III - CCA Monatsblatt
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Reise Reise<br />
leibhaftig vor Augen geführt, was die Folge sein kann, wenn man konstant<br />
auch Kurven auf der Seite des gegnerischen Verkehrs nimmt und die<br />
Höchstgeschwindigkeit stets um 70 km/h überschreitet. Gottseidank ist<br />
niemand verletzt worden, aber sowohl ein Pickup als auch ein Laster haben<br />
einen Totalschaden erlitten. Die nächste Polizeistation ist 45 Minuten<br />
entfernt, und unser Fahrer verspricht, sofort einen Amtsmann zu schicken<br />
(was er allerdings nicht tut).<br />
Bei prasselndem Regen steigen in Coroico der niederländische EDV-<br />
Spezialist Arni (34) sowie der australische Arzt Roland (30) zu uns. Sofort<br />
stellen wir wieder fest, dass Backpackerkonversationen auf der ganzen<br />
Welt dieselben sind: „Where‘re you guys from?“, „Where have you been?“<br />
und so weiter.<br />
Bald hängt jeder wieder seinen eigenen Gedanken nach, während<br />
wir immer tiefer in den Dschungel dringen und der Nebel das Auto mit<br />
dichten Schwaden küsst. Wir überholen Schweine, hier und da mal `ne<br />
Kuh, Unmengen an Straßenhunden, ihre Hüften wiegende Frauen, die sich<br />
vor dem Dauerregen mit einem riesigen Bananenwedel über dem Kopf<br />
schützen, zerrupfte Hühner und herumwuselnde Kinder.<br />
Der Regen schüttet nur so in den Urwald und ein Blick nach rechts in den<br />
reißenden Fluss, der etwa 15 Meter unter einer abbrechenden Schotterkante<br />
unter der Straße liegt, verursacht bei mir ein nicht zu ignorierendes Kitzeln<br />
in meinem Solarplexus. Und natürlich naht auch noch Gegenverkehr auf<br />
dieser aufgeweichten Matschpiste. Ungerührt rangiert unser Fahrer bis zur<br />
nächsten Ausweichbucht, Mark sieht schon ganz blass aus, denn etliche<br />
Meter unter uns befindet sich nichts als Abgrund. Irgendwie geht alles<br />
gut, auch wenn wir das Auto aufgeregt am Abhang zittern spüren wie ein<br />
Altmännerherz kurz vorm ersten Date.<br />
Etwa eine Stunde später erreichen wir die grüne Lunge Boliviens,<br />
Urwald, wie er sein sollte: drückend feucht, warm, atmend, Vorhänge aus<br />
saftigen Lianen tragend und dem Menschen näher rückend. Wir halten<br />
zum Mittagessen in dem kleinen Städtchen Guanay und decken uns mit<br />
den letzten Errungenschaften der Zivilisation ein, bevor wir uns hier auf<br />
unser abenteuerliches Flussgefährt begeben. Guanay erscheint uns als<br />
verschlafenes, freundliches Dschungelnest, in dem keiner einer speziellen<br />
Beschäftigung nachzugehen scheint und überdurchschnittlich viel Zeit<br />
des Nachmittages auf Parkbänken weggeschnorchelt wird. Bis zu unserer<br />
Abfahrt beobachten wir herumstreunende Pferdegangs und Hunde, die<br />
sich in der Wolle haben. Als es bei zweien so richtig kracht, macht sich ein<br />
ganzer Trupp Hunde mit fliegenden Hinterbeinen auf den Weg, um begeistert<br />
dem Spektakel beizuwohnen und sich kampfeslustig in die Angelegenheit<br />
einzumischen. Der Höhepunkt dieser Rangelei ist, dass ein kleiner Hund an<br />
seinen Beinen von einem größeren Hund in die Luft gehoben wird, während<br />
ein dritter Kläffer sich wutentbrannt an der Schnauze des kleinen Hundes<br />
festbeißt und ohne Bodenkontakt in der Luft zappelt.<br />
Ansonsten macht sich niemand Stress, vielmehr erscheint einem<br />
der Ort wie ein riesiges Ferienlager. Die meisten Verkäufer zucken nur<br />
sekundenweise aus ihrem kopfschaukeligen Nickerchen auf, um sofort<br />
mit Schlafzimmerblick wieder ins wackelige Lummerland abzudriften<br />
– den Schädel in den Nacken gelegt und mit für Fliegen einladend weit<br />
geöffneten Mund. Den anstrengendsten Job hat ein Vater mit drei Kindern,<br />
der Adapter verkauft. Widerwillig, aber lächelnd führt er seine Modelle<br />
vor. Und wenn man nichts möchte? Auch wurscht! Die Mittagsstille ist<br />
perfekt und wird nur durch den angrenzenden abgewrackten Spielsalon,<br />
in dem ein etwa 10-jähriges Mädchen an einem ausgedienten Automaten<br />
aus Japan wie ein Zombie herumdaddelt, unterbrochen. Doch auch eine<br />
zweite Lärmquelle ist auszumachen: ein Eisverkäufer, der mit einem<br />
kecken Chinesenhut bekleidet ist und durch stetes Betätigen einer<br />
Handhupe auf sich aufmerksam macht, kommt dahergelaufen. Er preist<br />
seine Ware für 1,5 Bolis die Kugel an, ich kaufe einem kleinen Mädchen<br />
eine. Erstaunlicherweise trabt, während wir so auf ein paar Treppenstufen<br />
vor uns hindösen, eine Pferdebande vorbei. Wo kommt die nu wieder her?<br />
Sie trottet einträchtig durch die Straßen, bis ein frecher Hund zwischen die<br />
Beine der Pferde springt und wieder Stunk zu machen versucht, diesmal<br />
jedoch erfolglos.<br />
Die Hitze lähmt uns. Der südamerikanische Schlendrian fängt uns<br />
ein. Wir betrachten fasziniert die in der Tienda nebenan kunstvoll<br />
aufgestapelten, mit einer drei Monate alten Staubschicht überzogenen<br />
Zahnpastatuben. Pferde, Hunde und Kröten laufen wild durcheinander und<br />
fauchen sich an. Aus der Bar nebenan dröhnen Salsamucke und freudiges<br />
Geklatsche zu uns herüber.<br />
Dann soll es endlich losgehen und wir besteigen unser einfaches<br />
und aufregend aussehendes Gefährt. Sabine, Lehrerin aus Hamburg im<br />
Sabbatjahr und Detlef, Sozialpädagoge, begleiten uns vier spontan auf dem<br />
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La Paz im Wandel 3/2011<br />
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La Paz im Wandel