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ZGR Nr. 29-30; 31-32/2006-2007 Partea III

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Eva Parra Membrives<br />

führendes, anstößiges Glied durch den vielen Usus plötzlich zerplatzt <strong>32</strong> . Die liebende,<br />

und so teilweise schuldlose, Frau bekommt eine verhältnismäßig viel leichtere Strafe:<br />

von unenthaltsamer Flatulenz befallen, wird sie sozial verpönt, widmet sich aber<br />

weiterhin der körperlichen Liebe. Auf den markanten Unterschied zwischen der einen<br />

und der anderen Sühne für das gemeinschaftlich begangene Verbrechen sei nun<br />

einfach nur hingewiesen.<br />

Ein viel freundlicheres Bild zeichnet Roswitha gleich am Anfang der Legende von<br />

der jungen Agnes, der unbestreitbaren Zentralfigur der letzten ihrer Legenden. Dass<br />

sich die Gandersheimerin in der Gestaltung dieser hoch verehrten Heiligen viel freier<br />

fühlt, ist schon an dem von ihr ausgesuchten Titel erkennbar. Zum ersten Mal –<br />

wenn von jener, der Muttergottes gewidmeten Legende abgesehen wird – ist von der<br />

Autorin ein weiblicher Vorname in Betracht gezogen worden 33 . In dieser Nacherzählung<br />

der Martyriums der Heiligen Agnes – erneut einmal eine historische Figur<br />

– konstruiert Roswitha eine Ausgangssituation, die sehr stark der in Gongolf erlebten<br />

ähnelt. Agnes, die, in Übereinstimmung mit Aurelius Prudentius Version der<br />

Legende, gerade eben dreizehn Lenze zählt 34 , wird, was ihre physischen Merkmale<br />

betrifft, von Roswitha erneut äußerst schlicht beschrieben: „Durch Schönheit und<br />

durch frommes Wesen / entsprach sie ihrer hohen Abkunft“ 35 , kommentiert die<br />

sächsische Dichterin, ohne dieses zweifellos attraktive Äußere näher zu erläutern.<br />

Dass trotz Agnes, wie ausdrücklich unterstrichen wird, vollkommenen Lebenswandel,<br />

sich ein „jugendfrischer, schöner Mann“ 36 bei ihrem Anblick hoffnungslos in<br />

sie verliebt, bleibt nur mit einer ausdrücklichen männlichen Neigung zur Sinnlichkeit<br />

erklärbar. Die für den Leser fast unsichtbaren weiblichen Reize lassen jedenfalls<br />

darauf schließen, dass nichts in Agnes Wesen, Lebenswandel oder Benehmen einen<br />

leidenschaftlichen Ausbruch provoziert haben könnte. Dass die junge Heilige<br />

außerdem ganz gegen die Tradition eine sexuelle Befriedigung weder sucht noch<br />

braucht, wird von der Dichterin sofort klargestellt, indem sie beschreibt, wie Agnes<br />

<strong>32</strong> So in der Übersetzung von Homeyer. Zwar sagt Roswitha, im Original, “visceras”, d.h. Eingeweide, aber<br />

erwähnt auch, dass der betreffende Körperteil sich an der Sinnlichkeit ergötzt hat. Homeyers Interpretation<br />

scheint also angebracht.<br />

33 Incipit Passio Sanctae Agnetis virginis et martiris ist der von Roswitha erwählte Titel.<br />

34 Aurelio Prudencio Clemente, Obras, Madrid, Gredos, 1997<br />

35 Roswitha von Gandersheim, a.a.O., 1936, 127. Im Original: “Pulchra fuit facie fideique decore nitore”<br />

Roswitha von Gandersheim, Hrotsvithae opera, 1970, 211. Roswitha verbindet also die Schönheit mit der<br />

Frömmigkeit und nicht mit ihrer hohen Abkunft.<br />

36 Roswitha von Gandersheim, a.a.O., 1936, 128. Im Original: “Filius insignis iuvenilis stemmate floris”<br />

Roswitha von Gandersheim, Hrotsvithae opera, 1970, 211<br />

260<br />

<strong>ZGR</strong> 1-2 (<strong>29</strong>-<strong>30</strong>) / <strong>2006</strong>, 1-2 (<strong>31</strong>-<strong>32</strong>) / <strong>2007</strong>

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