ZGR Nr. 29-30; 31-32/2006-2007 Partea III
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Gabriele von Bassermann-Jordan<br />
doch zugleich ist es die einzige und damit die adäquate Art und Weise, die Unendlichkeit<br />
der „substantia“ in der Endlichkeit darzustellen. Endliches und Unendliches<br />
können nicht getrennt voneinander, sondern nur als Einheit gedacht werden.<br />
Erinnern wir uns an die Problemstellung: Hölderlin sucht nach einem differenzlosen<br />
Urgrund, der allen Trennungen voraus liegt, um auf diesen das Schöne zu beziehen.<br />
Die Systemstelle des gesuchten Urgrundes entspräche Spinozas Substanz, die Systemstelle<br />
des Schönen entspräche Spinozas Modi. Nach der von Kant vollzogenen<br />
,kopernikanischen Wende‘ kann Hölderlin jedoch nicht einfach auf Spinozas Substanzmetaphysik<br />
zurückgreifen, ohne sich dem Vorwurf des „Dogmatism“ <strong>31</strong> auszusetzen.<br />
Will Hölderlin spinozistisches Gedankengut für die Suche nach einem objektiven<br />
Begriff des Schönen fruchtbar machen, muss er es in zeitgenössische Begründungszusammenhänge<br />
integrieren. Der gesuchte Urgrund, auf den das Schöne<br />
zu beziehen ist, darf nicht metaphysisch postuliert werden, sondern muss aus Erfahrungstatsachen<br />
erschlossen werden.<br />
Die Philosophie Spinozas stellt Hölderlin ein wichtiges Potential für die Entwicklung<br />
seines Denkens bereit. Bis Winter 1794/95 bleibt dieses Potential allerdings noch<br />
brach liegen. Aus seinem Brief an Hegel vom 26. Januar 1795 geht hervor, dass Hölderlin<br />
„noch in Waltershausen“, also im Herbst 1794, eine erneute „Lectüre des Spinoza“<br />
vornimmt (II, S. 567–569, hier S. 569). Mit sehr großer Wahrscheinlichkeit<br />
handelt es sich hierbei wieder um eine Lektüre von Jacobis Spinoza-Briefen. <strong>32</strong><br />
1.2 Die Bestimmung des Schönen in der Vorrede zur vorletzten Hyperion-Fassung<br />
(1795)<br />
Der erste Text, der vom Seyn als einem allen Trennungen voraus liegenden Urgrund<br />
spricht und darauf das Schöne als im Endlichen gegenwärtige Einigkeit bezieht, ist<br />
die Vorrede zur vorletzten Fassung des Hyperion-Romans, die in der zweiten Hälfte<br />
des Jahres 1795 in Nürtingen entsteht. 33 Die entsprechende Passage lautet:<br />
<strong>31</strong><br />
Immanuel Kant: Die Kritiken. Hg. von Wilhelm Weischedel (1997). Hier: Immanuel Kant: Kritik der<br />
reinen Vernunft I (1997), S. 12 und S. 36.<br />
<strong>32</strong><br />
Dies haben Friedrich Strack: Das Systemprogramm und kein Ende. Zu Hölderlins philosophischer<br />
Entwicklung in den Jahren 1795/96 und zu seiner Schellingkontroverse. In: Rüdiger Bubner (Hg.): Das<br />
älteste Systemprogramm. Studien zur Frühgeschichte des deutschen Idealismus. Bonn 1973 (= Hegel-<br />
Studien. Beiheft 9). S. 107–149, hier S. 115, sowie Dieter Henrich: Der Grund im Bewußtsein (1992),<br />
S. 73–85, nachgewiesen.<br />
33<br />
In der Schrift Seyn, Urtheil, Modalität (II, S. 49–50; in der Hölderlin-Forschung wird diese Schrift<br />
auch unter dem Titel Urtheil und Seyn ediert) taucht das Seyn als Verbindung von Subjekt und Objekt<br />
auf: „Seyn –, drückt die Verbindung des Subjects und Objects aus.“ (II, S. 49) Auf das Schöne nimmt Höl-<br />
<strong>ZGR</strong> 1-2 (<strong>29</strong>-<strong>30</strong>) / <strong>2006</strong>, 1-2 (<strong>31</strong>-<strong>32</strong>) / <strong>2007</strong>