Vollversion (6.59 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
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122 FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 9, HEFT 4, 1996<br />
Den beiden Herausgebern, Craig<br />
Jenkins und Bert Klandermans,<br />
ist es gelungen, einen<br />
Band zusammenzustellen, der<br />
im großen und ganzen hält, was<br />
der Titel verspricht.<br />
Das Hauptthema des in drei<br />
Teile gegliederten Bandes ist<br />
die Interaktion zwischen sozialen<br />
<strong>Bewegungen</strong>, politischen<br />
Parteien und dem Staat.<br />
In der Mehrheit der Beiträge<br />
stehen dabei "politische Gelegenheitstrukturen"<br />
(manchmal<br />
auch in kritischem Sinne) im<br />
Zentrum. Nach einer relativ enttäuschenden<br />
und die interessanten<br />
Befunde und theoretischen<br />
Ideen anderer Beiträge<br />
nicht aufgreifenden Einführung<br />
von Jenkins werden im ersten<br />
Teil die Ursprünge von Protestbewegungen<br />
als komplementäre<br />
oder alternative Vertreter<br />
solcher gesellschaftlicher<br />
Interessen behandelt, die von<br />
(korporatistischen) Interessenverbänden<br />
und politischen Parteien<br />
nicht oder nur ungenügend<br />
aufgegriffen werden.<br />
In einem lesenswerten Beitrag<br />
behandelt Ron Aminzade am<br />
Beispiel der Entwicklung des<br />
französischen Republikanismus<br />
im neunzehnten Jahrhundert<br />
den Ursprung der - historisch<br />
nicht selbstverständlichen<br />
- Trennung zwischen Parteien<br />
und <strong>Bewegungen</strong> als unterschiedlichen<br />
Formen politischer<br />
Einflußnahme. Weniger<br />
aufregend ist der Befund von<br />
Opp u.a., daß vor allem diejenigen,<br />
die sich an den extre<br />
men Ränden der Links/Rechts-<br />
Skala einstufen, zu Protest neigen.<br />
Von den untersuchten Ländern<br />
(Peru, Israel und Westdeutschland)<br />
trifft dies nur in<br />
Deutschland nicht ganz zu, da<br />
hier nur die Linksradikalen eine<br />
höhere Geneigtheit zu Protest<br />
besitzen. Im Licht der jüngsten<br />
Welle rechtsextremer Mobilisierung<br />
in Deutschland darf<br />
man sich fragen, wie weit die<br />
Bedeutung solcher aus Umfragedaten<br />
hervorgehenden "Protestpotentiale"<br />
für die Erklärung<br />
von Protestbewegungen<br />
überhaupt reicht.<br />
Wie Jenkins und Wallace in<br />
ihrem Vergleich von acht westeuropäischen<br />
Ländern zeigen,<br />
führt eine Zunahme des Protestpotentials<br />
nicht automatisch<br />
zu einer Zunahme tatsächlichen<br />
Protestes. Obwohl die Bürger<br />
neokorporatistischer Demokratien<br />
eine vergleichbare oder<br />
sogar höhere Geneigtheit zu<br />
Protest aufweisen als die Bürger<br />
pluralistischer Länder, zeigen<br />
die letzten deutlich höhere<br />
Niveaus tatsächlichen Protestes.<br />
Darüberhinaus zeigen die<br />
Autoren, daß auch die Beteiligung<br />
linker Parteien an der<br />
Regierung und proportionelle<br />
politische Systeme die Protesthäufigkeit<br />
verringern. Bei den<br />
Befunden von Jenkins und<br />
Wallace muß allerdings bemerkt<br />
werden, daß sie zu einem<br />
großen Teil auf den sehr<br />
zweifelhaften Protestdaten aus<br />
dem World Handbook of Social<br />
and Political Indicators be<br />
ruhen, die z.B. für Deutschland<br />
zwischen 1963 und 1975<br />
im Jahresdurchschnitt 15 (!)<br />
Proteste umfassen.<br />
Auf dem gleichen empirischen<br />
Treibsand bewegt sich auch der<br />
Beitrag von Michael Nollert,<br />
der tiefer auf die Frage der<br />
Bedeutung neokorporatistischer<br />
Strukturen für die Protestmobilisierung<br />
eingeht. In<br />
der Literatur findet man zu dieser<br />
Frage sehr unterschiedliche<br />
Hypothesen. Die Klassiker<br />
des Neokorporatismus<br />
(Schmitter, Lehmbruch) betonen<br />
die pazifizierendeWirkung<br />
institutionalisierter Konfliktregulierung,<br />
während viele Autoren,<br />
die sich mit neuen sozialen<br />
<strong>Bewegungen</strong> befaßt haben,<br />
im Korporatismus vor allem<br />
eine Abschottung des politischen<br />
Systems sehen, die geradezu<br />
mehr Protest der ausgeschlossenen<br />
Interessen provoziert.<br />
Nollert schließt sich den<br />
Klassikern an und untermauert<br />
seineThese durch den Hinweis<br />
auf die bessere wirtschaftliche<br />
Performanz neokorporatistischer<br />
Staaten, die eine rationelle<br />
Basis für die relative "Bewegungslosigkeit"<br />
der Bürgern<br />
dieser Staaten sein könnte.<br />
Die Datenbasis ist hier allerdings<br />
fraglich, nicht nur, was<br />
die Protestmessung betrifft: Die<br />
Beschränkung auf den Zeitraum<br />
bis 1982 läßt darüberhinaus<br />
die wirtschaftliche Performanz<br />
des neokorporatistischen<br />
Modells, das gerade seit den<br />
achtziger Jahren in einer Krise