journal Psychotherapeuten - Psychotherapeutenkammer NRW
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Mitteilungen der <strong>Psychotherapeuten</strong>kammer<br />
Hessen<br />
einen positiven Cost Offset-Effekt bedinge<br />
und kosteneffektiver sei als viele andere<br />
Interventionen. Auf der anderen Seite steige<br />
die Anzahl psychischer Erkrankungsdiagnosen<br />
bei den Krankenkassen weiter an:<br />
Nahezu jeder dritte Bundesbürger im Alter<br />
zwischen 18 und 65 Jahren leide inzwischen<br />
unter einer behandlungsbedürftigen<br />
psychischen Störung. Das Lebenszeitrisiko<br />
liege in der gesamten EU mit 50% noch<br />
deutlich höher. Zudem blieben rund 2/3<br />
der psychischen Erkrankungen im Erwachsenenalter<br />
unbehandelt, nur 10% der Betroffenen<br />
erhielten überhaupt eine fachgerechte<br />
Behandlung.<br />
Kinder und Jugendliche<br />
Eröffnet wurde der Samstag von der Vorsitzenden<br />
des Gemeinsamen Beirats der<br />
LÄK und der LPPKJP Sabine Eckert. Danach<br />
bestritt Dieter Kleiber den ersten<br />
Vortrag am Vormittag, moderiert von Helga<br />
Jacobi vom Gemeinsamen Beirat der<br />
LÄK und der LPPKJP, in dem es gezielt um<br />
die psychotherapeutische Versorgung von<br />
Kindern und Jugendlichen ging, bei denen<br />
rund 4/5 mit psychischen Störungen<br />
unbehandelt blieben. Kleiber erläuterte,<br />
dass sich die Prävalenz psychischer Auffälligkeiten<br />
bei Kindern und Jugendlichen<br />
in Abhängigkeit vom sozioökonomischen<br />
Status verteile: Oberschicht (16,4%),<br />
Mittelschicht (20,9%) und Unterschicht<br />
(31,3%). Kleiber plädierte für verstärkte<br />
Anstrengungen im Bereich der primären<br />
Prävention bei Kindern und Jugendlichen,<br />
da hier (z. B. bei Adipositas) wichtige Ansatzpunkte<br />
lägen, was im Einklang steht<br />
mit Forderungen aus dem Berufsstand der<br />
<strong>Psychotherapeuten</strong>.<br />
Psychosomatisch Erkrankte<br />
Prof. Johannes Kruse, Direktor der Klinik<br />
für Psychosomatik und Psychotherapie des<br />
Universitätsklinikums Gießen und Marburg,<br />
verfolgte, moderiert von Dr. Wolfgang<br />
Merkle, Chefarzt der Psychosomatischen<br />
Klinik des Hospitals zum Heiligen Geist in<br />
Frankfurt/Main, in seinen Ausführungen<br />
„den langen Weg des psychosomatischen<br />
Patienten bis zur Therapie“. Als Gründe<br />
für die späte Inanspruchnahme nannte<br />
Kruse: unzureichende psychosomatische<br />
Diagnostik in der hausärztlichen Versorgung,<br />
Defizite in der psychosomatischen<br />
Versorgung sowie individuelle und soziale<br />
Behandlungsbarrieren. Zur Überwindung<br />
seien bei den Hausärzten nicht nur verbesserte<br />
Screening-Verfahren und optimierte<br />
Kommunikationsskills notwendig, sondern<br />
auch ein Verstehen psychodynamischer<br />
Grundkonflikte. Weiter plädierte Kruse für<br />
realistische Zielsetzungen in der Therapie<br />
somatoformer Störungen und stellte hierbei<br />
in Frage, ob sehr kurzfristige Therapien<br />
trotz Symptomverbesserungen Nachhaltigkeit<br />
mit sich brächten.<br />
Chronisch psychisch kranke<br />
Menschen<br />
Dr. Brigitte Haaf, psychologische Psychotherapeutin<br />
aus Mainz, stellte in ihrem praxisorientierten<br />
Vortrag ein integriertes Versorgungsprojekt<br />
zur Behandlung chronisch<br />
psychisch kranker Patienten vor, das vom<br />
„Netz für seelische Gesundheit Mainz e.V.“<br />
initiiert wurde. Hier können seit 2006 Versicherte<br />
der TK mit einer ICD-10-Primärdiagnose<br />
aus den Bereichen F2, F3 und F4<br />
behandelt werden, für die die bestehenden<br />
ambulanten Versorgungsformen nicht<br />
ausreichen. Herzstück des Projekts seien<br />
intensive Projekt- und Fallbesprechungen<br />
im Team. Der Nachteil des großen Aufwands<br />
sei, dass nur eine geringe Zahl an<br />
Patienten behandelt werden könnte und<br />
es mitunter zu Reibungen zwischen Heilkunde<br />
und Ökonomie komme.<br />
Migranten<br />
Der Integration von Migranten in therapeutische<br />
und psychiatrische Versorgungssysteme<br />
widmete sich Ramazan Salman<br />
vom ethno-medizinischen Zentrum in<br />
Hannover in seinem lebendigen Vortrag,<br />
der von Uta Cramer-Düncher moderiert<br />
wurde, Mitglied des Vorstands der LPP-<br />
KJP. Einführend klärte er auf, Migranten<br />
stellten in Deutschland eine viel heterogenere<br />
Bevölkerungsgruppe dar als Nicht-<br />
Migranten, die soziologisch oft in wenige<br />
Untergruppen eingeteilt werden könnten.<br />
Salman plädierte, Chancen und Risiken<br />
von Migration in Balance zu betrachten:<br />
Migration bringe psychisch vermittelte,<br />
tief greifende Veränderungen mit sich.<br />
Viele Migranten seien aufgrund niedriger<br />
Bildung, prekärer Arbeitsverhältnisse und<br />
rechtlicher Beschränkungen sozial benachteiligt,<br />
was vielfältige Auswirkungen auf<br />
ihre Gesundheit habe, ohne dass Migration<br />
zwangsläufig krank mache. Hilfreich<br />
sei eine interkulturelle Öffnung des psychotherapeutischen<br />
Versorgungssystems.<br />
Als beispielhaft nannte Salman die „Sonnenberger<br />
Leitlinien“ für die Integration<br />
von Migranten in die Psychotherapie und<br />
Psychiatrie, an denen er selbst maßgeblich<br />
mitgearbeitet habe.<br />
Ältere Menschen<br />
Dr. Christiane Schrader, Psychoanalytikerin<br />
vom Institut für Alterspsychotherapie<br />
und angewandte Gerontologie, sprach<br />
zur Psychotherapie mit älteren Menschen.<br />
Ältere seien in psychotherapeutischen<br />
Praxen erheblich unterrepräsentiert: In<br />
den 90er Jahren lag der Anteil der über<br />
60-jährigen dort bei unter 2%, inzwischen<br />
liege er für die 60- bis 69-jährigen bei 5%,<br />
für die über 70-jährigen bei 1%. Schrader<br />
sprach von einem „Vermeidungsbündnis“<br />
zwischen Ärzten, <strong>Psychotherapeuten</strong><br />
und Patienten: Wir alle seien von negativen<br />
Altersstereotypen beeinflusst; zudem<br />
mangele es an Wissen und Kenntnissen.<br />
Schrader empfahl <strong>Psychotherapeuten</strong>, sich<br />
aktiv auch um die Behandlung von älteren<br />
Menschen zu bemühen, da es eine große<br />
Bereicherung sei, mit Menschen mit einer<br />
reichhaltigen und großen Lebenserfahrung<br />
zu arbeiten. Der Vortrag von Christiane<br />
Schrader wurde von dem ärztlichen<br />
<strong>Psychotherapeuten</strong> Jochen Klauenflügel<br />
moderiert.<br />
Abschließende Podiumsdiskussion<br />
Bei der Podiumsdiskussion, die von Thomas<br />
Merz, Mitglied des Gemeinsamen<br />
Beirats der LÄK und der LPPKJP sowie des<br />
Vorstands der LPPKJP, und Cornelia Krause-Girth<br />
moderiert wurde, empfahl Dr. Hubert<br />
Schindler vom Verband der Ersatzkassen<br />
aus Berlin, Thesenpapiere zu erarbeiten,<br />
in denen die Forderungen für die Behandlung<br />
der „Stiefkinder“-Patientengruppen<br />
festgehalten werden. Auf einen Einwand<br />
von Dr. Ulrich Müller, Vorstandsmitglied<br />
der LPPKJP auf dem Podium, wonach die<br />
Krankenkassen ihre Budgets weniger unter<br />
fachlichen als vielmehr unter betriebswirtschaftlichen<br />
Gesichtspunkten „wie ein<br />
Industrieunternehmen“ führten, erläuterte<br />
Schindler die betriebswirtschaftliche Logik<br />
316 <strong>Psychotherapeuten</strong><strong>journal</strong> 3/2010