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journal Psychotherapeuten - Psychotherapeutenkammer NRW

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Leistungssport und psychische Störungen<br />

Jürgen Hoyer 1 , Jens Kleinert 2<br />

1<br />

Technische Universität Dresden<br />

2<br />

Deutsche Sporthochschule Köln<br />

Zusammenfassung: Diese Übersichtsarbeit stellt die Literatur zu psychischen Störungen<br />

in der Domäne des Leistungssports dar. Dabei wird deutlich: Psychische<br />

Störungen sind in der Welt herausragender sportlicher Leistungen relativ gesehen<br />

weniger wahrscheinlich; ein von psychischen Störungen betroffener Spitzensportler<br />

kann aber vor der Situation stehen, mit überfordernden psychischen Problemen in<br />

einer besonders leistungsbezogenen Welt allein zu bleiben, obwohl er von Fachleuten<br />

aus Sport und Medizin umgeben ist. Lösungen für dieses Problem lägen<br />

in einer größeren Akzeptanz wissenschaftlich bewährter diagnostischer und psychotherapeutischer<br />

Methoden und in einer engeren interdisziplinären Kooperation.<br />

Leistungssport ist assoziiert mit spannenden,<br />

ja atemberaubenden Momenten,<br />

phantastischen Leistungen und modernem<br />

Heldentum, mit unvergesslichen<br />

Geschichten und außergewöhnlichen Persönlichkeiten.<br />

Manche denken bei diesem<br />

Stichwort vielleicht auch noch an sehr viel<br />

Geld. Leistungssport, das ist sogar mehr<br />

als Hollywood. Es sind nämlich keine<br />

Schauspieler, die da agieren, sondern reale<br />

Menschen; Menschen aus Fleisch und<br />

Blut, mit Leib und Seele. Und es geht um<br />

reale Karrieren und echte Vorbilder. Seelische<br />

Probleme passen da nicht ins Bild.<br />

Wenn bekannte Leistungssportler zum<br />

Beispiel unter Depressionen leiden, dann<br />

reagiert die Öffentlichkeit geschockt und<br />

überrascht, so als wären die Leistungsfähigen<br />

vor psychischen Störungen gefeit.<br />

Sport ist in der Tat gesund. Bewegung und<br />

physische Aktivität haben sich als wirksam<br />

erwiesen gegen Diabetes, Übergewicht<br />

und Bluthochdruck, sogar gegen bestimmte<br />

Krebsformen oder allergische Dispositionen<br />

(Sallis, 1998; US Department of<br />

Health and Human Services, 1996). Sportliche<br />

Betätigung steigert damit die Lebenserwartung,<br />

aber nicht nur das. Sport macht<br />

darüber hinaus auch Spaß und steigert die<br />

Lebensqualität! Damit ist es nicht verwun-<br />

derlich, dass Sport auch im Hinblick auf<br />

seelische Störungen einen wissenschaftlich<br />

gesicherten Schutzfaktor darstellt<br />

(Ströhle et al., 2007): Nicht nur die durch<br />

den Sport wachsende Selbstwirksamkeitserwartung<br />

wirkt protektiv im Hinblick auf<br />

seelische Störungen, auch das unmittelbare<br />

Wohlbefinden während und nach<br />

sportlicher Aktivität, das oft mit Sport verbundene<br />

Gemeinschaftserleben oder die<br />

soziale Unterstützung in der sportlichen<br />

Gemeinschaft. Ferner kommt dem Sport<br />

bei der Rehabilitation vieler körperlicher,<br />

neurologischer oder psychischer Erkrankungen<br />

eine wichtige, gesundheits- und<br />

genesungsförderliche Bedeutung zu (vgl.<br />

Brand & Schlicht, 2008).<br />

Diese Vorteile sind aber nur für sportliche<br />

Betätigung nachgewiesen, die in einem<br />

gewissen Rahmen bleibt („exercise“ und<br />

„physical activity“). Leistungs- und Wettkampfsport<br />

(„sports“) hat offensichtlich<br />

eher andere Vorteile als ein körperlich<br />

gesundes Leben. Seine Risken im gesundheitlichen<br />

Bereich sind je nach Sportart<br />

erheblich. Ernsthafte körperliche Verletzungen<br />

sind in vielen Bereichen des Leistungssports<br />

unvermeidlich. Diese Tatsache<br />

ist weitgehend bekannt und wird bei der<br />

Entscheidung für den Leistungssport oft<br />

in Kauf genommen. „Seelische Verletzungen“<br />

bleiben aber überwiegend ausgeklammert,<br />

sie wären ein Fleck auf der<br />

Hochglanzseite des Sports. Oder gibt es<br />

sie tatsächlich nicht?<br />

In der vorliegenden Übersichtsarbeit<br />

möchten wir diese Frage auf der Basis<br />

neuerer wissenschaftlicher Ergebnisse<br />

beantworten. Dabei werden wir auf Störungsbilder<br />

eingehen, die gehäuft in bestimmten<br />

Sportarten beobachtet werden<br />

(zum Beispiel Magersucht oder körperdysmorphe<br />

Störungen) sowie psychische<br />

Auffälligkeiten und klinische Phänomene<br />

darstellen, die typischerweise im Leistungssport<br />

auftreten, wie zum Beispiel<br />

Wettkampfangst und die Depression nach<br />

Verletzungen. Abschließend argumentieren<br />

wir dafür, dass bei Verdacht auf eine<br />

behandlungsbedürftige psychische Problematik<br />

psychotherapeutische Expertise<br />

hinzugezogen werden muss.<br />

Leistungssportler: eine<br />

seelische Elite?<br />

Leistungssportler müssen in der Lage<br />

sein, Außergewöhnliches zu leisten. Dazu<br />

benötigen sie nicht nur eine besondere<br />

Begabung und exzellentes Können in ihrer<br />

Sportart. Sie brauchen, um in außergewöhnliche<br />

Leistungsbereiche vorstoßen zu<br />

können, auch erhebliche psychologische<br />

Kompetenzen (Gardner & Moore, 2006).<br />

Erfolgreiche Leistungssportler müssen<br />

diszipliniert auf ein Ziel hinarbeiten können<br />

und sich im Training und im Wettbewerb<br />

motivieren können. Sie müssen der<br />

Stressbelastung im Wettkampf standhalten<br />

und in der Lage sein, sich körperlich und<br />

psychisch schnell zu erholen. Mentale<br />

252 <strong>Psychotherapeuten</strong><strong>journal</strong> 3/2010

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