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Mai/Juni 2013 - Haflinger aktuell

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Erstes einen großen Hafen Milchkaffee.<br />

Man kennt sich, schätzt sich, redet über die<br />

letzten Ausfahrten oder den traditionellen<br />

Stefanieritt. Dann geht’s an die Arbeit.<br />

Die Hufeisen werden abgenommen, die<br />

Hufsohle gereinigt, der Hufstrahl (das ist<br />

der weiche Teil der Sohle, der den Huf mit<br />

Nährstoffen versorgt) mit einem messerähnlichen<br />

Gerät zugeschnitten; als Nächstes<br />

ist die Sohle dran; während Schelle den Huf<br />

hochhält, kürzt Martin ihn um 10-15 Millimeter<br />

und glättet ihn mit einer halbmeterlangen<br />

Version einer Nagelfeile.<br />

Dann wird das Hufeisen angepasst. Mit einem<br />

kurzen Fauchen zündet der auf der<br />

Ladefläche installierte schwenkbare<br />

Schmiedeofen. Blauorange leuchtet die<br />

Flamme, die von einer roten Gasflasche<br />

gespeist wird und nahezu 1.000 Grad erreicht.<br />

Nach wenigen Minuten glühen die<br />

Eisen; den Amboss hat Martin zuvor schon<br />

aus dem Wagen gewuchtet; mit einer langen<br />

Zange packt er das rot leuchtende<br />

Metall und bringt es mit einem – erstaunlich<br />

kleinen – Hammer wieder in die passende<br />

Form – eine Einzelanfertigung, Maßarbeit<br />

sozusagen. Und weil der Winter bevorsteht,<br />

fixiert Berger noch eine Gummieinlage zwischen<br />

Horn und Eisen, was dem Pferd auf<br />

eisig-rutschigem Boden mehr Grip verleihen<br />

soll.<br />

Befestigt wird das Hufeisen mit schmiedeeisernen<br />

Hufnägeln. Sie sind leicht gebogen<br />

und laufen konisch zu. Martin muss<br />

sie in die „Zona alba“, die nur 3-5 Millimeter<br />

breite weiße Linie zwischen Hufwand<br />

und Sohle, treiben; würde der Nagel in die<br />

Lederhaut eindringen und sie verletzen,<br />

kann dies zur Erlahmung des Beines führen,<br />

was unweigerlich den Tod des Pferdes bedeuten<br />

würde. Ja, Schelle und Berger haben<br />

durchaus recht, es ist eine Kunst.<br />

„Ohne Hufeisen würde ein Pferd sehr schnell<br />

seinen gesamten Gehapparat ruinieren“,<br />

belehrt Hufeisendoktor Berger zwischen<br />

zwei Hammerschlägen. Weil die Natur die<br />

Vierbeiner nicht für Straßen und gepflasterte<br />

Wege geplant hat, ist der Schutz der<br />

„vier zusätzlichen Herzen des Pferdes“, diesem<br />

keineswegs starren, sondern flexiblen<br />

Hornpolster, von größter Wichtigkeit. Und<br />

wenn man wie Magnus Schelle<br />

an die dreieinhalbtausend Kilometer<br />

pro Jahr im Zweispänner<br />

durchs Hachinger Tal kutschiert,<br />

schleifen sich die Eisen schnell<br />

ab und verlieren ihre Form.<br />

Zehenbrüche durch Pferdetritte<br />

und Verbrennungen am Schmiedeofen<br />

sind für ihn normal, sagt<br />

Berger, „das gehört zum Beruf.“<br />

Die satte Rippenprellung und die<br />

beiden Nasenbeinbrüche durch<br />

ausschlagende Pferde „muss<br />

man aushalten.“ Und da die<br />

Arbeit fast ausschließlich im Freien<br />

durchgeführt werden kann,<br />

werkelt unser Hufschmied im<br />

Winter auch bei Temperaturen<br />

von weniger als 10 Grad unter<br />

Null, feilt, hämmert und schmiedet.<br />

Keine Arbeit für „Loamsieder<br />

und Stubenhocker“.<br />

Seit 12 Jahren geht der 45-Jährige<br />

einem der ältesten Berufe<br />

der Welt nach und hat in dieser<br />

Zeit an die 10.000 Hufeisen an<br />

Pferdefüße geschlagen. Weil er<br />

seine Arbeit gut macht, wird er<br />

weiterempfohlen und „kann von<br />

dem, was ich schon immer machen wollte,<br />

leben“. Er, seine Frau Helma und die zwei<br />

Söhne Quirin (14) und Marinus (15). Wenn<br />

die Schlierseer Gebirgsschützen ihren Jahrtag<br />

begehen, die traditionelle Leonhardi-<br />

Fahrt ansteht oder eine andere Brauchtumsveranstaltung<br />

danach verlangt, helfen sie<br />

dem Papa, die beiden eigenen Rösser „Pardon“<br />

und „Dori“, süddeutsche Kaltblüter,<br />

zu bürsten, zu striegeln und zu schmücken.<br />

Auch beim Schmieren und Saubermachen<br />

des sogenannten Truhenwagens legen sie<br />

fleißig Hand an – der Lohn ist ein Platz auf<br />

dem Kutschbock neben dem Vater.<br />

Neben der Leidenschaft für Pferde hat Martin<br />

Berger eine zweite: die Blasmusik. Zweimal<br />

in der Woche spielt Martin im Münchner<br />

Hofbräuhaus auf, am Wochenende<br />

auf Festen und Feiern. Sein Instrument ist<br />

die Tuba. Oder, wie man zwischen Watzmann<br />

und Wendelstein sagt: das Bombardon.<br />

„Eigentlich wollte mein Vater, dass ich<br />

Zither lerne, aber schon als kleiner Bub hat<br />

mich die Blasmusik fasziniert.“ Es brauchte<br />

allerdings ein paar Zufälle und das Drängen<br />

zweier Freunde, um aus dem Wunsch<br />

Realität werden zu lassen. Heute verfügen<br />

er und seine wechselnden Kompagnons<br />

über ein vielseitiges Repertoire, das vom<br />

Bayerischen Defiliermarsch bis zu „Summertime“<br />

von George Gershwin reicht. „Ich<br />

sag’s mal so“, Martin wirkt ein bisschen unsicher,<br />

vielleicht weil er fürchtet, dass das,<br />

was er gleich sagen wird, zu aufgesetzt<br />

klingt, „beides, das Beschlagen von Pferden<br />

und das Musikmachen, hat ein bissl was mit<br />

Kunst zu tun. Du kannst beides lernen, aber<br />

ohne Gefühl und ohne Geschick wird das<br />

nie was Gescheites.“<br />

Text: Tristan Berger<br />

Fotos: Sebastian Gabriel<br />

05-06/<strong>2013</strong> <strong>Haflinger</strong> <strong>aktuell</strong> 27

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