Franz Lüthi - OFSG - St. Galler Orgelfreunde
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In der Alternatimpraxis des Gottesdienstes verhielt sich die Orgel bald<br />
einmal recht selbständig: Während sich die Choralschola weiterhin an<br />
die Choralmelodie hielt, befolgte die Orgel ihren Cantus firmus meist nur<br />
noch in den ersten Sätzen und bewegte sich in den folgenden ziemlich<br />
frei, so dass von der (Vokal-) Musik, die sie zu vertreten hatte, oft nur<br />
noch die Kirchentonart übrig blieb.<br />
Beispiel: Couperin, Messe à l'usage des paroisses: Nur die beiden ersten<br />
Sätze und der letzte Satz des Kyrie halten sich an die Choralmelodie, wobei<br />
erster und letzter Satz als Plain chant (= Plein jeu mit Cantus firmus im Pedal)<br />
geschrieben sind).<br />
So ist erklärbar, dass bereits 1662 das Caeremoniale Parisiense [6, S. 40]<br />
vorschrieb, die Orgel habe in der Alternatim-Praxis ein Minimum an<br />
choralgebundener (Cantus firmus bezogener) Musik auszuführen. Trotzdem<br />
entfernte man sich in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts noch<br />
weiter von dieser strengen Bindung.<br />
Die Orgelmusik folgte dafür andern Konventionen. Alle liturgischen <strong>St</strong>ücke<br />
begannen mit einem Plein-jeu-<strong>St</strong>ück und schlossen mit einem Grand jeu;<br />
die "Offertoires" sind oft Dialogues zwischen den Grands jeux. In den<br />
Orgelversen traten anstelle der Choralmelodie zuweilen Textdeutungen<br />
auf (zum Beispiel das "Domine Deus" im Gloria von Couperins "Messe<br />
pour les paroisses"; das "Benedictus" aus der gleichen Messe erinnert an<br />
Elevationstoccaten von Frescobaldi).<br />
In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts traten Gregorianik und<br />
Kontrapunktik weiter in den Hintergrund. Die grosse Zeit der Messbearbeitungen<br />
eines François Couperin oder N. De Grigny endete ziemlich<br />
genau mit dem Ende des 17. Jahrhunderts. Die zunehmende Bevorzugung<br />
Cantus-firmus-freier Versetten und freier Orgelstücke hatte<br />
den Vorteil, dass die <strong>St</strong>ücke vielfältig verwendbar waren. Solche<br />
volkstümliche Charakterstücke wurden um 1700 erstmals als "Suite"<br />
bezeichnet.<br />
Auch die mit "Prélude" überschriebenen Sätze (Plein-jeu-<strong>St</strong>ücke) erhielten<br />
ausserhalb der Liturgie konzertante Bedeutung. Meister wie<br />
François Couperin und Louis Marchand schufen breit ausgeführte<br />
Tierce-en-taille-Sätze oder Offertoires. Besonders die Offertoires<br />
(mehrteilige Grand-Jeu-<strong>St</strong>ücke) boten Gelegenheit zu einem längeren<br />
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<strong>St</strong>. <strong>Galler</strong> <strong>Orgelfreunde</strong> <strong>OFSG</strong> Bulletin <strong>OFSG</strong> 31, Nr. 1, 2013