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Geschlecht und esellschaf eraus e geben v® Ilse Lenz ichik® Sigrid ...

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gen <strong>und</strong> Gesetzmäßigkeiten des menschlichen Zusammenlebens zu gelangen.<br />

Das genau versucht David Gilmore mit „Mythos Mann", einem sehr anspruchsvollen<br />

Versuch, anthropologische Aussagen über Männlichkeit zusammenzufassen.<br />

Gilmore hat begriffen, daß die Anthropologie eine wahre F<strong>und</strong>grube für<br />

Informationen über Männer <strong>und</strong> Männlichkeit darstellt. Auf den Flügeln einer<br />

gutbestückten Bibliothek reist er um die ganze Welt <strong>und</strong> sammelt ethno<br />

graphische Berichte aus Spanien, von den Truk-Inseln, aus Brasilien, Kenia,<br />

Papua Neuguinea, Polynesien, Malaysia <strong>und</strong> anderswo. Seine Absicht war es,<br />

eine breite Datenbasis über Männlichkeit <strong>und</strong> ihre Bedingungen zusammenzutragen,<br />

um die Fragen beantworten zu können: Gibt es eine Tiefenstruktur<br />

von Männlichkeit? Gibt es einen weltweiten Archetypus von Männlichkeit?<br />

Gilmores etwas allgemeine Antwort lautet, daß Männlichkeit nicht leicht zu<br />

erlangen ist, daß dazu Bemühungen in einem ausgesprochen männlichen Bereich<br />

nötig sind <strong>und</strong> daß die Verwirklichung von Männlichkeit durch Initiationsriten<br />

gekennzeichnet sein muß. Die g<strong>esellschaf</strong>tliche Funktion der Männlichkeitsideologie<br />

ist es, die Männer zur Arbeit zu motivieren:<br />

„So lange es Kämpfe zu bestreiten, Kriege zu gewinnen, harte Arbeit zu leisten gilt, so<br />

lange werden einige von uns wie Männer handeln' müssen."<br />

Psychologisch betrachtet dient Männlichkeit dazu, eine Regression zu einer<br />

präödipalen Identifikation mit der Mutter zu verhindern. Das trifft - aus Gilmores<br />

Sicht - auf die meisten Kulturen zu, aber es gibt auch einige wenige<br />

Ausnahmen, entspanntere <strong>und</strong> „passivere" Ausprägungen von Männlichkeit,<br />

auf Tahiti <strong>und</strong> bei den Semai in Malaysia."<br />

Daß eine weltweite Suche nach ethnographischen Beweisen nur Resultate<br />

von so verblüffender Banalität hervorbringt, löst doch eine gewisse Verw<strong>und</strong>erung<br />

aus. Ist bei den ethnographischen Berichten etwas schiefgelau<br />

fen? Ich glaube nicht; das Problem liegt in ihrer Verwendung. Gilmores theoretischer<br />

Rahmen ist die <strong>Geschlecht</strong>srolle, <strong>und</strong> seine Arbeit leidet an denselben<br />

Unklarheiten <strong>und</strong> Verkürzungen, die wir eben diskutiert haben. Auf einer<br />

tieferen Ebene beweist sein Buch, wie sinnlos es ist, durch kulturübergreifende<br />

Verallgemeinerung eine positivistische Wissenschaft der Männlichkeit<br />

zu entwickeln.<br />

Der positivistische Ansatz setzt einen stabilen Erkenntnisgegenstand<br />

voraus, der über alle Fälle konstant bleibt. Kann man das von „Männlichkeit"<br />

sagen? Andere Ethnographinnen <strong>und</strong> Ethnographen sind nicht der An<br />

sicht. Marilyn Strathern hat in ihrer vielschichtigen Analyse des Hagen-<br />

Volkes im Hochland von Neuguinea <strong>und</strong> dessen Verhältnis zur Sexualität gezeigt,<br />

daß das soziale <strong>Geschlecht</strong> statt einer Rolle eine Metapher sein kann.<br />

Wenn jemand bei den Hagen (bedeutungsvoll) sagt „unser Clan ist ein Clan<br />

von Männern", bedeutet das weder, daß es keine Frau in diesem Clan gibt,<br />

52 Gilmore 1991.<br />

52<br />

noch daß die Frauen die Männerrolle übernommen hätten. Sie sagen statt<br />

dessen etwas aus über Fähigkeiten <strong>und</strong> Macht des Clans als einer Gemeinschaft.<br />

Diese Redewendung widerspricht der Vorstellung von den <strong>Geschlecht</strong>sunterschieden<br />

<strong>und</strong> sprengt eine positivistische Definition von Männlichkeit.<br />

Die Arbeit von Strathern zwingt uns, in einer völlig anderen Weise über<br />

die Bedeutung des sozialen <strong>Geschlecht</strong>s nachzudenken. Und so geht es uns<br />

auch mit Herdts lebendigem Bericht von den Sambia, der westlichen Lese<br />

rinnen <strong>und</strong> Leser etwas gr<strong>und</strong>legend Fremdes vermittelt, Erfahrungen <strong>und</strong><br />

Praktiken, die sich gänzlich von den unseren unterscheiden. Wenn eine Wissenschaft<br />

versucht, solche Erfahrungen mit Konzepten zu erfassen, die die<br />

spezifischen sozialen Strukturen der westlichen Welt reflektieren (wie das bei<br />

herkömmlichen Konzepten von Männlichkeit der Fall ist), kann das nur<br />

scheitern.<br />

Inwiefern kann die Ethnographie dann zu einer Sozialwissenschaft des<br />

<strong>Geschlecht</strong>s beitragen? Nur insofern sie die sozialen Beziehungen erkennt,<br />

die die Gr<strong>und</strong>lage für ethnographisches Wissen bilden.<br />

Als Herdt 1982 seine Vergleichsstudie „Rituals of Manhood" zusammenstellte,<br />

berücksichtigte er auch E. L. Schieffelins Arbeit über die zeremonielle<br />

„Bau a" -Jagdhütte der Männer bei den Kaluli in Papua. Schieffelin lie<br />

ferte eine detaillierte Beschreibung dieses regelmäßigen Rückzugs alter <strong>und</strong><br />

junger Männer von der Stammesgemeinschaft. Während dieses Rückzugs<br />

veränderte sich das Verhältnis zur Geisterwelt, es kam zu einer rituellen<br />

Meidung von Frauen, einer Zeit des Friedens statt der endemischen Konflikte<br />

der Stammesgemeinschaft, <strong>und</strong> wachsender Aufregung, die ihren Höhepunkt<br />

in einer Zeremonie fand, bei der geräuchertes Jagdfleisch verteilt wird.<br />

Aber es hat sich h<strong>eraus</strong>gestellt, daß Schieffelin nie bei einem „Bau a"<br />

dabeigewesen ist. Seit 1958 hat die australische Kolonialregierung regelmäßig<br />

Polizeipatroullien in diesem Gebiet durchgeführt. 1964 sind die Missio<br />

nare angekommen, zusammen mit einigen Arbeitern, <strong>und</strong> begannen, eine<br />

Missionsstation <strong>und</strong> einen Behelfsflugplatz zu bauen. Zufällig veranstalteten<br />

zwei Kalkuli-Stämme zu der Zeit gerade ein „Bau a", die Jugendlichen jagten<br />

in den Wäldern. Aus verschiedenen Gründen wäre es für das Ritual eine<br />

Katastrophe gewesen, wenn die Neuankömmlinge die „Bau a" -Hütte betreten<br />

hätten. Aufgr<strong>und</strong> ihrer Erfahrungen mit den früheren Patrouillen befürchteten<br />

die Kalkuli vor allem den Diebstahl des geräucherten Fleisches.<br />

Deshalb beendeten sie hastig das „Bau a" <strong>und</strong> verteilten das Fleisch - <strong>und</strong><br />

haben nie mehr ein „Bau a" abgehalten."<br />

Die Ethnographie befand sich schon immer an der Schnittstelle zwischen<br />

den Eingeborenenkulturen <strong>und</strong> der ökonomisch-politischen Expansion der<br />

westlichen Welt. Neuere Überlegungen zur ethnographischen Methodik be-<br />

53 Strathern 1978, 1981.<br />

54 Schieffelin 1982.<br />

53

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