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Theodor W. Adorno / Max Horkheimer - Dialektik der Aufklärung zur ...

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allgegenwärtig und blind. Natur an sich ist we<strong>der</strong> gut, wie die alte, noch edel, wie die neue Romantik<br />

es will. Als Vorbild und Ziel bedeutet sie den Wi<strong>der</strong>geist, die Lüge und Bestialität, erst als erkannte<br />

wird sie zum Drang des Daseins nach seinem Frieden, zu jenem Bewußtsein, das von Beginn an den<br />

unbeirrbaren Wi<strong>der</strong>stand gegen Führer und Kollektiv begeistet hat. Der herrschenden Praxis und ihren<br />

unentrinnbaren Alternativen ist nicht die Natur gefährlich, mit <strong>der</strong> sie vielmehr zusammenfällt, son<strong>der</strong>n<br />

daß Natur erinnert wird.<br />

PROPAGANDA<br />

Propaganda für die Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Welt, welch ein Unsinn! Propaganda macht aus <strong>der</strong> Sprache ein<br />

Instrument, einen Hebel, eine Maschine. Propaganda fixiert die Verfassung <strong>der</strong> Menschen, wie sie<br />

unterm gesellschaftlichen Unrecht geworden sind, indem sie sie in Bewegung bringt. Sie rechnet<br />

damit, daß man mit ihnen rechnen kann. Im tiefsten weiß je<strong>der</strong>, daß er durch das Mittel selber zum<br />

Mittel wird wie in <strong>der</strong> Fabrik. Die Wut, die sie in sich spüren, wenn sie ihr folgen, ist die alte Wut gegen<br />

das Joch, durch die Ahnung verstärkt, daß <strong>der</strong> Ausweg, den die Propaganda weist, <strong>der</strong> falsche ist. Die<br />

Propaganda manipuliert die Menschen; wo sie Freiheit schreit, wi<strong>der</strong>spricht sie sich selbst.<br />

Verlogenheit ist unabtrennbar von ihr. Die Gemeinschaft <strong>der</strong> Lüge ist es, in <strong>der</strong> Führer und Geführte<br />

durch Propaganda sich zusammenfinden, auch wenn die Inhalte als solche richtig sind. Noch die<br />

Wahrheit wird ihr ein bloßes Mittel, zum Zweck Anhänger zu gewinnen, sie fälscht sie schon, indem<br />

sie sie in den Mund nimmt. Deshalb kennt wahre Resistenz keine Propaganda. Propaganda ist<br />

menschenfeindlich. Sie setzt voraus, daß <strong>der</strong> Grundsatz, Politik solle gemeinsamer Einsicht<br />

entspringen, bloß eine façon de parler sei.<br />

In einer Gesellschaft, die dem drohenden Überfluß wohlweislich Grenzen setzt, verdient, was jedem<br />

von an<strong>der</strong>en empfohlen wird, Mißtrauen. Die Warnung gegenüber <strong>der</strong> Geschäftsreklame, daß kein<br />

Unternehmen etwas verschenkt, gilt überall, nach <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Fusion von Geschäft und Politik<br />

vorab gegen diese. Das Maß <strong>der</strong> Anpreisung nimmt zu mit <strong>der</strong> Abnahme <strong>der</strong> Qualität, an<strong>der</strong>s als ein<br />

Rolls Royce ist <strong>der</strong> Volkswagen auf Reklame angewiesen. Die Interessen von Industrie und<br />

Konsumenten harmonieren nicht einmal, wo jene ernsthaft etwas bieten will. Sogar die Propaganda<br />

<strong>der</strong> Freiheit kann sich als verwirrend herstellen, sofern sie die Differenz zwischen <strong>der</strong> Theorie und <strong>der</strong><br />

partikularen Interessenlage <strong>der</strong> Angeredeten nivellieren muß. Die in Deutschland erschlagenen<br />

Arbeiterführer wurden vom Faschismus noch um die Wahrheit ihrer eigenen Aktion betrogen, weil<br />

jener die Solidarität durch die Selektion <strong>der</strong> Rache Lügen strafte. Wenn <strong>der</strong> Intellektuelle im Lager zu<br />

Tode gequält wird, brauchen die Arbeiter draußen es nicht schlechter zu haben. Der Faschismus war<br />

nicht dasselbe für Ossietzky und das Proletariat. Die Propaganda hat beide betrogen.<br />

Freilich: suspekt ist nicht die Darstellung <strong>der</strong> Wirklichkeit als Hölle, son<strong>der</strong>n die routinierte<br />

Auffor<strong>der</strong>ung, aus ihr auszubrechen. Wenn die Rede heute an einen sich wenden kann, so sind es<br />

we<strong>der</strong> die sogenannten Massen, noch <strong>der</strong> Einzelne, <strong>der</strong> ohnmächtig ist, son<strong>der</strong>n eher ein<br />

eingebildeter Zeuge, dem wir es hinterlassen, damit es doch nicht ganz mit uns untergeht.<br />

ZUR GENESE DER DUMMHEIT<br />

Das Wahrzeichen <strong>der</strong> Intelligenz ist das Fühlhorn <strong>der</strong> Schnecke »mit dem tastenden Gesicht«, mit<br />

dem sie, wenn man Mephistopheles glauben darf[230], auch riecht. Das Fühlhorn wird vor dem<br />

Hin<strong>der</strong>nis sogleich in die schützende Hut des Körpers <strong>zur</strong>ückgezogen, es wird mit dem Ganzen wie<strong>der</strong><br />

eins und wagt als Selbständiges erst zaghaft wie<strong>der</strong> sich hervor. Wenn die Gefahr noch da ist,<br />

verschwindet es aufs neue, und <strong>der</strong> Abstand bis <strong>zur</strong> Wie<strong>der</strong>holung des Versuchs vergrößert sich. Das<br />

geistige Leben ist in den Anfängen unendlich zart. Der Sinn <strong>der</strong> Schnecke ist auf den Muskel<br />

angewiesen, und Muskeln werden schlaff mit <strong>der</strong> Beeinträchtigung ihres Spiels. Den Körper lähmt die<br />

physische Verletzung, den Geist <strong>der</strong> Schrecken. Beides ist im Ursprung gar nicht zu trennen.<br />

Die entfalteteren Tiere verdanken sich selbst <strong>der</strong> größeren Freiheit, ihr Dasein bezeugt, daß einstmals<br />

Fühler nach neuen Richtungen ausgestreckt waren und nicht <strong>zur</strong>ückgeschlagen wurden. Jede ihrer<br />

Arten ist das Denkmal ungezählter an<strong>der</strong>er, <strong>der</strong>en Versuch zu werden schon im Beginn vereitelt<br />

wurde; die dem Schrecken schon erlagen, als nur ein Fühler sich in <strong>der</strong> Richtung ihres Werdens regte.<br />

Die Unterdrückung <strong>der</strong> Möglichkeiten durch unmittelbaren Wi<strong>der</strong>stand <strong>der</strong> umgebenden Natur ist nach

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