ZGR Nr. 29-30; 31-32/2006-2007 Partea III
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Gabriele von Bassermann-Jordan<br />
auf der Trennung von Subjekt und Objekt basiert, ist das Seyn nicht zugänglich. Ein<br />
Wissen um die Zugehörigkeit zur Ganzheit des Seyns kann es also nicht geben – allenfalls<br />
einen Glauben daran („Wir sind zerfallen mit der Natur, und was einst, wie<br />
man glauben kann, Eins war, widerstreitet sich jezt“). Die conditio humana ist vielmehr<br />
das Geschiedensein vom Seyn. Dieser Zustand ist als „exzentrische Bahn“ metaphorisiert.35<br />
Das Exzentrische bezeichnet die Ambivalenz des Menschen hinsichtlich<br />
seiner Bezogenheit auf das Seyn: zum einen in der ursprünglichen, vorbewußten<br />
Beziehung der Einigkeit, zum anderen in dem durch das Bewusstsein gebrochenen<br />
Zustand des Getrenntseins, was jedoch das grundlegende Verhältnis der Einigkeit<br />
nicht aufhebt, sondern nur überlagert. Innerhalb der bewusstseinsbedingten exzentrischen<br />
Perspektive der Trennung vom Seyn behalten die – Kantischen –<br />
Dualismen („Herrschaft und Knechtschaft“, „Alles“ und „Nichts“) ihre Gültigkeit.<br />
Dies impliziert, daß auch die Erkenntnisvermögen des exzentrischen Subjekts die<br />
Kantischen bleiben – mit Hilfe von Verstand und Sinnlichkeit kann das Subjekt die<br />
ihm gegenüberstehenden Objekte der Wirklichkeit erfassen. Monistisches und dualistisches<br />
Denken sind mit Hilfe der Denkfigur der exzentrischen Bahn in ein philosophisches<br />
System eingebunden.<br />
Wenn das Seyn unter den Bedingungen bewusster menschlicher Existenz nicht zugänglich<br />
ist – wie ist es möglich, auf die Existenz eines differenzlosen Urgrundes zu<br />
schließen? In einem ausgezeichneten Sonderfall ist es dem exzentrischen Subjekt<br />
möglich, sich des Seyns zu versichern: Das Absolute ist in der Begegnung mit dem<br />
Schönen zugänglich. In der Welt der Trennungen manifestiert sich die Einigkeit des<br />
Seyns als Schönheit. Das Seyn ist „vorhanden – als Schönheit“. Das Schöne ist dem<br />
Bewusstsein zugänglich und nicht etwa in einem unzugänglichen Urgrund zu suchen.<br />
Das Schöne ist als Konkretion des einigen göttlichen Seyns in der Endlichkeit<br />
nalausgabe Leipzig 1854–1971. München 1984. Hier Band XVI (1905/1984), Sp. 514–527, bes. Sp. 525:<br />
„zu höchster bedeutungsintensität gesteigert in der beziehung auf gott [...]: nach dem herrlichen evangelio<br />
des seligen gottes, welches mir vertrawet ist. 1 Timoth. 1, 11; bis auff die erscheinung des herrn Jhesu<br />
Christi, welche wird zeigen zu seiner zeit, der selige und allein gewaltiger, der könig aller könige, und herr<br />
aller herrn.“ Die Kursivierungen folgen dem Original.<br />
35 Zur Denkfigur der exzentrischen Bahn vgl. Wolfgang Schadewaldt: Das Bild der exzentrischen Bahn bei<br />
Hölderlin. In: Hölderlin-Jahrbuch (1952). S. 1–16; Lawrence Ryan: Hölderlins „Hyperion“. Exzentrische<br />
Bahn und Dichterberuf. Stuttgart 1965 (= Germanistische Abhandlungen 7), 11–15; Friedrich Strack:<br />
Ästhetik und Freiheit (1976), S. 179–181; Ulrich Gaier: Hölderlins „Hyperion“. Compendium, Roman,<br />
Rede. In: Hölderlin-Jahrbuch 21 (1978/1979). S. 88–143, hier S. 111; Margarethe Wegenast: Hölderlins<br />
Spinoza-Rezeption und ihre Bedeutung für die Konzeption des „Hyperion“ (1990), S. 94–99; Ulrich Gaier:<br />
Hölderlin. Eine Einführung. Tübingen, Basel 1993 (= UTB 17<strong>31</strong>), S. 168–178.<br />
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<strong>ZGR</strong> 1-2 (<strong>29</strong>-<strong>30</strong>) / <strong>2006</strong>, 1-2 (<strong>31</strong>-<strong>32</strong>) / <strong>2007</strong>