journal Psychotherapeuten - Psychotherapeutenkammer NRW
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Berlin<br />
Pharmaindustrie, sondern sind z. B. auch<br />
Managementgesellschaften, die Kliniken<br />
betreiben und sich über MVZs auch in der<br />
ambulanten Versorgungslandschaft ausbreiten.<br />
Die Einführung ökonomischer<br />
Gründe für eine Priorisierung<br />
von Gesundheitsleistungen ist<br />
unethisch<br />
Zum ähnlichen Ergebnis kommt der VDÄÄ:<br />
Der Verein Demokratischer Ärztinnen und<br />
Ärzte fordert in einer Presseerklärung zur<br />
Priorisierung: „Dabei dürfen allein medizinische,<br />
am Heilungserfolg orientierte Motive<br />
eine Rolle spielen“, nicht ökonomische.<br />
Mit der Einführung ökonomischer Gründe<br />
seien „gleich auf mehrfache Weise ethische<br />
Grundsätze verletzt“ … Grundregeln<br />
medizinischen Handelns seien missachtet.<br />
„Denn in der Medizin ist Mehr nicht gleichbedeutend<br />
mit Besser. Im Gegenteil: Ein<br />
vorsichtiger Umgang mit diagnostischen<br />
und therapeutischen Methoden ist in der<br />
Regel die bessere Medizin. Ein Mehr an<br />
Medikamenten, an Röntgenuntersuchungen,<br />
an Operationen oder anderen invasiven<br />
Eingriffen birgt unnötige und zusätzliche<br />
Risiken.“<br />
Ferner erzwinge das Abrechnungssystem in<br />
Deutschland „fast zwangsweise Leistungsausweitung“<br />
… „Es wird in Deutschland<br />
nicht zu wenig, sondern zu viel geröntgt,<br />
operiert und mit fragwürdigen Methoden<br />
therapiert. Eine nicht durchgeführte Leistung<br />
bedeutet unter den heutigen Verhältnissen<br />
einen Einkommensverlust für<br />
Arzt oder Krankenhaus.“ Priorisierung nach<br />
dem Vorschlag der Bundesärztekammer<br />
verstärke die Zweiklassenmedizin, weil<br />
sich privat oder Zusatz-Versicherte sozusagen<br />
„freikaufen“ können. Hinter der Kampagne<br />
stecke „nicht so sehr die Sorge um<br />
eine drohende Unterversorgung. Sondern<br />
sie will bei einer reduzierten Patientenversorgung<br />
Gelder freisetzen, um die Einkommen<br />
der Ärzte durch die dann üppiger fließenden<br />
privaten Honorare aufzubessern.“ 4<br />
Ganz anders verhält es sich beim schwedischen<br />
Modell zur Priorisierung. Dort orientiert<br />
man sich rein am medizinischen<br />
Nutzen. Es wird sogar eingeräumt, dass<br />
diese Priorisierung erhöhte finanzielle Mittel<br />
erfordern kann. Begrenzt werden sollen<br />
Methoden, die tatsächlich keine ausreichende<br />
wissenschaftliche Basis haben.<br />
Außerdem sind in Schweden alle Bürger<br />
und alle Einkommen in das Gesundheitssystem<br />
einbezogen. 5<br />
Die Diskussion um den Nutzen<br />
sollte geführt werden<br />
Der Ausschuss kam insgesamt zu dem<br />
Schluss, dass das Konzept der Bundesärztekammer<br />
zur Priorisierung nach ökonomischen<br />
Gesichtspunkten abzulehnen ist. Es<br />
sollte vielmehr zunächst der Einnahmeimplosion<br />
entgegengewirkt werden. Seit Mitte<br />
der 1980er Jahre steigen die Grundlöhne<br />
langsamer als das BIP. „In Deutschland<br />
sind die Einkommen aus unselbständiger<br />
Tätigkeit seit längerem langsamer gewachsen<br />
als die Einkommen aus Unternehmertätigkeit<br />
und Vermögen. Anders formuliert:<br />
Die Lohn- und Gehaltsentwicklung ist<br />
hinter dem Wachstum der Volkswirtschaft<br />
insgesamt zurück geblieben.“ 6 Wenn aber<br />
die Ausgaben mit dem BIP Schritt gehalten<br />
haben (s. o.), die Einnahmen der<br />
Krankenkassen jedoch entsprechend den<br />
Löhnen unterproportional gewachsen<br />
sind, dann entsteht eine Lücke. Diese<br />
könnte geschlossen werden, indem z. B.<br />
die Arbeitgeber wieder zu gleichen Teilen<br />
an den Beiträgen beteiligt werden und alle<br />
Einkünfte, nicht nur Löhne und Gehälter, in<br />
die Beitragsbemessung einbezogen werden.<br />
Damit könnte man auch das Ende<br />
des ungerechten deutschen Zwei-Säulen-<br />
Versicherungsmodells mit dem Nebeneinander<br />
von privater und gesetzlicher Krankenversicherung<br />
einleiten.<br />
Ein weiterer Schritt wäre eine wirksame<br />
Ausgabenkontrolle z. B. durch die Verhinderung<br />
der Möglichkeit der Falschabrechnung<br />
für ÄrztInnen und PsychotherapeutInnen,<br />
Krankenhäuser, Apotheken<br />
usw., indem z. B. regelhaft Patientenquittungen<br />
auszustellen wären. Möglich wäre<br />
es auch, dass die Krankenkassen ihren<br />
Versicherten eine Aufstellung, der für sie<br />
abgerechneten Leistungen zur Verfügung<br />
stellen. Damit wäre eine bessere Kontrolle<br />
der Abrechnungen möglich. Die Diskussion<br />
sollte mehr um Gesundheitsförderung<br />
und Prävention geführt werden. Es ist unstrittig,<br />
dass „durch ein Mehr an Prävention<br />
und Gesundheitsförderung auch im Alter<br />
ein Mehr an Gesundheit durch Verhinderung<br />
bzw. Verzögerung von chronischen<br />
Erkrankungen und deren Komplikationen<br />
erreichbar ist – selbst bei Hochaltrigen.“ 7<br />
Ähnlich wie in Schweden brauchen wir eine<br />
Diskussion um die allgemeine Effizienz<br />
und den Nutzen medizinischer Leistungen.<br />
Das Geld muss dahin fließen, wo es<br />
sinnvoll verwendet wird.<br />
Eva Schweitzer-Köhn<br />
für den Ausschuss Berufsordnung,<br />
Ethik, Menschen- und Patientenrechte<br />
1<br />
Stellungnahme der Zentralen Kommission<br />
zur Wahrung ethischer Grundsätze<br />
in der Medizin und ihren Grenzgebieten<br />
(Zentrale Ethikkommission) bei<br />
der Bundesärztekammer: Priorisierung<br />
medizinischer Leistungen im System<br />
der Gesetzlichen Krankenversicherung<br />
(GKV), – Langfassung – (September<br />
2007): http://www.zentrale-ethikkommission.de/downloads/LangfassungPriorisierung.pdf<br />
2<br />
RKI, Gesundheitsberichterstattung des<br />
Bundes: www.rki.de/cln_160/nn_2045<br />
68/DE/Content/GBE/Gesundheitsberichterstattung/GesInDtld/gesundheitsbericht__daten,templateId=raw,proper<br />
ty=publicationFile.pdf/gesundheitsbericht_daten.pdf<br />
3<br />
IGES Institut GmbH, Die Bedeutung<br />
von Wettbewerb im Bereich der privaten<br />
Krankenversicherungen vor dem<br />
Hintergrund der erwarteten demografischen<br />
Entwicklung, Forschungsprojekt<br />
des Bundesministeriums für Wirtschaft<br />
und Technologie, 2010<br />
4<br />
www.vdaeae.de/index.php?option<br />
=com _content&task=view&id=311&Ite<br />
mid=90<br />
5<br />
Carlsson, Priorisierung in der Kardiologie<br />
– das schwedische Beispiel<br />
6<br />
w w w . b p b . d e / t h e m e n / W Z D R 7<br />
I,0,Gesundheitspolitik_Lernobjekt.<br />
html?guid= AAA327<=AAA39<br />
7<br />
Diskussionspapier Zukunft des Gesundheitssystems,<br />
Solidarisch finanzierte<br />
Versorgungssysteme für eine<br />
alternde Gesellschaft, Gesprächskreis<br />
Sozialpolitik, Friedrich Ebert Stiftung,<br />
Juni 2009<br />
Berlin<br />
<strong>Psychotherapeuten</strong><strong>journal</strong> 3/2010<br />
303