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Geschlecht und esellschaf eraus e geben v® Ilse Lenz ichik® Sigrid ...

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die von Steve zutrifft, gibt es wenig Anlaß anzunehmen, daß körperreflexive<br />

Praxen bei der Mehrheit der Männer stimmiger ablaufen.<br />

Wie uns diese Beispiele zeigen, sind körperreflexive Praxen keine Vorgänge<br />

im Inneren des Individuums. Sie umfassen soziale Beziehungen <strong>und</strong><br />

Symbole, aber manchmal auch soziale Institutionen. Die verschiedenen Ver<br />

sionen von Männlichkeit werden prozeßhaft konstituiert als bedeutungsvolle<br />

Körper <strong>und</strong> verkörperte Bedeutungen. Durch körperreflexive Praxen wird<br />

nicht nur individuelles Leben geformt, sondern eine soziale Welt gestaltet.<br />

Durch körperreflexive Praxen werden Körper in den sozialen Prozeß mit einbezogen<br />

<strong>und</strong> zu einem Bestandteil von Geschichte, ohne damit aber aufzuhören,<br />

Körper zu sein. Sie verwandeln sich nicht in Symbole, Zeichen oder Positionen<br />

im Diskurs. Ihre Materialität (inklusive der Fähigkeit, zu zeugen, zu<br />

gebären, zu säugen, zu menstruieren, zu penetrieren, sich zu öffnen, zu ejakulieren)<br />

löst sich dadurch nicht auf, sondern bleibt von Bedeutung. <strong>Geschlecht</strong><br />

als sozialer Prozeß beinhaltet das Gebären <strong>und</strong> Großziehen von Kindern,<br />

das Jungsein <strong>und</strong> das Altwerden, sexuelles <strong>und</strong> sportliches Vergnügen,<br />

Arbeit, Verletzung, Tod durch AIDS.<br />

<strong>Geschlecht</strong> als soziale Semiotik betont das endlose Spiel mit Bedeutungen,<br />

die Vielfältigkeit der Diskurse <strong>und</strong> die Verschiedenheit der Standpunkte <strong>und</strong><br />

war wichtig für die Überwindung des biologischen Determinismus. Aber man<br />

sollte dadurch nicht den Eindruck bekommen, als sei das soziale <strong>Geschlecht</strong><br />

wie ein Blatt im Wind. Körperreflexive Praxen formen Strukturen (<strong>und</strong> werden<br />

von diesen geformt), die historisches Gewicht <strong>und</strong> Stabilität aufweisen. Das<br />

Soziale hat seine eigene Realität.<br />

Als der Feminismus um 1970 vom Patriarchat als dem beherrschenden<br />

Strukturmuster der Menschheitsgeschichte sprach, war das sicher zu allgemein.<br />

Aber die Gr<strong>und</strong>idee erfaßt sehr wohl die Macht <strong>und</strong> Unlenkbarkeit der<br />

wuchtigen Struktur des sozialen Gefüges: eine Struktur, die Staat, Wirtschaft,<br />

Kultur <strong>und</strong> Kommunikationen genauso einschließt wie Verwandtschaft, Kindererziehung<br />

<strong>und</strong> Sexualität.<br />

Die Praxis findet nie in einem luftleeren Raum statt. Sie steht immer in<br />

Wechselwirkung mit Situationen, die so strukturiert sind, daß sie bestimmte<br />

Möglichkeiten zulassen <strong>und</strong> andere ausschließen. Die Praxis hat auch kein<br />

Vakuum zur Folge, sondern eine ganze Welt. Durch Handeln überführen wir<br />

die Ausgangssituation in eine neue Situation. Praxis konstituiert <strong>und</strong> rekonstituiert<br />

Strukturen. Menschliche Praxis ist - um den sinnträchtigen, aber etwas<br />

sperrigen Begriff des tschechischen Philosophen Karel Kosik zu benutzen<br />

- ontoformativ. Sie erschafft die Wirklichkeit, in der wir leben."<br />

22 Kosik 1976.<br />

Die Praxen, die Männlichkeit konstruieren, sind in diesem Sinne ontoformativ.<br />

Als körperreflexive Praxen konstituieren sie eine Welt mit einer<br />

körperlichen Dimension, die aber nicht biologisch determiniert ist. Indem sie<br />

nicht durch die physische Logik des Körpers bestimmt ist, mag diese neuerschaffene<br />

Welt dem Wohlbefinden des Körpers eher feindselig gegenüber<br />

stehen. Die Verkörperungen der hegemonialen Männlichkeit bei Tip Southern<br />

<strong>und</strong> Hugh Trelawney waren in diesem Sinne feindselig - Beispiele für<br />

„selbstzugefügte W<strong>und</strong>en", wie man im australischen Slang einen Kater<br />

(nach zuviel Alkohol) zu nennen pflegt. Ungeschützten Sex zu haben, wäre<br />

im Zusammenhang mit der HIV-Epidemie ein ernsteres Beispiel.<br />

Sowohl Tip Southern als auch Hugh Trelawney haben ihre Männlichkeit<br />

reformiert, auf körperlicher Ebene, aber auch was ihre Beziehungen anbelangt.<br />

Hugh unterzog sich einer Entziehungskur <strong>und</strong> beschloß, sein Verhalten gr<strong>und</strong>legend<br />

zu ändern: weniger konkurrieren, offener für andere sein <strong>und</strong> Frauen als<br />

Menschen behandeln, statt als Objekte in einem sexuellen Spiel. Wohin diese<br />

Veränderungen geführt haben, wird uns Kapitel 7 zeigen. Tip ist auch von den<br />

Drogen losgekommen <strong>und</strong> hat einen Job gef<strong>und</strong>en, wo er im Freien körperliche<br />

Arbeit verrichten mußte, was seiner Ges<strong>und</strong>heit förderlich war. Und zum ersten<br />

Mal ging er eine dauerhafte Partnerschaft mit einer jungen Frau ein.<br />

Natürlich können zwei Fallgeschichten nicht alle Versuche von Männern<br />

widerspiegeln, sich zu verändern. Unterschiedliche Entwicklungsprozesse<br />

werden wir im fünften Kapitel betrachten. Was diese zwei Fälle aber trotz<br />

dem veranschaulichen, ist eine unvermeidliche Tatsache, wenn es um Veränderungen<br />

geht. Für Männer, wie für Frauen, bilden die körperreflexiven, geschlechtsbezogenen<br />

Praxen auch ein Feld der Politik - der Kampf der Interessen<br />

unter ungleichen Bedingungen. <strong>Geschlecht</strong>erpolitik ist verkörperlichte<br />

<strong>und</strong> soziale Politik zugleich. Die Formen, die eine verkörperlichte Männlichkeitspolitik<br />

annehmen kann, werden von nun an ein Hauptthema dieses Buches<br />

sein.<br />

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