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ZGR Nr. 29-30; 31-32/2006-2007 Partea III

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Ana-Stanca Tabarasi<br />

und das christliche Mittelalter die Wesenserkenntnis der Dinge nur durch theoria,<br />

durch die Vernunft, die den Zusammenhang der Welt erschließt, für möglich gehalten<br />

hatten, und in diesem Kontext auch dem Menschen seinen teleologischsinnvollen<br />

Ort innerhalb des Naturganzen zugeschrieben hatten, war dieser Zusammenhang<br />

im 18. Jahrhundert, als sich der ästhetische Landschaftsbegriff herausbildete,<br />

durch die Naturwissenschaft fragmentiert worden. Die Naturwissenschaft<br />

präsentierte sich als einzig objektive Auffassung von der Natur und schloss durch<br />

ihre Exaktheit den geistig-emotionalen Bezug des Menschen zum Naturganzen aus.<br />

Joachim Ritter zufolge übernimmt die ästhetische Landschaftserfahrung diese Dimension<br />

des Mensch-Natur-Zusammenhangs. Mit der Aufwertung der sinnlichen<br />

Erscheinungsweise des Naturschönen wird es möglich, die Mannigfaltigkeit der<br />

Naturerscheinungen als ästhetische Einheit aufzufassen, an der auch der Mensch<br />

teilhat. Die Funktion der ästhetischen Landschaftswahrnehmung ist also kompensatorisch.<br />

3<br />

Joachim Ritter hat gezeigt, wie Ende des 18. Jahrhunderts und Anfang des 19. Jahrhunderts<br />

diese Funktion der ästhetischen Landschaftswahrnehmung von Kant,<br />

Schiller und Alexander von Humboldt als notwendig erkannt und diskutiert wurde.<br />

Seine These von der Zweckfreiheit der ästhetischen Naturerfahrung ist jedoch, wie<br />

im Folgenden gezeigt werden soll, im Bereich der Literatur des frühen 18. Jahrhunderts,<br />

die den ästhetischen Landschaftsbegriff prägte, nicht haltbar. Die Nützlichkeit<br />

der wilden Landschaft funktioniert hier vielmehr als Kernargument für deren<br />

Wertschätzung, was sowohl an der literarischen Aufwertung der Berge als auch am<br />

Lob des Landschaftsgartens erkennbar wird. Man kann jedenfalls am Anfang nicht<br />

von Zweckfreiheit und Sehen ohne jeglichen Bezug zum Nutzen reden. Der Aspekt<br />

des Nützlichen wird vielmehr im physikotheologisch-theodizialen Zusammenhang<br />

(der ein Erbe der antiken theoria ist) als wesentliches Argument für die Erkenntnis<br />

Gottes in der unregelmäßigen Landschaft betont. Daraus, dass alles gut und nützlich<br />

eingerichtet ist, kann man auf die Existenz eines gütigen Gottes schließen. Es wird<br />

daher zur Pflicht, die Natur, die seine Selbstoffenbarung ist, mit allen Sinnen (die<br />

man ebenfalls vom gütigen Gott bekommen hat) wahrzunehmen. Im Genuss des<br />

Naturschönen fühlt man die Liebe Gottes.<br />

Im Bereich der deutschsprachigen Literatur ist die Dichtung von Barthold Hinrich<br />

Brockes (1680-1747) einer der frühesten Schritte in Richtung moderner Naturerfahrung<br />

4 und gleichzeitig das erste Zeugnis der ideengeschichtlichen Wandlung, die zur<br />

Entstehung deutscher Landschaftsgärten nach englischem Vorbild führen sollte. Die<br />

3 Vgl. Ritter (1963), S. 25.<br />

4 Vgl. Adler (1995), Peters (1996), Kehn (1985 und 1991) und Trotha (1999 ), S. 4-58.<br />

266<br />

<strong>ZGR</strong> 1-2 (<strong>29</strong>-<strong>30</strong>) / <strong>2006</strong>, 1-2 (<strong>31</strong>-<strong>32</strong>) / <strong>2007</strong>

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