DIPLOMARBEIT - Institut für Germanistik - Universität Wien
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historisch und politisch besetzten Gebiet dar, “um die Differenz zur Gegenstandskonstruktion<br />
anderer Medien um so deutlicher ausstellen zu können.” 173<br />
In diesem Gegenprogramm richtet sich der Beobachter frontal gegen den medialen<br />
Wahrnehmungsschemata, will diese umkehren, um schließlich die Zonen von Sichtbarkeit<br />
und Unsichtbarkeit zu vertauschen. 174 Interessanter Weise wurde dieses Programm von der<br />
Kritik, welche auch hauptsächlich im massenmedialen Diskurs stattfand, zwar<br />
wahrgenommen, jedoch reflektierten sie ihre eigenen Wahrnehmungsmechanismen, die im<br />
Reisebericht angeprangert werden, nicht. Diese mangelnde Selbstreferenz der Massenmedien<br />
sowie die unzulängliche Thematisierung ihrer eigenen Beobachterposition greift Handke in<br />
seinem literarischen Diskurs auf. Dem stellt er die Sichtbarmachung seiner eigenen<br />
Beobachterposition, also die Wahrnehmung seiner eigenen Wahrnehmung entgegen. Im<br />
systemimmanenten Prozess der Medien bleiben deren Wahrnehmungsmechanismen und<br />
Darstellungskonventionen im Unklaren. Dabei bestimmen gerade diese, was und wie über<br />
etwas berichtet wird, weshalb auch Handke sich wünschen würde, dass die<br />
Darstellungskonventionen offen gelegt werden:<br />
“[...]ich wäre sehr zufrieden, wenn ich in einer europäischen oder amerikanischen<br />
Tageszeitung einen Artikel lesen könnte, in dem ein Journalist erklärt, wie er an seine<br />
Informationen gekommen ist, wie er nach Jugoslawien gelangt ist, wer ihm die Reise<br />
bezahlt hat, ob er Jugoslawien vor dem Krieg kannte, ob er die Sprache spricht, wer sein<br />
Dolmetscher ist [...].” 175<br />
Was Handke hier an der Berichterstattung bemängelt, hält er selbst in der “Winterlichen<br />
Reise” ein. Der Beobachter erläutert seine Absichten, stellt die Reise dar und reflektiert<br />
fortwährend seine eigene Wahrnehmung. Das ist es auch, was Handke “am Journalismus<br />
fehlt” 176 .<br />
In der “Kultur der Lüge” verhält es sich durchaus ähnlich. Dabei stehen die einheimischen,<br />
also die kroatischen Medien im Fokus ihrer Kritik. Besonders der Einfluss der Politik auf die<br />
Medien bzw. die bereitwillige Übernahme der politischen Ziele werden verurteilt. Die<br />
173 Hubert Winkel: Gleiten und Stottern. S. 73.<br />
174 Vgl. Ebd. S. 71 und 81.<br />
175 Bru Rovira: “Die Serben gelten heute automatsich als die Schuldigen, und Fragen werden nicht gestellt”<br />
Peter Hankde im Gespräch mit Bru Rovira. - In: Thomas Deichmann: Noch einmal <strong>für</strong> Jugoslawien. S. 201.<br />
176 Vgl. Ebd. S. 201.<br />
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