Theodor W. Adorno / Max Horkheimer - Dialektik der Aufklärung zur ...
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nicht gut <strong>zur</strong>eden. Wenn <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e das Wort ergreift, empfindet er es als unverschämte<br />
Unterbrechung. Er ist <strong>der</strong> Vernunft unzugänglich, weil er sie bloß im Nachgeben <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en erblickt.<br />
Der Wi<strong>der</strong>spruch von <strong>der</strong> Dummheit des Gescheitseins ist notwendig. Denn die bürgerliche Ratio muß<br />
Universalität beanspruchen und zugleich zu <strong>der</strong>en Beschränkung sich entfalten. Wie im Tausch je<strong>der</strong><br />
das Seine bekommt und doch das soziale Unrecht sich dabei ergibt, so ist auch die Reflexionsform<br />
<strong>der</strong> Tauschwirtschaft, die herrschende Vernunft, gerecht, allgemein und doch partikularistisch, das<br />
Instrument des Privilegs in <strong>der</strong> Gleichheit. Ihr präsentiert <strong>der</strong> Faschist die Rechnung. Er vertritt offen<br />
das Partikulare und enthüllt damit die Ratio, die zu Unrecht auf ihre Allgemeinheit pocht, als selber<br />
begrenzt. Daß dann mit einem Mal die Gescheiten die Dummen sind, überführt die Vernunft ihrer<br />
eigenen Unvernunft.<br />
Aber auch <strong>der</strong> Faschist laboriert an dem Wi<strong>der</strong>spruch. Denn die bürgerliche Vernunft ist in <strong>der</strong> Tat<br />
nicht bloß partikular, son<strong>der</strong>n auch allgemein, und ihre Allgemeinheit ereilt den Faschismus, indem er<br />
sie verleugnet. Die in Deutschland <strong>zur</strong> Macht kamen, waren gescheiter als die Liberalen und dümmer.<br />
Der Fortschritt <strong>zur</strong> neuen Ordnung wurde weithin von denen getragen, <strong>der</strong>en Bewußtsein beim<br />
Fortschritt nicht mitkam, von Bankrotteuren, Sektierern, Narren. Gegen das Fehlermachen sind sie<br />
gefeit, solange ihre Macht jegliche Konkurrenz verhin<strong>der</strong>t. In <strong>der</strong> Konkurrenz <strong>der</strong> Staaten aber sind die<br />
Faschisten nicht nur ebenso fähig, Fehler zu machen, son<strong>der</strong>n treiben mit Eigenschaften wie<br />
Kurzsichtigkeit, Verbohrtheit, Unkenntnis <strong>der</strong> ökonomischen Kräfte, vor allem aber durch die<br />
Unfähigkeit, das Negative zu sehen und in die Einschätzung <strong>der</strong> Gesamtlage aufzunehmen, auch<br />
subjektiv <strong>zur</strong> Katastrophe, die sie im innersten stets erwartet haben.<br />
ZWEI WELTEN<br />
Hierzulande gibt es keinen Unterschied zwischen dem wirtschaftlichen Schicksal und den Menschen<br />
selbst. Keiner ist etwas an<strong>der</strong>es als sein Vermögen, sein Einkommen, seine Stellung, seine Chancen.<br />
Die wirtschaftliche Charaktermaske und das, was darunter ist, decken sich im Bewußtsein <strong>der</strong><br />
Menschen, den Betroffenen eingeschlossen, bis aufs kleinste Fältchen. Je<strong>der</strong> ist so viel wert wie er<br />
verdient, je<strong>der</strong> verdient so viel er wert ist. Was er ist, erfährt er durch die Wechselfälle seiner<br />
wirtschaftlichen Existenz. Er kennt sich nicht als ein an<strong>der</strong>es. Hatte die materialistische Kritik <strong>der</strong><br />
Gesellschaft dem Idealismus einst entgegengehalten, daß nicht das Bewußtsein das Sein, son<strong>der</strong>n<br />
das Sein das Bewußtsein bestimme, daß die Wahrheit über die Gesellschaft nicht in ihren<br />
idealistischen Vorstellungen von sich selbst, son<strong>der</strong>n in ihrer Wirtschaft zu finden sei, so hat das<br />
zeitgemäße Selbstbewußtsein solchen Idealismus mittlerweile abgeworfen. Sie beurteilen ihr eigenes<br />
Selbst nach seinem Marktwert und lernen, was sie sind, aus dem, wie es ihnen in <strong>der</strong> kapitalistischen<br />
Wirtschaft ergeht. Ihr Schicksal, und wäre es das traurigste, ist ihnen nicht äußerlich, sie erkennen es<br />
an. Der Chinese, <strong>der</strong> Abschied nahm,<br />
»Sprach mit umflorter Stimme: Du mein Freund Mir war das Glück in dieser Welt nicht hold. Wohin ich<br />
geh? Ich wan<strong>der</strong>e in die Berge, Ich suche Ruhe für mein einsam Herz.«<br />
I am a failure, sagt <strong>der</strong> Amerikaner. - And that is that.<br />
VERWANDLUNG DER IDEE IN HERRSCHAFT<br />
Aus <strong>der</strong> ältesten exotischen Geschichte springen zuweilen Tendenzen <strong>der</strong> jüngsten und vertrautesten<br />
heraus und werden durch Distanz beson<strong>der</strong>s deutlich.<br />
In seiner Erklärung <strong>zur</strong> Içâ-Upanishad weist Deussen[208] darauf hin, daß <strong>der</strong> Schritt, den das<br />
indische Denken darin über frühere hinaus vollzog, demjenigen ähnlich sei, den Jesus nach dem<br />
Evangelium Matthäi[209] über Johannes den Täufer und die Stoiker über die Kyniker hinaus getan<br />
hätten. Die Bemerkung ist historisch allerdings deshalb einseitig, weil die kompromißlosen Ideen<br />
Johannes des Täufers und <strong>der</strong> Kyniker, nicht weniger als die Ansichten, gegen die jene ersten Verse<br />
<strong>der</strong> Içâ-Upanishad den Fortschritt bilden sollen[210], viel eher nach linken, von mächtigen Cliquen und<br />
Parteien abgespaltenen Sezessionsströmungen aussehen, als nach Hauptlinien geschichtlicher<br />
Bewegungen, aus denen dann die europäische Philosophie, das Christentum und die lebenskräftige<br />
Vedische Religion sich erst abgezweigt hätten. In den indischen Sammlungen pflegt denn auch, wie