Möglichkeiten und Grenzen von UN-Sanktionen - Geschwister ...

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konnte. 186 Zwischen 1993 und 1994 stieg die Unterernährung bei Kindern so stark an, dass
sie etwa 50 Prozent aller Kinder betraf. 187
Im Irak 188 waren die Zustände nach dem Krieg Anfang 1991 nach den Berichten einer
Mission des UN-Beauftragten Martti Ahtisaari 189 und einer Mission der
Weltgesundheitsorganisation (WHO) und dem Kinderhilfwerk der UN (UNICEF)
katastrophal. 190 Während die irakische Regierung die unmittelbaren Kriegsschäden an der
Infrastruktur wenigstens behelfsweise beseitigen konnte, erreichten Arbeitslosen- und
Inflationsrate Rekordhöhen, die Unterernährung stieg an und blieb für Jahre auf einem
alarmierenden Niveau. Die Verbreitung von Krankheiten, die man bereits verschwunden
glaubte, nahm epidemische Ausmaße an. 191
Nach dem bereits erwähnten Modell, bei dem davon ausgegangen wird, dass durch Leid in
der Zivilbevölkerung Dissens mit der herrschenden Macht entsteht, oppositionelle Kräfte
gestärkt werden und die Herrschaftselite auf diese Weise zu einer Veränderung ihrer Politik
gezwungen wird, hätten sich in den genannten Fällen durch die umfassenden Sanktionen
politische Effekte einstellen müssen. Dieses Modell wurde jedoch schon im Jahre 1967
durch Johan Galtung 192 in Frage gestellt. Er bezeichnete die Theorie, in der ökonomischer
Druck und politischer Zerfall proportional in Beziehung stehen, als naiv. Die Idee, dass das
geplagte Volk Druck auf die Staatsführer ausübt, ignoriere, dass der Staatsführer
Gegenstrategien entwerfen könne, die solch einen Protest verzögern oder gar ganz
verhindern könnten. 193 Die von Galtung genannten Gegenstrategien werden in der Regel als
„rally-around-the-flag-effect“ oder Wagenburg-Effekt 194 zusammengefasst: In Reaktion auf
die Sanktionen kann sich die Herrschaftselite als Opfer darstellen, das die Not des Volkes
teilt, oder sich durch die Erweckung von Nationalstolz auch als strotzender Held gerieren.
Durch Propaganda und möglicherweise auch Zensur kann die Kommunikation durch die
Medien so gelenkt werden, dass öffentliche Zustimmungsbekundungen für die Motive der
Senderstaaten von Sanktionen gar nicht verbreitet werden. 195 Durch den Wagenburg-Effekt
186 Hier wird auf die Jahre bis zur Einführung des „Öl für Lebensmittel“-Programms im Dezember 1996 Bezug
genommen. Vgl. Oette, Vereinbarkeit, a.a.O., S. 157 f.
187 Vgl. Gibbons, Haiti, a.a.O., S. 23.
188 Zu einer umfassenden Darstellung über die humanitären Zustände im Irak siehe Graham-Brown, Sarah:
Sanctioning Saddam. The Politics of Intervention in Iraq, New York 1999, S. 259-331. Eine Übersicht bietet
Bergstermann, Sabine: Die UN-Sanktionen gegen den Irak: Internationale Beuge- oder Strategiemaßnahmen?,
München 2003, S. 83-86.
189 Vgl. Brief des Generalsekretärs in S/22366 vom 20.03.1991, Online verfügbar unter
.
190 Vgl. Cortright/Lopez, Decade, a.a.O., S. 45 f.
191 Vgl. Oette, a.a.O., S. 87-89.
192 Vgl. Galtung, Johan: On the Effects of International Economic Sanctions: With Examples from the Case of
Rhodesia, in: World Politics, Heft 3/1967, S.378 – 416.
193 Vgl. ebd., S.388 f.
194 Vgl. z.B. Cortright/Lopez, Decade, a.a.O., S.20, Poeschke, a.a.O., S. 29 Tostensen/Bull, a.a.O., S.397.
195 Vgl. Galtung, a.a.O. S. 395 und S. 399.