Vollversion (6.59 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
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54 FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 9, HEFT 4, 1996<br />
4.2 <strong>Soziale</strong> Chancenstrukturen<br />
Betrachtet man neben diesen kulturellen Gelegenheitsstrukturen<br />
die sozialen Chancenstrukturen<br />
des Umweltprotestes, stößt man<br />
zunächst auf dessen moralische Ökonomie.<br />
Umweltzerstörung führte zu moralischen<br />
Kreuzzügen durch Bürgergemeinschaften mit<br />
reaktiven Forderungen. Rasches ökonomisches<br />
Wirtschaftswachstum im Japan der<br />
Nachkriegszeit, staatlich-administrativ gefördert,<br />
begann die Subsistenzgrundlage und die<br />
Gesundheit der ländlichen (und städtischen)<br />
Bewohner zu gefährden. Es waren aber wesentlich<br />
die ländlichen Bewohner, die protestierten.<br />
Die moralische Ökonomie, die diese<br />
traditionalen Gemeinschaften zusammenhielt,<br />
stellte eigentümlicherweise sowohl einen Hinderungsgrund<br />
als auch schließlich die zentrale<br />
Legitimationsgrundlage des kollektiven<br />
Handels dar. Nur, weil es gelang, die Umweltverschmutzungen<br />
als Verstöße gegen paternalistische<br />
Pflichten zu interpretieren, ließen<br />
sich erst einige, dann viele zu kollektivem<br />
Handeln gegen wirtschaftliche und kommunale<br />
politische Autoritäten motivieren. Die<br />
jüngeren Umweltproteste stützen sich auf Mittelklassenstrukturen.<br />
Aber auch in den neugebildeten<br />
assoziativen Strukturen scheint<br />
eine moralische Ökonomie zu entstehen, die<br />
Gemeinschaftswerten und gemeinschaftlicher<br />
Praxis hohe Bedeutung zuweist. Ob sich hier<br />
in Zukunft individualistische Vorstellungen<br />
durchsetzen werden, bleibt abzuwarten.<br />
4.3 Politische Chancenstrukturen<br />
Die politischen Chancenstrukturen für politische<br />
Partizipation sind in Japan traditionellerweise<br />
gering (Foljanty-Jost 1983, 1988,<br />
Imura 1994). Die Triangel zwischen konservativer<br />
Regierung, Verwaltung - mit relativ<br />
schwacher Environmental Agency - und Wirtschaft<br />
(Keidandren) stellt kaum Möglichkei<br />
ten der partizipativen Einflußnahme durch<br />
Umweltprotestgruppen und Organisationen<br />
bereit. Die politischen und ökonomischen Krisen<br />
der neunziger Jahre haben das Dreieck<br />
der Macht nicht wesentlich geschwächt. Dies<br />
war schon eher in den späten sechziger und<br />
frühen siebziger Jahre der Fall, als zahlreiche<br />
sozialistische Kandidaten in die lokalen<br />
und regionalen Regierungen einzogen. Aber<br />
auch diese Veränderungen schufen kaum formale<br />
Partizipationschancen. Nimmt man die<br />
Einrichtung von Verhandlungssystemen einmal<br />
aus, haben sich keine intermediären<br />
Strukturen ausgebildet. Die Verhandlungen<br />
zwischen Bürger, Regierung, Administration<br />
und Betrieben/Verbänden sind wesentlich informell.<br />
Die besten Möglichkeiten der institutionellen<br />
Einflußnahme ergeben sich über die Japanese<br />
Federation of Bar Associations. Anwälte<br />
waren schon in den sechziger Jahren<br />
die bedeutendste Verbindungsstelle zwischen<br />
Bürgerprotesten gegen Umweltzerstörung und<br />
Institutionen. Auch die Gerichte entschieden<br />
Ende der sechziger und eingangs der siebziger<br />
Jahre oft zugunsten der betroffenen Bürger.<br />
Vielleicht sind hier die politischen Chancenstrukturen<br />
zu sehen, die die institutionellen<br />
Effekte des Umweltprotestes der<br />
sechziger und frühen siebziger Jahre begünstigten.<br />
4.4 Ökonomische Chancenstrukturen<br />
Das Fehlen einer Spendenkultur ist sicher ein<br />
wesentlicher Grund für die Schwäche von nationalen<br />
Umweltorganisationen. Beispiele wie<br />
das Nippon Ecology Netzwerk und die Coop<br />
Initiativen zeigen, daß sich der Umweltprotest<br />
in Japan in den achtziger und neunziger<br />
Jahren wesentlich im ökonomischen Feld<br />
organisiert hat. Diese Initiativen ruhen aber<br />
nicht in lediglich marktförmiger, sondern ge-