Heft 4 / 2008 - Interessengemeinschaft deutschsprachiger Autoren eV
Heft 4 / 2008 - Interessengemeinschaft deutschsprachiger Autoren eV
Heft 4 / 2008 - Interessengemeinschaft deutschsprachiger Autoren eV
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
prosa<br />
gen sein. Da sind Flexibilität und Kompetenz im<br />
jeweiligen emotionalen Ausdruck gefordert. Es<br />
gibt Tage, die gibt es gar nicht und auch solche,<br />
die zu schön sind, um wahr zu sein.<br />
Einer von beiden beginnt an diesem verheißungsvollen<br />
Morgen. Wohlausgeschlafen erwache<br />
ich, springe fröhlich aus meinem Bett, knicke<br />
auf der Stelle um und stoße mit meinem Kopf<br />
gegen das Marmorfensterbrett. Kopf und Knöchel<br />
schwellen sofort bis zur Unkenntlichkeit an<br />
und ich weiß in diesem Augenblick: Diesen Tag<br />
kannst du in den Skat drücken!<br />
Ich spiele nicht Skat. Mein Hirn verweigert sich<br />
diesem Spiel. Aber alle spielen gerne mit mir,<br />
weil sie dann mit ein Vermögen verloren, auf das<br />
Rockefeller und Onassis in brüderlicher Eintracht<br />
neidisch gewesen wären. Am Ende eines solchen<br />
Abends scheint mir Selbstmord immer eine überdenkenswerte<br />
Alternative zu sein. Nur die Gewißheit,<br />
viele liebe Menschen reich gemacht zu<br />
haben, hält mich davon ab.<br />
Mit Bowling ergeht es mir übrigens ganz ähnlich.<br />
Meine Kugel rollt, und das schaffen sonst<br />
nur ganz ausgebuffte Profis, nach Absolvieren<br />
mehrerer spiralförmiger Kreisbahnen zielgerade<br />
in die Rille und steuert haarscharf an diesen<br />
putzigen Püppchen vorbei. Der Wirt liebt mich.<br />
Dank meiner Bowling-Kultur hält seine Bahn<br />
trotz steigender Einnahmen ewig. Selbstmord?<br />
Nah dran! Sehr nah!! Gefährlich nah!!!<br />
Zurück zum Tag X.<br />
Mit geschwollenem Knöchel und hämmerndem<br />
Schädel begebe ich mich nach Einwurf einer<br />
Schmerztablette in Richtung Arbeitsstelle. Kurz<br />
vor dem Ziel muß ich umkehren. Vollsperrung<br />
der Bundesstraße wegen eines Unfalls. Unverdrossen<br />
pirsche ich mich auf Um- und Schleichwegen<br />
von hinten an das Objekt meiner Begierde.<br />
Zeitverlust eine Stunde. Dabei hatte ich gleich<br />
morgens einen schwierigen Termin! Gott sei<br />
Dank ergattere ich gerade noch einen Parkplatz.<br />
Es besteht noch Hoffnung für den Tag.<br />
Humpelnd betrete ich das Gebäude, das der<br />
Freistaat von einem westdeutschen Großmogul<br />
für horrende Summen angemietet hat. Ich<br />
spüre bereits beim bloßen Gedanken daran, wie<br />
das Messer in meiner Tasche aufklappt (Original<br />
schweizerisches Qualitätsfabrikat; mit Schere,<br />
Nagelfeile UND Flaschenöffner).<br />
Ausnahmsweise benutze ich den Fahrstuhl,<br />
will in die zweite Etage, drücke den zweiten<br />
Knopf, komme an und steige aus. Nachdem ich<br />
ein Weilchen herumgeirrt bin (ich arbeite dort<br />
noch nicht allzu lange), bemerke ich, daß ich<br />
erst in der ersten Etage bin. Verdammt, in welcher<br />
Richtung befindet sich jetzt der Fahrstuhl?<br />
Schließlich finde ich ihn, fahre eine Etage höher<br />
und erblicke dort aufatmend den Ort meines<br />
Wirkens. Der Termin wartet bereits vor der Tür.<br />
Der Waldschrat hat die Körpermaße zwei mal<br />
zwei Meter. Mit süffisantem Unterton in der<br />
Stimme begrüßt er mich: „Pünktlichkeit ist die<br />
Höflichkeit der Könige!“<br />
Ich hänge meine Mundwinkel hinter den Ohren<br />
ein, lächle tapfer und gebe ihm die Hand. Sie<br />
verschwindet bis ans Schultergelenk in seiner<br />
Pranke. Der Tag ist hin. Glücklicherweise verspüre<br />
ich jetzt jedoch endlich tief in meinem Innern<br />
einen gerechten Zorn gegen die Ungerechtigkeit<br />
der Welt aufsteigen. Gute Verhandlungsbasis!<br />
Nachdem er sich auf meinen beiden Besucherstühlen<br />
niedergelassen hat, die beide verzweifelt<br />
ihre Beinchen in den Teppichboden stemmen,<br />
meint er herablassend in meine Richtung: „Na,<br />
Mädel, da werden wir jetzt mal Tacheles reden.“<br />
Ich denke, ich höre nicht recht! Wie spricht<br />
der denn mit mir?! Nach zwanzig Jahren Dienst<br />
bin ich aber „Rampensau“ genug um zu wissen:<br />
Solche wie den da verspeise ich zum Frühstück,<br />
ganz locker, ungewürzt und roh. Im Stück! Mein<br />
Entschluß steht fest: Heute gebe ich den Giftzwerg.<br />
Irgendwie ist mir danach.<br />
Ich koche ihm also einen meiner legendären<br />
Kaffees, die nur mittels Stemmeisen aus der Tasse<br />
zu bekommen sind und serviere ihn sowohl<br />
mit einem abgrundtiefen Lächeln als auch ohne<br />
Rattengift. Noch glaubt er, er hätte mich im Sack.<br />
Das Schmalz der Selbstzufriedenheit troff ihm<br />
aus beiden Ohren. Während ich meinen Kaffee<br />
genieße, lausche ich, echtes Interesse imitierend,<br />
seinem weitschweifigen, nichtssagenden Gefasel.<br />
Ich lächle immer noch. Als ich beginne, mir Notizen<br />
zu machen, verliert er den letzten Rest Respekt<br />
vor mir, lockert seinen Kulturstrick, rutscht<br />
IGdA-aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (2009), Seite 21