Akademische Vorlesungen über das Neue ... - Licht und Recht
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§ 3. Die kirchliche Tradition <strong>über</strong> den Apostel Johannes. 29<br />
wird zwar erst dem Marc Aurel mit Bestimmtheit <strong>das</strong> Gesetz zugeschrieben, si quis aliquid fecerit,<br />
quo leves hominum animi superstitione Numinis terrentur, huiusmodi homines in insulam relegari –<br />
aber auch früher schon war die Verbannung auf eine einsame Insel keine ungewöhnliche Strafe. Patmos<br />
ist eine der Sporadischen Inseln, 18.000 Schritt im Umfang, von Strabo <strong>und</strong> Plinius nur im Vorbeigehen<br />
erwähnt. Sie ist ein unfruchtbarer Felsen, von etwa 300 Menschen bewohnt. (Tournefort,<br />
voyage du Levant Tom. 1. p. 168). Nach Bochart bedeutet der Name: palmosa vom Arab. .בטם Wie<br />
Paulus aus Roms Gefangenschaft, so schrieb Joh. von diesem einsamen Felsen, wohin er des Wortes<br />
Gottes <strong>und</strong> Zeugnisses Jesu wegen verbannt war, seine letzte Schrift, die Offenbarung, die ihm Gott<br />
<strong>über</strong> die Zukunft der Gemeinden gegeben hatte. Dass auch hier wieder Juden es waren, die in Ephesus<br />
<strong>und</strong> den andern Gemeinden Klein-Asiens die Gemüter den Aposteln entfremdeten <strong>und</strong> darum<br />
Nicolaiten (λαὸν νικᾶν) genannt werden, ist z. B. aus c. 2,9 deutlich zu sehen. Die Stimme der Apostel<br />
konnte nicht mehr durchdringen; im Großen <strong>und</strong> Ganzen machte sich eine andere Lehre geltend,<br />
welche den irdischen Begierden der Menschen Spielraum ließ, dagegen äußerliche Zucht <strong>und</strong><br />
Satzung des Gesetzes auflegte, Heiligkeit prätendierte <strong>und</strong> die von Gott selbst gepflanzte jüdische<br />
Kirche, <strong>das</strong> Jerusalem hienieden, ausbreiten <strong>und</strong> befestigen wollte, deren Mitgliedschaft der einzige<br />
Weg zur Seligkeit sei. Diese Lehre schien auch ganz durch den Gang der Dinge bestätigt; gerade um<br />
diese Zeit blühte Jerusalem wie kaum je zuvor <strong>und</strong> niemals schien <strong>das</strong> ihm geweissagte Ende weiter<br />
in die Ferne gerückt. Die Zahl der Proselyten wuchs täglich; Paulus, der Apostel <strong>und</strong> Fürsprecher<br />
der ἔθνη, war im Auslande, <strong>und</strong> von dem Eifer des Gesetzes war <strong>das</strong> Volk wie nie beseelt. Was blieb<br />
am Ende den Aposteln übrig, als sich zurückzuziehen? Schon Paulus hatte geschrieben, <strong>das</strong>s in Asien<br />
Alle ihn verlassen; Joh. schreibt im 3. Briefe v. 9, <strong>das</strong>s er der Gemeinde geschrieben, aber <strong>das</strong>s ὁ<br />
φιλοπρωτεύων derselben Διοτρεφής ihn nicht annehme. So ist es denn gekommen, <strong>das</strong>s die treuen<br />
Schüler der Apostel die Minderzahl ausmachten <strong>und</strong> in den Gemeinden zurücktraten; schon die letzten<br />
Briefe des Joh., Ju<strong>das</strong> <strong>und</strong> Petrus wurden nicht von allen Gemeinden aufgenommen, weil sie zu<br />
ernst <strong>und</strong> drohend waren; es wurde die Lehre herrschend, welche Paulus dem Tim. 1. Brief c. 4; 2.<br />
Brief c. 3 so kenntlich beschrieben hatte. In der Tat finden wir gerade die Lehre in der späteren Kirche<br />
herrschend, welche die Apostel in ihren letzten Briefen so entschieden bekämpfen. So stand es,<br />
als Joh. auf Patmos war. Da endlich kam Christus, als die meisten Apostel schon ihren Glauben mit<br />
dem Blute besiegelt hatten, um an Jerusalem, der Stadt, die ihn <strong>und</strong> seine Apostel verworfen, seine<br />
Herrlichkeit <strong>und</strong> Wahrheit zu offenbaren im Gericht; Joh. hat bis dahin gelebt, bis nach der gewaltigsten<br />
aller Katastrophen der Herr gekommen ist, seinen treuen Diener zu sich heimzuholen (c. 21).<br />
Über die Gemeinden aber <strong>und</strong> diejenigen, welche sich ein Ansehen gegen die Apostel erworben, hat<br />
sich der Schatten der Nacht gelagert – die Geschichte schweigt von ihnen. Freilich lebten <strong>und</strong> bestanden<br />
sie fort <strong>und</strong> haben auch die Kirche fortgepflanzt – aber was haben Justin, Irenäus, Clemens<br />
<strong>und</strong> die Andern durch die Tradition der Gemeinden, die successio der apostolischen Sitze <strong>über</strong>kommen?<br />
Jeder Unbefangene muss anerkennen, <strong>das</strong>s die Lehre der sogenannten apostolischen Väter<br />
von der der Apostel durchaus verschieden ist, <strong>und</strong> <strong>das</strong>s, was geistlich zu verstehen, bei ihnen<br />
fleischlich gedeutet ist. Von den Aposteln selbst ist kaum eine einzige genaue <strong>und</strong> sichere Nachricht<br />
bei den sedibus apostolicis zu finden, eben so wenig von ihren Schülern. Das Einzige, was sie besitzen<br />
<strong>und</strong> auch uns <strong>über</strong>liefert haben, sind der Apostel Schriften – <strong>das</strong> Wort Gottes, welches die Geschlechter<br />
der Menschen <strong>über</strong>dauert. Durch diese Sachlage ist die Beschaffenheit der kirchlichen<br />
Tradition, wie sie uns am Ende des 2. Saec. entgegentritt, völlig erklärt.<br />
Aus dieser Darlegung leuchtet von selbst ein, wie irrig die Vorstellung eines sog. Johanneischen<br />
Zeitalters ist, welche besonders von Rothe (Anfänge der christlichen Kirche) ausgebildet, aber auch<br />
von Neander, Lücke u. A. teilweise gebilligt ist. Nach des Paulus Tode soll nämlich Joh. in Ephesus<br />
die ganze Kirche geleitet, er soll nach der Meinung schon vieler Alten den Kanon gesammelt, oder