Albvereinsblatt_2011-04.pdf
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
100 Jahre Römerturm Köngen und<br />
Schwäbischer Albverein<br />
Von Reinhard Wolf<br />
Ab etwa 1860 begann sich das Bürgertum für Geschichte<br />
und Natur der näheren und weiteren Umgebung zu interessieren.<br />
Zuvor hatten nur einzelne Wissenschaftler oder<br />
aber auch Landesherren wie König Friedrich an Funden<br />
aus der Vergangenheit und Naturphänomenen Interesse<br />
und Sammelleidenschaft gezeigt. Die Gründung der Reichslimeskommission<br />
1877 zur Untersuchung der Hinterlassenschaften<br />
der Römer war eine Folge des zunehmenden<br />
Interesses.<br />
Erste systematische Grabungen auf dem Gelände des Römerkastells<br />
Köngen im Jahr 1885 durch Eduard von Kallee<br />
ergaben, dass die Fundamente des südlichen Eckturms<br />
bestens erhalten waren. Staatliche Denkmalbehörden gab<br />
es aber noch nicht, ebenso wenig entsprechende Gesetze,<br />
die wertvolle Funde geschützt hätten. So kam es, dass ein<br />
vermögender Privatmann, Fabrikant Stitz jr., Esslingen, 1886<br />
das Gelände des Eckturms in einer Größe von knapp 5 ar<br />
käuflich erwarb. Gleichzeitig sammelten Honoratioren aus<br />
dem Raum Esslingen –Plochingen – heute würde man sagen:<br />
Sponsoren – Finanzmittel in der Absicht, den Eckturm<br />
und die benachbarte Wehrmauer wieder herzustellen.<br />
Zwei Jahre später, 1888, kam es in Plochingen zur Gründung<br />
des Schwäbischen Albvereins. Der konkrete Anlass<br />
hierzu war zwar der beabsichtigte Wiederaufbau der Burg<br />
Teck, doch ist anzunehmen, dass auch das Kastell Köngen<br />
einen Einfluss hatte: Die Zeit war einfach reif für eine Vereinigung,<br />
die sich Denkmalpflege, Naturschutz und das<br />
Wandern als die beste Möglichkeit, Denkmale und Natur<br />
zu erkunden, auf die Fahnen schrieb.<br />
Die Zusammenhänge zwischen dem Kastell Köngen und<br />
dem jungen Schwäbischen Albverein werden deutlich, wenn<br />
man erfährt, dass Fabrikant Stitz 1901 dem Verein sein<br />
Grund stück schenkte, allerdings mit der Verpflichtung, die<br />
aufgegrabenen Turmfundamente in gutem Stand zu erhalten<br />
und nach Möglichkeit auszubauen. Der damalige Schriftleiter<br />
der „Blätter des Schwäbischen Albvereins“ Prof. Eugen<br />
Nägele und Johannes Kuder, Schulleiter in Köngen und<br />
erster Vertrauensmann der OG Köngen, betrieben fortan<br />
den Wiederaufbau des Eckturms. Die Veranschaulichung<br />
eines Bauwerks aus der Römerzeit, sicher aber auch der<br />
26<br />
Das heutige »Römische Museum« liegt im archäologische Park<br />
Köngen (links). Modell des Kastells Grinario im Römerpark<br />
(rechts).<br />
(damals) schöne Blick über‘s Neckartal zur Alb waren die<br />
Motivation für das Bauvorhaben.<br />
Es gab zu jener Zeit in Württemberg kein einziges wieder<br />
aufgebautes Bauwerk aus der Römerzeit, das hätte veranschaulichen<br />
können, wie die Römer hierzulande gelebt hatten.<br />
Man hatte nicht einmal eine Vorstellung, wie ein Kastell,<br />
ein Wachturm oder ein römischer Gutshof aussah. Oskar<br />
Paret veröffentlichte 1912 erstmals eine Rekon struktions<br />
zeichnung einer villa rustica (Ludwigsburg-Hoheneck)!<br />
Was wir heute fast wie selbstverständlich in Museen und<br />
Freilichtgeländen sehen und erleben können – Aalen, Hechingen-Stein,<br />
Welzheim, Limeswachtürme usw. –, gab es<br />
damals in Deutschland nur an einer Stelle, nämlich in der<br />
Saalburg im Taunus (rekonstruiert 1897 bis 1907). So nimmt<br />
nicht wunder, dass Eugen Nägele in den Albvereinsblättern<br />
Nr. 4 / 1902 schrieb: »Im Kastell Köngen könnte unser<br />
Land eine Saalburg besitzen, wenn nicht in wenigen Jahrzehnten<br />
mehr verloren gegangen wäre als in anderthalb<br />
Jahrtausenden«.<br />
Die nagelneue Saalburg war also das große Vorbild, und<br />
so ließ Eugen Nägele die Pläne zum Wiederaufbau des<br />
Kön gener Kastellturms von Heinrich Jacobi, dem damaligen<br />
Direktor des Saalburgmuseums, erstellen. Kein Wunder,<br />
dass die Bauten bis in Details übereinstimmen, auch<br />
wenn man hier wie dort mangels genauer Kenntnisse rela -<br />
tiv frei rekonstruierte. Dies zeigt sich beispielsweise an den<br />
Mauerzinnen, die, wie man heute weiß, viel zu eng stehen<br />
und eher einer mittelalterlichen Burganlage als einem Römerbauwerk<br />
entsprechen.<br />
Aushängeschild Römerturm<br />
Am 10. Dezember 1911 konnten der wieder erstandene<br />
Eckturm und das kleine zweigeschossige Museum festlich<br />
eingeweiht werden. Kastell Köngen war zusammen mit der<br />
Teck ein »Aushängeschild« des Albvereins. In der Folgezeit<br />
wurden Turm und Museum vor allem von Schülern viel be-