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Theodor W. Adorno / Max Horkheimer - Dialektik der Aufklärung zur ...

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Sattelzeug schicken, einstweilen halb noch spielen. Die gelungene Fusion von Wachen und Traum<br />

aber kann sich Toleranz gegen die Ideale gestatten. Als historische Gegebenheiten unter an<strong>der</strong>n<br />

werden sie hingenommen, und <strong>der</strong> Ruhm, den sie ihrem Gegensatz zum Leben verdanken, wird zum<br />

Mittel, sie als echtbürtige, erfolggekrönte Elemente des Bestehenden zu vindizieren. Ein großer<br />

Dichter ist beinahe so gut wie ein großer Erfin<strong>der</strong> o<strong>der</strong> talent scout, solange nur die Geltung seines<br />

oeuvres vor dessen Lektüre schützt.<br />

Mit <strong>der</strong> Liquidation ihres Gegensatzes <strong>zur</strong> empirischen Realität nimmt Kunst parasitären Charakter an.<br />

Indem sie selber als Realität auftritt, welche die draußen substituieren soll, bezieht sie sich tendenziell<br />

auf Kultur als auf ihren eigenen Inhalt. Die Erfassung <strong>der</strong> Kultur durchs Monopol, die das Unerfaßte<br />

verbietet, verweist notwendig <strong>zur</strong>ück aufs vorher schon Produzierte und stiftet die Selbstreflexion.<br />

Daher <strong>der</strong> mit Händen zu greifende und dennoch nicht aus<strong>zur</strong>ottende Wi<strong>der</strong>spruch von Aufmachung,<br />

technischer Smartheit, arrivierter Verfahrungsweise einerseits und an<strong>der</strong>erseits altmodischindividuellen,<br />

bildungsmäßigen, verfallenen Inhalten, wie er in <strong>der</strong> Standardisierung des Individuellen<br />

sich nie<strong>der</strong>schlägt. Die bürgerlichen Kunstwerke, die die Massenkultur um ihrer mangelnden<br />

Tatsachentreue willen außer Kurs setzt, haben gerade in <strong>der</strong> Strenge ihrer Formimmanenz nicht an<br />

sich selber ihr Genügen gehabt: Kants Lehre vom Erhabenen spricht das am eindringlichsten aus. Die<br />

tatsachentreue Massenkultur zieht den Wahrheitsgehalt ein und erschöpft sich im Stoff, hat aber zum<br />

Stoff nur noch sich. Daher all die Karriere- und Singfilme und die Biographien über Künstler. Die<br />

Selbstreflexion wurde durch die Technik des Tonfilms geför<strong>der</strong>t, die in die Spielhandlung<br />

tatsachentreuen Gesang nicht an<strong>der</strong>s einzuführen vermochte, als indem zu Helden Sänger wurden,<br />

die ihre Stimme verlieren und dann wie<strong>der</strong>finden. Der wahre Grund für die Selbstreflexion aber ist,<br />

daß heute die Realität in ihren entscheidenden Aspekten <strong>der</strong> Darstellung im ästhetischen Bilde sich<br />

entzieht. Das Monopol spottet <strong>der</strong> Kunst. Die sinnliche Individuation des Werkes, an <strong>der</strong>en Anspruch<br />

die Massenkultur festhalten muß, gerade um in <strong>der</strong> standardisierten Gesellschaft ihre komplementäre<br />

Funktion profitabel erfüllen zu können, wi<strong>der</strong>spricht <strong>der</strong> Abstraktheit und Immergleichheit, zu <strong>der</strong> die<br />

Welt geschrumpft ist. Indem ein Film überhaupt nur ein individuelles Schicksal gestaltet, wäre es<br />

selbst mit dem äußersten kritischen Anstand, unterliegt er bereits <strong>der</strong> Ideologie. Der Fall, <strong>der</strong><br />

vorgetragen wird als einer, den zu erzählen noch sich lohnt, wird noch als verzweifelter <strong>zur</strong> Ausrede<br />

für die Welt, die etwas so Erzählenswertes hervorbringt, während ihre Verzweiflung stumm darin sich<br />

ausdrückt, daß sich von ihr nichts mehr erzählen läßt, daß sie nur noch erkannt werden kann.<br />

Vielleicht hat die Gestik des Erzählers von je <strong>zur</strong> Apologie tendiert; heute jedenfalls ist sie ganz und<br />

gar apologetisch geworden. Selbst <strong>der</strong> radikale Regisseur, <strong>der</strong> entscheidende wirtschaftliche<br />

Vorgänge wie etwa die Fusion zweier Industriekonzerne darstellen wollte, könnte das nicht an<strong>der</strong>s, als<br />

indem er die maßgebenden Herren im Büro, am Konferenztisch und in <strong>der</strong> Villa vorführe. Auch wenn<br />

er sie dabei als Bestien demaskierte, bliebe ihre Bestialität noch sanktioniert als die von Individuen<br />

und würde tendenziell die Bestialität des Systems entlasten, als <strong>der</strong>en Henkersknechte sie operieren.<br />

Würde er aber, hochmo<strong>der</strong>n, den Lebenslauf durch Montage unterbrechen, welche die bedenklichen<br />

Bilanzen des Stahlvereins <strong>der</strong> Macht und Größe von dessen Anlagen kontrastiert und beide dem<br />

Generaldirektor persönlich, so bliebe das nicht nur den Zuschauern unverständlich und langweilig,<br />

son<strong>der</strong>n verwandelte obendrein von selbst sich in ein kunstgewerbliches Ornament vor<br />

unverbindlicher Psychologie. Schließlich würde <strong>der</strong> Magnat ein negativer Ziegfeld für Zuschauer mit<br />

sozialwissenschaftlicher Bildung. Die Aufregung über den Mißstand agitiert für die Reform und eine<br />

Gesellschaft, die so gütig ist, noch die Kritik ihrer selbst mitzuplanen: die ghost town von gestern meint<br />

das full employment von morgen. Es müssen gar nicht erst Ideologien eingespritzt werden. Seit <strong>der</strong><br />

Druck von oben keine Spannung zwischen Individuellem und Allgemeinem mehr duldet, kann<br />

Individuelles nicht mehr das Allgemeine ausdrücken, und Kunst wird <strong>zur</strong> Rechtfertigung o<strong>der</strong><br />

wenigstens <strong>zur</strong> Veranstaltung, die Zeit des vergeblichen Wartens totzuschlagen. Nicht daß sie ihre<br />

Wahrheit allein in <strong>der</strong> Darstellung von Produktionsverhältnissen zu suchen hätte: das gerade ist ihr<br />

wahrscheinlich unmöglich[232]. Aber Massenkultur erhebt eben den Anspruch auf Nähe <strong>zur</strong> Realität,<br />

um ihn sogleich zu verbiegen. Er wird auf Konflikte aus <strong>der</strong> Konsumsphäre umgeleitet, <strong>der</strong><br />

gesellschaftlich heute die ganze Psychologie zugehört. Der Konflikt, einmal im Überflüssigen<br />

lokalisiert, erscheint selber als Luxus: das fashionable Unglück ist sein eigener Trost. Massenkultur in<br />

ihrem Spiegel ist stets die Schönste im ganzen Land.<br />

Die Selbstreflexion <strong>der</strong> Kultur bringt Nivellierung mit sich. Indem jegliches Produkt auf schon<br />

Vorgeformtes sich <strong>zur</strong>ückbezieht, wird ihm nochmals <strong>der</strong> Anpassungsmechanismus aufgezwungen, in<br />

den es <strong>der</strong> Betrieb ohnehin stößt. Was überhaupt passieren will, muß immer schon angetastet,<br />

manipuliert, von Hun<strong>der</strong>ttausenden approbiert sein, damit nur <strong>der</strong> erste Geschmack daran findet. Im<br />

kleinen Nachtlokal sind Lautsprecher eingebaut, die den Schall ins Unerträgliche vergrößern, es soll<br />

wie Radio klingen, wie das Echo <strong>der</strong> großen Massenkultur; die Saxophone stehen mit dem Klang <strong>der</strong><br />

canned music in prästabilierter Harmonie, indem sie selber schon individuellen Ausdruck und

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