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Fatale Bilanz. Die LINKE fordert einen grundlegenden ...

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Jahren seine Nationalität, nicht aber seine Identität. Das hat<br />

auch die Mentalität der Saarländerinnen und Saarländer geprägt,<br />

die nimmermüde auf ihre Eigenarten pochen.«<br />

Anderntags fahre ich nach Völklingen. Das besitzt ein eindrückliches<br />

Rathaus und ein noch viel eindrücklicheres Weltkulturerbe:<br />

die Völklinger Hütte. Sie galt mal als eins der bedeutendsten<br />

Eisen- und Stahlwerke in Europa. Bis zu 17.000<br />

Menschen fanden hier Arbeit. <strong>Die</strong> Stahlkrise Mitte der siebziger<br />

Jahre läutete das Ende ein, 1986 wurde der letzte Hochofen<br />

ausgeblasen.<br />

Der Besucherweg, fünf Kilometer, führt über Sinteranlage,<br />

Kokerei, zur Gichtbühne und hinauf zur Aussichtsplattform<br />

in 45 Metern Höhe, vorbei an den Hochöfen bis zur Gebläsehalle.<br />

Der Weg ist spannend, lehrreich und kann doch nur <strong>einen</strong><br />

Funken an Vorstellung vom brutalen Tagwerk im 19. und<br />

20. Jahrhundert vermitteln. Rückschau auf Schinderei als besondere<br />

Show? Bestimmt besser als ein Verzicht auf solch<br />

imposante Zeitzeugnisse. Am nachhaltigsten empfinde ich<br />

den Geruch von Öl in der Gebläsehalle, zwei Jahrzehnte nach<br />

der letzten Schicht.<br />

<strong>Die</strong> Saarländer pochen auf Eigenheiten wie schweren<br />

Stahl – und feines Porzellan. Villeroy & Boch unterhält in<br />

Mettlach ein »Erlebniszentrum« mit Museum und Informationscenter.<br />

<strong>Die</strong> meisten Interessenten zieht es an diesem<br />

Sonnabend gleich zum Fabrikverkauf. Nahe der Kleinstadt<br />

liegt die Saarschleife, jener idyllische Flecken, an dem sich<br />

vor genau zehn Jahren zwei Politiker-Paare, die Schröders<br />

und die Lafontaines, ablichten ließen.<br />

Friedrichsthal hat weit weniger zu bieten. Dafür hat Friedrichsthal:<br />

Trenz, und der könnte der erste hauptamtliche Bürgermeister<br />

der <strong>LINKE</strong>N in den alten Bundesländern werden.<br />

<strong>Die</strong>se Aussicht verschlug kurz vor mir schon »DIE ZEIT« in die<br />

11.250-Einwohner-Stadt und mit mir die »Süddeutsche Zeitung«.<br />

Sie vermerken: Der Mann ist umgänglich, kundig, erfahren.<br />

Zehn Jahre hat er ehrenamtlich das Stadtmarketing<br />

geleitet und mehr als 40 Veranstaltungen organisiert. Aus Erlösen<br />

konnten einige tausend Euro an Kinder- und Jugendprojekte<br />

überwiesen werden. Trenz kennt die Leute – und<br />

beschreibt die Wahl trotzdem als eine Gratwanderung, denn<br />

noch sitzt die junge Partei nicht mal im Stadtrat. Der Einzug in<br />

die Stichwahl wäre ein Erfolg, der weithin zeigen würde: Mit<br />

der <strong>LINKE</strong>N müssen CDU und SPD im Lafontaine-Land ernsthaft<br />

rechnen.<br />

Das erklärt, warum »der Oskar« und »der Gregor« an diesem<br />

Samstagabend nichts Wichtigeres zu tun haben, als<br />

Wahlkampf zu machen vor dem Rathaus. Unter seinem Dach<br />

steht: »Ohne Fleiß kein Preis«.<br />

Tanja Sebastian, die Tochter vom »Heiße Theke«-Chef und<br />

im Februar in die WASG eingetreten, hat sich um die Plakate<br />

in den drei Ortsteilen gekümmert, Thomas Lutze um den Leih-<br />

LKW und seine Ausgestaltung als Bühne. Und als klar wurde,<br />

dass ein kurzfristig angeheuerter Bierwagen ohne Toiletten<br />

nichts bringt außer Ärger, trieb Mario Bender am frühen<br />

Nachmittag noch Örtchen auf.<br />

Das Wetter hält, die roten Schirme können stecken bleiben.<br />

Der Rathausplatz ist gut gefüllt. Begrüßungen wie in einer<br />

Großfamilie: »Das ist mein Nachbar«, »Das ist die Tochter<br />

von ...«.<br />

Der Bürgermeisterkandidat verkündet vollen Einsatz<br />

für engagierte Bürger/innen, kreative Unternehmer/innen<br />

und gemeinsames soziales Engagement. <strong>Die</strong> meisten klatschen<br />

und wollen dennoch vor allem die beiden Gäste hören.<br />

Gysi, vom hessischen Landesparteitag kommend, reißt<br />

rasch die 400 mit, als er ausruft: »<strong>Die</strong> Sozialdemokratie hat<br />

die soziale Demokratie verraten.« Er spricht an, wofür die<br />

<strong>LINKE</strong> im Parlament wie außerparlamentarisch steht, auch<br />

samstagabends kurz nach sieben: für mehr Kompetenzen<br />

der Kommunen, gegen Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge,<br />

für Steuer- und für Bildungsgerechtigkeit ...<br />

Dann schaut er, den Wahlerfolg herbeiredend, in die Zukunft:<br />

»Jetzt ist Friedrichsthal berühmt, mit einem Bürgermeister<br />

von der <strong>LINKE</strong>N wird es weltberühmt.« Journalisten<br />

würden erfahren wollen, was hier passiere, sie würden in<br />

den Hotels der Stadt übernachten ... <strong>Die</strong> Zuhörer sind begeistert,<br />

auch Trenz, selbst wenn er korrigieren muss: »Wir<br />

haben leider kein Hotel.«<br />

Egal, die Leute bleiben begeistert, auch durch Lafontaine:<br />

Je stärker die <strong>LINKE</strong>, desto sozialer werde es zugehen: »Wählt<br />

den Jürgen! Er ist ein ›gudder Kerl‹«.<br />

Der Parteitag, war den Delegierten mitgeteilt worden, beginne<br />

pünktlich. Pünktlich neun Uhr. Doch noch zeitiger als<br />

die Roten sind die Schwarzen aufgestanden. 40 von der Jungen<br />

Union bilden ein erschreckend antikommunistisches<br />

Spalier. Mit Mauerkreuzen, Kerzen, Transparenten, darauf<br />

Sprüche wie »Leistung statt Lafontaine. Verantwortung statt<br />

verpissen«, »Demokratie statt Lafontaine« und, die Anfangsbuchstaben<br />

als SED m<strong>einen</strong>d: »Schreihals Extremist Demagoge.<br />

Nie wieder Lafontaine!«<br />

<strong>Die</strong> junge Partei wird bereits verdammt ernst genommen.<br />

Bei der Landtagsentscheidung in zwei Jahren will sie ihr hervorragendes<br />

Ergebnis von der Bundestagswahl (18,5 Prozent,<br />

zum Vergleich: PDS 2002: 1,4 Prozent) wiederholen. Doch vor<br />

dieser Wiederholung steht der organisatorische Start als Landesverband,<br />

und der beginnt endlich 9.45 Uhr.<br />

In der Kongresshalle treffe ich wieder Willi Möger, Ewa Tröger,<br />

Tanja Sebastian und die Benders: Mario wird die Wahlkommission<br />

leiten, seine Mutter ist Delegierte, der Vater<br />

»einfacher« Besucher.<br />

Das Interesse ist riesig und hat weithin ausgestrahlt. Überregionale<br />

Blätter entsandten Beobachter, das taten auch drei<br />

Parteien und einige Verbände. Neben mir nimmt ein kräftiger<br />

Mann Platz, sogleich wird er als Alfred begrüßt und leise gefragt:<br />

Bist Du auch übergelaufen? Nein, Kollege Staudt ist der<br />

Landeschef von ver.di (<strong>einen</strong> SPD-Ortsverein leitet er auch)<br />

und der Nachfolger von Rolf Linsler, dem Kandidaten für den<br />

Vorsitz der <strong>LINKE</strong>N. Der Alfred verteilt unter Kollegen wie Genossen<br />

eigene Thesen zur Zukunft links von der Mitte und<br />

hält ein kurzes, kämpferisches Grußwort.<br />

<strong>Die</strong> Hauptrede spricht der Parteivorsitzende. 62 Minuten<br />

Angriffslust und Motivation: Unser Ziel ist es, für <strong>einen</strong> Politikwechsel<br />

an der Saar zu sorgen. Zum Beispiel durch die Einführung<br />

von Gemeinschaftsschulen, die Rücknahme der Studiengebühren,<br />

den Stopp des Beschäftigungsabbaus im öffentlichen<br />

<strong>Die</strong>nst, eine Wende in der Energiepolitik und die<br />

Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Den innerparteilichen<br />

Streit um die Familienpolitik beschreibt er als Missverständnis.<br />

<strong>Die</strong> <strong>LINKE</strong> sei nicht um ihrer selbst willen da und wolle<br />

nicht das Blaue vom Himmel versprechen. Und: »Für uns<br />

gilt nach wie vor Willy Brandts Wort: Von deutschem Boden<br />

darf nie wieder Krieg ausgehen.« Delegierte wie Gäste (außer<br />

den Medienmenschen) applaudieren heftig. Sie sind zufrieden.<br />

<strong>Die</strong> Wahlen enden mit einem guten Votum für Neu-Mitglied<br />

Linsler, unlängst noch in der SPD, und mit manch überraschendem<br />

Ergebnis.<br />

Seine Rede hatte Lafontaine mit der Aufforderung beschlossen:<br />

»Wenn Ihr in der Kneipe <strong>einen</strong> seht, der fragt:<br />

›Was, Du bist bei der <strong>LINKE</strong>N?‹, dann schaut nicht verlegen<br />

auf Eure Schuhspitzen, sondern schaut ihn mit Selbstvertrauen<br />

an: ›Was, Du noch nicht?!‹«<br />

Für die Kneipe kommt das Parteitagsende ein bisschen<br />

spät; es ist 23.04 Uhr. Aber morgen ist ja auch noch ein Tag.<br />

(Nach Redaktionsschluss: Jürgen Trenz erreichte bei der<br />

Bürgermeisterwahl am 16. September 18,6 Prozent und leider<br />

nicht die Stichwahl. )<br />

270 DISPUT September 2007

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