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Theodor W. Adorno / Max Horkheimer - Dialektik der Aufklärung zur ...

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up, die verzweifelt angestrengte ewige Jugend, die nur in <strong>der</strong> böse zuckenden Stirnfalte für<br />

Augenblicke zerbricht, all das Zuckerbrot wird mit <strong>der</strong> Peitsche des Personalchefs verteilt. Die<br />

Menschen bejahen die Massenkultur, weil sie wissen o<strong>der</strong> ahnen, daß sie hier die mores gelehrt<br />

werden, <strong>der</strong>en sie als Passierschein im monopolisierten Leben bedürfen. Er gilt nur dann, wenn er mit<br />

Blut, <strong>der</strong> Zession des ganzen Lebens, dem passionierten Gehorsam gegenüber dem verhaßten<br />

Zwang bezahlt ist. Darum, nicht wegen <strong>der</strong> »Verdummung« <strong>der</strong> Massen, die <strong>der</strong>en Feinde betreiben<br />

und <strong>der</strong>en philanthropische Freunde beklagen, ist die Massenkultur so unwi<strong>der</strong>stehlich. Die<br />

psychologischen Mechanismen sind sekundär. Die Rationalität des Adjustment ist heute so weit schon<br />

gediehen, daß es nur des geringsten Anstoßes bedürfte, um dessen Irrationalität ins Bewußtsein zu<br />

erheben. Durch Regression wird <strong>der</strong> Verzicht auf Wi<strong>der</strong>stand ratifiziert. Die Massen ziehen die<br />

Konsequenz aus <strong>der</strong> vollendeten gesellschaftlichen Ohnmacht gegenüber dem Monopol, in <strong>der</strong><br />

Verelendung heute sich ausdrückt. In <strong>der</strong> Anpassung an die technischen Produktivkräfte, die das<br />

System als Fortschritt ihnen aufzwingt, werden die Menschen Objekte, die ohne Einspruch sich<br />

manipulieren lassen, und fallen damit hinter die Potentialität <strong>der</strong> technischen Produktivkräfte <strong>zur</strong>ück.<br />

Da sie aber, als Subjekte, doch stets noch selber die Grenze <strong>der</strong> Verdinglichung sind, so muß die<br />

Massenkultur in schlechter Unendlichkeit immer aufs Neue wie<strong>der</strong> sie erfassen: die hoffnungslose<br />

Mühe ihrer Wie<strong>der</strong>holung ist die einzige Spur <strong>der</strong> Hoffnung, daß die Wie<strong>der</strong>holung vergeblich, daß die<br />

Menschen doch nicht zu erfassen seien.<br />

Als Zentralstelle für Regression besorgt Massenkultur fleißig die Herstellung jener Archetypen, in<br />

<strong>der</strong>en Überleben die faschistische Psychologie das zuverlässigste Mittel <strong>zur</strong> Fixierung <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen<br />

Herrschaftsverhältnisse sieht. Urzeitliche Symbole werden am laufenden Band zusammengesetzt. Die<br />

Traumfabrik fabriziert nicht sowohl die Träume <strong>der</strong> Kunden, als daß sie den Traum <strong>der</strong> Lieferanten<br />

unter die Leute bringt. Er ist das tausendjährige Reich eines industriellen Kastensystems endloser<br />

Dynastien[240]. Im Traum <strong>der</strong> Lenker von <strong>der</strong> Mumifizierung <strong>der</strong> Welt ist Massenkultur die<br />

priesterliche Hieroglyphenschrift, die ihre Bil<strong>der</strong> den Unterjochten zukehrt, nicht damit man sie<br />

genießt, son<strong>der</strong>n damit man sie liest. Die eigentlichen des Films, aber auch uneigentliche wie<br />

Schlagermelodien und Textwendungen, erscheinen so starr und oft, daß sie nicht mehr als solche,<br />

son<strong>der</strong>n als Wie<strong>der</strong>holungen wahrgenommen werden, <strong>der</strong>en Immergleichheit identischen Sinn<br />

ausdrückt. Je loser <strong>der</strong> Zusammenhang in Handlung und Verlauf, um so mehr wird das abgesprengte<br />

Bild zum allegorischen Sigel. Optisch selbst nähern die aufblitzenden, vorübergleitenden Bil<strong>der</strong> im<br />

Kino <strong>der</strong> Schrift sich an. Sie werden aufgefaßt, nicht betrachtet. Der Filmstreifen zieht das Auge mit<br />

wie die Zeile und im sanften Ruck des Szenenwechsels blättert die Seite sich um. Gelegentlich haben<br />

kunstgewerbliche Filme wie Guitrys Perles de la couronne den Lesecharakter des Films als Rahmen<br />

hervorgehoben. So wird <strong>der</strong> Übergang von Bild in Schrift, in dem die Absorption <strong>der</strong> Kunst durch die<br />

monopolistische Praxis kulminiert[241], von <strong>der</strong> Technik des Massenkunstwerks vollzogen. Die<br />

übermittelte Geheimlehre aber ist Botschaft vom Kapital. Geheim muß sie tun, weil die totale<br />

Herrschaft sich unsichtbar hält: »kein Hirt und eine Herde«. Trotzdem ergeht sie an alle. Ihr Sinn hat<br />

mit dem ephemeren des Kulturprodukts wenig zu tun und dessen Hinfälligkeit gerade urgiert die<br />

Dechiffrierung. Wenn ein Film ein Glanzmädchen ausstellt, so kann er offiziell dafür o<strong>der</strong> dagegen<br />

sein, es kann als Erfolgsheroine verherrlicht o<strong>der</strong> als Vamp bestraft werden. Als Schriftzeichen aber<br />

meldet das Glanzmädchen etwas ganz an<strong>der</strong>es als die psychologischen Spruchbän<strong>der</strong>, die ihm zum<br />

grinsenden Mund heraushängen. Nämlich die Anweisung, ihm ähnlich zu sein. Der neue<br />

Zusammenhang, in den die zugerichteten Bil<strong>der</strong> als Buchstaben treten, ist allemal <strong>der</strong> des Befehls.<br />

Den Besuchern ist die Aufgabe auferlegt, immerzu die Bil<strong>der</strong> in Schrift zu übersetzen. Die<br />

Gehorsamsleistung inhäriert dem Akt <strong>der</strong> Übersetzung selber, sobald er automatisch erfolgt. Je mehr<br />

<strong>der</strong> Filmbesucher, <strong>der</strong> Schlagerhörer, <strong>der</strong> Leser von Detektiv- o<strong>der</strong> Magazingeschichten den Ausgang,<br />

die Lösung, die Struktur vorwegnimmt, desto mehr verschiebt sich sein Blick auf das Wie, in dem das<br />

nichtige Resultat erreicht wird, das rebushafte Detail, und in <strong>der</strong> suchenden Verschiebung blitzt ihm<br />

<strong>der</strong> hieroglyphische Sinn auf. Er artikuliert alle Phänomene bis in die subtilsten Nuancen hinein nach<br />

<strong>der</strong> simplen zweiwertigen Logik von do und don't, und kraft solcher Reduktion gerade des Fremden<br />

und Unverständlichen ereilt er die Konsumenten. Die Tendenz <strong>zur</strong> Hieroglyphe hat in <strong>der</strong> bisherigen<br />

Geschichte <strong>der</strong> Massenkultur Epoche gemacht. Sie nämlich markiert den Übergang vom stummen<br />

zum Tonfilm. Im alten Film alternierten noch Schriftzeichen und Bild, und ihre Antithese verlieh dem<br />

Bildcharakter <strong>der</strong> Bil<strong>der</strong> Nachdruck. Diese <strong>Dialektik</strong> war gleich je<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en für die Massenkultur<br />

unerträglich. Sie verscheuchte die Schrift als Fremdkörper aus dem Film, aber nur um die Bil<strong>der</strong><br />

selber ganz zu <strong>der</strong> Schrift zu machen, die sie absorbieren. Als Bewußtsein dieses Vorgangs im<br />

Material gewinnt Chaplins geduldige Sabotage des Tonfilms, zumal <strong>der</strong> vereinsamte<br />

Magazintransparent, den er Mo<strong>der</strong>n Times voranstellte, seine Legitimation. Die redenden Bil<strong>der</strong> aber<br />

sind Masken; das Urphänomen <strong>der</strong> neuesten Bil<strong>der</strong>schrift gleicht dem ältesten. Die Maske verwandelt<br />

das schlechthin Undingliche, den Ausdruck selber noch, durch Fixierung in den Schrecken darüber,<br />

daß ein Menschengesicht so stehenbleiben kann, und dann den Schrecken in Gehorsam vorm

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