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Fatale Bilanz. Die LINKE fordert einen grundlegenden ...

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Damen haben keine Wahl<br />

<strong>Die</strong> Lebenswirklichkeit von Frauen zum Maßstab für alle machen<br />

Von Maria Wersig<br />

Vereinbarkeit von Familie und Beruf<br />

durch Erziehungsgehalt oder Betreuungsgeld?<br />

– <strong>Die</strong>se Frage wird zurzeit<br />

heftig in der Öffentlichkeit diskutiert<br />

und hat auch in der <strong>LINKE</strong>N Wellen geschlagen.<br />

Speziell die Vorstellungen<br />

von Christa Müller, familienpolitische<br />

Sprecherin der Partei im Saarland und<br />

Gattin Oskar Lafontaines, haben heftige<br />

Diskussionen ausgelöst. Vor allem<br />

ihre Warnung vor einem »Zwang zur<br />

Fremdbetreuung« hat nicht allein Feministinnen,<br />

so die Frauenarbeitsgemeinschaft<br />

LISA, sondern große Teile<br />

der Partei – und da besonders die ostdeutschen<br />

Landesverbände – empört.<br />

Dabei ist die Debatte nicht neu. Seit<br />

dem Beginn der Industrialisierung und<br />

der Trennung von Haushalt und Betrieb<br />

scheiden sich in Deutschland an der<br />

Erwerbstätigkeit der Mütter die Geister.<br />

Das gilt auch für die Arbeiterbewegung.<br />

<strong>Die</strong> Arbeitswelt ist deshalb in<br />

(West-)Deutschland durch eine traditionelle<br />

Arbeitsteilung von Mann und Frau<br />

und eine hierarchische Geschlechterordnung<br />

geprägt. Sozialstaatliche Rahmenbedingungen<br />

stützen und fördern<br />

dieses Modell.<br />

Noch immer sind nur wenige Mütter<br />

erwerbstätig, viele sind abhängig<br />

von ihrem Partner oder von Sozialleistungen.<br />

Zudem gibt es nicht genug öffentliche<br />

Kinderbetreuung. Das Ziel,<br />

die »Familie« vor dem Zugriff einer auf<br />

Vereinbarkeit von Familie und Beruf<br />

für Mütter gerichteten Familienpolitik<br />

zu schützen, scheint noch heute Menschen<br />

quer durch das politische Spektrum<br />

zu ver<strong>einen</strong>.<br />

Dass linke Politiker in diesen Chor<br />

einstimmen, liegt auch daran, wie der<br />

Richtungswechsel in der Familienpolitik<br />

begründet wird. <strong>Die</strong> neoliberale Privatisierungsagenda<br />

will die Verantwortung<br />

für die Wohlfahrt noch stärker auf<br />

die Familien übertragen. Umverteilung<br />

wird dabei auf ein Minimum reduziert,<br />

die Sorgearbeit – Kinderbetreuung,<br />

Hausarbeit, Pflege von Angehörigen –<br />

weitgehend ausgeblendet und nach<br />

den Bedürfnissen des Marktes ausgerichtet.<br />

Wenn heute Frauen zugerufen<br />

wird, erwerbstätig zu sein, dann klingt<br />

das längst nicht mehr so feministisch<br />

wie einst. Was ist die richtige Antwort<br />

auf dieses Problem? Zugespitzt lässt<br />

sich fragen: Ist es an der Zeit, die Ver-<br />

käuferin bei Lidl durch ein Erziehungsgehalt<br />

aus ihrer Lage zu befreien?<br />

Von den Neuerungen in der Familienpolitik<br />

der Großen Koalition profitieren<br />

vor allem sozial Privilegierte. Steuerliche<br />

Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten<br />

hilft denen, die Steuern<br />

zahlen. Das Elterngeld von Ursula von<br />

der Leyen bringt der alleinerziehenden<br />

Unternehmensberaterin mehr als der<br />

Mini-Jobberin. Eltern, die sich die Kinderbetreuung<br />

teilen wollen – und deshalb<br />

ihre Arbeitszeit reduzieren und<br />

Teilzeitelterngeld erhalten –, werden finanziell<br />

sogar bestraft, da die Dauer ihres<br />

Anspruches halbiert wird.<br />

In Deutschland verdienen Frauen im<br />

Schnitt 22 Prozent weniger als Männer,<br />

diese sogenannte Entgeltdiskriminierung<br />

ist eine der höchsten in Europa,<br />

Tendenz steigend. Frauen, die sich in<br />

Minijobs verdingen, erhalten oft Löhne,<br />

die weit unter dem derzeit diskutierten<br />

gesetzlichen Mindestlohn liegen. Zudem<br />

wird Sorgearbeit an weniger privilegierte<br />

Frauen, in der Regel Migrantinnen,<br />

delegiert und steuerlich geltend<br />

gemacht.<br />

Wie wollen wir leben?<br />

Bislang wurde nicht gefragt, wie wir leben<br />

wollen, sondern nur darüber debattiert,<br />

wie unsere Kinder betreut werden<br />

sollen.<br />

<strong>Die</strong> Begriffe, mit denen die Diskussion<br />

geführt wird, sollten überprüft werden:<br />

Im Mittelpunkt steht derzeit die<br />

»Wahlfreiheit«. Ein Erziehungsgehalt<br />

eröffne die Möglichkeit, sich gegen<br />

Erwerbstätigkeit zu entscheiden, um<br />

sich den Kindern zu widmen, argumentieren<br />

Befürworterinnen und Befürworter.<br />

<strong>Die</strong>se Freiheit sei sonst nur für Familien<br />

mit hohem Einkommen gegeben,<br />

nicht aber für Alleinerziehende und Geringverdienende.<br />

In eine ähnliche Richtung<br />

zielt auch das bayerische Konzept<br />

eines »Betreuungsgeldes« der CSU: Eltern,<br />

die auf eine öffentliche Betreuung<br />

für ihre Kinder verzichten, erhalten 150<br />

Euro.<br />

Ob nun Erziehungsgehalt oder Betreuungsgeld<br />

– die Verfechter propagieren<br />

die freie Wahl »der Eltern«, um<br />

sich dem Verdacht zu entziehen, sie<br />

wollten Frauen in ihre traditionelle Rolle<br />

weisen. Wahlfreiheit hat aber für<br />

Frauen und Männer eine völlig unterschiedliche<br />

Bedeutung. Für 150 Euro<br />

Betreuungsgeld wird sich der männliche<br />

Ernährer ebenso wenig an den<br />

Wickeltisch begeben wie für ein Erziehungsgehalt<br />

von 1.000 Euro.<br />

Es geht bislang nicht um die Wahlfreiheit<br />

des Lebensmodells, sondern<br />

um die Wahl der Betreuungsform für<br />

Kleinkinder, die Wahl zwischen Erwerbstätigkeit<br />

und Kindererziehung.<br />

Eine solche Wahl wollen aber die wenigsten<br />

jungen Frauen (und Männer)<br />

treffen. <strong>Die</strong> Bedeutung, die eine gute<br />

frühkindliche Betreuung in Krippen für<br />

die Bildungsmöglichkeiten und die soziale<br />

Integration haben könnte, spielt<br />

in der Debatte keine Rolle.<br />

Von einer Umverteilung der unbezahlten<br />

Sorgearbeit zwischen den Geschlechtern<br />

sind die Konzepte weit entfernt.<br />

Oder, wie es die britische Soziologin<br />

Jane Lewis auf den Punkt bringt:<br />

»Wenn Männer sich nicht kümmern,<br />

haben Frauen keine Wahl.« Es lohnt<br />

sich also, die Bedingungen, unter denen<br />

die »freie« Wahl stattfindet, unter<br />

die Lupe zu nehmen.<br />

Deshalb plädiert die amerikanische<br />

Philosophin Nancy Fraser für eine Politik,<br />

weiche die Lebenswirklichkeit von<br />

Frauen zum Maßstab für alle macht.<br />

Nur so könne die Umverteilung von<br />

Ressourcen wie Zeit und Geld, die Anerkennung<br />

des sozialen Wertes von Betreuungsarbeit<br />

und die gleiche Partizipation<br />

von Frauen und Männern in der<br />

Zivilgesellschaft erreicht werden. Sie<br />

formuliert damit die Vision eines Sozialstaates,<br />

der Vereinbarkeit von Familie<br />

und Beruf ermöglicht und davon<br />

ausgeht, dass alle Arbeitnehmerinnen<br />

und Arbeitnehmer auch Betreuungsaufgaben<br />

haben. Das bedeutet, die<br />

Trennung der Sphären öffentlich und<br />

privat aufzuheben und den Anspruch,<br />

Sorgearbeit und Erwerbsarbeit für Frauen<br />

und Männer leb- und vereinbar zu<br />

machen. Und das nicht im Hamsterrad<br />

eines entgrenzten und flexibilisierten<br />

Arbeitsmarktes, sondern nach den<br />

Maßstäben guter Arbeit und guten Lebens.<br />

Maria Wersig ist in der Bundestagsfraktion<br />

DIE <strong>LINKE</strong> Referentin für<br />

Familienpolitik, Lebensweisen- und<br />

Gleichstellungspolitik<br />

FAMILIE<br />

DISPUT September 2007 022

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