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Der Dritte Weg auf dem Prüfstand

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„Wem diene ich, wenn ich diene?“<br />

mehr Menschen in unserer Gesellschaft sehen Moral als Teil ihres persönlichen<br />

Lebensentwurfes, weniger als Beachtung eines Pflichtenkataloges. Daher verbinden<br />

sie mit moralischem Handeln das Gefühl persönlicher Befriedigung.“ 12 Solcher<br />

solidarische Individualismus fordert kein Zurück hinter die Rationalisierung,<br />

Versachlichung und Individualisierung eines Teils unserer Sozialbeziehungen.<br />

Aber er macht Ernst damit, dass Freiheit mehr ist als die Möglichkeit zur willkürlichen<br />

Selbstbestimmung. Die Würde freier Wesen liegt vielmehr darin, dass sie<br />

fähig sind, aus eigener Einsicht sich selbst zu verpflichten, das Antlitz des anderen<br />

zu achten und ihr Wohlergehen zum eigenen Anliegen zu machen. Dienst bezeichnet<br />

in dieser Perspektive alles andere als blinden Gehorsam oder schwächliche<br />

Einordnung in vorgegebene Machtverhältnisse. Im Gegenteil, diese Haltung<br />

ist ein Ausdruck innerer Stärke. Solche Bereitschaft zum Dienst ist eine Lebensgestalt<br />

von Freiheit. Die Freiheit und Kraft zum Perspektivenwechsel in der Wahrnehmung<br />

der eigenen und der fremden Lebensgeschichte wurde in unserer christlichen<br />

Tradition als eine Folge des Glaubens beschrieben. Die Freiheit, sich so als<br />

Dienenden zu verstehen setzt voraus, dass der Mensch frei ist von der Sorge um<br />

sich selbst. In unserer christlichen Tradition wurde an dieser Stelle von der Tugend<br />

der Gelassenheit gesprochen. Solche innere Ruhe als Quelle von Tatkraft<br />

bedarf des Vertrauens dar<strong>auf</strong>, dass ich mich nicht verliere in den sozialen Prozessen,<br />

in die ich mich hineinbegebe. Wenn ich Angst habe, dass ich kaputt gehe,<br />

wenn ich mich in die Lebensgeschichten anderer verwickeln lasse oder ihr Leiden<br />

zu nahe an mich heranlasse, dann kann ich ihnen nicht frei begegnen. Insofern<br />

bedarf gerade alle Arbeit, die sich intensiv <strong>auf</strong> Menschen, ihre Lebensgeschichten,<br />

ihre Leiden und ihre Freuden einlässt, mehr als nur eines stabilen rechtlichen und<br />

finanziellen Rahmens. Sie bedarf einer inneren Einstellung, die einst mit <strong>dem</strong><br />

Wort „Dienst“ umschrieben wurde.<br />

Ich will abschließend in fünf Punkten meine Überlegungen zusammenfassen.<br />

1. Wer zum Dienst motivieren will, muss Machtstrukturen und eigene Interessen<br />

offen legen. Nur so lässt sich der berechtigten Angst vor Missbrauch und Instrumentalisierung<br />

der individuellen Bereitschaft begegnen.<br />

2. Wer zum Dienst motivieren will, muss einen Konsens herstellen über Ziele, die<br />

von möglichst vielen als anzustrebende anerkannt werden.<br />

3. Dienstbereitschaft lässt sich nicht von außen fordern oder erzwingen. Das ist<br />

eine Einsicht, die wir gerade aus unserer christlichen Tradition mitbringen. Die<br />

innere Einstellung, die Gesinnung, der Geist, aus <strong>dem</strong> heraus einer handelt, lässt<br />

sich auch nicht mit Mitteln des Rechts erzwingen. Sie kann nur freiwillig, aus eigener<br />

individueller Zustimmung heraus entstehen. Dienst kann nur freiwillige Selbstbindung<br />

sein und ist nicht rechtlich einzuklagen.<br />

12 Franz Kamphaus, Kinder der Freiheit sind wir alle, Süddeutsche Zeitung vom 26. Nov. 1996, S. 8.<br />

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