Geschlecht und esellschaf eraus e geben v® Ilse Lenz ichik® Sigrid ...
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schiedenen G<strong>esellschaf</strong>ten <strong>und</strong> zu verschiedenen Zeiten berücksichtigt.<br />
Männlichkeit als Gegenstand der Erkenntnis steht immer in Beziehung.<br />
Um es noch etwas deutlicher auszudrücken, das <strong>Geschlecht</strong>erverhältnis<br />
konstituiert erst einen kohärenten Erkenntnisgegenstand für die Wissenschaft.<br />
Wissen über Männlichkeit entsteht, wenn man versucht, das <strong>Geschlecht</strong>erver<br />
hältnis zu verstehen. In Vorwegnahme der Definition aus dem dritten Kapitel:<br />
Männlichkeiten sind durch das <strong>Geschlecht</strong>erverhältnis strukturierte Konfigurationen<br />
von Praxis. Sie sind von Gr<strong>und</strong> auf historisch; <strong>und</strong> ihre Entstehung <strong>und</strong><br />
Wiederherstellung ist ein politischer Prozeß, der das Interessengleichgewicht in<br />
der G<strong>esellschaf</strong>t <strong>und</strong> die Richtung sozialen Wandels beeinflußt.<br />
Es ist möglich, systematisches Wissen über solche Gegenstände zu erlangen,<br />
aber dieses Wissen paßt nicht in ein Modell positivistischer Wissenschaft.<br />
Untersuchungen einer historischen, politischen Wirklichkeit müssen<br />
mit der Kategorie „Möglichkeit" arbeiten. Sie versuchen dabei eine Welt zu<br />
erfassen, die erst durch soziales Handeln entsteht, vor dem Hintergr<strong>und</strong> der<br />
nicht realisierten Möglichkeiten ebenso wie der realisierten. Ein Wissen solcher<br />
Art gründet sich auf einer Kritik des Wirklichen, nicht auf einer seiner<br />
bloßen Reflexion.<br />
Kritische Sozialwissenschaft bedarf einer ethischen Gr<strong>und</strong>linie, die empirisch<br />
in den untersuchten Situationen verankert ist. Die Gr<strong>und</strong>linie dieses<br />
Buches ist soziale Gerechtigkeit: die objektive Möglichkeit eines gerechten<br />
<strong>Geschlecht</strong>erverhältnisses, eine Möglichkeit, die manchmal verwirklicht ist<br />
<strong>und</strong> manchmal nicht. Von einer ethischen Gr<strong>und</strong>haltung auszugehen, bedeutet<br />
nicht, bestimmte Werte willkürlich - ohne Bezug zum Erkenntnisvorgang<br />
- zu wählen. Vielmehr gilt es den gr<strong>und</strong>legend politischen Charakter des<br />
Wissens über Männlichkeit anzuerkennen. Wir können das als erkenntnistheoretischen<br />
Vorzug betrachten, statt als Erschwernis.'<br />
In diesem Sinne ist eine sinnvolle Wissenschaft von der Männlichkeit<br />
möglich. Sie ist Teil einer kritischen Wissenschaft von den <strong>Geschlecht</strong>erverhältnissen<br />
<strong>und</strong> deren geschichtlicher Entwicklung. Und dies wiederum ist<br />
Teil der umfassenderen Erforschung der menschlichen Möglichkeiten <strong>und</strong> ihrer<br />
Negationen, die beide sowohl Sozialwissenschaft als auch praktische Politik<br />
erforderlich machen.<br />
76 Mein Argument bezieht sich hier auf die Kritische Theorie der Frankfurter Schule,<br />
dennoch möchte ich die Bedeutung empirischen Wissens für die Kritik hervorheben.<br />
Die Kritik sollte wissenschaftlicher sein als der kritische Positivismus: mit Fakten<br />
behutsam umgehen, die soziale Realität gründlich untersuchen. Nützliche Modelle<br />
wurden in Pädagogik-Studien entwickelt: Giroux 1983, Sullivan 1984, Wexler 1992.<br />
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Argumente für einen Wandel von Männlichkeit schlagen oft fehl. Nicht aufgr<strong>und</strong><br />
von Gegenargumenten, die gegen einen Wandel sprechen, sondern<br />
weil man glaubt, daß Männer sich nicht ändern können. Und deshalb sei es<br />
zwecklos oder gar gefährlich, es überhaupt zu versuchen. In der Massenkultur<br />
herrscht die Ansicht vor, es gäbe hinter dem Auf <strong>und</strong> Ab des Alltags eine<br />
unveränderliche, wahre Männlichkeit. Man spricht von „richtigen Männern",<br />
„natürlicher Männlichkeit" <strong>und</strong> von der „Tiefenstruktur von Männlichkeit".<br />
Vorstellungen dieser Art hört man von erstaunlich vielen Seiten: von der<br />
mythopoetischen Männerbewegung, über die Jungsche Psychoanalyse, dem<br />
christlichen F<strong>und</strong>amentalismus, bis zu Soziobiologen <strong>und</strong> essentialistischen<br />
Strömungen des Feminismus.<br />
Wahre Männlichkeit scheint sich fast immer vom männlichen Körper abzuleiten<br />
- einem männlichen Körper innewohnend oder etwas über einen<br />
männlichen Körper ausdrückend. Der Körper forciert <strong>und</strong> lenkt Handlungen<br />
(z.B. Männer sind von Natur aus aggressiver als Frauen; Vergewaltigung ist<br />
Folge eines unkontrollierbaren Verlangens oder ein angeborener Drang zur<br />
Gewalt) oder setzt dem Handeln auch Grenzen (z.B. Männer kümmern sich<br />
naturgemäß nicht um Kinder; Homosexualität ist unnatürlich, <strong>und</strong> deshalb<br />
auf eine perverse Minderheit beschränkt).<br />
Diese Überzeugungen sind ein strategischer Teil der modernen <strong>Geschlecht</strong>erideologie,<br />
zumindest in der englischsprachigen Welt. Deshalb ist<br />
es die vordringlichste Aufgabe einer sozialwissenschaftlichen Analyse, die<br />
Körper von Männern <strong>und</strong> deren Beziehungen zu Männlichkeit zu verstehen.<br />
Zwei gegensätzliche Konzepte haben in den letzten Jahrzehnten die<br />
Diskussion darüber bestimmt. Das erste Konzept übersetzt im Prinzip die<br />
herrschende Ideologie in die Sprache der Biologie <strong>und</strong> hält den Körper für<br />
eine natürliche Maschine, welche die <strong>Geschlecht</strong>sunterschiede produziert -<br />
aufgr<strong>und</strong> der Unterschiede hinsichtlich der Gene, der Hormone oder der<br />
unterschiedlichen Aufgaben bei der Fortpflanzung. Der andere Ansatz, vor<br />
allem in den Human- <strong>und</strong> Sozialwissenschaften zu finden, hält den Körper<br />
mehr oder weniger für eine neutrale Oberfläche oder eine Landschaft, in<br />
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