Geschlecht und esellschaf eraus e geben v® Ilse Lenz ichik® Sigrid ...
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In der neueren Jungianischen Literatur wird der Feminismus deshalb<br />
nicht als Widerstand gegen die Unterdrückung von Frauen, sondern als<br />
Rückkehr des Archetypus „Weiblichkeit" interpretiert. In der Vergangenheit<br />
haben auch nicht Männer Frauen dominiert, sondern das Männliche über das<br />
Weibliche. Man sieht, warum die Jungsche Theorie für die derzeitigen reaktionären<br />
Tendenzen bei vormals progressiven Männern so wichtig ist." Denn<br />
der Jungsche Ansatz legt den Gedanken nahe, daß der moderne Feminismus<br />
das Pendel zu weit auf die andere Seite ausschlagen läßt <strong>und</strong> damit Männlichkeit<br />
unterdrückt. Auf der Jungschen Formel von der archetypischen Balance<br />
gründet sich Blys einflußreiche Kritik an den Softies, die dem Feminismus<br />
klein beige<strong>geben</strong> <strong>und</strong> deshalb ihre „wahre Männlichkeit" verloren<br />
hätten.<br />
Da die Originalschriften Jungs heutzutage wenig gelesen werden, sind<br />
auch die Wurzeln dieses Denkens in der frühen Psychoanalyse vergessen. Es<br />
lohnt aber, sich daran zu erinnern. Jungs <strong>Geschlecht</strong>sanalyse basiert auf einer<br />
abstrakten Gegenüberstellung von Weiblichkeit <strong>und</strong> Männlichkeit, die Freud<br />
Schritt für Schritt (bis zu ihren Anfängen) zurückverfolgt hatte. Den Jungscheu<br />
Formulierungen fehlt die Vielschichtigkeit der Freudschen Sicht von<br />
der psychosexuellen Entwicklung fast gänzlich. Und indem er die hauptsächlichen<br />
Determinanten des sozialen <strong>Geschlecht</strong>s im kollektiven Unbewußten<br />
gesucht hat, verließ er den Pfad einer für soziale Aspekte empfänglichen<br />
Psychoanalyse, der von Adler <strong>und</strong> Horney vorgezeichnet worden war.<br />
In neueren populären Männlichkeitstheorien findet sich hauptsächlich<br />
eine Alternative zu den <strong>Geschlecht</strong>erarchetypen: das Konzept der <strong>Geschlecht</strong>sidentität<br />
von Erik Erikson, dem vielleicht einflußreichsten Psycho<br />
analytiker aus der Generation nach Freud <strong>und</strong> Jung. In „Kindheit <strong>und</strong> G<strong>esellschaf</strong>t"<br />
postuliert Erikson die Ausbildung einer Ich-Identität als die Hauptaufgabe<br />
der emotionalen Entwicklung. „Identität" wurde zum Schlüsselbegriff,<br />
<strong>und</strong>. Eriksons Stufenmodell der Entwicklung wurde üb<strong>eraus</strong> populär."<br />
Die bertragung des Identitätskonzepts auf das soziale <strong>Geschlecht</strong> erfolgte<br />
vor allem durch den amerikanischen Psychiater Robert Stoller. Stollers<br />
Schriften konzentrieren sich auf eine bemerkenswerte Entwicklung in der<br />
Praxis der <strong>Geschlecht</strong>er: die Erfindung des Transsexuellen. Neue chirurgische<br />
Techniken zur <strong>Geschlecht</strong>sumwandlung machten eine Beurteilung nötig,<br />
wer unter's Messer durfte, was wiederum die Erforschung der <strong>Geschlecht</strong>szugehörigkeit<br />
anspornte.<br />
Stoller untersuchte erwachsene Männer, die Frauen sein wollten, <strong>und</strong><br />
Jungen, die sich in Richtung Weiblichkeit zu entwickeln schienen - was er<br />
als „Transsexualität bei Jungen, eine deutliche, möglicherweise schädliche<br />
Persönlichkeitsstörung" bezeichnete. Seine Untersuchungen führten ihn nicht<br />
zu Freuds Auffassung von der widersprüchlichen Struktur des sozialen Ge-<br />
20 Zum Beispiel Kaufmau <strong>und</strong> Timmers 1983, K. Thompson 1991.<br />
21 Erikson 1992.<br />
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schlechts. Statt dessen glaubte Stoller einen universalen Kern der <strong>Geschlecht</strong>sidentität<br />
gef<strong>und</strong>en zu haben, der seinen Ursprung in der frühen Kindheit hat.<br />
Diese <strong>Geschlecht</strong>sidentität entwickelt sich durch emotionale Interaktionen<br />
zwischen Eltern <strong>und</strong> Kindern - Stoller verliert dabei einige unfre<strong>und</strong>liche<br />
Worte über die Mütter - <strong>und</strong> ist mächtig genug, die physischen Tatsachen<br />
des Körpers zu überwinden. Transsexualität bei Männern wird deshalb nicht<br />
als der Wunsch verstanden, eine Frau zu werden, sondern als die Überzeugung,<br />
bereits eine Frau zu sein. Normalerweise entwickelt ein Junge selbstverständlich<br />
eine männliche <strong>Geschlecht</strong>sidentität <strong>und</strong> alles ist in Ordnung.<br />
Das Konzept der <strong>Geschlecht</strong>sidentität hat als Darstellung der <strong>Geschlecht</strong>sentwicklung<br />
weite Verbreitung gef<strong>und</strong>en. Davon wurden neuere psychoanalytische<br />
Arbeiten über kindliche Entwicklung oder über Homosexualität<br />
ebenso beeinflußt wie anthropologische Männlichkeitstheorien.<br />
Obwohl diese Theorie auf den unheimlichen Widersprüchen im Leben<br />
Transsexueller basiert, hat sie zweifellos normalisierenden Charakter. Denn<br />
die Identifikation mit Frauen wird nicht im Unbewußten aller Männer veror<br />
tet, sondern innerhalb einer spezifischen, abweichenden Gruppe. (Es überrascht<br />
nicht, daß Männer, die eine <strong>Geschlecht</strong>sumwandlung wollen, sehr darauf<br />
bedacht sind, - wie die Soziologin Anne Bolin gezeigt hat - den Vorstellungen<br />
der Ärzte hinsichtlich weiblicher Verhaltensweisen <strong>und</strong> Kleidung<br />
zu entsprechen.) In einer scharfen Kritik hat Robert May in Frage gestellt, ob<br />
man hier überhaupt von einer psychoanalytischen Theorie sprechen könne.<br />
Er sieht in Eriksons Ansatz eine Ich-Psychologie in weltverbessernder Absicht<br />
<strong>und</strong> bescheinigt Stollers Konzept einer Kerngeschlechtsidentität, daß sie<br />
die wesentliche psychoanalytische Einsichtsfähigkeit in Konflikt, Phantasie<br />
<strong>und</strong> Unterbewußtsein verloren habe. Dem kann man nur schwer widersprechen.<br />
Wenn Jung die Widersprüche des sozialen <strong>Geschlecht</strong>s zu einer universellen<br />
psychischen Dichotomie reduziert hat, ist die Theorie von der <strong>Geschlecht</strong>sidentität<br />
noch einen Schritt weitergegangen <strong>und</strong> hat alle Widersprüche<br />
gleich ganz beseitigt. Z3<br />
In dem halben Jahrh<strong>und</strong>ert nach der Wolfsmann-Fallstudie haben sich in<br />
der Psychoanalyse <strong>und</strong> in den beiden einflußreichsten konkurrierenden Theorien<br />
normalisierende Männlichkeitstheorien <strong>und</strong> ein konservativer Umgang<br />
mit dem sozialen <strong>Geschlecht</strong> entwickelt - Theorien, die psychische Ges<strong>und</strong>heit<br />
mit alles andere als freizügigen Konventionen hinsichtlich Sexualität <strong>und</strong><br />
Gefühlsleben in Verbindung bringen. Aber es gab noch eine andere Richtung,<br />
in die Freuds Gedanken sich entwickeln ließen. An den Rändern der<br />
22 Zur Kerngeschlechtsidentität siehe Stoller 1968, 1976. Zur kindlichen Entwicklung<br />
siehe Tyson 1986; zur Homosexualität siehe Friedman 1988, eine anthropologische<br />
Anwendung findet sich bei Stoller <strong>und</strong> Herdt 1982. Mit der Erfindung des Transse<br />
xuellen beschäftigt sich King 1981, <strong>und</strong> eine bemerkenswerte Untersuchung der<br />
Szene gibt es von Bolin 1988.<br />
23 May 1986. In Mays eigener Arbeit über das soziale <strong>Geschlecht</strong> (1980) betont er vor<br />
allem die Phantasie, beruft sich aber auf eine eigenartig rigide Dichotomie.<br />
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