehener Verlesung und<br />
Genehmigung eigenhändig unterschrieben.“<br />
G. Wedek<strong>in</strong>d Berent Scholten<br />
Harm hemke Gerrit Jan Vette<br />
Jan Rater<strong>in</strong>k Geert kamps<br />
Jan Egbers Jan harm brun<strong>in</strong>k<br />
Jan Hartger Jan wermer<br />
Geert han nebrook jan weusten<br />
Jan Jeur<strong>in</strong>k Gerrit zaalm<strong>in</strong>k<br />
H. Koelmann Rötger Kalman s<strong>e<strong>in</strong></strong> Merkzeichen<br />
Jan H<strong>in</strong>drik Albers welches besch<strong>e<strong>in</strong></strong>ige W<strong>in</strong>eke<br />
Harm Kolt hof Geert Scholte<br />
h<strong>in</strong>drik Kwad jan h<strong>in</strong>drik volkers<br />
Egbert brook snijder Albert Bol<br />
janherm bleumer Jan Harmberkamp<br />
Jan wiggers wasse wiege man<br />
Janh<strong>in</strong>drik Zweers ham neeken<br />
Berend Engbers zijn H<strong>in</strong>drik Slikkers<br />
Merkzeichen, welche besch<strong>e<strong>in</strong></strong>ige W<strong>in</strong>eke Jan van R<strong>in</strong>ge s<strong>e<strong>in</strong></strong> Merk-<br />
Geert Sniders zeichen, welches besch<strong>e<strong>in</strong></strong>ige W<strong>in</strong>eke<br />
W<strong>in</strong>eke<br />
Heuerhaus vom Hof Scholte,<br />
Scheerhorn, etwa 1955-1960<br />
Hier wohnten Familie Heckhuis,<br />
Familie Gerhard Büter,<br />
Familie Veldjans, Fam. Hans<br />
Rießland, Familie Michalsky.<br />
Wohn-Wirtschaftsgebäude<br />
<strong>in</strong> Scheerhorn. Das wohl<br />
älteste Haus <strong>in</strong> der Niedergrafschaft.<br />
Mit Stroh, Schilf,<br />
Heideplaggen und „Woagebüschen“<br />
(Wacholder) gedeckt,<br />
ebenfalls die Giebelfront.<br />
Die Bewohner fühlen sich<br />
dar<strong>in</strong> wohl. Zufriedenheit<br />
ist „relativ“. (Willy Friedrich)
Dokumente Berge 1829 bis 1919<br />
Harm Kuiper<br />
Kaufbrief Rater<strong>in</strong>g an Mensen 1829<br />
„12. Mai 1829<br />
(Stempeltaxe 8 Gute Groschen conv. Münze)<br />
Vor dem Amte erschienen die Eheleute Colon<br />
Jan Rater<strong>in</strong>g und Janna Alfer<strong>in</strong>g aus Scheerhorn:<br />
Dieselbe sagten aus und bekannten vermöge<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>es von ihrer Gutsherrschaft der<br />
Fürstlichen Domänen Cammer unterm 31ten<br />
März dieses Jahres erhaltenen Consens verkauft<br />
zu haben, und hiermit verkauften, ihre<br />
ihnen eigenthümlich zubehörende ungefähr <strong>e<strong>in</strong></strong><br />
Tagwerk haltende Wiese, belegen an Br<strong>in</strong>ks<br />
Mathe und am Escherbrook, an den Colon<br />
Herm Mensen <strong>in</strong> den Bergen mit Lüsten und<br />
Lasten, Recht und Gerechtigkeiten für die<br />
Summe von f 400,- geschrieben vier hundert<br />
Gulden – wobei sie bemerken mussten, daß<br />
aus diesem Grundstücke der Zehnte gehe,<br />
wovon sie ihren Antheil dem Käufer mitverkauftt<br />
hatten. Da der Käufer nun ihnen die ge-<br />
Anfang und Ende Kaufbrief Rater<strong>in</strong>g an Mensen,<br />
12.05.1829 (Harm Kuiper)<br />
BERGE UND SCHERHORN<br />
nannte Kauf-Summe bereits völlig ausbezahlt<br />
habe, so setzen sie denselben <strong>in</strong> den ruhigen<br />
Besitz der ihm verkauften Wiese, und versprachen<br />
ihm die Gewähr Rechtens, jederzeit<br />
dafür zu halten.<br />
Nach geschehener Vorlesung und Genehmigung<br />
haben die Verkäufer Eheleute Rater<strong>in</strong>g<br />
vorstehenden Kaufbrief eigenhändig unterschrieben<br />
und respective mit <strong>e<strong>in</strong></strong>em Handmerk<br />
bezeichnet.<br />
Jan Rater<strong>in</strong>k<br />
++ Diese Zeichen zog die Ehefrau Rater<strong>in</strong>g geborne<br />
Janna Alfr<strong>in</strong>g eigenhändig <strong>in</strong> m<strong>e<strong>in</strong></strong>er<br />
Gegenwart, quod attestor…<br />
Urkundlich vorgedruckten Amts-Siegels – abschriftlicher<br />
E<strong>in</strong>tragung <strong>in</strong> das Documenten<br />
Protocoll und der gewöhnlichen Unterschrift.<br />
So geschehen, Neuenhaus, den 12ten May<br />
1829<br />
Standesherrliches Fürstlich<br />
Bentheimsches Amt<br />
Wessels.“<br />
121
2<br />
Scheerhorner Ballast / Kündigung<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>es Versatz-Verhältnisses 1849<br />
Geschehen Amt Neuenhaus, den 17. Juli 1849<br />
Fürstlich-Bentheimsche Domänen-Kammer ./.<br />
28 E<strong>in</strong>gesessene der Gildschaft<br />
Scheerhorn betreffend<br />
Es ersch<strong>e<strong>in</strong></strong>t Namens der Fürstlich-Benheimschen<br />
Doma<strong>in</strong>en-Kammer der Rentmeister<br />
Crameer von hier und trägt vor:<br />
Der Graf Friedrich Karl Bentheim habe<br />
laut <strong>e<strong>in</strong></strong>er unter dem 20. Sept. 1747 darüber<br />
aufgenommenen Urkunde die Summe 8.400<br />
Gl. niederl. von folgenden Personen zum Darlehen<br />
erhalten:<br />
Schulze zu Scherhorn, Lambert Ens<strong>in</strong>g,<br />
H<strong>in</strong>rich Bloemer, Albert Alfer<strong>in</strong>g, Berend Suiver<strong>in</strong>g,<br />
Gerd Schiphouer, Hemke, Gerd Weuste,<br />
Jan Rater<strong>in</strong>g, Gerd Hartger, Coop Mensen,<br />
H<strong>in</strong>drich Herms, Geerd Saalm<strong>in</strong>g, Lambert<br />
Schulze odere Meijers, Lambert Jör<strong>in</strong>g und<br />
Grote Lambers (H<strong>in</strong>drich), Gerrit Quade, Baukamp,<br />
Wermer, Gosen, Koelmann, Weuste,<br />
Neerken, Jan Wieger<strong>in</strong>g, Derk Kolthoff, Jan<br />
Saalm<strong>in</strong>g, Jan Bru<strong>in</strong><strong>in</strong>g, Hannebroek und<br />
Kaalmann;<br />
Für jenes Darlehn seij den Darlehngebern,<br />
welche <strong>in</strong> der Urkunde sämmtlich als Scherhorner<br />
E<strong>in</strong>gesessenen aufgeführt seijen, zum<br />
Theil <strong>in</strong>dessen auch <strong>in</strong> anderen Bauerschaften<br />
der Gildschaft Scherhorn wohnen, der zu<br />
Scherhorn belegene s.g. Scherhorner Ballast,<br />
dem Fürstlichen Haus Bentheim eigenthümlich<br />
gehörig, <strong>in</strong> antikretischem Versatze gegeben,<br />
und seij stipulirt worden, daß beide<br />
Theilen nach Ablauf von 25 Jahren seit dem<br />
20 Sept. 1747. <strong>e<strong>in</strong></strong>e halbjährige Kündigung<br />
des Darlehns, resp. des Versatzverhältnisses<br />
frei stehen solle.<br />
Die Fürstlich-Bentheimsche Doma<strong>in</strong>en-<br />
Kammer wolle nunmehr den Scherhorner Ballast<br />
wieder <strong>e<strong>in</strong></strong>ziehen, kündige daher hiermit<br />
die darauf ruhende Last der antikretischer<br />
Versatzung und erkläre sich bereit, b<strong>in</strong>nen<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>em halben Jahre, von Zeit der Kündigung<br />
angerechnet die Schuld 8.400 Gl. den<br />
Berechtigten zurück zu zahlen. Er bitte,<br />
diese Kündigung den jetzigen Inhabern der genannten<br />
Colonate zu <strong>in</strong>s<strong>in</strong>ieren und ihn(en)<br />
Ins<strong>in</strong>uationsbesch<strong>e<strong>in</strong></strong>igung zugehen zu lassen.<br />
122<br />
GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />
Sodann wünsche er, daß ??Editalladungen<br />
erlassen und durch diese alle etwaigen Gläubiger,<br />
auf welche etwa <strong>e<strong>in</strong></strong> Antheil an dem<br />
fragl. Kapitale durch Erbschaft r. übergegangen<br />
s<strong>e<strong>in</strong></strong> möchte, von der jetzt geschehenden<br />
Kündigung <strong>in</strong> Kenntnis gesetzt und zur Anmeldung<br />
ihrer Ansprüche <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong></strong>em auf <strong>e<strong>in</strong></strong><br />
halbes Jahr h<strong>in</strong>aus gesetzten Term<strong>in</strong>, bei<br />
Strafe der Präilusion, vorgeladen würden;<br />
diese Vorladung unter denselben Präjudize<br />
möge auch an die Inhaber der erwähnten Colonate<br />
geschehen; Sodann bitte er noch das<br />
Präjudiz anzudrehen, daß diejenigen die <strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />
des Geldes auf welche im Anwandlungsterm<strong>in</strong>e<br />
k<strong>e<strong>in</strong></strong>e Anspruch erhoben würde, daher<br />
unausgezahlt bleibe, auf Gebühr und Kosten<br />
der später sich meldenden Gläubiger gerichtlich<br />
deponiert werden solle<br />
Er halte für genügend, wenn die ???E<strong>in</strong>ladung<br />
den Osnabrückschen Anzeigen <strong>in</strong>serirt<br />
und <strong>in</strong> den <strong>Kirche</strong>n Veldhausen, <strong>Arkel</strong> und<br />
Emblichheim publicirt werde.<br />
Endlich überreich er zur Kenntnisnahme<br />
des Amts <strong>e<strong>in</strong></strong>e Abschrift des eben erwähnten<br />
Contracts, von welchem er <strong>in</strong>dessen k<strong>e<strong>in</strong></strong>e Mittheilung<br />
an die Besitzer der genannten Colonate<br />
wünsche.<br />
procl. ratif.<br />
a.u.s. (actum ut supra)<br />
Kock H. hacke<br />
Durch ‘Blama? am 3. August 1849 <strong>in</strong>s<strong>in</strong>irt??<br />
W. Brill??“<br />
Ablösungs-Receß von 1876<br />
Zwischen dem Rentmeister Crameer zu Neuenhaus,<br />
Namens und im Auftrage der Fürstlich<br />
Bentheimschen Domänen Kammer zu<br />
Burgst<strong>e<strong>in</strong></strong>furt und<br />
dem Colon Mensen zu Berge ist der nachstehende<br />
Ablösungsvertrag abgeschlossen<br />
worden.<br />
1. Aus dem Colonate Mensen zu Berge werden<br />
nachfolgende, dem Fürstlichen Hause<br />
Bentheim zu leistenden Abgaben abgelöst,<br />
als: <strong>e<strong>in</strong></strong> s.g. Rauchhuhn<br />
2. Diese Abgaben werden mittelst Kapital-<br />
Zahlung abgelöset und beträgt das Ablöse-<br />
Kapital dafür auf Grund der neben stehenden<br />
Bezeichnung 4 G. 24 gr.
3. Der getroffenen Ver<strong>e<strong>in</strong></strong>barung zufolge soll<br />
das vorgenannte Ablöse–Kapital nebst den<br />
bis dah<strong>in</strong> seit dem letzten Fälligkeitsterm<strong>in</strong>e<br />
verlaufenen Z<strong>in</strong>sen zu 4% am 1. Nvbr. d.J.<br />
bezahlt werden.<br />
4. Nach Zahlung des Ablöse-Kapitals und der<br />
Rente ist das <strong>e<strong>in</strong></strong>gangs gedachte Kolonat<br />
von den im Art. 1 genannten Abgaben für<br />
immer liberirt, so daß Ansprüche darauf<br />
nie mehr gemacht werden können.<br />
So geschehen Neuenhaus den 1. Mai 1876<br />
gez. Crameer, H. Mensen<br />
bitte um Bestätigung und Ausfertigung dieses<br />
...<br />
gez. Crameer<br />
Vorstehender Ablösereceß<br />
wird damit genehmigt.<br />
Burg St<strong>e<strong>in</strong></strong>furt 19. April 1876<br />
Fürstlich Bentheimische Domänen Kammer<br />
unterschrift unterschrift<br />
Vorstehende Ablöse Capital ad 4 rt 24 gr nebst<br />
Abgabe zu heute <strong>e<strong>in</strong></strong>bezahlt<br />
Neuenhaus d.en 12. Mai 1876<br />
Kglicher Rendant<br />
Crameer<br />
BERGE UND SCHERHORN<br />
Anfang Ablösungsvertrag<br />
vom 01.05.1876 (Harm Kuiper)<br />
Familie Vette <strong>in</strong> Berge um 1920, Johanne und Jennegien Vette mit ihren Eltern Aalt<strong>in</strong>e<br />
geb. Brooksnieder und Jan Lukas Vette (M<strong>in</strong>i Büdden)<br />
123
2<br />
Friedenseichen <strong>in</strong> Hoogstede–Berge<br />
Die Friedenseichen <strong>in</strong> Berge s<strong>in</strong>d 1913 gepflanzt<br />
worden von Schulk<strong>in</strong>dern des Gustav Lammers,<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>em gebürtigen Bentheimer und Lehrer<br />
<strong>in</strong> Scheerhorn, Ersatzreservist, gefallen am<br />
11. April 1917 bei Bolaute. Friedenseichen<br />
wurden s<strong>e<strong>in</strong></strong>erzeit an verschiedenen <strong>Ort</strong>en der<br />
Grafschaft zur Er<strong>in</strong>nerung an die napoleonischen<br />
Befreiungskriege gepflanzt. (Quelle: E<strong>in</strong><br />
ehemaliger Schüler Foto: Rolf La<strong>in</strong>g, <strong>in</strong>: Der<br />
Grafschafter 11/2002, S. 42)<br />
Der Heimatver<strong>e<strong>in</strong></strong> hat im Berger Feld und<br />
bei den drei Friedenseichen Ecke Schwarzer<br />
Diek/Zur Friedenseiche im Dezember 2007<br />
H<strong>in</strong>weistafeln aufgestellt. Darauf heißt es:<br />
„Bei diesen drei Eichen, die früher von<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>em Zaun umgeben waren, handelt es sich<br />
um <strong>e<strong>in</strong></strong> Denkmal. Die Bäume wurden im Jahre<br />
1913 gepflanzt aus Anlass des 25-jährigen<br />
Thronjubiläums des Deutschen Kaisers Wilhelm<br />
II. und zur Er<strong>in</strong>nerung an die Befreiung<br />
von der französischen Fremdherrschaft durch<br />
die Völkerschlacht bei Leipzig im Jahre 1813.<br />
Mögen die Eichen uns mahnen, den Frieden<br />
zu bewahren!“<br />
Die Friedenseiche <strong>in</strong> Berge<br />
vor dem Hof von Grote Lambers<br />
124<br />
GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />
Friedenseichen<br />
(Gedicht von H<strong>e<strong>in</strong></strong>rich Kuiper, Grasdorf,<br />
deutsch von Manfred Kip)<br />
In Blüte stand das deutsche Kaiserreich,<br />
das Vaterland.<br />
Da wurde ich <strong>in</strong> froher Friedenszeit<br />
gepflanzt von junger Männerhand -<br />
doch war der Erste Weltkrieg nicht mehr weit.<br />
Und drohend schaute aus dem schwarzen Wolkenmeer<br />
die Sonne auf die große Völkerschlacht, die jetzt begann.<br />
Ich selbst war K<strong>in</strong>d und freute mich an bunten Sommerfarben,<br />
als unser Land versank <strong>in</strong> Nacht und Not.<br />
Noch kl<strong>in</strong>gt das Wort „mobil" mir <strong>in</strong> den Ohren,<br />
und Vater, Mann und Bruder, Sohn –<br />
sie standen an der Front, und <strong>in</strong> vier fürchterlichen Jahren<br />
mussten Zigtausend noch ihr junges Leben opfern.<br />
Für Kaiser, Volk und Vaterland war es vergebens,<br />
dass alle diesen schweren Acker pflügten. Die Erde brannte,<br />
und begraben wurde die Illusion der großen Freiheit aller Völker.<br />
Doch wenig später, ich war immer noch recht jung,<br />
stieg wieder <strong>e<strong>in</strong></strong> Aggressor auf den Thron und sang<br />
die alte, wohlbekannte Melodie:<br />
Wir werden kämpfen, werden siegen,<br />
ich b<strong>in</strong> der starke Mann, und wenn wir wollen,<br />
s<strong>in</strong>d wir schon bald die Herr'n der ganzen Welt.<br />
Den Deutschen und den Siegern hat es nur geschadet,<br />
dass aus dem Ganzen niemand etwas lernte.<br />
Ich denke an Verdun und Stal<strong>in</strong>grad,<br />
zwei <strong>Ort</strong>e, die Symbol für s<strong>in</strong>nlos' Sterben s<strong>in</strong>d.<br />
So musste ich zwei lange Kriege bitterlich erleben,<br />
und noch vernehme ich den Klang der Waffen.<br />
Auf schwachen Füßen nur steht unser Lebensglück,<br />
und dieser dunkle Weg der Menschheit ist noch nicht zu Ende.<br />
Ich zittere vor Schreck und ziehe bittere Grimassen,<br />
wenn ich von Kriegslärm hier auf Gottes Erde höre.<br />
Oh Völker, gebt dem Frieden endlich mal<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong> sicheres Zuhause, dort,<br />
wo Liebe nur und Menschlichkeit regieren!<br />
Der Grafschafter, Oktober 2002
De Fredenseeke<br />
Van H<strong>e<strong>in</strong></strong>rich Kuiper<br />
Dat düütsche käiserriek en vaderland<br />
<strong>in</strong> blööjssel stün. In fredenstied<br />
b<strong>in</strong> ik hier pot´t van junge manlööhand.<br />
Den eersten Oorlog was nich wied,<br />
as reerend keek ut´t swatte wolkenmeer<br />
de sun en wickd´´ne völkerslacht.<br />
Ik was noch ´n k<strong>in</strong>d en glimd´<strong>in</strong> sommerkleer,<br />
as´t land versackd´<strong>in</strong> noad en nacht.<br />
Noch kl<strong>in</strong>gt dat woord „mobil“ mi <strong>in</strong> de oor´n<br />
en vader, man en bröör en sön<br />
stün´n fechtend an de front en <strong>in</strong>´n loop van joor´n<br />
gaff´n völl eer blööj´nde lewen hen.<br />
Föör käiser, volk en vaterland hebt see<br />
ümtsüns den sworen akker plöögt.<br />
Uns eerde brande, en´n lewen völkerfree<br />
lag deep begraven. Later <strong>in</strong> mien jöögd<br />
steeg weer´n aggressor up den troon en süng<br />
de auld bekä<strong>in</strong>de melodie:<br />
Will krieg en sieg, ´nen starken man, dat b<strong>in</strong> ´k,<br />
et heele weltriek, dat höörd mi!<br />
Uns land en ok de siegermächt´heft´t schaad,<br />
dat ut geschichte men niks leerd.<br />
Ik dä<strong>in</strong>ke an Verdun en Stal<strong>in</strong>grad,<br />
woor s<strong>in</strong>los starwen sichtbar wöörd.<br />
Twee lange Oorlogs mus belewen ik,<br />
en noch vernem ik wäpenklang.<br />
Up slappe föte steet uns lewensglück.<br />
De mä<strong>in</strong>schhäid geet döör´n düüstern gang.<br />
Ik beew van schrick en trekt gesichte kruus,<br />
höör ik van kriegslarm up Gods eerd.<br />
O völker, schä<strong>in</strong>kt den free een worm tohuus,<br />
woor leewd´en mä<strong>in</strong>schlikhäid regeert!<br />
BERGE UND SCHERHORN<br />
Friedenseichen <strong>in</strong> Berge<br />
mit Info-Tafel 2008<br />
(Johann Jeur<strong>in</strong>k)<br />
Scheerhorner Hüttenböilt<br />
Von Harm Kuiper<br />
Baugebiete werden ausgewiesen, erschlossen,<br />
verkauft und <strong>in</strong>nerhalb kürzester Zeit stehen<br />
schmucke, meist E<strong>in</strong>familienhäuser auf den<br />
Bauplätzen. Das ist <strong>in</strong> der heutigen Zeit der<br />
ganz normale Ablauf.<br />
Bei der Entstehung des Scheerhorner<br />
Hüttenböiltes fanden diese Abläufe so nicht<br />
statt. Woher kommt die Straßenbezeichnung<br />
„Hüttenböilt“?<br />
Der Hüttenböilt war früher <strong>e<strong>in</strong></strong> Tierfriedhof.<br />
Noch bis etwa 1948/49 wurden dort tote<br />
Kühe, Schw<strong>e<strong>in</strong></strong>e, Schafe und auch Pferde, die<br />
dort von den hiesigen Bauern mit Ackerwagen<br />
h<strong>in</strong>gebracht wurden, vergraben. Es war<br />
Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>degrund und wurde von den Berger<br />
und Scheerhorner Bauern gleichermaßen genutzt.<br />
Das Gelände war hügelig, wie die ganze<br />
Lee-Südseite mit ihren Sanddünen.<br />
Ab1948 bauten die ersten Flüchtl<strong>in</strong>gsfamilien<br />
Behelfsheime. Den Anfang machte Familie<br />
Schrader mit <strong>e<strong>in</strong></strong>er Nissenhütte. Schrader<br />
war die erste Flüchtl<strong>in</strong>gsfamilie <strong>in</strong> Hoogstede<br />
und kam schon vor Kriegsende im Herbst<br />
1944 mit fünf Personen abends am Bahnhof<br />
an. Alfred Schrader beschrieb, sie seien <strong>in</strong><br />
Hoogstede regelrecht „ausgeladen“ worden.<br />
Die erste Nacht verbrachten sie <strong>in</strong> der Schule.<br />
E<strong>in</strong>e andere Familie fuhr weiter nach Emlichheim.<br />
Olga Welt, die Tante, Auguste Schrader<br />
und der jüngste Sohn Helmut (4 Jahre) kamen<br />
am folgenden Tag auf den Hof Peters <strong>in</strong> Berge;<br />
Walter (12 Jahre) erst zu Scheepers und später<br />
zu Kuiper <strong>in</strong> Berge. Alfred Schrader wurde<br />
zu Familie Hans Bets gebracht, der Heuermann<br />
auf dem Hof Korf <strong>in</strong> Osterwald war.<br />
Später wohnte Schrader bei Familie Jan Albers<br />
<strong>in</strong> Berge.<br />
Schraders kamen aus Litauen und waren<br />
Volksdeutsche. 1938 wurden sie nach Insterburg<br />
<strong>in</strong> Ostpreußen übergesiedelt und kamen<br />
im Herbst 1944 <strong>in</strong> die Grafschaft. Erst 1948<br />
fand die Familienzusammenführung statt. Sie<br />
bauten sich <strong>in</strong> Scheerhorn <strong>e<strong>in</strong></strong>e Nissenhütte<br />
125
2<br />
(Wellblechhütte), mit Baumaterial von der<br />
englischen Besatzungsmacht und der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de<br />
Scheerhorn und Berge. Die Wellbleche<br />
kamen von den Engländern und wurden<br />
später auch von der Firma Deilmann zur Verfügung<br />
gestellt, die zu der Zeit schon <strong>in</strong><br />
Scheerhorn tätig war.<br />
Die Schraders verdienten sich ihren Lebensunterhalt<br />
mit „Sp<strong>in</strong>nen“. 1952 bauten die<br />
K<strong>in</strong>der ihrer Mutter <strong>e<strong>in</strong></strong> Haus auf dem „Böilt“,<br />
erst mit <strong>e<strong>in</strong></strong>em Flachdach und 1953 wurde es<br />
mit <strong>e<strong>in</strong></strong>em Spitzdach versehen. Dieses „weiße<br />
Haus“ war das erste auf dem Hüttenböilt. In<br />
dem Haus wohnten später die Familien Georg<br />
Züwer<strong>in</strong>k, Günter Wolf und heute H<strong>e<strong>in</strong></strong>rich<br />
Mensen.<br />
Fast alle Familien <strong>in</strong> Scheerhorn und Berge<br />
nahmen nach dem Krieg Flüchtl<strong>in</strong>ge auf ihren<br />
Höfen auf. Weil viele Familienväter und auch<br />
Söhne noch <strong>in</strong> Kriegsgefangenschaft, vermisst,<br />
verwundet oder krank waren und auch<br />
sehr viele nicht zurückkehrten, fehlte es überall<br />
an Arbeitskräften. Die Mithilfe der Flüchtl<strong>in</strong>gsfamilien<br />
wurde sehr gern angenommen.<br />
Man gab ihnen dafür <strong>e<strong>in</strong></strong> Dach über den Kopf,<br />
oft wurde es aber auch schamlos ausgenutzt.<br />
Es waren nicht alle begeistert, <strong>e<strong>in</strong></strong>en Teil ihrer<br />
126<br />
GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />
Olga Welt und Auguste Schrader<br />
vor der Nissenhütte 1948 <strong>in</strong> Scheerhorn (Harm Kuiper)<br />
Wohnung für fremde Flüchtl<strong>in</strong>ge zur Verfügung<br />
zu stellen und zu räumen. K<strong>e<strong>in</strong></strong>er wusste<br />
wie lange diese Situation anhalten würde. So<br />
hatte k<strong>e<strong>in</strong></strong>er etwas dagegen, dass sie sich auf<br />
dem heutigen Hüttenböilt Behelfsheime aus<br />
Holz und Wellbleche aufstellten. Jeder war gewillt,<br />
diese Missstände schnellstens abzuschaffen<br />
beziehungsweise sie zu verbessern.<br />
E<strong>in</strong> Behelfsheim aus Holz, was mehr Erdloch<br />
als Haus war, baute sich die Familie Rudweleit<br />
1949 <strong>in</strong> den Sandhügeln an der Lee.<br />
Eiserne Bettgestelle für fünf Personen standen<br />
ihnen dort zur Verfügung. Die Rudweleits erhielten<br />
nach dem Krieg kurz <strong>e<strong>in</strong></strong> Quartier bei<br />
Bürgermeister Jan Harms-Ens<strong>in</strong>k <strong>in</strong> Hoogstede-Bathorn<br />
und wurden danach auf dem<br />
Hof Kl<strong>e<strong>in</strong></strong>e Lambers (jetzt Kohlenberg) <strong>in</strong><br />
Berge <strong>e<strong>in</strong></strong>quartiert. Hier wohnten sie <strong>in</strong> dem<br />
Eckraum zur Hauptstraße mit fünf Personen<br />
auf dreizehn Quadratmetern. Wenn man bedenkt,<br />
was diese Flüchtl<strong>in</strong>gsfamilien seit der<br />
Vertreibung aus ihrer Heimat alles erlebt<br />
haben, waren sie erst <strong>e<strong>in</strong></strong>mal froh, untergekommen<br />
zu s<strong>e<strong>in</strong></strong>, doch <strong>e<strong>in</strong></strong> Dauerzustand<br />
konnte dies nicht s<strong>e<strong>in</strong></strong>. Hertha Weber geb.<br />
Rudweleit, jetzt wohnhaft <strong>in</strong> Hagen am Teutoburger<br />
Wald, berichtet, dass sie zu der Zeit<br />
bereits nach Neuenhaus zur Schule g<strong>in</strong>g und<br />
sich vor anderen Schülern richtig schämte, <strong>in</strong><br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>er solchen Behausung zu leben. Anfang der<br />
50er Jahre baute man sich <strong>e<strong>in</strong></strong> neues Haus aus<br />
Kl<strong>in</strong>ker. E<strong>in</strong> Stück Land, das sie vom Schulverband<br />
pachteten, hatten sie urbar gemacht.<br />
Darauf hielten sie sich <strong>e<strong>in</strong></strong> paar Schw<strong>e<strong>in</strong></strong>e. Erst<br />
1970/71 erwarben sie ihr bescheidenes Anwe-<br />
Auguste Schrader<br />
vor ihrem Haus<br />
<strong>in</strong> Scheerhorn, heute<br />
H<strong>e<strong>in</strong></strong>rich Mensen<br />
(Harm Kuiper)
sen als Erbpacht von der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Scheerhorn.<br />
2000 kaufte Familie Guido Meyer<strong>in</strong>k<br />
das Haus mit Grundstück.<br />
So wie die Flüchtl<strong>in</strong>gsfamilien Rudweleit<br />
und Schrader f<strong>in</strong>gen noch mehrere Familien<br />
mit Holz und Nissenhütten auf dem Scheerhorner<br />
Hüttenböild an. Familie Bläsner, die<br />
vorher bei Zweers <strong>in</strong> Berge wohnte und auch<br />
Familie W<strong>e<strong>in</strong></strong>berg. Bis heute s<strong>in</strong>d dort acht<br />
Häuser entstanden und es weist fast nichts<br />
mehr auf die vorherige Nutzung und sehr<br />
schweren Anfänge der Besiedlung <strong>in</strong> der<br />
Nachkriegszeit h<strong>in</strong>.<br />
Die Scheerhorner Siedlung entstand erst<br />
gut 15 Jahre später. Eigentümer der Bebauungsflächen<br />
war die Schulgem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Scheerhorn/Berge,<br />
neun Bauplätze wurden <strong>in</strong> der<br />
Siedlung vergeben.<br />
Auszüge aus dem Protokollbuch<br />
der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Scheerhorn:<br />
Dem Bebauungsplan wird am 24.02.1964 zugestimmt.<br />
Die Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de übernimmt k<strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />
etwa anstehenden Kosten. Diese müssen ebenso<br />
wie die Wege- und Straßen<strong>in</strong>standsetzung die<br />
Anlieger tragen (oder Bewerber). Auf das<br />
Schreiben der Kreisverwaltung vom 03.11.<br />
1964 beschließt der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>derat am 18.12.<br />
1964, das Baugebiet soll nicht durch weitere<br />
Wohnbauflächen, etwa bis Bolks, vergrößert<br />
BERGE UND SCHERHORN<br />
E<strong>in</strong>gang Abenteuerspielplatz Scheerhorn-Berge <strong>in</strong> 2008<br />
(Harm Kuiper)<br />
werden soll. Der Rat beschließt am 15.11.1967,<br />
die Trägerschaft sowie die künftige Unterhaltung<br />
der Kläranlage zu übernehmen.<br />
Am 27.10.1969 heißt es: In der neuen<br />
Siedlung soll <strong>e<strong>in</strong></strong>e Pflasterstraße gebaut werden,<br />
wenn die Anlieger <strong>e<strong>in</strong></strong> Viertel der Unkos -<br />
ten übernehmen. Die Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de liefert die<br />
St<strong>e<strong>in</strong></strong>e und zahlt 20,– DM pro Quadratmeter<br />
für die Pflasterung. Für die Herstellung des<br />
Weges bis zur Pflasterung (ausräumen, Sand<br />
fahren u...) werden 1000,– DM berechnet. Für<br />
Handlangerdienste pro Kubikmeter wird <strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />
DM berechnet. Den Rest müssen die Anlieger<br />
bar entrichten.<br />
Bei <strong>e<strong>in</strong></strong>er 25%igen Beteiligung der Anlieger<br />
am Hüttenböld wird auch dort ausgebaut. Abstimmungsergebnisse<br />
4 ja 2 n<strong>e<strong>in</strong></strong>.<br />
Neubau der Gaststätte Warmer <strong>in</strong> Scheerhorn, 1964. Heute sieht man beim Vorbeifahren <strong>e<strong>in</strong></strong> schmuckes Haus der Familien<br />
Smit/Batter<strong>in</strong>k, früher war es Treff und Mittelpunkt vieler Generationen <strong>in</strong> Scheerhorn und Berge, die Gaststätte Warmer<br />
<strong>in</strong> Scheerhorn. Vor dem Neubau 1964 war dort sogar noch <strong>e<strong>in</strong></strong>e Viehwaage untergebracht. Sehr lange, über mehrere<br />
Generationen führte die Familie H<strong>e<strong>in</strong></strong>rich Warmer die Gastwirtschaft. Von 1978–1983 wurde sie von Eberhard Ras per<br />
geführt, und 1983–1988 von Brigitte Smit. (Harm Kuiper)<br />
127
2<br />
Erdölfeld Scheerhorn<br />
Gerold ten Br<strong>in</strong>k, Osterwald<br />
Am 19. September 1949 begann mit <strong>e<strong>in</strong></strong>er Deilmann-Bohranlage<br />
etwa 3 km nordwestlich von<br />
Georgsdorf am Coevorden-Piccardie-Kanal<br />
mit der von Deilmann gebohrten Sonde Scheerhorn<br />
1 (Sche 1) der Aufschluss der Erdöllagerstätte<br />
Scheerhorn…<br />
Sche 1 stieß ab 1108 m auf <strong>e<strong>in</strong></strong>en gut verölten<br />
Bentheimer Sandst<strong>e<strong>in</strong></strong>. Am 26. Oktober<br />
1949 stellte man die Bohrung, ohne den Bentheimer<br />
Sandst<strong>e<strong>in</strong></strong> ganz zu durchbohren, bei<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>er Teufe von 1123,5 m <strong>e<strong>in</strong></strong>. Förderteste<br />
brachten den Nachweis, dass die Aufschlussbohrung<br />
Scheerhorn 1 fündig war. Der 5. Dezember<br />
1949 war der erste Fördertag und die<br />
Bohrung förderte eruptiv durch <strong>e<strong>in</strong></strong>e 6-mm-<br />
Düse 70m 3 Öl je Tag mit <strong>e<strong>in</strong></strong>em Stockpunkt<br />
von 28 °C. E<strong>in</strong> Öl mit so hohem Stockpunkt<br />
zu fördern, ergab sogleich technische Probleme,<br />
<strong>in</strong>sbesondere im W<strong>in</strong>ter.<br />
128<br />
GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />
Berger Jugend um 1960 aus Anlass <strong>e<strong>in</strong></strong>er Zugfahrt <strong>in</strong> alten Trachten, Evert Lübbers, Albertus Kuite,<br />
Aalt<strong>in</strong>a Koh lenberg geb. Kl. Lambers, Jenni Zwiers geb. Kl. Lambers, Jenni Harms-Ens<strong>in</strong>k geb. Kuite,<br />
Henni Nacken geb. Kuiper, Albert Jan Kuite (Willy Friedrich)<br />
Im folgenden Jahr wurden zehn Bohrungen<br />
<strong>in</strong> mehr oder weniger großem Abstand von der<br />
Sche 1 im Auftrag des Viererkonsortiums –<br />
Deilmann, Elwerath, Preussag und W<strong>in</strong>tershall<br />
– abgeteuft. Doch die meisten trafen den Bentheimer<br />
Sandst<strong>e<strong>in</strong></strong> ganz oder zum Teil verwässert<br />
an. Lediglich die Sche 8 und die beiden<br />
mehr als <strong>e<strong>in</strong></strong>en Kilometer westlich der Sche 1<br />
Verwalzen <strong>e<strong>in</strong></strong>es<br />
Bohrturmes
Bernd Jeur<strong>in</strong>k<br />
beim Abtransport<br />
von Ölresten von<br />
den Fördersonden<br />
Denkmal „Kl<strong>e<strong>in</strong></strong>er Tiefpumpenantrieb“<br />
angesetzten Bohrungen Sche 10 und Sche 16<br />
waren wirtschaftlich fündig. Sie gaben den<br />
H<strong>in</strong>weis, dass sich die Scheerhorner Lagerstätte<br />
<strong>in</strong> Richtung Westen erstreckt und mit der Sche 1<br />
nur die kl<strong>e<strong>in</strong></strong>e Ostscholle der Lagerstätte gefunden<br />
worden war. Bis zur Mitte der fünfziger<br />
Jahre war dann die Lagerstätte im Bentheimer<br />
Sandst<strong>e<strong>in</strong></strong> voll erschlossen. Zeitweise setzte man<br />
bis zu vier Bohranlagen von Deilmann und der<br />
Gewerkschaft Elwerath <strong>e<strong>in</strong></strong>. In den Jahren 1951<br />
bis 1955 wurden 69 Bohrungen abgeteuft…<br />
BERGE UND SCHERHORN<br />
Insgesamt wurden <strong>in</strong> Scheerhorn 169 Bohrungen<br />
mit fast 200.000 Bohrmetern abgeteuft.<br />
Nur zwölf Bohrungen waren nicht fündig.<br />
Verkehrsverhältnisse<br />
In Scheerhorn gab es 1949 nur unbefestigte<br />
Landwege, die meistens wegen moorigen Untergrundes<br />
und schlechter Entwässerung mit<br />
schweren Fahrzeugen zum Transport der<br />
Bohrgeräte nicht befahrbar waren. Im Zuge<br />
der Bohrtätigkeit und des Ausbaus des Feldes<br />
zu <strong>e<strong>in</strong></strong>em Erdölförderbetrieb mussten deshalb<br />
nicht nur Bohrplätze angelegt, sondern auch<br />
Wege zu Straßen ausgebaut und viele neue<br />
Straßen gebaut werden. Heute beträgt das von<br />
den Konsortialpartnern angelegte Straßennetz<br />
im Erdölfeld Scheerhorn rd. 41 km.<br />
Der Abtransport des geförderten Erdöls erfolgte<br />
im ersten Förderjahr auf dem Wasserweg.<br />
Mit dem 100 t fassenden Tankschiff „Glückauf“<br />
wurde das Erdöl auf dem Coevorden-Piccardie-Kanal<br />
nach Emlichheim gebracht und<br />
dort <strong>in</strong> Eisenbahnkesselwagen gepumpt. Mit<br />
der Bentheimer Eisenbahn und der Bundesbahn<br />
gelangte es dann auf dem Schienenwege<br />
129
2<br />
130<br />
GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />
zu Raff<strong>in</strong>erien im Ruhrgebiet. Damit das Öl<br />
be- und entladen werden konnte, mussten Lagertanks,<br />
Tanker und Kesselwagen wegen des<br />
hohen Stockpunktes beheizbar s<strong>e<strong>in</strong></strong>. Man<br />
sprach <strong>in</strong> Scheerhorn oft davon, dass es besser<br />
wäre, das Öl <strong>in</strong> Säcken zu verladen.<br />
Bei der Sonde Sche 1 entstand die Sammelstelle<br />
1 mit Tanks und <strong>e<strong>in</strong></strong>em Dampfkessel.<br />
Auf Feldbahngleisen fuhr man das Öl <strong>in</strong><br />
Kl<strong>e<strong>in</strong></strong>kesselwagen von den anderen Fördersonden<br />
heran, denn im Anfangsstadium hatte<br />
man noch k<strong>e<strong>in</strong></strong>e Erfahrungen mit dem Leitungstransport<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>es Öles mit <strong>e<strong>in</strong></strong>em Stockpunkt<br />
von 28 °C.<br />
Nachdem im Laufe des Jahres 1950 der<br />
drei Kilometer entfernte Erdölförderbetrieb <strong>in</strong><br />
Osterwald <strong>e<strong>in</strong></strong>en Grubenbahnanschluss bekommen<br />
hatte und dort von den Konsortialpartnern<br />
die Emsland Erdölleitung GmbH<br />
(EEG), <strong>e<strong>in</strong></strong>e Gesellschaft für die Ölverladung<br />
und Verpumpung zu den Raff<strong>in</strong>erien, gegründet<br />
worden war, transportierte man das<br />
Scheerhorner Öl vorübergehend mit Straßentankwagen<br />
nach Osterwald. Doch bald konnte<br />
das Öl durch die an der Sammelstelle 1 vorbeiführende<br />
Pipel<strong>in</strong>e des Erdölfeldes Rühler -<br />
twist zur EEG verpumpt werden.<br />
Sammelstelle zwei seit 1951<br />
1951 erfolgt der Aufbau der Sammelstelle 2.<br />
Über beheizbare Sammelleitungen geht seitdem<br />
der Erdölfluss zu dieser Sammelstelle, wo<br />
das Erdöl entgast und das Lagerstättenwasser<br />
abgeschieden wird, denn <strong>in</strong>zwischen hatte bei<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>igen Sonden <strong>in</strong> Randwasserbereich <strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />
Sammelstelle 1 am Kanal<br />
Sammelstelle 1 Tankschiff Glückauf<br />
Sammelstelle 2<br />
langsame Verwässerung <strong>e<strong>in</strong></strong>gesetzt. Mit der<br />
Inbetriebnahme der Sammelstelle 2, die durch<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>e Leitung mit der EEG <strong>in</strong> Osterwald verbunden<br />
war, konnte die Sammelstelle 1 nun<br />
aufgegeben werden.<br />
Betriebsplatz und Verwaltung 1951/52<br />
Anfang der fünfziger Jahre förderten die Sonden<br />
aufgrund des hohen Lagerstättendruckes<br />
noch eruptiv. Doch wegen des hohen Stockpunktes<br />
des Öles reichte dieser Druck bald<br />
nicht mehr aus, um das Öl durch die Leitungen<br />
zur Sammelstelle zu leiten. Die Sonden<br />
mussten deshalb auf Tiefpumpenförderung<br />
umgestellt werden.<br />
Mit der schnellen Feldentwicklung wurden<br />
1951/52 500 m südwestlich der Sammelstelle<br />
2 <strong>e<strong>in</strong></strong> Betriebsplatz mit Feldwerkstatt, Magaz<strong>in</strong><br />
und Fuhrpark <strong>e<strong>in</strong></strong>gerichtet und außerdem <strong>e<strong>in</strong></strong><br />
Verwaltungsgebäude und <strong>e<strong>in</strong></strong>e Kaue gebaut.<br />
Die Anzahl der Mitarbeiter schnellte von<br />
36 im Jahr 1950 auf 171 im Jahr 1953 hoch<br />
und g<strong>in</strong>g dann langsam wieder zurück.
Gas – Salzwasser – Öl<br />
Die von Jahr zu Jahr steigende Erdölförderung<br />
verursachte <strong>e<strong>in</strong></strong>en stetigen Druckabfall <strong>in</strong> der<br />
Lagerstätte. Dies erforderte es, die Förderung<br />
zu reduzieren, <strong>e<strong>in</strong></strong>zelne Sonden mussten wegen<br />
zu hohen Gas-Öl-Verhältnisses geschlossen<br />
werden. Druckerhaltungsmaßnahmen waren<br />
erforderlich. 1953 und 1955 wurden je <strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />
Hilfsbohrung <strong>in</strong> der Südflanke abgeteuft. In<br />
diese presste man von der zentralen E<strong>in</strong>pressstation<br />
des Erdölbetriebes Elwerath <strong>in</strong> Osterwald<br />
aus das mitgeförderte Salzwasser <strong>e<strong>in</strong></strong>.<br />
Hierdurch konnten die mittleren und nördlichen<br />
Lagerstättenbereiche nicht be<strong>e<strong>in</strong></strong>flusst<br />
werden. In diesem Bereich versuchte man,<br />
durch E<strong>in</strong>pressen von Erdgas den weiteren<br />
Druckabfall zu verh<strong>in</strong>dern. Mit dem E<strong>in</strong>pressen<br />
von Erdgas wurde 1953 <strong>in</strong> die Sche 22<br />
begonnen. Da das Gas schnell zu den umlie-<br />
Ölausbruch Scheerhorn 22 am 06.11.1956<br />
BERGE UND SCHERHORN<br />
genden Fördersonden durchschlug, musste die<br />
Gas<strong>e<strong>in</strong></strong>pressung wieder <strong>e<strong>in</strong></strong>gestellt werden.<br />
Ausbruch 1956<br />
Der 6. November 1956 war <strong>e<strong>in</strong></strong> schwarzer Tag<br />
für Scheerhorn. Als die Sche 22 wieder zur<br />
Fördersonde umgerüstet werden sollte, kam es<br />
zu <strong>e<strong>in</strong></strong>em spektakulären Ölausbruch.<br />
Nach drei Tagen, als der Eruptionsdruck<br />
nachgelassen hatte, gelang es, durch Montage<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>es Bohrlochkopfes die Sonde zu schließen.<br />
Mehrere 100.000 m3 Erdgas und etwa<br />
2000 m 3 Erdöl waren eruptiert. Das Erdöl erstarrte<br />
zu <strong>e<strong>in</strong></strong>er Schichtdicke von ca. 1 m um<br />
die Sonde und konnte wiedergewonnen werden.<br />
Der hohe Stockpunkt und die hohe Viskosität<br />
hatten das Versickern des Erdöls<br />
verh<strong>in</strong>dert.<br />
Herausgeworfene Steigrohre<br />
Nach der Montagearbeit<br />
131
2<br />
Tiefpumpen<br />
1958 und 1960 wurden im Mittelfeld und an<br />
der Nordflanke je <strong>e<strong>in</strong></strong>e Hilfsbohrung abgeteuft,<br />
um auch hier Salzwasser <strong>e<strong>in</strong></strong>zupressen. Die<br />
hohe Viskosität des Öles begünstigte bei den<br />
Druckerhaltungsmaßnahmen <strong>e<strong>in</strong></strong>e schnelle<br />
Zunahme der Verwässerung. 1960 betrug die<br />
Verwässerung bereits 40–50%, und stieg 1965<br />
auf über 80% an. 1965 erreichte die Förderung<br />
ihr Maximum von fast 290.000 t R<strong>e<strong>in</strong></strong>öl<br />
pro Jahr. In den nächsten zwei Jahren fiel die<br />
Förderung auf 230.000 t R<strong>e<strong>in</strong></strong>öl ab. Um diesen<br />
Förderabfall zu bremsen, rüstete man die randwassernahen<br />
Sonden mit größeren Tiefpumpen<br />
und stärkeren Tiefpumpenantrieben aus.<br />
Da 1970 die Verwässerung 87% erreichte,<br />
entschloss man sich nun Tauchkreiselpumpen<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>zusetzen, um so die Fördermenge zu erhöhen.<br />
Bis 1983 bleib die Fördermenge konstant,<br />
nur die Verwässerung stieg auf 97% an und<br />
die R<strong>e<strong>in</strong></strong>ölmenge fiel auf 148.000 t ab.<br />
Neben der Umrüstung der Fördersonden<br />
musste auch die Wasserabscheidung auf der<br />
Sammelstelle vergrößert werden. Die F<strong>e<strong>in</strong></strong>abscheidung<br />
erfolgte weiterh<strong>in</strong> im Förderbetrieb<br />
Elwerath <strong>in</strong> Osterwald. Für das anfallende<br />
Salzwasser wurden Leitungen zu den <strong>e<strong>in</strong></strong>zelnen<br />
E<strong>in</strong>presssonden verlegt. Stetig steigende Betriebskosten<br />
bei fallender Förderung machten<br />
Rationalisierungsmaßnahmen erforderlich, die<br />
132<br />
GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />
Schwerer Salzgitter-Tiefpumpenantrieb<br />
durch Anwendung von moderner Mess-, Re gelund<br />
Fernwirktechnik erreicht wurden. Im Zusammenhang<br />
mit dieser Modernisierung wurde<br />
<strong>in</strong> der Messwarte das Fließbild durch rechnerunterstützte<br />
Bildschirme ersetzt, um so die erhöhten<br />
Sicherheitsanforderungen zu erreichen.<br />
An sechster Stelle<br />
Das Erdölfeld Scheerhorn lag 2008 bei der<br />
R<strong>e<strong>in</strong></strong>ölförderung mit 43.179 t unter den zehn<br />
größten deutschen Erdölfeldern an sechster<br />
Stelle. Insgesamt s<strong>in</strong>d bis <strong>e<strong>in</strong></strong>schließlich 2008 <strong>in</strong><br />
Scheerhorn 8,7 Mio. t R<strong>e<strong>in</strong></strong>öl gefördert worden.<br />
Quellen- und Literaturverzeichnis<br />
Dipl.-Berg<strong>in</strong>g. Christian von Maltzan,<br />
Scheerhorn 40 Jahre Erdölförderung<br />
H<strong>e<strong>in</strong></strong>z Boigk, Erdöl und Erdölgas<br />
<strong>in</strong> der Bundesrepublik Deutschland<br />
NLfB Hannover, Erdöl und Erdgas <strong>in</strong> der<br />
Bundesrepublik Deutschland (Jahresförderung 2006)<br />
Fotos H. Paulsen und G. ten Br<strong>in</strong>k<br />
Tauchkreiselpumpe<br />
Scheerhorn 1
Hoogstede<br />
und Bathorn<br />
Die Entwicklung der politischen<br />
Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Hoogstede<br />
Johann Kemkers<br />
Gildschaft Scheerhorn – Kirchspiel <strong>Arkel</strong><br />
Unter der Bezeichnung „Gildschaft Scheerhorn“<br />
waren bis weit <strong>in</strong> das 19. Jahrhundert h<strong>in</strong><strong>e<strong>in</strong></strong><br />
sechs Bauernschaften ver<strong>e<strong>in</strong></strong>t: Scheerhorn,<br />
Berge, Bathorn, Hoogstede, T<strong>in</strong>holt und Kalle.<br />
E<strong>in</strong>e herausgehobene Rolle spielte Hoogstede <strong>in</strong><br />
dieser Gruppe über <strong>e<strong>in</strong></strong>en langen Zeitraum nicht.<br />
Das änderte sich mit der Errichtung der reformierten<br />
<strong>Kirche</strong> „auf“ Hoogstede (1821). Als<br />
Farbige Postkarte um 1900,<br />
„Gruß aus Hoogstede“ (Johann Jeur<strong>in</strong>k)<br />
neues Zentrum des Kirchspiels <strong>Arkel</strong>, das bis<br />
auf <strong>e<strong>in</strong></strong>en kl<strong>e<strong>in</strong></strong>en Randbereich identisch war<br />
mit der Gildschaft Scheerhorn, entwickelte<br />
sich Hoogstede nun auch zum wirtschaftlichen<br />
Kern der Region, begünstigt durch die<br />
Mittelpunktslage und die gute überörtliche<br />
Verkehrsanb<strong>in</strong>dung nach Neuenhaus und Emlichheim.<br />
Das Gefühl gem<strong>e<strong>in</strong></strong>dlicher Zusammengehörigkeit<br />
stiftete wesentlich die kirchliche Verbundenheit.<br />
Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>s<strong>in</strong>n bewirkte auch die<br />
Notwendigkeit zur Zusammenarbeit bei der Bewirtschaftung<br />
des lange Zeit ungeteilten Markengrunds,<br />
der den weitaus größten Teil der<br />
Gildschaftsfläche ausmachte (s. Karte von<br />
1855/56).<br />
Die politischen und wirtschaftlichen Strukturen<br />
waren aufs Engste mit den kirchlichen<br />
verwoben und oft von diesen bestimmt. Diese<br />
Abhängigkeit zeigen beispielhaft die Vorgänge<br />
um den Grunderwerb von H<strong>in</strong>drik Sloot<br />
<strong>in</strong> der „Scheerhorner Mark“ 1 (ab 1818; s. Abschnitt<br />
zur „Familie Sloot“). Als Verkäufer<br />
des Markengrundes wird mal die „Gildschaft<br />
Scheer horn“ genannt, mal heißt es die „Bauern<br />
schaften“ von Bathorn, Hoogstede und<br />
Scheer horn – Nutznießer war aber jedenfalls<br />
die „<strong>Kirche</strong>ngem<strong>e<strong>in</strong></strong>de <strong>Arkel</strong>“, der die E<strong>in</strong>künfte<br />
zur „Dotierung“ der neuen Pfarrstelle<br />
zustanden. 2<br />
1 Mit „Scheerhorner Mark“ wurde vor der Markenteilung (und gelegentlich<br />
auch noch danach) der gesamte Markengrund östlich<br />
der Privatflächen der Bauernschaften Bathorn, Hoogstede,<br />
Scheerhorn und Berge bezeichnet (s. Karte).<br />
2 Nach dem Verkaufsprotokoll blieben die verkauften Markengründe<br />
„auf immer <strong>e<strong>in</strong></strong> Eigenthum der Pfarre zu <strong>Arkel</strong>“. Es war<br />
jährlich <strong>e<strong>in</strong></strong> Z<strong>in</strong>ssatz von 4 Prozent der Kaufsumme zu leisten.<br />
Erst 1874 zahlte Jan Sloot (Enkel des Kolonisten) die Kaufsumme<br />
von 1.000 Gulden an die <strong>Kirche</strong>ngem<strong>e<strong>in</strong></strong>de <strong>Arkel</strong>. Damit g<strong>in</strong>g<br />
das Grundstück endgültig <strong>in</strong> den Besitz der Familie Sloot über.<br />
133
2<br />
134<br />
GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />
Scheerhorner Mark 1855/56. Die Karte von 1855/56 zeigt die ungeteilte „Scheerhorner Mark“, die sich vom<br />
Rand der Bauernschaften Bathorn, Hoogstede, Scheerhorn und Berge über das Bruch bis <strong>in</strong>s Moor erstreckte.<br />
Am oberen Bildrand rechts ist das Kolonat Sloot erkennbar.
Obwohl Sloot mit s<strong>e<strong>in</strong></strong>em Haus und s<strong>e<strong>in</strong></strong>en<br />
Ländereien <strong>e<strong>in</strong></strong>schließlich der Heuerleute <strong>e<strong>in</strong></strong>deutig<br />
<strong>in</strong> der „Scheerhorner Mark“ lag, und<br />
als E<strong>in</strong>gesessener der Gildschaft anzusehen<br />
war, setzten <strong>in</strong>sbesondere die Bathorner und<br />
Hoogsteder alles daran, „Sloot und s<strong>e<strong>in</strong></strong>e Heuerleute“<br />
auszugrenzen. Als schließlich nach<br />
vielen Querelen verfügt wurde, dass Sloot mit<br />
s<strong>e<strong>in</strong></strong>en sieben Heuerleuten der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Neur<strong>in</strong>ge<br />
angehöre, bedeutete das die Abtrennung<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>es größeren Gebietes von der Gildschaft<br />
Scheerhorn. Die kirchlichen B<strong>in</strong>dungen blieben<br />
allerd<strong>in</strong>gs erhalten: Bis auf den heutigen<br />
Tag gehört der östliche Teil von Neur<strong>in</strong>ge zum<br />
Kirchspiel der ref. <strong>Kirche</strong>ngem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Hoogstede<br />
(früher Kirchspiel <strong>Arkel</strong>).<br />
Die Teilung der Mark<br />
Wie <strong>in</strong> anderen Teilen unserer Region wurde<br />
<strong>in</strong> der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch<br />
<strong>in</strong> der „Scheerhorner Mark“ <strong>e<strong>in</strong></strong>e sogenannte<br />
Generalteilung durchgeführt. Die Zuordnung<br />
zu den <strong>e<strong>in</strong></strong>zelnen Bauernschaften wurde aber<br />
nicht vollständig vollzogen; denn festgelegt<br />
wurde nur die Grenzl<strong>in</strong>ie zwischen den Bauernschaften<br />
Scheerhorn/Berge <strong>e<strong>in</strong></strong>erseits und<br />
Hoogstede/Bathorn andererseits.<br />
Die Markengenossen von Hoogstede und<br />
Bathorn beantragten alsbald <strong>e<strong>in</strong></strong>e weitere Generalteilung<br />
und die Hoogsteder zudem <strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />
Spezialteilung ihres Anteils. Die Königliche<br />
Landdrostei genehmigte 1864 beide Teilungen.<br />
Danach beschlossen auch die Bathorner die<br />
Spezialteilung. Beide Spezialteilungen konnten<br />
nun <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong></strong>em Verfahren abgewickelt werden.<br />
Die Berechtigten hatten schon bei der Generalteilung<br />
ihre Ansprüche angemeldet. Sie<br />
wurden mit Angabe ihrer Erbesqualitäten registriert.<br />
Die Berechtigten <strong>in</strong> Hoogstede waren:<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong> Fünfviertelerbe (Jeur<strong>in</strong>g);<br />
sechs Vollerben (Hannebrook, Stroot-Salm<strong>in</strong>k,<br />
Wermer, Weelmann, Kuhlmann, Weuste);<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong> Dreiviertelerbe (Twentker);<br />
zwei Halberben (Köster, J. Weuste);<br />
acht Viertelerben (Börger, van der Kamp,<br />
Brouwer, Schiev<strong>in</strong>k/Sloot, Laarmann,<br />
Snö<strong>in</strong>k, H. Sloot, Scholten);<br />
HOOGSTEDE UND BATHORN<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong> Achtelerbe (Ref. Pfarre <strong>Arkel</strong>);<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong> Zehntelerbe (Ref. Schule Hoogstede);<br />
acht Neubauern (H. Veld, H. Gosen,<br />
Ww. Müller, J.H. Bleumer, J.H. Rosemann,<br />
H. Wiegm<strong>in</strong>k, G. Van Wieren, Ref. Küsterstelle<br />
<strong>Arkel</strong>).<br />
Die Berechtigten <strong>in</strong> Bathorn waren:<br />
fünf Fünfviertelerben (Bleumer,<br />
Wiegm<strong>in</strong>k, Koops, Ens<strong>in</strong>k, Gr. Neerken);<br />
drei Vollerben (Harms, Kolthoff, Schoemaker);<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong> Dreiviertelerbe (G.H. Kwade);<br />
drei Halberben (Boll, Künnen, Evers);<br />
zehn Viertelerben (Wigger, Broekschnieder,<br />
Bloemendal, Hofmeyer, Kl. Neerken,<br />
Schnieders, Boerkamp, Beerl<strong>in</strong>k, Albers,<br />
R<strong>in</strong>gerbrüggen-Schnieder);<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong> Achtelerbe (ter Haar-Pölk<strong>in</strong>k);<br />
zwölf Neubauern (Peters, ter Haar, Lage,<br />
B.J. Snieders, J.B. Weuste, van Laar;<br />
E Zager, J. Kwade, L. Stroot, H. Jeur<strong>in</strong>k,<br />
D. Lübbers, G. Jeur<strong>in</strong>k).<br />
Weitere Berechtigte:<br />
Das Fürstliche Haus zu Bentheim; Vollerbe<br />
T<strong>in</strong>holt <strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt; Alfer<strong>in</strong>k <strong>in</strong> Scheerhorn;<br />
Stroot-Salm<strong>in</strong>k-Albers <strong>in</strong> Hoogstede; Wessels/Laarmann<br />
<strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt; J.H. Sloot <strong>in</strong> Neur<strong>in</strong>ge;<br />
Kath. Schule Hoogstede; Kath. Pfarre<br />
Emlichheim; Kath. Küsterstelle Emlichheim;<br />
R<strong>in</strong>gerbrüggen-Emlichheim.<br />
Die Berechtigten wählten zu Markenbevollmächtigten<br />
die Bauern Stroot <strong>in</strong> Hoogstede<br />
und Neerken <strong>in</strong> Bathorn. Der Rentmeister Cramer<br />
<strong>in</strong> Neuenhaus vertrat den Fürsten zu<br />
Bentheim. Die Interessen der <strong>Kirche</strong>n und<br />
Schulen wurden von den zuständigen Pastoren<br />
wahrgenommen.<br />
Fast alle Berechtigten bekamen Markenboden<br />
<strong>in</strong> mehreren Güteklassen: Anger, Heide <strong>in</strong><br />
den B<strong>in</strong>nengründen, gewöhnliche Heide und<br />
Sand. So wurden dem Vollerben Hannebrook<br />
z.B. 30 Morgen (Mg) 98 Quadrat-Ruten (QR)<br />
Anger, 16 Mg 100 QR Heide <strong>in</strong> den B<strong>in</strong>nengründen<br />
und 22 Mg 100 QR gewöhnliche Heide<br />
zugewiesen, dazu Abf<strong>in</strong>dungen im Moor <strong>in</strong><br />
der errechneten Größe. Die Neubauern erhielten<br />
<strong>in</strong> der eigentlichen Mark nur Heideboden.<br />
135
2<br />
Die nicht verteilten Flächen, Sandgruben<br />
und Depotgründe, blieben Eigentum der Markengenossenschaft.<br />
Aus den Gruben sollte<br />
hauptsächlich Sand für die Verbesserung der<br />
Wege entnommen werden. Die Bauern wurden<br />
verpflichtet, ihre Grundstücke abzugrenzen,<br />
im Moor durch Gräben und <strong>in</strong> den<br />
anderen Teilen der Mark durch Wälle mit Seitengräben,<br />
im Ackerland genügten Grenzst<strong>e<strong>in</strong></strong>e.<br />
Die Kommission gab Anweisungen für<br />
die Anlage neuer und die Verbreiterung bestehender<br />
Wege, ebenso für die Entwässerung<br />
durch Gräben. Auch für die Pflege und Unterhaltung<br />
der Wege und Wasserzüge erließ sie<br />
verb<strong>in</strong>dliche Vorschriften.<br />
Die Kosten der Teilung wurden auf die Interessenten<br />
umgelegt, der Fürst zu Bentheim<br />
und die Neubauern waren davon befreit. Das<br />
Rechnungswesen führte wie bei der Generalteilung<br />
der Scheerhorner Mark der Lehrer<br />
Schiev<strong>in</strong>k <strong>in</strong> Hoogstede.<br />
Der Vertrag über die Hoogsteder-Bathorner<br />
Mark wurde von den Beteiligten anerkannt<br />
und von ihnen bzw. ihren Bevollmächtigten<br />
am 21. Januar 1871 <strong>in</strong> Hoogstede unterschrieben.<br />
Die Königliche Generalkommission <strong>in</strong><br />
136<br />
GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />
Der Dorfbrunnen aus dem Jahre 2000<br />
steht für den <strong>Ort</strong> und alle <strong>Ort</strong>steile (R. Golde)<br />
Hannover beglaubigte den Vertrag am 26.<br />
September 1871.<br />
Ver<strong>e<strong>in</strong></strong>igung von Hoogstede<br />
und Bathorn <strong>in</strong> 1890<br />
Der Verzicht auf <strong>e<strong>in</strong></strong>e Generalteilung der<br />
Hoogsteder-Bathorner Mark bescherte zwar<br />
den Berechtigten <strong>e<strong>in</strong></strong>e verhältnismäßig schnelle<br />
Inbesitznahme ihrer Anteile, bedeutete aber,<br />
dass, wie der Landrat Kriege im April 1889<br />
feststellte, <strong>in</strong>folge der Markenteilung die<br />
„Grundstücke der E<strong>in</strong>gesessenen von Bathorn<br />
und Hoogstede <strong>in</strong> beiden Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den im Gemenge<br />
lägen“, sodass <strong>e<strong>in</strong></strong>e feste Grenze zwischen<br />
beiden Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den nicht bestehe. E<strong>in</strong>e<br />
Feststellung der Grenze sei grundsätzlich erforderlich,<br />
<strong>in</strong>sbesondere aber nach der Anlage<br />
des Kanals Piccardie-Coevorden. Das Königliche<br />
Katasteramt Bentheim schlug vor, „daß<br />
die Grenze dah<strong>in</strong> festgestellt werde, daß die<br />
Kanalstrecke von der Grenze der Bathorn-<br />
Hoogsteder Mark gegen Scheerhorn ... bis zum<br />
Twister Deich(Bathorner Diek) der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de<br />
Hoogstede und die Kanalstrecke von da bis<br />
zur Gr. R<strong>in</strong>ger Grenze ... der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Bathorn<br />
angeschlossen werde“. Die Hoogsteder
und Bathorner wurden aufgefordert, <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong></strong>er<br />
Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>deversammlung über den Vorschlag<br />
des Katasteramtes zu beraten und „über denselben<br />
Beschluß zu fassen“.<br />
Schon am 3. Mai 1889 fand die Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>deversammlung<br />
statt. In s<strong>e<strong>in</strong></strong>em Bericht darüber<br />
an den Landrat schreibt der landrätliche<br />
Hilfsbeamte, „daß, da <strong>e<strong>in</strong></strong>e E<strong>in</strong>igkeit über<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>en Grenzl<strong>in</strong>ie zwischen Hoogstede und<br />
Bathorn nicht zu erzielen, von den Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>deversammlungen<br />
beider Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den schließlich<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>stimmig beschlossen worden ist, beide<br />
Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den zu <strong>e<strong>in</strong></strong>er politischen Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de zu<br />
ver<strong>e<strong>in</strong></strong>igen. Zu diesem günstigen Resultat hat<br />
nicht unwesentlich der E<strong>in</strong>fluß des Herrn Pastor<br />
Nyhuis mitgewirkt, welcher nur durch Ver<strong>e<strong>in</strong></strong>igung<br />
beider Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den <strong>e<strong>in</strong></strong>e Lösung des<br />
Grenzwirrwarrs für möglich erachte“.<br />
Nach <strong>e<strong>in</strong></strong>igem H<strong>in</strong> und Her h<strong>in</strong>sichtlich des<br />
Gültigkeit des Beschlusses bestätigte der Oberpräsident<br />
R. v. Bennigsen (Hannover) am 21.<br />
Juni 1890 die Ver<strong>e<strong>in</strong></strong>igung der beiden Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de<br />
Bathorn und Hoogstede zu <strong>e<strong>in</strong></strong>er politischen<br />
Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de.<br />
Hausnummern und <strong>Ort</strong>sname<br />
Der Grundsatzbeschluss zur Ver<strong>e<strong>in</strong></strong>igung der<br />
beiden Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den war schnell und <strong>e<strong>in</strong></strong>vernehmlich<br />
getroffen worden.<br />
Aber schon bei der Festlegung der neuen<br />
Hausnummern gab es Streit; der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>devorsteher<br />
Kalman von Hoogstede verlangte,<br />
dass man <strong>in</strong> Hoogstede mit der Nr.1 beg<strong>in</strong>nen<br />
müsse, damit <strong>e<strong>in</strong></strong>e fortlaufende Nummerierung<br />
der neuen Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de gewährleistet sei.<br />
Vorsteher Harms allerd<strong>in</strong>gs hielt dagegen und<br />
verlangte, dass das Los entscheiden müsse,<br />
weil die Bathorner m<strong>e<strong>in</strong></strong>ten „<strong>in</strong> dieser Sache<br />
so viel Recht zu haben wie Hoogstede“. „Hierauf“,<br />
so schreibt Vorsteher Harms an den<br />
Landrat, „äußerte sich der Vorsteher von<br />
Hoogstede mit zornigen Worten und auch Gebaarden:<br />
Losen thue ich heute mit Bathorn<br />
nicht, und auch nie; ich behalte die Nr.1 auf<br />
Hoogstede“. Am Ende wurde von Amts wegen<br />
über die Zuordnung der Hausnummern entschieden<br />
und die Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de im April 1891<br />
durch den Landrat an gewiesen, „die Neunummerierung<br />
der Gebäude <strong>in</strong>nerhalb vier Wo-<br />
HOOGSTEDE UND BATHORN<br />
chen ausführen zu lassen“.<br />
Die Hausnummer 1 erhielt der Hof Weuste an<br />
der Vechte.<br />
Besonders schwierig und langwierig gestaltete<br />
sich die Aufgabe, <strong>e<strong>in</strong></strong>en Namen für die<br />
neu gebildete Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de zu f<strong>in</strong>den.<br />
Als Vorsteher Kalman im September 1890<br />
dem Landrat als neuen Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>denamen<br />
Hoogstede-Bathorn vorschlug, konnte er für<br />
die Voranstellung von Hoogstede gute Gründe<br />
anführen: Hoogstede sei Kirchort für <strong>e<strong>in</strong></strong>e reformierte<br />
und <strong>e<strong>in</strong></strong>e katholische <strong>Kirche</strong>ngem<strong>e<strong>in</strong></strong>de;<br />
es gebe <strong>e<strong>in</strong></strong>e reformierte Schule, <strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />
katholische Schule, <strong>e<strong>in</strong></strong>e Posthaltungsstelle,<br />
Telegrafen, Standesamt, Mühle, Straße, mehrere<br />
Wirts- und Gasthäuser und mehrere Krämer<br />
und Bäcker; von alldem sei <strong>in</strong> der<br />
Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Bathorn „nichts zu f<strong>in</strong>den“.<br />
Der Landrat mochte dem Vorschlag von<br />
Kalman nicht folgen und ließ im Dezember<br />
1890 empfehlen, die neue Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Bathorn-<br />
Hoogstede zu nennen. Bathorn werde vorhergestelt,<br />
weil Bathorn im Alphabet zuerst sei.<br />
Die Angelegenheit war offensichtlich so<br />
heikel, dass sie über die Instanzen <strong>in</strong> Osnabrück<br />
und Hannover schließlich beim Innem<strong>in</strong>ister<br />
Herrfurth <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> landete. Der wies<br />
im Februar 1891 die Bezirksregierung <strong>in</strong> Osnabrück<br />
darauf h<strong>in</strong>, dass es im H<strong>in</strong>blick auf<br />
frühere allerhöchste Entschließungen angezeigt<br />
sei, statt des vorgeschlagenen Doppelnamens<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>en <strong>e<strong>in</strong></strong>fachen Namen zu wählen,<br />
und zwar den Namen derjenigen der vorbezeichneten<br />
Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den, welche bisher die bedeutendere<br />
war. Dementsprechend wurde die<br />
Bezirksregierung gebeten, sich darüber zu äußern,<br />
ob es Bedenken gebe, der neuen Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de<br />
den Namen Bathorn beizulegen.<br />
Der nun wieder befragte Landrat konnte<br />
sich mit dem Vorschlag aus Berl<strong>in</strong> ganz und<br />
gar nicht anfreunden. In s<strong>e<strong>in</strong></strong>em Schreiben an<br />
den Regierungspräsidenten vom 26. März<br />
1891 schrieb er: „..dass die Bewohner der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den<br />
Bathorn und Hoogstede auf Beibehaltung<br />
der Bezeichnung der bisherigen<br />
Namen erheblichen Wert legen und daß es<br />
sich nicht empfiehlt, der neu gebildeten Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de<br />
den Namen derjenigen der bisherigen<br />
Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den beizulegen, welche von ihnen die<br />
137
2<br />
bedeutendere war. Es würde bei den Bewohnern<br />
der anderen Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de große Niedergeschlagenheit<br />
und vielleicht auch Entrüstung<br />
hervorrufen und ich glaube nicht, daß die Ver<strong>e<strong>in</strong></strong>igung<br />
zu <strong>e<strong>in</strong></strong>em politischen Verbande im<br />
gütlichen Wege zu Stande gekommen wäre,<br />
wenn die Bewohner derselben damals gewusst<br />
hätten, daß für <strong>e<strong>in</strong></strong>e der beiden Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den die<br />
Aufgabe ihres bisherigen Namens damit verbunden<br />
wäre.“<br />
Der Landrat verwies nochmals auf s<strong>e<strong>in</strong></strong>en<br />
alten Vorschlag Bathorn-Hoogstede, weil auch<br />
sonst Doppelnamen bei Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den im Regierungsbezirk<br />
öfter vorkämen. Unsicher, ob <strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />
Umgehung des Doppelnamenverbots erreichbar<br />
sei, empfahl er für den Ablehnungsfall<br />
„<strong>e<strong>in</strong></strong>e Wortschmelzung beider Namen <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong></strong>em<br />
vorzunehmen, z. B. Hoogthorn oder Bathoog“.<br />
Nachdem im Juni 1891 der Innenm<strong>in</strong>ister<br />
<strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> bekräftigte, dass die Zusammensetzung<br />
der <strong>Ort</strong>snamen aus zwei Wörtern<br />
möglichst zu vermeiden sei, wurden die<br />
stimm berechtigten Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>demitglieder aufgerufen,<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong> Votum abzugeben. Bei der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>deversammlung<br />
im Laarmannschen<br />
Wirtshause am 13. Juli 1891 wurde darüber<br />
abgestimmt, ob der künftige <strong>Ort</strong>sname <strong>Arkel</strong><br />
oder Hoogstede s<strong>e<strong>in</strong></strong> solle. Bei namentlicher<br />
Abstimmung stimmten 29 Stimmberechtigte<br />
(mit 91 Stimmen) für <strong>Arkel</strong> und 19 Stimmberechtigte<br />
(mit 53 Stimmen) für Hoogstede. Die<br />
unterlegenen Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>deglieder erklärten sich<br />
anschließend damit <strong>e<strong>in</strong></strong>verstanden, dass der<br />
ver<strong>e<strong>in</strong></strong>igten neu gebildeten Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de der<br />
<strong>Ort</strong>sname <strong>Arkel</strong> beigelegt würde.<br />
138<br />
GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />
Die Freude über das E<strong>in</strong>vernehmen währte<br />
nicht lange; denn bereits im September 1891<br />
ließ der Oberpräsident <strong>in</strong> Hannover wissen,<br />
dass der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>dename <strong>Arkel</strong> nicht <strong>in</strong>frage<br />
kommen könne, „weil die den Namen <strong>Arkel</strong><br />
tra gende Kolonie <strong>in</strong> kommunaler Beziehung<br />
nicht zu jenen <strong>Ort</strong>schaften, sondern zur Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de<br />
Kalle gehöre“. Die Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de möge<br />
b<strong>in</strong>nen sechs Wochen <strong>e<strong>in</strong></strong>en anderen Vorschlag<br />
machen.<br />
Wieder wurde <strong>e<strong>in</strong></strong>e Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>deversammlung<br />
(13. Oktober 1891) <strong>e<strong>in</strong></strong>berufen; diesmal standen<br />
die <strong>Ort</strong>snamen Hoogstede und Bathorn<br />
zur Ab stimmung. Ergebnis: 27 Stimmberechtigte<br />
(mit 81 Stimmen) für Hoogstede. 25<br />
Stimmberechtigte (mit 73 Stimmen) für Bathorn.<br />
22 Stimmberechtigte waren nicht erschienen.<br />
E<strong>in</strong> E<strong>in</strong>spruch von „Kolthoff und<br />
Genossen“ gegen die Gültigkeit der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de<br />
versammlung wegen nicht geladener<br />
Stimmberechtigter wurde vom Landrat abgewiesen,<br />
weil selbst bei H<strong>in</strong>zurechnung dieser<br />
Stimmen die Bathorner <strong>in</strong> der M<strong>in</strong>derheit blieben;<br />
außerdem handle es sich bei dem Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>debeschluss<br />
„lediglich um das Ausspre<br />
chen <strong>e<strong>in</strong></strong>es Wunsches“.<br />
Wohl um den Frieden <strong>in</strong> der neuen Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de<br />
zu wahren, appellierte der Landrat<br />
noch <strong>e<strong>in</strong></strong>mal an den Regierungspräsidenten,<br />
darauf h<strong>in</strong>zuwirken, „daß ausnahmsweise der<br />
neuen Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de der Name Bathorn-Hoogstede<br />
verliehen wird“.<br />
Hauptstraße mit reformierter <strong>Kirche</strong> als Motiv <strong>e<strong>in</strong></strong>er<br />
Postkarte, ca. 1927 mit Lukas Köster, 1922-1973. (Köster)
HOOGSTEDE UND BATHORN<br />
Verzeichnis der Stimmberechtigten der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Bathorn-Hoogstede 1891<br />
(Versammlung am 13. Oktober 1891)<br />
Haus- Name Stand Stimmen- Bew. aktuell(2008)<br />
Nr. zahl<br />
11 Weuste Altien Colona 5 Weuste a.d. Vechte, Bahnhofstr.<br />
12 Hemke Harm Kötter 2 Udo Vette, Hauptstr.<br />
13 Gosen J.H. Kötter 1 Bielefeld, Bahnhofstr.<br />
14 Kalmann J.H. Kötter 1 Mensen, Bergstraße<br />
15 Koelman H<strong>in</strong>dr. Colon 4 Koelmann, Bergstraße<br />
16 Weelmans Colonat 7 Haamberg, Bergstraße<br />
17 Bloemendal G.J Kötter 2 Pächter von Stroot, Wilsumer Straße<br />
18 Koster H<strong>in</strong>dr. Colon 4 k. Wohnplatz mehr; v.d. Kall. Brücke re.<br />
19 Warmer Jan Colon 6 Warmer, Schlättstiege<br />
10 Jeur<strong>in</strong>k A.J. Colon 6 Jeur<strong>in</strong>k, Wilsumer Straße<br />
11 Stroot H. Colon 4 Stroot, Am Pferdekamp<br />
12 Hannebrook Colon 5 Hanebrook, L<strong>in</strong>denweg<br />
13 Snöj<strong>in</strong>k Geert Kötter 2 Keute, Kampweg<br />
14 Keen Klaas Zimmermann 1 Keen, Kampweg<br />
15 Rosemann G. J. Kötter 1 Rotmann, Am Neuland<br />
17 Scholten E. Kötter 2 Altes Haus Büdden, Hauptstraße<br />
18 Laarman B.J. Schenkwirt 3 Gastw. Wolters, Hauptstr.; Abriss 1975<br />
19 Brouwer Kötter 2 Lügtenaar, Bahnhofsr.<br />
21 Sommer Fritz Bäcker 1 altes Haus Horstkamp, Hauptstr.<br />
24 Müller Bernh. Mühlenbesitzer 5 später Gastw. Müller, Hauptstr.; j. COMA<br />
27 Sloot H<strong>in</strong>dr. Bäcker 5 Schoemaker/Neuw<strong>in</strong>ger, Hauptstr.<br />
28 van Wieren Anbauer 1 Barth, Hauptstr.<br />
29 van Laar B. Bierhändler 1 Wolf, früher Engler, Hauptstr.<br />
29 Pfabe(?) Karl Grenzaufseher 3 dto.<br />
30 Hilfers F Krämer 2 Hilfers, Hauptstr.<br />
Maasch Ernst Grenzaufseher 3 dto.<br />
31 van der Kamp D Schiffer 1 Jansen, Holunderweg<br />
33 Schoemaker G. Colon 5 Schoemaker, Zur Friedenseiche<br />
34 Vogelsang Stationsarbeiter 1 Naber, Zur Friedenseiche<br />
36 Snieders J. H. Kötter 1 Bloemendal/Reefmann, Zur Friedenseiche<br />
37 Jeur<strong>in</strong>k J. Kötter 3 v. Münster/Hessel<strong>in</strong>k, Schwarzer Diek<br />
40 Sommer H<strong>in</strong>dr. Anbauer 1 Westhuis, Am Schulfeld<br />
41 Weuste Jan Kötter 3 Warmer, Am Schulfeld<br />
42 Wösten J. B. Schmidt 2 Wösten, Sunnerkampstege<br />
44 Egbers Friedr. Kötter 2 Bolk, Schwarzer Diek<br />
45 Stroot H.J. Landbriefträger 1 Stroot, Schwarzer Diek<br />
46 Wiegm<strong>in</strong>k H. Kötter 1 Hans, Schwarzer Diek<br />
47 Kwade G.J. Zimmermann 2 Boers, Molkereistr.<br />
48 Bielefeld Kötter 1 dto.<br />
49 Lage Jan Kötter 2 Lage/Helweg, Am Neuen Kamp<br />
50 Kwade Janna Colona 4 spät. Wilm<strong>in</strong>k; jetzt Rothe<br />
51 Kolthoff H. Colon 5 Kolthoff Jan, Holunderweg<br />
52 Bloemendal Hermans Kötter 3 h<strong>in</strong>ter Neerken; k<strong>e<strong>in</strong></strong> Wohnpl. mehr<br />
53 Neerken K. Colon 7 Neerken, Bathorner Diek<br />
139
2<br />
Haus- Name Stand Stimmen- Bew. aktuell(2008)<br />
Nr. zahl<br />
55 kl. Neerken W. Kötter 3 Neerken, Zur Braake<br />
56 Jeur<strong>in</strong>k H<strong>in</strong>dr. Kötter 1 Höllmann, Drosselweg<br />
57 ter Haar J.G. Kötter 2 ter Haar, Drosselweg<br />
59 Boll A.J. Colon 4 Boll, Bathorner Weg<br />
61 Wigger J. Kötter 3 Hans, Zur Braake<br />
62 Blömer J.H. Colon 6 Bleumer, Bathorner Weg 5<br />
63 Wiegm<strong>in</strong>k H. Colon 7 Wiegm<strong>in</strong>k, Bathorner Weg<br />
64 Koops J. Witwe Colona 6 Koops, Bathorner Weg<br />
65 Ens<strong>in</strong>k A. Colon 6 Ens<strong>in</strong>k, Am Voresch<br />
66 Harms Jan Colon 5 Harms-Ens<strong>in</strong>k, Am Voresch<br />
67 Harms J.H. Kötter 1 Tübbergen, Holunderweg<br />
Pöhler F. Pächter 1<br />
68 Brooksnieder Kötter 3 Brooksnieder, Holunderweg<br />
69 Blömer J.H. Kötter 2 Bleumer, Bathorner Weg 11<br />
70 Koelmann Jan Anbauer 1 Koelmann, Ölstraße<br />
71 Bonge G.J. Anbauer 1 Köcklar, Ölstraße<br />
72 Rasfeld H<strong>e<strong>in</strong></strong>r. Grenzaufseher a.D. 3 Egbers, Ölstraße<br />
73 Rott J. Anbauer 1 Doldersum, jetzt Slikkers, Böbbeldiek<br />
74 Warmer H.J. Kötter 2 Keen, R<strong>in</strong>ger Diek<br />
75 Beerl<strong>in</strong>k J.H. Kötter 1 Kotten, R<strong>in</strong>ger Diek<br />
76 Snieders H.J. Kötter 2 Snieders, R<strong>in</strong>ger Diek<br />
77 Warm<strong>in</strong>k A: Anbauer 1 Kortmann, R<strong>in</strong>ger Diek<br />
78 Snö<strong>in</strong>k J. Anbauer 1 Alter Hof Schnö<strong>in</strong>k, Ölstraße<br />
79 Schroven G.J. Anbauer 1 Nykamp, Böbbeldiek<br />
80 Nyhuis J. Pastor 1 Glüpker, Ölstraße<br />
81 Roelofs H. Kötter 1 Kieft, Bathorner Diek<br />
82 Westhuis K. Anbauer 1 Westhuis, Aulen Diek<br />
90 Kottmann J. Anbauer 1 Nakken, Bathorner Diek<br />
91 Hors<strong>in</strong>k A. Pächter 1 Derks, Bathorner Diek<br />
92 Bonge G. Anbauer 1 Günnemann, Hauptstraße (?)<br />
140<br />
GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />
Postkarte von etwa<br />
1910/1920 mit u.a.<br />
dem alten reformiertem<br />
Pastorat
L<strong>in</strong>ks:<br />
Bürgermeister Geert<br />
Schoemaker und Frau.<br />
Erster Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>devorsteher<br />
der neuen<br />
Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Hoogstede-<br />
Bathorn, 1891-1921<br />
Rechts:<br />
Hermann Hannebrook,<br />
Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>devorsteher<br />
Hoogstede-Bathorn,<br />
1923-1945<br />
Der Regierungspräsident sah immer noch<br />
k<strong>e<strong>in</strong></strong>e Gründe für <strong>e<strong>in</strong></strong>e Ausnahme (11. November<br />
1891) und stellte dem Landrat „ergebenst<br />
anheim, <strong>e<strong>in</strong></strong>en anderen Vorschlag zu machen,<br />
vielleicht durch Bildung <strong>e<strong>in</strong></strong>es Namens vermittelst<br />
Versetzung oder Anhängung <strong>e<strong>in</strong></strong>er<br />
Silbe an den Namen <strong>Arkel</strong>“. Wenige Monate<br />
später war die Angelegenheit dann doch endlich<br />
entschieden. Am 14. März 1892 gab das<br />
Landratsamt an die „Bentheimer“ und „Neuenhauser<br />
Zeitung“ folgende Bekanntmachung:<br />
„Der aus beiden Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den Bathorn<br />
und Hoogstede neu gebildeten Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de ist<br />
von dem Herrn Oberpräsidenten mit Genehmigung<br />
des Herrn M<strong>in</strong>isters des Inneren der<br />
Name Hoogstede-Bathorn beigelegt.“<br />
Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>devorsteher 1891<br />
Die Wahl des ersten Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>devorstehers (Bürgermeister)<br />
verlief teils parallel zu den oben<br />
dargestellten Vorgängen und auch nicht ganz<br />
ohne Schwierigkeiten. E<strong>in</strong> erster Anlauf endete<br />
am 29. Dezember 1890 damit, dass <strong>in</strong> der<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>berufenen Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>deversammlung die Mitglieder<br />
aus Hoogstede „mit großer Majorität“<br />
gegen diese Wahl protestierten, weil die jeweils<br />
gültigen Stimmordnungen der beiden beteiligten<br />
Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den auf verschiedenen Stimmrechtsklassen<br />
beruhten.<br />
Am 14. Februar 1891 fand dann <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong></strong>er<br />
weiteren Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>deversammlung unter „Zugrundelegung<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>es <strong>e<strong>in</strong></strong>heitlichen Stimmrechts“<br />
HOOGSTEDE UND BATHORN<br />
die Wahl des neuen Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>devorstandes statt.<br />
Zum Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>devorsteher wurde der „Colon“<br />
Gert Schoemaker (31 Jahre) gewählt, zum Beigeordneten<br />
Gert Hannebrook (32 Jahre). Schoemaker<br />
leistete am 4. März 1891 <strong>in</strong> Neuenhaus<br />
s<strong>e<strong>in</strong></strong>en Diensteid.<br />
Zur E<strong>in</strong>heitsgem<strong>e<strong>in</strong></strong>de<br />
Hoogstede 1968–1974<br />
Als der Rat der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Hoogstede am 23.<br />
Juni 1966 beschloss, bei dem früheren Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>denamen<br />
Hoogstede-Bathorn zu bleiben,<br />
waren nahezu 75 Jahre vergangen, seitdem<br />
dieser Name der damals neu gebildeten Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de<br />
verliehen wurde. Nachdem <strong>in</strong> den 60er<br />
Jahren die Zentralisierung im Schulwesen<br />
kont<strong>in</strong>uierlich voranschritt, wurde zunehmend<br />
auch über kom munale Gebietsreformen nachgedacht,<br />
mit dem Ziel, größere Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den<br />
zu schaffen. So formu lierte der Hoogsteder<br />
Rat bereits im Februar 1968 die Ansicht, „daß<br />
sich die Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den Scheerhorn, Berge,<br />
T<strong>in</strong>holt, Kalle und Hoogstede zu <strong>e<strong>in</strong></strong>er (Samt)<br />
Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de zusammenschließen sollten“. Wohl<br />
<strong>in</strong> Erwartung <strong>e<strong>in</strong></strong>er entsprechenden Entwicklung<br />
beschloss der Rat am 9. Dezember 1968,<br />
den Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>denamen zu ändern; der amtliche<br />
Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>dename war ab diesem Zeitpunkt<br />
„Hoogstede“.<br />
Im Laufe der Diskussion über <strong>e<strong>in</strong></strong>e umfassende<br />
Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>dereform wurden viele Ideen<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>gebracht und zahlreiche Pläne entwickelt.<br />
141
2<br />
Als klar wurde, dass um die größeren <strong>Ort</strong>e<br />
Emlichheim, Neuenhaus und Uelsen herum<br />
Samtgem<strong>e<strong>in</strong></strong>den gebildet werden sollten, verbreitete<br />
sich im Raum Hoogstede große Unsicherheit<br />
über die Zuordnung.<br />
In dieser Situation starteten die Bürgermeister<br />
Koops (Scheerhorn), Harms-Ens<strong>in</strong>k<br />
(Hoogstede), Harms-Ens<strong>in</strong>k (T<strong>in</strong>holt) und der<br />
Ratsherr Hoppen (Osterwald) mit Unterstützung<br />
des Oberkreisdirektors Dr. Terwey <strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />
ernsthafte Initiative zur Bildung <strong>e<strong>in</strong></strong>er ländlichen<br />
Samtgem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Hoogstede/Osterwald mit<br />
Sitz <strong>in</strong> Osterwald/Ölbahnhof.<br />
Als mögliche Mitgliedsgem<strong>e<strong>in</strong></strong>den wurden<br />
im Hoogsteder Ratsprotokoll vom 14. August<br />
1971 genannt: Bimolten, Hohenkörben N.<br />
und S., Georgsdorf, Alte Piccardie, Osterwald,<br />
Esche, Berge, Scheerhorn, T<strong>in</strong>holt und eventuell<br />
Neur<strong>in</strong>ge und Kalle. Aber es gab von<br />
Anfang an Zweifel an der Durchsetzung des<br />
Vorhabens; denn im gleichen Protokoll heißt<br />
es: „Bei nicht Zustandekommen wählt die<br />
Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Hoogstede mit Rücksicht auf die<br />
Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den Scheerhorn/Berge den Nahbereich<br />
Neuenhaus.“<br />
142<br />
GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />
Bürgermeister Jan Harms-Ens<strong>in</strong>k im Bürgermeisterzimmer (Willy Friedrich)<br />
Die ganze Unsicherheit und Verwirrung <strong>in</strong><br />
der damaligen Situation zeigt sich <strong>in</strong> Vorgängen,<br />
die sich im Hoogsteder Umfeld abspielten.<br />
Da immer wieder <strong>e<strong>in</strong></strong>e M<strong>in</strong>destgröße von<br />
400 E<strong>in</strong>wohnern als unterste Grenze für den<br />
Fortbestand von Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den genannt wurde,<br />
beschloss Scheerhorn am 30. Juli 1971 <strong>e<strong>in</strong></strong>en<br />
Anschluss an Hoogstede. K<strong>e<strong>in</strong></strong>e zwei Wochen<br />
später, am 12. August 1971, trafen die Räte von<br />
T<strong>in</strong>holt und Berge <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong></strong>er gem<strong>e<strong>in</strong></strong>schaftlichen<br />
Sitzung für ihre Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den auch <strong>e<strong>in</strong></strong>en Ver<strong>e<strong>in</strong></strong>igungsbeschluss.<br />
Wirkliche Bedeutung erlangten<br />
die Beschlüsse <strong>in</strong> der weiteren Entwicklung<br />
der Kommunalreform allerd<strong>in</strong>gs nicht.<br />
Die entscheidende Wende im Ablauf des<br />
Geschehens kam Anfang Januar 1973, als sich<br />
die Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den Alte-Piccardie, Esche, Georgsdorf,<br />
Höhenkörben-V., Lage und Osterwald<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>deutig für die Bildung <strong>e<strong>in</strong></strong>er Samtgem<strong>e<strong>in</strong></strong>de<br />
Neuenhaus aussprachen. Damit war der Plan<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>er ländlichen Samtgem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Hoogstede/<br />
Osterwald vom Tisch.<br />
Nun fiel auch im Raum Hoogstede schnell<br />
die Entscheidung: In <strong>e<strong>in</strong></strong>er <strong>in</strong> der Gaststätte<br />
Engler veranstalteten gem<strong>e<strong>in</strong></strong>samen Sitzung
<strong>Ort</strong>s<strong>e<strong>in</strong></strong>gang<br />
Hoogstede von<br />
Scheerhorn aus,<br />
etwa 1960/65<br />
(Willy Friedrich)<br />
der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>devertretungen aus Hoogstede,<br />
Kalle, T<strong>in</strong>holt, Berge, und Scheerhorn am 15.<br />
Januar 1973 wurde beschlossen, <strong>e<strong>in</strong></strong>e Gem<strong>e<strong>in</strong></strong> de<br />
Hoogstede zu bilden und sie der Samtgem<strong>e<strong>in</strong></strong>de<br />
Emlichheim anzuschließen. Mit <strong>e<strong>in</strong></strong>em<br />
förmlichen „Gebietsänderungsvertrag“ am 11.<br />
Mai 1973 besiegelten die oben genannten Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den<br />
den Zusammenschluss zur neuen Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de<br />
Hoogstede. Die Unterzeichner waren für<br />
Berge Kuite (Bürgermeister);<br />
Keute (Ratsherr)<br />
Hoogstede Harms-Ens<strong>in</strong>k (Bgm);<br />
Schöppner (Rh)<br />
Kalle Schroven (Bgm)<br />
Wortel (Rh)<br />
Scheerhorn Koops (Bgm)<br />
Scholte (Rh)<br />
T<strong>in</strong>holt Harms-Ens<strong>in</strong>k (Bgm)<br />
Jonker (Rh)<br />
Jan H<strong>in</strong>drik Koops, Bürgermeister von Hoogstede<br />
1974-1996 (Johann Kemkers)<br />
HOOGSTEDE UND BATHORN<br />
Bürgermeister Koops wurde am 11. Januar<br />
1974 als Interimsbürgermeister <strong>e<strong>in</strong></strong>stimmig<br />
gewählt. Die erste Interimsratssitzung der<br />
neuen Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Hoogstede fand am 7. März<br />
1974 statt.<br />
Mit den Kommunalwahlen am 10. Juni<br />
1974 kam die Gebietsreform zum Abschluss.<br />
Zum ersten Bürgermeister wählte der Rat der<br />
neuen Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Hoogstede Jan H<strong>in</strong>drik<br />
Koops aus Scheerhorn.<br />
Bürgermeister<br />
(Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>devorsteher; Scholten)<br />
Hoogstede<br />
Jöhr<strong>in</strong>g, J. um 1830<br />
Hannebrook um 1843<br />
Stroot, H. um 1850<br />
Kalman bis 1891<br />
Bathorn<br />
Blömer, J. H. um 1830<br />
Schoemaker um 1843<br />
Kwade um 1850<br />
Harms, Jan bis 1891<br />
Hoogstede-Bathorn<br />
(ab 1891; ab 1968 Hoogstede)<br />
Schoemaker, Gert 1891–1921<br />
Köster, H<strong>in</strong>drik 1921–1923<br />
Hannebrook, Hermann 1923–1944<br />
Kolthoff, Harm 1944–1945<br />
Köster, H<strong>in</strong>drik 1945–1946<br />
(von Militärregierung <strong>e<strong>in</strong></strong>gesetzt)<br />
Harms-Ens<strong>in</strong>k, Jan 1946–1973<br />
(erste freie Wahl nach dem Krieg)<br />
Schöppner, Dietrich 1974–1974<br />
Hoogstede (E<strong>in</strong>heitsgem<strong>e<strong>in</strong></strong>de ab 1974)<br />
Koops, Jan H<strong>in</strong>drik 1974–1996<br />
Ens<strong>in</strong>k, Jan 1996–<br />
Quellen:<br />
Staatsarchiv Osnabrück; Rep 450 Nr. 102;<br />
Rep 450 Bent II Nr. 352<br />
Zager Gerrit Jan; Der Grafschafter, Beilage<br />
der Grafschafter Nachrichten GN 25.02.2002<br />
Santel, Gregor; Neur<strong>in</strong>ge – Die Entstehung <strong>e<strong>in</strong></strong>er<br />
Moorgem<strong>e<strong>in</strong></strong>de, Bentheimer Jahrbuch 1991 S.197 f.<br />
Protokollbücher der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den<br />
Hoogstede, Scheerhorn, T<strong>in</strong>holt<br />
143
2<br />
Unglücksfall: Jan Harms-Ens<strong>in</strong>k †,<br />
27 Jahre Bürgermeister<br />
Willy Friedrich, GN 22. Dezember 1973<br />
„Im Alter von 74 Jahren ist der Bürgermeister<br />
Jan Harms-Ens<strong>in</strong>k an den Folgen <strong>e<strong>in</strong></strong>es tragischen<br />
Verkehrsunfalls gestorben. Auf dem<br />
Heimweg von <strong>e<strong>in</strong></strong>er dienstlichen Besprechung<br />
wurde er mit s<strong>e<strong>in</strong></strong>em Fahrrad auf der glatten<br />
Fahrbahn von <strong>e<strong>in</strong></strong>em <strong>in</strong>s Rutschen gekommene<br />
Fahrzeug erfaßt und zu Boden geschleudert.<br />
Mit der Familie Harms-Ens<strong>in</strong>k trauert die<br />
Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Hoogstede um ihren „ersten Bürger“.<br />
27 Jahre war der Verstorbene Bürgermeister.<br />
In schwerer Zeit, unmittelbar nach<br />
dem Zweiten Weltkrieg, wurde er auf diesen<br />
Posten berufen. Die Hauptsorge galt <strong>in</strong> jenen<br />
Tagen den vielen Vertriebenen, die <strong>in</strong> dem<br />
ehemaligen Gefangenenlager Bathorn und auf<br />
den Bauernhöfen <strong>in</strong> Hoogstede untergebracht<br />
waren. Mit Umsicht und Tatkraft g<strong>in</strong>g Jan<br />
Harms-Ens<strong>in</strong>k, gestützt von den übrigen Mitgliedern<br />
des Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>derates, ans Werk.<br />
Langsam normalisierten sich die Verhältnisse.<br />
Das Schulwesen mußte ausgebaut werden.<br />
Überdies hatten immer mehr Bauwillige<br />
den Wunsch, sich <strong>in</strong> Hoogstede seßhaft zu<br />
machen. Die <strong>Evangelisch</strong>e Volksschule wurde<br />
erweitert, für die Katholische Schule entstand<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong> Neubau. Auch <strong>in</strong> den Folgejahren stand<br />
die Entwicklung nicht still. Das Wegenetz befand<br />
sich <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong></strong>em katastrophalen Zustand,<br />
die Tr<strong>in</strong>kwasserversorgung war unzulänglich.<br />
Gründlicher Wandel wurde geschaffen.<br />
Heute hat Hoogstede <strong>e<strong>in</strong></strong> modernes Schulzentrum<br />
und <strong>e<strong>in</strong></strong>e neue Turnhalle. Große Baugebiete<br />
wurden ausgewiesen. Im Augenblick<br />
beschäftigte Jan Harms-Ens<strong>in</strong>k sich <strong>in</strong>tensiv<br />
mit <strong>e<strong>in</strong></strong>em weiteren Bebauungsplan für das<br />
Gebiet Wolters. Die <strong>Ort</strong>sdurchfahrt hat durch<br />
die Schaffung <strong>e<strong>in</strong></strong>es Rad- und Gehweges und<br />
die Montage <strong>e<strong>in</strong></strong>er Straßenbeleuchtung <strong>e<strong>in</strong></strong><br />
neues Gesicht bekommen.<br />
27 Jahre Kommunalarbeit an verantwortungsvoller<br />
Stelle bedeutet für <strong>e<strong>in</strong></strong>en Landbürgermeister<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong> großes Opfer an Arbeitskraft<br />
und persönlicher Freizeit. Der Verstorbene hat<br />
dieses Opfer immer gern gebracht, wenn s<strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />
eigene Landwirtschaft – vor allem <strong>in</strong> früheren<br />
Jahren – auch <strong>e<strong>in</strong></strong>mal darunter leiden mußte.<br />
144<br />
GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />
Jan Harms-Ens<strong>in</strong>k lebt nicht mehr. „S<strong>e<strong>in</strong></strong>e“<br />
Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de, für die <strong>in</strong> schlechten und guten<br />
Zeiten immer <strong>e<strong>in</strong></strong> ehrlicher und aufrichtiger<br />
Sachwalter war, wird s<strong>e<strong>in</strong></strong> Andenken <strong>in</strong> Ehren<br />
halten. W. F.<br />
Drei Kommunalpolitiker<br />
fast 100 Jahre im Amt<br />
Willy Friedrich <strong>in</strong> den GN, 28. Juli 1980<br />
„Die früheren Bürgermeister, Jan Harms-Ens<strong>in</strong>k<br />
(T<strong>in</strong>holt), H<strong>in</strong>drik-Jan Keute (Berge) und<br />
Johann Schroven (Kalle), haben sich um ihre<br />
Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den verdient gemacht. Das war der<br />
Tenor <strong>e<strong>in</strong></strong>er schlichten Feierstunde, die am<br />
Frei tagabend im Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>debüro von Hoogstede<br />
stattfand. Bürgermeister Jan H<strong>in</strong>drik<br />
Koops würdigte das erfolgreiche Wirken der<br />
drei Kom munalpolitiker, die <strong>in</strong>sgesamt fast<br />
100(!) Jahre ehrenamtlich für ihre Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den<br />
tätig s<strong>in</strong>d. Im Zuge der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>dereform nahmen<br />
sie 1974 Abschied von ihren Bürgermeisterämtern.<br />
Seither arbeiten sie tatkräftig im<br />
Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>derat von Hoogstede beziehungsweise<br />
<strong>in</strong> der Samtgem<strong>e<strong>in</strong></strong>de mit.<br />
In s<strong>e<strong>in</strong></strong>er Laudatio g<strong>in</strong>g Bürgermeister<br />
Koops auf die Arbeit der geehrten Kommunalpolitiker<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>. S<strong>e<strong>in</strong></strong>e Rückschau wurde zu<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>em Stück Zeitgeschichte: H<strong>in</strong>drik-Jan<br />
Keute aus Berge war bereits <strong>in</strong> den Jahren von<br />
1937 bis 1943 Bürgermeister. Nach s<strong>e<strong>in</strong></strong>er Entlassung<br />
aus der Kriegsgefangenschaft kehrte<br />
er 1950 <strong>in</strong> den Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>derat zurück. 1951<br />
wurde er Schulverbandsvorsteher für Scheerhorn-Berge.<br />
Als 1974 die Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>dereform<br />
kam, mußte er s<strong>e<strong>in</strong></strong> Bürgermeisteramt abgeben.<br />
Fortan arbeitete er im Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>derat von<br />
Hoogstede mit.<br />
Wie <strong>in</strong> Berge, so g<strong>in</strong>g auch <strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt – mit<br />
der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>dereform – die kommunale Eigenständigkeit<br />
verloren. Jan Harms-Ens<strong>in</strong>k gehört<br />
dem Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>derat von T<strong>in</strong>holt seit 1942 an. Bis<br />
1949 g<strong>in</strong>g s<strong>e<strong>in</strong></strong>e erste Amtsperiode. Dann wurde<br />
er 1954 erneut <strong>in</strong> den Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>derat gewählt. Er<br />
übernahm das Amt des Bürgermeisters, das er<br />
bis 1974 verwaltete. Seit 1974 ist Harms-Ens<strong>in</strong>k<br />
Mitglied des Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>derates <strong>in</strong> Hoogstede<br />
und des Samtgem<strong>e<strong>in</strong></strong>derates Emlichheim.<br />
Johann Schroven wurde 1952 Mitglied des<br />
Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>derates und Bürgermeister der Ge-
Bürgermeister Koops,<br />
H. J. Keute,<br />
J. Schroven und<br />
J. Harms-Ens<strong>in</strong>k<br />
(GN 27.07.80)<br />
m<strong>e<strong>in</strong></strong>de Kalle. Auch er verwaltete s<strong>e<strong>in</strong></strong> Amt<br />
bis 1974, um dann <strong>in</strong> den Rat der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de<br />
Hoogstede und der Samtgem<strong>e<strong>in</strong></strong>de gewählt zu<br />
werden.<br />
Wie Bürgermeister Koops sagte, zeichnen<br />
die drei Geehrten sich durch Bescheidenheit,<br />
Fleiß und Pflichterfüllung aus. Sie seien –<br />
nach der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>dereform – nicht „mit fliegenden<br />
Fahnen“ nach Hoogstede gegangen.<br />
Wenn es trotzdem zu <strong>e<strong>in</strong></strong>er konstruktiven<br />
Zusammenarbeit der Altgem<strong>e<strong>in</strong></strong>den Berge,<br />
Scheerhorn, Kalle und T<strong>in</strong>holt <strong>in</strong> der jetzigen<br />
Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Hoogstede gekommen sei, dann sei<br />
das nicht zuletzt der Weitsicht dieser „Männer<br />
der ersten Stunde“ zu verdanken.<br />
Jan Harms-Ens<strong>in</strong>k, H<strong>in</strong>drik Jan Keute und<br />
Johann Schroven schlossen sich im gleichen<br />
S<strong>in</strong>ne an und bedankten sich. Sie wiesen auf<br />
die Probleme h<strong>in</strong>, mit denen die kl<strong>e<strong>in</strong></strong>en Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>st zu kämpfen hatten. Die <strong>in</strong>nere<br />
Verkehrslage sei miserabel gewesen. Sehr viel<br />
habe man für die Schulen tun müssen und<br />
unter großen Opfern getan. Weiter machten sie<br />
auf die umfangreichen wasserwirtschaftlichen<br />
und landeskulturellen Maßnahmen aufmerksam,<br />
die zur allgem<strong>e<strong>in</strong></strong>en Strukturverbesserung<br />
beitrugen.<br />
Zufrieden äußerten die drei sich über<strong>e<strong>in</strong></strong>stimmend<br />
mit der jetzigen Kommunalarbeit. Innerhalb<br />
der neuen Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Hoogstede mit<br />
ihren gut 2500 E<strong>in</strong>wohnern herrsche <strong>e<strong>in</strong></strong> beispielhaftes<br />
Zusammengehörigkeitsgefühl. Damit<br />
seien die Voraussetzungen für <strong>e<strong>in</strong></strong> konstruktives<br />
Mit<strong>e<strong>in</strong></strong>ander gegeben. Daß diese Zusammenarbeit<br />
darüber h<strong>in</strong>aus harmonisch verlaufe, sei <strong>in</strong><br />
starkem Maße der <strong>in</strong>tegrierenden Kraft des Bürgermeisters<br />
Koops zu verdanken.<br />
HOOGSTEDE UND BATHORN<br />
Als ehemaliger Bürgermeister <strong>e<strong>in</strong></strong>er kl<strong>e<strong>in</strong></strong>en<br />
Landgem<strong>e<strong>in</strong></strong>de, die seit eh und je <strong>e<strong>in</strong></strong>e <strong>in</strong> sich<br />
geschlossene „kl<strong>e<strong>in</strong></strong>e Welt“ sei, gebe man s<strong>e<strong>in</strong></strong>en<br />
„Besitzstand“ naturgemäß nicht gerne auf.<br />
Aus diesem Blickw<strong>in</strong>kel betrachtet ersch<strong>e<strong>in</strong></strong>e es<br />
besonders erfreulich, daß auch <strong>in</strong>nerhalb des<br />
Zusammenschlusses mit Hoogstede nach wie<br />
vor <strong>e<strong>in</strong></strong> <strong>in</strong>taktes Eigenleben <strong>in</strong> den ehemals<br />
selbständigen <strong>Ort</strong>steilen bestehe. Das werde<br />
auch weiterh<strong>in</strong> so bleiben.<br />
Bleibt noch zu sagen, daß die Kommunaljubilare<br />
über ihre Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>dearbeit h<strong>in</strong>aus nach<br />
wie vor mehrere Aufgaben im öffentlichen<br />
Leben wahrnehmen.“<br />
Bürgermeister Jan H<strong>in</strong>drik Koops seit<br />
25 Jahren Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>deratsvorsitzender<br />
Friedrich Gerlach <strong>in</strong> den GN<br />
8. November 1993<br />
„Viel Lob, Glückwünsche und Geschenke gab<br />
es am vergangenen Freitag <strong>in</strong> Emlichheim für<br />
Hoogstedes langjährigen Bürgermeister Jan<br />
H<strong>in</strong>drik Koops. Vertreter der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de, der<br />
Samtgem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Emlichheim, des Kreises, des<br />
Städte- und Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>debundes sowie der<br />
Hoogsteder Ver<strong>e<strong>in</strong></strong>e ehrten den 68jährigen für<br />
s<strong>e<strong>in</strong></strong>e 25-jährige Tätigkeit als Ratsvorsitzender<br />
und würdigten sei kommunalpolitisches<br />
Engagement, <strong>in</strong> dessen Mittelpunkt stets der<br />
Mensch gestanden habe.<br />
Erster Gratulant während der Feierstunde<br />
anläßlich des Jubiläums im Emlichheimer<br />
Hotel Hermann war für den Hoogsteder Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>derat<br />
der stellvertretende Bürgermeister,<br />
Dieter Schowe. Er ließ zunächst den kommunalpolitischen<br />
Werdegang von Jan H<strong>in</strong>drik<br />
Koops Revue passieren, der 1961 Mitglied des<br />
Rates der damals noch selbständigen Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de<br />
Scheerhorn und 7 Jahre später (1968)<br />
zu ihrem Bürgermeister gewählt wurde. Nachdem<br />
im Zuge der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>dereform die Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den<br />
Hoogstede, Kalle, T<strong>in</strong>holt, Berge und<br />
Scheerhorn zusammen gefaßt worden waren,<br />
stand Koops ab 1974 auch an der Spitze des<br />
Rates der neuen Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Hoogstede. Zuvor<br />
war er bereits <strong>in</strong> den Emlichheimer Samtgem<strong>e<strong>in</strong></strong>derat<br />
und 1972 für die CDU auch <strong>in</strong> den<br />
Grafschafter Kreistag berufen worden. 1981<br />
trat er zudem als Nachfolger von Hermann<br />
145
2<br />
Wiefer<strong>in</strong>k das Amt de Emlichheimer Samtgem<strong>e<strong>in</strong></strong>debürgermeisters<br />
an. Koops ist ferner seit<br />
Anfang der 80er Jahre Vorsteher des Zweckverbandes<br />
der Musikschule Niedergrafschaft.<br />
Im Namen der Hoogsteder Bürger sprach<br />
Dieter Schowe dem Jubilar Dank für s<strong>e<strong>in</strong></strong>e „oft<br />
schwere und mühevolle Arbeit“ zum Wohl der<br />
Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de und ihrer E<strong>in</strong>wohner aus. Als verantwortungsbewußter<br />
Politiker habe Koops<br />
das Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>wohl stets als Richtschnur s<strong>e<strong>in</strong></strong>es<br />
Handelns betrachtet. Der Bürger habe sich<br />
dabei immer auf ihn verlassen können.<br />
Auch Landrat Nonno de Vries, der Koops<br />
für den Kreis <strong>e<strong>in</strong></strong>e Urkunde überreichte, anerkannte<br />
den „großartigen E<strong>in</strong>satz“ des Bürgermeisters<br />
für das Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>wesen <strong>in</strong> den vergangenen<br />
Jahrzehnten. Koops sei immer<br />
wieder bereit gewesen, sich <strong>in</strong> den Dienst der<br />
Allgem<strong>e<strong>in</strong></strong>heit zu stellen und immer wieder<br />
hätten ihm die Bürger „außerordentliches Vertrauen“<br />
entgegengebracht.<br />
Der Emlichheimer Samtgem<strong>e<strong>in</strong></strong>dedirektor,<br />
Horst Kammel, nannte den Hoogsteder Bürgermeister<br />
unter anderem <strong>e<strong>in</strong></strong>en „Mann, der für<br />
alle Zeit hat“. Vielen Menschen habe Koops<br />
während s<strong>e<strong>in</strong></strong>er Amtstätigkeit helfen können,<br />
s<strong>e<strong>in</strong></strong> Engagement gründe nicht zuletzt <strong>in</strong> der<br />
tiefen Verwurzelung im christlichen Glauben.<br />
Für den Kreisverband des Städte- und Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>debundes<br />
gratulierte Koops` Osterwalder<br />
Amtskollege S<strong>in</strong>us Hoppen zum Bürgermeis -<br />
146<br />
GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />
terjubiläum. Er zeichnete ihn zudem im Na -<br />
men des Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>debundes mit <strong>e<strong>in</strong></strong>er silbernen<br />
Ehrennadel und <strong>e<strong>in</strong></strong>er Urkunde des Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>debundes<br />
aus.<br />
An Koops` enge Verbundenheit mit der<br />
Hoogsteder Schule er<strong>in</strong>nerte ihr Leiter Johann<br />
Kemkers <strong>in</strong> s<strong>e<strong>in</strong></strong>em Grußwort. „Der Mensch ist<br />
die Hauptsache“ sei stets Leitgedanke der Arbeit<br />
von Jan H<strong>in</strong>drik Koops gewesen, und dafür<br />
seien ihm viele dankbar.<br />
Für die Hoogsteder Ver<strong>e<strong>in</strong></strong>e kam der Sportver<strong>e<strong>in</strong></strong>svorsitzende<br />
H<strong>e<strong>in</strong></strong>rich Keen zu Wort. Ob<br />
Schützenver<strong>e<strong>in</strong></strong>e, Rotes Kreuz, Feuerwehr, Feuerwehr,<br />
Landjugend oder Sportver<strong>e<strong>in</strong></strong> – für alle<br />
Hoogsteder Ver<strong>e<strong>in</strong></strong>e sei Koops <strong>e<strong>in</strong></strong> stets „treusorgender<br />
Vater“ gewesen, m<strong>e<strong>in</strong></strong>te Keen. Das<br />
bewiesen auch die zahlreichen Ver<strong>e<strong>in</strong></strong>s<strong>e<strong>in</strong></strong>richtungen<br />
<strong>in</strong> Hoogstede, die mit Unterstützung der<br />
Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de und ihres Bürgermeisters <strong>in</strong> den vergangenen<br />
Jahren und Jahrzehnten geschaffen<br />
werden konnten. Auf das breite soziale Engagement<br />
des Jubilars, der damit auch <strong>e<strong>in</strong></strong>en<br />
Dienst am Frieden geleistet habe, machte<br />
schließlich für den Reichsbund Jakobus Hessels<br />
aufmerksam. Und Regierungsdirektor Wolfgang<br />
Persike vom Mep pener Amt für Agrarstruktur<br />
wies auf die vielfältigen Verb<strong>in</strong>dungen h<strong>in</strong>, die<br />
bei der erfolgreichen Zusammenarbeit <strong>in</strong> Flurber<strong>e<strong>in</strong></strong>igungsverfahren<br />
oder bei der Dorferneuerung<br />
zwischen Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Hoogstede und<br />
der Behörde entstanden seien. „<br />
Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>derat<br />
Hoogstede, 2008<br />
Vorne:<br />
Gisela Scholten-Meil<strong>in</strong>k,<br />
Hannegret Scholten,<br />
Jan Ens<strong>in</strong>k,<br />
Fritz Berends,<br />
Gisela Glüpker,<br />
h<strong>in</strong>ten:<br />
Jan Harms-Ens<strong>in</strong>k,<br />
Helmut Sleefenboom,<br />
Günter Meyer<strong>in</strong>k,<br />
Rudi Jahnke,<br />
R<strong>e<strong>in</strong></strong>hard Middendorf,<br />
Johann Wortelen,<br />
Berend Hübel und<br />
Dieter Schowe<br />
(Fritz Berends)
Dr. Ernst Kühle,<br />
Über Bathorn – Hoogstede<br />
Aus „Der Grafschafter“ September 1969,<br />
S. 646–647 (Folge 198-200)<br />
Mittelpunktslage<br />
Hoogstede ist Anlieger des rechten Vechteufers<br />
auf <strong>e<strong>in</strong></strong> wenig mehr als zwei Kilometer<br />
Luftl<strong>in</strong>ie. Ackerlandplatten mit Eschfluren treten<br />
dicht an die Vechte heran, so daß der Kern<br />
der Siedlung nahe am Fluß gelegen ist. Die<br />
Vechte verlegte ihren Lauf von Westen nach<br />
Osten wie tote Flußschl<strong>in</strong>gen am l<strong>in</strong>ken Ufer,<br />
durch Flußsande abgeschnürt, bestätigen.<br />
Hoog stede überholte die Nachbargem<strong>e<strong>in</strong></strong>den,<br />
die sich wie <strong>e<strong>in</strong></strong>e Kette von Veldhausen bis<br />
Emlichheim mit durchschnittlicher <strong>Ort</strong>sentfernung<br />
von nur 2 km an<strong>e<strong>in</strong></strong>ander reihen, <strong>in</strong><br />
Größe und Bedeutung. Das hat s<strong>e<strong>in</strong></strong>en Grund<br />
<strong>in</strong> der topographischen und Mittelpunktslage.<br />
Die mittelalterlichen Handelsplätze lagen etwa<br />
20 km von<strong>e<strong>in</strong></strong>ander, weil diese Strecke von<br />
Pferdegespannen im Laufe <strong>e<strong>in</strong></strong>es Tages zurückzulegen<br />
war. Die Heerstraße zwischen<br />
Emlichheim und Neuenhaus nahm nicht den<br />
kürzeren, aber tiefer gelegenen Weg am l<strong>in</strong>ken<br />
Ufer, der den Vechtebogen hätte abschneiden<br />
können, sondern, um der besseren<br />
Höhenlage willen über Hoogstede. Diese Höhenlage,<br />
dazu die besseren Böden die neben<br />
Viehhaltung auch Brotfruchtbau erlauben, bewirken<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>e größere Siedlungsdichte. Mit der<br />
<strong>Ort</strong>sdichte stieg die Verkehrsdichte.<br />
1890 erhielt der Ostuferweg <strong>e<strong>in</strong></strong>e feste<br />
Straßendecke, später stufte man ihn zur L 44<br />
auf. Der Straße folgte die Eisenbahn; 1908 erhielt<br />
Hoogstede <strong>e<strong>in</strong></strong>en Bahnhof. Der Weg zum<br />
Kaufmann und zum Handwerker <strong>in</strong> der Stadt<br />
war weit. Dem Bedürfnis, notwendige Bedarfsgüter<br />
im <strong>Ort</strong> herzustellen, gaben die Behörden<br />
nach.<br />
Besonders <strong>in</strong> der Franzosenzeit siedelten<br />
sich Gewerbebetriebe an. Von den sieben Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den<br />
von Esche bis Kl<strong>e<strong>in</strong></strong>r<strong>in</strong>ge besitzt nur<br />
Hoogstede <strong>Kirche</strong>n, und zwar je <strong>e<strong>in</strong></strong>e der vier<br />
Bekenntnisse. Mit der Eisenbahn kamen der<br />
M<strong>in</strong>eraldünger, das Baumaterial und andere<br />
Bedarfsgüter <strong>in</strong> den <strong>Ort</strong>, und die im Bereich<br />
erzeugten Produkte konnten weiterbefördert<br />
HOOGSTEDE UND BATHORN<br />
werden So entstanden am Bahnhof Niederlassungen<br />
und verarbeitende Betriebe, <strong>in</strong>sgesamt<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong> beachtliches Handels- und Gewerbezentrum.<br />
Die angegliederte Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de, auf erhöhtem<br />
Landrücken <strong>in</strong>s Moor vorspr<strong>in</strong>gend, was im<br />
Namen Bathorn, bessere Spitze, zum Ausdruck<br />
kommt, greift nach Osten <strong>in</strong>s Moor <strong>e<strong>in</strong></strong>,<br />
das hier abgetorft, entwässert, umgebrochen<br />
und besiedelt wurde. Die gem<strong>e<strong>in</strong></strong>same Mark<br />
umfaßte zugleich auch die von Kalle, T<strong>in</strong>holt,<br />
Scheerhorn und Berge ...<br />
<strong>Ort</strong>s<strong>e<strong>in</strong></strong>fahrt Hoogstede von Scheerhorn aus.<br />
L<strong>in</strong>ks Haus Vette, etwa um 1925, Jan Vette und Lehrer<br />
Fritz Voltmer (Harm Kuiper)<br />
1885 Kreis Grafschaft Bentheim<br />
1885 entstand aus dem Großkreis L<strong>in</strong>gen der<br />
Kreis Grafschaft Bentheim mit <strong>e<strong>in</strong></strong>em Hilfsamt<br />
<strong>in</strong> Neuenhaus. 1886–1920 sorgte Landrat Kriege<br />
für den Fortgang der Melorierungsmaßnahmen<br />
und des Straßenbaus. 1890 erhielt der<br />
Heerweg über Hoogstede <strong>e<strong>in</strong></strong>e feste St<strong>e<strong>in</strong></strong>decke.<br />
Die 1896 angelegte Teilstrecke der<br />
Bentheimer Eisenbahn erfuhr 10 Jahre später<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>e Verlängerung über Hoogstede nach Emlichheim.<br />
Hoogstede erhielt <strong>e<strong>in</strong></strong>en Bahnhof,<br />
der bald <strong>in</strong> Personen- und Güterverkehr Bedeutung<br />
gewann. Die geförderten Raseneisenerze<br />
verlud man meist <strong>in</strong> Hoogstede. Die Technik<br />
fand E<strong>in</strong>gang <strong>in</strong> den bäuerlichen Betrieb.<br />
Im neuen Jahrhundert stellte sich die landwirtschaftliche<br />
W<strong>in</strong>terschule Neuenhaus 1903<br />
<strong>in</strong> den Dienst der Berufsausbildung des bäuerlichen<br />
Nachwuchses. Das Krankenhaus <strong>in</strong><br />
Neuenhaus übernahm den Gesundheitsschutz<br />
der Niedergrafschaft. Nach dem Weltkriege<br />
setzte Landrat Bön<strong>in</strong>ger, 1920–31, die Kulturmaßnahmen<br />
s<strong>e<strong>in</strong></strong>es Vorgängers fort. Die Elek-<br />
147
2<br />
trizitätsversorgung des Kreises versah die<br />
bäuerlichen Betriebe mit <strong>e<strong>in</strong></strong>er neuen Energiequelle.<br />
Herdbuchgesellschaften, Versuchsr<strong>in</strong>ge,<br />
Bezugs- und Absatzgenossenschaften,<br />
Tierzuchtverbände halfen, die Erträge zu<br />
steigern. Das Kreiswiesenbauamt bemühte<br />
sich um Strukturverbesserung des Grünlandes.<br />
In Hoogstede stellte sich die Spar und Darlehnskasse<br />
1923 <strong>in</strong> den Dienst Geldverkehrs;<br />
die Posthilfsstelle 1933 diente dem Nachrichtenverkehr.<br />
1933 besaßen Hoogstede und Bathorn<br />
262 ha Ankerland, 108 ha Wiesen und<br />
180 ha Weiden; es gab 91 landwirtschaftliche<br />
Betriebe, darunter 9 größere, 57 kl<strong>e<strong>in</strong></strong>ere Höfe,<br />
12 Neubauern. 14 Heuer, <strong>in</strong>sgesamt 710 E<strong>in</strong>wohner.<br />
25 gewerbliche Betriebe hatten sich<br />
<strong>in</strong> Hoogstede angesiedelt; sie behaupteten sich<br />
zwischen Veldhausen mit 47 und Emlichheim<br />
mit 65 Handwerksbetrieben.<br />
Kulturmaßnahmen 1937<br />
Als beispielhaft können die Kulturmaßnahmen<br />
im Raum Hoogstede-Bathorn gelten, über<br />
die W. Friedrich <strong>in</strong> den Grafschafter Nachrichten<br />
unterrichtete. Das Wasserwirtschaftsamt<br />
Osnabrück richtete 1937 <strong>e<strong>in</strong></strong>e Nebenstelle<br />
die Kulturbauleitung Hoogstede <strong>e<strong>in</strong></strong>. E<strong>in</strong>e Barackenunterkunft,<br />
1938, enthielt 2 Büroräume<br />
und Wohnung für 14 Arbeitskräfte. Bald gab<br />
es 13 Dieselloks und 20 km Feldbahn, die 90<br />
Stammarbeitern und weiteren Arbeitskräften<br />
des Reichsarbeitsdienstes dienten.<br />
1939 übernahm die Justizverwaltung das<br />
Lager Bathorn und setzte Strafgefangene zur<br />
Arbeit <strong>e<strong>in</strong></strong>, die unter anderem den Bathorner<br />
Diek befestigten. Nach Ausbruch des Krieges<br />
beschäftigte man auch Kriegsgefangene. Nun<br />
übernahm die Wehrmacht das Lager und<br />
führte die Arbeiten bis zur Schleuse weiter<br />
und darüber h<strong>in</strong>aus bis zum Lager Alexisdorf<br />
und Neur<strong>in</strong>ge. Der Arbeitsdienst hatte bereits<br />
900 ha entwässert als die Kriegsjahre <strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />
E<strong>in</strong>schränkung der Arbeiten im Moor erforderten.<br />
Ab 1940 konnte man nur noch kl<strong>e<strong>in</strong></strong>ere<br />
Abteilungen beschäftigen.<br />
1941 übernahm das Wasserwirtschaftsamt<br />
Meppen die nunmehr nach Bathorn verlegte<br />
Leitung. Nach dem Kriege begann man 1946<br />
aufs neue mit den Kulturarbeiten und be-<br />
148<br />
GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />
schäftigte Vertrieben von denen etwa 500 im<br />
Lager Bathorn untergebracht waren. Zunächst<br />
waren nur drei Dieselloks verfügbar; ab 1947<br />
jedoch, als man die Arbeiten <strong>in</strong> größerem Maße<br />
wieder aufnahm, waren 140 Arbeitskräfte als<br />
Stammpersonal <strong>e<strong>in</strong></strong>gesetzt, die mit Unternehmern<br />
und Fachkräften das Straßen- und<br />
Grabennetz erweiterten, die Moordecke umbrachen<br />
und die Bodenstruktur verbesserten.<br />
E<strong>in</strong>heitsgem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Hoogstede 1968<br />
Hoogstede gewann nach 1945 Bedeutung als<br />
Nebenkern mit Standort für mehrere <strong>Kirche</strong>n,<br />
Mittelpunktschule, Berufsschule, landwirtschaftliche<br />
Genossenschaften und mehrere<br />
Gewerbe- und Handelsbetriebe. Der Ausbau<br />
der Feuerwehr erlaubt, Nachbargem<strong>e<strong>in</strong></strong>den<br />
Brandschutz zu bieten. E<strong>in</strong> Polizeiposten dient<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>er Gruppe von acht benachbarten <strong>Ort</strong>en.<br />
Die Bildung <strong>e<strong>in</strong></strong>er E<strong>in</strong>heitsgem<strong>e<strong>in</strong></strong>de beschlossen<br />
1968 die Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den Hoogstede, Bathorn,<br />
Scheerhorn, Berge, Kalle, T<strong>in</strong>holt und Neur<strong>in</strong>ge.<br />
E<strong>in</strong>e leistungsfähige Privatmolkerei<br />
richtete 1960 <strong>e<strong>in</strong></strong>e fliegende Milchabnahme<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>, deren Tankwagen die Kannen auf den<br />
Höfen entleeren und sie mit Magermilch wieder<br />
auffüllen. Der Milchversorgung dient der<br />
Kontrollr<strong>in</strong>g Hoogstede. Die Infrastruktur, die<br />
Grundausrüstung der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de, gewann<br />
durch E<strong>in</strong>richtung <strong>e<strong>in</strong></strong>er Waschanlage, durch<br />
Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>deräume der kirchlichen Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den,<br />
durch Mitwirkung von geselligen Ver<strong>e<strong>in</strong></strong>en,<br />
Laienspielschar, Dorf- und Theaterabende und<br />
Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>debücherei. Beträgt die E<strong>in</strong>wohnerzahl<br />
heute etwa 1100, so rechnen die Raumplaner<br />
mit <strong>e<strong>in</strong></strong>er Zunahme bis 1985 auf 2000 und<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>em weiterem H<strong>in</strong>zukommen zentraler E<strong>in</strong>richtungen,<br />
wodurch Hoogstede Aufgaben<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>es kl<strong>e<strong>in</strong></strong>en zentralen <strong>Ort</strong>es für <strong>e<strong>in</strong></strong>en begrenzten<br />
Nachbarbezirk erfüllen kann.<br />
Quellen<br />
Edel, Von der Herrlichkeit Emlichheim, Jahrb. 1953.<br />
Emse, Wasserversorgung der Niedergrafschaft,<br />
Heimatkalender 1951.<br />
Friedrich, Hoogstede, Grafschafter Nachrichten 1962.<br />
Sager, Geschichte der Grafschaft Bentheim<br />
Specht, Heimatkunde <strong>e<strong>in</strong></strong>es Grenzkreises.<br />
Dr. Specht, Jungpaläolithischer Lagerplatz<br />
am Lamberg. Jahrbuch 1968.<br />
Der Landkreis Grafschaft Bentheim.
Postkarte Hoogstede um 1925 (Johann Jeur<strong>in</strong>k)<br />
Kriegerver<strong>e<strong>in</strong></strong> 1919, Denkmal 1921<br />
und Musikver<strong>e<strong>in</strong></strong> von 1928<br />
M<strong>in</strong>i Büdden<br />
Die Veteranen des Krieges 1870/71 entschlossen<br />
sich zur Gründung <strong>e<strong>in</strong></strong>es Kriegerver<strong>e<strong>in</strong></strong>s.<br />
Schon im Jahr 1906 fand vermutlich <strong>in</strong> der<br />
Gaststätte Warmer <strong>in</strong> Scheerhorn <strong>e<strong>in</strong></strong>e Versammlung<br />
mit der Wahl <strong>e<strong>in</strong></strong>es Präsidenten<br />
statt. Gewählt wurde der vormalige Lehrer<br />
Bernhard H<strong>e<strong>in</strong></strong>rich Stönnebr<strong>in</strong>k. Nach dem<br />
Ersten Weltkrieg wurde Stönnebr<strong>in</strong>k erneut<br />
erster Vorsitzender, Lehrer Voltmer wurde<br />
zweiter Vorsitzender, Schriftführer der Schmied<br />
Bernhard Haubrich und Kassenführer der<br />
Landwirt Koops. Der Kriegerver<strong>e<strong>in</strong></strong> veranstaltete<br />
jedes Jahr mehrere Feste, die mit Umzügen<br />
durch das Dorf bis zur Gaststätte Warmer<br />
verbunden waren. Ausgangspunkt dieser Veranstaltungen<br />
war der Platz der „drei Eichen“<br />
am heutigen Schwarzen Diek. E<strong>in</strong>e vom Heimatver<strong>e<strong>in</strong></strong><br />
aufgestellte H<strong>in</strong>weistafel er<strong>in</strong>nert<br />
heute an diesen Platz.<br />
Die Mitglieder trugen bei solchen Umzügen<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>e <strong>e<strong>in</strong></strong>heitliche Kopfbedeckung (Käppies),<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>e Fahne und brennende Fackeln. Die<br />
ver<strong>e<strong>in</strong></strong>seigene Musikkapelle begleitete die Um-<br />
HOOGSTEDE UND BATHORN<br />
züge und spielte bei Festen zum Tanz auf.<br />
Der Kriegerver<strong>e<strong>in</strong></strong> plante und vollendete auch<br />
den Bau des Kriegerdenkmals zur Er<strong>in</strong>nerung<br />
an die Opfer des Ersten Weltkrieges. 1921<br />
konnte das durch Spenden f<strong>in</strong>anzierte Denkmal<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>geweiht werden. S<strong>e<strong>in</strong></strong>en Platz hatte es <strong>in</strong> der<br />
Dorfmitte an der Ecke Bergstraße/Hauptstraße.<br />
Etwa 1974/75 wurde es verkehrsbed<strong>in</strong>gt abgebrochen<br />
und bef<strong>in</strong>det sich seitdem im Privatbesitz.<br />
Angedacht ist, beim Ausbau des Friedhofs<br />
das Denkmal neu <strong>e<strong>in</strong></strong>zubeziehen.<br />
Kriegerdenkmal<br />
Zeitung und Anzeigenblatt 1921<br />
Kreisblatt für den Kreis Grafschaft Bentheim<br />
Bearbeitet von Johann Jeur<strong>in</strong>k<br />
<strong>Arkel</strong>, 6. März 1919 In der letzten Versammlung<br />
des Kriegerver<strong>e<strong>in</strong></strong>s wurde festgestellt, dass<br />
30 Ver<strong>e<strong>in</strong></strong>smitglieder am Kriege teilgenommen<br />
haben, 6 auf dem Felde der Ehre gefallen oder<br />
<strong>in</strong>folge Verwundung gestorben s<strong>in</strong>d und sich<br />
zur Zeit noch <strong>e<strong>in</strong></strong> Mitglied <strong>in</strong> Gefangenschaft<br />
bef<strong>in</strong>det. Außerdem haben aus dem Kirchspiel<br />
<strong>Arkel</strong> noch 26 Krieger ihr Leben für das Vaterland<br />
dah<strong>in</strong>geben müssen, harren noch 12 Krieger<br />
<strong>in</strong> der Gefangenschaft ihrer Rückkehr und<br />
gelten noch 5 Krieger als vermißt.<br />
149
2<br />
Hoogstede, 9. April 1921 Die am 1. April im<br />
Lokale des Herrn Warmer stattgefundene Versammlung<br />
des Kriegerver<strong>e<strong>in</strong></strong>s <strong>Arkel</strong> erfreute<br />
sich <strong>e<strong>in</strong></strong>er regen Beteiligung. Bevor zur eigentlichen<br />
Tagesordnung übergegangen wurde,<br />
teilte Herr Stönnebr<strong>in</strong>k mit, dass die Sammlung<br />
für die Anlage <strong>e<strong>in</strong></strong>es Kriegerdenkmals<br />
bereits <strong>e<strong>in</strong></strong>en guten Erfolg gehabt habe, jedoch<br />
noch nicht beendigt sei. Er hoffe<br />
jedoch durch den Opfers<strong>in</strong>n der noch ausstehenden<br />
Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den, das <strong>in</strong> Aussicht genommene<br />
Denkmal <strong>in</strong> Auftrag geben zu können.<br />
Die Arbeiten s<strong>in</strong>d dem Bildhauer H. Wiese<br />
<strong>in</strong> Nordhorn übertragen, welcher <strong>e<strong>in</strong></strong>fache,<br />
künstlerische Entwürfe angefertigt hatte und<br />
diese der Versammlung vorlegte. Herr Wiese,<br />
der anwesend war, erklärte dann die Grundgedanken<br />
und E<strong>in</strong>zelheiten der Ausführung.<br />
Hierauf kam man <strong>e<strong>in</strong></strong>stimmig zu dem Entschluß,<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>en Gedenkst<strong>e<strong>in</strong></strong> zu nehmen, der<br />
dem Andenken, der dem Vaterlande geopferten<br />
Söhne würdig und dem Gelände angepasst ist.<br />
– Dann wurde noch beschlossen am 20. April<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong> Frühjahrsfest zu feiern, sowie am Himmelfahrtstage<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>en Ausflug nach Lage zu machen.<br />
150<br />
GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />
Entlassungs-Urkunde nach dem Ersten Weltkrieg für Johann Heet, 17.02.1920 (M<strong>in</strong>i Büdden)<br />
Hoogstede, 15. Juni 1921 Unser Kriegerdenkmal<br />
– E<strong>in</strong> gewaltiges Ehrenmal ist es, das das<br />
Kirchspiel <strong>Arkel</strong> s<strong>e<strong>in</strong></strong>en im Kriege gefallenen<br />
Helden widmen wird. Die Wahl ist jetzt getroffen<br />
worden, und wir s<strong>in</strong>d heute <strong>in</strong> der<br />
Lage, darüber folgende E<strong>in</strong>zelheiten mitzuteilen.<br />
Der Hauptblock, der auf <strong>e<strong>in</strong></strong>em schweren<br />
Sockel ruht, ist aus echtem Granit nach der<br />
Natur gemeißelt. Der mächtige Block, der an<br />
2,10 m hoch und 1,15 m breit ist, wird aus<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>em riesigen St<strong>e<strong>in</strong></strong> gearbeitet und hat das<br />
stattliche Gewicht von 60 Zentnern. Oben ist<br />
das Denkmal gekrönt von dem typischen<br />
Stahlhelm, der – umkränzt von Lorbeerranken<br />
– direkt aus dem Block gemeißelt ist.<br />
Die Namen der gefallenen Helden werden<br />
auf <strong>e<strong>in</strong></strong>er Tafel aus Odenwald-Granit <strong>e<strong>in</strong></strong>gehauen.<br />
Die Anlage wird <strong>e<strong>in</strong></strong>en schönen Platz<br />
f<strong>in</strong>den direkt an der Landstraße bei der Stönnebr<strong>in</strong>kschen<br />
Besitzung, unmittelbar am<br />
Friedhof. Die Denkmals-Anlage wird geschaffen<br />
von der Firma „Werkstätte für Kriegerund<br />
Grabmalkunst Gebr. Wiese, Bocholt“,<br />
deren Vertreter Herr H. Wiese, Nordhorn den<br />
Auftrag entgegennahm. Die E<strong>in</strong>weihung des<br />
Denkmals wird im Herbst d. Js. erfolgen.
Musikver<strong>e<strong>in</strong></strong> im<br />
August 1928,<br />
gleichzeitig Kapelle<br />
vom „Kriegerver<strong>e<strong>in</strong></strong>“.<br />
Von l<strong>in</strong>ks:<br />
Lukas Schroven,<br />
H<strong>e<strong>in</strong></strong>rich Müller,<br />
H<strong>e<strong>in</strong></strong>rich Rott,<br />
H<strong>in</strong>drik Jan Keen,<br />
H<strong>e<strong>in</strong></strong>rich Haubrich,<br />
H<strong>in</strong>drik Jan Snieders,<br />
an der Trommel<br />
Johann Sommer<br />
(M<strong>in</strong>i Büdden)<br />
Das Kriegerdenkmal um 1930,<br />
Ausschnitt aus <strong>e<strong>in</strong></strong>er Postkarte (M<strong>in</strong>i Büdden)<br />
Hoogstede, 17. Oktober 1924 Saalbau. Nachdem<br />
der Warmer`sche Saal <strong>in</strong> Scheerhorn<br />
nicht mehr vorhanden ist, macht sich der<br />
Mangel <strong>e<strong>in</strong></strong>er größeren Räumlichkeit bei Versammlungen,<br />
Festen und Vorträgen sehr empf<strong>in</strong>dlich<br />
bemerkbar. Kalle, T<strong>in</strong>holt, Hoogstede,<br />
Scheerhorn usw. haben deshalb den Wunsch,<br />
wieder <strong>e<strong>in</strong></strong>en Saal zu bekommen. Deshalb hat<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong> hiesiger Wirt den Plan erwogen, im nächsten<br />
Jahre den Bau <strong>e<strong>in</strong></strong>es Saales vorzunehmen.<br />
Besonders der Kriegerver<strong>e<strong>in</strong></strong> steht diesem Plan<br />
freundlich gegenüber.<br />
HOOGSTEDE UND BATHORN<br />
Gedenktafel Gefallene des Ersten Weltkrieges <strong>in</strong> der katholischen<br />
<strong>Kirche</strong> (M<strong>in</strong>i Büdden)<br />
Hoogsteder Musikver<strong>e<strong>in</strong></strong> 1948–1952<br />
Johann Jeur<strong>in</strong>k und H<strong>e<strong>in</strong></strong>rich Warmer<br />
Gleich nach der Währungsreform am 20. Juni<br />
1948 gründeten <strong>e<strong>in</strong></strong>ige Hoogsteder <strong>e<strong>in</strong></strong>en Musikver<strong>e<strong>in</strong></strong>,<br />
dem überwiegend Bläser angehörten.<br />
Beteiligt waren Bertus Brooksnieder, Jan<br />
und Wasse Hannebrook, H<strong>e<strong>in</strong></strong>rich Haubrich,<br />
Herbert Hermann (Emlichheim), H<strong>e<strong>in</strong></strong>rich und<br />
Jan Jeur<strong>in</strong>k, Alfred Leipner (Polizist <strong>in</strong> Hoogstede<br />
von 1945 bis 1963, Johann Schroven,<br />
Egbert Stroot sowie H<strong>e<strong>in</strong></strong>rich und H<strong>in</strong>drik-Jan<br />
Warmer. Sie spielten Trompete, Tenorhorn,<br />
Flügelhorn, Tuba, Trommel und Schlagzeug.<br />
Leiter und Dirigent war Hermann Gröbe.<br />
Der 1879 <strong>in</strong> Sachsen geborene Gröbe war vierzig<br />
Jahre lang Stabsmusikkapellmeister Dresden<br />
gewesen. Er leitete <strong>in</strong> dieser Funktion <strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />
Musikgruppe von Österreichern hoch zu Ross.<br />
Nach s<strong>e<strong>in</strong></strong>er Flucht war er bei s<strong>e<strong>in</strong></strong>en Verwandten<br />
Gosen Hoogstede untergekommen.<br />
Die Familie Gröbe war lange Zeit lang im<br />
Obergeschoss des Hauses des Schuhmachers<br />
H<strong>e<strong>in</strong></strong>rich Warmer untergebracht, am heutigen<br />
Feldweg. Nach dem Tode s<strong>e<strong>in</strong></strong>er Frau lebte er<br />
mit Frau Trenz<strong>in</strong>ger zusammen. Später wohn-<br />
151
2<br />
ten sie im Hause der Familie Gosen im Berg,<br />
an der heutigen Bergstraße. Die letzten Jahre<br />
verbrachte Hermann Gröbe bei s<strong>e<strong>in</strong></strong>er Tochter<br />
<strong>in</strong> Hamburg. Dort verstarb er 1970. Er wurde<br />
<strong>in</strong> Hoogstede beerdigt.<br />
Hermann Gröbe war für die junge Musikgruppe<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong> „Juwel”. Er verstand es, mit Diszipl<strong>in</strong><br />
aber auch mit Humor s<strong>e<strong>in</strong></strong>e Truppe zu<br />
begeistern.<br />
Die Übungsstunden fanden wöchentlich <strong>in</strong><br />
der katholischen Volksschule statt. In den<br />
W<strong>in</strong>termonaten mussten die Teilnehmer abwechselnd<br />
für Brennmaterial zum Heizen<br />
Sorge tragen. Später übte man auch <strong>in</strong> der<br />
Gaststätte Wolters.<br />
Nach <strong>e<strong>in</strong></strong>em halben Jahr schon wagte der<br />
Musikver<strong>e<strong>in</strong></strong> s<strong>e<strong>in</strong></strong>en ersten öffentlichen Auftritt.<br />
Er spielte überwiegend flotte Blasmusik,<br />
unter anderem auch Märsche. Er spielte auf<br />
Silbernen und Goldenen Hochzeiten und auf<br />
verschiedenen Schülertreffen.<br />
Die Beteiligten hatten zwischen 1949 und<br />
1952 noch k<strong>e<strong>in</strong></strong>e eigenen Autos. Deshalb<br />
mussten von den <strong>e<strong>in</strong></strong>genommenen „Gagen“<br />
zuerst die Fahrtkosten bestritten werden. Das<br />
restliche Geld – Geld war <strong>in</strong> dieser Zeit noch<br />
sehr knapp – wurde <strong>in</strong> Musik<strong>in</strong>strumente und<br />
Noten <strong>in</strong>vestiert. Es gibt <strong>e<strong>in</strong></strong>zelne Zeitungsmeldungen<br />
über Auftritte der Gruppe.<br />
Der Musikver<strong>e<strong>in</strong></strong> erweckte im Mai 1952 <strong>in</strong><br />
Emlichheim großes Aufsehen: Als Herbert<br />
Hermann, der <strong>in</strong> Emlichheim wohnte und im<br />
Musikver<strong>e<strong>in</strong></strong> mitspielte, Schützenkönig von<br />
152<br />
GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />
Hermann Gröbe (1879–1970) hoch zu Ross <strong>in</strong> Österreich (Christa Gosen)<br />
Musikver<strong>e<strong>in</strong></strong> mit Hermann Gröbe um 1950. Von l<strong>in</strong>ks:<br />
Jan Hannebrook, H<strong>e<strong>in</strong></strong>rich Jeur<strong>in</strong>k, H.J. Warmer, Wasse<br />
Hannebrook, vorne: Hermann Gröbe, weiter Egbert Stroot,<br />
H<strong>e<strong>in</strong></strong>rich Haubrich, Bertus Brooksnieder, H<strong>e<strong>in</strong></strong>rich Warmer.<br />
(Johann Jeur<strong>in</strong>k)<br />
Hoogstede geworden war, brachte der Ver<strong>e<strong>in</strong></strong><br />
bei ihm zu Hause <strong>e<strong>in</strong></strong> Ständchen. Viele Emlichheimer<br />
waren überrascht, dass Hoogstede<br />
schon wieder <strong>e<strong>in</strong></strong>e Blaskapelle hatte.<br />
Noch heute er<strong>in</strong>nern sich <strong>e<strong>in</strong></strong>ige der Beteiligten<br />
gerne an diese schöne Zeit. Sie berichten,<br />
dass man bei den Auftritten auch immer<br />
selber kräftig mitgefeiert habe und manches<br />
Mal erst <strong>in</strong> den frühen Morgenstunden wieder<br />
zu Hause <strong>e<strong>in</strong></strong>getroffen sei.<br />
Nachdem <strong>e<strong>in</strong></strong>ige der jüngeren Mitglieder<br />
geheiratet und <strong>e<strong>in</strong></strong>e eigene Existenz aufgebaut
Kath. Pastor, Bernhard<br />
Westhuis,1902–1990,<br />
Gerhard Beerl<strong>in</strong>k,<br />
1886–1941 (Westhuis)<br />
Verlobung von Bertus Brooksnieder und Wilhem<strong>in</strong>a<br />
Züwer<strong>in</strong>k am 06.06.1949. Von l<strong>in</strong>ks: stehend Herbert<br />
Hermann, Alfred Leipner, Wilhelm<strong>in</strong>e Züwer<strong>in</strong>k, Bertus<br />
Brooksnieder, H<strong>e<strong>in</strong></strong>rich Taubken, davor v.l. Jan Hannebrook,<br />
Wasse Hannebroek, Johann Stroot, Jan Jeur<strong>in</strong>k,<br />
H<strong>e<strong>in</strong></strong>rich Jeur<strong>in</strong>k und Johann Schroven. (M<strong>in</strong>i Büdden)<br />
hatten, stellte man die Aktivitäten 1952 wieder<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>. Sechs Jahre später, am 14. Februar<br />
1958, wurde der Posaunenchor der evangelisch-reformierten<br />
Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de gegründet. Unter<br />
anderem hatten auch sechs Beteiligte vom aufgelösten<br />
Musikver<strong>e<strong>in</strong></strong> die Idee und den<br />
Wunsch, <strong>e<strong>in</strong></strong>en Posaunenchor <strong>in</strong>s Leben zu<br />
rufen. Sie hatten sich zuvor an Pastor R<strong>in</strong>gena<br />
von der evangelisch-reformierten <strong>Kirche</strong>ngem<strong>e<strong>in</strong></strong>de<br />
gewandt. Chorleiter wurde Herr Alfred<br />
Leipner. Mit als Gründungsmitglieder dabei<br />
waren unter anderem auch sechs ehemalige<br />
Spieler des Musikver<strong>e<strong>in</strong></strong>s, und zwar Bertus<br />
Brooksnieder, Jan und Wasse Hannebrook Jan<br />
Jeur<strong>in</strong>k und H<strong>e<strong>in</strong></strong>rich und H<strong>in</strong>drik-Jan Warmer.<br />
HOOGSTEDE UND BATHORN<br />
Hermann Gröbe, 1879-1970 (M<strong>in</strong>i Büdden)<br />
Der Hof Westhuis seit 1867<br />
1867 hat Familie Westhuis ihren Hof erworben,<br />
1989 gibt Bernhard Westhuis (1902–1990)<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>en kurzen Rückblick. Bilder und Text stehen<br />
beispielhaft für viele andere Neusiedlungen<br />
des 19. Jahrhunderts. (gjb)<br />
K<strong>in</strong>derwagen Westhuis, um 1940,<br />
Anfang der Kriegsjahre (Westhuis)<br />
153
2<br />
Rückblick von Bernhard Westhuis,<br />
Hoogstede 1989<br />
Aufgeschrieben von Bernhard Westhuis,<br />
1902-1990<br />
Im Jahre 1867 kauften die Eheleute Carl Westhuis<br />
und Frau Anna Margarethe geb. Holtel<br />
(Brün<strong>in</strong>g), Scheerhorn, das erste Grundstück von<br />
Hermann Börger (Mensen) aus Hoogstede für<br />
950 Gulden. Es war etwa 13 Morgen groß. Börger<br />
musste das Geld zehn Jahre stehen lassen.<br />
Nach drei Jahren war Börger kaputt und<br />
musste das Grundstück wieder verkaufen.<br />
1870 kaufte m<strong>e<strong>in</strong></strong> Großvater es dann für 1.000<br />
Reichstaler.<br />
Der Bauer Frans Kennepohl, T<strong>in</strong>holt, gab<br />
das Geld für die erste Hypothek. Carl Westhuis<br />
musste es mit vier Prozent verz<strong>in</strong>sen. Im Jahre<br />
1880 kaufte er von Kl<strong>e<strong>in</strong></strong> Neerken vier Morgen<br />
für 150 Mark. Es war <strong>e<strong>in</strong></strong>e arme Zeit. Das Geld<br />
musste im Webstuhl verdient werden. Die<br />
Löhne waren niedrig. Nach <strong>e<strong>in</strong></strong>em alten Büchl<strong>e<strong>in</strong></strong><br />
arbeitete er bei Harms <strong>in</strong> Bathorn als<br />
Torfstecher, Grasmäher, Roggenmäher für<br />
zwei Mark pro Tag, Mistladen für 80 Pfennig<br />
und so weiter.<br />
154<br />
GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />
Mit Pferd und Auto 1930/1934 bei Westhuis vor der Diele<br />
Von rechts: Bernhard Westhuis 1902-1990, Ges<strong>in</strong>a Westhuis 1898-1972/3,<br />
mit ihrer Nichte Anne Oude Wessel<strong>in</strong>k aus Esche 1921-1997 (Westhuis)<br />
Bei Westhuis <strong>in</strong> der Heuernte, um 1940.<br />
H<strong>in</strong>ten l<strong>in</strong>ks Maria Westhuis geb. El<strong>in</strong>g 1909-2003,<br />
Bernhard Westhuis 1902-1990, Franzose,<br />
vorne l<strong>in</strong>ks unbekannte Frau <strong>e<strong>in</strong></strong>es Offiziers,<br />
Ges<strong>in</strong>a Westhuis 1898-1972/3), Margaretha<br />
und Bernhard Westhuis (Westhuis)
Am Bathorner Diek erlebt<br />
Hermann Kronemeyer<br />
Twistdiek<br />
Der Bathorner Diek hieß ehemals Twistdiek.<br />
Es ist <strong>e<strong>in</strong></strong> sich sehr lang über Kilometer h<strong>in</strong>ziehender<br />
Weg. Von der heutigen Hauptstraße,<br />
abzweigend an der Molkerei, <strong>in</strong> Hoogstede<br />
verlief der Bathorner Diek etwa mittig durch<br />
die Bathorner Flur mit ihrer wechselhaften<br />
Struktur von Eschböden, durch tief gelegene<br />
Bruchwiesen, gefolgt von ausgedehnten Hochmoorflächen.<br />
Somit war der Zustand des Dieks,<br />
je nach Jahreszeit, vorgegeben.<br />
Anwohner des Dieks und <strong>in</strong>sbesondere<br />
deren K<strong>in</strong>der erfuhren tagtäglich die Erschwernis,<br />
die der Diek für sie brachte. Den<br />
Bathorner Diek erfahren sollten auch Tausende<br />
Menschen aus allen Kont<strong>in</strong>enten und<br />
aus allen Staaten Europas. Mit der E<strong>in</strong>schulung<br />
im Jahre 1933 sollte ich <strong>in</strong> den folgenden<br />
Jahren über den Bathorner Diek laufen und<br />
die unterschiedlichen E<strong>in</strong>drücke sammeln.<br />
In Holzschuhen legten wir die Wegstrecke<br />
bei jedem Wetter zurück, im Sommer wie im<br />
W<strong>in</strong>ter. E<strong>in</strong>igermaßen erträglich zeigte sich<br />
der Weg nur im Sommer, auch wenn der Fußweg<br />
durch Weidevieh, das morgens zur Weide<br />
getrieben und abends wieder zum Stall geholt<br />
wurde, zertreten und mit Kuhfladen verschmutzt<br />
war.<br />
Sommer und Herbst<br />
Bei sommerlicher Hitze und staubigem Weg<br />
suchten wir schon mal die Wasserpumpe bei<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>em Anlieger auf, um <strong>e<strong>in</strong></strong>e Schöpfkelle Wasser<br />
zu tr<strong>in</strong>ken. In der Heuernte herrschte dann<br />
reger Betrieb. Ab und zu musste auch <strong>e<strong>in</strong></strong><br />
Heufuder auf dem Weg neu geladen werden,<br />
weil <strong>e<strong>in</strong></strong> Teil der Fuhre sich <strong>in</strong>folge ausgefahrener<br />
Senken im Wege gelöst hatte, sehr zum<br />
Verdruss und Ärger der Betroffenen.<br />
Zum Herbst legte sich der Betrieb auf dem<br />
Weg und herbstliches Wetter ließ wieder<br />
größere Wasserlachen und matschige Wegstrecken<br />
entstehen, sodass man sich den besten<br />
Weg rechts oder l<strong>in</strong>ks vom Weg suchte.<br />
Nasse Füße waren oft die Folge.<br />
HOOGSTEDE UND BATHORN<br />
Sargträger<br />
E<strong>in</strong>e Begebenheit etwa aus den 1920ger Jahren<br />
gibt <strong>e<strong>in</strong></strong> Bild von den damaligen Wegverhältnissen.<br />
Bei <strong>e<strong>in</strong></strong>em Sterbefall <strong>in</strong> der<br />
Siedlung Bathorner Diek musste der Sarg etwa<br />
drei Kilometer weit bis zum Kanal getragen<br />
werden. Von dort haben Gerhard Brooksnieder<br />
und Bernhard Westhuis Pferde und Wagen gestellt<br />
und den Sarg am Kanal entlang und<br />
über den Aulen Diek zum Friedhof gefahren.<br />
W<strong>in</strong>ter und Frühl<strong>in</strong>g<br />
Bei Frost war der Weg relativ gut passierbar.<br />
Obwohl bei Schnee und Schneeverwehungen<br />
sich dann die Erschwernis von <strong>e<strong>in</strong></strong>er anderen<br />
Seite zeigte. Bei kaltem, schneidendem Ostw<strong>in</strong>d<br />
waren uns schon mal Ohren oder Wangen angefroren.<br />
Weder Busch noch Baum boten auf<br />
dem Langen Diek Schutz. Wildgänse, die sich<br />
<strong>in</strong> jedem W<strong>in</strong>ter <strong>in</strong> den Wiesen rechts und l<strong>in</strong>ks<br />
des Weges niederließen, litten dann Hunger und<br />
konnten sich kaum zum Flug erheben.<br />
Angenehm wurde es im Frühjahr, wenn<br />
unzählige Kiebitze am Wege spielten, Lerchen<br />
aufstiegen und große und kl<strong>e<strong>in</strong></strong>e Brachvögel,<br />
Schnepfen und Wildenten über die grünen<br />
Wiesen strichen. Mit dem Frühjahr kamen<br />
auch <strong>e<strong>in</strong></strong>ige Holländer, die versuchten, mit<br />
Fallen Maulwürfe zu fangen, um damit etwas<br />
Geld zu verdienen. Gelegentlich passierten<br />
auch Schmuggler unbemerkt den Diek.<br />
Schmuggler<br />
Fast jede Nacht hielten sich Zöllner an unserem<br />
Haus oder <strong>in</strong> der Scheune auf, um die Kanalbrücke<br />
zu beobachten. E<strong>in</strong>es Nachts<br />
stellten sie <strong>e<strong>in</strong></strong>en Schmuggler, der die Brücke<br />
passieren wollte. Beim Zugriff ließ der Mann<br />
aus T<strong>in</strong>holt s<strong>e<strong>in</strong></strong> Schmuggelgut fallen und<br />
stürmte <strong>in</strong> unseren seitlichen Haus<strong>e<strong>in</strong></strong>gang<br />
durch die Küche, das elterliche Schlafzimmer<br />
und durchs Fenster wieder h<strong>in</strong>aus. So ist er<br />
entkommen. Die Haustüren blieben damals<br />
meist unverschlossen.<br />
Torfholen<br />
E<strong>in</strong>e jährlich wiederkehrende Betriebsamkeit<br />
auf dem Diek stellte sich im Mai <strong>e<strong>in</strong></strong> und setzte<br />
155
2<br />
sich dann, zur Erntezeit abflauend, bis <strong>in</strong> den<br />
Herbst h<strong>in</strong><strong>e<strong>in</strong></strong> fort. Bewohner der näheren und<br />
weiteren Umgebung zogen im Mai <strong>in</strong>s Moor,<br />
um sich mit dem erforderlichen Jahresbedarf<br />
an Heiztorf zu versorgen. Nach dem Torfstechen<br />
und trocknen zogen im Spätsommer vermehrt<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>- und zweispännige Pferdefuhrwerke<br />
<strong>in</strong>s Torfstichgebiet, um den trockenen Torf<br />
nach Hause zu holen. Auffällig war das kl<strong>e<strong>in</strong></strong>ste<br />
Fuhrwerk. Mit <strong>e<strong>in</strong></strong>em <strong>e<strong>in</strong></strong>spännigen Hundewagen<br />
brachte diese Familie ihren Torf über<br />
holperige und lose Sandwege nach Haftenkamp.<br />
E<strong>in</strong>e nicht leichte Arbeit für Mensch<br />
und Hund.<br />
Begradigungen<br />
Kurz vor m<strong>e<strong>in</strong></strong>er E<strong>in</strong>schulung gab es schon<br />
Verbesserungen am Twistdiek. Der sogenannte<br />
L<strong>in</strong>es (L<strong>in</strong>esch) war ausgegraben worden, sodass<br />
man nicht mehr um Brooksnieder herumfahren<br />
musste. Für die Fußgänger führte<br />
bis dah<strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong></strong> Pfad über den Esch.<br />
Vom Hof Koops war der Diek um <strong>e<strong>in</strong></strong>ige<br />
Meter westlich zurückverlegt worden. Am Hof<br />
Neerken war der Esch abgegraben worden.<br />
Hier verlief der Diek nun nicht mehr am<br />
Hause über den Hof von Neerken. Weiter verlief<br />
der alte Diek zwischen dem Hause Kwade,<br />
heute Boers, und der dazugehörigen Scheune,<br />
später mit kl<strong>e<strong>in</strong></strong>er Wohnung, h<strong>in</strong>durch. Auch<br />
hier wurde der alte Diek westlich verlegt,<br />
somit verlief der Diek gradl<strong>in</strong>ig durch den<br />
L<strong>in</strong>es zur Hauptstraße an der Molkerei.<br />
156<br />
GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />
Arbeitsdienstlager 1933/35<br />
In den folgenden Jahren sollten die Baumaßnahmen<br />
k<strong>e<strong>in</strong></strong> Ende nehmen, im Gegenteil. Zunächst<br />
wurde <strong>e<strong>in</strong></strong> Arbeitsdienstlager nördlich<br />
vom Hof Koops gebaut. In der Folgezeit marschierten<br />
Männer <strong>in</strong> Arbeitsuniform und mit<br />
blankem Spaten s<strong>in</strong>gend zu ihren Arbeitsstellen<br />
am Diek. Das war <strong>e<strong>in</strong></strong> ungewohntes Bild.<br />
Entwässerungsgräben wurden gezogen bzw.<br />
ausgebaut und vertieft. Dabei wurde <strong>e<strong>in</strong></strong> E<strong>in</strong>baum<br />
ausgegraben, zu dem wir Schulk<strong>in</strong>der<br />
geführt wurden. Dieser E<strong>in</strong>baum sollte <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong></strong><br />
Museum verbracht werden. Feldbahngleise<br />
wurden verlegt. Darauf fuhren Schienenfahrzeuge<br />
verschiedenster Art. Auf die konnten<br />
wir gelegentlich aufspr<strong>in</strong>gen und brauchten<br />
unseren Weg nicht zu Fuß zurückzulegen. Beh<strong>in</strong>derungen<br />
gab es fortwährend durch die<br />
Verlegung von Durchlassrohren, was sich über<br />
Tage h<strong>in</strong>zog. Zur Überquerung brauchten wir<br />
K<strong>in</strong>der die Hilfe der Arbeitsmänner und auch,<br />
wenn es durch frisch aufgefüllten lockeren<br />
Sand g<strong>in</strong>g.<br />
Fremde und Strafgefangene<br />
Immer mehr Fremde waren anzutreffen. Fremd<br />
war jeder, der nicht plattdeutsch sprach. Vermessungsleute<br />
aus Österreich und Deutschland,<br />
Arbeiter aus der Grafschaft und den angrenzenden<br />
Kreisen. Auf dem Twistdiek und<br />
darüber h<strong>in</strong>aus entwickelte sich <strong>e<strong>in</strong></strong>e Großbaustelle.<br />
Unser Schulweg hatte sich <strong>in</strong>zwischen<br />
um <strong>e<strong>in</strong></strong>iges verlängert. Unterricht wurde<br />
Lok und Loren<br />
auf <strong>e<strong>in</strong></strong>em Feldbahn-Damm,<br />
Sandauffahren<br />
(Gerold Meppel<strong>in</strong>k)
jetzt <strong>in</strong> der katholischen Schule gegeben. Dort<br />
spielte sich <strong>e<strong>in</strong></strong>es Tages <strong>e<strong>in</strong></strong>e merkwürdige Szene<br />
ab. Zwei Lastzüge mit Anhängern und Planen<br />
überspannt hielten am Schulzaun während<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>er Pause. Drei Männer <strong>in</strong> Uniform mit Karab<strong>in</strong>er<br />
stiegen aus und fragten den Lehrer<br />
nach dem Weg zum Lager Bathorn. Währenddessen<br />
steckte <strong>e<strong>in</strong></strong> Mann s<strong>e<strong>in</strong></strong>en Kopf durch<br />
die Plane. E<strong>in</strong> Uniformierter sah es, sprang<br />
schnell zu, schwang s<strong>e<strong>in</strong></strong> Karab<strong>in</strong>er und<br />
schlug dem Mann mit dem Kolben <strong>in</strong>s Gesicht.<br />
Dann lief Wasser an der Stelle vom Wagen.<br />
Beide Lastzüge waren voller Männer. Vermutlich<br />
die erste E<strong>in</strong>lieferung von Gefangenen <strong>in</strong><br />
das Strafgefangenenlager Bathorn. Ver<strong>e<strong>in</strong></strong>zelt,<br />
<strong>in</strong> zunehmenden Maße, befuhren nun auch<br />
leichte Motorräder, „Bückies“ und Kübelwagen<br />
aus den neuen Arbeitsdienstlagern am<br />
Kanal den Diek. Immer mehr Uniformierte<br />
und Arbeitsmänner erschienen. E<strong>in</strong> alt<strong>e<strong>in</strong></strong>gesessener<br />
Hoogsteder m<strong>e<strong>in</strong></strong>te dazu: „Mä<strong>in</strong>schen,<br />
Mä<strong>in</strong>schen, ick wüß ja gar nich dat et<br />
soavöll Volk up de Wärld gaff.“ Viele trugen<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>e E<strong>in</strong>heitskleidung anderer Art: blaugraue<br />
Kittel und Hosen mit breiten gelben Streifen<br />
beidseitig an den B<strong>e<strong>in</strong></strong>en, vergleichbar <strong>e<strong>in</strong></strong>er<br />
Generalsuniform. Deshalb nannte man sie<br />
auch spöttisch „Generalstäbler“ oder „Bambusen“.<br />
Es waren Strafgefangene aus den Zuchthäusern,<br />
die nun den Diek bearbeiteten.<br />
Systematisch wurde <strong>e<strong>in</strong></strong> Bodenaustausch vorgenommen.<br />
Dazu wurden Erdgruben <strong>in</strong> erforderlicher<br />
Breite aber unterschiedlicher Tiefe<br />
ausgehoben und mit tragfähigem Boden aufgefüllt.<br />
E<strong>in</strong>e gewisse Alltäglichkeit, ja Gewohnheit,<br />
stellte sich <strong>e<strong>in</strong></strong>. Auf <strong>e<strong>in</strong></strong>em von<br />
Arbeitsmännern <strong>e<strong>in</strong></strong>gerichteten Sportplatz<br />
auf <strong>e<strong>in</strong></strong>er Wiese vor dem L<strong>in</strong>es, übten sich<br />
ab und zu Arbeitsmänner im Frühsport oder<br />
Fußball.<br />
Luftschutz<br />
In der Schule wurde immer öfter über Luftschutz<br />
und Ähnliches gesprochen. Die Wirkung<br />
von Brandbomben wurde uns <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong></strong>em<br />
Wasserbehälter vorgeführt. Ja wir mussten<br />
direkt erfahren, wie <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong></strong>em geschlossenen<br />
Raum Tränengas ohne den Schutz <strong>e<strong>in</strong></strong>er Gasmaske<br />
auf die Augen <strong>e<strong>in</strong></strong>wirkt.<br />
HOOGSTEDE UND BATHORN<br />
E<strong>in</strong>es Tages begegneten uns Brigadewagenzüge<br />
voll mit Arbeitsmännern auf dem<br />
Weg zum Bahnhof. Die Arbeitsabteilungen<br />
wurden an die Westgrenze verlegt. Auf dem<br />
Bathorner Diek setzten die Strafgefangenen<br />
ihrer Arbeit fort unter der Aufsicht von Arbeitsanweisern<br />
und bewaffneten Posten <strong>in</strong><br />
blauer Uniform, die „Blauen“ genannt. Als<br />
Schul-„Diekläufer“ morgens h<strong>in</strong> und mittags<br />
zurück, nutzten wir natürlich die jeweils beste<br />
Strecke. Mal g<strong>in</strong>gen wir l<strong>in</strong>ks, mal rechts auf<br />
dem Diek oder auch direkt am Graben entlang.<br />
Zeitweise erwiesen sich die Gleise als<br />
guter Weg. Dort konnte man später auch gut<br />
mit dem Fahrrad fahren, sei es mit rhythmischem<br />
„Hopsen“ über den Schwellen. Unser<br />
Schulweg hatte sich mittlerweile bis zum<br />
Bahnhof verlängert. Seitdem fuhren wir mit<br />
dem Fahrrad. Posten, Strafgefangene und Arbeitsanweiser<br />
waren für uns bekannte Bilder<br />
geworden.<br />
Kriegsausbruch<br />
Doch <strong>e<strong>in</strong></strong>es Morgens kam unser Vater gegen<br />
s<strong>e<strong>in</strong></strong>e Gewohnheit aufgeregt zu uns ans Bett.<br />
Er weckte uns zum Frühstück und für die<br />
Schule und sagte nur: „Der Krieg ist heute<br />
morgen angefangen.“ An diesem Morgen führte<br />
unser Weg erst <strong>e<strong>in</strong></strong>mal zur Gastwirtschaft<br />
Müller. Dort im Saal lag seit <strong>e<strong>in</strong></strong>iger Zeit <strong>e<strong>in</strong></strong><br />
Zug Grenzschutzsoldaten, darunter m<strong>e<strong>in</strong></strong><br />
Schwa ger. Es war früh, <strong>e<strong>in</strong></strong>ige lagen noch im<br />
Stroh. K<strong>e<strong>in</strong></strong>er wusste etwas. Auf unsere Nachricht<br />
vom Krieg waren bald alle auf den<br />
B<strong>e<strong>in</strong></strong>en. Die Baustelle auf dem Diek ruhte an<br />
diesem Tage.<br />
Die Strafgefangenen mussten h<strong>in</strong>ter dem<br />
Stacheldrahtzaun bleiben. Bald waren sie wieder<br />
auf dem Diek tätig, bis sie unbemerkt endgültig<br />
verzogen.<br />
„Zur Kur nach Oranienburg“<br />
Unbemerkt aus dem alljährlich zur Sommerzeit<br />
wiederkehrenden Ersch<strong>e<strong>in</strong></strong>ungsbild verschwand<br />
auch <strong>e<strong>in</strong></strong> gebeugter alter Mann mit<br />
Krückstock. Als Bewohner des Hoogsteder Armenhauses<br />
führte er zeitweise s<strong>e<strong>in</strong></strong>e <strong>e<strong>in</strong></strong>zige<br />
Kuh an <strong>e<strong>in</strong></strong>em Strick zum Fressen <strong>in</strong> die Seitenräume<br />
des Dieks. Wie es hieß, sei er zur „Kur<br />
157
2<br />
nach Oranienburg“ geschickt worden. Gesehen<br />
wurde er nie mehr. (Siehe Seite 182) Er ist<br />
im Konzentrationslager umgekommen.<br />
Polnische Kriegsgefangene<br />
Fremde Gruppen <strong>in</strong> nie gesehener Aufmachung<br />
nahmen nach geraumer Zeit die Arbeit<br />
auf dem Diek wieder auf. Fremd war ihre unverständliche<br />
Sprache. Fremd waren ihre<br />
braunen Uniformen und Mützen, teilweise mit<br />
Vierkantdeckel.<br />
Anstelle des bewaffneten Bewachungspersonals<br />
<strong>in</strong> blauer Uniform hatten jetzt Männer<br />
<strong>in</strong> feldgrauer Uniform die Aufsicht. Bei den<br />
Arbeitsanweisern hatte sich nichts geändert.<br />
Nur die Sprache der Neuen verstanden sie<br />
nicht mehr. So konnte man anfangs immer<br />
wieder beobachten, dass Arbeitsanweiser zur<br />
praktischen Vorführung am Gleis hantierten<br />
oder an der Schüppe <strong>in</strong> der Grube standen. Sie<br />
hatten es jetzt mit polnischen Kriegsgefange-<br />
nen zu tun. Diese stellten sich <strong>in</strong> E<strong>in</strong>zelfällen<br />
zum Verdruss der Anweiser, schon <strong>e<strong>in</strong></strong>mal<br />
dumm an. Langsam aber sicher nahm der<br />
neue Diek s<strong>e<strong>in</strong></strong>e Form an.<br />
Etwas Merkwürdiges, ja Unglaubwürdiges<br />
spielte sich vor dem Hof Neerken ab. Polnische<br />
Männer schachteten <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong></strong>er Grube für<br />
den Bodenaustausch. Zufällig kam <strong>in</strong> unserem<br />
Beis<strong>e<strong>in</strong></strong> <strong>e<strong>in</strong></strong> Hoogsteder Teilnehmer am Polenkrieg,<br />
der jetzt auf Heimaturlaub war, <strong>in</strong> Kavallerieuniform<br />
an die Grube und suchte aus<br />
den etwa 15 bis 20 polnischen Männern drei<br />
heraus. Er ließ sie aus der Grube steigen und<br />
behauptete, sie zu erkennen, weil er sie ge-<br />
158<br />
GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />
Aus „Der Grafschafter“:<br />
Kriegsgefangene 1942, Bahnhof Hoogstede<br />
fangen genommen habe. Die übrigen Polen,<br />
die Wachmänner und Anweiser sagten nichts<br />
dazu. War das nahezu Unmögliche <strong>e<strong>in</strong></strong> Trugschluss?<br />
Bald danach g<strong>in</strong>g alles wieder s<strong>e<strong>in</strong></strong>en<br />
gewohnten Gang.<br />
Kavallerie <strong>e<strong>in</strong></strong>quartiert<br />
Dann gab es wieder etwas Nie-Dagewesenes:<br />
Angehörige <strong>e<strong>in</strong></strong>er Kavallerie<strong>e<strong>in</strong></strong>heit wurden<br />
mit ihren Reitpferden im Dorf <strong>e<strong>in</strong></strong>quartiert.<br />
Fortan hallten über Dorf und Diek gelegentlich<br />
Masch<strong>in</strong>engewehrsalven und Gewehrschüsse<br />
aus dem Schießstand im Stapenberg.<br />
Auf dem Diek wurden die Arbeiten fortgeführt.<br />
E<strong>in</strong> Ende der Erdarbeiten war <strong>in</strong> Sicht.<br />
Flugzeuge<br />
Zu erahnen war <strong>in</strong> dieser Zeit etwas Unheimliches<br />
und Unbekanntes. Es lag etwas <strong>in</strong> der<br />
Luft. Das zeigte sich am 10. Mai 1940. Morgens<br />
früh zogen deutsche Flugzeuge <strong>in</strong> mehreren<br />
Staffeln auf dem Rückflug aus Holland<br />
über den Bathorner Diek zu ihren Standorten.<br />
Auf dem Diek selbst regte sich noch nichts.<br />
Die Arbeitsgruppen rückten wie üblich erst<br />
später an. Doch auf der Dorfstraße begegneten<br />
uns endlose Trossfahrzeuge. Sie folgten ihren<br />
Kampftruppen <strong>in</strong> Richtung Holland. Neben<br />
den Trossfahrern vom Bock schlafende und<br />
dösende Soldaten unterm Stahlhelm. E<strong>in</strong><br />
Trosspferd fiel durch <strong>e<strong>in</strong></strong> <strong>e<strong>in</strong></strong>gebranntes Eisernes<br />
Kreuz <strong>in</strong>s Auge. Es sollte sicherlich <strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />
Auszeichnung aus dem Polenkrieg s<strong>e<strong>in</strong></strong>. Die<br />
im Dorf <strong>e<strong>in</strong></strong>quartierte Kavallerie<strong>e<strong>in</strong></strong>heit hatte<br />
sich am Abend schon <strong>in</strong> Marsch gesetzt. Nach<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>igen Tagen legte sich der Trubel wieder.<br />
Das Geschehen spielte sich weit entfernt ab.<br />
Dessen ungeachtet nahmen die Arbeiten auf<br />
dem Diek ihren Fortgang.<br />
Kriegsgefangene<br />
E<strong>in</strong> erneuter Wechsel der Arbeitskolonnen<br />
folgte bald danach. Polen wurden nun nicht<br />
mehr gesehen. Vom Bahnhof aus liefen <strong>in</strong> der<br />
Folgezeit Tausende Kriegsgefangene über den<br />
Bathorner Diek und zum Teil auch über den<br />
Aulen Diek zum Lager Bathorn. E<strong>in</strong>ige fuhren<br />
auch per Lok und Brigadewagen: Franzosen,<br />
Belgier, Luxemburger, Engländer, später Tsche-
choslowaken, Griechen sowie Russen und andere.<br />
Nach <strong>e<strong>in</strong></strong> paar Jahren folgten Italiener<br />
als letzte Kriegsgefangene. Sie alle waren auf<br />
irgend<strong>e<strong>in</strong></strong>e Weise am Ausbau des Bathorner<br />
Dieks beteiligt, vorwiegend aber die Franzosen.<br />
Als Straßenkörper baute man <strong>e<strong>in</strong></strong>e Setzpacklage<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>. Dafür nutzte man <strong>e<strong>in</strong></strong>e Dampfwalze.<br />
Monate war der Diek für Radfahrer nicht<br />
passierbar, man musste über den Aulen Diek<br />
ausweichen. Die gelegentliche Nutzung des<br />
Seitenstreifens am Bathorner Diek als Radweg<br />
sollte durch Fußangeln verh<strong>in</strong>dert werden. Sie<br />
waren gekennzeichnet mit <strong>e<strong>in</strong></strong>em kl<strong>e<strong>in</strong></strong>en<br />
Schild: Vorsicht Fußangel. Bewaffnete Posten<br />
und Kriegsgefangene <strong>in</strong> Uniformen unterschiedlicher<br />
Farbe von khakibraun, dunkelbraun<br />
oder grau bis zum Rot <strong>e<strong>in</strong></strong>iger Franzosen<br />
gehörten zum Alltag auf dem Diek.<br />
Zum Wehrdienst <strong>e<strong>in</strong></strong>gezogen<br />
und Heimkehr<br />
E<strong>in</strong>es Morgens, auf dem Weg zum Zug, begleiteten<br />
wir <strong>e<strong>in</strong></strong> Stück weit drei feldgraue<br />
Soldaten zu Fuß. Zwei von ihnen trugen <strong>e<strong>in</strong></strong>en<br />
Karab<strong>in</strong>er. Der Soldat <strong>in</strong> der Mitte war unbewaffnet<br />
und ohne Koppelzeug, <strong>e<strong>in</strong></strong> Arrestant.<br />
Das war für uns sehr fremd. Zum Wehrdienst<br />
wurden immer mehr jüngere und ältere Männer<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>gezogen. Auf dem Bathorner Diek unterwegs<br />
zum Zug sah man ab und zu betrübte,<br />
stille Personen. Es waren Menschen, die ihre<br />
Angehörigen, Vater, Mann oder Sohn, für den<br />
Wehrdienst zum Zug brachten. Stumm flossen<br />
auch die Tränen, die dabei gelegentlich<br />
Arbeiten am Bathorner<br />
Diek, um 1952. Baustelle<br />
nördlich vom Kanal auf<br />
dem Bathorner Diek mit<br />
Dampfloks, Wasserturm<br />
und Baubüro wird besichtigt<br />
von Frau G. Kronemeyer<br />
mit K<strong>in</strong>d Hilde, S<strong>in</strong>a<br />
und Hilda Kronemeyer und<br />
Swanette Glüpker<br />
(Aus „Alt-Hoogstede“)<br />
HOOGSTEDE UND BATHORN<br />
gew<strong>e<strong>in</strong></strong>t wurden. Froh gestimmt waren dagegen<br />
Männer, die mit dem Zug <strong>in</strong> Urlaub<br />
kamen und dabei auch schon mal, von Heimweh<br />
geplagt, im Sprung über den Diek zu den<br />
ersehnten Angehörigen liefen.<br />
Auf dem Diek waren die Kriegsgefangenen<br />
weiterh<strong>in</strong> mit dem E<strong>in</strong>bau der Setzpacklage<br />
und Abzwicken beschäftigt und bauten fortlaufend<br />
die wassergebundene Straßendecke<br />
auf. Nach der Fertigstellung war dann <strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />
feste Straße von Hoogstede bis zum Kanal<br />
vorhanden. Für unbestimmte Zeit verließ auch<br />
ich nun bald Haus, Diek und Dorf.<br />
In <strong>e<strong>in</strong></strong>em kl<strong>e<strong>in</strong></strong>en Militärlastkraftwagen<br />
vom Lager Bathorn fuhr ich nochmals über<br />
den Diek über Nordhorn nach L<strong>in</strong>gen.<br />
Viel später, bei unserer Rückkehr aus der<br />
Kriegsgefangenschaft, waren wir zu zweit, noch<br />
<strong>in</strong> feldgrauer Uniform, unterwegs nach Hause.<br />
Dabei begegneten wir mitten auf dem Bathoner<br />
Diek zwei ehemaligen serbischen Kriegsgefangenen<br />
<strong>in</strong> brauner Uniform. In <strong>e<strong>in</strong></strong>er<br />
kurzen Unterhaltung ließen sie uns gegenüber<br />
ihre Überlegenheit und Ger<strong>in</strong>gschätzung deutlich<br />
merken. Die jahrelange Dom<strong>in</strong>anz deutscher<br />
Soldaten auf dem Diek hatte sich <strong>in</strong>s<br />
Gegenteil gekehrt.<br />
Fortgespült<br />
Mehr als <strong>e<strong>in</strong></strong> halbes Jahrhundert ist <strong>in</strong>zwischen<br />
darüber vergangen. Fast vergessen ist<br />
das gesamte Geschehen am Bathorner Diek,<br />
sozusagen fortgespült. Dafür mag <strong>e<strong>in</strong></strong>e Begebenheit<br />
auf dem Diek stehen, die sich unmit-<br />
159
2<br />
So was et froger<br />
Von Willi Evers<br />
Heel bowen <strong>in</strong>`t Venn, doar stö<strong>in</strong>d ´n ault Huus,<br />
doar was m<strong>in</strong>e Böbbe un Besse <strong>in</strong> Huus.<br />
De Müren met Fakwerk, dat Dak was van Stroa,<br />
se han doar g<strong>in</strong> Riekdum, men ok g<strong>in</strong>ne Noat.<br />
Hier wöden domoals söm K<strong>in</strong>ner geboren,<br />
de bragden völl Wark un ok allerläi Sorgen,<br />
Ik höörde er noit klagen, se han g<strong>in</strong> Verdreet,<br />
er Lewen was Arbäit, was`t kault of was`t heet.<br />
Wo ault of dat Huus was, wüss sicher k<strong>in</strong>eene,<br />
et was heel van Fakwerk un bröcklige Steene.<br />
Wemm` dr<strong>in</strong> woll <strong>in</strong>`t Hüssien, dann muss man sik bükken,<br />
de Dööre was versackt, et was toot bedrükken.<br />
De Kökken, doar bleew man verwunnert <strong>in</strong> stoan,<br />
de floar was versackt, man kunn de hoast nich up goan.<br />
Men schoane dat was´t doar, doar köje met rekken,<br />
man kunn van de Floare wall Pannkoken etten.<br />
De Kamern wann klä<strong>in</strong>, un men dree <strong>in</strong>`t Getall,<br />
ik weet nich wo`t kun, men se slöpen ok all.<br />
Völl Wark han de Mä<strong>in</strong>schen met Grössgrund un Land.<br />
Se han ok g<strong>in</strong> Peerd, un döön als met de Hand.<br />
De Rogge, dat Höj un dat heele Verbau,<br />
muss all up de Koare, wat was`t ´n Gesau.<br />
Elektrik, doar bruke wij nich ower proaten,<br />
dat Huus stö<strong>in</strong>t <strong>in</strong>´t Venn, un nich an de Stroate.<br />
160<br />
GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />
„Bathorner Diek 1951–1953“<br />
h<strong>in</strong>ter Koops an der ersten Lee<br />
(Aus „Alt-Hoogstede“)<br />
telbar nach dem Krieg zutrug. Die Weiden zu<br />
beiden Seiten waren hoch überflutet. Das<br />
Wasser spülte kniehoch auf etwa fünfhundert<br />
Meter über die Straße. Weit vor mir durchfuhr<br />
wie ich <strong>e<strong>in</strong></strong> alter Mann das Wasser mit dem<br />
Fahrrad. Plötzlich war er nicht mehr zu sehen.<br />
Das Wasser hatte ihn samt s<strong>e<strong>in</strong></strong>em Rad umgerissen<br />
und fortgespült und er trieb im Wasser.<br />
Ohne Hilfe wäre er verloren gewesen. Wegen<br />
der Überflutung wurde der Wege- und Straßenkörper<br />
nochmals mit Schotter kräftig<br />
erhöht. Aus dem anfänglich schlecht passierbaren<br />
Twistdiek ist heute der viel befahrene<br />
wichtige Bathorner Diek geworden.<br />
Ingebrauchnahme Bathorner Diek 1953, mit<br />
Bogen, 1951–1953 (Aus „Alt-Hoogstede“)<br />
Se wüssen nich anners, et muss men so ween,<br />
van de St<strong>in</strong>köllilampe kunn´ se ok wall wat seen.<br />
Ower`t Dr<strong>in</strong>kwater, doar will ik nich ower proaten,<br />
et liekde wat bruun, un doar wijwt men bi loaten.<br />
Üm Bräjnt wann de Mä<strong>in</strong>schen <strong>in</strong>`t Venn nich verlegen,<br />
wen`t kault wööt, dann kunn`se de ok noch wall tegen.<br />
Moi was`t <strong>in</strong>`t Venn <strong>in</strong> de Hochsommertied,<br />
wenn de Häide moi blöjd, un de Bookwäide riepd.<br />
Wenn de Kukuk weer röp, dann was et meest Mäi,<br />
un de Häidelerche sö<strong>in</strong>k <strong>in</strong> de Lüfte so frej.<br />
In`t Föörjoar, dann kunn man dä<strong>in</strong> Kurrhaan hören,<br />
wenn de Kiewitten röpen, un sik alles röörde.<br />
Men trök ieter Joar weer de Wijnter <strong>in</strong>`t Land,<br />
Dann verstummde hoast alles <strong>in</strong>`t Häideland.<br />
Hier lööp noch `nen Hasen, en doar noch`n Knien,<br />
en off en to keek ok de Voss moal verbij.<br />
Woll man de Mä<strong>in</strong>schen <strong>in</strong>`t Wijnter besöken,<br />
was`t better dat ij uw de Steewel antröcken.<br />
De Fietze, de bleew up dä<strong>in</strong> Achterdiek stoan,<br />
dat leste Stück muss man tefoote dann goan.<br />
Men alles vergeet, un niks bliw bestoan,<br />
blos de Er<strong>in</strong>nerungen van froager, de bliewt doch bestoan.
Teilung des Hofes Ens<strong>in</strong>k <strong>in</strong> 1650<br />
Hermann Ens<strong>in</strong>k<br />
In der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Hoogstede gibt es zahlreiche<br />
Beispiele für Hofteilungen, auch wenn die Zusammenhänge<br />
durch verschiedene Namenswechsel<br />
heute nicht mehr auf den ersten Blick<br />
zu erkennen s<strong>in</strong>d. Die meisten Hofteilungen s<strong>in</strong>d<br />
ungleiche Teilungen, <strong>in</strong>dem z. B. <strong>e<strong>in</strong></strong> „Hüürmansspill“<br />
(Heuerhaus) oder noch nicht kultivierte<br />
Flächen <strong>e<strong>in</strong></strong>em nachrangigen Erben<br />
vermacht wurden.<br />
E<strong>in</strong> Hofteilungsprotokoll 1 vom 9. Mai 1650<br />
beschreibt die Teilung des „Goets Ens<strong>in</strong>ck“ <strong>in</strong><br />
niederländischer Sprache. Warum sich die Brüder<br />
Herman und Derik den Hof zu gleichen Teilen<br />
ohne erkennbaren E<strong>in</strong>fluss der Eltern<br />
aufteilten, ist <strong>in</strong> den Aufzeichnungen nicht beschrieben.<br />
Wer von den beiden Brüdern der Ältere<br />
war ist ebenfalls nicht bekannt.<br />
Im Protokoll ist von <strong>e<strong>in</strong></strong>em alten und neuen<br />
Haus die Rede. Deriks Frau zog das Los und<br />
bekam das alte Haus, zu dem auch die „Wohnung“<br />
der Eltern gehörte. Das alte Haus ist<br />
heute der Hof Ens<strong>in</strong>k, Am Voresch 1. Herman<br />
erhielt das neue Haus, den jetzigen Hof Harms-<br />
Ens<strong>in</strong>k, Am Voresch 2.<br />
Die Brüder losten die Grundstücke unter<strong>e<strong>in</strong></strong>ander<br />
aus. Die großen Flächen wurden <strong>in</strong> zwei<br />
gleich große Teile geteilt. Als Beispiel: „Dat Lant<br />
op den Sunderkamp zal langes over gedeijlet<br />
woerden en is Derik et noert deel gevallen“ (Das<br />
Land auf dem Sunnerkamp soll längs geteilt<br />
werden, der nördliche Teil ist an Derik gefallen).<br />
Kl<strong>e<strong>in</strong></strong>ere Grundstücke wurden als Ganzes verlost.<br />
Zum Schluss des Protokolls bekunden die<br />
Brüder, dass sie wegen der Teilung des Hofes<br />
niemals vor Gericht ziehen werden.<br />
Die Grundstücke von Harms-Ens<strong>in</strong>k und Ens<strong>in</strong>k<br />
lagen so, wie im Protokoll von 1650 beschrieben,<br />
zum großen Teil bis zum freiwilligen<br />
Landtausch im Jahre 1980 direkt neben<strong>e<strong>in</strong></strong>ander.<br />
Der Familienname Harms-Ens<strong>in</strong>k dürfte s<strong>e<strong>in</strong></strong>en<br />
Ursprung <strong>in</strong> Bathorn haben. Im allgem<strong>e<strong>in</strong></strong>en<br />
Sprachgebrauch und <strong>in</strong> vielen späteren<br />
Aufzeichnungen wird der Hof oft nur „Harms“<br />
HOOGSTEDE UND BATHORN<br />
1 Orig<strong>in</strong>al Hofteilungsprotokoll, erstellt am 12. Juli 1656, aufbewahrt auf dem Hof Ens<strong>in</strong>k, Am Voresch 1<br />
genannt. Die standesamtlichen E<strong>in</strong>tragungen<br />
weisen jedoch den Namen Harms-Ens<strong>in</strong>k aus.<br />
Die Hofstelle am Holunderweg (jetzt van<br />
Tübbergen) ist das ehemalige Heuerhaus von<br />
Harms-Ens<strong>in</strong>k. Der Hof Harms-Ens<strong>in</strong>k, T<strong>in</strong>holt,<br />
erhielt s<strong>e<strong>in</strong></strong>en Namen über den Hof Scholte,<br />
Scheerhorn (jetzt Smit), der zeitweilig durch<br />
E<strong>in</strong>heirat auch Harms-Ens<strong>in</strong>k hieß. Der<br />
bekannte Kaller Lehrer Berend Jan Harms-<br />
Ens<strong>in</strong>k war <strong>e<strong>in</strong></strong> Bruder des ehemaligen Bürgermeisters<br />
Jan Harms-Ens<strong>in</strong>k. Der weitere Bruder<br />
Wilhelm (Wilm) gründete <strong>in</strong> Alexisdorf <strong>e<strong>in</strong></strong>e eigene<br />
Existenz.<br />
Die Eheleute Albert Ens<strong>in</strong>k (*1818) und Gez<strong>in</strong>a<br />
Rolofs (*1820) aus Kalle (jetzt der Hof<br />
Toomsen) trugen wesentlich zur Namensverbreitung<br />
<strong>in</strong> der Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Hoogstede bei. 2,3 Drei<br />
der acht K<strong>in</strong>der heirateten <strong>in</strong> Kalle und T<strong>in</strong>holt.<br />
Jan H<strong>in</strong>drik Ens<strong>in</strong>k (*1847) heiratete Hille<br />
Weermann, Kalle, jetzt der Hof Geert Ens<strong>in</strong>k,<br />
Vechtetalstraße 19.<br />
Fredrik Ens<strong>in</strong>k (*1855) heiratete die Schwäger<strong>in</strong><br />
s<strong>e<strong>in</strong></strong>es Bruders, Johanna Krans aus T<strong>in</strong>holt,<br />
jetzt der Hof von Grietje Krans und ihrem<br />
Sohn Albert, Lägen Diek 3. Die älteren K<strong>in</strong>der<br />
bekamen hier den Namen Krans. Durch <strong>e<strong>in</strong></strong>e Gesetzesänderung<br />
musste der jüngste Sohn, Berend,<br />
mit dem Namen Ens<strong>in</strong>k <strong>e<strong>in</strong></strong>geschrieben<br />
werden. Er errichtete die Hofstelle am Koppeldiek<br />
3, die jetzt von s<strong>e<strong>in</strong></strong>em Neffen, Jan Krans<br />
aus Kalle, bewirtschaftet wird.<br />
Gerrit H<strong>in</strong>drik Ens<strong>in</strong>k *1857, war Lehrer <strong>in</strong><br />
Kalle und heiratete Ennegien T<strong>in</strong>holt aus T<strong>in</strong>holt,<br />
jetzt Hof Albert Ens<strong>in</strong>k, Grüntalstr. 4.<br />
Geschirr zur Hochzeit von G. Kranz und H. J. Ens<strong>in</strong>k,<br />
12.01.1877 (Jan Ens<strong>in</strong>k)<br />
2 Bemerkenswert s<strong>in</strong>d Aufzeichnungen nachdem der Brautwagen mit vier Pferden über die bereits Anfang Dezember 1844 zugefrorene Vechte<br />
von Kalle nach Bathorn fahren konnte. (Aufzeichnungen <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong></strong>em alten Psalmbuch, aufbewahrt auf dem Hof Ens<strong>in</strong>k, Am Voresch 1)<br />
3 Wie zu der Zeit üblich gibt es <strong>e<strong>in</strong></strong>en ausführlichen Maakmoalsbreef, nachzulesen <strong>in</strong> Jeur<strong>in</strong>k, Jan (1986). Materialien zur Volkskultur<br />
nordwestliches Niedersachsen. Die Trachten <strong>in</strong> der Niedergrafschaft Bentheim 1875-1950. Cloppenburg: Museumsdorf. Seite 168 ff.<br />
(ISBN 3-923 675-10-0)<br />
161
2<br />
Siedlerhöfe am Rande<br />
des Hochmoores<br />
Johann Kemkers<br />
Von Vorwald nach Scheerhorn –<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong> Hof zieht um<br />
Geert Mathuis<br />
Im Rahmen der Flurber<strong>e<strong>in</strong></strong>igung im Raum<br />
Vorwald, Eschebrügge und Volzel wurden <strong>in</strong>sbesondere<br />
für Straßen, Gräben und W<strong>in</strong>dschutzstreifen<br />
erhebliche zusätzliche Flächen<br />
benötigt. Aus diesem Grund ist unser Betrieb<br />
1964/65 aus Vorwald nach Scheerhorn ausgesiedelt.<br />
In Vorwald bewirtschafteten wir<br />
etwa 20 Hektar auf zwölf verstreut liegenden<br />
162<br />
GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />
Im Rahmen des Emslandplanes entstanden<br />
nach der Kultivierung von Hochmoorflächen<br />
auch im Bereich der jetzigen Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Hoog-<br />
stede <strong>in</strong>nerhalb weniger Jahre neue Bauernhöfe;<br />
sie wurden teils von Neusiedlern, teils<br />
von Aussiedlern übernommen.<br />
Die Höfe reihen sich entlang dem Coevorden-Piccardie-Kanal<br />
von West nach Ost über<br />
den gesamten Hoogsteder Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>debereich<br />
von der R<strong>in</strong>ger bis zur Osterwalder Grenze:<br />
Name Siedlungsjahr Bemerkungen<br />
Bathorn<br />
Hessels, Ernst 1958<br />
Jahnke, Hans 1958<br />
Bloemendal,Hermannes 1961 2008 Neerken, Lambertus<br />
Hessels, Jakobus<br />
Scheerhorn<br />
1965<br />
Maathuis, Geert 1964<br />
Wigger<strong>in</strong>k, Ges<strong>in</strong>e<br />
Berge<br />
1962 1970 Averes, Hermann<br />
Wolts, Gerrit 1964 1965 Evers, H<strong>in</strong>drik; Ranter, Bernd<br />
Voslambers, H<strong>e<strong>in</strong></strong>rich 1962 2006 Osterfeld , Harry<br />
Evers, Egbert 1948 bis 1954 Pachtstelle, danach Siedlerstelle<br />
Teilflächen, die bis zu 15 Kilometer vom Hof<br />
entfernt lagen.<br />
In Scheerhorn bot sich die Möglichkeit, auf<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>em arrondierten Betrieb mit 21 Hektar neu<br />
anzufangen. Zu der Zeit wurden diese Flächen<br />
von der staatlichen Moorverwaltung bewirtschaftet.<br />
Dem Weitblick m<strong>e<strong>in</strong></strong>es Großvaters,<br />
der damals mit 72 Jahren diese Entscheidung<br />
getroffen hat, ist es zu verdanken, dass die<br />
Weichen für den Betrieb Maathuis <strong>in</strong> die Zukunft<br />
gestellt wurden.<br />
Der alte Hof Maathuis<br />
<strong>in</strong> Vorwald<br />
(Maathuis, Scheerhorn)
Der neue Hof <strong>in</strong> Scheerhorn<br />
(Grafschafter Tagesspiegel, 09.06.1966)<br />
Nachdem die Formalitäten mit der Niedersächsischen<br />
Landgesellschaft abgeschlossen<br />
waren, konnte 1963 mit dem Bau der Hofanlage<br />
begonnen werden. Der neue Hof war klar<br />
gegliedert <strong>in</strong> Wohnhaus, Stallungen und Wirtschaftsgebäude<br />
und wurde nach neuesten Erkenntnissen<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>gerichtet. Die Bauzeit betrug<br />
etwa <strong>e<strong>in</strong></strong> Jahr. In dem Jahr mussten sowohl<br />
die Flächen <strong>in</strong> Vorwald als auch hier <strong>in</strong><br />
Scheerhorn bearbeitet werden. Das waren<br />
lange Fahrstrecken von etwa zwanzig Kilometern.<br />
Mit dem Schlepper war man gut <strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />
Stunde unterwegs.<br />
Da landwirtschaftliche Betriebe eher selten<br />
umziehen, war dies <strong>e<strong>in</strong></strong>e große Herausforderung<br />
für die ganze Familie. Der Umzug zog<br />
sich über Monate h<strong>in</strong>. Nach und nach wurden<br />
alle Vorräte und Masch<strong>in</strong>en nach Scheerhorn<br />
HOOGSTEDE UND BATHORN<br />
gebracht. Beim Transport der Milchkühe, des<br />
Jungviehs sowie der Sauen und Ferkel half<br />
unser damaliger Viehhändler mit dem LKW.<br />
Die alten und neuen Nachbarn, Bekannte und<br />
Verwandte unterstützten uns während der<br />
Bauphase und beim Umzug.<br />
M<strong>e<strong>in</strong></strong>e Eltern und m<strong>e<strong>in</strong></strong> Bruder kamen im<br />
Dezember 1964 nach Scheerhorn, m<strong>e<strong>in</strong></strong> Großvater<br />
und die Tante im Februar 1965. Als letzter<br />
kam ich, nachdem das 5. Schuljahr <strong>in</strong><br />
Vorwald abgeschlossen war. In der Zwischenzeit<br />
hatte ich bei Verwandten <strong>in</strong> Volzel gewohnt.<br />
Im Jahre 1968 konnte die Bewirtschaftungsfläche<br />
um neun Hektar vergrößert werden,<br />
nachdem angrenzende Hochmoorflächen<br />
mit <strong>e<strong>in</strong></strong>er Dampflok und <strong>e<strong>in</strong></strong>em Tiefpflug der<br />
Firma Ottomeyer tiefgepflügt worden waren.<br />
Ottomeyer-Pflug mit Dampflokomotive am Feldende<br />
163
2<br />
Aus Zeitung und Anzeigenblatt<br />
1885–1922<br />
Kreisblatt für den Kreis Grafschaft Bentheim<br />
Ausgewählt von Johann Jeur<strong>in</strong>k<br />
E<strong>in</strong> Luftschiff landet 1909 <strong>in</strong> Hoogstede<br />
Neuenhaus, 12. Februar 1909.<br />
Auch unsere abseits liegende Grafschaft wird<br />
mehr und mehr dem modernen Verkehr erschlossen.<br />
Selbst die allermodernsten Verkehrsfahrzeuge,<br />
die Luftschiffe, verirren sich <strong>in</strong><br />
die hiesige Gegend. (Bereits vor <strong>e<strong>in</strong></strong>igen Monaten<br />
konnten wir von <strong>e<strong>in</strong></strong>em Luftschiff berichten,<br />
das hier nahe der holländischen Grenze<br />
niedergegangen war. Am vorigen Dienstag<br />
(09.02.1909) morgens gegen ½6. Uhr landete<br />
im benachbarten Hoogstede <strong>in</strong> unmittelbarer<br />
Nähe der durch das Hochwasser enorm gestiegenen<br />
Vechte das Luftschiff „Essen-Ruhr“, welches<br />
mit zwei Herren, Herrn Direktor Heymann<br />
aus Bochum und Herrn Giersberg aus Wesel,<br />
besetzt war. Die Landung g<strong>in</strong>g glatt vonstatten,<br />
das Luftschiff wurde entleert und per Wagen<br />
zum hiesigen Bahnhof gebracht, um wieder <strong>in</strong><br />
s<strong>e<strong>in</strong></strong>e Heimat zurückbefördert zu werden. Auch<br />
die Insassen des Ballons traten von hier nachmittags<br />
ihre Heimreise an, nachdem sie uns<br />
zuvor ihre Fahrt geschildert und sich im Hotel<br />
Albersmeier von den Strapazen ihrer Nachtfahrt<br />
etwas erholt hatten. – Die Herren waren<br />
des Nachts um ½1 Uhr mit dem – etwa 900 Kubikmeter<br />
fassenden Ballon <strong>in</strong> Essen an der –<br />
Ruhr aufgestiegen, Ihre eigentliche Absicht,<br />
westwärts – nach Belgien zu fahren, konntten<br />
sie nicht ausführen, da - der herrschende W<strong>in</strong>d<br />
den Ballon nach Norden trieb. Die - Luftschiffer<br />
ziehen es vor, des Nachts <strong>in</strong> möglichst ger<strong>in</strong>ger<br />
Höhe zu fahren, und so fuhr auch dieser Ballon<br />
teilweise nur <strong>in</strong> der Höhe von fünf Metern.<br />
Nicht wissend, welch breiter Strom unter<br />
ihnen dah<strong>in</strong>floss, ließen die Insassen den Ballon<br />
an der Vechte bei Hoogstede nieder.<br />
Die Herren gehören dem Niederrh<strong>e<strong>in</strong></strong>ischen<br />
Ver<strong>e<strong>in</strong></strong> für Luftschifffahrt an, <strong>e<strong>in</strong></strong>em der größten<br />
derartigen Ver<strong>e<strong>in</strong></strong>e <strong>in</strong> Deutschland. Im vergangenen<br />
Jahre hat dieser Ver<strong>e<strong>in</strong></strong>, der im Besitze<br />
von zehn Ballons ist, mehr als 200 Fahrten, das<br />
heißt <strong>e<strong>in</strong></strong> Fünftel der gesamten Luftschifffahrten<br />
<strong>in</strong> ganz Deutschland unternommen.<br />
164<br />
Hoogstede, 1. Oktober 1912<br />
Gestern ereignete sich hier <strong>e<strong>in</strong></strong> trauriger Unglücksfall.<br />
Der Dienstknecht Schroven aus<br />
T<strong>in</strong>holt wollte <strong>e<strong>in</strong></strong> Fuder Torf holen. E<strong>in</strong> Rad<br />
des Wagens lief aus. Die Folge davon war,<br />
dass die Pferde durchg<strong>in</strong>gen. Schr. geriet unter<br />
den Wagen und wurde <strong>e<strong>in</strong></strong>e Strecke mit fortgezogen.<br />
Dabei zog er sich derartige Verletzungen<br />
zu, dass er auf dem Transport zum<br />
Krankenhause starb.<br />
T<strong>in</strong>holt, 9.April 1914<br />
Tödlicher Unglücksfall beim Richtfest. Am<br />
gestrigen Dienstag wurde der 21-jährige<br />
Dienstknecht Jeur<strong>in</strong>k das Opfer <strong>e<strong>in</strong></strong>es traurigen<br />
Unglücksfalles. Beim Richten <strong>e<strong>in</strong></strong>es Hauses<br />
fiel <strong>e<strong>in</strong></strong> Geb<strong>in</strong>de herab und traf den J., der<br />
Hülfe beim Richten leistete. Er stürzte bewusstlos<br />
nieder und starb nach wenigen Stunden<br />
an den Folgen <strong>in</strong>nerer Verletzungen.<br />
Bathorn, 31. März 1916<br />
Der J. H. Albers, gegenwärtig zu Bathorn,<br />
macht hiermit bekannt, dass er <strong>in</strong> etwa 4 Wochen<br />
s<strong>e<strong>in</strong></strong>e Rückreise nach Nord-Amerika<br />
(Staat Michigan, via Newyork) antreten werde<br />
und zur Übernahme von Bestellungen dah<strong>in</strong><br />
bereit ist.<br />
Hoogstede-Bathorn, 20. November 1917<br />
Zu <strong>e<strong>in</strong></strong>em ungelegenen Augenblick kam der<br />
Wachtmeister Backhaus auf den Hof <strong>e<strong>in</strong></strong>er<br />
Witwe. E<strong>in</strong>e Sau fraß aus <strong>e<strong>in</strong></strong>em Eimer. Als die<br />
Frau den Wachtmeister kommen sah, riß sie<br />
dem Tier den Eimer fort, lief damit <strong>in</strong> den<br />
Kuhstall, schüttete den Inhalt <strong>in</strong> den Dünger,<br />
trat ihn mit den Füßen h<strong>in</strong><strong>e<strong>in</strong></strong> und rührte ihn<br />
auch noch mit der Hand durch den Dünger.<br />
Der Wachtmeister konnte aber noch feststellen,<br />
dass das Futter im Eimer Roggenschrot<br />
und Kartoffeln enthalten hatte. Das Schöffengericht<br />
verurteilte die Frau zu 50 Mk. Strafe.<br />
Auf die Berufung des Amtsanwalts, dem die<br />
Strafe zu ger<strong>in</strong>g erschien, erhöhte die Strafkammer<br />
die Strafe auf 100 Mk.<br />
Hoogstede, 9. Februar 1921<br />
Turnen, Spiel und Sport. Wie <strong>in</strong> den anderen<br />
<strong>Ort</strong>en der Grafschaft hat sich auch hier vor ei-
nigen Wochen <strong>e<strong>in</strong></strong> Spiel- und Sportver<strong>e<strong>in</strong></strong> gegründet.<br />
Am Sonntag, 6. d. Mts. weilte <strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />
Mannschaft des Sportver<strong>e<strong>in</strong></strong> Veldhausen zu<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>em Gesellschaftsspiel zu Gaste. Das Spiel<br />
machte <strong>e<strong>in</strong></strong>en <strong>in</strong>teressanten E<strong>in</strong>druck und<br />
schloß unter <strong>e<strong>in</strong></strong>wandfreier Leitung des unparteiischen<br />
Schiedsrichters. Da Hoogstede<br />
nur mit 8 Spielern antrat, verlief das Spiel mit<br />
7:2 zu Gunsten Veldhausens. Trotz des kurzen<br />
Bestehens des Hoogsteder Ver<strong>e<strong>in</strong></strong>s war schon<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong> gutes Zusammenspiel festzustellen.<br />
Hoogstede, 18. Oktober 1921<br />
Von Glück im Unglück konnte heute der<br />
Pächter H. Bielefeld, T<strong>in</strong>holt sprechen. Er<br />
wollte mit s<strong>e<strong>in</strong></strong>er Schwäger<strong>in</strong> im Kleedwagen<br />
zu Besuch nach R<strong>in</strong>ge. Auf der Straße beim<br />
Vorsteher Köster Hoogstede lief ihm <strong>e<strong>in</strong></strong> Vorderrad<br />
vom Wagen ab, und der Wagen kippte.<br />
Das Pferd wurde scheu und g<strong>in</strong>g durch, die<br />
zerbrochene Wagendeichsel h<strong>in</strong>ter sich her<br />
schleifend. Im rasenden Galopp lief es über<br />
den Schulplatz, durch den Garten des Lehrers<br />
Voltmer, kaum <strong>e<strong>in</strong></strong> Meter weit an dem hier<br />
spielenden etwa 1½ jährigen Töchterchen des<br />
Lehrers vorbei und sprang über <strong>e<strong>in</strong></strong>en 1 ½<br />
Meter hohen Drahtzaun. Hier konnte das<br />
Pferd h<strong>in</strong>ter der Lehrerwohnung wieder <strong>e<strong>in</strong></strong>gefangen<br />
werden. Die beiden Wagen<strong>in</strong>sassen<br />
kamen mit den Schrecken davon. Da es kurz<br />
vor 12 Uhr war, waren die K<strong>in</strong>der zum Glück<br />
<strong>in</strong> der Schule. Das Pferd blieb unbeschädigt.<br />
Man hört <strong>in</strong> letzter Zeit verschiedentlich, dass<br />
der „Boß“ von halbwüchsigen Jungen herausgezogen<br />
wird. Sehe <strong>e<strong>in</strong></strong> jeder deshalb vor der<br />
Wegfahrt zu, ob s<strong>e<strong>in</strong></strong> Wagen <strong>in</strong> Ordnung ist.<br />
Hoogstede, 23. September 1922<br />
Eisenbahntransportgefährdung – Glänzende<br />
Arbeit d. Polizeihünd<strong>in</strong> „Flora“. Am Abend des<br />
Mittwoch waren von unbekannter Hand mehrere<br />
Kartoffelkörbe so auf die Schienen der<br />
Kreisbahn gelegt, dass der Abendzug 22 und<br />
der Morgenzug 11 dadurch gefährdet wurden.<br />
Um den Urheber dieser mehr als leichts<strong>in</strong>nigen<br />
Tat zu ermitteln, beschloß man, <strong>e<strong>in</strong></strong>en Polizeihund<br />
zu Hülfe zu nehmen. Donnerstag nachmittag<br />
3 Uhr erschien Herr Polizei Betr.<br />
Assistent Schwanengel aus Nordhorn mit sei-<br />
HOOGSTEDE UND BATHORN<br />
ner „Flora“, siebzehn Stunden nach der Tat!<br />
Das famose Tier nahm an <strong>Ort</strong> und Stelle Witterung<br />
auf und verfolgte die Spur fünfhundert<br />
Meter weit, lief dann <strong>in</strong> das Haus des Kolonen<br />
Warmer <strong>in</strong> Hoogstede, eilte wieder h<strong>in</strong>aus und<br />
rannte auf den Acker. Hier sprang der Hund auf<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong>en Wagen, auf dem der Dienstknecht Jan<br />
H<strong>in</strong>drik E. saß. Zweimal wiederholte er s<strong>e<strong>in</strong></strong>en<br />
Ansprung gegen diesen. E. wurde daraufh<strong>in</strong> <strong>in</strong><br />
<strong>e<strong>in</strong></strong> Kreuzverhör genommen und gestand nach<br />
anfänglichem Leugnen s<strong>e<strong>in</strong></strong>e Tat <strong>e<strong>in</strong></strong>. Als Grund<br />
gab er an, mit <strong>e<strong>in</strong></strong>em gewissen H. <strong>in</strong> Hoogstede<br />
Krach gehabt zu haben. Um diesen fälschlicherweise<br />
bezichtigen zu können, will er die<br />
Körbe auf den Schienen befestigt haben. Der<br />
Streich wird ihm sicher teuer zu stehen kommen,<br />
da er sich demnächst vor Gericht wegen<br />
Eisenbahntransportgefährdung zu verantworten<br />
haben wird. Wenn es aber gelungen ist, die<br />
Tat so schnell restlos aufzuklären, so muss das<br />
lediglich der glänzenden Arbeit des Nordhorner<br />
Polizeihundes zugeschrieben werden.<br />
Hoogstede, 12. Dezember 1923<br />
E<strong>in</strong> genussreicher Abend steht uns bevor. Am<br />
Dienstag, 18. Dezember, wird Herr Carl van der<br />
L<strong>in</strong>de, der als plattdeutscher Dichter schon<br />
große Erfolge aufzuweisen hat, <strong>in</strong> der Hoogsteder<br />
Schule neue Gedichte und Vertellsels<br />
vortragen. Um 7 Uhr abends wird die Schule<br />
geöffnet, und um 7 ½ Uhr beg<strong>in</strong>nen die Vorträge.<br />
Jeder Besucher hat <strong>e<strong>in</strong></strong>ige Pfund Roggen<br />
oder aber sonstige Lebensmittel mitzubr<strong>in</strong>gen,<br />
doch wird auch deutsches oder holländisches<br />
Geld nicht zurückgewiesen werden.<br />
Hoogstede, 9. Mai 1924<br />
Auf Anregung des Präsidenten des hiesigen<br />
Kriegerver<strong>e<strong>in</strong></strong>s wurde dem Ehepaar W. Scholte<br />
<strong>in</strong> Scheerhorn, welches am 16. April das<br />
seltene Fest der goldenen Hochzeit begehen<br />
konnte, nachträglich vom Reichspräsidenten<br />
<strong>e<strong>in</strong></strong> Glückwunschschreiben und <strong>e<strong>in</strong></strong>e Ehrengabe<br />
von 30 Mark übersandt. W. Scholte ist<br />
Kriegsteilnehmer von 1870/71.<br />
Hoogstede, 24. Mai 1924<br />
Herr Rechtsanwalt Arends, der den Landwirt<br />
W. vor dem Schöffengericht verteidigte, …<br />
165
2<br />
führte darüber h<strong>in</strong>ausgehend an, dass nach<br />
dem Gesetzblatt vom 6. Mai 1924 die Verfütterungsvorschriften<br />
aufgehoben seien. Der Beklagte<br />
könne also gar nicht mehr bestraft<br />
werden, da das Verfüttern von Brotgetreide<br />
nicht mehr strafbar sei. Das Gericht schloß sich<br />
dieser Auffassung an und kam zum kostenlosen<br />
Freispruch. – Die Aufhebung des Fütterungsverbotes<br />
von Brotgetreide lässt den letzten<br />
Zipfel der Brotgetreidezwangswirtschaft fallen,<br />
und die Landwirte können mit ihren Erzeugnissen<br />
wieder frei schalten und walten, ungehemmt<br />
von lästigen und hemmenden Vorschriften,<br />
deren Beseitigung unter den gegenwärtigen<br />
Umständen längst angebracht schien.<br />
166<br />
GESCHICHTE DER ORTSTEILE<br />
Hoogstede, 22. März 1926<br />
Der hiesige landw. <strong>Ort</strong>sver<strong>e<strong>in</strong></strong>, Zweigver<strong>e<strong>in</strong></strong><br />
des Emsländischen Bauernver<strong>e<strong>in</strong></strong>s, hat sich<br />
mit Schluß des Jahres 1925 aufgelöst, da den<br />
Mitgliedern durchweg die Beiträge als zu hoch<br />
erschienen.<br />
Hoogstede, 18. Januar 1921<br />
Wegen Jagdvergehens wurde der Haussohn S.<br />
vom Schöffengericht Neuenhaus zu 50 Mk.<br />
Geldstrafe und zur E<strong>in</strong>ziehung s<strong>e<strong>in</strong></strong>es bei der<br />
unberechtigten Jagdausübung benutzten Gewehres<br />
verurteilt. Es wurde ihm weiter zur<br />
Last gelegt, durch leichts<strong>in</strong>niges Umgehen mit<br />
Feuer im Torfmoor <strong>e<strong>in</strong></strong>en großen Moorbrand<br />
Bentheim, 10. Januar 1901<br />
Vorläufige Übersicht über das Ergebnis der Volkszählung am 1. Dezember 1900<br />
Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>de Wohnhäuser Haushalt. Bevölkerung ev.ref. röm.kath. luth. altref.<br />
bewohnt unbew. m. w.<br />
Berge 17 0 17 45 48 81 10 2 0<br />
Hoogstede-Bath. 97 0 95 263 253 373 88 6 49<br />
Kalle 40 0 40 110 107 134 35 0 48<br />
Scheerhorn 50 1 51 138 116 213 41 0 0<br />
T<strong>in</strong>holt 37 2 37 104 95 112 62 0 35<br />
Bentheim, den 5. Januar 1903<br />
Übersicht über das Ergebnis der Viehzählung am 1. Dezember 1902<br />
Namen der Zahl der Gehöfte Zahl der nicht- Pferde R<strong>in</strong>dvieh Schafe Schw<strong>e<strong>in</strong></strong>e<br />
Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>den Überhaupt/mit Vieh besitzenden<br />
bestand Haushaltungen<br />
Berge 17 17 17 29 98 1 111<br />
Kalle 40 40 40 37 241 173 221<br />
Hoogstede/Bathorn 96 86 86 74 402 316 550<br />
Scheerhorn 45 42 42 46 198 161 224<br />
T<strong>in</strong>holt 37 36 36 42 192 7 306<br />
Die Ergebnisse der Volkszählung vom 16. Juni 1925 für den Kreis Grafschaft Bentheim<br />
1925 1919 1910<br />
Berge 129 124 112<br />
Hoogstede-Bathorn 627 557 520<br />
Kalle 269 266 229<br />
Scheerhorn 219 230 227<br />
T<strong>in</strong>holt 253 241 205<br />
Die Gesamt<strong>e<strong>in</strong></strong>wohnerzahl der Grafschaft<br />
Bentheim beträgt 50.192. Seit<br />
der letzten Zählung am 3. Oktober<br />
1919 ist die Zahl von 44.345 um 5.847<br />
auf 50.192 gestiegen.
hervorgerufen zu haben. Dafür war aber <strong>e<strong>in</strong></strong><br />
Beweis nicht zu erbr<strong>in</strong>gen, und so wurde S.<br />
von dieser Anklage freigesprochen.<br />
Hoogstede, 9. September 1922<br />
Wegen Jagdvergehen hatte sich der Landwirt<br />
H. von hier vor dem Schöffengericht Neuenhaus<br />
zu verantworten. Wir hatten den Vorgang<br />
bereits gemeldet. H. gab zu, <strong>in</strong> der<br />
Schonzeit sechs oder sieben Hasen erlegt und<br />
verkauft zu haben. Das Urteil lautete auf 800<br />
Mk. Geldstrafe, E<strong>in</strong>ziehung des beschlagnahmten<br />
Gewehrs und des Jagdgeräts. Die<br />
Geldstrafe blieb <strong>in</strong> dieser Grenze, weil H. <strong>in</strong><br />
ärmlichen Verhältnissen lebt.<br />
HOOGSTEDE UND BATHORN<br />
Hoogstede, 2. Oktober 1922<br />
Das Fischen mit gifthaltigen Stoffen wird leider<br />
ab und zu <strong>in</strong> der Grafschaft ausgeübt. Mit<br />
Recht wird scharf Obacht auf diese Gem<strong>e<strong>in</strong></strong>heit<br />
gegeben, die unserm ohneh<strong>in</strong> schon arg<br />
zusammengeschmolzenem Fischbestande zum<br />
Verderben gereicht. Vor <strong>e<strong>in</strong></strong>iger Zeit wurde<br />
hier <strong>e<strong>in</strong></strong> gewisser L. dabei ertappt. E<strong>in</strong> Strafbefehl<br />
war die Folge.<br />
167
2<br />
168<br />
GESCHICHTE DER ORTSTEILE