Geschlecht und esellschaf eraus e geben v® Ilse Lenz ichik® Sigrid ...
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überlegen. Reichs Konzept war es, die Psychodynamik der Familie als Verdichtung<br />
umfassenderer Machtstrukturen sichtbar zu machen. Damit erfaßte<br />
er genau jene Dimension sozialer Realität, die Freudscher <strong>und</strong> Jungscher<br />
Spekulation über Männlichkeit fehlte."<br />
Reich wiederum fehlte die Aufgeschlossenheit gegenüber dem Feminismus,<br />
die Adlers Werk so auszeichnet. Deshalb sah er in der Männlichkeit an<br />
sich kein Problem. Ebensowenig tat das die Frankfurter Schule in den näch<br />
sten zwei Jahrzehnten bei ihrem Versuch, Reichs Idee einer Charakteranalyse,<br />
seine Beschäftigung mit dem Autoritarismus <strong>und</strong> sein Projekt einer Aussöhnung<br />
von Marx <strong>und</strong> Freud aufzugreifen. In den Arbeiten von Max Horkheimer,<br />
Theodor W. Adorno <strong>und</strong> Erich Fromm entwickelte sich „Autoritarismus"<br />
nach <strong>und</strong> nach zu einem bestimmten Charaktertypus - oder, mit feministischen<br />
Augen betrachtet, zu einem bestimmten Typus von Männlichkeit.<br />
Die berühmtesten psychologischen Werke der Frankfurter Schule, Fromms<br />
„Die Furcht vor der Freiheit" <strong>und</strong> das Gemeinschaftswerk „Studien zum autoritären<br />
Charakter", listeten in Wahrheit Männlichkeiten <strong>und</strong> die Bedin<br />
gungen, die sie hervorbringen, auf. Fromm nahm eine historische Abfolge<br />
von Charaktertypen über die Jahrh<strong>und</strong>erte an. Die „Studien zum autoritären<br />
Charakter" gingen detaillierter vor. Die zwei berühmten Fallstudien „hack"<br />
<strong>und</strong> „Larry" stellen die ersten detaillierten klinischen Beschreibungen von<br />
Männlichkeit dar, die sorgfältig die ökonomischen <strong>und</strong> kulturellen Rahmenbedingungen<br />
ihres Entstehens einbeziehen. Der „autoritäre" Typ war eine<br />
Art von Männlichkeit, die ausdrücklich an der Aufrechterhaltung des Patriarchats<br />
beteiligt war: Haß auf Homosexuelle, Geringschätzung von Frauen,<br />
sowie Loyalität gegenüber der Autorität von Mächtigeren <strong>und</strong> Aggressivität<br />
gegen Schwächere. In der Kindheit solcher Männer fand man eine rigide Erziehung,<br />
dominante Väter, sexuelle Unfreiheit <strong>und</strong> konservative Moralvorstellungen.<br />
Der „demokratische" Charakter war nicht so deutlich beschrieben,<br />
zeigte aber eine eindeutig größere Toleranz <strong>und</strong> stand für entspanntere<br />
<strong>und</strong> gefühlvollere familiären Beziehungen."<br />
Hier wurde empirisch nachgewiesen, daß ein soziales Umfeld verschiedene<br />
psychosexuelle Charaktere hervorbringen konnte. Von der Psychoanalyse<br />
beeinflußte Anthropologen wie der große Ethnologe Bronislaw Mali<br />
nowski hatten bereits gezeigt, wie unterschiedlich Kulturen mit Sexualität<br />
umgehen <strong>und</strong> die Persönlichkeiten formen können". Es wurde immer deutlicher,<br />
daß Freuds Theorie vom ®dipuskomplex keine allgemeine Erklärung<br />
für Männlichkeit bieten kann. Vielmehr handelt es sich dabei um ein mögliches<br />
historisches Muster, das in Relation zu allen möglichen anderen Mustern<br />
gesetzt werden mußte. Dieser Schluß hat weitreichende Konsequenzen<br />
25 Reich 1986, 1972.<br />
26 Horkheimer 1987, Fromm 1966, Adorno et al. 1973. Die amerikanischen Diskussionen<br />
über „Die autoritäre Persönlichkeit" dokumentieren Christie <strong>und</strong> Jahoda 1954.<br />
27 Malinowski 1977, <strong>und</strong> als späterer Unterstützer Parsons 1964.<br />
36<br />
für eine Theorie der Männlichkeit, wie ich sie in den folgenden Kapiteln<br />
skizzieren möchte.<br />
Weder Wilhelm Reich noch die Frankfurter Schule teilten die Zweifel<br />
Alfred Adlers gegenüber der Libidotheorie. Das tat aber Jean-Paul Sartre in<br />
„Das Sein <strong>und</strong> das Nichts". Sartre fand die „empirische Psychoanalyse" - wie<br />
er Freuds Ansatz nannte - zu mechanisch, indem sie eine mögliche Form des<br />
Lebens (determiniert vom sexuellen Trieb) zur Bedingung des Lebens<br />
schlechthin machte. Sartre entwarf eine überzeugende Alternative, die er<br />
„existentielle Psychoanalyse" nannte. Er ersetzte das Konzept vom Unbewußten<br />
durch die verschiedenen Arten, wie wir unser Selbst-Bewußtsein organisieren.<br />
Man verfolgt die Lebensgeschichte zurück, um die primären Bindungen<br />
zu erkennen, die das Leben einer Person konstituieren.<br />
Sartre selbst hat diese Methode nur in literarischen Biographien verwendet.<br />
Aber Simone de Beauvoir hat die existentielle Psychoanalyse in „Das<br />
andere <strong>Geschlecht</strong>" direkt auf das soziale <strong>Geschlecht</strong> angewendet. Sie wies<br />
nach, daß Frauen als „das Andere" der männlichen Subjekte konstituiert werden.<br />
Aber das Buch enthält auch eine Reihe von Essays über andere Arten<br />
von Weiblichkeit, bei denen der weiblichen Begierde viel mehr Raum eingeräumt<br />
wird. Mit Hilfe der existentiellen Psychoanalyse konnte sie die üblichen<br />
statischen Typologien der Psychologie hinter sich lassen. Bei ihr wurde<br />
das soziale <strong>Geschlecht</strong> zu einer prozeßhaften Auseinandersetzung mit Situationen<br />
<strong>und</strong> sozialen Strukturen. Verschiedene Formen des sozialen <strong>Geschlecht</strong>s<br />
bilden keine starren Charaktertypen, sondern stellen unterschiedliche<br />
Lebensweisen dar!'<br />
Soweit ich weiß, wurde dieser Ansatz nie auf Männer angewandt. Aber<br />
das Potential dazu zeigt sich deutlich im Werk des schottischen Psychiaters<br />
Ronald D. Laing. Laings Untersuchungen zur Schizophrenie enthielten einige<br />
männliche Fallstudien <strong>und</strong> ein lebendiges Bild vom Verhalten der Männer im<br />
emotionalen Innenraum der Familie. Der Fall des Studenten „David" zeigte<br />
in seiner Exzentrik, wie ein ganzes Leben von widersprüchlichen dramatischen<br />
Rollen zusammengehalten werden kann. Die machtvollsten dieser<br />
Rollen waren weibliche, die ihren emotionalen Einfluß aus einer Familiendynamik<br />
bezogen, welche durch den Tod seiner Mutter entstanden war. Davids<br />
Schizophrenie war Folge seines Kampfes mit den schwer handhabbaren Widersprüchen<br />
des sozialen <strong>Geschlecht</strong>s. Um seinen weiblichen Identifikationen<br />
zu entkommen, entwickelte David eine Reihe anderer „Personae", die<br />
ein ausgeklügeltes System eines falschen Selbst bildeten."<br />
Das ist kein „Typus" von Männlichkeit; in der existentiellen Psychoanalyse<br />
werden die Widersprüche des sozialen <strong>Geschlecht</strong>s nicht aufgehoben<br />
<strong>und</strong> das Ergebnis ist keine Identität. Sie entstehen im Sozialen, werden aber<br />
erst zu Widersprüchen, indem man unvereinbare Handlungsmuster über-<br />
28 Sartre 1991, de Beauvoir 1968.<br />
29 Laing 1987, Laing 1973, Laing <strong>und</strong> Esterson 1964.<br />
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