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FORSCHUNGS JOURNAL NSB, JG. 9, HEFT 4, 1996 13<br />

Herausforderungen des 21. Jahrhunderts, gipfelnd<br />

in der Frauen-und Ökologiefrage, eingestellt<br />

haben. Vor allem ist er sich der Gefahr<br />

des Umschlags in das Gegenteil des positiv<br />

Intendierten bewußt geworden: Diese Ebene<br />

der kritischen Selbstreflexion verbindet sich<br />

mit einem Geltungsanspruch, der nicht mehr<br />

geschichtskonstitutiv, sondern regulativ gemeint<br />

ist. Und doch stellt sich die Frage, wie<br />

ein dergestalt erneuertes utopisches Denken,<br />

das sich den statischen Systembauten der Vergangenheit<br />

ebenso entzieht wie der Vereinnahmung<br />

durch destruktive Tendenzen der Moderne,<br />

praktisch werden kann.<br />

Ich möchte auf diese Frage am Beispiel eines<br />

der wohl bedeutendsten Handlungsfelder des<br />

21. Jahrhunderts, nämlich des Verhältnisses<br />

von szientifischer Umwelttheorie und utopischer<br />

Konstruktion, eingehen. Doch zuvor ist<br />

zu klären, wodurch sich diese beiden Ansätze<br />

unterscheiden. An der Realität der wissenschaftlich-technischen<br />

Zivilisation orientiert,<br />

geht es der szientifischen Umwelttheorie darum,<br />

Gesetze und Relationen zu entdecken, die<br />

uns Einblicke in die Dynamik der Natur und<br />

die Interaktion zwischen den Menschen und<br />

ihrer Umwelt gewähren. Demgegenüber beschäftigt<br />

sich das utopische Denken mit einer<br />

zukünftigen Welt, die zwar nicht ist, aber sein<br />

könnte. Im Gegensatz zur szientifischen Umwelttheorie<br />

lassen sich politische Utopien nicht<br />

von im Experiment reproduzierbaren Naturphänomenen,<br />

sondern von einer deduktiven<br />

Logik leiten. Ausgehend von einer Anzahl normativer<br />

Prinzipien, besteht das Hauptziel des<br />

utopischen Denkens darin, Formen der gesellschaftlichen<br />

Organisation zu entwerfen, die mit<br />

seinen Weiten übereinstimmen. Als sein wichtigstes<br />

methodologisches Rüstzeug muß daher<br />

nicht - wie in der szientifischen Umwelttheorie<br />

- die in der Sprache der Mathematik auszudrückende<br />

Naturbeobachtung, sondern die<br />

Phantasie gelten. Mit ihrer Hilfe entwickelt es<br />

eine visionäre Perspektive, die als Ausfluß der<br />

Potentialität der Menschheit nur eingeschränkt<br />

wird durch die Grenzen der menschlichen<br />

Hoffnungen und Träume selbst.<br />

In ihrem 1977 erschienenen Buch Environment<br />

and Utopia haben Rudolf Moos und<br />

Robert Brownstein den Versuch unternommen,<br />

diese beiden verschiedenen Denkansätze<br />

zu synthetisieren, um ein neues konzeptionelles<br />

Muster zur Analyse der menschlichen<br />

Umwelt zu entwickeln. Allerdings setzt<br />

eine solche Synthese eine gemeinsame<br />

Grundlage voraus, die die aufgezeigten Unterschiede<br />

relativiert. Worin besteht sie? Moos<br />

und Brownstein nennen vier Aspekte:<br />

(1) Das utopische Denken war stets durch die<br />

Bereitschaft gekennzeichnet, die bestehende<br />

sozio-politische Realität zu transzendieren.<br />

Dem entspricht die Einsicht der Umweltwissenschaft,<br />

daß ein ökologischer Umbau der<br />

Industriegesellschaft schon längst auf der politischen<br />

Tagesordnung steht.<br />

(2) Die Utopisten gingen immer von der Prämisse<br />

aus, es komme darauf an, die gesellschaftlichen<br />

Rahmenbedingungen bewußt<br />

und gezielt so zu gestalten, daß in ihrem Rahmen<br />

das gewünschte Verhalten möglich, befriedigend<br />

und sinnvoll wird. Diese Annahme<br />

teilt auch die Umweltwissenschaft: Ohne<br />

Planung und fortlaufende soziale Rückkoppelung<br />

für weitere Planungen ist eine gesicherte<br />

soziale und ökologische Stabilität nicht<br />

zu haben.<br />

(3) Im Utopie-Diskurs spielte seit Piaton der<br />

ganzheitliche, holistische Denkansatz eine<br />

entscheidende Rolle. Auch wenn er in seiner<br />

antiindividualistischen und autoritären Version<br />

historisch überholt ist, hat die Umweltwissenschaft<br />

erkannt, daß ohne ihn die Interdependenzen<br />

zwischen den Ökosystemen

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