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Zur Idee einer globalen Friedensordnung - DSS

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D r e s d e n e r S t u d i e n g e m e i n s c h a f t S I C H E R H E I T S P O L I T I K (<strong>DSS</strong>) e . V .<br />

<strong>Zur</strong> <strong>Idee</strong><br />

<strong>einer</strong> <strong>globalen</strong><br />

<strong>Friedensordnung</strong><br />

Beiträge – im Anschluß an Immanuel Kants<br />

Entwurf „Zum ewigen Frieden“ – von<br />

Hermann Klenner, Wolfgang Scheler<br />

und Ernst Woit<br />

<strong>DSS</strong>-Arbeitspapiere<br />

Heft 31 – 1997


Herausgeber:<br />

Dresdener Studiengemeinschaft SICHERHEITSPOLITIK (<strong>DSS</strong>) e.V.<br />

Vorsitzender: Prof. Dr. Rolf Lehmann Schneebergstr. 2 01277 Dresden<br />

Die Beiträge dieses Heftes - entstanden für ein Symposium der Projektgruppe<br />

„Globale <strong>Friedensordnung</strong>“, das Ende 1995 in Hannover stattfand -<br />

wurden bereits veröffentlicht in:<br />

Volker Bialas und Hans-Jürgen Häßler (Hg.):<br />

200 Jahre Kants Entwurf „Zum ewigen Frieden“.<br />

<strong>Idee</strong> <strong>einer</strong> <strong>globalen</strong> <strong>Friedensordnung</strong><br />

Würzburg 1996 (Königshausen & Neumann),<br />

ISBN 3-8260-1216 X. (siehe auch S. 46)<br />

Herausgeber und Redaktion danken den Autoren für die freundliche<br />

Nachdruckerlaubnis.<br />

Redaktion und Vertrieb: Dr. Joachim Klopfer (V.i.S.d.P.)<br />

Am Jägerpark 52<br />

01099 D r e s d e n<br />

Fon/Fax: 0351/4429225<br />

Redaktionsschluß des Heftes: Dezember 1996<br />

Beiträge im Rahmen der Schriftenreihe „<strong>DSS</strong>-Arbeitspapiere“ geben die Ansichten der Autoren<br />

wieder, mit denen sich Herausgeber und Redaktion nicht in jedem Fall identifizieren.<br />

Alle Rechte und Pflichten im Sinne des Urheberrechtsgesetzes liegen bei den Autoren!<br />

Nachdruck und jede andere vom Gesetz nicht ausdrücklich zugelassene Verwertung bedürfen<br />

ihrer Zustimmung; zugleich haften sie dafür, daß durch die vorliegende Veröffentlichung ihrer<br />

Ausarbeitung nicht Schutzrechte Anderer verletzt werden.<br />

Kostenbeitrag: 2,70 DM


Hermann K l e n n e r<br />

Kants Entwurf „Zum ewigen Frieden“ -<br />

Illusion oder Utopie?<br />

„Die Wahrheit, um sich durchzusetzen, braucht Gründe und nicht Gewalt“,<br />

sagt Kant. (1) Hat er sich mit dieser Behauptung, ein hoffnungsloser Fall<br />

zahnlosen Aufklärertums, vollständig in Widerspruch zur Wirklichkeit gesetzt?<br />

Mag sein, daß das, was Blut kostet, kein Blut wert ist - jedenfalls hätte sich<br />

kaum eine folgenschwere Wahrheit auf dem Felde der Gesellschaft<br />

behaupten können, wenn ihr nicht wenigstens ab und zu ein klein bißchen<br />

Gewalt zur Seite gestanden hätte, während Gewalt, um sich durchzusetzen,<br />

tatsächlich weder Wahrheit noch Gründe braucht.<br />

Zweihundert Jahre, nachdem dieser Kant seinen philosophischen Entwurf<br />

„Zum ewigen Frieden“ mit der Behauptung abschloß, daß der ewige Frieden<br />

keine leere <strong>Idee</strong>, sondern eine Aufgabe sei, die, nach und nach aufgelöst,<br />

ihrem Ziel beständig näher komme, (2) - fünfzig Jahre, nachdem der von<br />

Nazideutschland betriebene barbarischste Krieg der Menschheitsgeschichte<br />

durch den militärischen Sieg der „Vereinten Nationen“ in einen Weltfriedenszustand<br />

mit dem erklärten Ziel, die künftigen Generationen vor der Geißel<br />

des Krieges zu bewahren, übergeleitet wurde, - fünfzig Jahre aber auch,<br />

nachdem der Atombombenabwurf auf Hiroshima als letzter Akt des heißen<br />

und zugleich erster Akt des kalten Krieges die Menschheit von der einen<br />

Angst befreite, indem er sie in die andere Angst versetzte (3), dürfte es keine<br />

Zumutung sein, in die irenischen Gedanken eines der bedeutendsten<br />

Philosophen aller Zeiten zu erinnern.<br />

1. Der Anlaß für Kants Friedensprojekt<br />

Am 13. August 1795, der Brief ist überliefert (4), bot Kant seinem Königsberger<br />

Nachbarn und Verleger Friedrich Nicolovius seine Friedensabhandlung<br />

für ein Bogenhonorar von zehn Reichstalern an, sofern sie zur nächsten<br />

Michaelismesse ausgeliefert werden könnte. Nicolovius akzeptierte noch am<br />

gleichen Tag. Und tatsächlich, keine sechs Wochen später lag die Abhandlung<br />

mit 104 Seiten zum Verkauf bereit, deren erste Auflage von 2000 Exem-<br />

3


4<br />

plaren binnen kurzem vergriffen war, so daß bereits im Folgejahr eine neue,<br />

durch einen weiteren Zusatz vermehrte Zweitauflage erscheinen konnte, von<br />

der allerdings noch eine ganze Generation später die knappe Hälfte vorrätig<br />

war. Übersetzungen, unter anderem ins Arabische, Bulgarische, Englische,<br />

Hebräische, Italienische und Russische, liegen inzwischen vor.<br />

Auch wenn Kant das nirgends angedeutet hat: Ausgelöst wurde sein<br />

Friedensprojekt durch den am 5. April 1795 abgeschlossenen sogenannten<br />

Basler Frieden zwischen der revolutionären französischen Republik und der<br />

konterrevolutionären preußischen Monarchie. Damit fand auf Preußens Seite<br />

jener Krieg ein Ende, dessen Interventionsziel im berüchtigten Manifest des<br />

Oberbefehlshabers der österreichisch-preußischen Heere vom 25. Juli 1792<br />

dahingehend verlautbart worden war, daß man für die geringste Beleidigung<br />

der geheiligten Person von Louis XVI. „eine beispiellose und für alle Zeiten<br />

denkwürdige Rache nehmen und die Stadt <strong>einer</strong> militärischen Exekution und<br />

einem gänzlichen Ruin preisgeben“ werde. (5) Militärisch entschieden war<br />

dieser Krieg zugunsten Frankreichs freilich bereits am 20. September 1792<br />

durch die sogenannte Kanonade von Valmy, deren Verlauf der an diesem<br />

Artillerieduell im Gefolge seines Herzogs Karl August teilnehmende Johann<br />

Wolfgang von Goethe angesichts des Sieges der Revolutionstruppen über die<br />

Aggressionsarmeen zu preußischen Offizieren gesagt zu haben sich später<br />

erinnerte: Von hier und heute geht eine neue Epoche der Weltgeschichte<br />

aus, und ihr könnt sagen, ihr seid dabeigewesen.“ (6) Bedenkt man die<br />

gesamteuropäischen Folgen, die eine militärisch-interventionistisch erzwungene<br />

Niederlage der französischen Revolution ausgelöst haben würde, verbietet<br />

es sich, die historische Sicht Goethes als pure Poetenphantasie zu<br />

bagatellisieren.<br />

Kant selbst hat sich in (überlieferten) Gesprächen lebhaft gegen die Einmischung<br />

seines Landes in die Angelegenheiten <strong>einer</strong> fremden Nation im<br />

allgemeinen, in das Experiment der französischen Revolution im besonderen<br />

ausgesprochen, an der er ja, wie er es selbst formulierte, „dem Wunsche<br />

nach, der nahe an Enthusiasm grenzt“, (7) teilnahm. Kants Hoffnung, daß<br />

nunmehr das Kriegführen auch für die Zukunft unmöglich gemacht werden<br />

würde, ebenso wie die Tatsache, daß sein Friedensprojekt eine größere<br />

Resonanz auslöste als jedes andere s<strong>einer</strong> Werke, (8) daß ferner der Basler<br />

Frieden einen „Federkrieg“ mit mehr als 80 Flugschriften auslöste, (9) daß<br />

sich schließlich an der Friedensdiskussion in Deutschland um 1800 nahezu<br />

alle, die Rang und Namen hatten, beteiligten, (10) hat auch etwas damit zu<br />

tun, daß die französische Revolutionsverfassung von 1791 in ihrem Titel VI<br />

den Verzicht Frankreichs, „einen Krieg zu unternehmen, um Eroberungen zu


machen“, festgeschrieben hatte, wie die Jakobinerverfassung von 1793 in<br />

ihrem Artikel 119 das Nichteinmischungsprinzip auch. Anders als die englische<br />

Revolution des 17. Jahrhunderts hat die französische Revolution des 18.<br />

Jahrhunderts Hoffnungen auf ein internationales Miteinander ohne Krieg zu<br />

wecken vermocht. Auch das gehörte übrigens zu ihrer Weltwirkung.<br />

In seinem Philosophenleben hat Kant zweimal den dreibändigen „Projet pour<br />

rendre la paix perpetuelle en Europe“ des Abbe Castel de Saint-Pierre erwähnt,<br />

(11) den dieser 1713 in Utrecht publiziert und in dem er den<br />

24 christlichen Herrschern Europas (mit Anschlußmöglichkeit für Muslimländer)<br />

einen auf Ewigkeit ausgetüftelten Friedensbund vorgeschlagen hatte,<br />

bei dem kein Staat mehr als 6000 Mann hätte unter Waffen haben dürfen,<br />

dafür aber sicher vor Aufruhr im Inneren und Krieg von außen sei. (12) Kant,<br />

ohnehin nicht zu den allerfleißigsten Lesern zählend, hat vermutlich das<br />

Saint-Pierre-Projekt nur in dem (unkritischen) Auszug gelesen, den der von<br />

ihm bewunderte Jean Jacques Rousseau veröffentlicht hatte, während ihm<br />

dessen erst post mortem publiziertes (kritisches) Gutachten über Saint-Pierres<br />

monarchenbegünstigendes Friedensprojekt entgangen sein dürfte. (13)<br />

Selbstdenker, der er war, war er nicht unbedingt ein Fremdleser.<br />

2. Das Friedensproblem im Werk Kants<br />

Daß Kant einen Friedhofsfrieden als Ergebnis etwa <strong>einer</strong> nach innen wie<br />

nach außen totalitären („despotischen“ in s<strong>einer</strong> Terminologie) Universalmonarchie<br />

oder aber eines Ausrottungskrieges, eines „bellum internecinum“,<br />

herbeizuphilosophieren nicht im Sinn hatte, steht außer Frage. Frieden um<br />

jeden Preis war seine Losung nicht. Dreimal benutzt er das vermutlich von<br />

Leibniz übernommene Bild vom Friedhof als dem Ort des ewigen Friedens,<br />

„der nur auf dem großen Kirchhofe der Menschengattung“ stattfinden würde,<br />

um seinen Abscheu vor „Staatsoberhäuptern, die des Krieges nie satt werden<br />

können“, zu bekunden. (14) Auch wenn er - andererseits - einmal von<br />

seinem Entwurf „Zum ewigen Frieden“ als von seinen „reveries“, seinen<br />

Träumereien, sprach, (15) mit einem folgenlosen Friedseligkeitstraum<br />

begnügte sich ein Kant nicht. Auch hat er das Friedensthema nicht eben nur<br />

mal, beiläufig, wie ein sozialphilosophisches Korollarium abgehandelt. Wenn<br />

auch sein Friedensprojekt gelegentlich des „Basler Friedens“ die Form <strong>einer</strong><br />

eigenen Publikationsabhandlung annahm, war diese doch keine Gelegenheitsschrift.<br />

Vielmehr erwuchs sie organisch aus <strong>einer</strong> Sozial-, Geschichtsund<br />

Rechtsphilosophie und ist deren notwendiges Moment. Schließlich<br />

5


6<br />

waren seine Denkergebnisse kein planloses Aggregat situativer Einfälle; sie<br />

formten eine methodisch gebildete Theorie mit Systemanspruch. So nimmt<br />

es kein Wunder, wenn wir eine in ihrer Substanz gleiche Friedenskonzeption<br />

Kants in vielen s<strong>einer</strong> Werke und nicht nur in s<strong>einer</strong> ausschließlich dieser<br />

Problematik gewidmeten Schrift finden:<br />

(a) In s<strong>einer</strong> erstmals 1784 in der Berlinischen Monatsschrift veröffentlichten<br />

Abhandlung „<strong>Idee</strong> zu <strong>einer</strong> allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht“<br />

wird der Krieg als ein vorübergehend unvermeidlicher Antagonismus in<br />

der menschlichen Gesellschaft charakterisiert, der aber dereinst durch Revolutionen<br />

unvermeidlich in einen weltbürgerlichen Zustand internationaler<br />

Sicherheit umkippen werde. (16)<br />

(b) In der 1786 ebenfalls in der Berlinischen Monatsschrift veröffentlichten<br />

Abhandlung „Mutmaßlicher Anfang der Menschengeschichte“ wird dem<br />

„kontinuierlichen Krieg“, dem größten Übel, welches die Völker drückt, der<br />

„immerwährende Friede“ <strong>einer</strong> künftigen Kultur entgegengestellt. (17)<br />

(c) In s<strong>einer</strong> erstmals 1790 in Berlin publizierten „Critik der Urtheilskraft“<br />

wird Krieg so lange für unvermeidlich gehalten, wie Ehrsucht, Herrschsucht<br />

und Habsucht („vornehmlich bei denen, die Gewalt in Händen haben“!) die<br />

Menschheit daran hindert, als „weltbürgerliches Ganzes“, als „System aller<br />

Staaten“ zu agieren. (18)<br />

(d) In s<strong>einer</strong> drei Jahre später in Königsberg publizierten „Religion innerhalb<br />

der Grenzen der bloßen Vernunft“ wird die Kriegstapferkeit als die „höchste<br />

Tugend der Wilden, in ihrer Meinung“ (!) und das Herbeiführen eines auf<br />

einem Völkerbund gegründeten ewigen Friedens als unausweichlich bezeichnet,<br />

auch wenn dieser philosophische Chiliasmus als eine Schwärmerei<br />

allgemein verlacht wurde. (19)<br />

(e) In s<strong>einer</strong> ebenfalls 1793 und wiederum in der Berlinischen Monatsschrift<br />

veröffentlichten Abhandlung „Über den Gemeinspruch: Das mag in der<br />

Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis“ entwickelt Kant die<br />

Hypothese, daß sich in einem Perfektibilitätsprozeß die staatsbürgerlich<br />

verfaßten Gesellschaften in eine weltbürgerlich verfaßte Föderation nach<br />

einem gemeinschaftlich verabredeten Völkerrecht transformieren werden,<br />

was allerdings voraussetze, daß die entscheidende Stimme, ob Krieg sein<br />

solle oder nicht, das Volk habe und nicht das Staatsoberhaupt, „den der<br />

Krieg (weil er ihn auf eines andern, nämlich des Volks, Kosten führt) eigentlich<br />

nichts kostet“. (20)


(f) In seinen 1797 in Königsberg publizierten „Metaphysischen Anfangsgründen<br />

der Rechtlehre“, deren Endzweck die „allgemeine und fortdauernde<br />

Friedensstiftung“ ist, unterscheidet Kant nicht nur zwischen dem Recht zum<br />

Krieg, dem Recht im Krieg und dem Recht nach dem Krieg, sondern<br />

konzipiert hier auch neben einem Recht des Friedens, basierend auf dem<br />

rechtlichen Prinzip <strong>einer</strong> friedlichen Gemeinschaft aller Völker als Weltbürgerrecht<br />

auf „Reform nach festen Grundsätzen, in kontinuierlicher Annäherung<br />

zum höchsten politischen Gut, zum ewigen Frieden“, ein subjektives<br />

Recht auf Frieden: „Jeder Mensch hat ein Recht, im Frieden zu sein.“ (21)<br />

(g) Ein Jahr später erklärt Kant in s<strong>einer</strong> „Anthropologie in pragmatischer<br />

Absicht“, daß die Menschengattung durch Kriege zwar an ihrer Selbstzerstörung<br />

arbeitet, zugleich aber zu <strong>einer</strong> allgemein fortschreitenden „Koalition in<br />

eine weltbürgerliche Gesellschaft sich von Natur bestimmt“ fühlt. (22)<br />

(h) Und schließlich argumentiert Kant in seinem (aus Zensurgründen erst) im<br />

gleichen Jahr 1798 erschienenen „Streit der Fakultäten“, daß die Identität<br />

von Gesetzgebenden und dem Gesetz Gehorchenden (also von Regierenden<br />

und Regierten, nach heutigen Begriffen: von Demokratie) kein leeres Hirngespinst,<br />

sondern ein durch Erfahrung gewonnenes Ideal und die ewige<br />

Norm für alle bürgerliche Verfassung sei; und in solch <strong>einer</strong> Verfassung, in<br />

der das Volk nach Gesetzen der Freiheit und Gleichheit sich selbst regiert, so<br />

heißt es ergänzend in dem erst seit 1960 zugänglichen „Krakauer Fragment“<br />

zum „Streit der Fakultäten“, falle alle Kriegssucht weg; mithin sei es eine<br />

Pflicht, in eine solchermaßen organisierte, allen Krieg entfernende bürgerliche<br />

Gesellschaft einzutreten: (23) Der ewige Frieden als Rechtspflicht.<br />

3. Der Inhalt des Kantischen Friedensprojekts<br />

Die im Voranstehenden aus Kants Gesamtwerk herausgefilterten Friedenspassagen<br />

finden weniger ihre Ergänzung als vielmehr ihre Systematisierung in<br />

seinem Traktat „Zum ewigen Frieden“ von 1795, von ihm selbst mit dem<br />

Untertitel „Ein philosophischer Entwurf“ versehen, wobei „Entwurf“ nicht<br />

etwa Skizze oder Konzept oder Denkmodell oder unverbindlicher Vorschlag,<br />

sondern entsprechend s<strong>einer</strong> in der „Kritik der reinen Vernunft“ entwickelten<br />

Terminologie eine sich aus Vernunft und Geschichte ergebende „notwendige<br />

<strong>Idee</strong>“ meint. (24) Allerdings sind diese „Erkenntnisse aus Prinzipien“ nicht aus<br />

a priori-Einsichten deduziert; sie sind in der Form eines Friedens-<br />

7


8<br />

vertrages strukturiert, gliedern sich in Präliminar- und in Definitivartikel, ergänzt<br />

durch Zusätze und Anhänge. (25)<br />

Die „Präliminarartikel“ umschreiben die sechs negativen Bedingungen eines<br />

dauerhaften Friedens, das heißt diejenigen Verhältnisse und Verhaltensweisen,<br />

die beseitigt werden müssen, wenn man den „unendlichen Krieg“<br />

beenden will. Zu diesen Verbotsnormen zählt Kant:<br />

(1) Es darf kein geheimer Vorbehalt bei einem Friedensvertrag gemacht<br />

werden, das heißt, alle wechselseitigen Ansprüche der Staaten, die zu einem<br />

künftigen Krieg zwischen ihnen Anlaß geben könnten, sind null und nichtig.<br />

(Daß der Wahrheitsfanatiker Kant - „Die Lüge ist der eigentliche faule Fleck<br />

in der menschlichen Natur [...] Es ist ein heiliges, durch keine Konvenienzen<br />

einzuschränkendes Vernunftgebot: in allen Erklärungen wahrhaft zu sein“<br />

(26) - jede reservatio mentalis bei einem so grundlegenden völkerrechtlichen<br />

Vertragsabschluß ablehnen würde war zu erwarten.)<br />

(2) Da der Staat ein sich selbst beherrschendes Volk ist, darf er nicht durch<br />

Heirat, Kauf, Tausch, Schenkung oder Vererbung erworben werden können.<br />

(3) Berufsarmeen sollen allmählich beseitigt werden.<br />

(4) Staatsschulden dürfen nicht für Rüstung und Kriegführung gemacht<br />

werden.<br />

(5) Kein Staat darf sich in die inneren Angelegenheiten eines anderen<br />

gewalttätig einmischen.<br />

(6) Kein Krieg darf mit Mitteln und Methoden geführt werden, die ein<br />

wechselseitiges Vertrauensverhältnis in einem künftigen Frieden unmöglich<br />

machen.<br />

Die „Definitivartikel“ umschreiben die drei positiven Bedingungen, das heißt<br />

diejenigen Verhältnisse und Verhaltensweisen, die vorhanden sein müssen,<br />

wenn der auf der Grundlage der Präliminarartikel erreichte Zustand von<br />

Kriegsabwesenheit in einen wirklichen Friedenszustand überführt werden<br />

soll. Zu diesen Gebotsnormen zählt Kant:<br />

(1) Das Staatsbürgerrecht solle das <strong>einer</strong> republikanischen Verfassung sein<br />

(worunter Kant - nach heutigem Sprachgebrauch - repräsentative Demokratie<br />

und Rechtsstaat versteht).


(2) Das Völkerrecht solle auf einem Föderalismus freier Staaten gegründet<br />

sein (und nicht etwa das Ordnungsreglement <strong>einer</strong> Weltrepublik, geschweige<br />

denn <strong>einer</strong> Universalmonarchie darstellen).<br />

(3) Das Weltbürgerrecht solle auf die Bedingungen <strong>einer</strong> internationalen<br />

Hospitalität, also rechtlich gesicherter Gastfreundschaft eingeschränkt,<br />

Kolonialisierung also als inhospitables Verhalten verboten sein.<br />

In zwei „Zusätzen“ behandelt Kant die Garantie für den erreichten ewigen<br />

Frieden (die er nicht in <strong>einer</strong> suprastaatlichen Exekutivmacht, sondern in der<br />

Natur der menschlichen Neigungen sieht), und in einem „Anhang“ erörtert er<br />

die Mißhelligkeiten zwischen Moral und Politik und danach deren Einhelligkeit,<br />

welch letztere darauf hinausläuft, daß jede Politik, um Kants Formulierung<br />

aufzugreifen, (27) vor dem Menschenrecht ihr Knie zu beugen<br />

rechtlich verpflichtet sei.<br />

4. <strong>Zur</strong> Spezifik von Kants Friedenskonzept<br />

Kants Gedankengänge und -ergebnisse zu komprimieren, heißt, sie zu komplizieren<br />

und zu - manipulieren. Das sollte man klüglich unterlassen. Aber<br />

wenigstens die sie von der anderer Friedensdenker unterscheidende Spezifik<br />

seines Konzepts soll hier namhaft gemacht werden. Diese liegt zum einen in<br />

der Internationalisierung seines Gesellschaftsvertragsmodells und zum anderen<br />

in der geschichtsphilosophischen Fundierung s<strong>einer</strong> völkerrechtstheoretischen<br />

Analyse.<br />

(a) Die großen Gesellschaftstheoretiker vor ihm, etwa Hobbes, Spinoza,<br />

Locke, Rousseau und sogar - ungeachtet des Titels seines Hauptwerkes von<br />

1672 „De jure naturae et gentium“ - Pufendorf, haben dem Völkerrechtsund<br />

damit dem Friedensproblem nur eine untergeordnete, teils sogar eine<br />

verschwindende Rolle zugewiesen. Im Bürgerkrieg, nicht im Staatenkrieg,<br />

sahen sie ihre Herausforderung. Demzufolge dachten sie hauptsächlich in<br />

der Kategorie eines innerstaatlichen, eines Bürgerfriedens durch einen Gesellschaftsvertrag<br />

und weniger in der eines zwischenstaatlichen, geschweige<br />

denn eines Weltfriedens. Rousseaus „Du contrat social“ von 1762 endet<br />

geradezu mit der salvatorischen Mitteilung, daß er eigentlich noch auf das<br />

Völker-, Kriegs-, Eroberungs- und das internationale Vertragsrecht hätte<br />

eingehen müssen, was er aber nicht getan habe.<br />

9


10<br />

Rousseaus großer Verehrer Kant hingegen hat spätestens seit 1784 und<br />

immer wieder das Wechselverhältnis von Despotismus nach innen und<br />

Kriegspolitik nach außen, aber eben auch von inner- und zwischenstaatlicher<br />

Freiheitsverwirklichung thematisiert. Dabei hat er das Existenzproblem eines<br />

innerstaatlichen Friedens ausgeweitet auf den zwischenstaatlichen Frieden,<br />

und zwar via Gesellschaftsvertrag. Wie der Sozialkontrakt, durch den sich das<br />

Volk zu einem Staat konstituiert, dessen einzige Legitimationsgrundlage<br />

darstelle, so auch der nach der <strong>Idee</strong> eines ursprünglichen Gesellschaftsvertrages<br />

gebildete Völkerbund für die internationale Rechtsordnung. (28) Den<br />

Dreiklang eines Selbstbestimmungsrechts des Individuums, des Volkes und<br />

der Menschheit gibt es in dieser auch juristischen Klarheit erst bei Kant. Er<br />

hat das mit einem für seine Zeit und sein Land erstaunlichen Impetus, mit<br />

einem demokratischen nämlich, getan. Das hat selbst einem Humboldt die<br />

Sprache verschlagen. Bei dem von ihm hochgeschätzten Friedrich Schiller<br />

beklagt er sich über den „manchmal wirklich zu grell durchblickenden<br />

Demokratismus“ in Kants Friedenspamphlet, keine vier Wochen nach dessen<br />

Erscheinen. (29)<br />

b) Vor allem aber hat Kant die „fortdauernde Friedensstiftung“, die er als<br />

„Endzweck der Rechtslehre innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“<br />

charakterisiert, (30) in der Menschheitsgeschichte verortet. Es ist kein naives<br />

Harmoniebedürfnis, das Kant dabei die Feder geführt hat. Seine Friedensgedanken<br />

waren auch nicht das Ergebnis eines Wunschdenkens. Seine<br />

Friedensvision ergab sich aus s<strong>einer</strong> Überzeugung, daß zwischenmenschliche<br />

wie zwischenstaatliche Antagonismen und selbst deren revolutionäre oder<br />

kriegerische Austragung zum geschichtlichen Gang unserer Gattung „von der<br />

unteren Stufe der Tierheit bis zur höchsten Stufe der Menschheit“ gehören.<br />

(31) Kants Meinung: Soweit und solange Konflikt und Krieg notwendige Vorbedingungen<br />

und Mittel des Selbstdisziplinierungsprozesses des Menschen<br />

und der Menschheit sind, übten und üben sie eine progressive Funktion im<br />

Fortschrittsverlauf aus; wie die Menschen durch den naturzuständlichen<br />

Krieg aller gegen alle in Staatsgründungen getrieben wurden, so werde die<br />

Menschheit durch die immer brutaleren und immer kostspieligeren Kriege zu<br />

<strong>einer</strong> internationalen Vergesellschaftung in der Form eines Völkerbundes<br />

gezwungen; der historische Fortschritt, dessen Triebfeder der Krieg war, habe<br />

die Tendenz, den Krieg zu eliminieren. Gegen den von ihm ansonsten<br />

bewunderten Mitaufklärer Moses Mendelssohn, der aber einen Perfektibilitätsprozeß<br />

der Menschheit nicht für nachweisbar hielt, gewendet, hält Kant<br />

den Vernunftweg der Menschen über Bürgerkriege in eine staatsbürgerliche<br />

Verfassung <strong>einer</strong> völkerrechtlich verabredeten Friedensföderation für naturgegeben.<br />

(32)


Damit ist auch die Frage eindeutig zu beantworten, ob in der Gedankenwelt<br />

Kants der ewige Frieden den Platz <strong>einer</strong> Illusion oder den <strong>einer</strong> Utopie einnimmt.<br />

Diese Frage erledigt sich natürlich für all diejenigen von selbst, die<br />

„Utopie“ für eine überflüssige Metapher halten, für bloße Träume, höchstgefährliche<br />

dazu, die in dem Augenblick verschwinden, da man aufwacht.<br />

Versteht man aber unter Utopie nicht einen Nichtort, wo k<strong>einer</strong> lebend hingelangt<br />

und wo nur Sehnsucht überwintert, sondern einen Nochnichtort,<br />

eine in die Idealität verlängerte Realität, eine in der Wirklichkeit schlummernde<br />

Möglichkeit, dann allerdings liegen die Dinge anders. So wird denn<br />

auch in der neueren Literatur - allerdings infolge eines Utopien auf Illusionen<br />

nivellierenden Konzepts, zumeist unter Leugnung der Utopieeigenschaft von<br />

Kants Friedensprojekt - immer wieder dessen nichtillusionärer Realitätsbezug<br />

betont. (33)<br />

Für Kant selbst ist der uralte Gedanke eines ewigen Friedens nicht im Gehirn<br />

eines müßigen Denkers ersonnen, keine leere <strong>Idee</strong>, keine bloß erträumte<br />

Vollkommenheit. Jedenfalls bei ihm ist er das Erdenken <strong>einer</strong> möglichen<br />

Wirklichkeit, die antizipatorische Substanz <strong>einer</strong> künftigen Weltgesellschaft,<br />

wie sie jetzt schon auf dem Wege ist. Der ewige Frieden als ein aus dem<br />

gewesenen und jetzigen Kriegsgeschehen in „kontinuierlicher, ins Unendliche<br />

fortschreitender Annäherung“ hervorwachsender, durch „allmähliche<br />

Reform nach festen Prinzipien“ pflichtgemäß zu erwirkender Zustand - das ist<br />

in s<strong>einer</strong> eigenen Terminologie die Substanz von Kants Völkerrechts- und<br />

Friedenstheorie. (34)<br />

5. Aktualität von Kants Friedensprojekt?<br />

Der ewige Frieden ist seit 1795 weder ausgebrochen noch auch nur nähergekommen.<br />

Der Zweite Weltkrieg ist nicht einmal mehr mit einem Friedensvertrag<br />

beendet worden. Für irreversibel ausgegebene Fortschrittsordnungen<br />

der Gesellschaft sind kollabiert. Denkbar wurde die Selbstvernichtung der<br />

Menschheit durch globale Armut, globale Umweltzerstörung und das globale<br />

Atomwaffenpotential. Die „Vereinten Nationen“, was immer ihre Verdienste<br />

in den letzten fünfzig Jahren waren, erweisen sich als von Grund auf reformbedürftig.<br />

(35) Ob sie im erforderlichen Umfang auch reformfähig sind, steht<br />

dahin. Ihrem in ihrer Charta vom 26. Juni 1945 normierten Anspruch, die<br />

künftigen Generationen vor der Geißel des Krieges zu bewahren und eine<br />

globale <strong>Friedensordnung</strong> zu gewährleisten, wurden sie jedenfalls nicht<br />

gerecht. Von 1945 bis 1995 haben mehr als dreißig Millionen Menschen in<br />

11


12<br />

180 bewaffneten Konflikten ihr Leben verloren. Die Annahme, daß die<br />

Beendigung des kalten Krieges durch den Kollaps der europäischen Staaten<br />

des Realsozialismus einen universalen Friedensautomatismus auslösen wird,<br />

hat sich als schlechte Illusion erwiesen. Wieder einmal werden einem Enttäuschungen<br />

erspart, wenn man den Frieden als vorübergehenden Nichtkrieg,<br />

als tempus bello vacuum, als Waffenstillstand bloß versteht, als „a<br />

period of cheating between two periods of fighting“. (36)<br />

Im vergangenen Jahr wurden auf unserer Erde 41 Kriege registriert und befanden<br />

sich 26 Millionen Menschen auf der Flucht. Die UNO, von dem Staat<br />

am meisten gescholten, der ihr gegenüber am meisten verschuldet ist, hat<br />

5000 Angestellte, etwa ebensoviel (oder -wenig) wie Polizei und Feuerwehr<br />

in New York City zusammengenommen. Das Jahresbudget der Vereinten<br />

Nationen beträgt 8,3 Milliarden Dollar, etwa zwei Dollar pro Kopf der<br />

Weltbevölkerung, auf den aber 150 Dollar für Rüstungsausgaben zu Buche<br />

stehen. Und nicht die UNO, sondern Weltbank, Internationaler Währungsfonds,<br />

G7 und hinter diesen allen die übriggebliebene, die eine Supermacht,<br />

komponieren die Musik, nach der auf der ganzen Welt getanzt wird. Jedenfalls,<br />

wenn es hart auf hart geht.<br />

Macht es unter diesen Voraussetzungen irgendwelchen Sinn, Kants Friedensentwurf<br />

ins Kalkül zu ziehen? Oder ist man bloß durch Abstraktionsnebel<br />

narkotisiert, wenn einem beim „Ewigen Frieden“ nicht sofort Hegels „... und<br />

das Gerede verstummt vor den ernsten Wiederholungen der Geschichte“<br />

einfällt? (37) Gleicht derjenige, der gegen Atombombenexperimentatoren,<br />

Landminenproduzenten und Panzerexporteure Kants Transzendentalphilosophie<br />

mobilisieren möchte, etwa demjenigen, der gegen das Verkehrschaos<br />

<strong>einer</strong> Metropole Laotses Tao-te-king zitiert? Ernst Bloch sprach in der Hochzeit<br />

des kalten Krieges von einem Pazifismus des Betrugs, von einem „balsamisch<br />

geblasenen Trompetenton für einen ewigen Frieden mit nichts als<br />

Palmenzweigen schon unterwegs“. (38)<br />

Das Utopikum als Licht oder als Irrlicht? Immerhin hat Jürgen Habermas die<br />

Anstrengung nicht gescheut, Kants Vernunftidee und Rechtsprinzip <strong>einer</strong><br />

friedlichen Gemeinschaft aller Völker auf Erden <strong>einer</strong> grundbegrifflichen<br />

Revision zu unterziehen, sie zu reformulieren: Die äußere Souveränität der<br />

Staaten sei dergestalt zu limitieren, daß deren Wechselbeziehungen zu einem<br />

Innenverhältnis von Organisationsmitgliedern bei einem Gewaltmonopol der<br />

Völkergemeinschaft modifiziert werden; die weltbürgerliche Vereinigung sei<br />

weniger als eine Föderation von Staaten, vielmehr als eine Föderation von<br />

Weltbürgern zu konzipieren; die Weltgesellschaft sei durch


eine allmähliche Überwindung sozialer Spannungen, ökonomischer Ungleichgewichte,<br />

rechtsstaatlich-demokratischer Gegensätze und menschenrechtlicher<br />

Niveauunterschiede zu stratifizieren. (39)<br />

Mit dieser auf die Transformation der „Vereinten Nationen“ in einen Weltstaat<br />

und des Völkerrechts in ein Weltbürgerrecht zielenden „Reformulierung“<br />

von Kants Friedensprojekt wird bei allem Respekt für dessen Gedankenreichtum<br />

tatsächlich dessen Scheitern erklärt. Es war ja gerade der rechtsphilosophische<br />

und völkerrechtstheoretische Witz dieses Projekts, die sich<br />

blutig lösenden Konflikte großer Interessen auf dem Vernunftweg zu domestizieren,<br />

und zwar zunächst zwischenmenschlich durch Staatsbildung und<br />

dann nach eben diesem Muster zwischenstaatlich durch Föderationsbildung.<br />

Nun läßt sich schwer leugnen, daß die Wirklichkeit der bürgerlichen Gesellschaft,<br />

aus deren Bedingungen Kant dachte - seine allgemeinmenschliche<br />

Probürgerlichkeit war auf dem Boden s<strong>einer</strong> handfesten Antifeudalität gewachsen<br />

-, ihren Entstehungsidealen nicht standgehalten hat. Selbst Kants<br />

Annahme, daß der „Handelsgeist“ friedensfördernder Natur sei, (40) ist nur<br />

zur Hälfte wahr; er hat sich auch als von kriegs- und kolonialisierungsstiftender<br />

Natur erwiesen. Noch immer haben gerade die ökonomisch stärksten<br />

Länder in Vergangenheit und Gegenwart ihre Macht in der internationalen<br />

Arena auch politisch durchgesetzt und zählen so zu jenen, die „von der<br />

Frömmigkeit viel Werks machen, und, indem sie Unrecht wie Wasser<br />

trinken, sich in der Rechtgläubigkeit für Auserwählte gehalten wissen wollen“.<br />

(41) Kein Wunder, daß auch die in jetziger Zeit erhobenen Ansprüche<br />

auf einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen aus<br />

wirtschaftlicher Macht abgeleitet werden, die dadurch eine zusätzliche politische<br />

und militärische Dimension erhielte. Überdies verschärfte sich durch<br />

derlei juristische Privilegierungen das ohnehin vorhandene formale und reale<br />

Ungleichgewicht der Nationen, deren gleichberechtigte Selbstbestimmung<br />

aber zu den conditiones sine quibus non <strong>einer</strong> demokratischen Völkerrechtsordnung<br />

gehört. UNO und Europäische Union haben bislang jedenfalls keine<br />

demokratische (in Kants Terminologie: republikanische) Verfassung.<br />

Gewiß wäre es töricht, von den Vereinten Nationen oder der Europäischen<br />

Union mehr zu erwarten, als es die inner- und zwischenstaatlichen Kräfteverhältnisse<br />

in der Welt beziehungsweise im Europa von heute hergeben.<br />

Diese sind durch die Macht/Ohnmachtstruktur ohnegleichen gekennzeichnet.<br />

Wo also liegen die Hoffnungen? Bei Kant jedenfalls - wie schon bei<br />

seinem Vorgänger Hobbes und bei seinen Nachfolgern Hegel und Marx -<br />

liegen sie in den Antagonismen selbst, durch die Menschen und Staaten ge-<br />

13


14<br />

zwungen werden, von ihrer Vernunft Gebrauch zu machen, um aus Bürgerkriegen<br />

in den inneren Frieden eines Staates und aus Staatenkriegen in den<br />

äußeren Frieden eines Staatensystems zu gelangen. Sogar „wider Willen“,<br />

sagt Kant. (42) Wenn nicht einmal das angehäufte Selbstvernichtungspotential<br />

der Menschheit diese zum Frieden zwingt, was sonst sollte sie retten?<br />

Wer nur aus der Wahrheit s<strong>einer</strong> fünf Sinne zu denken bereit ist, blicke nach<br />

dem einen Bürgerkrieg vermeidenden Südafrika und in den einen Staatenkrieg<br />

überwindenden Nahen Osten, um den Ewigen Frieden wenigstens für<br />

nicht ganz aussichtslos zu halten.<br />

Anmerkungen:<br />

(1) Kant, Immanuel: Gesammelte Schriften (Akademie-Ausgabe), Bd. 27,<br />

Berlin 1974, S. 455.<br />

(2) Kant, Immanuel: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf,<br />

Königsberg 1795 (Reprint: Berlin 1985), S. 104.<br />

(3) Vgl. Alperovitz, Gar: The Decision to Use the Bomb, New York 1995.<br />

(4) Kant, Immanuel: Briefwechsel, Hamburg 1986, S. 703.<br />

(5) „Manifest des Herzogs von Braunschweig“, in: Markov, Walter (Hrsg.):<br />

Revolution im Zeugenstand. Frankreich 1789-1799, Bd. 2, Leipzig 1985, S.<br />

263.<br />

(6) Vgl. Goethe, Johann Wolfgang von: Poetische Werke (Berliner Ausgabe),<br />

Bd. 15, Berlin 1962, S. 117, 254, 305, 697 („Kampagne in Frankreich“).<br />

(7) Kant, Immanuel: Rechtslehre, Schriften zur Rechtsphilosophie, Berlin 1988,<br />

S. 391; Malter, Rudolf (Hrsg.): Immanuel Kant in Rede und Gespräch,<br />

Hamburg 1990, S. 350, 454; Losurdo, Domenico: Immanuel Kant.<br />

Freiheit, Recht, Revolution, Köln 1987, S. 151. Losurdo hat die ganze Abhandlung<br />

Kants „Zum ewigen Frieden“ als Stellungnahme zugunsten<br />

des revolutionären Frankreich zutreffend gedeutet.<br />

(8) Vgl. Kant, Immanuel: Zum ewigen Frieden, Leipzig 1984, S. 61-291;<br />

Rezeptions- und Rezensionstexte 1780-1796, u. a. von Fichte, Schlegel,<br />

Gentz, Görres, Höijer, Schütz.<br />

(9) Vgl. Tschirch, Otto: Geschichte der öffentlichen Meinung in Preußen vom<br />

Baseler Frieden bis zum Zusammenbruch des Staates (1795-1806), Bd. 1,<br />

Weimar 1933, S. 64-107.<br />

(10) Vgl. Dietze, Anita u. Gottfried (Hrsg.): Ewiger Friede? Dokumente <strong>einer</strong><br />

deutschen Diskussion um 1800, Leipzig/Weimar 1989, ein 600-Seiten-<br />

Band mit einhundert Beiträgen von Ancillon über Herder bis Zachariae.


(11) Vgl. Kant (Anm. 7), S. 203, 285.<br />

(12) Saint-Pierre, Abbe Castel de: Der Traktat vom ewigen Frieden, Berlin<br />

1922, S. 86 ff.<br />

Vgl. Bahner, Werner: Formen, <strong>Idee</strong>n, Prozesse in den Literaturen der<br />

romanischen Völker, Bd. 2, Berlin 1977, S. 85-185: „Die Friedensideen<br />

der französischen Aufklärung“; Burgio, Albertio: „Per una storia dell’ idea<br />

di pace perpetua“, in: Kant, Per la pace perpetua, Milano 1993, S. 87-140.<br />

(13) Vgl. Rousseau, Jean-Jacques: Kulturkritische und Politische Schriften, Bd. 2,<br />

Berlin 1989, S. 7-36 (Auszug aus dem Plan eines ewigen Friedens des<br />

Herrn Abbe Saint-Pierre [1761] 38-48, Gutachten über den Plan eines<br />

ewigen Friedens [1782]).<br />

(14) Kant (Anm. 7), S. 289, 293, 317; Leibnitz: Codex Juris Gentium Diplomaticus,<br />

Hannoverae 1693, Praefatio, III; vgl. Cavallar, Georg: Pax Kantiana,<br />

Wien/Köln/Weimar 1992, S. 21.<br />

(15) Kant (Anm. 4), S. 711.<br />

(16) Kant (Anm. 7), S. 203 f.<br />

(17) Kant, Werkausgabe, Bd. 11, Suhrkamp, Frankfurt a.M. 1977, S. 99 f.<br />

(18) Kant (Anm. 17), Bd. 10, S. 187, 391.<br />

(19) Kant, ebd., Bd. 8, S. 681, 683, 788.<br />

(20) Kant (Anm. 7), S. 283 f.<br />

(21) Kant, ebd., S. 160-173, 479.<br />

(22) Kant (Anm. 17), Bd. 12, S. 615, 685 ff.<br />

(23) Kant (Anm. 7), S. 397, 530 f.; Kant: Der Streit der Fakultäten, Leipzig<br />

1984, S. 121 f. („Krakauer Fragment“).<br />

(24) Kant (Anm. 17), Bd. 3, S. 23, 323.<br />

(25) Kant (Anm. 7), S. 289 ff., 479 f., 508 f.; Kant (Anm. 1), Bd. 23, S. 155 f.<br />

(26) Kant (Anm. 1), Bd. 8, S. 422, 427.<br />

(27) Kant (Anm. 7), S. 332, 337.<br />

(28) Kant, ebd., S. 130, 161, 447.<br />

(29) Vgl. Schiller, Friedrich: Werke (Nationalausgabe), Bd. 35, Weimar 1964,<br />

S. 412 (vgl. auch Bd. 36/1, Weimar 1972, S. 45). Den Demokratismus von<br />

Kants Rechtsphilosophie hat in letzter Zeit, zuweilen auch in Kritik des<br />

Autors dieser Zeilen, vor allem Ingeborg Maus, <strong>Zur</strong> Aufklärung der<br />

Demokratietheorie, Frankfurt a.M. 1992, passim, herausgearbeitet, kantiger<br />

als Kant selbst!<br />

(30) Kant (Anm. 7), S. 172.<br />

(31) Kant, ebd., S. 204.<br />

(32) Kant, ebd., S. 283, gerichtet gegen Mendelssohn, Moses: Gesammelte<br />

Schriften (Jubiläumsausgabe), Bd. 8, Stuttgart 1983, S. 162-164 („Jerusalem<br />

oder über religiöse Macht und Judentum“).<br />

(33) Vgl. Adler, Max:“Kant und der ewige Friede“, in: Kopper, Joachim / Malter,<br />

Rudolf (Hrsg.): Immanuel Kant zu ehren, Frankfurt a.M. 1974, S. 275;<br />

Batscha, Zwi / Saage, Richard (Hrsg.): Friedensutopien Kant/Fichte/<br />

15


16<br />

Schlegel/Görres, Frankfurt a.M. 1979, S. 34 (Anm. 31); Dörsam, Peter:<br />

Zum ewigen Frieden 1795-1995, Heidenau 1995, S. 130;<br />

Gerhard, Volker: Immanuel Kants Entwurf „Zum ewigen Frieden“,<br />

Darmstadt 1995, S. 82, 91, 233; Höffe, Otfried (Hrsg.): Immanuel Kant,<br />

Zum ewigen Frieden, Berlin 1995, S. 270; Krumpel, Heinz: „Kategorischer<br />

Imperativ und Friedensidee“, in: Ley, Hermann(u.a.): Zum Kantverständnis<br />

unserer Zeit, Berlin 1975, S. 430; Thom, Martina: „Traktat Zum ewigen<br />

Frieden“, in: Bock, Helmut (Hrsg.): Krieg oder Frieden im Wandel der<br />

Geschichte, Berlin 1989, S. 98; Mori, Massimo: Krieg und Frieden in der<br />

klassischen deutschen Philosophie“, in: Jonas, Hans / St<strong>einer</strong>, Helmut<br />

(Hrsg.): Machtpolitischer Realismus und pazifistische Utopie, Frankfurt a.M.<br />

1989, S. 54 f.<br />

(34) Vgl. Kant (Anm. 7), S. 173, 309, 338.<br />

(35) Vgl. Butros-Ghali, Butros: UNorganisierte Welt. Plädoyer für die große<br />

Reform der Vereinten Nationen, Stuttgart 1993, S. 55-95: „Eine globale<br />

<strong>Friedensordnung</strong>. Präventive Diplomatie, Friedensstiftung, Friedensbewahrung“;<br />

Graefrath, Bernd: „Die ‘Neue Weltordnung’ und die UNO“, in:<br />

Sitzungsberichte der Leibnitz-Sozietät, Bd. 2, Jg. 1995, Heft 1/2,<br />

S. 101-118 (Hinweis auf Kants „Ewigen Frieden“, S. 108).<br />

(36) Bierce, Ambrose G.: The Devil’s Dictionary, New York 1958, S. 98.<br />

(37) Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Grundlinien der Philosophie des Rechts,<br />

Berlin 1981, S. 370.<br />

(38) Bloch, Ernst: „Widerstand und Friede“, in: Batscha, Zwi (Hrsg.): Materialien<br />

zu Kants Rechtsphilosophie, Frankfurt a.M. 1976, S. 372. Vgl. Reuvers,<br />

Hans-Bert: Philosophie des Friedens gegen friedlose Wirklichkeit, Köln<br />

1983, S. 214.<br />

(39) Habermas, Jürgen: „Kants <strong>Idee</strong> des Ewigen Friedens - aus dem historischen<br />

Abstand von 200 Jahren“, in: Kritische Justiz 28(1995), S. 301ff. Vgl. die<br />

differenzierende Urteilskraft bei Höffe, Otfried (Anm. 33), S. 245 ff.<br />

(40) Kant (Anm. 7), S. 317, 207.<br />

(41) Kant, ebd., S. 309.<br />

(42) Kant, ebd., S. 283.<br />

Autor:<br />

Prof. Dr. Hermann Klenner, Berlin<br />

Jurist, Ehrenpräsident der Internationalen Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie


Wolfgang S c h e l e r<br />

Fortschritt des Friedens in <strong>Idee</strong> und Wirklichkeit<br />

Nach dem ermutigend friedlichen Ende des Kampfes zweier Welten, der die<br />

Weltvernichtungsdrohung enthielt, gab es hochgesteckte Friedenserwartungen.<br />

Nun machen wir die deprimierende Erfahrung neuer Kriege und brutaler<br />

Waffengewalt. Noch immer ist der Wille mächtig, politische Interessen mit<br />

militärischer Gewalt durchzusetzen und dafür den Frieden zu opfern. Die<br />

Zeichen der Zeit deuten nicht in die Richtung <strong>einer</strong> <strong>globalen</strong> <strong>Friedensordnung</strong>,<br />

die den Krieg ausschließt. Glaubt man den Wortführern der<br />

staatsoffiziellen Sicherheitspolitik, so müssen wir alle Hoffnung auf eine Welt<br />

ohne Krieg und die Hoffnung auf einen Frieden ohne Fähigkeit zur Kriegführung<br />

fahren lassen.<br />

Die gesellschaftliche Grundstimmung schlägt um in Resignation, wenn nicht<br />

schlimmer in neue Heilserwartung von überlegener Waffengewalt, versehen<br />

mit moralischer Weihe. Den Aktiven der Friedensbewegung ist die Gewißheit<br />

abhanden gekommen, daß gerade jetzt die Zeit reif sei, einen wirklichen,<br />

ungefährdeten Frieden einzurichten. Das Gefühl, den Zeitgeist, das<br />

Engagement vieler Menschen und die Logik der politischen Entwicklung auf<br />

ihrer Seite zu haben, ist <strong>einer</strong> tiefen Verunsicherung der Friedensfreunde<br />

gewichen.<br />

Angesichts der Rückfälligkeit, die wir vor Augen haben, taucht die Frage auf,<br />

ob es überhaupt einen Fortschritt des Friedens gibt. Der ewige Frieden, diese<br />

große <strong>Idee</strong> der Aufklärung und der bürgerlichen Revolution, die Kant zu<br />

einem Konzept für die internationale Ordnung der bürgerlichen Gesellschaft<br />

ausgeformt hat - war sie bloß eine heroische Illusion? Hat sie sich nicht als<br />

ohnmächtig vor der Wirklichkeit permanent wiederkehrender Kriege erwiesen?<br />

Ist die menschliche Gesellschaft in den zweihundert Jahren, die seit<br />

Kants Entwurf vergangen sind, dem ewigen Frieden nähergekommen? Wenn<br />

ja, worin besteht der Fortschritt des Friedens? Welche Bedingungen haben<br />

ihn erzeugt, und auf welchen Grundlagen beruht er? Wenn nein, ist der Gedanke<br />

an einen ewigen Frieden vielleicht eine falsche, unrealistische Vorstellung,<br />

die man angesichts geschichtlicher und derzeitiger Erfahrungen<br />

aufgeben muß? Gibt es in unseren Tagen Voraussetzungen und Chancen, das<br />

Ziel endlich zu erreichen? Auf welchem Wege ist das möglich? Sind die<br />

Friedensideen gänzlich wirkungslos geblieben? Haben sie nur eine Entwicklung<br />

im Geiste genommen, ohne praktisch zu werden? Welche Wirkung<br />

17


18<br />

kann heute das Friedensdenken, was kann die Friedensforschung erreichen?<br />

Antworten auf solche und ähnliche Fragen zu finden, ist meines Erachtens<br />

ganz entscheidend dafür, daß die Friedensbewegung zeitgemäße konzeptionelle<br />

Vorstellungen entwickelt, die viele Menschen überzeugen und anziehen<br />

und die sie bewegen können zu gemeinsamer Aktion.<br />

Überblickt man in ganz groben Zügen die Entwicklung, die der Frieden in<br />

den zwei Jahrhunderten gemacht hat, die seit Kants Entwurf vergangen sind,<br />

so lassen sich etwa die folgenden drei Perioden unterscheiden:<br />

1. Die Zeit vom Ende des 18. bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts<br />

In Europa - und Europa war s<strong>einer</strong>zeit ja das Zentrum der Weltentwicklung -<br />

war diese Periode angefüllt von dynastischen Kriegen und nationalen Befreiungskriegen,<br />

von Kriegen zur Neuordnung der Machtverteilung im Zentrum<br />

und von Militärexpeditionen zur Befestigung und Ausdehnung der Kolonialherrschaft<br />

an der Peripherie, aber auch vom bewaffneten Widerstand gegen<br />

nationale und koloniale Unterdrückung und von revolutionären Kriegen. Ihr<br />

allgem<strong>einer</strong> Grund lag in den Interessenkollisionen, die der Übergang in das<br />

industrielle Zeitalter mit expandierendem Welthandel, dem Erobern neuer<br />

Märkte, Rohstoffquellen und Quellen der Kapitalakkumulation zwischen<br />

Staaten, genauer: zwischen den sie beherrschenden Interessengruppen, auslöste.<br />

Diese Periode war aber ebenso gekennzeichnet von Friedenszuständen,<br />

gleichzeitig mit anderwärts stattfindenden Kriegen, und mit Friedensperioden,<br />

die sich mit dem Krieg am selben gesellschaftlichen Ort ablösten.<br />

Es war Frieden auf denselben Grundlagen, auf denen die benannten Kriege<br />

stattfanden. In diesem Frieden vollzogen sich dieselben Interessenkämpfe. Es<br />

war Frieden dynastischer und vor allem nationalstaatlicher Konkurrenz, Frieden<br />

nationaler Unterdrückung, Frieden, in dem eine neue Machtverteilung<br />

vor sich ging, in dem die koloniale Unterdrückung gefestigt und ausgedehnt<br />

wurde, in dem die mächtigsten Staaten - untereinander in scharfer Konkurrenz<br />

- Märkte, Rohstoff- und Kapitalakkumulationsquellen an sich brachten<br />

und Widerstand erstickten. Also es war kein Frieden in Freiheit und kein<br />

Frieden in Gerechtigkeit.<br />

Dieser Frieden löste nicht die Konflikte, hob die feindlichen Gegensätze nicht<br />

auf; in ihm wirkten die Gründe für kriegerische Kollisionen fort, und es<br />

blieben auch die Mittel des Krieges vorhanden, die Waffen und Soldaten.<br />

Damit war aber die Möglichkeit, vom Frieden wieder in den Krieg überzu-


gehen, die Politik mit anderen Mitteln fortzusetzen, jederzeit gegeben. Es war<br />

also ein Typus von Frieden, der die Gründe und Mittel für den Krieg<br />

fortwährend in sich aufbewahrte und aufs neue erzeugte. Es konnte deshalb<br />

kein ewiger Frieden sein.<br />

Fassen wir die wichtigsten Wesensmerkmale des Friedens jener Periode<br />

zusammen:<br />

Es ist erstens ein brüchiger Frieden, in dem die Interessengegensätze feindlichen,<br />

unversöhnlichen Charakter annehmen, weil die innere Ordnung der<br />

Staaten und die Weltordnung nicht auf Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit<br />

aller Menschen und Völker beruht.<br />

Es ist zweitens ein Frieden in Waffen, der in erheblichem Maße auf militärischer<br />

Macht beruht und infolge andauernder Kriegsrüstung in sich die Möglichkeit<br />

des Umschlagens in den Krieg enthält.<br />

Es ist drittens immer nur lokaler oder regionaler, kein globaler, kein ungeteilter<br />

Weltfrieden.<br />

Es ist schließlich viertens ein nur vorübergehender, zeitweiliger Frieden, weil<br />

er in sich widersprüchlich, weil er mit seinem Gegenteil behaftet ist.<br />

Dem entsprach auch die Stellung und Bewertung des Friedens in der<br />

geistigen Kultur. Die Erwartung, eine grundlegende gesellschaftliche Umwälzung,<br />

nämlich die Ablösung der Monarchie durch die Demokratie, werde<br />

den ewigen Frieden garantieren, hatte sich inzwischen als Illusion erwiesen.<br />

Die hehren <strong>Idee</strong>n der französischen Revolution verblaßten vor den niederdrückenden<br />

Erfahrungen mit der Unfriedlichkeit der neuen gesellschaftlichen<br />

Verhältnisse. Im gesellschaftlichen Bewußtsein jener Zeit spielte der Krieg<br />

eine viel größere Rolle als der Frieden. Krieg war gegenüber dem Frieden das<br />

stärkere Element. Krieg setzt Gewalt an die Stelle des Rechts, aber er bedeutete<br />

s<strong>einer</strong>zeit keinen Rechtsbruch, sondern blieb ein rechtlich anerkanntes<br />

Verhalten von Staaten. Unbestrittenes Souveränitätsrecht des Staates war<br />

es, Krieg zu führen.<br />

Krieg, Kampf, Soldatentum genossen die Weihe des Erhabenen und Heroischen.<br />

Nirgendwo so sehr wie in Deutschland, aber auch in anderen kapitalistischen<br />

Industriestaaten entwickelte sich gemeinsam mit der Ausprägung<br />

imperialistischer Politik eine regelrechte Kriegsideologie, ein Kult des Kriegerischen,<br />

der das Denken und Fühlen des Volkes in Bann schlug. Der freie<br />

Mensch ist Krieger,(1) heißt es bei Nietzsche. An das Kriegsvolk ergeht die<br />

Aufforderung, den Feind zu suchen und den Krieg zu führen: „Ihr sollt den<br />

Frieden lieben als Mittel zu neuen Kriegen. Und den kurzen Frieden mehr<br />

19


20<br />

als den langen [...] Euch rate ich nicht zum Frieden, sondern zum Siege. Eure<br />

Arbeit sei ein Kampf, euer Friede sei ein Sieg.“(2)<br />

Für Oswald Spengler besteht die Wirklichkeit „in natürlichen und unaufhebbaren<br />

Gegensätzen, in Angriff und Abwehr, Feindschaft und Krieg. Der Krieg<br />

ist der Schöpfer aller großen Dinge. Alles Bestehende im Strom des Lebens ist<br />

durch Sieg und Niederlage entstanden.“(3) Es sei nur „als Hintergrund und<br />

Widerhall eines großartigen Geschehens“ zu verstehen, daß „zwischen<br />

diesen Katastrophen voller Blut und Entsetzen immer wieder der Ruf nach<br />

Völkerversöhnung und Frieden auf Erden erschallt“.(4)<br />

Dies war der Geist der Zeit, und gegen ihn hatte der Ruf nach Völkerverständigung<br />

und Frieden keine Chance. Aber er verstummte nicht. Vielmehr<br />

wirkten die Friedensideen, den neuen Zeitumständen und Erfahrungen<br />

angepaßt, in zwei großen Grundströmungen weiter: in der sich formierenden,<br />

selbständigen Arbeiterbewegung und in der pazifistischen Bewegung<br />

bürgerlicher Kreise. Ihre Gemeinsamkeit bestand im Ziel des ewigen Friedens<br />

und im Antimilitarismus. Ihre Differenz lag vor allem in den Anschauungen<br />

über die Bedingungen des ewigen Friedens und über die Mittel und Wege<br />

s<strong>einer</strong> Errichtung.<br />

Für die sozialistische Arbeiterbewegung war der Kampf um den Frieden ein<br />

Teil des Kampfes für die Überwindung der bestehenden Gesellschaft. Der<br />

ewige Frieden konnte demnach erst Wirklichkeit werden, wenn eine sozialistische<br />

Gesellschaft als Gemeinschaft freier Individuen geschaffen und mit<br />

dem Gegensatz im Inneren der Nationen auch die feindliche Stellung der<br />

Nationen gegeneinander gefallen ist.(5) Aber schon in der noch unfriedlichen<br />

kapitalistischen Ordnung gelte es, durch die organisierte Kraft der<br />

Arbeiter und ihr internationales Zusammenwirken „der Welt zu beweisen,<br />

daß jetzt endlich die Arbeiterklasse den Schauplatz der Geschichte nicht<br />

länger als serviles Gefolge betritt, sondern als selbständige Macht, die sich<br />

ihrer eigenen Verantwortlichkeit bewußt und imstande ist, Frieden zu<br />

gebieten, wo diejenigen, die ihre Herren sein wollen, Krieg schreien“.(6) Sie<br />

habe die Pflicht, „die einfachen Gesetze der Moral und des Rechts, welche<br />

die Beziehungen von Privatpersonen regeln sollten, als die obersten Gesetze<br />

des Verkehrs von Nationen geltend zu machen“.(7)<br />

Der Kampf um den Frieden war also eingeordnet in die allgemeine Emanzipation<br />

und eines ihrer Teilgebiete. Der Akzent lag auf revolutionärer oder<br />

reformistischer Veränderung der Gesellschaftsstrukturen und, solange sie<br />

ausbleibt, auf Schaffung <strong>einer</strong> Gegenmacht zu den Mächten des Krieges.


Aber diese Gegenmacht war zu schwach, um den Fall in das furchtbare<br />

Völkermorden eines Weltkrieges aufzuhalten. Die guten Vorsätze, bekräftigt<br />

auf den Kongressen der Sozialistischen Internationale 1907, 1910 und 1912,<br />

gingen 1914 unter in <strong>einer</strong> Flut des Chauvinismus und der begeisterten<br />

Verteidigung des Vaterlandes.<br />

Die andere Strömung der Friedensideen repräsentierten nonkonformistische<br />

Kreise bürgerlicher Demokraten. Sie brachten das Interesse an <strong>einer</strong> friedlichen<br />

Konkurrenz der Handelsstaaten zum Ausdruck. Ihre geistige Basis<br />

bildeten der Humanismus und das Weltbürgertum der Aufklärung. Ihre<br />

Gegenwirkung gegen den militaristischen Zeitgeist manifestierte sich in der<br />

Organisation von Friedensgesellschaften und Friedenskongressen.<br />

Nach ihrer Auffassung waren es gerade die gegebenen gesellschaftlichen Verhältnisse,<br />

die dringend den Verzicht auf Krieg und Rüstung erforderten. „Der<br />

Krieg steht im Widerspruch mit der heutigen Kulturstufe zivilisierter<br />

Nationen“, heißt es im Programm der Deutschen Friedensgesellschaft von<br />

1897. „Seine Beseitigung ist vom Standpunkt der Religion, der Sittlichkeit<br />

und der Volkswohlfahrt gleichmäßig geboten.“(8) Durch Verträge sollte ein<br />

stabiler Frieden erreicht werden, den man durch Rüstung vergeblich zu<br />

erreichen sucht. Diese Bestrebungen, für die seit dem 10. Internationalen<br />

Friedenskongreß im Jahre 1901 der Name „Pazifismus“ steht, erschöpften<br />

sich nicht in dem Ruf „Die Waffen nieder.“<br />

Es wird gewöhnlich ganz übersehen, daß dieser Völkerrechtspazifismus das<br />

„Recht der legitimen Verteidigung, der Notwehr“(9) anerkannte. Er gründete<br />

sich positiv vor allem auf <strong>Idee</strong>n zur Schaffung eines Friedensvölkerrechts, mit<br />

dem das ius ad bellum abgelöst werden sollte. Verträge, internationale<br />

Abkommen und Schiedssprüche sollten ermöglichen, Streitigkeiten friedlich<br />

zu regeln. Schon damals vertraute man auf den Gedanken, die gesteigerte<br />

Waffenwirkung, die unmenschlichen Greuel und untragbaren Folgen würden<br />

den Krieg untauglich machen. Vor allem aber sollte sich eine politikverändernde<br />

Kraft durch den Zusammenschluß aller Friedensfreunde „ohne<br />

Unterschied des Geschlechts, des Standes, des Glaubens und der Partei“(10)<br />

herstellen.<br />

Aber auch diese Strömung des Friedensdenkens konnte keinen nennenswerten<br />

Einfluß auf die offizielle Politik erlangen. Der bürgerliche Pazifismus<br />

unterlag ebenso wie der sozialistische der vorherrschenden Ideologie des<br />

Militarismus. Und er zerbrach innerlich daran, daß er das Recht der legiti-<br />

21


22<br />

men Verteidigung aus Notwehr auf den falschen Kasus, auf den imperialistischen<br />

Krieg anwandte.<br />

2. Die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen<br />

Die zweite Periode, die für den Fortschritt des Friedens einen Einschnitt<br />

bedeutet, kann man als eine Übergangsperiode ansehen, in der die alten<br />

Merkmale des Friedens noch dominieren, neue sich aber bereits andeuten.<br />

Der Weltkrieg, der erst später numeriert werden mußte, hatte einen Kulturschock<br />

gebracht und einiges in der Haltung zu Krieg und Frieden verändert.<br />

Dieser Maschinen- und Materialkrieg, der mit den von der industriellen<br />

Revolution erzeugten Mitteln als großindustrielles Unternehmen zur massenweisen<br />

Menschenabschlachtung geführt worden war, hatte einen solchen<br />

Krieg moralisch und politisch entehrt und delegitimiert. Die Friedensfrage<br />

wurde nun zur Frage von Leben oder Tod von Millionen Menschen, zur<br />

Frage von Zivilisation oder Barbarei, zur Frage nach Erhaltung oder Untergrabung<br />

der Existenzbedingungen der menschlichen Gesellschaft.<br />

Und der maßlose Massenvernichtungskrieg hatte die Grundfesten der kapitalistischen<br />

Ordnung erschüttert. Wenn die Arbeiterbewegung diesen Krieg<br />

auch nicht verhindert hat, so hat sie ihn doch mit dem revolutionären<br />

Aufbegehren ihrer radikalen Abteilungen beendet. Die revolutionäre Krise, in<br />

die der Krieg die bestehende Gesellschaft gestürzt hatte, und das Ausbrechen<br />

eines großen Reiches, mit dem ein Gegenpol zur kapitalistischen Weltordnung<br />

zu entstehen begann, beförderten ein vorsichtigeres Umgehen mit<br />

dem Krieg fortgeschrittener Staaten gegeneinander.<br />

Aus beiden Gründen, aus dem der moralischen und politischen Delegitimation<br />

eines Krieges zwischen den fortgeschrittenen Nationen und aus dem<br />

der erkannten Gefahren für den Bestand der kapitalistischen Ordnung, wurden<br />

Wege gesucht, derartige Katastrophen künftig zu vermeiden. Wenigstens<br />

in den Demokratien begann man, dem Frieden untereinander eine größere<br />

Bedeutung beizumessen. Erstmalig griff die offizielle Politik die <strong>Idee</strong> des<br />

Völkerrechtspazifismus auf und realisierte sie in Rechtsakten. Wesentlichstes<br />

Ergebnis dieser Änderung im politischen Verhalten der Staaten war die Gründung<br />

eines Völkerbundes. Allerdings vermochte die vertragliche Regelung<br />

friedlicher Beziehungen zwischen den Mitgliedsstaaten nicht aufzuheben,<br />

daß letztlich Macht vor Recht ging.


Überhaupt blieb die Lernfähigkeit der herrschenden Eliten äußerst begrenzt.<br />

Sie schlossen in Europa einen Frieden, der den Keim zu einem neuen Krieg<br />

legte, denn er war nicht ein Frieden ohne Annexionen und Kontributionen,<br />

sondern ein Diktatfrieden der Siegermächte, kein gerechter Frieden.<br />

Weiterhin galten militärische Macht und Machtbalance mehr als Verträge<br />

und Völkerbund. In der übrigen Welt blieb es beim temporären Frieden der<br />

nationalen und kolonialen Unterdrückung, der die Ergebnisse des Krieges,<br />

die Neuaufteilung der Kolonien und Einflußsphären unter die kapitalistischen<br />

Großmächte sanktionierte.<br />

Die gravierenden Mängel dieses Friedens ermöglichten schließlich seinen<br />

Bruch. Er war der Konfliktstrategie der auf Revision drängenden faschistischen<br />

und militaristischen Staaten nicht gewachsen. Die Befriedungsstrategie<br />

der großen Demokratien ist nicht wegen ihres angeblichen Pazifismus kritikwürdig,<br />

sondern weil sie einen schlechten Frieden verteidigte und eigensüchtige<br />

Interessen verfolgte, die den Konflikt verschärften. Nicht anders<br />

verhielt sich der damals einzige antikapitalistische Staat, der ursprünglich angetreten<br />

war, die sozialen Voraussetzungen für den ewigen Frieden zu<br />

schaffen, und auf dem die Hoffnungen der Völker ruhten. Großmachtpolitik<br />

und Ausdehnung des Herrschaftsbereichs, Ausbau der Militärmacht und<br />

falsche Bündnisse waren nicht friedenstiftend und ein Ausweis dafür, daß aus<br />

dem Sozialismus nichts geworden sein konnte.<br />

Wieder gelang es den Friedensanhängern nicht, eine ausreichende Gegenmacht<br />

gegen den Krieg zu formieren. Der bürgerliche Pazifismus, der neben<br />

dem Völkerrecht die Menschenwürde des Individuums gegen die Menschenschlächterei<br />

und Brutalität des Militarismus in Anschlag brachte, hatte zwar<br />

eine nicht wirkungslose Literatur und Publizistik, aber keine kraftvolle<br />

Organisation. Die vorhandenen starken Organisationen der Sozialdemokratie<br />

und der Kommunisten wiederum ließen eine spezifische Friedenskonzeption<br />

und erfolgversprechende Friedensstrategie vermissen. Für beide blieb Frieden<br />

nur ein Moment in ihrer jeweiligen Gesellschaftskonzeption, anstatt ihn<br />

entsprechend s<strong>einer</strong> fundamentalen Bedeutung zu einem selbständigen<br />

politischen Projekt zu machen, zu <strong>einer</strong> parteiübergreifenden gemeinsamen<br />

Aktion aller Menschen und Gesellschaftsschichten, die ungeachtet ihrer<br />

sonstigen unterschiedlichen Interessen den Frieden wollen.<br />

So brach erneut der Frieden zwischen den Großmächten und riß noch<br />

größere Teile der Welt in einen Vernichtungskrieg, der den Ersten Weltkrieg<br />

an Bestialität und Akten des Verbrechens, an Opfern und Elend bei weitem<br />

übertraf. Aber es war ein Krieg, den nur eine Seite wollte, ein Aggressions-<br />

23


24<br />

krieg der faschistischen und militaristischen kapitalistischen Staaten gegen die<br />

Opfer der Aggression, die kapitalistischen Demokratien und die nichtkapitalistische<br />

Sowjetunion. Der Sieg über die Aggressoren war ein Sieg über die<br />

drohende Barbarei, über die Versklavung der Menschheit, ein Sieg auch über<br />

das Verbrechen des Krieges an sich. All das beeinflußte den Frieden der<br />

Nachkriegszeit.<br />

3. Die Nachkriegszeit bis zum Zusammenbruch der Zweiten Welt<br />

Die leidvollen Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges verursachten einen<br />

tiefen Wandel in der Haltung zu Krieg und Frieden, und das nicht nur bei<br />

den Völkern, sondern in gewissem Grade auch bei ihren Regierungen. Krieg<br />

und Militarismus waren augenscheinlich diskreditiert. Die Grundstimmung<br />

war fürs erste pazifistisch. Es dominierten die <strong>Idee</strong>n eines endlich einzurichtenden<br />

Friedens von ununterbrochener Dauer, basierend auf Völkerfreundschaft,<br />

Abrüstung und Entmilitarisierung.<br />

Der klassische Pazifismus wurde jetzt zum Paten für eine neue internationale<br />

Rechtsordnung und ihrer Institutionalisierung in den Vereinten Nationen,<br />

deren oberstes Ziel es sein sollte, Frieden und Sicherheit dauerhaft zu<br />

gewährleisten. Erstmalig verzichteten die Staaten auf das souveräne Recht<br />

zum Krieg und verpflichteten sich, Streitfälle friedlich beizulegen. Erlaubt<br />

blieb nur die Selbstverteidigung aus Notwehr gegen eine Aggression. Auch<br />

darin folgte man den traditionellen <strong>Idee</strong>n des Völkerrechtspazifismus. Die<br />

Staaten können sich seitdem nicht mehr - wie noch bis zur Mitte des<br />

Jahrhunderts - auf das Recht zum Krieg berufen. Sie müssen das Recht<br />

beugen oder brechen, wenn sie ihre militärische Macht außer zur Verteidigung<br />

gegen einen Angriff einsetzen wollen.<br />

Zum Verbrechen wurde nicht nur widerrechtliches Handeln im Krieg, sondern<br />

der Krieg selbst erklärt. Geächtet war von da an der Aggressionskrieg,<br />

nicht aber der Verteidigungskrieg, und auf dieser Differenz baute sich in der<br />

Folgezeit eine Weltsicherheitsordnung auf, die den Intentionen der UN-<br />

Charta nach <strong>einer</strong> Rechtsordnung des Friedens widersprach und die Sicherheit<br />

erneut primär aus militärischer Macht bezog. Die Gründe dafür waren<br />

natürlich wiederum fundamentale, ja feindliche Interessengegensätze, die<br />

nunmehr zwei Welten trennten und in einen gefährlichen Spannungszustand,<br />

ja bis an den Rand des Krieges trieben.


Der Frieden der Nachkriegszeit war uneinheitlich und widersprüchlich. Es<br />

war nicht ein Frieden, es waren mehrere, ganz unterschiedliche Frieden, die<br />

ihn konstituierten. Und es war ein geteilter Weltfrieden, in dem mehr als 180<br />

Kriege und bewaffnete Konflikte stattfanden, die 30 Millionen Menschen das<br />

Leben kosteten. Doch der Weltfrieden als die Alternative zu einem<br />

möglichen Weltkrieg blieb erhalten. Das ist entscheidend und nicht hoch<br />

genug zu schätzen.<br />

Was hat diesen von scharfen Gegensätzen und Spannungen zerrissenen<br />

Frieden gefestigt? Ich denke, es waren vor allem die nach dem Weltkrieg<br />

entstandenen Gesellschaftsverhältnisse in den fortgeschrittenen Nationen, die<br />

wachsende Produktivität der Wirtschaft und die Hebung des Volkswohlstandes,<br />

die internationale wirtschaftliche Verpflechtung und der kulturelle<br />

Austausch zwischen Völkern, die geringere Bedeutung des Nationalstaates<br />

gegenüber supranationalen Zusammenschlüssen, die das Interesse am Frieden<br />

stärkten. Historisch entstandene Feindschaften zwischen Nationen und<br />

Völkern konnten dauerhaft überwunden werden. Für die durch gemeinsame<br />

Grundinteressen verbundenen Staaten war Krieg gegeneinander nicht nur<br />

unnötig, sondern schädlich. Der Frieden erhielt damit ein festeres Fundament<br />

in der Basis der Gesellschaft.<br />

Die betreffenden Staaten richten die Waffen nicht mehr gegeneinander. Um<br />

den Frieden zwischen ihnen aufrechtzuerhalten, erübrigt sich militärische<br />

Macht. Ein solcher Frieden bildete sich vor allem zwischen den Staaten<br />

Westeuropas, den USA und Japan heraus, also in der sogenannten westlichen<br />

Wertegemeinschaft. Er entstand - trotz bedeutender Unterschiede und<br />

nicht auf demselben Entwicklungsniveau - auch zwischen den Staaten der<br />

sogenannten sozialistischen Gemeinschaft. Für den Westen war das der<br />

„Frieden in Freiheit“, für den Osten der „Frieden im Sozialismus“.<br />

Vom Frieden der betreffenden Staatengruppen nach innen muß man den<br />

Frieden nach außen unterscheiden. Für die von außen bedrohte „Freiheit“<br />

beziehungsweise für den von außen bedrohten „Sozialismus“ war die<br />

jeweilige Seite gegebenenfalls bereit, den Frieden dem Verteidigungskrieg zu<br />

opfern. In dieser Hinsicht blieb der Frieden immer noch dem Krieg untergeordnet,<br />

aber eben nicht mehr dem Aggressionskrieg, sondern dem Verteidigungskrieg<br />

gegen eine Aggression. Schon das war ein bedeutender Fortschritt.<br />

Dem gefestigten regionalen Frieden in Ost und West stand daher ein<br />

brüchiger globaler Frieden gegenüber. Dieser wiederum teilte sich in zwei<br />

25


26<br />

verschiedene Frieden. Der eine bestand zwischen den kapitalistischen<br />

Industrienationen und den von ihnen abhängigen Völkern der Dritten Welt.<br />

Letzterer wurde, da die um die Freiheitsfahne gescharten Demokratien die<br />

abhängigen Völker und Staaten nicht freiwillig in die Freiheit und Unabhängigkeit<br />

entließen, durch eine Kette von nationalen Befreiungskriegen<br />

unterbrochen. Aber auch nach dem Zusammenbruch des Kolonialsystems<br />

basierte er nicht auf gleichberechtigter Zusammenarbeit, sondern auf wirtschaftlicher<br />

Abhängigkeit, auf der Macht der Geldströme und auf der<br />

Androhung überlegener militärischer Gewalt.<br />

Der andere globale Frieden war der zwischen der Ersten und der Zweiten<br />

Welt. Er wurde zum dominierenden Frieden der Nachkriegszeit. Es war ein<br />

Frieden des entfalteten Systemkonflikts, seinem Wesen nach ein Koexistenzfrieden.<br />

Er basierte auf der von beiden Seiten anerkannten Notwendigkeit,<br />

den Konflikt trotz der fundamentalen Gegensätze der Kontrahenten unter<br />

Vermeidung eines Krieges gegeneinander auszufechten. Die Formen des<br />

Kampfes reichten jedoch bis an den Rand des Krieges. Wegen der Schärfe<br />

dieses Kampfes wurde er metaphorisch „kalter Krieg“ genannt, oder noch<br />

treffender: Krieg der schweigenden Waffen. Das Wettrüsten und die<br />

gegenseitige Bedrohung mit immer vernichtenderen Waffen erzeugte eine<br />

riesige Gefahr, blockierte aber zugleich die Anwendung bewaffneter Gewalt<br />

gegeneinander.<br />

Militärische Abschreckung wurde zum Garanten des Friedens zwischen den<br />

beiden Welten erhoben. Die Massenvernichtungswaffen und ihre Trägermittel<br />

von globaler Reichweite brachten nicht nur die Möglichkeit eines<br />

qualitativ neuen Krieges hervor, sondern erzeugten auch ein neues<br />

Wesenselement des Friedens. Militärische Abschreckung trieb nun zum<br />

äußersten Extrem, in die Potenz zur garantierten gegenseitigen Vernichtung.<br />

Ein Frieden, von der Furcht geboren, wäre nicht die schlechteste List der<br />

Vernunft, meinte Aron.(11) Sicher, der Schrecken vor dem atomaren Krieg<br />

war ein Stützpfeiler des Friedens, aber die Mittel, die den Schrecken erzeugten,<br />

machten auch den Krieg möglich, der zu fürchten war. Vor allem aber ist<br />

ein atomarer Frieden paradox, denn er wird erhalten durch das genaue<br />

Gegenteil von Friedlichkeit, durch das gegenseitige In-Schach-Halten mit<br />

dem absoluten Zerstörungsmechanismus.<br />

War denn aber die funktionierende atomare Abschreckung überhaupt die<br />

eigentliche Ursache dafür, daß der Frieden zwischen den beiden Systemen<br />

erhalten blieb? Es gab meines Erachtens tiefere Ursachen. Beide Gesellschaften<br />

brauchten Frieden, sowohl für ihre innere Entwicklung wie für die


Entscheidung des Systemkonflikts. Was zur Entscheidung stand, war dem<br />

Wesen nach nicht durch Krieg zu entscheiden, sondern konnte nur auf den<br />

Feldern entschieden werden, die die Lebensqualität bestimmen. Demgegenüber<br />

führte der Kampf um militärische Stärke und Überlegenheit in die<br />

Sackgasse. Militärische Macht unterlag der Macht der ökonomischen Faktoren,<br />

der Anziehungskraft des Wohlstandes und der bürgerlichen Freiheiten.<br />

Allerdings fiel es der Politik auf beiden Seiten schwer, sich von der neurotischen<br />

Sicherheitsdoktrin zu lösen, die sie selbst erzeugt hatte, und die<br />

Dynamik zu stoppen, die den Mechanismus der gegenseitigen Vernichtung<br />

nach s<strong>einer</strong> eigenen Logik auf den atomaren Abgrund zutrieb. Die Friedensbewegung<br />

war es, die der Politik zwingende Impulse für eine Umkehr aus<br />

dem Dilemma der Hochrüstung und des Abschreckungsfriedens gab. Ihr<br />

geistiger Ausgangspunkt war die Einsicht in die Irrationalität eines Kernwaffenkrieges,<br />

in die Neuheit der Situation, daß im Atomzeitalter Frieden oder<br />

Krieg gleichbedeutend ist mit Sein oder Nichtsein des Menschen auf der<br />

Erde.<br />

Frieden wurde damit zum erstrangigen Lebensinteresse für alle Menschen,<br />

unabhängig von ihrer Stellung in der gesellschaftlichen Gliederung. Frieden<br />

stieg auf zum höchsten Wert. Aus dem Nuklearpazifismus, der die Erhaltung<br />

der Gattung Mensch zum Inhalt hatte, entwickelte sich ein breiter Strom des<br />

Friedensdenkens. Krieg galt generell als obsolet, die Hochtechnologie-<br />

Zivilisation als kriegsunverträglich. Unterschiedliche Wege zu einem neuen<br />

Frieden wurden erkundet. Bei aller Verschiedenheit trafen sich die Auffassungen<br />

in einem Punkt, nämlich in der Einsicht, daß der Abschreckungsfrieden<br />

ersetzt werden muß durch einen Verständigungsfrieden. Die Lösung<br />

des Problems hieß: Frieden nicht auf der Grundlage militärischer Macht,<br />

sondern Frieden auf der Grundlage gemeinsamer Sicherheit. Vorrang der<br />

gemeinsamen Überlebensinteressen, Gewaltverzicht, Vertrauensbildung, Kooperation,<br />

Entmilitarisierung der Sicherheit und durchgreifende Abrüstung,<br />

schrittweiser Übergang in eine nachmilitärische Ära - dies waren die wichtigsten<br />

Grundideen. Sie blieben, weil von <strong>einer</strong> beispiellosen Massenbewegung<br />

getragen, nicht ohne Einfluß auf die Politik, und zwar in beiden der<br />

sich bekämpfenden Gesellschaftssysteme. Und sie trugen dazu bei, daß der<br />

hochmilitarisierte und gewaltträchtige Weltkonflikt ein friedliches Ende fand,<br />

indem der Abgang der Zweiten Welt von der Bühne der Geschichte im<br />

wesentlichen gewaltlos verlief.<br />

27


28<br />

So weit zu den Entwicklungslinien des Friedensfortschritts in den hinter uns<br />

liegenden zwei Jahrhunderten. Welche Schlüsse lassen sich nun ziehen für<br />

das Nachdenken über eine globale <strong>Friedensordnung</strong>, wie sie jetzt und in<br />

Zukunft nötig und möglich ist?<br />

(1) Wie jeder Fortschritt ist auch der Fortschritt des Friedens zwieschlächtig<br />

und bewegt sich nicht in kontinuierlich aufsteigender Linie, sondern über<br />

Rückfälle und in Wechselwirkung mit seinem Gegensatz, dem Krieg. Er ist<br />

selbst ein Teil des allgemeinen Zivilisationsfortschritts, wird von diesem getragen<br />

und wirkt auf ihn zurück. Er ist - wie die Freiheit - ein notwendiges<br />

Element in der Menschwerdung des Menschen. Es gibt Frieden unterschiedlichen<br />

Charakters. Der Charakter des jeweiligen Friedens ist abhängig von der<br />

Gesellschaft, von ihrem materiellen und geistigen Kulturniveau und von der<br />

Bewegung, die in ihren wirtschaftlichen Fundamenten, in ihrer Lebensweise,<br />

ihren politischen Machtstrukturen und in ihrem Bewußtsein über sich selbst<br />

stattfindet. Eine globale <strong>Friedensordnung</strong> ist daher nie vollkommener einzurichten<br />

als der Zivilisationsgrad der Weltgemeinschaft es ermöglicht.<br />

(2) Der ewige Frieden ließ sich bisher nicht verwirklichen. Es wurde sogar der<br />

Krieg mit dem Fortschritt der Industrie und Wissenschaft immer mächtiger<br />

und zerstörerischer. Er trat in die globale Dimension und bemächtigte sich<br />

der Gesellschaft in ihrer Totalität. Der Krieg ist übermächtig geworden und<br />

droht, den Menschen aus der Welt zu schaffen. Aber was der Krieg gewann,<br />

ist nicht gleichbedeutend mit Verlust für den Frieden. Auch der Frieden<br />

entfaltete sich, schlug kräftigere Wurzeln im materiellen und geistigen Leben<br />

der Gesellschaft. Frieden erlangte eine höhere Bedeutung. Er verwandelte<br />

sich aus <strong>einer</strong> früher untergeordneten, bisweilen vernachlässigten in eine<br />

erstrangige Größe. Gerade die Erfahrung des Krieges im mörderischen 20.<br />

Jahrhundert beförderte das Interesse am Frieden und stärkte den Willen zum<br />

Frieden in breiten Gesellschaftsschichten. Frieden ist heute eine<br />

lebensnotwendige Existenzweise der Hochtechnologie-Zivilisation.<br />

(3) Die heutige Welt ist vom ewigen Frieden noch weit entfernt, aber sie hat<br />

Fortschritte auf dem Weg dahin gemacht, auf denen aufgebaut werden kann.<br />

Der sichere, positive Frieden entwickelt sich in einem widerspruchsvollen<br />

Aufstieg der menschlichen Gesellschaft zu höheren Lebensformen.<br />

Veränderte Produktions- und Verkehrsformen, gemeinsame Märkte und<br />

Wirtschaftsunionen, Kriegsunverträglichkeit der modernen Gesellschaften<br />

und Entbehrlichkeit des Krieges als Mittel zur Konfliktlösung untereinander<br />

haben zwischen den fortgeschrittenen Industrienationen einen beständigen<br />

Frieden erzeugt, der Prototypisches für einen ewigen Frieden im <strong>globalen</strong>


Maßstab enthält. Aber eben diese Produktions- und Verkehrsformen<br />

erzeugen nach außen fortwirkende Ursachen für Unfrieden und Krieg, weil<br />

sie die Welt in privilegierte und benachteiligte, in ausbeutende und<br />

ausgebeutete Nationen teilen und der Weltmehrheit die Entwicklungs- und<br />

Lebensmöglichkeiten nehmen. Der Fortschritt zu <strong>einer</strong> dauerhaften <strong>globalen</strong><br />

<strong>Friedensordnung</strong> ist daher vor allem abhängig von den hochentwickelten<br />

Ländern. Sie sind in der Verantwortung für den Frieden.<br />

(4) Die <strong>Idee</strong> des ewigen Friedens widerspricht dem gegebenen Weltzustand<br />

fortwährend stattfindender Kriege. Hierin liegt ihre Schwäche, aber auch ihre<br />

Stärke. Sie hat die bisherigen Gewohnheiten und Möglichkeiten, politische<br />

Konflikte auszufechten, gegen sich, die Tradition von Jahrtausenden, und<br />

kann daher leicht als realitätsfern abgewertet werden. Ihre Stärke aber ist,<br />

daß sie den Weltzustand periodisch wiederkehrender Kriege transzendiert,<br />

der von immer mehr Menschen als unerträglich und unvereinbar mit dem<br />

erreichten Kulturniveau empfunden wird.<br />

(5) <strong>Idee</strong>n über den Frieden machen noch keinen Frieden. Erst wenn die<br />

gesellschaftlichen Verhältnisse reif dafür sind und ein genügend starkes<br />

Bedürfnis nach Frieden hervorbringen, werden sie aufgegriffen. In langwierigen,<br />

von Rückfällen und neuen Anläufen gekennzeichneten praktischen<br />

Versuchen wird dann nach ihnen gerufen, werden sie abgewandelt, ergänzt,<br />

korrigiert und bereichert, in die Wirklichkeit überführt. Vorausgreifendes<br />

Friedensdenken wird gebraucht, auch wenn es meist zunächst folgenlos<br />

bleibt. An den vorangegangenen Gedankenstoff anzuknüpfen, ihn entsprechend<br />

den Erfahrungen kritisch umzuarbeiten, ist also heute die Aufgabe der<br />

geistigen Arbeit für den Frieden. Der Neuansatz wird um so fruchtbarer sein,<br />

als es gelingt, die Gefahren und Möglichkeiten für den Frieden zu analysieren,<br />

wie sie in den gegenwärtig vor sich gehenden Veränderungen der<br />

Produktions- und Lebensweise angelegt sind.<br />

Informationsgesellschaft, Globalisierung der Marktwirtschaft, Werden zur<br />

Weltgesellschaft, Migration, Polarisierung des Reichtums und der Armut,<br />

Monopolisierung der Entscheidungen über die Weltpolitik oder Demokratisierung<br />

der internationalen Beziehungen werden bestimmend sein für die<br />

zukünftige globale <strong>Friedensordnung</strong>, vor allem dafür, welchen Charakter<br />

dieser Frieden annehmen wird.<br />

29


30<br />

Anmerkungen:<br />

( 1) Siehe Nietzsche, Friedrich: Götzen-Dämmer, oder: Wie man mit dem<br />

Hammer philosophiert, in: Werke in drei Bänden, Bd. 2, München<br />

1977, S. 1015.<br />

( 2) Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra, in: ebd., S. 312 f.<br />

( 3) Spengler, Oswald: Der Untergang des Abendlandes, Bd. 2, München<br />

1923, S. 446.<br />

( 4) Ebd., S. 535.<br />

( 5) Siehe Marx, Karl/Engels, Friedrich: Manifest der Kommunistischen<br />

Partei, in: Werke, Bd. 4, S. 479.<br />

( 6) Marx, Karl: Adresse an die Nationale Arbeiterunion der Vereinigten<br />

Staaten, in: Marx/Engels, a.a.O., Bd. 16, S. 357.<br />

( 7) Marx, Karl: Inauguraladresse der Internationalen Arbeiter-Assoziation,<br />

in: ebd., S. 13.<br />

( 8) Programm der Deutschen Friedensgesellschaft, in: Sturm läutet das<br />

Gewissen. Nichtproletarische Demokraten auf der Seite des<br />

Fortschritts, Berlin 1980, S. 216.<br />

( 9) Flugblatt der Deutschen Friedensgesellschaft, in: Sturm läutet das Gewissen,<br />

a.a.O., S. 253.<br />

(10) Programm der Deutschen Friedensgesellschaft, a.a.O., S. 218.<br />

(11) Siehe Aron, Raymond: Vorwort zu Gallois, P.: Strategie de l’age<br />

nucleaire, Paris 1960, S. 111.<br />

Autor:<br />

Wolfgang Scheler<br />

Prof. Dr. sc. phil., Kapitän zur See a.D.<br />

Rottwerndorfer Straße 3<br />

01257 D r e s d e n


Ernst W o i t<br />

Grundvoraussetzungen<br />

<strong>einer</strong> Entschärfung und friedlichen Lösung<br />

globaler Konfliktpotentiale<br />

I<br />

Vor nunmehr zweihundert Jahren, zu <strong>einer</strong> Zeit, da sich die Friedenssehnsucht<br />

der Menschen noch nahezu ausschließlich in Friedensgebeten artikulierte,<br />

weil sie Kriege ebenso für Resultate göttlichen Eingreifens in irdische<br />

Vorgänge hielten, wie sie noch vom „Gottesgnadentum“ der sie beherrschenden<br />

Feudalherren überzeugt waren, war es ein in s<strong>einer</strong> historischen<br />

Bedeutsamkeit gar nicht zu überschätzender Sieg philosophischer Vernunft,<br />

daß und wie Immanuel Kant Kriege als Menschenwerk erklärte und den Weg<br />

zu einem ewigen Frieden folgerichtig allein durch menschliches Handeln<br />

bestimmt sah.<br />

M<strong>einer</strong> Überzeugung nach sind Kants philosophische Reflexionen über Krieg<br />

und Frieden in seinem Entwurf „Zum ewigen Frieden“ von 1795 ebenso wie<br />

in seinem erstmals 1798 veröffentlichten „Streit der Fakultäten“ angesichts<br />

der heutigen <strong>globalen</strong> Konfliktpotentiale und der nach Auflösung des von der<br />

Sowjetunion geführten Blocks dominierenden weltpolitischen Entwicklungstendenzen<br />

von <strong>einer</strong> geradezu beklemmenden Aktualität.<br />

Welche Erkenntnisse und Positionen Kants habe ich dabei vor allem im<br />

Auge? Das betrifft erstens seine illusionslose Thematisierung des Kriegsinteresses<br />

spezifischer Fraktionen der herrschenden Klassen. Für Kant war es das<br />

feudale Staatsoberhaupt, „das durch den Krieg nicht das mindeste einbüßt,<br />

diesen also wie eine Lustpartei aus unbedeutenden Ursachen beschließen,<br />

und der Anständigkeit wegen dem dazu allezeit fertigen diplomatischen<br />

Korps die Rechtfertigung desselben gleichgültig überlassen kann“.(1) Heute<br />

sind das jene Politiker und Militärs insbesondere der über Kernwaffen<br />

verfügenden Großmächte, die - gestützt auf ihre gewaltige militärtechnische<br />

Überlegenheit - zur Durchsetzung ihrer imperialen Interessen auf weltweite<br />

militärische Interventionen in der Überzeugung setzen, daß ihnen das Interventionsopfer<br />

nicht mit gleichen Mitteln antworten kann.<br />

31


32<br />

Zweitens ist das Kants Warnung vor einem „Ausrottungskrieg“, der schließlich<br />

„den ewigen Frieden nur auf dem großen Kirchhofe der Menschgattung<br />

statt finden lassen würde“.(2) Gegen einen solchen Krieg formulierte Kant<br />

den bis heute praktisch politisch nicht realisierten kategorischen Imperativ:<br />

„Ein solcher Krieg also, mithin auch der Gebrauch der Mittel, die dahin<br />

führen, muß schlechterdings unerlaubt sein.“(3) Wie aktuell ist dieser<br />

kategorische Imperativ angesichts der heute vorhandenen und zur Auslöschung<br />

allen menschlichen Lebens auf unserem Planeten mehrfach ausreichenden<br />

Massenvernichtungsmittel! Ich stimme deshalb Georg Geismann<br />

ausdrücklich zu, der bereits 1983 gefordert hatte, „der kantischen Verbotsliste<br />

heute u.a. hinzuzufügen: Krieg gegen die Zivilbevölkerung und der<br />

Ersteinsatz jedweder ABC-Waffen“.(4)<br />

Drittens lehrt uns Kant, daß die Vernunft angesichts scheinbar unausrottbarer<br />

Kriegführungspraktiken nicht resignieren darf, sondern sich anzustrengen hat,<br />

für unvermeidliche Konflikte zwischen den Staaten friedliche Lösungen zu<br />

finden. In diesem Zusammenhang halte ich zwei Gedanken Kants für<br />

besonders wichtig. Das ist einmal seine illusionslose Einschätzung: „Der<br />

Friedenszustand unter Menschen, die neben einander leben, ist kein Naturzustand<br />

(status naturalis), der vielmehr ein Zustand des Krieges ist [...]“ Der<br />

Frieden muß deshalb nach Kant gegen diese menschliche Natur „gestiftet“<br />

werden.(5) Zum anderen scheint mir nicht weniger wichtig die Erkenntnis zu<br />

sein, die Verwirklichung des „ewigen Friedens“ als einen durchaus<br />

langwierigen Prozeß zu begreifen, „nämlich den Krieg [...] erstlich nach und<br />

nach menschlicher, darauf seltener, endlich als Angriffskrieg ganz schwinden<br />

zu lassen“,(6) bis, wie Kant in seinem „Krakauer Fragment“ formulierte,<br />

„beim Fortgange der Cultur die Kriege immer weniger werden und auf dem<br />

Wege sind gantz aufzuhören“.(7)<br />

Viertens schließlich sind jene Überlegungen für uns heute von kaum zu überschätzender<br />

Bedeutung, die Kant angestellt hat, um eine politische Strategie<br />

zu begründen, die schrittweise weltweit friedliche Konfliktlösungen auf der<br />

Grundlage eines demokratischen Völkerrechts ermöglicht. Das „Fortschreiten<br />

dorthin enthält nach Kant: „1. Die <strong>Idee</strong> von einem Zweck wohin man zielt.<br />

2. Die Gründung eines Princips darnach zu streben. 3. Die Verfolgung der<br />

Absicht die ununterbrochen fortdauert.“(8)<br />

Subjekte des Völkerrechts sind die Staaten. „Also von Staaten nicht vom Volk<br />

(von Oben nicht von Unten) muß dieses Fortschreiten zum Besseren eingeleitet<br />

werden.“ Doch, so fährt Kant fort: „Die innere Form des Staats muß


durch Reformen gehen von welchen diese die erste und letzte ist ihn so zu<br />

bilden, daß er nicht immer mit Kriegen schwanger gehe [...]“.(9)<br />

II<br />

Kants Kritik der Kriege s<strong>einer</strong> Zeit beruhte auf dem Prinzip der gleichen Menschenwürde<br />

für alle Menschen sowie alle Nationen oder Rassen; deshalb<br />

richtete sich seine Kritik insbesondere gegen folgende vier Arten ungerechter<br />

Kriege: „Erstens den feudalen Eroberungskrieg; zweitens den Kolonialkrieg<br />

gegen eine eingeborene Bevölkerung; drittens den Krieg <strong>einer</strong> Kolonialmacht<br />

gegen die Unabhängigkeitsbewegung <strong>einer</strong> ehemaligen Kolonie [...]; viertens<br />

schließlich - gemäß den Erfahrungen der Französischen Revolution - die<br />

Interventionskriege der feudalabsolutistischen Staaten gegen das bürgerliche<br />

Frankreich.“(10)<br />

Kriegskritik hat heute zuerst und vor allem davon auszugehen, daß mit den<br />

vorhandenen Kernwaffen und anderen Massenvernichtungsmitteln ganze<br />

Völker ausgelöscht, ja die Voraussetzungen menschlichen Lebens auf unserem<br />

Planeten vernichtet werden können. Dann aber hat heutige Kriegskritik<br />

sorgfältig zu analysieren und die weitestmögliche Öffentlichkeit darüber zu<br />

informieren, aus welcher Politik die heutigen <strong>globalen</strong> Konfliktpotentiale und<br />

damit die historisch beispiellose Gefahr des Untergangs der Menschheit resultiert.<br />

Dabei wird sie zwar berücksichtigen, daß ein „Ausrottungskrieg“ heute<br />

dank der technischen Mittel der Kriegführung etwas qualitativ anderes wäre<br />

als zu Lebzeiten Kants. Sie wird aber zugleich darauf stoßen, daß diese<br />

Gefahr unverändert von <strong>einer</strong> Politik ausgeht, die das Prinzip der gleichen<br />

Würde - also auch der gleichen Rechte - für alle Menschen und Völker nicht<br />

anerkennen will und seine Verwirklichung immer wieder auch mit ähnlich<br />

ungerechten Kriegen einschließlich „Ausrottungskriegen“ zu verhindern<br />

sucht, die nach Kant „schlechterdings unerlaubt“ sein müssen.(11)<br />

Heute handelt es sich darum, daß die USA und die anderen G7-Staaten entschlossen<br />

sind, mit allen Mitteln jenes gegenwärtige Weltwirtschaftssystem<br />

aufrechtzuerhalten, das 20 Prozent der Menschheit den Verbrauch von 80<br />

Prozent der verfügbaren Ressourcen sichert und damit die Mehrheit der<br />

Menschen vor die Alternative stellt, sich entweder gegen die weitere Ausplünderung<br />

ihrer Länder zur Wehr zu setzen oder durch Hunger, tödliche<br />

33


34<br />

Krankheiten, Umweltzerstörung beziehungsweise in den Verteilungskämpfen<br />

um die ihnen noch verbliebenen Ressourcen umzukommen.<br />

Dauerhafter Frieden erfordert die vorbehaltlose Anerkennung und Achtung<br />

des Gleichheitsprinzips zwischen völkerrechtlich souveränen Staaten, unabhängig<br />

von ihrer Größe und inneren Verfassung. Aus diesem Grunde lehnte<br />

Kant die Schaffung <strong>einer</strong> Weltregierung kategorisch ab und plädierte für eine<br />

„Föderation freier Staaten“,(12) für einen „Völkerbund [...], wo jeder, auch<br />

der kleinste Staat, seine Sicherheit und Rechte nicht von eigener Macht oder<br />

eigener rechtlichen Beurteilung, sondern allein von diesem großen Völkerbunde<br />

(Foedus Amphyctionum), von <strong>einer</strong> vereinigten Macht, und von der<br />

Entscheidung nach Gesetzen des vereinigten Willens, erwarten könnte.“(13)<br />

Im Interesse dauerhaften Friedens ist die Respektierung des Selbstbestimmungsrechtes<br />

der Völker und damit ein kategorisches Interventionsverbot<br />

unabdingbar. „Kein Staat soll sich in die Verfassung und Regierung eines<br />

anderen Staates gewaltsam einmischen“,(14) lautet deshalb die unmißverständliche<br />

Forderung Kants. Die bisher konsequenteste Umsetzung dieser<br />

Forderungen in kodifiziertes Völkerrecht stellt die Charta der Vereinten<br />

Nationen vom 26. Juni 1945 dar, die man deshalb auch als bisherigen<br />

Höhepunkt in der Entwicklung eines demokratischen Völkerrechts bezeichnen<br />

kann. Das kommt insbesondere darin zum Ausdruck, daß das Hauptziel<br />

der Vereinten Nationen, „den Weltfrieden und die internationale Sicherheit<br />

zu wahren“, ganz im Sinne des fünften Präliminarartikels zum ewigen Frieden<br />

von Immanuel Kant untrennbar mit dem Grundsatz „der souveränen<br />

Gleichheit aller ihrer Mitglieder“ verbunden ist.(15) Das Zustandekommen<br />

dieser Charta der Vereinten Nationen hatte ein internationales Kräfteverhältnis<br />

zur Voraussetzung, das wesentlich durch den überragenden Anteil der<br />

Sowjetunion am Sieg über Nazideutschland im zweiten Weltkrieg geprägt<br />

war.<br />

Insofern folgerichtig versuchen die USA und ihre Hauptverbündeten, das mit<br />

dem Untergang der Sowjetunion und des von ihr geführten politisch-militärischen<br />

Blocks wieder zu ihren Gunsten veränderte globale Kräfteverhältnis<br />

dazu auszunutzen, jene essentiellen Grundsätze der Charta der Vereinten<br />

Nationen, die ihnen von jeher zuwider waren, weil sie ein völkerrechtliches<br />

Hindernis für ihr Weltherrschaftsstreben sind, systematisch zu unterlaufen<br />

und schließlich ganz offen in Frage zu stellen.(16) Das findet seinen Ausdruck<br />

im immer offeneren und skrupelloseren Streben der USA und der<br />

NATO, auf dem Wege der Majorisierung des UN-Sicherheitsrates für sich ein<br />

„Recht“ auf weltweite militärische Interventionen unter dem Vorwand der<br />

Verwirklichung der Menschenrechte durchzusetzen. Dieser globale Interven-


tionismus bedeutet nicht nur eine Absage an jene Ziele und Grundsätze, mit<br />

denen die Organisation der Vereinten Nationen vor nunmehr fünfzig Jahren<br />

gegründet wurde. Dem Wesen nach stellt dieser Interventionismus als<br />

Ideologie-, Strategie- und Völkerrechtsposition einen Rückfall in das diesbezügliche<br />

Denken vor Kant dar, und ich kann dem Völkerrechtler Werner Ruf<br />

nur zustimmen, wenn er das als „völkerrechtlich verkleidete Machtpolitik des<br />

Nordens gegen den Süden“ enthüllt und als „Re-Institutionalisierung des<br />

Faustrechts auf zwischenstaatlicher und vor allem infrastaatlicher Ebene“<br />

definiert.(17)<br />

Was da wirklich geschieht wird jedem, der sich seinen Verstand gegen die<br />

jeweiligen Rechtfertigungskampagnen der Massenmedien bewahrt hat, insbesondere<br />

an den Präzedenzfällen Irak, Somalia und Jugoslawien deutlich. Es<br />

ging im Falle Irak strategisch darum, einen Staat in vorindustrielle Verhältnisse<br />

zurückzubomben, weitgehend zu entwaffnen und wirtschaftlich wie<br />

innenpolitisch der Souveränität zu berauben, um ihn so als möglichen Störfaktor<br />

für die höchst profitable Ausbeutung der Erdölressourcen der Region<br />

des Mittleren Ostens für längere Zeit auszuschalten. Die dabei verübten<br />

Völkerrechtsbrüche und Kriegsverbrechen (18) lassen ahnen, wozu diejenigen<br />

fähig sind, die da unter zynischer Instrumentalisierung des UN-Sicherheitsrates<br />

eine „Neue Weltordnung“ errichten wollen. Den tatsächlichen<br />

Mechanismus des dabei praktizierten Vorgehens hat der US-amerikanische<br />

Politologe Samual P. Huntington recht offen so dargelegt: „Entscheidungen,<br />

die im UN-Sicherheitsrat oder im Internationalen Währungsfonds getroffen<br />

werden und die die Interessen des Westens widerspiegeln, werden der Welt<br />

vorgestellt als die Zielvorstellungen der Weltgemeinschaft. Schon die Phrase<br />

‘die Weltgemeinschaft’ ist ein euphemistischer kollektiver Begriff geworden<br />

(der ‘die freie Welt’ ersetzt), mit dessen Hilfe Aktionen eine globale Legitimität<br />

gegeben wird, die in Wirklichkeit die Interessen der USA und anderer<br />

westlicher Mächte beinhalten.“(19)<br />

Die von den USA inszenierte und dann der UNO übertragene Intervention in<br />

Somalia sollte - in konsequenter Fortsetzung des mit der Resolution des UN-<br />

Sicherheitsrates Nummer 688 - der Präzedenzfall für eine „humanitäre militärische<br />

Intervention“ und ein weiterer Schritt zur Aushöhlung der UN-Charta<br />

sein, denn mit der Nummer 794 „schlüpften die USA gewissermaßen selbst<br />

in das Gewand der Vereinten Nationen, übertrug der Sicherheitsrat ihnen<br />

doch eine Blankovollmacht für die Befriedung Somalias“.(20) Wie Werner<br />

Ruf völlig zu Recht betont, hat das außerordentlich weitreichende<br />

Konsequenzen: „Die mit der Resolution 688 begonnene und mit den<br />

Somalia-Resolutionen weiterentwickelte Aufweichung des Prinzips der inner-<br />

35


36<br />

staatlichen Souveränität durch die völkerrechtliche Sanktionierung des<br />

‘Rechts auf humanitäre Intervention’ [...] bietet die breiteste denkbare Palette<br />

für Interventionsgründe nahezu jeder Art.“(21)<br />

Im Falle Jugoslawien hat der NATO-Rat - unter dem Vorwand, aus<br />

humanitären Gründen eingreifen zu müssen - immer unverfrorener und<br />

leider auch immer erfolgreicher darauf gedrängt, unabhängig vom UN-<br />

Sicherheitsrat und vom UN-Generalsekretär und damit im Gegensatz zur<br />

UN-Charta über sogenannte Militärschläge zu entscheiden. Dabei hat der<br />

UN-Generalsekretär unter dem starken Druck der NATO das sogenannte<br />

Zwei-Schlüssel-Prinzip immer mehr aufgegeben, das der UNO noch die<br />

letzte Entscheidungsbefugnis sicherte.<br />

Schließlich hat das maßgeblich von den USA und ihren Hauptverbündeten<br />

bestimmte Eingreifen der UNO sowohl in Somalia wie vor allem in Jugoslawien<br />

dazu geführt, daß Truppen, die als UNO-Streitkräfte erscheinen,<br />

indem sie zum Beispiel blaue Helme tragen, Kriegsparteien in Bürgerkriegen<br />

geworden sind, was mit der UN-Charta absolut unvereinbar ist. Weil all das<br />

offiziell immer wieder mit dem „Recht“, ja der Pflicht zur weltweiten Durchsetzung<br />

der Menschenrechte begründet wird und auch in Deutschland nicht<br />

wenige früher für den Frieden engagierte Menschen inzwischen dem Druck<br />

gerade dieser Begründung für weltweite Militäreinsätze inzwischen zu<br />

Bellizisten mutiert sind, möchte ich dazu drei grundsätzliche Bemerkungen<br />

machen:<br />

(1) Kriegführung und Menschenrechte schließen einander aus. Deshalb<br />

erklärt Volkmar Deile, Generalsekretär der deutschen Sektion von „amnesty<br />

international“, angesichts des Mißbrauchs der Menschenrechtsfrage bei der<br />

Inszenierung des zweiten Golfkrieges unmißverständlich: „Menschenrechte<br />

sind nicht mit Krieg durchsetzbar. Menschenrechte haben eine natürliche<br />

Nähe zu ihrer gewaltfreien Realisierung.“(22)<br />

(2) Die angeblich der Durchsetzung der Menschenrechte dienenden militärischen<br />

Interventionen sind ihrem Wesen nach „völkerrechtlich verkleidete<br />

Machtpolitik des Nordens gegenüber dem Süden“, denn sie werden äußerst<br />

selektiv ausschließlich gegenüber bestimmten Staaten des Südens angewandt,<br />

für die nach Einschätzung des Völkerrechtlers Norman Peach die durch die<br />

UN-Charta definierte „Souveränität oft der einzige verbliebene Schutzschild<br />

gegen den politischen, ökonomischen und militärischen Zugriff des Norden“<br />

ist.(23)


(3) Welche Dimensionen von Weltherrschaft unter demagogischer Berufung<br />

auf die Menschenrechte durch NATO-Streitkräfte künftig im Rahmen <strong>einer</strong><br />

wahrhaft <strong>globalen</strong> militärischen Interventionsstrategie realisiert werden sollen,<br />

geht recht anschaulich aus zwei offiziellen militärpolitischen Verlautbarungen<br />

der deutschen Bundesregierung hervor. So wird in den „Verteidigungspolitischen<br />

Richtlinien des Bundesministers der Verteidigung“ vom<br />

26. November 1992 „Deutschland als Nichtnuklearmacht und kontinentale<br />

Mittelmacht mit weltweiten Interessen“ definiert, deren Streitkräfte neben<br />

der „Förderung der Demokratisierung und des wirtschaftlichen und sozialen<br />

Fortschritts in Europa und weltweit“ auch die Aufgabe der „Aufrechterhaltung<br />

des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten<br />

und Rohstoffen in aller Welt“ haben.(24) Welche geostrategischen Freiräume<br />

in diesem Zusammenhang die Berufung auf die Menschenrechte<br />

eröffnen soll, wird daran klar, daß es im „Weißbuch 1994“ der Bundesregierung<br />

„<strong>Zur</strong> Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und zur Lage und<br />

Zukunft der Bundeswehr“ heißt: „In unterentwickelten und instabilen<br />

Gesellschaften finden Menschenrechte häufig keine oder wenig Beachtung.<br />

Sie sind heute für zwei Milliarden Menschen überwiegend nicht verwirklicht,<br />

für 2,5 Milliarden nur eingeschränkt. Das sind sieben Achtel der Weltbevölkerung.“(25)<br />

Also bedeutet die Anerkennung des von den NATO-<br />

Strategen seit dem Ende des Ost-West-Konflikts so angestrengt geforderten<br />

„Rechts auf humanitäre militärische Einsätze“ der Sache nach nichts anderes<br />

als die Forderung auf Ausstellung eines Freibriefes zu bisher eindeutig<br />

völkerrechtswidrigen Aggressionshandlungen.<br />

Tatsächlich scheiden sich an der Stellung zu diesem Interventionismus die<br />

Geister des Friedens und des Krieges in unserer Zeit. Insofern sehe ich im<br />

Kampf gegen die Ideologie und Strategie des <strong>globalen</strong> Interventionismus der<br />

USA und ihrer Hauptverbündeten mit dem Ziel der rechtzeitigen Verhinderung<br />

<strong>einer</strong> <strong>globalen</strong> Katastrophe die Hauptaufgabe jedes tatsächlichen<br />

Friedensengagements in unserer Zeit. Einige unverzichtbare Hauptrichtungen<br />

eines derartigen Engagements seien zumindest skizziert.<br />

37


38<br />

III<br />

Erste grundlegende Voraussetzung zur Entschärfung der heutigen <strong>globalen</strong><br />

Konfliktpotentiale ist die massenhafte Verbreitung der Erkenntnis, daß die<br />

Fortsetzung der bisher von den G7-Staaten verfolgten Politik, die für die<br />

gegenwärtige Weltwirtschaftsordnung charakteristische Verteilung der<br />

Ressourcen unseres Planeten mit allen Mitteln zu verewigen, unvermeidlich<br />

in die globale Katastrophe führt. Dieses Gefahrenbewußtsein muß so<br />

realistisch und komplex werden, daß es diese Katastrophenkonsequenz nicht<br />

mehr verdrängt und - dadurch motiviert - das politische Kräfteverhältnis vor<br />

allem in den G7-Staaten so verändern hilft, daß der Weg in eine gerechtere<br />

Weltwirtschaftsordnung frei wird, die das menschenwürdige Überleben der<br />

ganzen menschlichen Gattung zu sichern vermag. Dieses Gefahrenbewußtsein<br />

verdrängt nicht den Tatbestand, daß spätestens mit dem zweiten<br />

Golfkrieg, in dem es das Ziel der USA war, „ihre Vormachtstellung in der<br />

Region zu stärken und enorme geopolitische Vorteile durch die Kontrolle<br />

der Erdölvorkommen bis ins nächste Jahrtausend zu erzielen“,(26) die „Ära<br />

der Ressourcenkriege“ begonnen hat.(27)<br />

Dieses Gefahrenbewußtsein muß - was angesichts der intensiven Manipulierung<br />

der öffentlichen Meinung in allen Ländern des reichen Nordens<br />

besonders schwierig ist - ein Feindbild überwinden, das die Bedrohung des<br />

Weltfriedens und damit auch die Gefahr <strong>einer</strong> <strong>globalen</strong> Katastrophe von den<br />

Armen dieser Erde ausgehen sieht. Tatsächlich geht diese Gefahr von jenen<br />

Mächten aus, die nach dem Strategiekonzept der „Wars of Low Intensity“(28)<br />

entschlossen sind, ihre Streitkräfte überall dort intervenieren zu lassen, wo<br />

die Verfügbarkeit und Kontrolle der von ihnen geplünderten Weltressourcen<br />

gefährdet erscheint, und die deshalb auch entschlossen sind - koste es, was<br />

es wolle - ihr Monopol an Kernwaffen und die verbrecherische Anmaßung<br />

des Ersteinsatzes dieser Massenvernichtungsmittel aufrechtzuerhalten.<br />

Deshalb muß dieses Gefahrenbewußtsein auch auf möglichst genauen<br />

Kenntnissen darüber beruhen, welche Auf- und Umrüstungsprozesse in eben<br />

diesen Ländern gegenwärtig laufen. In aller Kürze sei hier auf drei Beispiele<br />

dessen verwiesen, was ich damit meine.<br />

Erstes Beispiel: Am 1. Dezember 1994 hat US-Präsident Clinton eine<br />

Erklärung zur künftigen Militärpolitik der USA abgegeben, über die die einschlägigen<br />

Massenmedien sich in bemerkenswerter Weise ausgeschwiegen<br />

haben. In dieser Erklärung erinnert er zunächst daran, daß er den US-


Streitkräften bereits in seinem ersten Amtsjahr befohlen hatte, daß sie jederzeit<br />

„zur Bewältigung von zwei praktisch gleichzeitig stattfindenden größeren<br />

regionalen Konflikten bereit sein sollten“. Dazu forderte er nun, für diese<br />

„Streitkräfte den höchsten Ausbildungsstand aufrechtzuerhalten und sie auf<br />

die Entsendung zu Missionen auf der ganzen Welt binnen Stunden vorzubereiten.“<br />

Wie ernst das zu beurteilen ist, geht daraus hervor, daß Clinton<br />

gleichzeitig ankündigte, er werde „den Kongreß um zusätzlich 25 Milliarden<br />

Dollar für unsere in den nächsten sechs Jahren geplanten Verteidigungshaushalte<br />

ersuchen“ und „die höchste gesetzlich mögliche Gehaltserhöhung<br />

für unser Militär bis zur Jahrhundertwende anstreben“.(29)<br />

Zweites Beispiel: Im bereits zitierten militärpolitischen „Weißbuch 1994“ der<br />

deutschen Bundesregierung heißt es im Kapitel „Ausrüstungsplanung der<br />

Streitkräfte“ unter anderem: „Für die Landesverteidigung ist die Bundeswehr<br />

derzeit im wesentlichen ausreichend ausgerüstet [...] Priorität hat die<br />

Ausrüstung der Krisenreaktionskräfte [...] Die Bundeswehr muß [...] in der<br />

Lage sein, in begrenztem Umfang, aber in kurzer Zeit Truppenkontingente<br />

unter extremen Umweltbedingungen über große Entfernungen verlegen,<br />

einsetzen, führen und versorgen zu können. [...] Für Aufklärung und Führung<br />

der Krisenreaktionskräfte werden bis zu einem Drittel aller Forschungs- und<br />

Technologieinvestitionen aufgewandt.“(30)<br />

Drittes Beispiel: Immer noch weit verbreitet ist die Auffassung, Japan habe<br />

faktisch keinen Rüstungshaushalt. Tatsächlich aber hat dieser asiatische G7-<br />

Staat seine jährlichen Militärausgaben seit 1970 systematisch erhöht, von<br />

1980 bis 1994 sogar mehr als verdoppelt (31) und verfügt heute mit über 70<br />

Milliarden DM (wozu noch vier Milliarden DM Beitrag zu den Kosten der<br />

US-Streitkräfte in Japan kommen) über den zweitgrößten Rüstungsetat der<br />

Welt.(32)<br />

Schließlich muß das heute für zielstrebiges Friedensengagement unerläßliche<br />

Gefahrenbewußtsein auch den Tatbestand einschließen, daß die Politiker<br />

jener Staaten, die immer wieder in eklatanter Weise das geltende Völkerrecht<br />

verletzt haben, indem sie die Souveränität anderer, natürlich schwächerer<br />

Staaten durch militärische Interventionen verletzten, heute drauf und dran<br />

sind, derartige Aggressionshandlungen zu legalisieren.(33) Diese<br />

Legalisierung soll dadurch erfolgen, daß der „Grundsatz der souveränen<br />

Gleichheit aller ihrer Mitglieder“, auf dem laut UN-Charta die gesamte<br />

Organisation der Vereinten Nationen beruht, zunächst faktisch und dann<br />

auch förmlich liquidiert wird. Denn aus diesem Grundsatz folgt zwingend<br />

und logisch die für den Frieden zwischen Staaten, die naturgemäß unter-<br />

39


40<br />

schiedliche Interessen haben, so wichtige, im gleichen Artikel 2 der UN-<br />

Charta verankerte Verpflichtung: „Alle Mitglieder unterlassen in ihren<br />

internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder<br />

die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete [...] Androhung oder<br />

Anwendung von Gewalt.“ Es handelt sich deshalb um einen in s<strong>einer</strong><br />

Demagogie und Aggressivität außerordentlich ernstzunehmenden Angriff auf<br />

die Fundamente der UNO, wenn der Außenminister der Bundesrepublik<br />

Deutschland, Klaus Kinkel, 1993 unter dem Leitgedanken „Deutsche<br />

Außenpolitik in <strong>einer</strong> sich neu ordnenden Welt“ erklärt: „Gegenwärtig<br />

bewegen wir uns vom Interventionsverbot im Namen staatlicher Souveränität<br />

hin zum Interventionsgebot im Namen der Menschenwürde und humanitären<br />

Hilfe.“(34)<br />

Ausgehend von diesem - hier nur skizzierten - Gefahrenbewußtsein ist die<br />

Anstrengung der Vernunft zur Begründung des Weges zu <strong>einer</strong> Weltwirtschaftsordnung,<br />

die der ganzen Menschheit eine menschenwürdige Zukunft<br />

sichern kann, eine weitere Grundvoraussetzung zur Entschärfung und friedlichen<br />

Lösung der bisher immer noch anwachsenden <strong>globalen</strong> Konfliktpotentiale.<br />

Hier scheint mir vor allem zweierlei wichtig:<br />

Erstens muß das Ziel dieses Weges eine Alternative zur Weltherrschaft der<br />

kapitalistischen Großmächte sein, denn diese lenken nach Einschätzung<br />

Richard von Weizsäckers „über Weltbank, Internationalen Währungsfonds<br />

und Welthandelsorganisation die Weltwirtschaft eher zum eigenen Nutzen<br />

als zum Dienst am wichtigsten Thema der Weltgemeinschaft, der Überwindung<br />

der <strong>globalen</strong> Unterentwicklung“.(35) Kurt Biedenkopf schätzt ein, „die<br />

Möglichkeit der Vereinbarkeit <strong>einer</strong> wachsenden Wirtschaft mit dem<br />

Erfordernis eines zukunftsfähigen Gleichgewichts mit der Umwelt [...] ist<br />

bisher weder von sozialistischen noch von marktwirtschaftlichen Ordnungen<br />

befriedigend beantwortet worden“, und gelangt zu <strong>einer</strong> Forderung, die auch<br />

ich als Marxist durchaus mittragen kann: „Es sollte nicht mehr dazu kommen,<br />

daß sich Entwicklungsländer vor die Alternative gestellt sehen, entweder ihre<br />

Bürger verhungern zu lassen oder die Natur zu zerstören. Solche Alternativen<br />

sind unmenschlich. Sie müssen überwunden werden.“(36) Auch dem<br />

Theologen Friedhelm Hengsbach kann ich zustimmen, wenn er einschätzt:<br />

„Das vorrangige Weltproblem ist [...] nicht der unbestrittene Zuwachs an<br />

Gütern und Diensten, sondern dessen Verteilung. Nicht die<br />

Produktionsleistungen sind fehlerhaft, sondern die Produktionsverhältnisse.“<br />

Als Alternative fordert er die wohlhabenden Länder auf, „sich mit den armen<br />

Ländern zu arrangieren, anstatt aufzurüsten, sich gegen massenhafte<br />

Zuwanderung zu wehren und gegen gewaltsame Übergriffe zu verteidigen“,


um schließlich zu einem „Weltgesellschaftsvertrag“ zu gelangen, der allen<br />

Menschen alle Menschenrechte sichert und eine Wirtschaftsform enthält,<br />

„die verallgem<strong>einer</strong>ungsfähig ist und die Würde eines jeden Menschen<br />

achtet“.(37) Immerhin wird heute von seriösen Forschern eingeschätzt, daß<br />

der gegenwärtige Entwicklungsstand der Produktivkräfte es <strong>einer</strong> Weltbevölkerung<br />

von etwa acht Milliarden Menschen bei anderen Verteilungsverhältnissen<br />

und bei Verzicht auf Kriege und Rüstungsaufwendungen erlauben<br />

würde, unter Bedingungen zu leben, „die etwa dem mittleren Lebensstandard<br />

im gegenwärtigen Europa entsprechen“.(38)<br />

Aus alledem ergibt sich hinsichtlich des Weges zur Entschärfung und friedlichen<br />

Lösung der gegenwärtigen <strong>globalen</strong> Konfliktpotentiale zweitens: „Alle,<br />

die nach Alternativen suchen, müssen sich darüber im klaren sein, daß sie<br />

letztlich eine Neugestaltung der okzidentalen Welt einklagen und damit<br />

deren Überwindung. Die Neugestaltung hat von der Natur und vom Leben<br />

derer auszugehen, die von der okzidentalen Zivilisation ausgeschlossen<br />

werden [...].“(39) Zugleich aber muß diese „längst überfällige Kurskorrektur<br />

der Wirtschafts- und Lebensweise“, wie Iring Fetscher meines Erachtens zu<br />

Recht betont, „von den Metropolen eingeleitet werden. Sie, die Metropolen,<br />

müssen durch ihr Verhalten ein Wohlstandsmodell propagieren, das - im<br />

Gegensatz zum derzeitigen - weltweit verallgem<strong>einer</strong>bar ist“.(40) Das aber ist<br />

nur möglich, wenn in diesen Hochburgen des zeitgenössischen Kapitalismus<br />

selbst strukturelle Veränderungen gegen den aktuellen Trend der immer<br />

exzessiveren Polarisierung von Armut und Reichtum erkämpft werden. Es<br />

geht um die weltweite Durchsetzung <strong>einer</strong>, wie es Dieter Senghaas nennt,<br />

„Politik der Verteilungsgerechtigkeit“.(41)<br />

Philosophie, die ihr Friedensengagement heute immer wieder an Immanuel<br />

Kants Konzept vom ewigen Frieden überprüft, hat eine historisch beispiellose<br />

Verantwortung dafür, mit ihren bescheidenen, aber in ihrer Spezifik durch<br />

niemanden anders zu ersetzenden Mitteln den für einen realistischen Weg<br />

zur rechtzeitigen Entschärfung und friedlichen Lösung der <strong>globalen</strong> Konfliktpotentiale<br />

unerläßlichen Wertewandel herbeiführen zu helfen. „Nur wenn<br />

der Mensch anders wird durch die ‘Revolution der Denkungsart’, die Kant<br />

begriff, wird er nicht zugrunde gehen“, schrieb Karl Jaspers und fuhr fort: „Er<br />

steht heute vor der Alternative: entweder Untergang der Menschheit oder<br />

Wandlung des Menschen [...].“(42) Nur die weltweite massenhafte Veränderung<br />

der Werte, von denen sich die Menschen in ihrem Handeln leiten<br />

lassen, kann schließlich auch einmal ihren politischen Willen hervorbringen,<br />

alle gesellschaftlichen Verhältnisse zu überwinden, die eine friedlich Lösung<br />

der <strong>globalen</strong> Konfliktpotentiale unmöglich machen. M<strong>einer</strong> Überzeugung<br />

41


42<br />

nach wird das auch der entscheidende Durchbruch dazu sein, den von Karl<br />

Marx definierten kategorischen Imperativ seines revolutionären Humanismus<br />

zu verwirklichen, nämlich weltweit „alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen<br />

der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches<br />

Wesen ist“.(43)<br />

Ich habe keine Illusionen darüber, wie groß die Aufgabe ist, und weiß um die<br />

durchaus reale Möglichkeit des Scheiterns auf diesem Weg. Ich bin seit<br />

längerem nicht mehr davon überzeugt, daß es ein schicksalhaft bestimmtes<br />

Überleben der Menschheit gibt, und lehne deshalb jeglichen „positiven“<br />

Fatalismus ab. Aber ich halte mit Kant die Menschen für fähig zu jener<br />

Vernunft, die sie angesichts der heutigen <strong>globalen</strong> Konfliktpotentiale so<br />

handeln lassen kann, daß die Wirkungen dieser ihrer Handlungen, wie es<br />

Hans Jonas so treffend ausdrückte, „verträglich sind mit der Permanenz<br />

echten menschlichen Lebens auf Erden“.(44) Und ich halte sie für fähig zu<br />

begreifen, daß das zuerst und vor allem den Kampf für die Durchsetzung<br />

<strong>einer</strong> Politik erfordert, die ohne Krieg auskommt. Aktueller denn je ist nach<br />

dem Ende der weltpolitischen Bipolarität und dem unübersehbaren Beginn<br />

weltweiter Auseinandersetzungen um eine neue Weltordnung, was Berthold<br />

Brecht nach dem Beginn des kalten Krieges mit den Worten gefordert hat:<br />

„Seien wir einfach für den Frieden! Diffamieren wir alle Regierungen, die den<br />

Krieg nicht diffamieren. Erlauben wir nicht, daß über die Zukunft der Kultur<br />

die Atombombe entscheidet.“(45)<br />

Anmerkungen<br />

( 1) Kant, Immanuel: Zum ewigen Frieden, Ein philosophischer Entwurf, in:Kant,<br />

Immanuel: Von den Träumen der Vernunft, hrsg. v. St. u. B. Dietzsch,<br />

Leipzig/Weimar 1979, S. 426.<br />

( 2) Ebd., S. 420.<br />

( 3) Ebd.<br />

( 4) Geismann, Georg: Kants Rechtslehre vom Weltfrieden, in: Zeitschrift<br />

für Philosophische Forschung, Bd. 37, H. 3, Meisenheim 1983, S. 374.<br />

( 5) Kant, Immanuel: Zum ewigen Frieden, a.a.O., S. 422.<br />

( 6) Kant, Immanuel: Der Streit der Fakultäten, hrsg. v. St. Dietzsch, Leipzig 1984,<br />

S. 93.<br />

( 7) Nach ebd., S. 121.<br />

( 8) Ebd.<br />

( 9) Ebd., S. 124.


(10) Thom, M.: Traktat „Zum ewigen Frieden“. Ein Vermächtnis Kants, in: Bock, H.<br />

(Hrsg.): Krieg oder Frieden im Wandel der Geschichte, Berlin 1989, S. 92.<br />

(11) So qualifiziert der afrikanische Gelehrte Samir Amin das als „Nonproliferationspolitik“<br />

propagierte Streben der imperialistischen Großmächte nach<br />

Monopolisierung ihres Kernwaffenbesitzes durchaus treffend dahingehend, „daß<br />

der Westen sich die Mittel vorbehält, die anderen Völker mit dem Genozid zu<br />

bedrohen, ohne selbst in Gefahr zu geraten.!“ (Amin, Samir: Demokratiekonzepte<br />

aus der Sicht der Dritten Welt, in: epd-Entwicklungspolitik, Nr. 15/1994 -<br />

Dokumentation, Frankfurt a.M.).<br />

(12) Kant, Immanuel: Zum ewigen Frieden, a.a.O., S. 429.<br />

(13) Kant, Immanuel: <strong>Idee</strong> zu <strong>einer</strong> allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher<br />

Absicht, in: Kant, Immanuel: Von den Träumen der Vernunft, a.a.O., S. 213.<br />

(14) Kant, Immanuel: Zum ewigen Frieden, a.a.O., S. 419.<br />

(15) Charta der Vereinten Nationen, Art. 1.1. und Art. 2.1.<br />

(16) Nach Francis Fukuyama „hat das amerikanische Volk die Vereinten Nationen<br />

immer mit Argwohn betrachtet“. Das trifft wohl eher auf die herrschende Klasse<br />

der USA zu, für die die UNO einen „Geburtsfehler“ hat, nämlich das der UN-<br />

Charta zugrundeliegende Prinzip der souveränen Gleichheit aller ihrer<br />

Mitglieder. Deshalb fordert Fukuyama nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes<br />

die USA und deren Verbündete unverblümt auf, sich „mehr an der NATO [zu]<br />

orientieren als an der UNO“. (Fukuyama, Francis: Das Ende der Geschichte. Wo<br />

stehen wir?, München 1992, S. 278 f.) Damit hat er nur offen erklärt, was<br />

spätestens seit dem zweiten Golfkrieg Praxis ist: permanente Versuche, sich die<br />

UNO dadurch unterzuordnen und zu demontieren, daß die USA über die NATO<br />

vorgeben, was die UNO zu tun und zu lassen habe.<br />

(17) Ruf, Werner: Die neue Welt-UN-Ordnung. Vom Umgang des Sicherheitsrates<br />

mit der Souveränität der „Dritten Welt“, Münster 1994, S. 188, 225.<br />

(18) Vgl. ebd., S. 74 ff. Siehe auch: Clark, R.: Wüstensturm. US-Kriegsverbrechen am<br />

Golf, Göttingen 1993.<br />

(19) Huntington, Samuel P.: The Clash of Civilizations, in: Foreign Affairs, Sommer<br />

1993, S. 39, Zit. nach Ruf, a.a.O., S. 89 f.<br />

(20) Ruf, a.a.O., S. 146.<br />

(21) Ebd., S. 164.<br />

(22) Deile, Volkmar: Frieden und Menschenrechte nach dem Ende des Ost-West-<br />

Konfliktes und dem zweiten Golfkrieg, in: Shalom, Ausgabe 2/1992. Schwerte,<br />

S. 14.<br />

(23) Ruf, a.a.O., S. 188.<br />

(24) Verteidigungspolitische Richtlinien, Ziff. 8(3) und (8).<br />

(25) Weißbuch der Bundesregierung 1994, Ziff. 242.<br />

(26) Clark, a.a.O., S. 40.<br />

(27) Altvater, E.: Ressourcenkrieg am Golf? Das Öl und die neue Weltordnung, zit.<br />

nach: Ruf, a.a.O., S. 71.<br />

(28) Siehe u.a.: Bator, a:/Lambrecht, R.: Kleines Risiko - geringe Wirkung? Das USA-<br />

Konzept der „Konflikte geringer Intensität“, Berlin 1989; Duchrow, U./<br />

/Eisenbürger, G./Hippler, J. (Hrsg.): Totaler Krieg gegen die Armen, München<br />

1989; Duchrow, U.: Europa im Weltsystem 1492-1992, Bremen 1991 (Beilage<br />

zu: Junge Kirche, Bremen, H. 9/1991), bes. S. 7 f.<br />

43


44<br />

(29) „Clinton kündigt neue Verteidigungsinitiative an“, in: Amerika Dienst, Bonn,<br />

Nr. 48 vom 7.12.94.<br />

(30) Weißbuch der Bundesregierung 1994, Ziff. 571-573, 585.<br />

(31) Sie wurden von 1970 bis 1980 bereits vervierfacht und dann bis 1994 noch<br />

einmal verdoppelt. Vgl. Shimbun, Asahi:Japan Almanac, Tokio 1995, S. 65 f.<br />

(32) Nach: Blau, H.: Das Beben von Kobe, in: Marxistische Blätter, Essen,<br />

H. 2/1995, S. 5.<br />

(33) Was die diesbezüglichen bisherigen Praktiken betrifft, sei hier nur an folgende<br />

völkerrechtswidrige Überfälle und Interventionshandlungen der USA erinnert:<br />

April 1984 Verminung der Häfen Nicaraguas; März und April 1986 Luftangriffe<br />

auf Libyen; 1990 Intervention in Panama zur Festnahme General Noriegas, was<br />

nahezu 5000 Zivilisten das Leben kostete.<br />

(34) Kinkel, Klaus: Verantwortung, Realismus, Zukunftssicherung. Deutsche Außenpolitik<br />

in <strong>einer</strong> sich neu ordnenden Welt, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung,<br />

Frankfurt a.M., vom 19.3.1993.<br />

(35) Weizsäcker, Richard von: Die Welt braucht eine schnelle Eingreiftruppe, in:<br />

Die Zeit, Hamburg, Nr. 26 vom 23.6.1995, S. 3.<br />

(36) Biedenkopf, Kurt: Wachstum bis zur Katastrophe?, in: Die Zeit, Hamburg,<br />

Nr. 40 vom 26.9.91.<br />

(37) Hengsbach, Friedhelm: Ohne Umverteilung geht es nicht, in: Die Zeit, Hamburg,<br />

Nr. 10 vom 3.3.1995.<br />

(38) Meadows, D. u. D./Randers, J.: Die neuen Grenzen des Wachstums, Reinbeck<br />

1993, S. 30.<br />

(39) Hinkelammert, F.J./Arntz, N.: Das Überleben aller Menschen sichern, in<br />

Orientierung , Zürich, Nr. 58(1994), S. 174.<br />

(40) Fetscher, Iring: An der Schwelle zu einem neuen Jahrtausend: Ist der Fortschritt<br />

noch zu retten?, in: Utopie kreativ, Berlin, H. 57 (Juli 1995), S. 18.<br />

(41) Senghaas, Dieter: Europa 2000, Frankfurt a.M. 1990, S. 352.<br />

(42) Jaspers, Karl: Kants „Zum ewigen Frieden“, in: Philosophie und Welt. Reden und<br />

Aufsätze, München 1958, S. 134.<br />

(43) Marx, Karl: <strong>Zur</strong> Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie, Einleitung, in: MEW,<br />

Bd. 1, Berlin 1956, S. 385.<br />

(44) Jonas, Hans: Das Prinzip Verantwortung. Versuch <strong>einer</strong> Ethik für die technologische<br />

Zivilisation, Frankfurt a.M. 1984, S. 36.<br />

(45) Brecht, Berthold: An den Kongreß für kulturelle Freiheit, in: Schriften zur Politik<br />

und Gesellschaft, Bd. II, Berlin/Weimar 1968, S. 211.<br />

Autor:<br />

Prof. Dr. Dr. Ernst W o i t<br />

Liliengasse 15<br />

01067 D r e s d e n

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