Leben im Vierkanthof Leben im Vierkanthof - Österreich Journal
Leben im Vierkanthof Leben im Vierkanthof - Österreich Journal
Leben im Vierkanthof Leben im Vierkanthof - Österreich Journal
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
ÖSTERREICH JOURNAL NR. 110 / 02. 08. 2012<br />
Serie »<strong>Österreich</strong>er in Hollywood«<br />
93<br />
Foto: Archiv Rudolf Ulrich<br />
richtig Fuß zu fassen. 1938 beschloß er, eine<br />
„talent agency“ zu eröffnen, mit der er eine<br />
einzigartige Stellung in der Filmwelt eroberte.<br />
John und dessen Vater Walter Huston<br />
waren seine ersten Klienten. Binnen<br />
Jahresfrist betreute Kohners Team neben<br />
prominenten Amerikanern eine erlesene<br />
europäische Künstlerschar. Eine Liste der<br />
frühen 40er-Jahre führt u.a. Greta Garbo,<br />
Pola Negri, Marlene Dietrich und Albert<br />
Bassermannu an, dazu die <strong>Österreich</strong>er Vicki<br />
Baum, Salka Viertel, Helene Th<strong>im</strong>ig, Gisela<br />
Werbezirk, Erich von Strohe<strong>im</strong>, Billy<br />
Wilder, Gottfried Reinhardt, Fritz Lang,<br />
Peter Lorre, Robert Stolz, Fritz Kortner,<br />
Ernst Deutsch und Alexander Granach.<br />
Kohner vertrat die US-Stars Rita Hayworth,<br />
Bette Davis, Lana Turner und Henry Fonda,<br />
außerdem eine Reihe großer Europäer, darunter<br />
Jeanne Moreau, Maurice Chevalier,<br />
David Niven, Liv Ullmann und Ingmar<br />
Bergman.<br />
Seine Bemühungen galten aber nicht nur<br />
Personen, die in der Filmkolonie schon<br />
einen Namen hatten. Nach dem „Anschluß“<br />
<strong>Österreich</strong>s und dem Ausbruch des Zweiten<br />
Weltkrieges sahen unzählige in europäischen<br />
Ländern festsitzende Filmschaffende in Paul<br />
Kohner ihre letzte Chance, das Fluchtziel<br />
Hollywood zu erreichen. Infolge der Einwanderungsgesetze<br />
unter Präsident Roosevelt<br />
erhielten nur solche Verfolgte Einreisevisa,<br />
die eine finanzielle Bürgschaft oder<br />
einen amerikanischen Arbeitsvertrag vorweisen<br />
konnten. Kohner, Mittler zwischen<br />
den deutschsprachigen Emigranten und der<br />
US-Filmindustrie, der selbst Dutzende von<br />
„affidavits“ ausstellte (etwa 60), versammelte<br />
etablierte Filmkünstler und Freunde um<br />
sich, Ernst Lubitsch, Salka Viertel, William<br />
Dieterle oder Gottfried Reinhardt. Gemeinsam<br />
gründeten sie Anfang Oktober 1939 in<br />
der Hollywood-Villa des Wiener Operettenstars<br />
Fritzi Massary die Organisation des<br />
European Film Fund (EFF), als koordinierte<br />
und finanzielle Hilfsstelle, die von den Nazis<br />
Verfolgte aus Europa nach Amerika brachte<br />
und durch monatliche Einzahlungen von<br />
Spitzenverdienern der Branche das Überleben<br />
auch der weniger erfolgreichen Exilanten<br />
in Hollywood ermöglichte. Daß die<br />
deutschsprachigen Autoren Alfred Döblin,<br />
Alfred Neumann, Paul Frank, Alfred Polgar<br />
und Hans Lustig, von einigen Headstudios<br />
Proforma-Kontrakte erhielten, die ihnen für<br />
eine Übergangszeit das Existenzmin<strong>im</strong>um<br />
sicherten, ging ebenfalls auf die Initiative<br />
des Filmagenten zurück. Zu dessen Mitarbeitern<br />
während dieser Zeit gehörte der spätere<br />
Direktor des Wiener Burgtheaters Ernst<br />
Haeusserman.<br />
Auch nach 1945 setzte sich Paul Kohner,<br />
ein regelmäßiger Besucher der Festivals von<br />
Cannes, Venedig und Berlin, für deutschsprachige<br />
Filmschauspieler und Regisseure<br />
wie Horst Buchholz, O. W. Fischer, Senta<br />
Berger, Oskar Werner, Klaus Maria Brandauer,<br />
Heinz Rühmann und Bernhard Wicki<br />
als deren Agent in Hollywood ein. Er residierte<br />
und regierte fast 50 Jahre in seiner<br />
eher bescheiden wirkenden Agentur in einer<br />
zweistöckigen Art-Déco-Villa am Sunset<br />
Boulevard, in der sein jüngster Bruder<br />
Walter, dem er 1938 die Einreise in die USA<br />
ermöglichte, ab 1946 zum Führungskreis<br />
»<strong>Österreich</strong> <strong>Journal</strong>« – http://www.oesterreichjournal.at<br />
zählte. „Kohner machte Unbekannte bekannt<br />
und Bekannte berühmt“ 1) , in seinem Büro<br />
hingen die Wände voller Bilder mit Widmungen<br />
dankbarer Klienten, zu denen auch<br />
Tochter Susan, Oscar-nominiert für ihre<br />
Rolle in „Imitation of Life“ (1959), und der<br />
als Produzent tätige Sohn Pancho gehörten.<br />
1977 ging Paul Kohner mit Michael Levy<br />
eine Partnerschaft ein, löste diese aber nach<br />
vier Jahren auf. Letztlich dachte er daran, die<br />
Agentur zu veräußern. Da der Verkauf indes<br />
mit der Auflage verbunden war, niemals mehr<br />
in ähnlicher Weise unter eigenem Namen<br />
tätig zu sein, verwarf er den Gedanken, da<br />
dies der Aufgabe seiner Identität gleichgekommen<br />
wäre.<br />
Paul Kohner (Mitte) begrüßte als Supervisor der Produktion das Team für die<br />
deutschsprachige Version »Liebe auf Befehl« (1931) der US-Originalfassung<br />
»Boudoir Diplomat«. V.l.: Johannes Riemann, Tala Birell, Frau Riemann, Olga<br />
Tschechowa, Co-Regisseur Ernst Lämmle (Carl Laemmles Neffe) und Kameramann<br />
Charles Stumar.