26.10.2012 Aufrufe

Theodor W. Adorno / Max Horkheimer - Dialektik der Aufklärung zur ...

Theodor W. Adorno / Max Horkheimer - Dialektik der Aufklärung zur ...

Theodor W. Adorno / Max Horkheimer - Dialektik der Aufklärung zur ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

ausgetrieben, auch und gerade wo man historische Sujets auskramt. Historie selber wird zum Kostüm<br />

gleich dem Individuum: die gefrorene Mo<strong>der</strong>ne von Monopol und Staatskapitalismus versteckt sich<br />

darin. So gerät die falsche Versöhnung, nämlich das Einziehen jeglicher negativen Gegeninstanz<br />

durchs allmächtige Dasein, die Abschaffung <strong>der</strong> Dissonanz durch die Totalität des Schlechten. Die<br />

Konfliktlosigkeit innerhalb <strong>der</strong> Kunstwerke bekräftigt, daß sie keinen Konflikt zum Leben draußen mehr<br />

austragen, weil das Leben die Konflikte selber in die tiefsten Höhlen des Leidens verbannt und mit<br />

mitleidslosem Druck unsichtbar hält. Die ästhetische Wahrheit war gebunden an den Ausdruck <strong>der</strong><br />

Unwahrheit <strong>der</strong> bürgerlichen Gesellschaft. Eigentlich gibt es gerade nur so viel Kunst wie Kunst<br />

unmöglich ist kraft <strong>der</strong> Ordnung, die sie transzendiert. Darum ist die Existenz all ihrer großen Formen<br />

paradox und mehr als alle an<strong>der</strong>en die des Romans, <strong>der</strong> bürgerlichen Form %xaT' %eboxqv, <strong>der</strong>en<br />

dann <strong>der</strong> Film sich bemächtigt hat. Heute ist mit dem äußersten Anwachsen <strong>der</strong> Spannung die<br />

Möglichkeit <strong>der</strong> Kunstwerke selber ganz fragwürdig geworden. Das Monopol ist <strong>der</strong> Nachrichter: es<br />

löscht die Spannung aus, aber mit den Konflikten schafft es die Kunst ab. Erst in <strong>der</strong> vollendeten<br />

Konfliktlosigkeit wird diese ganz und gar zu einer Abteilung <strong>der</strong> materiellen Produktion und damit<br />

vollends zu <strong>der</strong> Lüge, zu <strong>der</strong> sie stets schon ihr Scherflein beigetragen hat. Zugleich aber kommt sie<br />

<strong>der</strong> Wahrheit wie<strong>der</strong> näher als was an traditioneller Kunst weiter gedeiht, insofern als jede<br />

Konservierung des individuellen Konflikts im Kunstwerk, und meist selbst die Einführung des sozialen,<br />

dem romantischen Schwindel dient, und die Welt als eine möglichen Konflikts noch vergoldet<br />

gegenüber <strong>der</strong>, in welcher die allmächtige Produktion jene Möglichkeit sichtbarer stets zu verdrängen<br />

beginnt. Es liegt an <strong>der</strong> feinsten Differenz, ob die Liquidation des ästhetischen Knotens, <strong>der</strong><br />

Durchführung, des Konflikts die Liquidation des letzten Wi<strong>der</strong>stands bedeutet o<strong>der</strong> das Medium von<br />

dessen geheimer Allgegenwart.<br />

»So etwas tut man doch nicht«, sagt <strong>der</strong> smarte Gerichtsrat Brack, als Hedda Gabler sich erschießt.<br />

Seinen Standpunkt nimmt das Monopol ein. Es entzaubert Individuum und Konflikt durch Sachlichkeit.<br />

Die Allgegenwart <strong>der</strong> Technologie prägt sich den Gegenständen auf und tabuiert das Geschichtliche,<br />

die Spur vergangenen Leidens an Menschen und Dingen, als Kitsch. Prototypisch ist die<br />

Schauspielerin, die noch in den schrecklichsten Gefahren, im tropischen Taifun und in <strong>der</strong> Gewalt des<br />

Mädchenhändlers, frisch gebadet, sorgfältig geschminkt und makellos frisiert einherschreitet. Sie wird<br />

so scharf, genau und unerbittlich photographiert, daß <strong>der</strong> Zauber, den ihr make-up ausüben soll,<br />

durch die Illusionslosigkeit sich erhöht, mit dem er als buchstäblich wahrer und unübertriebener den<br />

Zuschauer anspringt. Massenkultur ist ungeschminkte Schminke. Mehr als mit allem an<strong>der</strong>en<br />

assimiliert sie sich dem Reich <strong>der</strong> Zwecke durch den nüchternen Blick. Die neue Sachlichkeit, die sie<br />

äfft, ist in <strong>der</strong> Architektur entwikelt worden. Sie hat in <strong>der</strong>en Zweckbereich das ästhetische Recht des<br />

Zweckmäßigen gegen die Barbarei vertreten, die <strong>der</strong> Schein des Zwecklosen dort mit sich bringt. Sie<br />

hat Standardisierung und Massenproduktion <strong>zur</strong> Sache <strong>der</strong> Kunst gemacht, wo <strong>der</strong>en Gegenteil zum<br />

Hohn wird aufs Formgesetz, das von draußen stammt. Um so schöner ist das Praktische, je mehr es<br />

auf den Schein von Schönheit verzichtet. Sobald aber Sachlichkeit von den Zwecken losgerissen wird,<br />

entartet sie zu eben jenem Ornament, das sie zu Beginn als Verbrechen denunziert hat. Gerade wo<br />

Film und Radio in technokratischen Visionen und utopistischen Verfahrungsweisen sich überschlagen,<br />

sind sie von <strong>der</strong> Art, wie die avancierte Architektur, ehe sie ihren Frieden mit <strong>der</strong> Welt machte, als<br />

unaufrichtig am leidenschaftlichsten sie bekämpfte. Wollte man die Serienkompositionen von Tin Pan<br />

Alley mit Architektur vergleichen, so dürfte man nicht an die neusachlichen Serienbauten denken,<br />

son<strong>der</strong>n vielmehr an jene Einfamilienhäuser, die Alt- und Neuengland anfüllen: standardisierte<br />

Massenprodukte, die gerade den Anspruch standardisieren, daß jegliches Haus unverwechselbar,<br />

unique, eine Villa sei. Nicht die Standardisierung als solche macht jene Häuser aus dem neunzehnten<br />

Jahrhun<strong>der</strong>t heute so gespenstisch, son<strong>der</strong>n die unablässige Wie<strong>der</strong>holung des Unwie<strong>der</strong>holbaren,<br />

von Säulchen, Erkern, Treppchen und Türmchen. Jedem Produkt <strong>der</strong> Massenkultur läßt diese<br />

Mo<strong>der</strong>atmosphäre in seiner Jugendblüte schon sich anmerken, und <strong>der</strong> vom Monopol dirigierte<br />

Verschleiß macht sie von Jahr zu Jahr sichtbarer. Massenkultur ist mit ihrer eigenen Sachlichkeit<br />

inkompatibel. Sie bezieht sich stets auf Stoffe <strong>zur</strong>ück, <strong>der</strong>en Intention <strong>der</strong> sachlichen Schaustellung<br />

opponiert, während sie ihren Zusammenhang mit <strong>der</strong> herrschenden Praxis vorab durch die<br />

Entlehnung industrieller Methoden demonstriert, aus denen sie Sachlichkeit als Stil bereitet. Das<br />

Verhältnis von Sachlichkeit und Sache ist außersachlich: es wird von <strong>der</strong> Kalkulation bestimmt und<br />

gestört. Die Vollkommenheit des technologischen Wie, <strong>der</strong> Präsentation, des Tricks bei unabdingbarer<br />

Nichtigkeit des Was ist dafür <strong>der</strong> oberste Ausdruck. Die Virtuosität <strong>der</strong> Jazzband, die sich in den<br />

Achttaktern des Schlagerkomponisten ergeht wie ein Raubtier im Käfig, die Einstellungskünste <strong>der</strong><br />

Kamera, welche die seelenvollen Wolkeneffekte von Romanen aus dem neunzehnten Jahrhun<strong>der</strong>t<br />

beliebig hervorbringen, die frequency modulation, die in verwegener Klarheit das Ave Maria von<br />

Gounod zu hören erlaubt- all das ist keine bloße Lücke zwischen ungleichzeitigen Momenten <strong>der</strong><br />

Entwicklung, son<strong>der</strong>n die Ungleichzeitigkeit selber entspringt aus dem zwangshaften quid pro quo von<br />

Traum und Zweck in <strong>der</strong> Massenkultur, so wie die neudeutschen Volkstrachten und Tänze nicht trotz

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!