Download der Festschrift zum 100-jährigen Jubiläum - Richard ...
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In einem Rundschreiben mit dem vielsagenden Titel „Nach-<br />
(nicht Nacht-) Gedanken zu einem Pyrrhus-Sieg“ gab <strong>der</strong><br />
Vorsitzende den Mitglie<strong>der</strong>n daher, wenn auch enttäuscht,<br />
bekannt: „Es wird deshalb überhaupt keine Abstimmung<br />
über diesen Punkt mehr geben, es sei denn, <strong>der</strong> Ausgang<br />
nach dem mehrheitlichen Willen <strong>der</strong> Verbandsvorsitzenden<br />
ist zuvor sichergestellt – dank Einsicht <strong>der</strong> „Großen“;<br />
ich setze doch den Konsens unseres Verbandes nicht auf’s<br />
Spiel!... Der <strong>Richard</strong> Wagner Verband ist heute ein an<strong>der</strong>er<br />
als jener, <strong>der</strong> sich vor 40 Jahren seine Statuten gab – ein<br />
an<strong>der</strong>er gottlob in organischer Evolution ohne schmerzhafte<br />
Zäsuren, in selbstverständlicher Kontinuität.“ 360<br />
Noch am Ende desselben Jahres schuf die „Wende“ in <strong>der</strong><br />
DDR von außen eine völlig neue Situation in <strong>der</strong> Frage <strong>der</strong><br />
Stimmverteilung und <strong>der</strong> Neuausrichtung des Gesamtverbandes<br />
im internationalen Maßstab.<br />
Schon kurz nach dem Fall <strong>der</strong> Mauer im November 1989<br />
begannen sich an den alten, ostdeutschen Wagnerstätten,<br />
in denen jahrzehntelang ein Engagement im bürgerlichvereinsrechtlichen<br />
Rahmen untersagt und eine Verbindung<br />
nach Bayreuth o<strong>der</strong> <strong>zum</strong> „<strong>Richard</strong> Wagner Verband“ ausgeschlossen<br />
war, neue Wagnerverbände zu bilden. Vor allem<br />
das Jahr 1990 sah eine Gründungswelle von Vereinen, angefangen<br />
bei Berlin-Ost im Februar und gefolgt von Dresden<br />
(Juni), Magdeburg (August), Dessau (Oktober), Weimar<br />
(November) und Eisenach (November). Ähnlich wie in<br />
Politik und Verwaltung leisteten westdeutsche Wagnerver-<br />
bände Aufbauhilfe für die neuen Vertretungen im Osten<br />
und übernahmen zur ferneren Begleitung Patenschaften,<br />
so Hannover für Leipzig und Bielefeld für Eisenach. Auch<br />
<strong>der</strong> Mindener Verband begleitete den Aufbau des Vereins<br />
in Weimar, dessen offizieller Pate allerdings Trier war. Zum<br />
Gründungsakt reiste eine große Zahl von Mitglie<strong>der</strong>n an,<br />
die so zugleich die erste „Auslandsfahrt“ des Mindener Verbandes<br />
verrichteten. Sie wurde auch mit einer Stippvisite<br />
auf <strong>der</strong> Wartburg verbunden.<br />
Auf <strong>der</strong> ganzen Welt bildeten sich in den Jahren um 1990<br />
zahlreiche neue Wagnerverbände. Noch vor den Umwälzungen<br />
im Ostblock entstand Anfang 1989 in Moskau<br />
eine „<strong>Richard</strong> Wagner Musikgesellschaft“. Ihr folgten im<br />
Oktober 1989 ein Griechischer Wagner-Verband in Athen<br />
und 1990 eine ganze Reihe von Vereinen wie in Budapest,<br />
Adelaide und Barcelona. 1989 zählte <strong>der</strong> „<strong>Richard</strong> Wagner<br />
Verband“ in <strong>der</strong> Bundesrepublik und Österreich 7160 Mitglie<strong>der</strong>,<br />
während die ausländischen Gesellschaften bereits<br />
rund 6000 umfassten. 1992 bestanden 34 Gesellschaften<br />
außerhalb Deutschlands auf sämtlichen Kontinenten, so in<br />
Buenos Aires, Rio de Janeiro, Toronto, Tallinn, Hongkong<br />
und Johannesburg.<br />
Angesichts dieser Vermehrung von Wagnervereinen im<br />
In- und Ausland war eine schnelle Reform des bislang auf<br />
Deutschland beschränkten Gesamtverbandes unausweichlich.<br />
Die Frage nach <strong>der</strong> Öffnung des „<strong>Richard</strong> Wagner Ver-<br />
bands“ im internationalen Maßstab verknüpfte sich mit <strong>der</strong><br />
immer noch schwelenden Diskussion um die Neuordnung<br />
des Stimmrechts unter den deutschen Ortsverbänden. In<br />
einem Rundschreiben vom Februar 1990 fasste Josef Lienhart<br />
die verän<strong>der</strong>te Situation zusammen und machte einen<br />
neuen Anlauf für die notwendige Umorganisation: „Die<br />
For<strong>der</strong>ung eines vereinten Deutschland innerhalb des europäischen<br />
Zusammengehens macht aber selbstverständlich<br />
auch vor uns nicht halt. Im Gegenteil, wir werden in<br />
Zukunft gemessen werden an <strong>der</strong> Antwort, die wir auf die<br />
Frage unserer <strong>Richard</strong> Wagner-Freunde International bereithalten…Das<br />
heißt aber, daß wir <strong>zum</strong>indest jenen ausländischen<br />
Verbänden, die ein engeres Zusammengehen mit<br />
uns anstreben, eine wirkliche Mitgliedschaft ermöglichen<br />
sollten (und dürfen!), wie sie uns für die Verbände Wien<br />
und Linz längst selbstverständlich ist.“ 361 Mit Verweis auf<br />
die Geschichte des Wagnerverbandes, die sich gerade im<br />
dies<strong>jährigen</strong> Tagungsort Hannover als Keimzelle des Nachkriegsvereins<br />
wi<strong>der</strong>spiegelte, meinte Lienhart: „Die letzte<br />
Reichsvorsitzende, gleichzeitig unsere erste Bundesvorsitzende,<br />
Frau Lotte Albrecht-Potonié, hat bei jener Wie<strong>der</strong>gründung<br />
erkannt, daß die Reichssatzung einer neuen Zeit<br />
mit verän<strong>der</strong>tem Bewusstsein nicht mehr Genüge tun konnte.<br />
Und mit kühnem Zugriff wandelte sie die Statuten dem<br />
neuen Zeitgeist entsprechend in die Bundessatzung um…<br />
Gerade sie, die von mir als Teenager und Twen hochbewun<strong>der</strong>te<br />
Frau, würde „ihren“ Verband mit größter Selbstverständlichkeit<br />
und größter Freude „neuen Ufern“ zu-,<br />
360 Kommunalarchiv Minden, RWV, Nr. 9.<br />
361 Zu den österreichischen Wagnervereinigungen in Wien und Graz, später auch Linz, bestanden traditionell enge Verbindungen. Seit ihrer Gründung gehörten sie als korporative Mitglie<strong>der</strong> dem<br />
<strong>Richard</strong> Wagner Verband an. Anfang <strong>der</strong> 1980er Jahre erreichten Wien und Linz die vollständige Aufnahme als Ortsverbände, während Graz seinen korporativen Status aufrechterhielt.<br />
362 Kommunalarchiv Minden, RWV, Nr. 11.