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Heft 4 / 2008 - Interessengemeinschaft deutschsprachiger Autoren eV

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Essay<br />

wurden – und die jedem etwas älteren von uns,<br />

und sei er nur 40 oder 50, elektronisch etwas<br />

vormachen? Können sie, die sich ihre Arbeit –<br />

das Schreiben also – ohne PC nicht mehr vorstellen<br />

können und ihre Texte gleich „eingeben“<br />

– können sie noch wirklich kreativ, schöpferisch<br />

im Sinne des Wortes sein? Oder verhindert das<br />

neue, elektronische Zeitalter des Computers<br />

subtil und indirekt das Schöpferische?<br />

Für alles gibt es da Programme: Für Wort-<br />

Trennungen, Rechtschreibung (je nach dem<br />

„alte“ oder „neue“); es gibt leicht aufzurufende<br />

Lexika, die dem Schreibenden seine Arbeit<br />

erleichtern sollen (so kann er, um Doppelnennungen<br />

zu vermeiden, ein Synonymie-Lexikon<br />

befragen). Da werden zum Beispiel Sätze, Absätze,<br />

ja ganze Abschnitte zertrennt und wieder zusammengefügt,<br />

es wird eingefügt, und alles geht<br />

per Mausklick schnell und sauber. Kurzum, der<br />

moderne Schriftsteller kann sich in mancherlei<br />

Hinsicht auf seinen elektronischen Helfer verlassen.<br />

Doch nicht selten leidet der Text darunter,<br />

und man kann mitunter bei einem schlechten<br />

(etwa bei dem eines Kollegen, für den „Zeit<br />

Geld ist“) erkennen, wo zwei Absätze oder Sätze<br />

unstimmig aneinander gefügt wurden, wo eine<br />

Kürzung den Zusammenhang oder zumindest<br />

den Fluß des Textes stört usw. Ich selbst kenne<br />

solche Texte.<br />

Birgt also nicht grade die Technisierung und<br />

Mechanisierung des Schreibens die Gefahr, vieles<br />

von dem, was einst – und noch unlängst – zum<br />

Geschäft des Schriftstellers gehörte, zu delegieren,<br />

das heißt aus der Hand zu geben, nicht mehr zu<br />

kontrollieren und irgendwann gar zu verlernen?<br />

Je mehr wir uns auf unsere elektronischen Helfer<br />

verlassen, umso mehr geben wir das Ruder des<br />

Schreibens aus der Hand. Verleitet die Arbeit mit<br />

dem Computer uns letztlich, Fauxpas wie die oben<br />

genannten zu übersehen. In der Wissenschaft, wo<br />

es um inhaltliche Mitteilung geht, mag das noch<br />

hingenommen werden können, in der Literatur ist<br />

es nicht nur ein Fauxpas, sondern verheerend und<br />

eine Unmöglichkeit!<br />

Nicht, daß es nicht auch unter den Jungen<br />

kreative Menschen und <strong>Autoren</strong> gäbe – keine Frage.<br />

Aber laufen wir nicht alle grundsätzlich Gefahr,<br />

im Rahmen jener gesellschaftlichen Veränderung<br />

„entkreativiert“ zu werden und damit durch<br />

eine wissenschaftlich gemeinten „Versachlichung“<br />

aller Phänomene unsere Kreativität und Originalität<br />

selbst zu untergraben? – allmählich, in einem<br />

langsamen, schleichenden, kaum merklichen Prozeß?<br />

Dichtung lebt vom Umgang mit Sprache als<br />

Mittel der Darstellung und Verdeutlichung der<br />

Phänomene. Inwieweit kann da Elektronik hilfreich<br />

sein?<br />

In der Lyrik kann zum Beispiel die Entmythologisierung<br />

oder besser: Entzauberung von Kunst<br />

gut beobachtet werden. Gemeint ist die durch<br />

Naturwissenschaften und Technik eingeleitete<br />

Versachlichung des Lebens: Es gibt nichts Wunderbares<br />

mehr, man versucht die Welt nüchtern<br />

zu sehen. Gemeint ist damit zugleich die „Entphilosophisierung“<br />

des Lebens: grundsätzliche Fragen,<br />

für die alle Naturwissenschaft – wenigstens<br />

bis heute – keine Erklärungen oder plausiblen<br />

Deutungen parat hat, werden wissenschaftlich<br />

versachlicht, gar nicht gestellt oder belächelnd gemieden.<br />

Dabei können auch unumstrittene Phänomene<br />

unter verschiedenen Aspekten betrachtet<br />

werden. Dieser Trend einer vermeintlichen Versachlichung<br />

aller Dinge des Lebens ist Fakt und<br />

seit geraumer Zeit beobachtbar.<br />

Eine solche „Entphilosophisierung“ von<br />

Grundfragen und -anliegen des Menschen geht<br />

aber einher mit der Entindividualisierung der Beteiligten.<br />

Denn Individualität – starke Individualität<br />

– wird in der Massengesellschaft zunehmend<br />

verdrängt und seltener, da sie einem reibungslosen<br />

Massenbetrieb stets im Wege steht; das liegt<br />

in der Natur der Sache. Gefragt sind zunehmend<br />

Menschen, die ohne Ecken und Kanten funktionieren<br />

– so wie es ihnen die technischen Entwicklungen<br />

und Errungenschaften suggerieren. Und<br />

die Massengesellschaft wird zunehmend zum<br />

Modell des Zusammenlebens der Menschen werden<br />

(solange diese sich nicht selbst umgebracht<br />

oder doch stark dezimiert haben), notgedrungen<br />

bedingt durch das stets übersehene, aber zunehmend<br />

virulente Problem der Überbevölkerung<br />

der Erde, das Rationaionalisierung und Rationalität<br />

fordert – und nicht Individualität oder tiefere<br />

Philosophie.<br />

Dichter sind – und waren schon immer – sensible<br />

Indikatoren für bevorstehende gesellschaftliche<br />

Veränderungen, Befindlichkeiten und Gefahren.<br />

Als solche aber sind sie zugleich Teil der in Aufbruch<br />

oder Wandel befindlichen Gesellschaft. Für<br />

die Lyrik bedeutet das konkret, daß sie auch deren<br />

Aus-der-Form-laufen sowie ihr Streben nach<br />

„Verwissenschaftlichung“ bzw. Versachlichung<br />

mitmacht. Dies aber bedeutet einen Abbau des<br />

Künstlerischen, den zunehmenden Verzicht auf<br />

IGdA-aktuell, <strong>Heft</strong> 1 (2009), Seite 25

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