Vollversion (6.59 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
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48 FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 9, HEFT 4, 1996<br />
Willy Viehöver<br />
Die „moralische Ökonomie" des<br />
Umweltprotestes im Nachkriegsjapan<br />
1 Einleitung<br />
Japan, so scheint es, verfügt nicht über jene<br />
lange Tradition von Natur und Tierschutz, die<br />
wir etwa in Deutschland, Großbritannien und<br />
der Vereinigten Staaten kennen. Dennoch lassen<br />
sich erste umweltbezogene Proteste bis<br />
ins letzte Jahrhundert zurückverfolgen (Iijima<br />
1979). Bürgerappelle, gewaltsame Proteste<br />
und Gerichtsverfahren, welche Naturzerstörung<br />
zum Gegenstand hatten, müssen wir<br />
jedoch unter einem anderen Bezugsrahmen<br />
als jenem des Naturschutzes zu verstehen suchen.<br />
In den fünfziger, sechziger und frühen<br />
siebziger Jahren gaben die Ideen der Gerechtigkeit<br />
und des Paternalismus den Protesten<br />
eher Rahmung (Gamson/Lasch 1983, Gamson/Modigliani<br />
1989) als Vorstellungen von<br />
der Natur als einem kollektiven Gut. Dies hat<br />
sich in einigen Hinsichten geändert. Vorhandene<br />
Literatur konzentriert sich wesentlich<br />
auf die Protestzyklen der sechziger und siebziger<br />
Jahre. Es gibt jedoch Anzeichen, daß<br />
umweltbezogene Proteste in den späten achtziger<br />
und frühen neunziger Jahre wieder an<br />
Bedeutung gewonnen haben. Dennoch haben<br />
internationale Umweltorganisationen wie<br />
Greenpeace, WWF und Friends of the Earth<br />
in Japan bisher kaum Fuß fassen können. In<br />
welchen organisatorischen Netzwerken<br />
(Emirbeyer/Goodwin 1994) gründet der Um<br />
weltprotest aber dann? Einige Stimmen glauben,<br />
daß Verbraucherorganisationen zu einem<br />
Teil jene Protestbewegungen abgelöst haben,<br />
die ihr Fundament in den gewachsenen Gemeinschaften<br />
hatten (Terada 1994, Iijima, persönliches<br />
Interview, Tokio 7.2.1995). Diese<br />
neueren Gruppierungen basieren zwar auf gemeinschaftlicher<br />
Assoziation, verabschieden<br />
aber keineswegs die Bedeutung gemeinschaftlicher<br />
Bindungen.<br />
Welche Unterschiede zwischen dem frühen<br />
Protestzyklus, der sich von den fünfziger Jahren<br />
bis zum Beginn der siebziger Jahre erstreckte,<br />
und den jüngeren Umweltprotesten<br />
können nun aufgezeigt werden? Unterschiede<br />
lassen sich hinsichtlich der Rekrutierungsbasis,<br />
der Organisation, der Netzwerkbeziehungen,<br />
der Wertorientierungen, der Arenen,<br />
Diskurse und der kulturellen und kommunikativen<br />
Codes sowie der Chancenstrukturen<br />
des Protests aufzeigen. In der hier gebotenen<br />
Kürze können diese Punkte nur sehr generell<br />
und ohne Anspruch auf Vollständigkeit<br />
angesprochen werden. Die folgenden<br />
Charakteristika des japanischen Umweltprotests<br />
lassen sich aus ersten Überlegungen filtern.<br />
Einige dieser Charakteristika stehen im<br />
Gegensatz zu den vergleichbaren Entwicklungen<br />
im Westen (Kriesi 1987, Brand 1990,<br />
Eder 1993).