07.10.2013 Aufrufe

Der Dritte Weg auf dem Prüfstand

Der Dritte Weg auf dem Prüfstand

Der Dritte Weg auf dem Prüfstand

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

144<br />

Reiner Anselm<br />

zustellen vermag. Die Vorstellungen von diesem Konsens sind meist klar umrissen:<br />

Ethik soll die eigene Position mit zusätzlicher Legitimität ausstatten – und<br />

wird darin leicht erneut zur Quelle von Konflikten. Denn obwohl dieses legitimatorische<br />

Interesse oft mit „Ethik“ verbunden wird, kann die Ethik unter den<br />

Bedingungen moderner, ausdifferenzierter Gesellschaften keineswegs per se bereits<br />

Konsens garantieren. Ihr stehen nämlich keine allgemeinen Kriterien zur<br />

Verfügung, <strong>auf</strong> deren Grundlage sie zwischen widerstreitenden Auffassungen entscheiden<br />

könnte. Nach <strong>dem</strong> „Ende der großen Erzählungen“ (Jean Franois<br />

Lyotard) ist auch die Ethik geprägt von verschiedenen „Erzähltraditionen“, die<br />

sich teilweise überschneiden, teilweise aber auch inkompatibel zueinander verhalten.<br />

An die Stelle der großen, integrierenden Weltanschauungen ist in der Moderne<br />

die Pluralität verschiedener, kleinräumiger Systeme getreten. Diese Pluralisierung<br />

folgt <strong>dem</strong> Erfolgsmodell der Moderne: Die Effizienz und Fortschrittsdynamik<br />

verdankt sich einer immer weiter reichenden funktionalen Differenzierung<br />

der Gesellschaft und ihrer einzelnen Substrukturen; in deren Folge bilden sich<br />

dann auch einzelne, unterschiedliche Milieus und Moralen aus – das Wachstum<br />

und damit in gewisser Weise auch der Erfolg der Diakonie mit ihren immer<br />

vielfältigeren Aktivitäten und Professionen bildet ein anschauliches Beispiel für<br />

diesen Differenzierungsprozess.<br />

Die entsprechenden, unterschiedlichen Moralen treten zunächst einmal mit gleichen<br />

Ansprüchen nebeneinander <strong>auf</strong> – ohne hierarchische Ordnung. Zu Konflikten<br />

kommt es immer dann, wenn nun solche unterschiedlichen Moralen, Erzähltraditionen<br />

oder Deutekulturen miteinander in Widerstreit treten. Dabei ist, ich habe es<br />

schon angedeutet, der Rekurs <strong>auf</strong> die Ethik zunächst häufig Teil des Problems<br />

und nicht dessen Lösung. <strong>Der</strong> Königsweg der Modere besteht angesichts dieser<br />

Situation in einer möglichst konsequenten Verrechtlichung der Problemlagen, in<br />

der Suche also nach Regeln, die unabhängig von den verschiedenen Traditionen<br />

und Prägungen als verbindlich anerkannt werden oder <strong>auf</strong>grund der Ausübung des<br />

staatlichen Gewaltmonopols verbindlich anerkannt werden müssen.<br />

Auch mit dieser Verrechtlichung sind jedoch die Probleme nur selten gelöst. Vielmehr<br />

kehren sie in aller Regel wieder, wenn verschiedene konkrete Problemlagen<br />

und Handlungsalternativen unter die notwendig abstrakten Regeln des Rechts<br />

subsumiert werden müssen und dabei unterschiedliche Güter, aber auch unterschiedliche<br />

Interpretationen gegeneinander abgewogen werden sollen. Eine solche<br />

Abwägung verlangt nach Maßstäben, und wo diese nicht allein durch die Sache<br />

selbst gegeben sind – etwa im Falle von logischen Widersprüchen – müssen<br />

erneut einzelne „Erzählkulturen“ als Lieferanten für solche Maßstäbe fungieren.<br />

Die jüngeren Urteile zur Abwägung etwa zwischen positiver und negativer Religionsfreiheit<br />

legen dafür ein deutliches Zeugnis ab. Abgekürzt formuliert geht es<br />

dabei immer um eine adäquate Verhältnisbestimmung von Recht und Gerechtigkeit,<br />

von Legalität und Legitimität. In diesen Bestimmungsprozessen kommt<br />

erneut die Ethik ins Spiel, aber nun in einer veränderten Rolle: In dieser, gewis-

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!