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journal Psychotherapeuten - Psychotherapeutenkammer NRW

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Aktuelles aus der Forschung<br />

David Bräuer und Hedwig Schmidinger<br />

Technische Universität Dresden<br />

Kognitive Verhaltenstherapie bei schweren psychischen Störungen: Nicht wirksam,<br />

nicht wirksamer als andere oder eben doch wirksam? Wie Metaanalysen Qualität<br />

suggerieren und Klarheit reduzieren<br />

Lynch, D., Laws, K. R. & McKenna,<br />

P. J. (2009). Cognitive behavioural<br />

therapy for major<br />

psychiatric disorder: does it<br />

really work? A meta-analytical<br />

review of well-controlled trials.<br />

Psychological Medicine, 40,<br />

9-24.<br />

In den Augen zahlreicher Forscher<br />

sind Metaanalysen das<br />

Mittel der Wahl zur Überprüfung<br />

der Wirksamkeit von Therapien<br />

und Therapieelementen.<br />

Eine aktuelle metaanalytische<br />

Studie von Lynch, Laws und<br />

McKenna (2010) hat sich die<br />

Frage gestellt, wie wirksam<br />

Kognitive Verhaltenstherapie<br />

(KVT) bei den schweren<br />

psychischen Störungen Schizophrenie,<br />

Bipolarer Störung<br />

und Major Depression ist. Sie<br />

legen zwei Schwerpunkte: Erstens,<br />

wie effektiv ist KVT bei<br />

der Symptomreduktion und<br />

zweitens, wie effektiv ist KVT<br />

bei der Rückfallprävention (jeweils<br />

im Vergleich zu anderen<br />

als unspezifisch bezeichneten<br />

Therapieformen)? Zu den unspezifisch<br />

wirkenden Therapieformen<br />

zählen Lynch et al.<br />

unter anderen unterstützende<br />

Therapie, soziale Aktivitäten,<br />

Psychoedukation und Entspannungsverfahren.<br />

Weiter wurden<br />

Studien miteinbezogen,<br />

die KVT-Behandlung mit Placebobehandlung<br />

bzw. Treatment<br />

as usual verglichen.<br />

Die Autoren berichten folgende<br />

Ergebnisse: KVT war<br />

bei Schizophrenie sowohl bei<br />

der Symptomreduktion wie<br />

auch der Verhinderung eines<br />

Rückfalls im Vergleich zu den<br />

Kontrollen nicht effektiver. Zu<br />

gleichem Schluss kommen die<br />

Autoren bei der Rückfallprävention<br />

von Bipolaren Störungen.<br />

Bei der Reduzierung von Symptomen<br />

der Major Depression<br />

und bei der Rückfallprophylaxe<br />

finden die Autoren eine höhere<br />

Effektivität im Vergleich zu<br />

den Kontrolltherapien. Das Fazit<br />

der Autoren: die Effekte von<br />

Psychotherapie und vor allem<br />

KVT werden überschätzt.<br />

Kommentar: Die vorliegende<br />

Metaanalyse scheint psychotherapeutischen<br />

Ansätzen bei<br />

der Behandlung von bipolaren<br />

Störungen und Schizophrenie<br />

jegliche Daseinsberechtigung<br />

abzusprechen. Es tut Not, einen<br />

Blick hinter die Kulissen<br />

dieser Arbeit zu wagen und die<br />

vermeintlich harten Kriterien zu<br />

betrachten, die Lynch et al. bei<br />

der Auswahl der in ihre Analyse<br />

eingehenden Studien anlegen.<br />

Dass an den von Lynch et al.<br />

postulierten Auswahlkriterien<br />

und der Interpretation der Ergebnisse<br />

Diskussionsbedarf<br />

besteht, zeigen vor allem zwei<br />

Kommentare von Lincoln und<br />

Kingdon (beide Kommentare<br />

in Psychological Medicine<br />

2010), die einhellig sowohl das<br />

Auswahlprozedere, wie auch<br />

die Interpretationen von Lynch<br />

et al. kritisieren:<br />

So wurden nur Studien zugelassen,<br />

die als Kontrollgruppe<br />

eine als unspezifisch therapeutisch<br />

wirksame Intervention<br />

berichten. Die Definition, die<br />

Lynch et al. dazu vorlegen, ist<br />

aber zumindest fraglich; so<br />

werden Entspannungsverfahren,<br />

unterstützende Therapie<br />

oder Psychoedukation als unspezifisch<br />

wirkende Interventionen<br />

akzeptiert.<br />

Hinzu kommt erschwerend,<br />

dass sich die KVT-Behandlungsgruppe<br />

teilweise inhaltlich<br />

mit den vorgeschlagenen<br />

Kontrollinterventionen überlappt<br />

(z. B. Psychoedukation,<br />

Steigerung sozialer Aktivitäten)<br />

und aufgrund der ausgewählten<br />

Studien ebenfalls<br />

keine homogene Gruppe<br />

darstellt (z. B. unterscheidet<br />

sich die Behandlung in der<br />

Studie von Hogarty et al.,<br />

1997, deutlich von klassischen<br />

KVT-Ansätzen). Ein weiteres<br />

Einschlusskriterium stellt die<br />

symptombasierte Definition<br />

eines Rückfalls dar, was sicher<br />

die bessere Definition<br />

eines Rückfalles als Rehospitalisierung<br />

darstellt. Letztere<br />

konsequent auszuschließen,<br />

erscheint jedoch nicht nachvollziehbar.<br />

Eingeschlossen<br />

wurden Studien, bei denen<br />

die Untersuchten global die diagnostischen<br />

Kriterien der untersuchten<br />

Störungsbilder erfüllten,<br />

was insbesondere bei<br />

der Schizophrenie zu einem<br />

heterogenen Patientenpool<br />

führt. Ungelöst bleibt zudem<br />

das Problem unkontrollierter<br />

Arzneimittelwirkungen. In<br />

Summe legen die angeführten<br />

Kritikpunkte nahe, dass<br />

zu eng gefasste Einschlusskriterien,<br />

die Übernahme von<br />

für die Untersuchung zu weit<br />

gefassten Konzepten (Schizophrenie<br />

ohne Differenzierung)<br />

sowie inhaltlich überlappende<br />

Gruppen möglicherweise zu<br />

einer Unterschätzung von Effekten<br />

der KVT führten.<br />

Dazu kommt: an keiner Stelle<br />

erwähnen die Autoren Zahlen,<br />

die die Wirksamkeit von Psychotherapie<br />

an sich, z. B. durch<br />

Vergleiche der Symptomatik<br />

vor und nach der Therapie,<br />

belegen. Der mangelnde Un-<br />

<strong>Psychotherapeuten</strong><strong>journal</strong> 3/2010<br />

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