Theodor W. Adorno / Max Horkheimer - Dialektik der Aufklärung zur ...
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guten Seiten darlegen und die Liebe als Prinzip verkündigen anstatt <strong>der</strong> endlosen Bitterkeit! - Es gibt<br />
nur einen Ausdruck für die Wahrheit: den Gedanken, <strong>der</strong> das Unrecht verneint. Ist das Beharren auf<br />
den guten Seiten nicht im negativen Ganzen aufgehoben, so verklärt es ihr eigenes Gegenteil:<br />
Gewalt. Ich kann mit Worten intrigieren, propagieren, suggerieren, das ist <strong>der</strong> Zug, durch den sie<br />
verstrickt sind wie alles Tun in <strong>der</strong> Wirklichkeit, und dieser ist es, den die Lüge einzig versteht. Sie<br />
insinuiert, daß auch <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>spruch gegen das Bestehende im Dienst heraufdämmern<strong>der</strong> Gewalten,<br />
konkurrieren<strong>der</strong> Bürokratien und Gewalthaber erfolgt. In ihrer namenlosen Angst kann und will sie nur<br />
sehen, was sie selber ist. Was in ihr Medium, die Sprache als bloßes Instrument, eingeht, wird mit <strong>der</strong><br />
Lüge identisch wie die Dinge untereinan<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Finsternis. Aber so wahr es ist, daß es kein Wort<br />
gibt, dessen die Lüge sich schließlich nicht bedienen könnte, so leuchtet nicht durch sie, son<strong>der</strong>n<br />
einzig in <strong>der</strong> Härte des Gedankens gegen die Macht auch <strong>der</strong>en Güte noch auf. Der kompromißlose<br />
Haß gegen den an <strong>der</strong> letzten Kreatur verübten Terror macht die legitime Dankbarkeit <strong>der</strong><br />
Verschonten aus. Die Anrufung <strong>der</strong> Sonne ist Götzendienst. Im Blick auf den in ihrer Glut verdorrten<br />
Baum erst lebt die Ahnung von <strong>der</strong> Majestät des Tags, <strong>der</strong> die Welt, die er bescheint, nicht zugleich<br />
versengen muß.<br />
KLASSIFIKATION<br />
Allgemeine Begriffe, von den einzelnen Wissenschaften auf Grund von Abstraktion o<strong>der</strong> axiomatisch<br />
geprägt, bilden das Material <strong>der</strong> Darstellung so gut wie Namen für Einzelnes. Der Kampf gegen<br />
Allgemeinbegriffe ist sinnlos. Wie es mit <strong>der</strong> Dignität des Allgemeinen steht, ist damit aber nicht<br />
ausgemacht. Was vielen Einzelnen gemeinsam ist, o<strong>der</strong> was im Einzelnen immer wie<strong>der</strong>kehrt, braucht<br />
noch lange nicht stabiler, ewiger, tiefer zu sein als das Beson<strong>der</strong>e. Die Skala <strong>der</strong> Gattungen ist nicht<br />
zugleich die <strong>der</strong> Bedeutsamkeit. Das war gerade <strong>der</strong> Irrtum <strong>der</strong> Eleaten und aller, die ihnen folgten,<br />
Platon und Aristoteles voran.<br />
Die Welt ist einmalig. Das bloße Nachsprechen <strong>der</strong> Momente, die immer und immer wie<strong>der</strong> als<br />
dasselbe sich aufdrängen, gleicht eher einer vergeblichen und zwangshaften Litanei als dem<br />
erlösenden Wort. Klassifikation ist Bedingung von Erkenntnis, nicht sie selbst, und Erkenntnis löst die<br />
Klassifikation wie<strong>der</strong>um auf.<br />
LAWINE<br />
In <strong>der</strong> Gegenwart gibt es keine Wendung mehr. Wendung <strong>der</strong> Dinge ist immer die zum besseren.<br />
Wenn aber in Zeiten wie den heutigen die Not am höchsten ist, öffnet sich <strong>der</strong> Himmel und schleu<strong>der</strong>t<br />
sein Feuer auf die, die ohnehin verloren sind.<br />
Was man gemeinhin das Soziale, Politische nannte, vermittelt diesen Eindruck zuerst. Die Titelseite<br />
von Tagesblättern, die einmal glücklichen Frauen und Kin<strong>der</strong>n fremd und vulgär erschienen sind -<br />
Zeitung erinnerte an Wirtshaus und Bramarbasieren -, <strong>der</strong> Fettdruck kam schließlich als wirkliche<br />
Drohung ins Haus. Aufrüstung, Übersee, Spannung im Mittelmeer, weiß nicht was für großspurige<br />
Begriffe versetzten schließlich die Menschen in wirkliche Angst, bis <strong>der</strong> erste Weltkrieg ausbrach.<br />
Dann kam, mit immer schwindelerregen<strong>der</strong>en Ziffern, die Inflation. Als die in ihrem Lauf innehielt,<br />
bedeutete es keine Wendung son<strong>der</strong>n ein noch größeres Unglück, Rationalisierung und Abbau. Als<br />
Hitlers Wahlziffern stiegen, bescheiden zuerst aber insistent, war es schon klar, daß es die Bewegung<br />
<strong>der</strong> Lawine war. Überhaupt sind Wahlziffern kennzeichnend für das Phänomen. Wenn am Abend des<br />
vorfaschistischen Wahltags die Resultate aus den Landesteilen eintreffen, so nimmt ein Achtel, ein<br />
Sechzehntel <strong>der</strong> Stimmen schon das Ganze vorweg. Haben zehn o<strong>der</strong> zwanzig Distrikte en masse<br />
eine Richtung eingeschlagen, so werden die übrigen hun<strong>der</strong>t nicht dawi<strong>der</strong> sein. Es ist schon ein<br />
uniformer Geist. Das Wesen <strong>der</strong> Welt kommt mit dem statistischen Gesetz überein, durch das ihre<br />
Oberfläche klassifiziert wird.<br />
In Deutschland hat <strong>der</strong> Faschismus gesiegt unter kraß xenophober, kulturfeindlicher, kollektivistischer<br />
Ideologie. Jetzt, da er die Erde verwüstet, müssen die Völker gegen ihn kämpfen, es bleibt kein<br />
Ausweg. Aber wenn alles vorüber ist, braucht keine freiheitliche Gesinnung über Europa sich<br />
auszubreiten, seine Nationen können so xenophob, kulturfeindlich und pseudokollektivistisch werden,<br />
wie <strong>der</strong> Faschismus war, gegen die sie sich wehren mußten. Auch seine Nie<strong>der</strong>lage bricht nicht<br />
notwendig die Bewegung <strong>der</strong> Lawine.