Theodor W. Adorno / Max Horkheimer - Dialektik der Aufklärung zur ...
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die emsig betonte Unerfahrenheit <strong>der</strong> Jungen diese immer wie<strong>der</strong> dazu verführen, das Ideal ernst zu<br />
nehmen, das man ihnen pragmatisch vorsetzt: man ist nie ganz sicher, ob die Integration früh und<br />
radikal genug vollbracht wurde. Die Eyths und Freytags springen da hilfsbereit ein. Unter dem<br />
Deckmantel <strong>der</strong> abenteuerlichen Begebenheit schmuggeln sie die Konterbande <strong>der</strong> Utilität ein und<br />
überreden ihren Leser, daß er eigentlich vom Traum gar nichts zu opfern brauche, wenn er Ingenieur<br />
o<strong>der</strong> Handlungsgehilfe werde - vom Traum, <strong>der</strong> selber schon in <strong>der</strong> Klassengesellschaft auf die<br />
Dingwelt vereidigt ist und auf die Imago des Lokomotivführers und Konditors sich richtet, ehe die<br />
gediegene Jugendliteratur auf ihn losgelassen wird. Vielleicht war bereits <strong>der</strong> phantastische Robinson<br />
nichts an<strong>der</strong>es, <strong>der</strong> das Modell des homo oeconomicus erstellt, von einem glückseligen Schiffbruch<br />
aus dem System <strong>der</strong> bürgerlichen Gesellschaft entführt, bloß um diese, wie es in den Jugendschriften<br />
heißt, »aus eigener Kraft« zu reproduzieren. Alles, auch <strong>der</strong> Krieg, hat seine Poesie, wäre es selbst<br />
Eyths Lyrik und die Arbeiterdichter. Übers Flaggenlied führt sie, mens sana in corpore sano, zu<br />
kolonialer Expansion und Werkgemeinschaft. Die totale Massenkultur heute ersetzt das 'Neue<br />
Universum'. Noch die schnittigsten Photographien von Flugzeugen über den Wolken, noch die<br />
virtuosen Lichtreflexe auf dem Rä<strong>der</strong>werk, noch das durchfurchte Antlitz des gut herausgegriffenen<br />
Repräsentanten <strong>der</strong> common folks imitieren jene perfide Treuherzigkeit, die dem liberalen Kind als<br />
Goldenes Buch <strong>der</strong> Technik den Weihnachtstisch verzierte. Im Kino, <strong>der</strong> Mesalliance von Roman und<br />
Photographie, wird die Auch-Poesie total; so gegenwärtig ist sie in jedem Detail, daß sie als solche<br />
gar nicht mehr sich auszusprechen braucht. Nur die Macht, die heute hinter <strong>der</strong> Alltagspoesie steht<br />
und mit waschechter und verschwen<strong>der</strong>ischer Aufmachung imponiert, vermag die Erwachsenen über<br />
die verlängerte Kindheit zu täuschen, die man ihnen bereitet, damit sie um so erwachsener<br />
funktionieren. Jedem Stück emphatischer Nüchternheit wird <strong>der</strong> Schauer des Poetischen zugemutet.<br />
Das »Oha <strong>der</strong> Bewun<strong>der</strong>ung, das die objektive Großaufnahme gerade noch verschluckt, plappert die<br />
lyrische Begleitmusik schon aus. Der Schauer lebt von <strong>der</strong> Übermacht <strong>der</strong> Technik als ganzer - und<br />
des Kapitals, das hinter ihr steht - über jedes einzelne Ding. Das ist die Transzendenz in <strong>der</strong><br />
Massenkultur. Das dichterische Geheimnis des Produkts, sein Mehr als es selber Sein, besteht in<br />
seiner Teilhabe an <strong>der</strong> Unendlichkeit <strong>der</strong> Produktion, und die Ehrfurcht, die von <strong>der</strong> Nüchternheit<br />
bewerkstelligt wird, fügt sich dem Schema <strong>der</strong> Reklame ein. Gerade in dem Nachdruck auf bloßem<br />
Dasein, das so stark und groß sein soll, daß keine subjektive Intention etwas darüber vermag - und<br />
dieser Nachdruck entspricht <strong>der</strong> wahren Ohnmacht <strong>der</strong> Kunst gegenüber <strong>der</strong> Gesellschaft heute -<br />
versteckt sich die Verklärung, gegen welche die Nüchternheit gestikuliert. Dasein wird zu seiner<br />
eigenen Ideologie durch die Zauberei seiner treuen Verdopplung. So webt sich <strong>der</strong> technologische<br />
Schleier, <strong>der</strong> Mythos des Positiven. Wird aber das Reale zum Bild, indem es in seiner Partikularität<br />
dem Ganzen so gleicht, wie ein Fordwagen allen an<strong>der</strong>en <strong>der</strong>selben Serie, so werden umgekehrt die<br />
Bil<strong>der</strong> <strong>zur</strong> unmittelbaren Realität. Zum vielberufenen ästhetischen Bildbewußtsein kommt es nicht<br />
mehr. Jede Leistung <strong>der</strong> Phantasie, die Erwartung, daß sie von sich aus die disjekten Elemente des<br />
Wirklichen zu dessen Wahrheit versammle, wird als ungebührliches Ansinnen fortgewiesen. Phantasie<br />
wird durch die automatisch verbissene Kontrolle darüber substituiert, ob auch die letzte imago, die <strong>zur</strong><br />
Verteilung gelangt, das genaue, sachkundige und zuverlässige Abbild des entsprechenden<br />
Stückchens Wirklichkeit sei. Vom ästhetischen Schein ist nur noch <strong>der</strong> leere, abstrakte Schein einer<br />
Differenz von Kultur als solcher und Praxis als solcher übrig, gleichsam die Arbeitsteilung zwischen<br />
verschiedenen Departements <strong>der</strong> Produktion. Die Kraft des ästhetischen Bildbewußtseins in <strong>der</strong><br />
Rezeption <strong>der</strong> Kunstwerke ist fragwürdig seit je. Sie war an Bildungsprivileg und Muße gebunden und<br />
gehört in ihrer Reinheit weit eher dem philosophischen Begriff von Kunst als dem gesellschaftlichen<br />
Schicksal <strong>der</strong> Kunstwerke und den gesellschaftlichen Bedingungen ihrer Produktion an. Der<br />
vorwaltende Anteil an <strong>der</strong> Stoffschicht <strong>der</strong> Werke, ein hartnäckiges Symptom fürs Mißlingen <strong>der</strong><br />
bürgerlichen Zivilisation, verrät zugleich etwas von <strong>der</strong> Unwahrheit <strong>der</strong> ästhetischen Autonomie selber:<br />
ihrer Allgemeinheit bleibt Ideologie gesellt, solange <strong>der</strong> reale Hunger im ästhetischen nach den<br />
Stoffen ungebärdig sich fortsetzt. Sind aber die Kunstwerke intermittierend nur als Kunstwerke<br />
apperzipiert worden, dann hat die Massenkunst die von <strong>der</strong> Gesellschaft blind am Leben erhaltene<br />
Kunstfremdheit <strong>der</strong> Massen als Voraussetzung in die Produktion aufgenommen, von <strong>der</strong> sie lebt und<br />
die sie planvoll reproduziert. Das Kunstwerk wird sein eigener Stoff und die Form Technik seiner<br />
Reproduktion und Präsentation, eigentlich Technik <strong>der</strong> Verteilung eines Realen.<br />
Rundfunkdarbietungen für Kin<strong>der</strong>, die um <strong>der</strong> Warenreklame willen geflissentlich Bild und Realität<br />
ineinan<strong>der</strong> spielen und den Wildwesthelden im nächsten Augenblick den Ruhm <strong>der</strong> Frühstücksflocken<br />
verkünden lassen, die die Schirmherrschaft über das Programm ausüben, sind so bezeichnend wie<br />
die Identifikation von Filmstars mit ihren Rollen durch die Reklame, »The Lovers of 'Burning Sarong'<br />
matched again«. Die Affaire <strong>der</strong> Orson Welles'schen Invasion vom Mars war ein Test, den <strong>der</strong><br />
positivistische Geist über seinen eigenen Einflußbereich anstellte, und er hat ergeben, daß die<br />
Verwischung <strong>der</strong> Grenze von Bild und Realität bereits <strong>zur</strong> kollektiven Erkrankung fortgeschritten ist;<br />
daß die Reduktion des Kunstwerks auf die empirische Vernunft bereit ist, in jedem Augenblick in den<br />
offenen Wahnsinn umzuschlagen, den die Fans, wenn sie dem Lone Ranger Hosen und seinem Pferd