Wirtschaftswoche Ausgabe vom 18.08.2014 (Vorschau)
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Der Volkswirt<br />
DENKFABRIK | Ein Gesetzentwurf der Republikaner im US-Kongress will der<br />
amerikanischen Zentralbank formale Regeln für ihre Geldpolitik vorschreiben.<br />
Die Fed fürchtet um ihre Unabhängigkeit. Von Martin Feldstein<br />
Der Kampf gegen die Fed<br />
Die US-Zentralbank<br />
Federal Reserve<br />
(Fed) streitet derzeit<br />
mit dem Kongress<br />
über den Federal Reserve Accountability<br />
and Transparency<br />
Act. Der Gesetzentwurf soll die<br />
Notenbank dazu zwingen, bei<br />
ihren geldpolitischen Entscheidungen<br />
formale Regeln zu befolgen.<br />
Die Fed fürchtet deswegen<br />
um ihre Unabhängigkeit.<br />
Die Befürworter des Gesetzes<br />
hingegen argumentieren, damit<br />
seien die geldpolitischen Entscheidungen<br />
der Notenbanker<br />
besser vorhersehbar. Mit einer<br />
festen Regel sei das künftige<br />
Wachstum bei niedriger Inflation<br />
besser berechenbar. Wer<br />
hat recht?<br />
Um den Konflikt zu verstehen,<br />
ist es wichtig, zu wissen,<br />
welche rechtliche Stellung die<br />
Fed innerhalb des politischen<br />
Systems in den USA hat. Die<br />
Zentralbank ist unabhängig und<br />
trifft in diesem Sinne ihre geldpolitischen<br />
Entscheidungen<br />
ohne Einfluss der Regierung.<br />
Der US-Präsident kann ihr also<br />
nicht vorschreiben, wie sie die<br />
Zinssätze, Reserveanforderungen<br />
oder andere geldpolitische<br />
Aspekte reguliert.<br />
DUALES MANDAT<br />
Das Parlament allerdings, also<br />
der US-Kongress, hat der Fed<br />
per Gesetz ein duales Mandat<br />
erteilt. Danach soll die Fed für<br />
Preisstabilität und Vollbeschäftigung<br />
sorgen. Wie sie diese<br />
Ziele erreicht, obliegt allein der<br />
Fed. Sie ist nur verpflichtet,<br />
dem Kongress regelmäßig über<br />
ihre Geldpolitik zu berichten.<br />
Das geplante Gesetz würde die<br />
Entscheidungsfindung der Fed<br />
stark beeinflussen.<br />
Nach der Definition der Fed<br />
herrscht Preisstabilität bei einer<br />
Inflationsrate von rund zwei Prozent.<br />
In den vergangenen zwölf<br />
Monaten lag dieser Wert bei etwa<br />
1,5 Prozent. Vollbeschäftigung ist<br />
nicht fest definiert, aber für viele<br />
Ökonomen herrscht Vollbeschäftigung<br />
bei einer Arbeitslosenquote<br />
von etwa 5,5 Prozent. Der jüngste<br />
Wert lag bei 6,1 Prozent. Nun hält<br />
die Fed seit Jahren an einer Niedrigzinspolitik<br />
fest, obwohl sie ihr<br />
Inflationsziel nicht erreicht. Politiker<br />
fürchten, der lange Zeitraum<br />
»Eine formale<br />
Regel könnte<br />
eine restriktivere<br />
Geldpolitik<br />
erzwingen«<br />
niedriger Zinsen könnte zu einer<br />
erhöhten Inflation von mehr als<br />
zwei Prozent führen.<br />
Um das zu verhindern, soll das<br />
geplante Gesetz die Fed verpflichten,<br />
bei der Festsetzung ihres<br />
kurzfristigen Zinssatzes, der Federal<br />
Funds Rate, einer formalen<br />
Vorgabe zu folgen. Das Gesetz<br />
schlägt eine bestimmte Regel zur<br />
Festlegung des Zinses vor.<br />
Diese Regel entspricht weitgehend<br />
der 1993 von John Taylor,<br />
Ökonom an der Stanford-Universität,<br />
vorgeschlagenen Formel. Sie<br />
beruht auf einer statistischen<br />
Schätzung dessen, was die Fed-<br />
Chefs Paul Volcker und Alan<br />
Greenspan während einer Periode<br />
geringer Inflation und niedriger<br />
Arbeitslosigkeit getan haben. Die<br />
Taylor-Regel legt den kurzfristigen<br />
Zinssatz auf zwei Prozent plus die<br />
aktuelle Inflationsrate plus die<br />
Hälfte der Differenz zwischen der<br />
aktuellen Inflation und der Zielinflation<br />
fest, plus die Hälfte der<br />
Differenz zwischen dem aktuellen<br />
Wachstum des Bruttoinlandsprodukts<br />
(BIP) und dem BIP-<br />
Wachstum bei Normalauslastung<br />
der Kapazitäten.<br />
Das bedeutet: Bei Normalauslastung<br />
und Zielinflation muss der<br />
kurzfristige Zinssatz zwei Prozent<br />
plus Inflationsrate betragen. Er<br />
muss höher sein, wenn die Inflationsrate<br />
über dem Zielwert liegt,<br />
und niedriger, wenn sich das aktuelle<br />
BIP unter dem BIP bei Normalauslastung<br />
befindet. Angesichts<br />
der Unsicherheit über die<br />
genaue Höhe des BIPs bei Normalauslastung<br />
bliebe der Fed mit<br />
der Formel immer noch Spielraum.<br />
Sie könnte argumentieren,<br />
dass die Lücke zwischen aktuellem<br />
BIP und dem bei Normalauslastung<br />
größer ist als vermutet,<br />
weil derzeit viele Menschen nur<br />
Teilzeitjobs haben, die eigentlich<br />
eine Vollbeschäftigung suchen.<br />
Angenommen, die BIP-Lücke<br />
liegt entsprechend einer Schätzung<br />
des US-Haushaltsbüros bei<br />
vier Prozent, dann würde die Taylor-Regel<br />
einen optimalen Zinssatz<br />
von etwa 1,25 Prozent vorgeben,<br />
verglichen mit dem aktuellen Wert<br />
von nur 0,1 Prozent. Wenn, wie angenommen,<br />
die Fed den Leitzins in<br />
den kommenden 12 bis 18 Monaten<br />
auf ein Prozent festlegt,<br />
würde die sich bis dahin verringernde<br />
BIP-Lücke einen noch<br />
höheren Taylor-Zins nahelegen.<br />
Das Komplizierte daran ist, dass<br />
die enormen Überschussreserven<br />
der US-Banken im Zuge der<br />
Anleihekäufe der Fed dazu geführt<br />
haben, dass der Zinssatz<br />
nicht mehr der Schlüsselwert ist,<br />
der er einmal war.<br />
STABILE PREISE<br />
Insgesamt ist der Gesetzentwurf<br />
voller überzogener Anforderungen<br />
an die Fed. Selbst in verbesserter<br />
Form kann das von den<br />
Republikanern kontrollierte Repräsentantenhaus<br />
es möglicherweise<br />
gar nicht durchsetzen.<br />
Gelingt das doch, wird es<br />
nicht durch den demokratisch<br />
kontrollierten Senat kommen.<br />
Die Fed wehrt sich gegen das<br />
geplante Gesetz. Es sei falsch,<br />
Geldpolitik nach einer mathematischen<br />
Formel auszurichten,<br />
sagt Fed-Chefin Janet Yellen.<br />
Klar ist jedoch: Die Diskussion<br />
setzt die Fed unter Druck, ihrem<br />
Inflationsziel mehr Aufmerksamkeit<br />
als bisher zu<br />
schenken und einen dauerhaften<br />
Wert über ihrem Zielwert<br />
von zwei Prozent zu verhindern.<br />
Schafft sie das nicht, könnte<br />
tatsächlich ihre Unabhängigkeit<br />
eingeschränkt und sie gezwungen<br />
werden, ihre Geldpolitik<br />
stärker an ihrem Mandat, für<br />
stabile Preise zu sorgen, zu orientieren.<br />
Martin Feldstein ist Professor<br />
an der Harvard-Universität. Der<br />
renommierte US-Ökonom<br />
schreibt jeden Monat exklusiv<br />
für die WirtschaftsWoche und<br />
wiwo.de<br />
FOTOS: LAIF/POLARIS, GETTY IMAGES/AFP<br />
36 Nr. 34 18.8.2014 WirtschaftsWoche<br />
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