journal Psychotherapeuten - Psychotherapeutenkammer NRW
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Körperbilddiagnostik<br />
2.5 Kognitiv-behaviorale<br />
Ansätze und Informationsverarbeitungstheorien<br />
Franklin Shontz (1969) führte die Perspektive<br />
der Informationsverarbeitung in<br />
die Körperbildforschung ein. Er entwarf<br />
eine Klassifikation der verschiedenen Konzepte<br />
mit dem übergeordneten Konstrukt<br />
der Körpererfahrung („Body Experience“).<br />
Cash (2004) beschreibt ein Modell zur<br />
lerntheoretischen Entwicklung des Körpererlebens,<br />
welches von informationstheoretischen<br />
Überlegungen beeinflusst ist. Darin<br />
wird dargestellt, auf welche Weise historische<br />
Einflüsse (wie kulturelle Sozialisation)<br />
oder aktuelle Lebenseinflüsse grundlegende<br />
Körperbildeinstellungen installieren und<br />
bestimmte selbstregulierende Handlungen<br />
(z. B. Diäten) auslösen.<br />
2.6 Rasante Forschungstätigkeit<br />
Mit Hilde Bruch als Pionierin (1973) begann<br />
in den folgenden Jahrzehnten eine<br />
intensive Forschungstätigkeit zur Störung<br />
von Körperschema und Körperbild im<br />
Rahmen von Essstörungen und damit<br />
verbunden ein ausgeprägtes Wachstum<br />
körperbezogener therapeutischer Anwendungen.<br />
Die 1970er bis 1990er Jahre<br />
brachten ebenfalls eine Fülle neu entwickelter<br />
Verfahren zur Körperbilddiagnostik<br />
und eine Erweiterung der Forschung zum<br />
Körper erleben im Zusammenhang mit<br />
diversen psychischen Störungen, welche<br />
zuvor von der Untersuchung von Essstörungen<br />
dominiert war. 1983 unternahm<br />
Joraschky einen umfassenden Versuch,<br />
die Fülle der bis dahin vorliegende Literatur<br />
zum Körperbild störungsübergreifend<br />
zu sichten und zusammenzufassen,<br />
indem er Einflüsse aus Neurologie, Phänomenologie<br />
und Psychoanalyse zusammentrug.<br />
2.7 Bindungs- und empirische<br />
Säuglingsforschung<br />
Der wesentliche Einfluss von frühkindlichen<br />
Erfahrungen und deren primär<br />
vorsprachliche Genese auf der Basis des<br />
Körpererlebens wird durch die Konzepte<br />
der Bindungsforschung (Ainsworth, 1978;<br />
Köhler, 1998; Fonagy, Gergely, Jurist &<br />
Target, 2002) und der empirischen Säuglingsforschung<br />
(Müller-Braunschweig,<br />
1980; Lichtenberg, 1991; Stern, 2003;<br />
Dornes, 2004) demonstriert. Die genannten<br />
Konzepte verdeutlichen die basale<br />
Funktion der Intersubjektivität für die<br />
Konstituierung der körperbezogenen Ich-<br />
Strukturen und des Selbst. Ein weiterer<br />
Aspekt ergibt sich durch Untersuchungen,<br />
welche die transgenerationale Übertragung<br />
von Bindungsmustern postulieren<br />
(Köhler, 1998).<br />
Für therapeutisch Arbeitende bedeutet<br />
dies, dass Patienten selbstverständlich ihre<br />
frühen Bindungserfahrungen und Beziehungswünsche<br />
in die therapeutische<br />
Übertragungsbeziehung mit einbringen.<br />
Da diese primär in einer Entwicklungsphase<br />
konstituiert wurden, in der die zerebralen<br />
Strukturen des expliziten Gedächtnisses<br />
noch nicht ausgereift waren, geschieht<br />
dies eher in Form von szenischen<br />
„Enactments“, also Kommunikation über<br />
körperliche Zeichen, als durch sprachliche<br />
Symbolisierungen. Hier wird die Bedeutung<br />
einer angemessenen Methodik der<br />
Körperbilddiagnostik deutlich, welche die<br />
averbalen Botschaften der Patienten adäquat<br />
erfassen und nutzen kann.<br />
2.8 Neurobiologie<br />
Unterstützung bekommt der transgenerationale<br />
Ansatz durch neurobiologische Studien<br />
(Meany, 2001), welche bestätigen,<br />
dass mangelnde Qualität in der mütterlichen<br />
Fürsorge wiederum das mütterliche<br />
Verhalten der inzwischen erwachsenen<br />
Kindergenerationen gegenüber ihren eigenen<br />
Kindern, also insgesamt gegenüber<br />
den Folgegenerationen negativ beeinflusst.<br />
Neurobiologische Untersuchungen<br />
zeigen auch, dass Empathie in hohem<br />
Maße ein verkörperter Vorgang ist (Gallese<br />
& Goldman, 1998; Beebe & Lachman,<br />
2002; Singer, 2006). Untersuchungen<br />
von Eisenberger und Liebermann (2004)<br />
illustrieren die enge neurobiologische Verknüpfung<br />
von physischem Schmerz und<br />
dem Schmerz, welcher bei sozialer Isolierung<br />
erlebt wird.<br />
Auch hier ergeben sich Konsequenzen für<br />
den Einsatz von Körperbilddiagnostik. Um<br />
zu erfassen, welche körperbildbezogenen<br />
Parameter sich im Vergleich zu den neurobiologischen<br />
Korrelaten ändern, sind<br />
adäquate Verlaufsinstrumente erforderlich.<br />
3. Begriffsklärung<br />
Die Vielfalt der theoretischen Zugänge zum<br />
Thema der Körperlichkeit führte zu einer<br />
„babylonischen Sprachverwirrung“ (Meermann,<br />
1985), die bis heute zu finden ist.<br />
Eine aus der jährlichen Dresdner Körperbildwerkstatt<br />
entstandene Arbeitsgruppe<br />
von forschend und klinisch mit dem Körpererleben<br />
befassten Experten verabschiedete<br />
2005 ein Konsensuspapier, welches<br />
zu einer Begriffsklärung beitragen sollte<br />
(Röhricht et al.). Die Arbeitsgruppe schlug<br />
„Körpererleben“ als globalen Oberbegriff<br />
vor, welcher alle den Körper betreffenden<br />
perzeptiven, kognitiven, emotionalen und<br />
motorischen Aspekte umfasst. Unserem<br />
Eindruck nach wird jedoch in der deutschund<br />
englischsprachigen Forschungslandschaft<br />
weiterhin überwiegend der Begriff<br />
„Körperbild“ (body image) als Oberbegriff<br />
verwendet. An dieser Stelle sollen kurz<br />
drei Definitionen vorgestellt werden, welche<br />
von v. Arnim, Joraschky und Lausberg<br />
(2007, S. 165-166) übernommen wurden:<br />
• Unter Körperschema versteht man relativ<br />
zielsichere Bewegungsschemata,<br />
durch die es uns möglich ist, die räumliche<br />
Einschätzung des Körpers, Orientierung<br />
und Bewegung im Raum auf<br />
stabile und verlässliche Standards zu<br />
beziehen.<br />
• Dem gegenüber beschreibt das Körperbild<br />
den subjektiv phänomenalen<br />
Funktionsbereich, alle körperbezogenen<br />
Vorstellungen und Gefühle, die in<br />
unterschiedlichem Maß bewusstseinsfähig<br />
sind (Dolto, 1987).<br />
• Unter dem psychoanalytischen Konstrukt<br />
des Körper-Selbst als Teil des<br />
Selbst-Konzeptes werden „unbewusste<br />
Überzeugungen, Vorstellungen, Gefühle<br />
und Phantasien über den Körper“<br />
subsumiert.<br />
4. Beeinträchtigungen<br />
und Störungen des<br />
Körperbildes<br />
4.1 Subklinischer Bereich<br />
Das Körpererleben kann im subklinischen<br />
oder klinischen Bereich eingeschränkt sein<br />
264 <strong>Psychotherapeuten</strong><strong>journal</strong> 3/2010