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Geschlecht und esellschaf eraus e geben v® Ilse Lenz ichik® Sigrid ...

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hat, im Zuge der zunehmenden Kolonialisierung <strong>und</strong> kapitalistischer Wirtschaftsbeziehungen<br />

(siehe auch das achte Kapitel).<br />

Aber das Konzept weist auch eine innere Relationalität auf. Ohne den<br />

Kontrastbegriff „Weiblichkeit" existiert „Männlichkeit" nicht. Eine Kultur,<br />

die Frauen <strong>und</strong> Männer nicht als Träger <strong>und</strong> Trägerinnen polarisierter Cha<br />

raktereigenschaften betrachtet, zumindest prinzipiell, hat kein Konzept von<br />

Männlichkeit im Sinne der modernen westlichen Kultur.<br />

Die Geschichtsforschung nimmt an, daß dies in der europäischen Kultur<br />

bis zum 18. Jahrh<strong>und</strong>ert der Fall war. Frauen wurden zwar als unterschieden<br />

von Männern wahrgenommen, aber im Sinne unvollkommener oder mangelhafterer<br />

Exemplare des gleichen Charakters (zum Beispiel mit weniger Vernunft<br />

begabt). Männer <strong>und</strong> Frauen wurden nicht als Träger <strong>und</strong> Trägerinnen<br />

qualitativ anderer Charaktere betrachtet; dieser Gedanke entstand erst mit der<br />

bourgeoisen Ideologie der „getrennten Sphären" im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert.'<br />

Unser Konzept von Männlichkeit scheint historisch also ziemlich neuen<br />

Datums zu sein, höchsten ein paar Jahrh<strong>und</strong>erte alt. Um überhaupt von<br />

„Männlichkeit" sprechen zu können, stellen wir auf kulturell spezifische<br />

Weise „<strong>Geschlecht</strong>" her. Das sollte man im Kopf behalten, wenn man beansprucht,<br />

universelle Wahrheiten über Männlichkeit <strong>und</strong> über das Mannsein<br />

entdeckt zu haben.<br />

Die meisten Definitionen von Männlichkeit setzten unseren kulturellen<br />

Standpunkt unhinterfragt voraus, verfolgen aber unterschiedliche Strategien,<br />

wenn es darum geht, eine männliche Person zu charakterisieren. Vier hauptsächliche<br />

Strategien lassen sich hinsichtlich ihrer Logik unterscheiden, obwohl<br />

sie in der Praxis oft miteinander kombiniert werden.<br />

Essentialistische Definitionen greifen für gewöhnlich einen Aspekt h<strong>eraus</strong>,<br />

der das Gr<strong>und</strong>prinzip von Männlichkeit ausmachen soll, <strong>und</strong> erklären<br />

daraus das Leben von Männern. Freud liebäugelte mit einer essentialistischen<br />

Definition, als er Männlichkeit mit Aktivität gleichsetzte <strong>und</strong> der weiblichen<br />

Passivität gegenüberstellte - aber er kam dann zu dem Schluß, daß diese<br />

Gleichsetzung zu sehr vereinfache. Spätere Versuche, eine Essenz von<br />

Männlichkeit zu erfassen, sind sehr unterschiedlich: Risikofreudigkeit, Verantwortlichkeit,<br />

Unverantwortlichkeit, Aggression, die Energie des Zeus...<br />

Am schönsten ist vielleicht die Idee des Soziobiologen Lionel Tiger, daß<br />

wahre Männlichkeit, die Männerbünden <strong>und</strong> Krieg zugr<strong>und</strong>eliegt, durch<br />

„hard and heavy" -Phänomene hervorgerufen wird. Viele Heavy-Metal-Fans<br />

würden dem wohl zustimmen.<br />

2<br />

88<br />

Bloch 1978 beschäftigt sich mit der protestantischen Mittelschicht in England <strong>und</strong><br />

Nordamerika. Laqueur 1990 argumentiert ähnlich, aber etwas allgemeiner in Bezug<br />

auf den Körper.<br />

Tiger 1969 (S. 211). Tiger gibt sich Vermutungen hin, daß der Krieg Teil einer<br />

„männlichen Ästhetik" sein könnte, wie das Dahinrasen mit einem Rennwagen. Die<br />

Lektüre dieser Passage lohnt sich immer noch, genauso wie der „Eisenhans" von<br />

Robert Bly, ein schlagendes Beispiel dafür, was für verwirrte Gedanken Männerthe-<br />

Der Schwachpunkt dieses Ansatzes ist offensichtlich: die Wahl des jeweiligen<br />

essentiellen Kriteriums ist recht willkürlich. Nichts zwingt unterschiedliche<br />

Essentialisten dazu, sich zu einigen, <strong>und</strong> in der Tat ist ihnen dies<br />

auch oft nicht möglich. Behauptungen einer universalen Basis von Männlichkeit<br />

sagen mehr über das Ethos derjenigen aus, die sie aussprechen, als<br />

über sonst irgendetwas.<br />

Die positivistische Sozialwissenschaft hat den Anspruch, Fakten zu produzieren<br />

<strong>und</strong> strebt deshalb nach einer einfachen Definition von Männlichkeit:<br />

männlich ist, wie Männer wirklich sind. Diese Definition liegt auch den<br />

männlich/weiblich (M/F) Skalen der Psychologie zugr<strong>und</strong>e, deren Items<br />

durch den Nachweis validiert werden, daß sie tatsächlich statistisch zwischen<br />

Gruppen von Männern <strong>und</strong> Frauen zu trennen vermögen. Darauf basieren<br />

auch diejenigen ethnographischen Männlichkeitsdiskussionen, die das Muster<br />

männlichen Lebens in einer bestimmten Kultur beschreiben <strong>und</strong> - wie<br />

immer es auch beschaffen sein mag - dieses Muster als „Männlichkeit" bezeichnen.'<br />

Es gibt hier drei Schwierigkeiten. Zunächst gibt es keine Beschreibung<br />

ohne einen Standpunkt, wie uns die moderne Erkenntnistheorie gezeigt hat.<br />

Die angeblich neutralen Beschreibungen, auf denen diese Definitionen beru<br />

hen, basieren selbst auf Annahmen über das soziale <strong>Geschlecht</strong>. Eigentlich ist<br />

es völlig einleuchtend, daß man, um eine M/F-Skala zu erstellen, eine Vorstellung<br />

davon haben muß, was man bei der Erstellung der Items auflistet<br />

bzw. berücksichtigt.<br />

Zweitens: Um aufzulisten, was Männer <strong>und</strong> Frauen machen, bedarf es<br />

bereits einer Aufteilung in die Kategorien „Männer" <strong>und</strong> „Frauen". Suzanne<br />

Kessler <strong>und</strong> Wendy McKenna zeigen in ihrer klassischen ethnomethodologi<br />

scheu Untersuchung der <strong>Geschlecht</strong>erforschung, daß dabei zwangsläufig eine<br />

soziale Attribution mit eher klischeehafter <strong>Geschlecht</strong>stypologie stattfindet.<br />

Das positivistische Vorgehen basiert demnach genau auf jenen Typisierungen,<br />

die eigentlich erforscht werden sollen.<br />

Und drittens verhindert eine solche Männlichkeitsdefinition, daß man<br />

auch eine Frau als „männlich" oder einen Mann als „weiblich" oder bestimmte<br />

Verhaltensweisen oder Einstellungen als „männlich" oder „weib<br />

lich" beschreiben könnte, unabhängig davon, bei wem man sie feststellt. Das<br />

ist kein trivialer Gebrauch der Begriffe, sondern beispielsweise entscheidend<br />

für die psychoanalytische Vorstellung von den Widersprüchen in einer Persönlichkeit.<br />

men hervorrufen können, in diesem Fall mit dem Beigeschmack dessen, was G.<br />

Wright Mills „verrückte Realität" genannt hat.<br />

3 Die zutiefst verwirrte Logik der M/F-Skalen offenbart sich in einem klassischen Aufsatz<br />

von Constantinople 1973. Der ethnographische Positivismus erreicht mit Gilmore<br />

1991 einen Tiefpunkt, hin- <strong>und</strong> herschwankend zwischen normativer Theorie <strong>und</strong><br />

positivistischer Praxis.<br />

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