26.10.2012 Aufrufe

Theodor W. Adorno / Max Horkheimer - Dialektik der Aufklärung zur ...

Theodor W. Adorno / Max Horkheimer - Dialektik der Aufklärung zur ...

Theodor W. Adorno / Max Horkheimer - Dialektik der Aufklärung zur ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

nicht gut <strong>zur</strong>eden. Wenn <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e das Wort ergreift, empfindet er es als unverschämte<br />

Unterbrechung. Er ist <strong>der</strong> Vernunft unzugänglich, weil er sie bloß im Nachgeben <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en erblickt.<br />

Der Wi<strong>der</strong>spruch von <strong>der</strong> Dummheit des Gescheitseins ist notwendig. Denn die bürgerliche Ratio muß<br />

Universalität beanspruchen und zugleich zu <strong>der</strong>en Beschränkung sich entfalten. Wie im Tausch je<strong>der</strong><br />

das Seine bekommt und doch das soziale Unrecht sich dabei ergibt, so ist auch die Reflexionsform<br />

<strong>der</strong> Tauschwirtschaft, die herrschende Vernunft, gerecht, allgemein und doch partikularistisch, das<br />

Instrument des Privilegs in <strong>der</strong> Gleichheit. Ihr präsentiert <strong>der</strong> Faschist die Rechnung. Er vertritt offen<br />

das Partikulare und enthüllt damit die Ratio, die zu Unrecht auf ihre Allgemeinheit pocht, als selber<br />

begrenzt. Daß dann mit einem Mal die Gescheiten die Dummen sind, überführt die Vernunft ihrer<br />

eigenen Unvernunft.<br />

Aber auch <strong>der</strong> Faschist laboriert an dem Wi<strong>der</strong>spruch. Denn die bürgerliche Vernunft ist in <strong>der</strong> Tat<br />

nicht bloß partikular, son<strong>der</strong>n auch allgemein, und ihre Allgemeinheit ereilt den Faschismus, indem er<br />

sie verleugnet. Die in Deutschland <strong>zur</strong> Macht kamen, waren gescheiter als die Liberalen und dümmer.<br />

Der Fortschritt <strong>zur</strong> neuen Ordnung wurde weithin von denen getragen, <strong>der</strong>en Bewußtsein beim<br />

Fortschritt nicht mitkam, von Bankrotteuren, Sektierern, Narren. Gegen das Fehlermachen sind sie<br />

gefeit, solange ihre Macht jegliche Konkurrenz verhin<strong>der</strong>t. In <strong>der</strong> Konkurrenz <strong>der</strong> Staaten aber sind die<br />

Faschisten nicht nur ebenso fähig, Fehler zu machen, son<strong>der</strong>n treiben mit Eigenschaften wie<br />

Kurzsichtigkeit, Verbohrtheit, Unkenntnis <strong>der</strong> ökonomischen Kräfte, vor allem aber durch die<br />

Unfähigkeit, das Negative zu sehen und in die Einschätzung <strong>der</strong> Gesamtlage aufzunehmen, auch<br />

subjektiv <strong>zur</strong> Katastrophe, die sie im innersten stets erwartet haben.<br />

ZWEI WELTEN<br />

Hierzulande gibt es keinen Unterschied zwischen dem wirtschaftlichen Schicksal und den Menschen<br />

selbst. Keiner ist etwas an<strong>der</strong>es als sein Vermögen, sein Einkommen, seine Stellung, seine Chancen.<br />

Die wirtschaftliche Charaktermaske und das, was darunter ist, decken sich im Bewußtsein <strong>der</strong><br />

Menschen, den Betroffenen eingeschlossen, bis aufs kleinste Fältchen. Je<strong>der</strong> ist so viel wert wie er<br />

verdient, je<strong>der</strong> verdient so viel er wert ist. Was er ist, erfährt er durch die Wechselfälle seiner<br />

wirtschaftlichen Existenz. Er kennt sich nicht als ein an<strong>der</strong>es. Hatte die materialistische Kritik <strong>der</strong><br />

Gesellschaft dem Idealismus einst entgegengehalten, daß nicht das Bewußtsein das Sein, son<strong>der</strong>n<br />

das Sein das Bewußtsein bestimme, daß die Wahrheit über die Gesellschaft nicht in ihren<br />

idealistischen Vorstellungen von sich selbst, son<strong>der</strong>n in ihrer Wirtschaft zu finden sei, so hat das<br />

zeitgemäße Selbstbewußtsein solchen Idealismus mittlerweile abgeworfen. Sie beurteilen ihr eigenes<br />

Selbst nach seinem Marktwert und lernen, was sie sind, aus dem, wie es ihnen in <strong>der</strong> kapitalistischen<br />

Wirtschaft ergeht. Ihr Schicksal, und wäre es das traurigste, ist ihnen nicht äußerlich, sie erkennen es<br />

an. Der Chinese, <strong>der</strong> Abschied nahm,<br />

»Sprach mit umflorter Stimme: Du mein Freund Mir war das Glück in dieser Welt nicht hold. Wohin ich<br />

geh? Ich wan<strong>der</strong>e in die Berge, Ich suche Ruhe für mein einsam Herz.«<br />

I am a failure, sagt <strong>der</strong> Amerikaner. - And that is that.<br />

VERWANDLUNG DER IDEE IN HERRSCHAFT<br />

Aus <strong>der</strong> ältesten exotischen Geschichte springen zuweilen Tendenzen <strong>der</strong> jüngsten und vertrautesten<br />

heraus und werden durch Distanz beson<strong>der</strong>s deutlich.<br />

In seiner Erklärung <strong>zur</strong> Içâ-Upanishad weist Deussen[208] darauf hin, daß <strong>der</strong> Schritt, den das<br />

indische Denken darin über frühere hinaus vollzog, demjenigen ähnlich sei, den Jesus nach dem<br />

Evangelium Matthäi[209] über Johannes den Täufer und die Stoiker über die Kyniker hinaus getan<br />

hätten. Die Bemerkung ist historisch allerdings deshalb einseitig, weil die kompromißlosen Ideen<br />

Johannes des Täufers und <strong>der</strong> Kyniker, nicht weniger als die Ansichten, gegen die jene ersten Verse<br />

<strong>der</strong> Içâ-Upanishad den Fortschritt bilden sollen[210], viel eher nach linken, von mächtigen Cliquen und<br />

Parteien abgespaltenen Sezessionsströmungen aussehen, als nach Hauptlinien geschichtlicher<br />

Bewegungen, aus denen dann die europäische Philosophie, das Christentum und die lebenskräftige<br />

Vedische Religion sich erst abgezweigt hätten. In den indischen Sammlungen pflegt denn auch, wie

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!