Vollversion (6.59 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
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1?0 FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 9, HEFT 4, 1996<br />
Von androzentristischen Verzerrungen<br />
befreit, bietet die-<br />
Therietradition der Frankfurter<br />
Schule ein Analyseraster,<br />
das die bisher aufgezeigten<br />
blinden Flecke und Defizite kritischer<br />
Kapitalismus- und Modernisierungstheorie<br />
mit Hilfe<br />
einer Forschungsperspektive<br />
der doppelten und widersprüchlichen<br />
Vergesellschaftung von<br />
Frauen dialektisch aufzuheben<br />
vermag.<br />
Aufgrund der zentralen Charakteristika<br />
dieser Theorietradition,<br />
„ein Verständnis aller<br />
sozialen Erscheinungen als historisch<br />
gewordene, eine Forschungsperspektive,<br />
die auf die<br />
Decouvrierung von Herrschaftsgefügen<br />
und Machtbedingungen<br />
zielt, die Konzeption<br />
von Gesellschaft als strukturell<br />
widersprüchlich verfaßteTotalität<br />
sowie ein Verständnis<br />
von Wissenschaft, das deren<br />
Funktion mit derAnleitung<br />
zur emanzipatorischen Praxis<br />
verbindet" (139), bildet sich<br />
hier ein Erkenntnispotential,<br />
das mit Hilfe der vermittelnden<br />
Perspektive „zwischen gesellschaftlichen<br />
und subjektiven<br />
Dimensionen... der historische,<br />
soziologische und psychologischeProblemstellungen<br />
zum geschlechtlichen Dimorphismus<br />
interdisziplinär zu<br />
verknüpfen vermag" (138) und<br />
Geschlecht als Strukturprinzip<br />
und Konfliktpotential<br />
sozialer Ungleichheit entschlüsseln<br />
kann. In Rekurs auf<br />
diesesTheoriegerüst gelingt es<br />
B ecker-S chmidt, die Ergebnisse<br />
ihrer empirischen Studien<br />
zum Alltagsleben gleichzeitig<br />
im Haushalt und in der Fabrik<br />
arbeitender Frauen folgendermaßen<br />
zu entschlüsseln: Die in<br />
der Industriesoziologie üblicherweise<br />
gegeneinander abgegrenzten<br />
Erfahrungssphären<br />
von Erwerbs- und Hausarbeit<br />
der Arbeiterinnenexistenz bilden<br />
ein „kontroverses System<br />
von Belastung und Entlastung,<br />
von Nichtanerkennung und Bestätigung,<br />
von Unterdrückung<br />
und Egalität, von Abhängigkeit<br />
und Freiwilligkeit" (Becker-<br />
Schmidt 1982: Entfremdete<br />
Aneignung, gestörte Anerkennung,<br />
Lernprozesse: Über die<br />
Bedeutung von Erwerbsarbeit<br />
für Frauen, in: Beiträge zur<br />
Frauenforschung am 21. Deutschen<br />
Soziologentag).<br />
Den darin eingelassenen weiblichen<br />
Erfahrungshorizont beschreiben<br />
die betroffenen Frauen<br />
als ein „unauflösbares Beiund<br />
Durcheinander von verletzenden<br />
und unverzichtbaren<br />
Selbstbezügen" (ebd.), durch<br />
das sie weder auf die Berufswelt<br />
noch auf die Hausarbeit<br />
verzichten können, mit der<br />
Konsequenz, innerhalb beider<br />
Bereiche verletzenden Erfahrungen<br />
ausgesetzt zu sein. Der<br />
Widerspruch dieser spezifischen<br />
doppelten (bürgerlichpartriarchalen<br />
und machtdurchsetzten,<br />
marktvermittelten)<br />
Vergesellschaftung von Frauen<br />
liegt somit in der Integration<br />
in die Gesellschaft durch<br />
Segregation undDeklassierung<br />
qua Geschlecht" (Knapp 1990:<br />
Zum Problem der Radikalität<br />
in der feministischen Wissenschaft.<br />
Oldenburger Universitätsreden<br />
Nr. 38,26). Die Deutung<br />
dieses doppelten und widersprüchlichenErfahrungshorizonts<br />
als die Ursache gewisser<br />
„Subjektpotentiale von Renitenz<br />
und Selbstbestimmung<br />
ebenso wie Anpassung und Regression,<br />
Konflikt- und Kompromißbereitschaft"<br />
(155) birgt<br />
aber auch die Möglichkeit, das<br />
„dissonante Material der Kontrast-<br />
und Konflikterfahrungen<br />
im weiblichen Lebenszusammenhang"<br />
(llf.), auf das auch<br />
die neue Frauenbewegung zurückgreifen<br />
mußte, sinnvoll in<br />
den Blick zu nehmen, um jene<br />
„Melodie zu komponieren"<br />
(Knapp 1990), die sie den Verhältnissen<br />
vorgespielt hat.<br />
Die Überprüfung des feministischen<br />
Forschungsansatzes<br />
von Knapp und Becker-<br />
Schmidt erfolgt schließlich im<br />
dritten, empirischen Teil der<br />
Studie. Am Beispiel relevanter<br />
Praxen und Diskurse der neuen<br />
Frauenbewegung in Frankfurt<br />
wird die ganze Bandbreite spezifisch<br />
weiblicher Leiderfahrungen<br />
an den Schnittstellen<br />
der doppelten und widersprüchlichen<br />
Vergesellschaftung noch<br />
einmal verdeutlicht. In einem<br />
tendenziell feindlichen Klima<br />
einer sich vornehmlich aus<br />
männlichen Ideologien und<br />
Bedürfnisstrukturen speisenden<br />
Öffentlichkeit schuf die